Magazin #32 der Kulturstiftung des Bundes

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Nr.

Korper

Magazin

Frühjahr ⁄ Sommer 2019

Karin Harrasser Daniel Tyradellis Ashley Hans Scheirl Sophie Wennerscheid Alexandra Pirici Aral Balkan Heimo Zobernig Roland Benedikter Stefan Kaegi Hiroshi Ishiguro & Shuichi Nishio Meg Stuart Bettina Wilpert Yvonne Adhiambo Owuor





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Editorial

←     Heimo Zobernig    Mehr zur Bildstrecke auf Seite 8

In diesem Heft dreht sich alles um eine einzige Frage, die wir zwölf Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur gestellt haben. Im Zentrum dieser Frage steht der menschliche Körper. Über Jahrhunderte war er eine wichtige Bezugsgröße in den Künsten. Im ��. Jahrhundert haben allerdings die Möglichkeiten, den menschlichen Körper zu erweitern, zu verändern oder zu verbessern, durch den technischen und medizinischen Fortschritt eine neue Dimension erreicht, die die noch im 20. Jahrhundert

gültigen, vermeintlich natürlichen Körperbilder als antiquiert erscheinen lassen. In den Künsten werden sowohl neue Körperbilder in klassischen Formaten „durchgespielt“ als auch neue Medien wie Formen der Virtual Reality für die ästhetische Erfahrung eingesetzt. Der technoide Körper wird von unseren Autorinnen nicht länger als zukünftiges Ereignis verhandelt, sondern von den meisten als etwas, das bereits Realität ist: Von der Gentechnik und Reproduktionsmedizin über die Embryonenüberwachung, den Cochlea-Implantaten oder dem Herzschrittmacher bis

hin zum technisch überwachten verlängerten Leben ist der Körper umgeben und beeinflusst durch Technologie. So gesehen sind Prothetik, Neuro-Enhancement, Künstliche Intelligenz usw. keine radikal neuen Entwicklungen, sondern bedeuten lediglich eine quantitative Verschiebung, die durch Digitalisierungstechniken noch einmal forciert wird. Der Cyborg ( ~ technisch veränderte biologische Lebensformen; Menschen, deren Körper durch technische „Bauteile“ ergänzt werden) ist zum Normalfall geworden. Unsere Frage lautete:

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Möglichkeiten, den menschlichen Körper gezielt zu verändern, massiv gesteigert. Robotik und Prothetik, Künstliche Intelligenz und Neuro-Enhancement verschieben stetig die Grenzen des Denk- und Machbaren. Für viele ist das „Technoself“ bereits der Normalzustand, demgegenüber der „natürliche Körper“ als antiquiertes Ideal erscheint. Was macht dies mit unseren Vorstellungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens? Ist der vermeintlich unvollkommene Körper darin nur der Rest, oder birgt er ein eigenes Potenzial, das „Wir“ neu und anders zu empfinden? Die Antworten sind so vielfältig wie die unterschiedlichen Positionen und (künstlerischen) Richtungen, von denen aus sich die Autoren mit dem Körper in ihren Arbeiten und Werken beschäftigen. Das Spektrum reicht von sehr persönlichen Antworten (Karin Harrasser, Daniel Tyradellis, Ashley Hans Scheirl), literarischen Reflexionen (Yvonne Adhiambo Owuor, Sophie Wennerscheid, Bettina Wilpert), wissenschaftlicher Expertise (Hiroshi Ishiguro, Roland Benedikter) bis hin zu politischen Forderungen (Aral Balkan, Alexandra Pirici). Etliche Autorinnen beschreiben Auswirkungen

auf ihre künstlerische Arbeit (insbesondere Stephan Kaegi und Meg Stuart). Diese Zuordnungen werden der Vielfalt und Komplexität in Inhalt und Form nur bedingt gerecht. Wir freuen uns über das breite Spektrum der Antworten und die bei allen spürbar intensive Beschäftigung mit Thema und Frage. Das Thema geht unter die Haut. Die Bilder in diesem Heft stammen vom österreichischen Künstler Heimo Zobernig. Sie können sie in voller Größe anschauen, wenn Sie sie dem Heft als ganze Bögen entnehmen. Wie auch viele der Autoren ist der Künstler in

ein von der Kulturstiftung des Bundes gefördertes Projekt eingebunden. Im Fonds Bauhaus fördern wir die Ausstellung Heimo Zobernig. Piet Mondrian. Eine räumliche Aneignung im Albertinum in Dresden. In diesem Heft finden Sie Körper-Bilder des Künstlers, die speziell für diese Ausgabe entstanden sind. Mehr dazu finden Sie auf Seite 8. Einen Überblick über die jüngst auf Antrag geförderten Projekte finden Sie wieder auf der Rückseite des innenliegenden Plakates. Und auf Seite �2 und �3 schließlich informieren wir Sie über Wissenswertes aus den Programmen der Stiftung.

Hortensia Völckers, Alexander Farenholtz Vorstand der Kulturstiftung des Bundes


Lieber einen Ka „Verstümmle dich!“ kann eine Reaktion auf formvollendete Prothetik sein wie ehemals die Parole „Verschwende dein Leben!“ auf den Vorsorgestaat. Der Philosoph Daniel Tyradellis, Kurator zahlreicher internationaler Ausstellungsprojekte zwischen Wissenschaft, Kunst und Kulturgeschichte, hält eine Wiederkehr des Politischen „aus unerwarteter Richtung“ für möglich. Als Technoselfs sind wir nicht weniger angewiesen auf ein soziales Miteinander. Der Überschuss oder Überdruss an technologischer Vernetzung könnte eine bisher ungeahnte Motivation sein, nach neuen Formen des Wir zu suchen.

Dünnhäutig Die Medien- und Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser berichtet, warum sie sich in ihrem der Blogtechnologie bin ich ausgestiepersönlichen Alltag gegen Nach gen. Oder vielleicht: Ich bin danach nicht mehr die Heimsuchungen der eingestiegen. Kein Facebook, kein Twitter, kein Instagram, kein WhatsApp. Es war eher digitalen Kommunikations- ein Impuls als eine echte Entscheidung. Es technologien zur Wehr hat sich angefühlt wie Notwehr: Ich fand keinen anderen Weg, als die Kanäle verstopfen, setzt, indem sie sich hinter Kommunikation empfand ich immer mehr einer selbstgewählten als Invasion. Egal wie freundlich oder interessant die Inhalte von Mails, SMS oder AnruFirewall verschanzt. Diese fen sind, sie sind zunehmend Heimsuchungen Art Selbstschutz ergeworden. Was ist da passiert? Schließlich gehörte ich in den 90er Jahren zu den early scheint der Österreicherin adopters. Ich hatte früh einen Computer, lebensnotwendig, nicht habe programmiert und die neuen Möglichkeiten der Gestaltung (Zeitschriftenlayout, zuletzt weil die unbewäl- Webseiten) ausgereizt. Donna Haraways Cytigbare Menge an mögborg-Manifest habe ich, wie viele andere, Aufforderung begriffen, sich Technololichen Verbindungen auf als gien anzueignen, auch wenn sie Abkömmdie Endlichkeit des konlinge der Technowissenschaften der kalten Krieger waren. Post-Blog-Nicht-Einstieg kreten Lebens verweist. war keine wohlüberlegte Entscheidung, erst Karin Harrasser, Pronachträglich könnte ich Gründe, etwa eine Kritik an der freiwilligen Preisgabe von Dafessorin an der Kunstten, an Überwachung, an neoliberaler Selbuniversität Linz und stoptimierung oder an Sozialkreditsystemen unterschieben. Der Impuls hatte vielmehr seit vielen Jahren damit zu tun, dass ich dünnhäutig geworden eine Expertin für Thewar, mich diffus ausgeliefert fühlte, mir die Zeit durch die Finger rann. Ich war zu durchmen rund um den lässig geworden, und mein Körper reagierte Körper 2.0, war eine mit Stresssymptomen. Ich würde diese Stresssymptome inder Kuratorinnen zwischen als Symptome einer Spannung des Hi Robot! zwischen den kalten Techniken des Körpers und progressiven digitalen TechnologiMensch Maschine en beschreiben. Techniken des Körpers, wie Festivals im sie Marcel Mauss in einem Vortrag von 1934 konzipiert hat, sind — so Erhard Schüttpelz tanzhaus — deshalb kalt, weil sie sich einer akkumunrw. lierenden Steigerung, wie sie beispielswei-

