3 minute read

Der Unbequeme

Next Article
Aufgerüttelt

Aufgerüttelt

Bürger. Europäer. Pianist. So stellt sich Igor Levit selbst vor und verrät damit auch sein Selbstverständnis als Musiker. Mit wachem und kritischem Geist stellt er seine Kunst in den Kontext des gesellschaftlichen Geschehens und begreift beides als untrennbar verbunden. Es kann vorkommen, dass Igor Levit nach Betreten der Bühne zum Konzertbeginn nicht zum Flügel geht und sich an seinen Platz setzt, sondern stattdessen ein Mikrofon nimmt und zuerst das Wort ans Publikum richtet. Und dann kann es sein, dass Igor Levit nicht über die Stücke spricht, die er gleich spielen wird, sondern über allgemeine gesellschaftliche Werte.

Letztens in Wiesbaden war so ein Abend. Igor Levit spielte im Rahmen des »Rheingau Musik Festivals«, dessen Saisonthema »Courage« war. Und da solche Festivalthemen ja manchmal etwas hinten rüber fallen, war es für einige im Publikum sicherlich überraschend, dass Igor Levit einen fast 15-minütigen Vortrag vorbereitet hatte, dessen Manuskript er auch auf Twitter veröffentlichte. Er sprach über Carola Rackete, die Kapitänin der Sea-Watch 3, über Greta Thunberg, die Proteste in Hong Kong – all diese Menschen, die Courage zeigen in der heutigen Welt, die es sozialen, zukunftsgewandten Menschen oft nicht leicht macht.

Das gefiel vielen, aber nicht allen. Es gab einige Zwischenrufe, Levit möge doch bitte aufhören und endlich spielen. Am Ende wurde natürlich geklatscht. Aber wie leicht mag es Igor Levit wohl gefallen sein, vor diesem Publikum vier alles fordernde Beethoven-Sonaten zu spielen?

Igor Levit ist kein Künstler, der nur schöne musikalische Stunden bescheren will. Er hat etwas zu sagen, und zwar nicht nur musikalisch. Und wie gern macht man sich am Flügel seelisch quasi nackt, wenn man vorher gemerkt hat, dass man nicht mit allen im Publikum gesinnungsmäßig auf einer Welle schwimmt? Aber Igor Levit ist auch dafür bekannt, dass er Konfrontation nicht scheut. 2018 gab er den vier Jahre zuvor an ihn verliehenen »ECHO« Klassik zurück, weil er nicht damit einverstanden war, dass der Pop-»ECHO«, die große Schwester der Klassik-Auszeichnung, an Kollegah und Farid Bang, zwei mit antisemitischen Parolen statt mit intelligenten Texten erfolgreiche Rapper, vergeben worden war. Dass der eine Preis mit dem anderen außer dem zur Hälfte gemeinsamen Namen sonst nichts gemeinsam hatte, war Levit in dem Moment egal. Er wollte Stellung beziehen. Auch oder besser in jedem Fall: öffentlich.

Igor Levit

© Felix Broede, Sony Classical

Auf Twitter ist der inzwischen 32-Jährige sehr aktiv, kommentiert die tumben Tweets von Donald Trump, teilt die Ansichten seiner Freunde Robert Habeck oder Luisa Neubauer, eine der Hauptorganisatoren der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung. Igor Levit macht keinen Hehl aus seiner politischen Gesinnung, und das ist ungewöhnlich in einer Zeit, in der vielerorts und besonders im Klassik-Geschäft ein solcher Vorstoß nicht gewagt wird, um bloß nicht anzuecken. Entspricht dem lethargischen Feel-Good-Bedürfnis der Generation Y, der Igor Levit seinem Geburtsjahr nach eigentlich angehören müsste. Aber er passt viel besser in die sich wieder deutlicher politisierende Generation Z – vielleicht kann man das unter Spätzünder verbuchen? Nein, eigentlich gehört Igor Levit keinesfalls zu den Spätzündern, ganz im Gegenteil. Seit er 13 ist, tritt er auf den großen Bühnen auf. Noch vor seinem Examen an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover, wo er seit 1995 aufwuchs, bescheinigte ihm das Feuilleton der »FAZ«, »einer der großen Pianisten des Jahrhunderts« zu sein. Was macht man mit so einer Aussage, wenn man 23 ist? Richtig, man bringt erst einmal ein Debütalbum auf den Markt, um solch zentnerschweren Prophezeiungen ein bisschen Gegengewicht zu geben. Aber dass es dann gleich die fünf letzten Klaviersonaten von Beethoven sein müssen, dieser von Pianistinnen und Pianisten oft ehrfürchtig von weitem betrachtete Gipfel der Klaviermusik, dem man sich frühestens mit Mitte 50 nähern dürfe – das ist wieder typisch Igor Levit. Manchmal wirkt es ein bisschen so, als würde es ihm Spaß machen, permanent den Mund etwas zu voll zu nehmen, um dann am Ende doch – tatsächlich – zu gewinnen, Recht zu haben, die Sympathien auf seine Seite zu ziehen. Manche Interviews mit Igor Levit lesen sich schwierig, weil sie den Eindruck erwecken, es handele sich lediglich um ein öffentliches Kräftemessen – intellektuell gesehen. Wenn man dann aber genau hinschaut, sind es meist die Fragen, die diesen Eindruck hervorrufen. Igor Levit scheint seine Gegenüber zu provozieren, sich zu produzieren. Aber das soll nicht sein Problem sein.

»Es ist die menschlichste Musik, die es gibt«, sagte er während der Vorstellung seines letzten Albums, einer Box mit allen 32 Beethoven-Sonaten. Und Menschen bzw. Musik für Menschen ist auch das, was Igor Levit letztlich interessiert. Seine Interpretationen begreift er als Gespräche mit Menschen. Er möchte etwas mitgeben, denn Igor Levit hat viel zu sagen.

KLAVIERABEND IGOR LEVIT Do 09.01.2020 · 20.00 Uhr: Ein Programm um barocke Formen und kontrapunktische Techniken mit Werken von Johannes Brahms, Frederic Rzewski, Johann Kaspar Kerll und Feruccio Busoni

This article is from: