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editorial
ENTDECKERFREUDEN
Es ist ein ganz besonderes Jahr, das gerade zu Ende geht – und ich meine diesmal nicht Corona! Wir blicken zurück auf 1700 Jahre jüdischen Lebens in Deutschland, belegt durch ein kaiserliches Dekret aus dem Jahr 321. Viele haben es sich zur Aufgabe gemacht zu zeigen, welch große kulturelle Schätze und Errungenschaften dieses Land Jüdinnen und Juden zu verdanken hat. Und so viel gibt es noch zu entdecken oder wiederzuentdecken. Wir können dankbar sein, dass heute wieder ein vielfältiges und buntes jüdisches Leben in Deutschland existiert.
Mir scheint das ein guter Zeitpunkt zu sein, um mit Mieczysław Weinberg einen Komponisten jüdisch-polnischer Herkunft in den Fokus zu rücken. Sein Werk und seine Lebensgeschichte stehen für vieles, was das Leben und Wirken jüdischer Künstlerinnen und Künstler in Europa insbesondere im vergangenen Jahrhundert charakterisiert und zugleich so schwierig gemacht hat. »Viele meiner Werke befassen sich mit dem Thema des Krieges. Dies war leider nicht meine eigene Wahl. Es wurde mir von meinem Schicksal diktiert, vom tragischen Schicksal meiner Verwandten«, sagte der Komponist, dessen eigene Familie ermordet wurde und der selbst immer wieder Flucht und Verfolgung erlebte. Sein beeindruckendes und tief ergreifendes Œuvre umfasst mehr als 150 Werke, darunter allein 26 Sinfonien und sieben Opern. Umso erstaunlicher ist es, dass der enge Freund Schostakowitschs lange Zeit fast vergessen war. Erst seit wenigen Jahren beginnt seine Wiederentdeckung, nicht zuletzt auch durch das Engagement unserer Exklusivkünstlerin Mirga. Ihr Impuls war es auch, dass wir uns im März ein Wochenende lang der Musik Weinbergs widmen – vier Konzerte, auf die ich mich ganz besonders freue, u. a. mit Mirga selbst, Patricia Kopatchinskaja, Sheku Kanneh-Mason, dem Schumann Quartett und der Dortmunderin Anoushka Hack.
Auch der tschechische Komponist Ondrˇej Adámek hat jüdische Wurzeln und ist ein Kosmopolit, der die Klänge der Kulturen der Welt in seine Musik hineinholt: Alles ist Musik, wenn wir es dazu machen. Wir widmen ihm im Januar eine Zeitinsel. Und wenn Sie Lust haben, einen Zugang zu Neuer Musik zu finden, dann möchte ich Ihnen ein Konzert ganz besonders ans Herz legen: Seine Oper »Seven Stones« am 28.01.22 – visuell und klanglich ein extrem spannender und schöner Abend.
Zum Schluss komme ich doch noch auf Corona zu sprechen. Kürzlich vor einem Konzert erlebte ich einen Moment, in dem mir wieder einmal klar wurde, wie wichtig es ist, trotz der angespannten Lage an Konzertbesuchen festzuhalten. Im Gespräch mit einem Gast erwähnte ich, wie froh wir darüber wären, dass wir weiterhin Konzerte spielen können. Der Gast, eine ältere Dame, antwortete prompt: »Ich auch. Das hält mich am Leben« – da war sie wieder, die verbindende und heilende Kraft der Musik. Und so blicke ich bestärkt und mit Vorfreude auf die zweite Hälfte der Saison mit Ihnen im Konzerthaus.
Mit herzlichen Grüßen, Ihr Dr. Raphael von Hoensbroech Intendant und Geschäftsführer des Konzerthaus Dortmund