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IM KARRIERETURBO

Ein kleines bisschen Make-up, die braunen Locken etwas gezähmt, die typischen Haare auf die Füße geklebt und Robin Ticciati würde locker als Hobbit durchgehen – zumindest dort in Neuseeland, beim Dreh der berühmten Filme von Regisseur Peter Jackson. Gerade der beliebte Bilbo Beutlin, dargestellt von Martin Freeman, mit seinem ausgleichenden und umsichtigen Wesen könnte doch ein Bruder des 1983 in London geborenen Dirigenten sein.

Wenn Robin Ticciati den Raum betritt und mit ruhiger Stimme zu sprechen beginnt, hören alle zu. Es gibt diese Menschen mit besonderer Aura, die jeden und jede in ihren Bann ziehen können, ganz unabsichtlich und ohne böse Vorsätze. Und bei Robin Ticciati erahnt man dieses Charisma sogar auf Fotos. Als er 2017 Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin wurde, gab es zur Einführung eine große Plakatkampagne in der Stadt: Robin Ticciati in verschiedenen Positionen, aus der Nähe, etwas entfernter, immer mit dem Blick aus braunen Augen, der jeden sofort bezaubert. Fast wie ein offen zur Schau gestelltes Verliebtheitsgefühl, mit dem das Marketing-Team des DSO schlussendlich ganz Berlin ansteckte.

Robin Ticciati selbst kann mit dieser Fixierung auf sein Äußeres nicht viel anfangen. Auf eine Frage in einem Interview mit dem Berliner Stadtmagazin »tip« nach seiner offensichtlichen Attraktivität und der auffälligen Plakatierung zum Amtsantritt reagierte er offensichtlich überrumpelt. »Das sind Kriterien einer CelebrityWelt, bei denen ich nicht scharf darauf bin, dass sie auf klassische Musik übertragen werden.« Nun, Robin Ticciati hat das Glück, ein Mann zu sein und damit viel seltener der Beurteilung der eigenen äußeren Erscheinung durch andere ausgesetzt zu sein als seine weiblichen Kolleginnen. Und die großzügige Plakatierung diente schließlich auch begründeten Zwecken: Der damals gerade 34-jährige Robin Ticciati war in Deutschland noch relativ unbekannt, die Aussprache des Namens nicht sofort geläufig. Da hilft ein Bild mehr als alles andere – wenn die Person so einprägsam ist wie Robin Ticciati sowieso.

Und es ist ja auch nicht nur das Aussehen, sondern vor allem seine Energie, seine Sicht auf und sein Umgang mit seinem jeweiligen Gegenüber. Im Alter von 14 Jahren stand Robin Ticciati das erste Mal als Dirigent vor einem Orchester, dem National Youth Orchestra of Great Britain, in

So 06.02.2022 · 18.00 Uhr

LEIF OVE ANDSNES

Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Robin Ticciati Dirigent, Leif Ove Andsnes Klavier

& DEUTSCHES SYMPHONIE-ORCHESTER

Berlioz Ouvertüre zu »Les Francs-juges«, Schumann Klavierkonzert, Beethoven Sinfonie »Eroica«

dem er eigentlich Pauke spielte. Klavier und Geige hatte er ebenfalls gelernt – die musikalische Grundbegeisterung bekamen die drei Ticciati-Geschwister nämlich von den Eltern vermittelt, die allerdings selbst Musik nur als Hobby betrieben. Sein Großvater (der mit den italienischen Wurzeln und dem Namen) war Dirigent und Komponist. Als »musikalischen Großvater« bezeichnet Robin Ticciati aber den inzwischen verstorbenen Sir Colin Davis, der damals auch eine Zeit lang das National Youth Orchestra of Great Britain dirigierte. »Colin ist mein musikalischer Großvater. Er lehrte mich, dass ich lesen muss, dass ich ständig nachdenken muss über die Musik, dass ich reisen muss in der Gedankenwelt von Komponisten.«

Mit diesem Mentor im Rücken wurde in den Karriereturbo geschaltet: 2005, mit 22 Jahren, hat er zum ersten Mal am Dirigentenpult der Filarmonica della Scala gestanden, ein Jahr später folgte ein kurzer Stopp als Chefdirigent eines eher unbekannten Sinfonieorchesters in Schweden. Ab 2007 erstes Beschnuppern mit der berühmten Glyndebourne Festival Opera, die er heute inzwischen als Musikdirektor leitet. Von 2009 bis 2018 Chefdirigent des Scottish Chamber Orchestra und ab 2017 Chef und Künstlerischer Leiter des Deutschen Symphonie-Orchesters in Berlin, wo er seitdem gemeinsam mit seiner Frau, einer Sopranistin, hauptsächlich wohnt.

Glyndebourne und Berlin sind seine musikalische Heimat. Der erste Corona-bedingte Lockdown erwischte ihn in Großbritannien, wo er den Sommer 2020 damit verbrachte, über die mögliche Zukunft eines Opernfestivals und eines Radio-Orchesters nachzudenken. »Ich möchte gerne, dass wir uns andernorts im In- und Ausland mit denselben aufregenden Werken präsentieren, die wir auch hier in Berlin spielen. Die Veranstalter aber wollen immer NummerSicher-Programme mit den altbekannten Prachtstücken – und das muss sich ändern. Die Corona-Krise könnte dafür ein Katalysator sein. Sonst droht eine Musealisierung der Klassik. Im Idealfall gibt es vielleicht weniger Gastspiele, dafür aber mit mutigeren Programmen.«

Zum 75. Jubiläum des Orchesters im Februar 2022 darf es dann aber doch noch mal eine große Europatournee geben, die Ticciati ins Konzerthaus Dortmund führt. Und zwar mit Beethovens »Eroica« und dem eleganten Klavierkonzert von Robert Schumann, gespielt von Leif Ove Andsnes. Garantiert nicht museumsreif!

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