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Im Interview mit Matthias Borchert,
WAS IST FÜR SIE EINE MODERNE PREDIGT, EINE ZEITGEMÄSSE ANSPRACHE?
Eine Ansprache kann nur eine gute Ansprache sein, wenn man die Verbindung zu den Menschen hat. Wenn man mit ihnen kommuniziert und weiß, was sie denken und fühlen, was ihre Seele belastet. Meine Aufgabe ist es ja nicht, Theologisches zu vermitteln, sondern die Bibel so menschlich zu thematisieren, dass die Zuhörer das verstehen, später nach Hause gehen und etwas mitnehmen. Dann habe ich schon viel erreicht. Wenn Gottesdienstbesucher 2‒3 Sätze mitnehmen und behalten haben, dann ist es gut. Und wenn zuhause gemeinsam diskutiert wird, das ist noch besser.
Die schwerste Predigt ist übrigens die Weihnachtsansprache: weil dann auch Menschen in die Kirchen kommen, die nichts mit Glauben zu tun haben, die ein Weihnachtsgefühl haben möchten. Hier ein Mittelmaß zu nden ist nicht einfach. Es passierte mir schon mehrmals, dass ich am Schreibtisch nicht vorwärtskam. Dann habe ich Besuche gemacht, mich unterhalten und wusste schließlich, was ich predigen sollte.
KANN MAN NICHT ALLE ZUHÖRER ERREICHEN?
Nein, denn jeder geht auch mit einer anderen Verfassung in die Kirche. Ich hatte mal einen Text über Ehebruch in der Predigt und denke da nicht konservativ, sondern bin eher modern eingestellt. Später am Ausgang bekam ich Feedback: Herr Borchert, ich habe gedacht ich bin im falschen Film. Und eine andere Besucherin wiederum sagte: Genau, Sie haben das Thema richtig getro en, so kann man das sehen. So ist eben die Spannbreite.
Ein Grosses Thema
WÄHREND IHRER AMTSZEIT
WAR DIE URLAUBERSEELSORGE, DIE SOGAR
IM STRANDKORB DIREKT
AM MEER STATTFAND. WAS HABEN SIE HIERBEI ERLEBT?
Zur Sprache kam genau ein Thema wie Ehebruch und wie man damit fertigwerden soll, also eine Art von Eheberatung, wenn man so will. Es ging außerdem darum, wie Menschen mit Kinderlosigkeit und der Elternrolle umgehen, in welche Kirche man als religiös fühlender Mensch eintritt, in welchem Glauben man sich zuhause fühlen kann oder um das Thema Tod. „
Im Urlaub, wenn Ruhe einkehrt, kommt genau das hoch, was im Alltagsleben immer unterdrückt wurde. Deswegen nde ich es so wichtig, dass dann auch eine Urlauber-Seelsorge da ist. Wenn dort unten im Strandkorb ein Pastor sitzt, registrieren die Menschen das aus der Distanz und gehen vielleicht erstmal vorbei. Dann treten sie am nächsten Tag näher und bald darauf wird man begrüßt mit „Schön, dass Sie wieder da sind, Herr Pastor!“ Auch aus dieser Erfahrung heraus sage ich: Die Kirche muss eine Geh-Struktur haben, nicht nur eine Komm-Struktur. Nicht, komm du zu mir, ich bin da und warte, sondern die Kirche muss rausgehen.
Seebrücken-Gottesdienst die mobile Bühne nutzen, ich habe auf der Bühne die modernen Lieder zusammen mit einem Gemeindemitglied an der Gitarre begleitet, es gab Organisten sowie Auftritte u. a. mit der Schülerband, mit Posaunen, dem Kirchen- und dem Gospelchor oder einer Band aus Bremen. Und die Besucher und Gemeindemitglieder konnten später an verschiedenen Kaffeetafeln ins Gespräch kommen. Im Hintergrund sind viele Menschen entlanganiert und stehengeblieben, es wurden immer mehr. Gottesdienst soll eben nicht nur für den Kopf, sondern auch fürs Herz sein. Und dieses Ambiente, mit weißen Segelbooten auf der Ostsee und Musik unter freiem Himmel, das hat die Besucher begeistert.
WIE IST DER SEEBRÜCKEN-
GOTTESDIENST AM 1. JULISONNTAG ENTSTANDEN?