auch enorm, bis zur Virtuosität, verfeinert werden, aber jede und jeder muss sie from scratch immer neu lernen. Ihr Erlernen ist eine Mischung aus Nachahmung, Anleitung, Dressur und Erfindung. Man führe sich nur vor Augen, wie jemand ein neues Instrument zu spielen lernt. Der Ausdruck Körpertechniken macht gleichzeitig deutlich, dass es in dieser Diskussion nicht um einen Gegensatz zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit gehen kann. Auch Körpertechniken sind arbiträr und kulturspezifisch, es verbindet sie aber ein Band mit organischen Prozessen, das in Mauss’ Text dadurch deutlich wird, dass er die Körpertechniken im Lebenszyklus anordnet: Körpertechniken des Gebärens und der Säuglingspflege, der Nähe- und Distanzregeln zwischen Kindern und Erwachsenen, Initiationsriten an der Schwelle zum Erwachsenwerden, geschlechtsspezifische Körpertechniken bei der Handhabung von Werkzeugen, Sexualtechniken, Trancetechniken, politische Körpertechniken der hierarchischen Anordnung von Körpern im Raum und Techniken des Umgangs mit dem verstorbenen Körper. Diese kurze Durchmusterung zeigt schon: Es geht immer auch um die Regulierung von Innen-/Außenverhältnissen, um Grenzregime, um die Frage, wie viel materielle Welt, wie viel Sozialiät dem singulären Sterblichen zumutbar ist. Und es geht um Prozesse von Wachstum und Verfall. Technokörper sind Körper in und mit menschlichen und nicht-menschlichen Milieus. So gesehen ist also der Technokörper alles andere als neu, und es wäre wohl mehr als angezeigt, jeder Rhetorik der Progression (immer stärkere Mensch-Maschine-Hybridisierung, immer weitergehende Expansion) mit Misstrauen zu begegnen. Aber etwas ist passiert, das meine (bis dahin vorhandene) Neugierde auf die Mögse in Narrativen der Exteriorisierung oder lichkeiten einer Ko-Existenz mit dem MiHybridisierung suggeriert wird, vermutlich lieu der digitalen Medien gekappt hat. Ich nachhaltig entziehen. Der Körper verfügt lebe hinter einer Feuermauer und habe aufgrund der Eigenzeit organischer Prozes- nicht die Bohne Lust in die Durchlässigse über eine gewisse Resistenz gegenüber keit der digitalen Kommunikation umheißen, progressiven Beschleunigungspro- zuziehen. Vielleicht schlicht deshalb zessen, die die Entwicklungsdynamiken nicht, weil die Menge an möglidigitaler Technologien kennzeichnen. Kör- chen Verbindungen die Endlichpertechniken (vom Gehen über sportliche keit des konkreten Lebens Betätigungen bis hin zur Hygiene) werden so scharf hervortrezwar intergenerationell tradiert und können ten lässt.

Die antike griechische Philosophie kannte das Ideal der Unerschütterlichkeit: die Ataraxie. Ich fand den Gedanken immer ambivalent. Es ist ja schön, wenn man allein dank Geisteshaltung alles von sich fernhalten kann, was einem das Leben vermiest: überflüssige Informationen, nervige andere, Schmerzen, Ängste, Sorgen. Aber „unerschütterlich“ kann auch ganz einfach heißen, ein grober Klotz zu sein, und wer will das schon. Vor allem aber suggeriert die Vorstellung der Unerschütterlichkeit, man könne es mit sich allein aushalten; als wüsste man, was man ohne das, was einen zu stören scheint, mit seinem Leben anfinge. Das scheint mir zweifelhaft. Am Anfang war das MitSein. Und dieses bleibt zeitlebens so nervtötend wie verheißungsvoll. Ständig ist man auf der Suche nach dem richtigen Wir, und damit meine ich nicht die

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anal mehr duale Beziehung. Was man sich unter Wir vorstellt, hängt auch ab von den Technologien, die diese Beziehungen ermöglichen und den Medieninhalten, die uns die darin enthaltenen Optionen vorspielen. Die Motivation, sie zu nutzen, ist ein Fehlen, ein Mangel, der oft eine körperliche Referenz mit sich führt. Zum Beispiel das „Beamen“ als Utopie einer unmittelbaren Übertragung von Körper und Geist. Zum Glück funktioniert das immer noch nicht. Was nicht verschlägt, dass es einem manchmal ganz anders vorkommt. Ataraxie gegenüber dem, was da täglich so auf mich einprasselt, fände ich schon nicht so schlecht. Allerdings: Im Prinzip wäre das ja machbar. Doch die Angst, etwas zu verpassen, ist stärker. Und die Sorge, — vielleicht, hoffentlich — gebraucht zu werden, aber nicht erreichbar zu sein und deshalb lieber einen Kanal mehr als weniger zu nutzen, um dem utopischen Wir eine Chance zu geben. Eigentlich bin ich den ganzen Tag nur damit beschäftigt. Bloß, welches Wir? In meiner Arbeit halte ich es eher mit der Fernsten- als der Nächstenliebe. Das Wir begegnet mir als bereichernd dann, wenn es sich als abweichendes Verständnis von etwas Gemeinsamem äußert und sich ohne Alleinstellungsanspruch mögend dazu gesellt. Das Wir konstituiert sich so aus dem Verweis der einzelnen Glieder und Meinungen aufeinander, ohne vorgängige Hierarchie und ohne normative Transzendenz. Dies zu moderieren und in musealen Räumen in Erscheinung zu bringen, darin sehe ich meine Aufgabe als

Kurator. Ausstellungen sind idealiter Orte, die die aktuell vorhandenen Möglichkeiten und Widersprüche des Wir stellvertretend für eine Gesellschaft erproben und zur Anschauung bringen: räumlich, zeitlich, ökonomisch, kausal. Deshalb kann ich mich aus dem laufenden Geschehen in der Welt da draußen nicht ausklinken. Man weiß nie im Voraus, woraus sich das Wir zusammensetzt. Zweifellos aber reagiert es wie auch die Technik intensiver auf den Mangel als auf den Überschuss. Denn ein empfundener Mangel erinnert uns an die Angewiesenheit aufeinander. Wenn diese Mängel wegoptimierbar werden durch Maßnahmen, die mit dem Konzept des Technoself verbunden sind, geht womöglich jeder starke Grund für das Wir verloren. Einerseits. Andererseits kann es sein, dass auch der Mangel am Mangel seine Spuren hinterlässt und überhaupt erst die Möglichkeit eröffnet, nach anderen Formen des Wir zu suchen. Das ist per se keine Neuigkeit. „Verschwende dein Leben!“ war und ist eine Reaktion auf den Vorsorgestaat. „Verstümmle dich!“ kann eine Reaktion auf formvollendete Prothetik sein, offensiv Unsinn denken zu wollen eine Reaktion auf Künstliche Intelligenz. Dass Technologien dem Menschen das Denken abnehmen könnten, bedeutet eigentlich gar nichts, weil „das Denken“ keine erlernbare und reproduzierbare Bedeutung hat, sondern es nur aus dem entsteht, was sich dem bereits Denkbaren entzieht und widersetzt. Ironischerweise ist dies unter den Bedingungen des Technoself das Wir: Wiederkehr des Politischen aus unerwarteter Richtung.

