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DAS GESCHENK DER MUSIK

Drei Jahre lang ist »Maestra Mirga« Exklusivkünstlerin am Konzerthaus in Dortmund. Und auch wenn Corona die ursprünglichen Pläne etwas durcheinander gewirbelt hat, sorgte die litauische Dirigentin Mirga Gražinyte˙-Tyla für besondere Konzerterlebnisse. Nun biegt sie auf die Zielgerade ein.

Es war ein kleines Wunder, das sich im letzten Jahr zu Beginn des Salzburger Festspielsommers ereignete: Mirga Gražinyte˙-Tyla sollte mit ihrem City of Birmingham Symphony Orchestra samt dazugehörigem Chor Benjamin Brittens »War Requiem« dirigieren, doch das Virus fuhr wieder einmal seine Krallen aus: Wegen neuerlicher Quarantäne-Verschärfungen mussten Chor und Orchester die Reise aus England absagen – zehn Tage vor dem Konzert. Doch es gelang das Unmögliche: Das Gustav-Mahler-Jugendorchester rief in Rekordzeit über 90 seiner Mitglieder aus 18 europäischen Ländern zusammen, Verstärkung stellten außerdem das Radio-Symphonieorchester Wien und der Wiener Singverein, der dafür extra seinen Urlaub absagte. Und so stießen rund 100 Sängerinnen und Sänger zum ad-hoc zusammengestellten Orchester, das in Mirga Gražinyte˙-Tyla eine Dirigentin fand, die sich furchtlos dieser Ausnahmesituation stellte. Und wie sie das tat: »Das Bekenntnis Brittens wird zu einem alle Zuhörenden erfassenden, emotionalen Erlebnis«, schwärmte Egbert Tholl in der »Süddeutschen Zeitung« und sprach von einer »denkwürdigen Aufführung, künstlerisch fabelhaft, bewegend und auch ein Manifest des Widerstands der Kunst gegen die Unbill der Zeit.«

Dieser unbedingte Wille, eine innere Stärke dieser äußerlich so zierlichen Frau, spricht auch aus ihren weit ausholenden Gesten und – mehr noch – aus dem intensiven Blick ihrer funkelnden Augen. »Das Einzige, was mich aufhalten kann, ist meine eigene Vorstellungskraft«, sagt sie passenderweise über sich selbst, man glaubt es ihr aufs Wort. Klar und präzise, so begegnet einem Mirga Gražinyte˙-Tyla dann auch – als Mensch und als Dirigentin. Wer das Glück hat, sie einmal bei Proben beobachten zu können, erlebt eine Maestra, die Musikerinnen und Musiker wirklich zu Höchstleistungen inspirieren kann. Unvergessen zum Beispiel ihr Auftritt Anfang Juni 2020, dem ersten Konzert am Konzerthaus Dortmund nach dem ersten Corona-Lockdown. Werke ihrer Landsfrau Raminta Šerkšnyte˙, Haydn und Beethoven standen damals auf dem Programm. »Ein Abend, der unter die Haut ging«, war in einer Kritik danach zu lesen, mit einem fast sakral-andächtigen Publikum.

Sa 26. + So 27.03.2022

MIRGA GRAŽINYTĖ-TYLA

City of Birmingham Symphony Orchestra, Mirga Gražinytė-Tyla Dirigentin, Patricia Kopatchinskaja Violine, Sheku Kanneh-Mason Violoncello

& CBSO

Werke von Igor Strawinsky, Peter Iljitsch Tschaikowsky, Dmitri Schostakowitsch und Mieczysław Weinberg

Noch mal zurück nach Salzburg, denn dort begann ihre – in diesem Fall passt die etwas abgegriffene Formel – kometenhafte Karriere, wurde zum ersten Mal eine größere Öffentlichkeit auf sie aufmerksam, als sie bei den »Salzburger Festspielen« 2012 mit dem begehrten »Salzburg Festival Young Conductors Award« ausgezeichnet wurde. Dann ging alles ganz schnell – schon 2016 wurde Mirga Gražinyte˙-Tyla Musikdirektorin beim geschichtsträchtigen City of Birmingham Symphony Orchestra und beerbte dort derart klangvolle Namen wie Sir Simon Rattle, Sakari Oramo und Andris Nelsons. Der Grundstein für diese Ausnahme-Karriere wurde dabei früh gelegt. »Es fing schon mit meinen Eltern an«, bekannte sie in einem Interview mit dem BR. »Sie sind auch Musiker und haben mich schon als kleines Mädchen zu ihren Chorreisen, Proben und Konzerten mitgenommen.« Später folgten Kurse bei bei den dirigierenden Urgesteinen Kurt Masur und Herbert Blomstedt. »Die beiden gehören noch einer ganz anderen Generation an und haben mir sehr viel Wichtiges geschenkt.« Zu nennen wären auch noch ihre engen Beziehungen zu Sir Simon Rattle, der in den 80er-Jahren maßgeblich zum internationalen Renommee des Orchesters beigetragen hat, und Gidon Kremer, die sie als »unglaublich inspirierend« bezeichnet. Seit 2013 schon arbeitet sie regelmäßig mit dem lettischen Geiger und dem von ihm gegründeten Ensemble Kremerata Baltica zusammen. Ein Schwerpunkt dieses intensiven künstlerischen Austausches sind die Werke von Mieczysław Weinberg, so wie generell die osteuropäischen Komponisten einen besonderen Platz im Dirigentinnenherz von Mirga Gražinyte˙-Tyla haben.

Daran lässt sie auch das Dortmunder Publikum zum Abschluss ihrer Residenz teilhaben: Ende März dirigiert sie gleich zwei Konzerte mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra, bei denen Weinbergs Sinfonien Nr. 3 und 4 auf dem Programm stehen, jeweils kombiniert mit Werken russischer Komponisten. Authentischer lässt sich diese gemeinsame dreijährige Reise wohl kaum beschließen.

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