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Nils Landgren im Interview
Es ist eine Liebesgeschichte
Der schwedische Posaunist Nils Landgren bringt Weihnachtsstimmung ins Konzerthaus: Am 18. Dezember präsentiert er mit vielen musikalischen Freundinnen und Freunden eine Neuauflage der legendären »Christmas with my friends«-Konzerte. Schon seit 16 Jahren zeigt der geniale Grenzgänger, wie man über alle Musikstile hinweg auf der Bühne Weihnachten feiert.
Herr Landgren, die Posaune ist Ihr Instrument. Mein elfjähriger Sohn ist wegen der Schul-BigBand gerade von Tenorhorn auf Trompete umgestiegen und hat meine Empfehlung, doch lieber wie sein Großvater Posaune zu spielen, ignoriert – wie würden Sie ihm die Posaune schmackhaft machen?
(Lacht) Ich würde ihm als erstes sagen, dass Posaune spielen weniger anstrengend ist als Trompete – man hat viel weniger Druck beim Blasen. Entscheidend aber war und ist für mich immer gewesen, dass man viel mehr Möglichkeiten hat, Dinge zu tun, die man nur auf einer Posaune machen kann – ein einfaches Beispiel ist das Glissando. Man kann mit einer Posaune klingen wie ein Elefant. Oder wie eine ganz kleine Maus. Sie klingt wunderbar vielfältig.
Wie haben Sie die Posaune für sich entdeckt und wieso passt sie so gut zu Ihren musikalischen Vorstellungen?
Ich habe seit dem sechsten Lebensjahr getrommelt, hatte darauf aber irgendwann keine Lust mehr. Mit 13 Jahren habe ich eher zufällig die Posaune entdeckt, obwohl mein Lehrer Trompeter war. Das war relativ spät, wobei es trotz des Gewichts und des langen Zugs kein echtes Mindestalter zum Einstieg in die Posaune gibt – ich habe vor kurzem noch mit acht- und neunjährigen Posaunisten gespielt. Zu mir hat die Posaune jedenfalls von Anfang an gepasst. Mit 20 Jahren bin ich Profi geworden. Ich kann mich auf dem Instrument so ausdrücken, wie ich es möchte. Die Bandbreite von weichen bis hin zu brüllenden Klängen ist riesig. Nach Dortmund kommen Sie im Dezember mit Ihrem sehr beliebten Format »Christmas with my friends«. Wie sind Sie auf die Idee zu diesen Programmen gekommen? Ich habe mich schon lange mit Weihnachtsmusik beschäftigt und erstmal herausgefunden, was ich nicht machen möchte. Ich wollte einen skandinavischen Touch reinbringen, es sehr puristisch angehen mit einfachen, schönen Arrangements von bekannten und weniger bekannten Liedern. Das hat von Anfang an sehr gut funktioniert, die Nachfrage nach den Konzerten und Aufnahmen ist auch nach 16 Jahren noch ungebrochen. Wir holen jetzt viele Konzerte nach, 2023 machen wir wieder eine ganze Tournee mit dem Programm.
Die Arrangements sind oft sehr reduziert und fast intim – wie passt das in ein großes Konzerthaus?
Das passt sehr gut, erst recht in einer so guten Akustik wie in Dortmund. Jedes Haus ist letztlich so intim, wie wir es zusammen mit dem Publikum gestalten. Ich kann auch in einem großen Konzerthaus Intimität vermitteln, ich habe in Dortmund auch schon Duos auf der Bühne gespielt. Es klingt hervorragend, ich kann alle sehen und vor allem mit allen kommunizieren. Darauf kommt es an. Entscheidend ist immer, wie du ein Konzert gestaltest und Musik präsentierst.
Was verbinden Sie noch mit Dortmund und dem Konzerthaus?
Ich freue mich sehr auf Dortmund, bin ja hier schon mit einer ganzen Zeitinsel gewesen. Es sind besondere Menschen, zu denen ich eine besondere Beziehung aufgebaut habe. Das Publikum ist sehr offen, zugänglich und sehr neugierig. Es ist für meine Musik sehr wichtig, dass die Leute Interesse an Neuem haben. Auffällig ist auch die Freundlichkeit sowohl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Konzerthaus wie beim Publikum. Das spürst du schon, wenn du reinkommst. Da passiert etwas, da entsteht eine besondere Atmosphäre – fast ein bisschen wie in einer Kirche, in der allein der Raum schon eine Wirkung entfaltet.