Testosteron Zuerst war da das Aufsaugen der Dyke Düfte: schwarzes Leder, Dildos, Gerten. Bilder. Anfang der 90er Jahre gab es in London den ›Clit Club‹. Die Abende hatten Themen. Z. B. ›Switch Night‹: Maskuline machten auf feminin, Doms auf Subs. Dildo › ... der Dildo ist ein synthetisches Element, das sexuelle Praktiken politisiert: Er erinnert uns daran, dass Sexualität Performanz ist, dass der physische, so genannte Körper auch ein Produkt einer synthetischen, biopolitischen Technologie ist, dass unser Gender (genau wie der Dildo) eine prothesische Verbindung ist.‹* Dann kamen die Schnurrbärte. 1995 Club ›Naive‹. ›Packing‹ nannten wir das Tragen eines weichen, länglichen Dings im Schritt. Und der ›Pisser Packer‹ ein Objekt, das das Pissen im Stehen erlaubte.  T i e f e S t i m m e

T   estosteron Sind Cyborgs Geschöpfe einer Post-Gender-Welt? Als solche betrachtet, leuchtet deren Faszination auf Transpersonen unmittelbar ein. Ihre eigenen geschlechtlichen Verwandlungen haben Ashley Hans Scheirl als Transgender-Künstlerin bekannt gemacht und ihr künstlerisches Schaffen wesentlich beeinflusst. Die Konzeptkunst in Österreich verdankt der documenta-Künstlerin und derzeitigem Gast im DAAD-Künstlerprogramm entscheidende Impulse und internationale Aufmerksamkeit. Und wir ihr einen sehr persönlichen Text.

Beim Gay & Lesbian Filmfestival, London 1996 lernte ich zwei Personen kennen, die von einer Fernsehkamera begleitet wurden. ›Transgender‹ war der neue Begriff. Ich konnte mich damit identifizieren: Jordy Jones und Stafford Stafford waren ›Frauen‹ bevor sie begannen, sich Testosteron zu spritzen, sich einen genderambivalenten Vornamen zuzulegen und einen maskulinen (Dandy: yammi) Kleiderstil zuzulegen —    ohne operative Eingriffe anzuvisieren. Del hatte damit begonnen. Als Geburtstagsgeschenk zum 40sten gab er mir einen Shot. › T‹ Es wachsen Muskeln, Appetit, Klitoris und Libido. Die Stimme wird tief. Nach ca. 5 Monaten hatte ich eine ›Männer‹stimme. Schnurr. Bart. Diese Experimente waren inspiriert von Donna Haraway’s ›Cyborg Manifesto‹. Wir sahen uns als Cyborgs und verglichen unsere ›Babydicks‹. Sehr bärtig bin ich nicht geworden. Liegt nicht in der Familie. Praktisch: Denn nach 20 Jahren als ›Hans‹ (kein ›Mann‹, aber ein ›er‹) lasse ich mich seit meinem 60. Geburtstag mit ›Ashley‹ anreden. Eine ›Sie‹. Paul B. Preciado im Interview mit Tim Stüttgen    *http://jungle.world/artikel/2004/��/proletarier-des-anus  Zugriff: 23. �. 20�9


Verliebt in einen Roboter? Künstlich intelligente und emotionale Maschinen werden unser Begehren verändern, davon ist Sophie Wennerscheid überzeugt. Die Kulturwissenschaftlerin beschreibt, warum erotische Beziehungen zu Robotern zwischenmenschliche Beziehungen nicht ersetzen, aber ergänzen werden. In ihrem jüngsten Buch Sex Machina. Zur Zukunft d   es Begehrens, im Februar 2019 bei Matthes & Seitz erschienen, nimmt sie erotische MenschMaschinen-Beziehungen in den Blick, u. a. anhand von Beispielen aus Film, Literatur, Kunst und Fernsehen. Wennerscheid ist Professorin für Skandinavistik an der Universität Gent in Belgien. In ihren Artikeln und Büchern beschäftigt sie sich mit Körperlichkeit und Subjektivität in Literatur, Kunst und Film.

Ob ich mir vorstellen kann, ein erotisches Verhältnis zu einem künstlich intelligenten Roboter einzugehen? Ja, das kann ich. Problemlos. Und mit Vergnügen. Mein Partner hingegen ist irritiert und weist die Frage, ob er eifersüchtig sein würde, als absurd zurück. Dabei ist das Phänomen, dass Menschen eine emotionale Bindung zu einem unbelebten Ding aufbauen und die körperliche Nähe zu diesem Gegenstand sexuell erregend finden, so ungewöhnlich nicht. Unter dem Begriff der Objektsexualität ist es als Paraphilie zwar sexualwissenschaftlich noch weitgehend unerforscht, wird aber auf entsprechenden Foren im Internet lebhaft diskutiert. Während sich Objektsexuelle zu Objekten hingezogen fühlen, die keine Ähnlichkeit mit einem Menschen haben, etwa einer Mauer, interessieren mich eher humanoide Roboter. Was nicht heißt, dass ich sie mir wie perfekte Nachbildungen eines Menschen vorstelle, wie wir sie aus Science-Fiction-Filmen oder Serien wie Ex Machina oder Westworld kennen. Mir geht es nicht um ein idealschönes Gegenüber, das ohne all die lästigen Makel und Macken auftritt, mit denen man sich in Beziehungen sonst so herumzuschlagen hat. Und ich gehöre auch nicht zu der Gruppe von Menschen, die sich als Idollatoren, Digisexuelle oder Robosexuelle identifizieren und partnerschaftliche Erfüllung exklusiv bei einer Puppe, einem Hologramm oder einem Roboter zu finden hoffen. Was mir aber sehr wohl reizvoll erscheint, ist die Möglichkeit einer Maschine als Maschine zu begegnen. Es ist das, der oder die

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Olimpia aus E. T. H. Hoffmanns Novelle Der Sandmann, die wenig mehr zu sagen hat als ein ihre männlichen Betrachter entzückendes „Ach — Ach — Ach!“, sondern ein Wesen mit einem eigenen Begehren. Dieses Begehren ist eigenartig, insofern es von eigener Art ist. Die Eigenartigkeit impliziert, dass man ihr als Betrachterin oder Betrachter befremdet gegenübersteht, sich aus diesem Befremden aber neue Möglichkeiten des Erlebens ergeben können. Einen Eindruck davon, wie ein solches Erleben entstehen mag, bekommt man nicht, wenn man sich die Bilder der immer gleichen Prototypen der mit rudimentärer Sprachtechnologie ausgestatteten pornographischen Sexpuppen anschaut, wie sie beispielsweise von Matthew McMullen unter dem Namen Harmony vermarktet werden. Es sind vielmehr Beispiele aus der Kunst, die uns hier weiterhelfen. Louis-Philippe Demers Blind Robot (2013) etwa, der seine Roboterfinger über das Gesicht eines Menschen wandern lässt als würde er es wie ein Blinder ertasten. Oder Jordan Wolfsons hexenhafte Female Figure 2014, die mit Gesichtserkennungssoftware ausgestattet ist und uns mit ihrem Blick zu folgen vermag. Oder, für diejenigen, die es etwas romantischer mögen, die zwei gynomorphen Roboter mit den Gesichtszügen der isländischen Sängerin Björk aus Chris Cunninghams Musikvideo All is Full of Love (1999). Sie geben uns einen Vorgeschmack auf technisch Andere, der ich nahe kommen und das, was in Zukunft unser Begehren ausmavon der ich mich (psychisch wie physisch) be- chen kann. Nicht, um Beziehungen zu anderühren lassen möchte. In meinem Buch Sex ren Menschen zu ersetzen, wohl aber um sie Machina. Zur Zukunft des Begehrens (2019) um neue Formen des erotischen Erlebens zu habe ich eine solche Objektbeziehung als ergänzen. Form einer Begegnung zu denken versucht, die nicht auf Selbstbestätigung zielt, sondern auf das Aufbrechen eines allzu fest gefügten Selbstbilds. Anders als David Levy in seinem Buch Love and Sex with Robots (2007) argumentiert, würde ich mir wünschen, dass Menschen nicht deshalb einen Roboter als Partner oder Partnerin wählen, weil er immer verfügbar und vor allem immer gefügig ist. Interessanter erscheint mir gerade die Fremdheit des Roboters. Wir wissen nicht, wie genau die Programme ablaufen, die einen Roboter in Bewegung setzen. Wir können sie, selbst wenn wir über das nötige IT-Wissen verfügen, nie vollständig kontrollieren. Genau das aber erlaubt es uns, eine Angstlust am technisch Unbekannten auszukosten und das zu entwickeln, was ich eigenartiges Begehren nenne. Eigenartiges Begehren entsteht, wo Affizieren und Affiziert-Werden auf unerwartete Weise geschehen. Wie es eben der Fall ist, wenn wir auf eine künstlich intelligente und künstlich emotionale Maschine treffen, die ihren eigenen Willen und ihre eigene Sprache hat. Sie ist dann nicht länger ein Geschöpf wie die mechanische Puppe


