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Portr\u00E4t Diana Damrau
NICHT IMMER MARATHON
Sie zählt unbestritten zu den großen Stimmen des 21. Jahrhunderts. Dass sie überhaupt dazugehört,verdankt sie unter anderem der Tatsache, dass sie nicht alles singt, was man ihr anbietet. Diana Damrausetzt auf vokale Nachhaltigkeit.
Am Ende, nach 46 Liedern im Wechselgesang mit einem männlichen Partner, folgt das Geständnis: Meine Güte, so viele Liebhaber, über 20! Einen in Penna, einen in Ancona und zehn in Castiglione. Hugo Wolf hat das Gedicht »Ich hab in Penna einen Liebsten wohnen« als Finale seines »Italienischen Liederbuchs« vertont und der Sopranstimme damit eine Herkulesaufgabe zugedacht. Leicht muss es klingen, kokett, frech und obendrein dramatisch – das alles in rund einer Minute. Diana Damrau hat dieses »Italienische Liederbuch« an der Seite von Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch im vergangenen Jahr in mehreren Städten aufgeführt. Wie sie dieses Final-Lied gestaltet, ist einfach hinreißend. Alle Facetten treten hier auf engstem Raum zutage. Fulminant, wenn sie die Zahl »zehn« hinausposaunt, dann aber die Lautstärke zurücknimmt und bei »Castiglione« noch ein zusätzliches vokales Augenzwinkern einbaut, wird diese Interpretation zu einem Ereignis.
Das ist bezeichnend für die Sängerin Diana Damrau. Nach einhelligem Bekunden der Fachpresse hat sie bislang eine Bilderbuch-Karriere hingelegt. Geboren und aufgewachsen im bayerisch-schwäbischen Günzburg, wurden ihre stimmlichen Möglichkeiten früh erkannt, sodass sie nach dem Abitur nahtlos ein Gesangsstudium anschloss (ihre bisherige Lehrerin wurde von der Hochschule in Würzburg gleich mitengagiert). Es folgten erste Engagements in Würzburg, Mannheim, dann schon Frankfurt, bevor es rasant mit Gastspielen weiterging: München, London, Salzburg, Wien.
Seit über anderthalb Jahrzehnten ist Diana Damrau nun freischaffend, ihr Kalender prall gefüllt – soweit sie es überhaupt zulässt. Denn Nein-Sagen gehört für sie zum Selbstverständnis ihres Berufes. Warten und Langsamkeit hat sie früh kennenlernen müssen, nach einer Beeinträchtigung ihrer Stimmbänder während des Studiums. Damals erkannte sie, was es heißt, Zeit zu haben, wenn man sich Zeit lassen muss. Alle Lorbeerkränze, die ihr Publikum und Musikkritik später geflochten haben, konnten sie nicht verführen. Damrau ist, auch als Ehefrau und Mutter, bodenständig geblieben, realitätsnah, ihre Erfolge ordnet sie durchaus humorvoll ein. Vor allem wirkt sie bescheiden bei Sätzen wie: »Jeder ist ein Unikat, hat sein eigenes Repertoire und seinen eigenen Stimmtyp, jeder hat seine Möglichkeiten und seine Fehler.« Oder: »Wir sind keine Maschinen, und manchmal geht es einem weniger gut. Das sind dann schwierige Momente, aber man darf sich nicht verrückt machen.«
Ihr Repertoire hat sie stets klug gewählt, auch mit Blick auf den jeweils bestmöglichen Zeitpunkt. Sie hat früh Mozart gesungen, Verdi und Strauss, dazu reichlich Belcanto. Musik, die der Stimme, bei ökonomischer Herangehensweise, guttut. Selbst als sie in New York antrat, hat sie sich zuerst für Mozart entschieden, Königin der Nacht und Pamina, dann erst für Verdi. Stets wirkt sie glaubwürdig. Wer sie als Violetta in »La traviata« erlebt, nimmt ihr alles ab, jede Geste, jede Regung, jeden Atemzug dieser lebenshungrig sterbenden Frau.
Lange schon hegte Diana Damrau, mehr im Verborgenen, eine Vorliebe für die Musik des oft missliebig beachteten Giacomo Meyerbeer: »Geradezu erregt« nennt sie den Zustand, in den seine Musik sie versetzen kann, »erregt von den vielfältigen Möglichkeiten des Stimmeinsatzes, den Orchesterfarben, seinem Theaterinstinkt, von seiner Art, Emotionen zum Ausdruck zu bringen und natürlich von seinen herrlichen Melodien«. Zaghaft klopfte sie bei ihrem Label an, ob man nicht Lust auf ein Meyerbeer- Projekt habe. »Reaktion: Schweigen.« Fast ein Jahrzehnt musste sie warten, bis man ihr grünes Licht gab, dann erschien 2017 ein reines Meyerbeer-Album – und wurde prompt ein Bestseller.
Auch, weil sie dabei den ganzen Meyerbeer zeigt, mit deutschen Arien, italienischen Bravour- und schließlich französischen Schmelz-Arien: »Die sind luftig, wie fliegende Blütenblätter, aber auch saftig und blutdurchdrungen. Meyerbeer bietet also wirklich eine sehr große Bandbreite.«
Neben der großen Bühne sind es immer wieder Ausflüge ins Konzert- und Liedfach, mit denen Diana Damrau sich und ihrer Stimme die Chance zum Ausgleich bietet. Denn: »Singen ist Hochleistungssport. Wir müssen uns vorbereiten wie ein Sportler, nicht nur die Stimme, sondern den ganzen Körper. Unser ganzer Körper ist das Instrument.« Man kann nicht jeden Tag Marathon laufen, um die Hochform zu konservieren. Wenn man Diana Damrau Lieder von Strauss oder eben Wolf singen hört, ist man schnell gefangen – nicht unbedingt von den lauten Ausbrüchen und halsbrecherischen Koloraturen, sondern von ihrer Kunst des Leise-Singens und der vielen bruchlos gleitenden Übergänge. Miniaturen werden bei ihr ganz groß – dank einer Mischung aus Begabung, Technik, Fähigkeit zur Zurücknahme, Um- und Weitsicht.