Programmheft Der Mann ohne Eigenschaften – Robert Musil

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schauspiel

DER MANN OHNE EIGENSCHAFTEN ROBERT MUSIL

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DER MANN OHNE EIGENSCHAFTEN ROBERT MUSIL

PREMIERE 21. September 2018, Vidmar 1

DAUER DER VORSTELLUNG ca. 3 h 45 min, eine Pause


BESETZUNG regie & fassung Sebastian Klink bühne & kostüme Gregor Sturm video Thomas Bernhard tonabnahme Janosch Röthlisberger lichtgestaltung Hanspeter Liechti dramaturgie Michael Gmaj regieassistenz & abendspielleitung Sophia Aurich regiehospitanz Linda Bill, Joel Mähne bühnenbildassistenz Selina Howald kostümassistenz Isabella Koeters soufflage Gabriele Suremann inspizienz Denis Puzanov

technischer direktor Reinhard zur Heiden leiter bühnenbetrieb Claude Ruch leiter werkstätten Andreas Wieczorek leiterin kostüm und maske Franziska

Ambühl produktionsleiterin bühnenbild Konstantina Dacheva produktionsleiterin kostüm Maya Däster bühnenmeister Jean-Claude Bögli Tontechnik Carlos Aguilar, Simon Müri Videotechnik Michael Ryffel Requisite Tabea Bösch Ruch Maske Anja Wiegmann,

Martina Jans Die Ausstattung wurde in den Werkstätten und Ateliers von Konzert Theater Bern hergestellt. co-leitung malsaal Susanna Hunziker, Lisa Minder leiter schreinerei Markus Blaser leiter schlosserei Marc Bergundthal leiter dekoration Daniel Mumenthaler leiterin maske Carmen Maria Fahrner gewandmeisterinnen Mariette Moser, Irene Odermatt, Gabriela Specogna leiter requisite Thomas Aufschläger leiter beleuchtung Bernhard Bieri leiter audio und video Bruno Benedetti leiter vidmar Marc Brügger

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ulrich Gabriel Schneider agathe Florentine Krafft moosbrugger / walter Jonathan Loosli arnheim Nico Delpy leinsdorf / meingast David Berger general stumm von Bordwehr Stéphane Maeder diotima Chantal Le Moign clarisse Marie Popall bonadea Daniela Luise Schneider* siegmund / friedel feuermaul David Brückner* hans sepp / dr. friedenthal Sebastian Schulze* *hkb-Schauspielstudio

merci!

WARLOMONT-ANGER-STIFTUNG Partner Maske: Dr. Hauschka Wir danken herzlich

allen Lokalen und Institutionen, bei denen wir drehen durften: Adrianos Bar & Café, Hotel Bellevue Palace, Restaurant Kornhaus, Les Amis, Lorrainebad, Rathaus Bern, Restaurant Rathaus-Odeon, Schilthornbahn AG. Herzlichen Dank auch an Pascal Lauener, Fabian Steiner und Recycled Tv AG.

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«DER AUGENBLICK IST NICHTS ALS DER WEHMÜTIGE PUNKT ZWISCHEN VERLANGEN UND ERINNERN.» Robert Musil

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Jonathan Loosli, Marie Popall, Gabriel Schneider

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«SCHEITERN ALS CHANCE» Zur Inszenierung Robert Musil konnte sein Opus magnum, Der Mann ohne Eigenschaften, nicht mehr vollenden. Das Leben, oder um genauer zu sein, die eigene Sterblichkeit kam ihm dazwischen. Er ist mit seiner Unternehmung, seine Epoche in Worte zu fassen, die er über Jahre genauestens geplant hatte, die sich aber immer wieder verzögerte, gescheitert. Nicht nur aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Zeit, seiner Mittel und der Grösse des Vorhabens, sondern auch an seiner unstrukturierten Arbeitsweise und schlussendlich an sich; dem Autor Musil. Wir wissen nicht, ob er sein Werk wirklich vollenden wollte oder, wie Roger Willemsen es angenommen hat, es ein Fragment bleiben und mit einem offenen Satz, erinnernd an Joyce’ Ulysses, unvermittelt enden sollte. Nun kann man sich fragen, ob diese Art des bewussten Sich-Einlassens auf ein Scheitern überhaupt ein solches ist, oder ob man nicht vielmehr eine andere Art von sinnschaffender Tätigkeit darunter begreifen kann, um so unserer heutigen, komplexen Welt beizukommen. Man kann Musil als einen Modernisten verstehen, der als einer der Ersten versucht hat, sein Leben, sein gesamtes Denken und seinen Blick auf die Welt in einem endlosen Roman zu verewigen und im Grunde genau das zu machen, was sein Alter Ego Ulrich im Roman tut: nie wirklich zu handeln, nie seine Gedanken zu beenden, um «tätig» werden zu können, sondern sich von einem Komplex zum nächsten zu hangeln und im essayistischen Diskurs richtiggehend aufzugehen. Musils Werk hatte massiven Einfluss auf sein Leben und umgekehrt. Wie nähert man sich nun einem solchen Werk mit dem Vorhaben, es auf einer Bühne zu inszenieren? Man wird wahrschein-