Verlogenheit und naiver Optimismus – ein Kosten voranschlag Homo Deus

Ein Festival zu den Chancen und Gefahren Künstlicher Intelligenz

Münchner Kammerspiele  12.—16. 6. 2019

Für die rumänische Performancekünstlerin Alexandra Pirici ist das  Technoself keine neue Entwicklung: Der Mensch  versuche seit jeher sein physisches und kognitives V   ermögen durch Werkzeuge und Techniken zu erweitern. Beunruhigend empfindet sie, wie Enhancement zur Norm w   erden kann und vermutet dahinter hauptsächlich ökonomische Interessen. Pirici arbeitet genreübergreifend, sowohl im öffentlichen Raum als auch in Ausstellungsräumen. Sie wurde von den Münchner Kammerspielen zum internationalen Festival Homo Deus eingeladen, das im Juni 2019 stattfindet. Zuvor zeigte sie ihre Arbeiten etwa auf der Biennale in Venedig oder bei den Skulptur Projekten in Münster.

Ich glaube, dass das „Menschliche“ und der nicht zum Besten der Menschen oder der menschliche Körper nicht „natürlich“ sind Öffentlichkeit. und es niemals waren. Ich glaube, dass das Betrachtet man die aktuellen Projekte Menschliche ein langer und fortwähren- des Neuro-Enhancement, fällt auf, dass sie der Prozess ist und dass der menschliche meist aus DARPA-Videos herkommen, wo Körper ebenfalls ein fortlaufendes „orga- Enhancement und kognitive Ergonomie zu nologisches“ Projekt ist (um Bernard Stieg- militärischen Zwecken gebraucht werden, lers Begriff zu verwenden), ein stets wei- um die Effizienz im Kampf zu steigern. Uns tergeführtes Projekt, um den somatischen fehlt ein umfassender Ansatz des NachdenLeib durch externe, exosomatische Organe kens über Technik, der im Gegensatz hier(Werkzeuge, Techniken, Formen, in denen zu von der Fähigkeit ausginge, sich sorgsam Gedächtnis und Wissen veräußerlicht wer- mit etwas zu befassen, sorgsam zuzuhören, den) zu erweitern. Wenn wir dieser Annah- etwas eingehend zu betrachten, mit jemanme folgen, kann es keine „Perfektion“ ge- dem zu sympathisieren, zu denken — im ben, die sich der Unvollkommenheit des Sinne tiefer Aufmerksamkeit und Einsicht, Natürlichen in den Menschen entgegenset- nicht in dem eines konfusen Multitasking zen ließe, und es kann auch kein sogenann- oder eines task-fixierten Problemlösens. tes Technoself geben, das nicht bereits seit Deshalb fürchte ich nicht das Technoself sehr frühen Epochen der Technik existiert als solches, ich fürchte vielmehr ein Prohätte — da der Mensch stets in Beziehung jekt, in dem das Design des Technoself den auf das Techno-Logische konstruiert wur- kleinlichen wirtschaftlichen Interessen einide. Das Technoself, das heute zumeist als ger weniger unterworfen wird. Dies wird zu ein neues, erstrebenswertes, vermarktba- einer Katastrophe führen, die eigentlich beres Bild des Menschen präsentiert wird, ist reits da ist. Wenn wir Verlogenheit und naitatsächlich bloß die Fortführung des alten ven Optimismus beiseitelassen, dann sehen Projekts aus dem Industriezeitalter, das auf wir, dass das gegenwärtige Projekt uns imVerwaltung, Standardisierung, Rationali- mer schneller zur Vernichtung und zum riesierung und Automation setzt: Der Mensch sigen Verlust genau dessen führt, was das wird zum potenzierten Task-Manager (die Leben lebenswert macht — einer VerschieMaschinen haben jetzt den Platz der Indus- denheit des Seins. Das „Wir“ als berechentriearbeiter eingenommen) oder zum kör- bare Gesamtmenge, wie es die gegenwärtiperlosen Bewusstsein-auf-einem-Chip (ein ge Datenökonomie und die algorithmische Bild, das sehr wenig von der zeitgenössi- Staatsbürokratie auffassen, ist tatsächlich schen Neurowissenschaft verstanden hat gar nichts Soziales, sondern nur eine maoder auch nur von dem Begriff verkörper- thematische Abstraktion, die manipuliert ter Kognition selbst). Und fürchten sollten wird, um den Profit von Aktionären zu mawir diese Idee nicht deshalb, weil sie ein ximieren. Wir müssen einen anderen Weg „Anderes“ ist als ein vorgeblich natürlicher einschlagen, wenn die Menschheit nicht Mensch (da die Menschheit ja immer ein Pro- lediglich als ein Rudel von Soldaten, Majekt kollektiven und individuellen Selbst-De- nagern und Bossen überleben soll, die ein signs gewesen ist), sondern deshalb, weil gigantisches Datenaggregat bis zur endgüldiese Idee ausschließlich von Wirtschaftsin- tigen Leere kommerzialisieren. Ich kann nur teressen geprägt ist, wo über „Verbesserun- hoffen, dass wir den politischen Willen fingen“ ( enhancements ) und über wünschens- den, ein anderes Designprojekt zu verfolgen werte menschliche Möglichkeiten durch den — den „Techno-Human“, der ein Projekt der Markt, für den Markt und für den Profit Fürsorge und Aufmerksamkeit, der sorgsaentschieden wird, „zum Besten der men Erziehung und des Wohlstands für die Firma“, um ein neues Da- Vielen werden könnte, ein Projekt, an dem tenanalyse-Startup wir kollektiv arbeiten und teilhaben könnzu zitieren, ten, zugunsten eines Lebens in größerer Vielfalt und mit mehr Freude.

Künstliche Intelligenz im Sinne lernender und sich selbst optimierender Algorithmen steuert heute zentrale digitale Prozesse unseres Alltags. Zunehmend gestalten Mikrobiologen neue Moleküle, während Programmierer zu Schöpfern selbstständiger Systeme werden. Wo der Mensch die eigene Schaffenskraft an seine Geschöpfe weitergibt, wird er zum „Homo Deus“. Besonders in Deutschland findet diese wissenschaftliche und technische Weiterentwicklung weitestgehend unter Ausschluss einer kritischen Öffentlichkeit statt. Zum internationalen Festival „Homo Deus“ laden die Münchner Kammerspiele Technologieexperten, Sozial- und Kulturwissenschaftlerinnen sowie Künstler aus ganz Europa ein, um Chancen und Risiken Künstlicher Intelligenz öffentlich zu diskutieren. Als Parcours aus Theater, Performance, Bildender Kunst und Musik angelegt, sollen auf insgesamt fünf Bühnen diese Entwicklungen gemeinsam reflektiert und die bisherige ästhetische Auseinandersetzung damit konzentriert präsentiert werden. Von & mit: Marco Donnarumma, Susanne Kennedy, Jisun Kim, Christoph Kondek & Christiane Kühl, Alexandra Pirici, Dennis Pohl, Anta Helena Recke, Markus Selg u. a.   www.muenchner-kammerspiele.de →