In Deutschland hat Ihre Karriere früh Fahrt aufgenommen. Sie sind Stammgast in vielen Konzertreihen, haben einen Lehrauftrag in Hamburg. Wie erklären sie sich Ihre besondere Popularität in Deutschland?
Es ist wahr, es ist eine besondere Beziehung. Die einfachste Erklärung lautet: Die Leute mögen, was ich tue. Sie mögen vielleicht auch die skandinavische Melancholie. Wir spielen viel in Moll, aber immer mit Humor. Mir ist es von Anfang an gelungen, das deutsche Publikum zu erreichen – mit meiner Musik und als Person. Ich war in der NDR Big Band, meine Plattenfirma Act ist deutsch, beim Festival »Jazz Baltica« in Kiel war ich von Anfang an dabei, seit zwölf Jahren bin ich dort Künstlerischer Leiter. Ich habe das Glück gehabt, überall in Deutschland gebucht zu werden und ein großes Publikum erreicht, das gerne wiederkommt. Ich finde Land und Leute fantastisch. Es ist eine Liebesgeschichte.
Im Konzerthaus sind viele Musikstile zu Hause. Wo verorten Sie sich eigentlich musikalisch und was hören Sie gerne, wenn Sie nicht selber Musik machen?
Ich bin an Musik allgemein interessiert. Ich will immer etwas Neues ausprobieren. Ich möchte neue Musiker kennenlernen, aber meine Kumpels behalten, also Altes und Neues verbinden. Ich brauche Abwechslung, um mich musikalisch weiterzuentwickeln – in jeder beliebigen Besetzung. Wenn ich mal zu Hause frühstücke, höre ich gerne Barockmusik im originalen Klang und mit alten Instrumenten – ich habe mit New eyes on baroque ein eigenes Ensemble dafür. Abends höre ich gerne Jazz-Klassiker oder auch mal eine Mahler-Sinfonie, in die man völlig abtauchen kann. Dazwischen geht es um Musik, die ich lernen muss – oder die mich besonders inspiriert. Steckbrief
Auch der Jazz ist vielerorts wie die Klassik eher Domäne eines älteren Publikums. Wie lässt sich das ändern, wie können wir jüngere Leute dafür begeistern?
Da gibt es viele Wege, die man gehen kann. Zunächst bin ich sehr froh, dass wir noch ein so großes Publikum haben, das wir erstmal halten müssen, zumal ja auch die Jungen älter werden und Menschen nach der Berufstätigkeit mehr Zeit haben für Konzertbesuche. Es gibt kein Patentrezept, aber ein Thema sind sicher die Orte, an denen wir Musik machen – viele Konzert- oder Opernhäuser befinden sich außerhalb der Welt jüngerer Menschen. Wir müssen auch dorthin gehen, wo wir sie finden und einladen. Ein ganz wichtiger Ort sind die Schulen, wo Kinder uns und der Musik begegnen müssen. Sie müssen physisch spüren, was passiert, wenn wir und sie selber musizieren.
Nils Landgren
1956 in Degerfors/Schweden geboren
Mit sechs Jahren als Schlagzeuger zur Musik gekommen, ehe er mit 13 Jahren die Posaune entdeckte
1972 bis 1978 Studium der klassischen Posaune, um Orchestermusiker zu werden
Nach Begegnungen mit dem Folk-Jazz-Pionier Bengt-Arne Wallin und dem Posaunisten Eje Thelin mit 20 Jahren nach Stockholm, um Jazz zu spielen
1979 Posaunist bei ABBAs Hit »Voulez-Vous«
1992 Gründung der Nils Landgren Funk Unit Künstlerischer Leiter beim »Jazz Baltica Festival«
Seit 2006 als Dozent, seit 2014 als Professor für Jazz-Posaune an der Hamburger Musikhochschule
Live im Konzerthaus: So 18.12.2022 18.00 Uhr Nils Landgren – Christmas with my friends
Das Interview führte Dr. Heiko Schmitz.