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Aura jenseits von Worten

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Shapeshifters

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AURA JENSEITS VON WORTEN

Wie, einer der größten Pianisten unserer Zeit, und doch vergleichsweise so wenig bekannt? So geht es Sergei Babayan, dem aktuellen Curating Artist im KONZERTHAUS DORTMUND.

Harmonien wie brechendes Glas, tiefe Akkorde, hart wie dumpfes Metall, darüber eine kecke Melodie, wild wie ein Kobold. So klingt es, wenn Romeo den Tod Mercutios rächt, furchterregend, gespenstisch, wahrhaft unerhört – eine Episode aus Sergei Prokofiews »Romeo und Julia«, bearbeitet für zwei Klaviere von Sergei Babayan. Der Bearbeiter selbst und seine kongeniale Partnerin Martha Argerich spielen mit unglaublicher Verve, stahlharter Präzision und größter Beweglichkeit. Diese Passage ist bezeichnend für den Musiker, den Arrangeur und Pianisten Sergei Babayan: Volle Hingabe, gemischt mit handwerklicher Perfektion, so könnte man das Credo des im damals sowjetischen Armenien geborenen Babayan umschreiben. Die Musik hat ihn schon früh infiziert, gefördert durch seine Eltern. Dem Teenager schenkte der Vater einst zum Geburtstag Tickets für den »Tschaikowsky-Wettbewerb« in Moskau: »Ich ging jeden Tag hin, hörte und saugte alles in mich auf und vergrub mich daraufhin noch tiefer ins Repertoire.« Damals gewann den Ersten Preis übrigens ein gewisser Mikhail Pletnev, der später Babayans Lehrer wurde. »Ich erinnere mich noch, wie Pletnev in der ersten Runde den zweiten Satz aus Beethovens letzter Sonate spielte, mit einem unfassbaren Pianissimo. Das war mir völlig neu.«

Sergei Babayan und Martha Argerich

© Marco Borggreve

Heute sieht Babayan das Wettbewerbs-Wesen durchaus kritisch. Für ihn ist es unabdingbar, dass in einem Klavier-Wettbewerb ausschließlich Pianisten in der Jury sitzen, Aktive oder Ehemalige, Hauptsache vom Fach. »Ich selbst würde auch niemals einen Wettbewerb für Klarinette bewerten wollen, obwohl ich Musiker bin, aber eben nicht Klarinettist.« Als Lehrer ist Sergei Babayan längst eine Instanz, spätestens seit er vor mehr als zwanzig Jahren die Sergei Babayan International Piano Academy im Cleveland Institute of Music gegründet hat. Die Schar der Schüler, die dank seiner Ausbildung den Sprung ins internationale Rampenlicht geschafft haben, ist erlesen. Der Bekannteste unter ihnen ist Daniil Trifonov, der genialische Überflieger, dem Babayan einst geraten hatte, die Musik von Rachmaninow erst zu spielen, wenn er auch geistig reif genug dafür sei. Trifonov wollte das dritte Rachmaninow-Konzert für den »Tschaikowsky-Wettbewerb« einstudieren, doch Babayan sagte Nein. Trifonov gewann den Wettbewerb trotzdem, mit dem e-moll-Konzert von Chopin.

Babayan selbst hat, nach seiner Ausbildung in Moskau und unmittelbar nach seiner ersten Auslandsreise 1989, mehrere Erste Preise bei verschiedenen internationalen Wettbewerben gewonnen. Eine möglichst perfekte Technik ist für ihn eine Grundvoraussetzung, und um sich physisch fit zu halten, bevorzugt er den Schwimmsport. Sein Motto: Das Unmögliche wollen, das Mögliche erreichen. In den USA ist Babayan längst eine Berühmtheit im Klassikgeschäft, in Mitteleuropa hinkt seine Bekanntheit hinter seinen Fähigkeiten zurück – noch, denn sowohl sein CD-Vertrag mit der Deutschen Grammophon als auch Konzertreihen wie die im KONZERTHAUS DORTMUND tragen wesentlich dazu bei, dass dieser Pianist auch hierzulande die Reputation erhält, die er verdient.