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Aral Balkan, international vernetzter Menschenrechtsaktivist, Gründer und Lead Designer von Ind.ie, einer Plattform für ethische Technologie, warnt vor einer Versklavung des Menschen im Zuge der digitalen Durchdringung aller Lebensbereiche. Er plädiert dafür, die Definition des Selbst zu erweitern, um sicherzustellen, dass die Menschenrechte die Gesamtheit des Selbst in einem digitalen und vernetzten Zeitalter umfassen. Wir brauchen keine speziellen „digitalen Rechte“, so Balkan, sondern eine Allgemeine Deklaration der Cyborgrechte. Sie sind sehr wahrscheinlich ein Cyborg und wissen es nicht einmal. Haben Sie ein Smartphone? Dann sind Sie ein Cyborg. Benutzen Sie einen Computer? Gehen Sie ins Internet? Cyborg! Allgemeiner gesprochen: Wenn Sie heutzutage digitale Techniken und das Internet benutzen, dann sind Sie ein Cyborg. Dazu braucht es keine Mikrochip-Implantate. Sie müssen nicht aussehen wie Robocop. Sie sind ein Cyborg, weil Sie Ihre biologischen Möglichkeiten durch bestimmte Techniken erweitern. Wenn Sie diese Definition lesen, halten Sie vielleicht inne: Einen Moment — das haben die Menschen ja schon sehr viel länger getan, als es die digitale Technik gibt. Da haben Sie recht. Wir waren schon lange Cyborgs, ehe der erste Bug in die Vakuumröhre des ersten Computers gekrochen ist. Der Höhlenmensch, der einen Speer schwang und ein Feuer entfachte, war der erste Cyborg. Galilei, der die Himmel mit einem Fernrohr absuchte, war ein Mann der Renaissance und ein Cyborg. Wenn Sie morgens Ihre Kontaktlinsen einsetzen, sind Sie ein Cyborg. Im Verlauf unserer Gattungsgeschichte hat die Technik unsere Sinne erweitert. Sie hat uns ermöglicht, das Leben besser zu meistern und die Welt um uns stärker zu kontrollieren. Ebenso ist sie dazu benutzt worden, uns zu unterdrücken und auszubeuten — was jeder bestätigen wird, der einmal in den Gewehrlauf eines Unterdrückers geschaut hat. „Technik ist“, nach Melvin Kranzbergs erstem Gesetz der Technik, „weder gut noch böse, noch ist sie neutral.“ Was bestimmt also, ob Technik zu unserem Woh ler -  gehen bei-

Sklaverei 2.0 und wie man sie vermeiden kann: Eine praktische   Anleitung für Cyborgs trägt, zu den Menschenrechten und zur Demokratie, oder ob sie all dies untergräbt? Was unterscheidet gute Technik von schlimmer Technik? Und wo wir gerade dabei sind, was unterscheidet Galileis Fernrohr und Ihre Kontaktlinsen von Google und Facebook? Und weshalb spielt es eine Rolle, ob wir uns als Cyborgs sehen oder nicht? Wir müssen alle versuchen, die Antworten auf diese Fragen zu verstehen. Der Preis, den wir zu zahlen hätten, falls wir das nicht tun, könnte sehr, sehr hoch sein. Dies sind nicht lediglich Fragen zur Technik. Diese Fragen zielen ins Herz des Problems, was es heißt, im digitalen Zeitalter ein Mensch zu sein, in der Epoche des Internets. Wie wir diese Fragen beantworten, das hat entscheidende Folgen für unser Wohlergehen, sowohl individuell wie gesellschaftlich. Das Wesen unserer Gesellschaft wird von unseren Antworten abhängen, und langfristig vielleicht sogar das Fortdauern unserer Gattung.

Der Besitz des eigenen Ichs, die Kontrolle über das Selbst im digitalen Internet zeitalter Stellen Sie sich eine Welt vor, in

der man Ihnen bei der Geburt ein Gerät zuteilt, das Sie vom ersten Augenblick an beobachtet und belauscht und Ihnen folgt. Es kann auch Ihre Gedanken lesen. Im Lauf der Jahre zeichnet das Gerät jeden Gedanken auf, jedes Wort, jede Bewegung und jede Interaktion. Es sendet all diese Informationen an einen riesigen Zentralcomputer im Besitz eines multinationalen Unternehmens. Dort werden all diese Aspekte Ihres Selbst mit Algorithmen kollationiert, um eine Simulation Ihrer selbst zu erstellen. Das Unternehmen verwendet Ihre Simulation als digitalen Doppelgänger, um Ihr Verhalten zu manipulieren. Ihr digitaler Doppelgänger ist unbezahlbar. Er stellt all das dar, was Sie ausmacht (von Ihrem physischen Körper abgesehen). Das Unternehmen weiß, dass es Ihren Körper nicht braucht, um Sie zu besitzen. Kritiker nennen dieses System „Sklaverei 2.0“. Den ganzen Tag lang unterzieht das Unternehmen Ihre Simulation endlosen Tests. Was mögen Sie? Was macht Sie glücklich? Was macht Sie traurig? Was fürchten Sie? Wen lieben Sie? Was werden Sie heute Nachmittag tun? Das Unternehmen verwendet die Einsichten, die es aus diesen Tests gewinnt, um Sie dazu zu bringen, das zu tun, was es möchte — vielleicht ein neues Kleid zu kaufen oder für einen gewissen Politiker zu stimmen. Das Unternehmen ist politisch. Es muss ständig wachsen und gedeihen. Da darf es natürlich nicht von Regulierungen behindert werden. Also muss es den politischen Diskurs beeinflussen. Glücklicherweise sind heute alle Politiker ebenfalls schon bei der Geburt mit einem ebensolchen Gerät ausgestattet worden wie Sie.

Also gehören dem Unternehmen auch deren digitale Doppelgänger. Dies macht es sehr viel einfacher für das Unternehmen, sich seine Wünsche zu erfüllen. Trotz alledem ist das Unternehmen nicht allwissend. Es kann immer noch Fehler machen. Es könnte beispielsweise irrtümlich zu dem Schluss kommen — auf Grund Ihrer Gedanken, Worte und Taten —, dass Sie ein Terrorist seien, obwohl Sie es nicht sind. Wenn das Unternehmen richtig liegt, ist Ihr digitaler Doppelgänger ein unschätzbares Instrument zur Manipulation Ihres Verhaltens. Wenn es sich irrt, könnte das bedeuten, dass Sie ins Gefängnis kommen. So oder so sind Sie der Verlierer. Klingt wie ein utopischer Alptraum der Cyberpunk-Science-Fiction, nicht wahr? Setzen Sie für „Unternehmen“ das Silicon Valley, für den „Zentralcomputer“ die Cloud. Setzen Sie für das „Gerät“ Ihr Smartphone und Ihren smarten home assistant und Ihre smarte Großstadt und Ihr smartes dieses und jenes. Willkommen auf dem Planeten Erde, Zeit: etwa heute.

Überwachungskapitalismus Wir leben in einer Welt, in der eine Handvoll multinationaler Unternehmen unbegrenzten, ständigen Zugang zu den intimsten Details unseres Lebens haben. Ihre Geräte beobachten und belauschen und verfolgen uns, zuhause, im Internet, und (in zunehmendem Maße) auf den Gehsteigen und Straßen.