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«Scheitern als Chance» ist ein Zitat von C. Schlingensief aus «Chance 2000» an der Volksbühne Berlin


lich – nein man muss – genauso wie der Autor bewusst scheitern, um diesem Roman überhaupt gerecht zu werden. Man wird dem Mann ohne Eigenschaften nicht einmal annähernd beikommen, wenn man versucht, den übersichtlichen Plot (das einzige Dramatische an dem Werk) umzusetzen. Musils lustvolles Verfassen von Gedanken muss sich über die SchauspielerInnen, in seiner ganzen Grösse und Überkomplexität, einen Weg auf die Bühne bahnen. Sebastian Klink hat sich dazu entschieden, eine Fassung zu erstellen, die Musils Sprache ins Zentrum des Abends rückt. Er hat Musils Roman, der einen Umfang um die 1700 Seiten hat, zu einer Fassung mit knapp 150 Seiten umgearbeitet. Es geht um die Lust an der Überforderung, darum, sich Musils endlosen, aber sehr präzisen Gedankensträngen zu übergeben und sich auf seinen Kosmos einzulassen. Musils Sprache wird hier zum körperlichen Akt der Anstrengung. Klink nutzt des Weiteren zahlreiche Mittel, etwa die Live-Kamera, die mit verschiedensten Perspektiven spielt, und vorproduzierte, in Bern gedrehte Filme, um eine Gleichzeitigkeit in der Erzählweise zu erreichen, die Musils Schreibstil entspricht. Diese Arbeitsweise hat sich Klink sicherlich während seiner Zeit als Produktionsleiter und Regisseur an der Volksbühne unter Frank Castorf angeeignet, diesem Theater, das mit seinem berühmten Ensemble immer den darstellerischen Exzess über die Überforderung gesucht hat. Manchmal ist es kläglich damit gescheitert, umso öfter hat es aber gerade dadurch spektakuläre Theaterabende entstehen lassen, die von einer Energie und von einem Leben auf der Bühne strotzten, die einen regelmässig überrascht, beeindruckt und tief berührt haben. Christoph Schlingensief hat einmal in seiner Verzweiflung nach einer Generalprobe die Schauspieler gebeten, die Premiere rückwärts zu spielen. Der spielerische Akt war ihm wichtiger als das Verständnis der Hand-

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lung. Glücklicherweise ergab das Wagnis viel mehr Sinn als die ursprüngliche chronologische Erzählweise. Ein Einlassen auf das Scheitern führte zu einem der grössten Erfolge des Hauses. Das andere Element, das die Inszenierung auf allen Ebenen durchdringt und das für das Schreiben Musils im Mann ohne Eigenschaften genauso wichtig war, ist das Fragmentarische. Musil hat seinen Roman nicht nach einem klassischen poetischen Aufbau angelegt, sondern die einzelnen Kapitel mehr als Essays zu einzelnen Themenkomplexen verfasst. In dieser Art ist auch die Berner Theaterfassung angelegt. Jede Szene steht für sich, behandelt in sich ein bestimmtes Thema. Zu Beginn beschäftigt sich Ulrich mit dem Konflikt zwischen Wirklichkeitssinn und Möglichkeitssinn, später erörtert er die Probleme der körperlichen und der reinen Schwesterliebe und immer wieder stellt die Inszenierung ihm Moosbrugger, den Prostituiertenmörder, entgegen, der, ganz im Gegensatz zu Ulrich, zuerst gehandelt hat und sich erst während seines Gefängnisaufenthalts dem Denken hingibt. In der Zusammenstellung der Szenen, die eben nicht einen kohärenten Plot erzählen, entsteht Sinn über die Themen, die verhandelt werden – und weniger über das Nacherzählen der Romanhandlung. Daran angelehnt ist auch das Bühnenbild von Gregor Sturm, das aus circa 160 bemalten Würfeln besteht und zu Beginn der Aufführung auf der einen Seite Roy Lichtensteins berühmtes kubistisches Werk «Preparedness», zu Deutsch «Bereitschaft», zeigt. 1968 entstanden, als in den Vereinigten Staaten endlich kritisch über den Vietnamkrieg gesprochen wurde, ist es mit seiner Darstellung von Maschinen und Soldaten als ironischer Kommentar auf die Kriege der Moderne zu verstehen und somit ein Verweis auf die Mobilmachung des Ersten Weltkriegs, auf die auch Musils Roman zuläuft. Auf der Rückseite der Würfel finden sich Codes, die es ermöglichen, wieder das Werk Lich-