Sergei Babayan

© Marco Borggreve

Obwohl inzwischen amerikanischer Staatsbürger, fühlt sich Babayan immer noch als Armenier. »Ich bin dort aufgewachsen, ich habe die armenische Volksmusik in mich aufgesogen, ich habe die Sprache verinnerlicht, ich kenne die reiche literarische und philosophische Tradition des Landes.« Dennoch sieht er sich vor allem als Kosmopolit. Das hängt allein mit den Komponisten zusammen, die ihn von früh auf fasziniert haben: »Ich liebte zuerst Tschaikowsky, die Sprache der Liebe war für mich Chopin, dazu kommen Bach und Mozart, die mich von Anfang an begleitet haben – und natürlich Rachmaninow, der mich erst dazu gebracht hat, Pianist zu werden.« Babayans Repertoire ist auffallend breit gefächert, einer gewissen Affinität zu russischer Musik zum Trotz. Er spielt, wenn auch dosiert, Neue Musik und wählt entlegeneres Repertoire wie Ryabov oder Rameau. Er fühlt sich bei Bach genauso wohl wie bei Chopin, dessen »Intensität, mit der er das Leben im Innern fühlte« Babayan bewundert. »Er hat das genial in seiner Musik zum Ausdruck gebracht, in seinen Harmonien, seinen Melodien. Wenn ich nach Dingen suche, denen ich mich nahe fühle, würde ich ein gewisses Gefühl von Nostalgie nennen, Liebe, Schmerz, Glück, Eleganz, Mühelosigkeit, ein solch vollkommenes Maß an Geschmack und Perfektion, dass man sich fragt, ob ein Mensch dies geschrieben hat oder es ihm aus dem Himmel diktiert wurde.«

Wer Babayan im Konzert erlebt, wird schnell nachvollziehen, warum die Fachwelt Kopf steht, wenn er eine Bühne betritt: »Sergei Babayan ist einer der wenigen Auserwählten, einer derjenigen Künstler, die in der Lage sind, uns in ihr Universum zu transportieren und uns in eine andere Welt zu tragen«, heißt es da, oder: »In Babayans Performance strömten die Ideen im Überfluss und mit unaufhaltsamer vulkanischer Kraft«, »delikat, witzig und uneitel« und »Magier des Klavierklangs«. Man könnte die Reihe der Hymnen nahtlos fortsetzen. Babayans Klavierspielkunst besitzt etwas, was sich nur schwer in Worte übersetzen lässt und wozu kein geschultes Fachvokabular ausreicht. Es ist eine Aura, die sich weit besser erleben als beschreiben lässt.

So darf man von Sergei Babayan eines nicht erwarten: Routine. Dieses Wort ist ihm fremd, auch wenn er als Pianist durchaus auf gewisse Gewohnheiten zurückgreift, beim Üben etwa oder beim Auswendiglernen. »Ich suche mir immer nur einzelne Sequenzen heraus, lerne nie das Ganze in einem Rutsch. Auch spiele ich ein Stück nie zu oft.« Um den Kopf frei zu bekommen, widmet Babayan sich Büchern oder wandert durch die Natur. Ein Pianist sei nämlich wie ein Maler: »Man kann nicht nur malen und malen. Man braucht die Zeit, um zurückzutreten und verschiedene Perspektiven auszuprobieren.«

CURATING ARTIST: SERGEI BABAYAN Di – So 12. – 17.11.2019 Mit musikalischen Freunden wie Martha Argerich, Daniil Trifonov, Mischa Maisky und Valery Gergiev gestaltet Sergei Babayan im ersten Curating-Artist-Festival ein Programm vom Klavierrecital über Kammermusikabende bis zum Sinfoniekonzert.

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