Dies sind keine Instrumente, die uns gehören und die wir kontrollieren. Dies sind die Augen und Ohren jenes sozio-techno-ökonomischen Systems, das Shoshana Zuboff als „Überwachungskapitalismus“ bezeichnet hat. Wie in unserem CyberpunkAlptraum sind die Raubritter des Silicon Valley nicht damit zufrieden, lediglich zu beobachten und zu lauschen. Beispielsweise hat Facebook bei seiner Developer Conference 2017 verkündet, sechzig Techniker würden bereits an dem Projekt arbeiten, Ihre Gedanken — buchstäblich — zu lesen. 1 Oben habe ich die Frage gestellt, was Galileis Fernrohr und Ihre Kontaktlinsen vom Warenangebot von Facebook, Google und anderen Überwachungskapitalisten unterscheidet. Es ist sehr wichtig, den Unterschied wirklich zu begreifen, um zu erfassen, in welchem Maße das Konzept der Persönlichkeit selbst vom Überwachungskapitalismus bedroht wird. Als Galilei sein Teleskop benutzte, sah nur er, was er erblickte, und nur er wusste, was er anschaute. Das gilt auch für Ihre Kontaktlinsen. Wenn Galilei sein Instrument bei Facebook gekauft hätte, dann hätte Facebook, Inc., alles aufgezeichnet, was er betrachtete. Wenn Sie Ihre Linsen bei Google kaufen, dann werden diese mit eingebauten Kameras ausgerüstet sein und Alphabet, Inc., sieht alles, was Sie sehen. (Google stellt diese Linsen noch nicht her, hat aber ein Patent dafür.) 2 Wenn Sie einstweilen nicht warten können — Snapchat produziert Brillen mit Kamera. Wenn Sie mit einem Bleistift in Ihr Tagebuch schreiben, wissen weder der Bleistift noch das Tagebuch, was Sie geschrieben haben. Wenn Sie Ihre Gedanken in ein Google-Dokument schreiben, kennt Google jedes Wort. Wenn Sie mit der normalen Post einem Freund einen Brief schicken, weiß die Post nicht, was Sie geschrieben haben. Den Briefumschlag unterwegs zu öffnen, wäre ein schweres Vergehen. Wenn Sie Ihrem Freund eine Nachricht auf Facebook Messenger schicken, liest Facebook jedes Wort. Wenn Sie sich auf einem Android-Handy bei Google Play Services einloggen, wird jeder Spielzug und jede Interaktion sorgfältig aufgezeichnet, an Google geschickt, für immer aufbewahrt, analysiert und vor den Schranken des Überwachungskapitalismus gegen Sie verwendet. Früher lasen wir Zeitungen. Heute lesen die Zeitungen uns. Sie schauen YouTube und YouTube schaut auf Sie. Sie begreifen sicher, worum es hier geht. Solange wir (als Individuen) unsere Technologie nicht selbst besitzen und unter Kontrolle haben, ist das ewige Adjektiv „smart“ nichts als ein Euphemismus für „Überwachung“. Ein Smartphone ist ein Kontrollgerät, ein smart home ist eine Verhörzelle und eine smart city ist ein Panoptikum.3 Google, Facebook und andere Unternehmen des Überwachungskapitalismus halten die Menschheit wie in Ausbeutungsfarmen. Diese Unternehmen machen Milliarden damit, dass sie Ihnen Ihre Daten abmelken und den intimen Einblick, den diese bieten, zur Manipulation Ihres Verhaltens verwenden. Diese Organisationen scannen ständig die Menschheit; sie existieren, um Sie zu digitalisieren, diese digitale Kopie zu besitzen und durch den Einsatz dieses Doppelgängers stets größer und mächtiger zu werden. Wir müssen begreifen, dass diese Unternehmen keine Anomalitäten sind, sondern die Norm. Sie sind der Mainstream. Der Mainstream der Technologie ist heute ein toxisches Überschwappen des amerikanischen Laissez-faire-Kapitalismus, das den ganzen Planeten zu erfassen droht. Wir hier in Europa sind gegen die aufsteigenden giftigen Dämpfe keineswegs immun. Unsere Politiker sind leicht durch die Millionen zu bezaubern, welche die Unter

nehmen über ihre Lobbys in Brüssel ausgeben. Sie sind hingerissen von der Weisheit der Singularity University (nota bene: dies ist keine Universität). Unsere Schulen decken sich mit Chromebooks für unsere Kinder ein. Unsere Steuersätze werden gesenkt, damit die Überwachungskapitalisten nicht übermäßig belastet werden, falls sie noch ein Guinness bestellen wollen. Und unsere institutionell korrumpierten Politikstrategen sind viel zu sehr damit beschäftigt, Datenschutzkonferenzen zu organisieren, bei welchen Google und Facebook die Eröffnungsvorträge halten, als dass sie unsere Interessen verteidigen würden. Ich weiß das, weil ich letztes Jahr bei einer solchen Konferenz gesprochen habe. Der Facebook-Redner hatte soeben seine Stelle bei der französischen Datenschutzbehörde aufgegeben, die ja bekannt ist für die Schönheit und Effizienz ihrer Drehtüren. Es muss sich etwas ändern. Und ich bin zunehmend der Überzeugung: Wenn eine solche Änderung überhaupt kommt, dann muss sie von Europa ausgehen. Das Silicon Valley wird das Problem nicht lösen, das es selbst geschaffen hat. Vorwiegend deshalb, weil Unternehmen wie Google und Facebook Milliardenprofite nicht als Problem sehen. Der Überwachungskapitalismus ist seinen eigenen Erfolgskriterien gemäß keinesfalls problematisch. Für Unternehmen wie Google und Facebook funktioniert er wunderbar. Lächelnd studieren sie ihre Bilanzen, und den Regulierern, deren witzig winzige Strafsummen kaum über die Einkünfte eines einzigen Tages hinausgehen, lachen sie ins Gesicht. Man hat gesagt, „mit einer Geldstrafe belegbar“ bedeute nichts anderes als „für Reiche legal“. 4 Das trifft besonders dann zu, wenn es darum geht, trilliardenschwere multinationale Konzerne gesetzlich zu regulieren. Ebenso wenig wird das Investitionskapital sich an Lösungsversuchen beteiligen, welche das immens lukrative Geschäftsmodell zerstören würden, das es mitaufgebaut hat. Wenn Sie also Initiativen begegnen wie dem sogenannten Center for Human Technology, bei dem Investoren und ehemalige Google-Angestellte mitmischen, dann sollten Sie Fragen stellen. Und vielleicht noch ein paar Fragen übrigbehalten für Organisationen, die vorgeben, ethische Alternativen zu entwickeln, dabei aber von Überwachungskapitalisten finanziert werden. Mozilla bekommt jedes Jahr Hunderte Millionen Dollar von Google. 5 Insgesamt hat es von diesen Unternehmen mehr als eine Milliarde erhalten. Wären Sie zufrieden, wenn diese Organisation die Entwicklung ethischer Alternativen übernähme? Wenn wir in Europa eine andere Richtung einschlagen wollen, müssen wir die Technik anders finanzieren und aufbauen. Wir müssen den Mut haben, einen anderen Weg zu nehmen als unsere Freunde jenseits des großen Teichs. Wir müssen das Selbstvertrauen haben, dem Silicon Valley und seinen Lobbyisten zu sagen, dass wir nicht kaufen, was sie anbieten. Und wir müssen all dies auf eine solide gesetzliche Grundlage stellen, im Hinblick auf die Menschenrechte. Sagte ich Menschenrechte? Ich meine Cyborgrechte.

Cyborgrechte sind Menschenrechte Wir stehen vor einer Krise der Menschenrechte, die tiefgreifend ist und damit zusammenhängt, was wir unter „Menschsein“ verstehen. Traditionell ziehen wir die Grenzen des menschlichen Selbst analog zu unseren biologischen Grenzen. Und wir haben ein System von Gesetzen und Urteilen, das darauf abzielt, die Integrität dieser Grenzen und damit die Würde des Selbst zu bewahren. Wir nennen dieses juristische System die Menschenrechte. Leider ist diese Definition des Selbst nicht länger adäquat,

um uns im digitalen Internet-Zeitalter zu beschützen. In dieser neuen Epoche erweitern wir unsere biologischen Fähigkeiten durch digitale Technik und durch das Internet. Wir dehnen unser Bewusstsein und unser Selbst mit den Mitteln moderner Technik aus. Dementsprechend müssen wir unser Verständnis von den Grenzen des Selbst so erweitern, dass es die Techniken einschließt, mit denen wir unser Selbst ausdehnen. Durch Erweiterung der Selbst-Definition können wir sicherstellen, dass die Menschenrechtsgesetze die Gesamtheit des Selbst im digitalen Zeitalter abdecken und damit schützen. Als Cyborgs sind wir zersplitterte Wesen. Teile von uns leben in unseren Handys, Teile irgendwo auf einem Server, Teile auf einem Laptop. Die Integrität des Selbst im digitalen und vernetzten Zeitalter, in der Epoche des Internets, ist die Gesamtsumme der Integrität dieser Splitter. Daher sind Cyborgrechte Menschenrechte, die auf das Cyborg-Selbst angewandt werden. Wir brauchen keine getrennte Auflistung von (höchstwahrscheinlich stark reduzierten) „digitalen Rechten“. Deswegen soll die Universelle Erklärung der Cyborgrechte 6 kein selbstständiges Dokument sein, sondern eine Ergänzung zur Universellen Erklärung der Menschenrechte. Während der verfassungsmäßige Schutz der Cyborgrechte ein notwendiges Fernziel ist, müssen wir nicht auf eine Verfassungsänderung warten, bis wir handeln. Wir können und müssen beginnen, uns zu schützen, indem wir ethische Alternativen zur Mainstream-Technologie entwickeln.

