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Aufgerüttelt

AUFGERÜTTELT

Mit seinem London Philharmonic Orchestra macht Vladimir Jurowski aus Schostakowitschs 11. Sinfonie einen wahren Polit-Thriller.

Im März 2018 verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer: Die Bayerische Staatsoper in München hat eine neue Doppelspitze! Als Intendant tritt mit der Spielzeit 2021/22 der Opernhaus-Manager Serge Dorny sein Amt an. Und für den Posten des Generalmusikdirektors konnte der Russe Vladimir Jurowski gewonnen werden. Wahrlich kein schlechtes Künstlerteam. Denn allein Jurowski zählt schließlich seit seinem New Yorker MetDebüt mit Verdis »Rigoletto« im Jahr 1999 zu den packendsten und mitreißendsten Operndirigenten überhaupt. Die Entscheidung, ihn also jetzt an die musikalische Spitze der Staatsoper zu berufen, wurde unisono gefeiert. Darüber hinaus reizte diese Personalie aber auch zu so manchem Vergleich mit Jurowskis Vorgänger Kirill Petrenko. Dabei sind sie künstlerisch und von ihrer Persönlichkeit her durchaus wie Feuer und Wasser. Im Gegensatz zum radikal pressescheuen Petrenko nutzt der smarte Jurowski so ziemlich alle Kanäle bis hin zum Video-Interview, um über die Kraft der Musik nachzudenken oder neueste Projekte vorzustellen. Zudem zeichnet ihn von jeher eine musikalische Vielseitigkeit aus, die sich nicht zuletzt in der für ihn gewohnten Doppel- und Dreifachbelastung widerspiegelt. Während Kirill Petrenko bislang immer ein Mann für nur ein festes Engagement gewesen ist, gehört sein gleichaltriger Kollege und Landsmann zu jenen Multi-Taskern und Konditionswundern, die in leitender Position sowohl im Konzert als auch im Opernbereich auftrumpfen. So ist es für den in Moskau geborenen und seit seinem 18. Lebensjahr vorrangig in Deutschland lebenden Dirigenten nichts Außergewöhnliches, ab 2021 gleich zwei Spitzenjobs zu stemmen: als Münchens neuer Staatsopern-GMD und als Berlins seit 2017 amtierender Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters, bei dem er erst kürzlich seinen Vertrag bis 2023 verlängert hat.

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Doch auch aktuell scheint Jurowski keine Ruhepause zu kennen. Schließlich ist sein künstlerischer Lebensmittelpunkt neben Berlin London, wo er nach vier Jahren als Erster Gastdirigent 2007 von den Musikern des London Philharmonic Orchestra zum Principal Conductor ernannt wurde. »Die Leidenschaft und Begeisterung des Orchesters für Musik ist wirklich ansteckend und hat mich direkt bei unserer ersten Begegnung fasziniert«, so Jurowski 2017 in einem Gespräch anlässlich der zehnjährigen Ehe zwischen ihm und dem Londoner Traditionsorchester. »Gemeinsam haben wir ein einzigartiges, gemeinsames Musikverständnis geschaffen. Es ist Freundschaft, Partnerschaft, Komplizenschaft – alles auf einmal! Und die Tatsache, dass das LPO Resident Symphony Orchestra in Glyndebourne ist, wo ich 13 Jahre als Musikdirektor gearbeitet habe, gibt uns die einmalige Gelegenheit, im Opern- und Konzertrepertoire gleichermaßen zu arbeiten. Die gemeinsame Produktion etwa von ›Tristan und Isolde‹ in Glyndebourne 2009 hat unsere Beziehung wirklich verändert.«

Georg Solti, Franz Welser-Möst und Kurt Masur – in diese illustre Ehrengalerie der bisherigen Chefdirigenten des LPO hat sich Vladimir Jurowski längst eingereiht. Wobei er zugeben muss, dass er den Musikern bisweilen ganz schön auf die Nerven gehen kann, wenn er akribisch an bestimmen Passagen feilt. Doch die Mühe und der Probenfleiß zahlen sich aus, in spannenden Konzertprogrammen, in denen Jurowski schon mal die Beethoven-Sinfonien in der Version Gustav Mahlers vorstellt. Doch auch auf Tonträger sorgt man mit enorm vibrierenden und bis ins wertvollste Detail durchhörbar gemachten Interpretationen für Aufsehen. Zu den bisherigen Coups gehört da die Einspielung der beiden Sinfonien Nr. 6 und 14 von Schostakowitsch, die 2014 vom »BBC Music Magazine« zur »Aufnahme des Monats« gekürt wurde.

Zum Glück kehrt Jurowski seitdem immer wieder zu Schostakowitsch zurück. »Was mich an ihm fesselt, ist die Tiefe seiner Musik und zugleich diese unglaubliche Brillanz und Virtuosität an der Oberfläche.« Genau das sind auch die beiden markanten Säulen von Schostakowitschs 11. Sinfonie, die das Dortmunder Gastspiel von Jurowski und dem London Philharmonic Orchestra mit Werken der russischen klassischen Moderne krönt. 1957 erinnerte Schostakowitsch mit dieser Sinfonie an den »Petersburger Blutsonntag« im Januar 1905, an dem Tausende von Arbeitern brutal von den Soldaten des Zaren Nikolaus II. zusammengeschossen wurden. Diese Tragödie sollte in Schostakowitschs Sinfonie ihr aufwühlendes Echo finden – womit für Jurowski genau die Art von Musik entstand, mit der Interpreten und Zuhörer ein wenig aus ihrer traditionellen Komfortzone geholt werden können. Denn für ihn soll Musik vor allem eines – wachrütteln.

LONDON PHILHARMONIC ORCHESTRA Vladimir Jurowski Dirigent, Beatrice Rana Klavier Prokofiew Klavierkonzert Nr. 3 und Schostakowitsch Sinfonie Nr. 11

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