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MAHLER IX Eine Sternstunde
Ein aussergewöhnliches Konzertprojekt findet endlich seine Verwirklichung: Gustav Mahlers letzte vollendete Sinfonie kommt in einem grossen Gemeinschaftsprojekt zwischen der Litauischen Nationalphilharmonie Vilnius und dem Sinfonieorchester St.Gallen in der Tonhalle zur Aufführung.
Es ist nicht irgendein Werk, das für die Begegnung des Orchesters aus Vilnius und dem Sinfonieorchester St.Gallen ausgesucht wurde, für die erste Zusammenarbeit zwischen den beiden Orchestern, die derselbe Chefdirigent verbindet: Gustav Mahlers 9. Sinfonie ist ein Gipfel des Repertoires, sie live zu hören ein Erlebnis, sie zu spielen eine singuläre Herausforderung.
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Gustav Mahler begann die Arbeit an seiner 9. Sinfonie im Jahr 1909 in seinem Komponierhäuschen seines Sommerdomizils bei Toblach. Die Sinfonie fiel in eine Zeit des Umbruchs in der Biografie des österreichischen Dirigenten und Komponisten. Der damals knapp 50-Jährige hatte zwei Jahre zuvor seinen Vertrag mit der Wiener Hofoper gekündigt, deren Direktor er seit 1897 war, und ein Engagement an der Metropolitan Opera in New York angenommen. Es folgte von 1909 bis 1911 die Position des Chefdirigenten des neugegründeten
New York Philharmonic Orchestra. Dass die 9. Sinfonie Mahlers letzte vollendete bleiben sollte, zeigte sich erst jetzt: Er reiste im Februar 1911 ein letztes Mal per Schiff nach Europa, wo er im Mai desselben Jahres an den Folgen seines durch einen Infekt akut gewordenen Herzfehlers starb – noch bevor er seine
9. Sinfonie erstmals erklingen hörte.
«Wer darüber hinaus will, muss fort» Genau wie vor ihm schon Schubert, Bruckner oder Dvořák konnte Mahler den «Fluch», der seit Beethovens
9. Sinfonie die Komponisten zu verfolgen schien, nicht überwinden. Zwar stemmte er sich noch mit Entwürfen zu einer 10. Sinfonie dagegen, doch sollte auch in Mahlers Fall eintreffen, was sein jüngerer Kollege und Freund Arnold Schönberg am Grabe Mahlers in Worte fasste: «Wer darüber hinaus will, muss fort. Die eine Neunte geschrieben haben, standen dem Jenseits zu nahe.» Die letzte vollendete Sinfonie Mahlers gelangte im Juni 1912 unter der Leitung von Bruno Walter in Wien zur Uraufführung.
«Leb wohl! O Jugendzeit!
Entschwundene! O Liebe! Verwehte!»
Anmerkung Mahlers im Partiturentwurf des ersten Satzes
Schon seit jeher ist die 9. Mahlers mit Abschied und Tod – vor allem mit Mahlers eigenem – in Verbindung gebracht worden, ungeachtet der Tatsachen, dass Mahler noch eine 10. Sinfonie in Angriff genommen hatte und dass er das Ende seines Lebens nicht vorausahnen konnte, auch wenn es nach dem einige Jahre zuvor erkannten Herzfehler unter keinem guten Stern stand. Vielmehr ist es aber das Werk selbst, das von Abschied kündet. Das finale Adagio etwa, ein Satz wie eine letzte Umarmung, ist Rückschau und Abgesang – auf das Leben und auch auf die Musik der
(Spät)Romantik, die Mahler prägte, weiterführte, an ein Ende brachte und zugleich in eine neue musikalische Epoche führte. In dieser Sinfonie werden die gewohnten Vorstellungen von Form und Struktur aufgelöst, auch die Tonalität wird an ihre äusserste Grenze geführt, und an die Stelle fasslicher Melodik schrieb Mahler Fragmente und Andeutungen. Mit ihrem Verglühen im vierfachen pppp bereitet Mahlers 9. Sinfonie den Boden für einen musikalischen Neuanfang. Der Musiktheoretiker Theodor W. Adorno bezeichnete sie gar als das «erste Werk der neuen Musik» überhaupt.
Erlebnis mit Seltenheitswert
Die Sinfonie ist kein Werk für jeden Tag, alleine ihre Aufführung dauert rund 90 Minuten (wobei die Interpretationen bis zu 20 Minuten voneinander abweichen können), entsprechend herausfordernd ist es für ein Orchester, die Konzentration über diesen langen Zeitraum aufrechtzuerhalten. Dazu kommt die Grösse der Besetzung: Für die Aufführung in der Tonhalle St.Gallen werden alleine 26 Geigen, sechs Kontrabässe und fünf Hörner ge -