Ethische Technik Eine ethische Technik 7 ist ein Werkzeug, das Sie besitzen und kontrollieren. Ein Werkzeug, geschaffen, um Ihr Leben freundlicher und leichter zu machen. Ein Werkzeug, das Ihre Fähigkeiten steigert und Ihr Leben verbessert. Ein Werkzeug, das immer in Ihrem Interesse funktioniert und dieses niemals verletzt. Im Gegensatz hierzu ist eine unethische Technik ein Werkzeug, das Unternehmen und Regierungen gehört und von diesen kontrolliert wird. Es befördert deren Interessen auf Kosten der Ihren. Eine solche Technik ist eine attraktiv funkelnde Falle, die sorgfältig konstruiert wurde, um Ihre Aufmerksamkeit zu fesseln, Sie süchtig zu machen, jeden Ihrer Schritte zu verfolgen und ein umfassendes Profil von Ihnen anzulegen. Eine Ausbeutungsfarm, die vorgibt, ein Spielplatz zu sein. Unethische Technik ist Gift für unsere Menschenrechte, unser Wohlergehen und unsere Demokratie.

Bessere Strukturen erschaffen Ethische Technik wächst nicht auf Bäumen, man muss sie finanzieren. Wie das geschieht, ist sehr wichtig. Unethische Technik wird durch Investitionskapital gefördert. Dieses Kapital investiert nicht in ein Geschäft, es investiert in den Verkauf eines Geschäfts. Und in sehr riskante Geschäfte. Ein solcher Kapitalist wird im Silicon Valley (sagen wir) fünf Millionen Dollar in zehn verschiedene Startup-Unternehmen investieren — in dem Bewusstsein, dass neun von ihnen scheitern werden. Also muss für ihn (gewöhnlich ist es ein Er) das Zehnte ein Einhorn sein, eine MilliardenAusnahme, damit

er das Fünfbis Zehnfache seines Geldes rausbekommt. (Es ist nicht einmal sein Geld, es gehört seinen Kunden.) Das einzige bekannte Geschäftsmodell, das in der Technik diese Art Wachstum liefert, ist die Menschenfarm. Die historische Sklaverei war lukrativ. Die Sklaverei 2.0 ist es ebenfalls. Wir sollten nicht darüber erstaunt sein, dass ein System, das krebsartiges Wachstum so hochschätzt, zu Tumoren wie Google und Facebook geführt hat. Verblüffend ist es, dass wir offenbar lieber die Tumore feiern als den Patienten zu behandeln. Und noch überraschender ist es, dass wir so hartnäckig entschlossen zu sein scheinen, uns hier in Europa mit derselben Krankheit zu infizieren. Das sollten wir nicht tun. Wir sollten ethische Alternativen finanzieren. Aus dem Gemeingut. Für das Gemeinwohl. Jawohl — das bedeutet: mit unseren Steuern. Dazu wären die ja eigentlich da (um gemeinsame Infrastrukturen für das Gemeinwohl aufzubauen, welche das Wohlergehen unserer Menschen und unserer Gesellschaften befördern). Wenn das Wort „Steuer“ sie erschreckt oder Ihnen zu altmodisch klingt, ersetzen Sie es einfach durch „obligatorisches Crowdfunding“ oder „demokratisierte Philanthropie“. Ethische Technik aus dem Gemeingut zu finanzieren, bedeutet nicht, dass wir Regierungen dazu bringen, selbst unsere Technologie zu bauen, zu besitzen oder zu kontrollieren. Und es bedeutet auch nicht, dass wir Unternehmen wie Google oder Facebook nationalisieren. Zerschlagt sie in kleine Teile! Gewiss. Reguliert sie! Natürlich. Tut alles, was ihren Missbrauch der Technik weitestgehend beschränkt. Aber das einzige, was noch schlimmer wäre als ein Panoptikum in Unternehmensbesitz wäre eines unter staatlicher Kontrolle (wobei diese beiden Formen einander ja nicht unbedingt ausschließen). Wir wollen nicht den einen Big Brother durch einen anderen ersetzen. Wir sollten stattdessen in viele kleine und unabhängige Organisationen investieren, die nicht gewinnorientiert arbeiten, und ihnen die Aufgabe stellen, die ethischen Alternativen zu entwickeln. Nehmen wir das, was funktioniert (wie das Silicon Valley bewiesen hat): kleine Organisationen, die in immer neuen Ansätzen konkurrierend arbeiten und teilweise rasch scheitern. Und entfernen wir dabei das toxische Element: das Investitionskapital, den Wachstumsfetischismus und die profitorientierten Rückzüge. Anstatt Startup-Unternehmen sollten wir in Europa Stayup-Unternehmen aufbauen. Anstatt von Wegwerf-Unternehmen, die entweder rasch scheitern oder zu bösartigen Tumoren werden, sollten wir Organisationen finanzieren, die entweder rasch scheitern oder funktionierende Lieferanten von technischem Gemeingut werden. Als ich diesen Plan vor einigen Jahren im Europäischen Parlament erwähnte, stießen meine Worte auf taube Ohren. Es ist immer noch nicht zu spät, um es zu versuchen. Aber mit jedem Tag, den wir zögern, gräbt sich der Überwachungskapitalismus tiefer und tiefer in unsere Lebenszusammenhänge hinein. Wir müssen diese Phantasielosigkeit überwinden und unsere technische Infrastruktur auf jene Prinzipien gründen, die das Beste der Menschheit verkörpern: Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und Demokratie. Heutzutage agiert die EU, als sei sie eine Gratis-Forschungsabteilung für das Silicon Valley. Wir finanzieren Startups, und wenn diese erfolgreich sind, dann werden sie an Unternehmen im Silicon Valley verkauft. Wenn sie scheitern, trägt dagegen der europäische Steuerzahler die Kosten. Das ist vollkommen verrückt. Die EU muss aufhören, Startups zu finanzieren, und sich stattdessen den Stayups


zuwenden. Man investiere fünf Millionen Euro in zehn Stayups, auf jedem Sektor, wo wir ethische Alternativen suchen. Im Gegensatz zu den Startups verschwinden die Stayups nicht in den Besitz von Profiteuren, sobald sie erfolgreich sind. Sie können nicht von Google oder Facebook erworben werden. Sie bleiben funktionierende europäische Unternehmen ohne Gewinnerzielungsabsicht, die daran arbeiten, Technik als Gemeingut zu liefern. Außerdem muss die Finanzierung eines Stayup mit einer strikten Spezifizierung der Technologie verbunden sein, welche dort entwickelt werden soll. Eine bestimmte Technik, die mit öffentlichen Mitteln geschaffen wird, muss öffentliches Gut sein. Die Free Software Foundation Europe ruft dies gegenwärtig mit ihrer Kampagne „public money, public code“ ins Bewusstsein. Wir müssen jedoch über das open-sourcePrinzip hinausgehen und darauf insistieren, dass die Technik, welche von derartigen Stayups entwickelt wird, nicht nur öffentlich sein muss, sondern bereits ihrer Struktur nach unmöglich in der Verbreitung beschränkt werden kann. Das heißt: Software und Hardware müssen mit Lizenzen versehen sein, die copyleft sind. Eine copyleft-Lizenz stellt sicher, dass der, der sich öffentlicher Technologie bedient, teilen muss. Derartige Lizenzen, die ein allgemeines Teilen implizieren, sind unbedingt notwendig, damit unsere Anstrengungen nicht lediglich einen Euphemismus für Privatisierung abgeben und zu einer Tragödie des Gemeinwohlgedankens führen. Große Unternehmen mit viel Kapital dürfen sich auf keinen Fall das nehmen, was wir mit öffentlichen Mitteln schaffen, eigene Millionen hinzuinvestieren und den zusätzlichen Wert, den sie geschaffen haben, mit niemandem teilen. Schließlich müssen wir verlangen, dass die von den Stayups aufgebauten Technologien nach dem peer-to-peer-Prinzip funktionieren. Die Daten eines Benutzers müssen auf den Geräten verbleiben, die er besitzt und kontrolliert. Und wenn Sie kommunizieren, muss dies direkt sein (ohne einen Zwischenhändler wie Google oder Facebook). Wo sich dies technisch absolut verbietet, müssen alle privaten Daten, die ein Dritter kontrolliert (ein Web-Host beispielsweise), einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unterworfen sein, und nur der eigentliche Benutzer darf den einzigen Schlüssel haben.