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tensteins zusammenzubauen. Es ist kein Zufall, dass diese Codes an die Kapitelnummerierungen und -bezeichnungen erinnern, mit denen Musil versucht hat, Ordnung in sein Opus magnum zu bringen. Die Darsteller spielen zwar mit den Würfeln, bauen manchmal kostümiert als «Musils» neue Würfellandschaften und Bilder auf, das Puzzle bringen sie aber nicht mehr zusammen, genausowenig wie der Autor selbst, der in immer neuen Strängen und mit weiteren Bezügen nicht eine kohärente Erzählung geschaffen hat, sondern sich von einem Gedanken zum nächsten hat leiten lassen. So vereinigte er zahlreiche Romane in einem Roman, an dem bis heute Leserinnen und Leser forschen und rätseln dürfen – und wer sich daran wagt, darf sich der Problematik der Aufklärung und ihrer fatalen Folgen stellen. Musil beschreibt, wie alle an der Parallelaktion Beteiligten sich permanent aushebeln, da jeder Einzelne von ihnen versucht, mit seiner grossen Idee die Zeit zu beeinflussen. Er folgert daraus, dass die Zeit unbeeinflussbar durch grosse Gedanken ist und schlussendlich nur die Tat und in letzter Konsequenz die Gewalttat diese endlose Debatte lösen und die Realität gestalten wird. Somit wäre eine mögliche Befreiung für die Figuren, so wie der Täter Moosbrugger zu werden oder sich vollständig ins Private zurückzuziehen. Diesen Schritt unternehmen letztendlich nur Ulrich und Agathe – um so ihre grosse Idee zu leben. Musil und die Berner Inszenierung rufen beide dazu auf, nicht gleich zu verstehen, nicht nach einfachen Antworten zu suchen, sondern sich wie zuerst der Autor und nun der Regisseur einer Lust der Überforderung, einer Lust des Denkens auszusetzen. Michael Gmaj

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WAS ARBEITEN SIE? Gespräch zwischen Robert Musil & Oskar Maurus Fontana zu seinem Roman, 30. April 1926 Interviewer: Ihr neuer Roman? Er heisst? Robert Musil: Die Zwillingsschwester. Interviewer: Zeit? Robert Musil: Von 1912 bis 1914. Die Mobilisierung, die Welt und Denken so zerriß, dass sie bis heute nicht geflickt werden konnten, beendet auch den Roman.

DAS KOMPLETTE PROGRAMMHEFT Robert Musil: Gewiss. Wenn ich dabei den Vorbehalt machen darf, keinen historischen Roman geschrieben zu haben. Die reale IST FÜR CHF 3,– AM Erklärung des realen Geschehens interessiert mich nicht. Mein VORSTELLUNGSABEND Gedächtnis ist schlecht. Die Tatsachen sind überdies immer vertauschbar. Mich interessiert das geistig Typische, ich möchte geODER AN DER radezu sagen: das Gespenstische des Geschehens. BILLETTKASSE Interviewer: Wo ist der Punkt, wo Sie ansetzen? ERHÄLTLICH. Robert Musil: Ich setze voraus: Das Jahr 1918 hätte das 70-jähriInterviewer: Was wohl als Symptom gewertet werden darf !

ge Regierungsjubiläum Franz Josef I. und das 35-jährige Wilhelm II. gebracht. Aus diesem künftigen Zusammentreffen entwickelt sich ein Wettlauf der beiderseitigen Patrioten, die einander schlagen wollen und die Welt, und im Kladderadatsch von 1914 enden. «Ich habe es nicht gewollt!» Kurz und gut: es entwickelt sich das, was ich «die Parallelaktion» nenne. Die Schwarzgelben haben die «österreichische Idee», wie Sie sie aus den Kriegsjahren kennen: Erlösung Österreichs von Preußen – es soll ein Weltösterreich entstehen nach dem Muster des Zusammenlebens der Völker in

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