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Portr\u00E4t Lahav Shani
TEIL DER FAMILIE
Lahav Shani ist einer der spannendsten jungen Dirigenten derzeit. Ein mehrfachbegabter Shootingstar,dessen Karriere gerade ordentlich Fahrt aufgenommen hat – wer ihn jetzt erlebt, kanneinmal von sich behaupten, früh dabei gewesen zu sein.
Rotterdam, Juni 2018. »Das ist ein besonderer Moment«, sagt Yannick Nézet-Séguin, der mit Lahav Shani am Pult des Rotterdam Philharmonic Orchestra steht. Seinem Nachfolger übergibt er einen länglichen Kasten. »Dieser Taktstock hat Eduard Flipse gehört«, erläutert Nézet-Séguin. »Von Generation zu Generation ist er weitergeben worden.« Flipse hat das Rotterdam Philharmonic Orchestra 35 Jahre lang geleitet, bis in die Sechzigerjahre hinein. Mit Yannicks besten Wünschen und einer Umarmung nimmt Shani das wertvolle Geschenk entgegen. Seit September letzten Jahres ist er nun der jüngste Chefdirigent in der Geschichte des Orchesters. »In Rotterdam bin ich so glücklich über die Chemie, die so gut stimmt, vor allem zwischenmenschlich«, sagt er. »Von der ersten Minute an war klar, dass wir das Gleiche wollen, was Klang, Timing, Empfindung und Stil betrifft.« Im Rotterdamer Konzertsaal De Doelen will Shani den klanglich sehr guten Saal noch weiter optimieren. »Die Rotterdamer Philharmoniker sind in einem fantastischen Zustand, das möchte ich bewahren.«
Ja, Lahav Shani ist erst 30 Jahre alt. Doch Einwände, man sei doch für dieses oder jenes noch zu unausgereift, weiß er vom Tisch zu wischen. »Wir Musiker haben doch eine gemeinsame Sprache, und wenn man die versteht, warum sollte man zu jung sein? Für uns ist alles noch frisch, und wir sind voll motiviert. Ich nehme noch nichts als selbstverständlich.« Geboren wird Lahav Shani 1989 als Sohn eines Chordirigenten in Tel Aviv, nur ein paar Minuten vom pulsierenden kulturellen Zentrum der Stadt entfernt. »Manchmal habe ich die Schule geschwänzt, um ein Konzert zu hören, wenn einer der Großen kam, ein Pianist oder Dirigent.« Diejenigen zu erleben, die es anders machen und gemacht haben, sei bedeutsam für die eigene Entwicklung gewesen. War das eine gute Praxis? Viel mehr. »Manchmal wichtiger als das Partiturstudium!«
Shani beginnt mit dem Klavierspielen, als ein Nachbar der Familie, der Rockkomponist Shlomo Gronich, das Talent des Jungen entdeckt. Mit sechs Jahren nimmt Shani Unterricht in Tel Aviv bei Hanna Shalgi und Arie Vardi, um dann bei Christian Ehwald und Fabio Bidini an der Hochschule für Musik »Hanns Eisler« in Berlin sein Studium zu komplettieren. In der Hauptstadt wird auch Daniel Barenboim einer seiner Mentoren. Mit dem Israel Philharmonic Orchestra tourt Shani als Kontrabassist durch die Lande. Er lernt das Instrument, um herauszufinden, wie das ist: Musizieren und Leben mit einem Orchester. Ab 2007 wird er mit dem Israel Philharmonic noch vertrauter. Zubin Mehta lädt ihn ein, zu assistieren und als Pianist aufzutreten. Was ein Orchester zusammenhält – Freundschaft, Harmonie, gleiche künstlerische Ziele – lernt Lahav Shani von innen heraus. »Was mich überhaupt zum Dirigieren gebracht hat, war das Gefühl, dass 100 Leute auf der Bühne das Gleiche denken und die gleichen Impulse haben. Das ist ein ganz starkes menschliches Gefühl.«
Das Jahr 2013 dann wird für Lahav Shani zu dem bis dato bedeutendsten in seinem Leben. Er gewinnt den »Gustav-Mahler-Dirigierwettbewerb« in Bamberg. Hinter dieser Veranstaltung steht nicht nur der herausragende Mahler-Dirigent Jonathan Nott, sondern auch die Enkelin des Komponisten. Ohne Mahler wäre er nicht das geworden, was er heute ist, gibt Lahav Shani zu. Ein »Herzschlagfinale« sei das gewesen, urteilt die Jury, als Lahav Shani Mahlers Erste dirigiert. Nun widmet er sich in Dortmund mit dem Rotterdam Philharmonic Orchestra der Sinfonie Nr. 3. Unbelebte Materie, Flora, Fauna, der Mensch und sein Schöpfer – all das umfasst dieses Werk. Eine ganze große Mahler-Welt in 100 Minuten. »Die 3. Sinfonie wird zunächst für alle, die meine früheren Werke nicht kennen, eine harte Nuss sein!« Diese Warnung des Komponisten wird immer wieder gern zitiert. Diese Nuss ist heute freilich geknackt. Dennoch müssen Dirigenten hier klug disponieren und mit den Kräften haushalten. Gleich sechs Sätze hat das Werk. »Dass ich sie Sinfonie nenne, ist eigentlich unzutreffend, denn in nichts hält sie sich an die herkömmliche Form«, meint Mahler. Lahav Shani, der neue Chef der Rotterdamer, stellt sich der Herausforderung, diese Klangwelt zum Leben zu erwecken.
Ein weiterer Karriereschritt für ihn wird 2020 folgen. Es ist ein »Back to the Roots«: Beim Israel Philharmonic löst Shani als erster jüdischer Orchesterleiter in der Geschichte und als zweiter Chefdirigent überhaupt Zubin Mehta ab, der dann ein halbes Jahrhundert in Tel Aviv dirigiert haben wird. »Viele dieser Musiker sind meine Lehrer gewesen, als ich Student war«, sagt Shani. »Viele Instrumentalisten meiner Generation sind mit mir dort aufgewachsen. Und so fühlt es sich sehr organisch an, heute offiziell ein Teil der Familie zu sein.«