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meisterkonzerte
BESEELT, FOKUSSIERT, VIELSEITIG
Sie denkt und arbeitet mehrdimensional, ist ein Multitalent: Hélène Grimaud ist nicht nur begeisternde Pianistin, sondern auch Buchautorin und leidenschaftliche Naturschützerin.
Abstammung? Sephardische Juden in Afrika väterlicherseits, jüdische Berber auf Korsika mütterlicherseits. Geboren? Aix-en-Provence, Frankreich. Wahlheimat? Frankreich, USA, Schweiz, USA. Gläubig? »Es war eine seltsame Mischung der Religionen – Katholizismus, Judentum, andere Glaubensrichtungen –, aber keinen Glauben an den einen Gott. Ich würde sagen, ich bin eher spirituell als religiös aufgewachsen.« Vorlieben? Spannende Programme mit ungewöhnlichen Kombinationen. Beispiel? Mozart und Valentin Silvestrov. Marotte? Nach einem Konzert lange in der Garderobe sitzen und anschließend im leeren Saal nochmals am Flügel spielen.
Das Leben von Hélène Grimaud ist ungewöhnlich, wirkt in manchen Punkten geradezu romanhaft. Die Frau, die einen Teil ihres Lebens Wölfen gewidmet, eine Krebserkrankung überstanden hat und sich wegen einer Kadenz in einem MozartKonzert mit einem so namhaften Dirigenten wie Claudio Abbado überworfen hat, ist mutig, riskant und konsequent.
Das Phänomen erzwungener Auszeiten hat Grimaud nicht erst durch Corona kennengelernt, bereits ein Erschöpfungssyndrom führte im Jahr 2005 zu einer längeren unfreiwilligen Pause. Es muss eine schreckliche Erfahrung sein für jemanden, der von sich behauptet: »Ohne den Austausch mit dem Publikum fühle ich mich leer. Es kommt mir so vor, als ob ein Teil von mir abgetrennt ist.« Zur Überbrückung der pandemischen Durststrecke hat Grimaud, wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen, in der jüngeren Vergangenheit Streaming-Konzerte angeboten, auch wenn sie dieser Art von Auftritten eher skeptisch gegenübersteht. »Ich hatte immer das Gefühl: Da fehlt was, die Energie, die Emotion meines Spiels dringen nicht durch den Computerbildschirm.« Andererseits hat sie gelernt, in der Not auch mit Ersatz-Formaten wie diesen klarzukommen.
Do 24.02.2022 · 20.15 Uhr
HÉLÈNE GRIMAUD &
Bamberger Symphoniker, Jakub Hrůša Dirigent, Hélène Grimaud Klavier
BAMBERGER SYMPHONIKER
Bartók Klavierkonzert Nr. 3, Smetana »Ma vlast«
Es gibt ein Foto von Grimaud aus Kindertagen, wo man die kleine Hélène in einem Kapuzen-Anorak inmitten einer herbstlichen Wiese sitzen sieht – ein Bild mit Symbol-Charakter. Sie ist Einzelkind, fühlt sich wohl umgeben von der unberührten Natur, und sie lächelt ein wenig skeptisch in die Kamera. Begeisterung und Vorsicht prägen sie bis heute, früher – und vielleicht noch intensiver – gepaart mit einem Hang zur Perfektion: »Ich war sehr ordentlich, an der Grenze zur Zwangsstörung, und mir selbst nie gut genug. Ich war besessen von dem Gefühl, dass bestimmte Dinge nicht oft genug, nicht nachdrücklich genug gesagt oder getan worden waren.« Geholfen hat ihr die Musik. Grimaud war vernarrt in die schöne Gesangsstimme ihrer Mutter, auch wenn Klassik im elterlichen Haus keine Rolle gespielt hat. Sie träumte sich anfangs in ferne Länder, mit Märchen, Legenden, griechischen Sagen. Doch ihre überschüssige Energie konnten diese Lektüre-Ausflüge nicht kanalisieren. So trat die Musik in ihr Leben – und blieb. Eine Beständigkeit in einem unbeständigen Leben. Vielleicht auch eine Analogie zu ihren musikalischen Vorlieben. Wenn sie, wie bei ihrem Album »The Messenger«, Mozart und Silvestrov zusammenbringt, schätzt sie die »Reinheit« beider Komponisten, aber auch ihre »Unbeständigkeit«. Kaum will man diese näher ergründen, ist sie bereits wieder verflogen – »wie Luft. Es ist in mehrfacher Hinsicht himmlische Musik«.
Hélène Grimaud ist sich in gewisser Weise treu geblieben. Sie liebt nach wie vor die großen Werke des Repertoires, Stücke wie die »Kreisleriana« oder Rachmaninows zweite Sonate. »Der lange Atem ist mein ureigenes Territorium«, hat sie einmal erklärt. Was auch geblieben ist: Ihr Hunger, sich Neuem zu widmen, Unbekanntes auszuprobieren, etwa wenn sie unterschiedliche Formen der Kunst zusammenbringt. Oder wenn sie ihre Programme entwirft, manchmal bausteinartig, kleine Versatzstücke zu etwas Übergeordnetem fügt, so gruppiert, dass sich daraus einzelne Erzählungen ergeben – wohl wissend, dass kürzere Stücke für Interpret und Zuhörer eine viel größere Herausforderung darstellen.
Wenn sie spielt, ist Klarheit eines ihrer obersten Anliegen – und auch, wenn sie spricht. Hélène Grimaud ist keine Dampfplauderin, jedes ihrer Worte hat Gewicht. Das Verblüffende ist die Schnelligkeit, mit der sie ihre Gedanken formuliert, druckreif, mit einer entwaffnenden Direktheit: »Kunst ist nicht spannend, wenn alles erlaubt ist. Kunst ist am interessantesten, wenn sie Grenzen verhandelt, weitet, sprengt.« Kein Wunder, dass sie im Beiheft einer ihrer CDs den französischen Dichter Rimbaud zitiert: »Unsere Zeiten brauchen mehr intensive Musik.« Weil Musik den Menschen zu einem erfüllteren Leben verhelfen kann. Weil Musik »definiert, was uns als Menschen ausmacht«. Nicht mehr, nicht weniger. Vielseitig, klar, beseelt. Fokussiert, erfüllt, mit Sinn für erhellende Botschaften – die Facetten der Hélène Grimaud bilden ein weites Spektrum.