Ich habe ihn vorgeschlagen, weil ich früher schon z. B. am See eine Predigt gehalten oder etwa eine Fischersfamilie getauft hatte. Gedacht war er zunächst als Taufgottesdienst. Wir haben das in der Zeitung angekündigt und mit bestenfalls 400 Besuchern gerechnet, es hätten aber auch nur 100 werden können. Bedenken gab es, was z. B. die Frage betri t, ob man aufgrund der langgezogenen Seebrücke ganz hinten noch sehen kann, was vorne geschieht. So wurde der Gottesdienst gleich auf dem Seebrückenvorplatz geplant. Zum Seebrücken-Gottesdienst kamen dann letztlich gut 1.200 Besucher, der Zuspruch war überragend. Wir durften dank der Stadt und der TFK an diesem und zu jedem weiteren
2019
KONNTEN
800 JAHRE KIRCHE KÜHLUNGSBORN GEFEIERT WERDEN. EIN BESONDERES JUBILÄUM, WENN SIE Z. B. MIT KOLLEGEN SPRECHEN?
Das ist schon etwas Großartiges. Man muss bedenken, dass manche Kirchen in den alten Bundesländern überhaupt erst in den 1960er Jahren gebaut wurden. So wie dieses gelungene Jubiläum sind generell viele Dinge erfüllt worden, die ich mir im Lauf der Arbeit hier gewünscht hatte. Der große Lehrpfad etwa, auf dem man die Geschichte des Ortes und der Kirche nebeneinander lesen kann, oder der Pilgerweg im Stadtwald. Was wirklich schön war: die Zusammenarbeit mit der Stadt, mit der TFK, dem Bauhof und auch mit den vielen Nicht-Christen. Ich hatte viel Kontakt etwa zu Hoteliers und Restaurantbesitzern und bin eigentlich immer in o ene Türen gelaufen. „ >>
In meinem abwechslungsreichen Pastorenleben und erst recht in Kühlungsborn sah ich für mich immer diese Aufgabe: Mich um die Seele anderer zu sorgen und Begegnungsräume zu scha en – in einer lockeren Art und für Menschen egal welcher Religion, egal ob wissenschaftlich denkend oder nicht gläubig. Begegnungsräume für Gott und Menschen.
SIE WAREN ALS PASTOR SCHON IN RÖDLIN, NEUBRANDENBURG UND KÜHLUNGSBORN. WIE
GEHEN SIE PERSÖNLICH MIT UMZÜGEN UND AUFBRÜCHEN UM?
Ich hatte mir damals vorgenommen, alle 10 Jahre zu wechseln. Deshalb, weil es zum einen für die Gemeinde gut ist, denn ich spreche sicher nicht jeden an. Es ist aber auch für den Pastor gut zu wechseln, damit er auf neue Herausforderungen tri t. Ich selbst habe gerne neue Herausforderungen und bin eigentlich immer dann weggegangen, wenn es am schönsten war. Das hat natürlich nicht jeder verstanden. Es kam wahrscheinlich auch deshalb, weil ich ja Pastorensohn war. Mein Vater ist mit uns mehrfach umgezogen.
In Kühlungsborn bin ich jetzt 15 Jahre, so lange wie an keinem anderen Ort. Ich wollte gern die Urlauber-Seelsorge machen und hatte dafür lange gekämpft. Als endlich die Erlaubnis kam, konnte man natürlich nicht gehen. Für meine Kinder waren die Au rüche allerdings ganz anders, da muss ich ehrlich sein. Sie hatten ihre Freunde in der alten Umgebung, und auch meine Frau ist oft schwer weggegangen. Das verstehe ich natürlich.
WIE SEHEN IHRE NÄCHSTEN PLÄNE AUS?
Ich habe mir vorgenommen, nach dem Ausscheiden als Pastor einfach mal einen Break zu machen, ein Jahr lang nichts in der Kirche zu tun. Ich will alle Freunde besuchen, die zu kurz gekommen sind, und Verwandte in ganz Deutschland bzw. in der Welt. Ich habe einen kleinen Bus, in dem man übernachten kann. Fotogra e macht mir große Freude, darum soll es demnächst ebenfalls gehen. Es gibt langfristig dann auch in der Kirche noch genug Möglichkeiten, wieder tätig zu sein. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, mich jetzt mit einem Getränk vor den Fernseher zu setzen. (rla)
Matthias Borchert
• geboren in Sachsen-Anhalt
• früherer Beruf: Elektriker
• Initiator der Urlauber-Seelsorge in Kühlungsborn, diese bleibt weiterhin bestehen
• weitere besondere Angebote der kirchlichen Arbeit:
1. Radwegekirche in Mecklenburg, regelmäßige Fahrradandachten, „Digitale Schnitzeljagd“, Seebrücken-Gottesdienste,
1. Pilgerweg für den Stadtwald
• mehrere Reisen in die Partnergemeinde Tansania/Afrika
• Mitgründung des „Vereins zur Förderung der Integration
Geflüchteter und Migranten im Bereich Bastorf, Kühlungsborn und Wittenbeck i. G.“
• letzter Arbeitstag im Ostseebad: 09.07.2023 mit Verabschiedungsgottesdienst