hörbar 02 | 2019|20

Page 17

DER UNBE QUE ME Bürger. Europäer. Pianist. So stellt sich Igor Levit selbst vor und verrät damit auch sein Selbstverständnis als Musiker. Mit wachem und kritischem Geist stellt er seine Kunst in den Kontext des gesellschaftlichen Geschehens und begreift beides als untrennbar verbunden.

Es kann vorkommen, dass Igor Levit nach Betreten der Bühne zum Konzertbeginn nicht zum Flügel geht und sich an seinen Platz setzt, sondern stattdessen ein Mikrofon nimmt und zuerst das Wort ans Publikum richtet. Und dann kann es sein, dass Igor Levit nicht über die Stücke spricht, die er gleich spielen wird, sondern über allgemeine gesellschaftliche Werte.

Letztens in Wiesbaden war so ein Abend. Igor Levit spielte im Rahmen des »Rheingau Musik Festivals«, dessen Saisonthema »Courage« war. Und da solche Festivalthemen ja manchmal etwas hinten rüber fallen, war es für einige im Publikum sicherlich überraschend, dass Igor Levit einen fast 15-minütigen Vortrag vorbereitet hatte, dessen Manuskript er auch auf Twitter veröffentlichte. Er sprach über Carola Rackete, die Kapitänin der Sea-Watch 3, über Greta Thunberg, die Proteste in Hong Kong – all diese Menschen, die Courage zeigen in der heutigen Welt, die es sozialen, zukunftsgewandten Menschen oft nicht leicht macht. Das gefiel vielen, aber nicht allen. Es gab einige Zwischenrufe, Levit möge doch bitte aufhören und endlich spielen. Am Ende wurde natürlich geklatscht. Aber wie leicht mag es Igor Levit wohl gefallen sein, vor diesem Publikum vier alles fordernde Beethoven-Sonaten zu spielen?

Igor Levit ist kein Künstler, der nur schöne musikalische Stunden bescheren will. Er hat etwas zu sagen, und zwar nicht nur musikalisch. Und wie gern macht man sich am Flügel seelisch quasi nackt, wenn man vorher gemerkt hat, dass man nicht mit allen im Publikum gesinnungsmäßig auf einer Welle schwimmt? Aber Igor Levit ist auch dafür bekannt, dass er Konfrontation nicht scheut. 2018 gab er den vier Jahre zuvor an ihn verliehenen »ECHO« Klassik zurück, weil er nicht damit einverstanden war, dass der Pop-»ECHO«, die große Schwester der Klassik-Auszeichnung, an Kollegah und Farid Bang, zwei mit antisemitischen Parolen statt mit intelligenten Texten erfolgreiche Rapper, vergeben worden war. Dass der eine Preis mit dem anderen außer dem zur Hälfte gemeinsamen Namen sonst nichts gemeinsam hatte, war Levit in dem Moment egal. Er wollte Stellung beziehen. Auch oder besser in jedem Fall: öffentlich.

klavierabend 17


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.