Auch wenn ihre Investitionen in ethische Technik noch keine statistische Relevanz haben, gibt es bereits kleine Gruppen, die an Alternativen arbeiten. Mastodon 8 , eine ethische Alternative zu Twitter nach dem Prinzip der Federated Cloud, wurde von einer einzigen Person (Anfang zwanzig) geschaffen. Ein paar Leute haben zusammen ein Projekt mit dem Namen Dat 9 ins Leben gerufen, das die Grundlage für ein dezentralisiertes Web sein könnte. Seit über zehn Jahren haben Freiwillige ein alternatives, nicht kommerzielles Domain-Namen-System betrieben, das OpenNIC heißt 10 und jedem einen eigenen Platz im Web verschaffen könnte… Wenn selbst solche Samenkörner ohne jede offizielle Unterstützung zu keimen beginnen, dann stellen Sie sich vor, was möglich wäre, wenn wir tatsächlich beginnen, sie zu wässern und immer neue Setzlinge zu pflanzen. Wenn wir in Stayups investieren, könnten wir in Europa einen grundsätzlichen Wechsel in Richtung ethischer Technik einleiten. Wir können anfangen, eine Brücke zu bauen: von dem Punkt, an dem wir uns befinden, zu dem, wohin wir gelangen wollen. Von einer Welt, in der Unternehmen uns über unsere digitalen Doppelgänger in Beschlag nehmen, zu einer Welt, in der wir uns selbst gehören. Von einer Welt, in der wir nach und nach wieder zum Eigentum Anderer werden, zu einer, in welcher wir Menschen bleiben. Vom Überwachungskapitalismus zur, sagen wir: peerocracy. Aus dem Englischen von Joachim Kalka

1 https://www.theguardian.com/technology/2017/ apr/19/facebook-mind-reading-technology-f8  2 https://www.cnet.com/news/after-google-glassgoogle-developing-contact-lens-camera/  3 Das Panoptikum ist eine von dem utilitaristischen Philosophen Jeremy Bentham Ende des achtzehnten Jahrhunderts konzipierte Gefängnisarchitektur, in dessen rundem Zentralbau die speichenförmig angeordneten Zellen von der Mitte aus ständig lückenlos überwacht werden können. Verwirklicht wurde es nur in Amerika. Foucault bezieht sich in Surveiller et punir (1975; deutsch: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, 1976) auf dieses Modell. (A. d. Ü.)  4 https://olds.town/@adoxographer/ 101452470707273428  5 https://techcrunch.com/2017/11/14/mozillaterminates-its-deal-with-yahoo-andmakes-google-the-default-in-firefox-again/  6 https://cyborgrights.eu  7 https://ind.ie/ethical-design  8 https://joinmastodon.org  9 https://datproject.org 10 https://opennic.org

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Bilder von Heimo Zobernig Die Figuren auf den Bildseiten des Magazins waren noch in keiner Ausstellung von Heimo Zobernig zu sehen. Für uns hat er Detailaufnahmen von Schaufensterpuppen gemacht, die mit dünnen lasierenden Farbschichten bemalt sind. Die Wirkung ist verblüffend. Anders als bei Close-ups im Film wird das Dargestellte nicht deutlicher, sondern allenfalls unheimlicher. Dieser Effekt wird noch dadurch gesteigert, dass die Puppenhaftigkeit, die Künstlichkeit der Wesen dem Betrachter immer präsent bleibt, auch wenn durch den Farbauftrag der Eindruck von Haut erzeugt wird, einer dünnen Haut, durch die das vermeintlich Darunterliegende durchzuschimmern scheint. Die Puppen erhalten dadurch den Anschein einer Lebendigkeit, die sich bei näherem Hinsehen als Firnis, als Bluff des Künstlers erweist. Zobernig interpretiert den antiken Pygmalion-Mythos auf zeitgenössische Weise, der nach Ovid folgende Geschichte erzählt: Aufgrund von Enttäuschungen entsagt der Bildhauer Pygmalion weiteren Beziehungen zu Frauen und erschafft eine Statue aus Elfenbein, die einer lebendigen Frau täuschend ähnelt. Er behandelt sie wie einen echten Menschen und verliebt sich schließlich in sein Kunstgeschöpf. Pygmalion wagt es nicht, Venus, die Göttin der Liebe, darum zu bitten, seine Kunstfigur lebendig zu machen, wünscht sich aber, seine künftige Frau möge genauso aussehen wie die Statue. Als er sie nach seiner Anrufung der Göttin zu liebkosen beginnt, wird diese tatsächlich lebendig, und das Paar bekommt einen Sohn. Mit der Verwendung von industriell und nicht von ihm selbst hergestellten Puppen signalisiert Zobernig den Abstand zum überlieferten Künstlerbild als Schöpfer. Der Künstler ist es, der den toten Dingen den Anschein von Lebendigkeit verleiht, nicht ein Gott oder eine Göttin. Der Künstler bzw. der Betrachter ist es, der darüber entscheidet, ob und für wie lebendig er oder sie die Figuren hält, worauf seine Wahrnehmung zielt und wie sie sein Verhalten bestimmt. Auch in Zobernigs Puppen kann man sich verlieben und mit ihnen als Partner leben. Mit zunehmender Cyborgisierung des Menschen werden Zobernigs Figuren aber auch immer mehr zu Abbildern heutigen Menschseins. Im äußersten Fall erkennt sich die Betrachterin in ihnen wie Narziss vormals sein Spiegelbild im natürlichen Element des Wassers. Das Unheimliche der Bilder ergibt sich aus der Entzauberung des Geheimnisses dessen, was das Menschsein als Qualität und Form des Lebendigen ausmacht. Der Cyborg, dieses Kunstnaturwesen, steht auf der Schwelle einer überholten, transzendenzbasierten Metaphysik und einer neuen technoiden Meta-Physik. Zobernig hat dafür Sinnbilder geschaffen. TaHo Heimo Zobernig, �958 in Mauthen/Österreich geboren, Professor für Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien, arbeitet in vielfältigen Medien wie Skulptur, Malerei, Rauminstallation und Video. Er war zur documenta IX und X eingeladen und gestaltete 20�5 den österreichischen Pavillon in Venedig. Aktuell präsentiert Zobernig eine Auswahl jüngerer Gemälde in der Ausstellung Heimo Zobernig. Piet Mondrian. Eine räumliche Aneignung im Albertinum in Dresden sowie eine neue Rauminstallation im dortigen Lichthof. Grundlage für diese Arbeit sind Entwurfszeichnungen von Piet Mondrian, die �926 für ein Zimmer in der Villa der Dresdner Kunstsammlerin Ida Bienert entstanden sind, aber nicht realisiert wurden. Zobernigs Installation ist in den Ursprungsmaßen des Zimmers als Innenraum begehbar sowie als kubische Skulptur zu erleben.






Den eigenen Kopf auf einen anderen Körper zu verpflanzen, scheint bald nicht mehr abwegig zu sein. Prothesen, die „fühlen“ können, sind bereits patentiert und versprechen eine uns vertraute Körperwahrnehmung trotz künstlicher Erweiterung. Der Soziologe und Politikwissenschaftler Roland Benedikter beobachtet, wie unser Verhältnis zum Körper auch durch die Transformationsmedizin verändert wird. Wie ambivalent dies ist, zeigt er am Beispiel des Schmerzes auf, der im doppelten Sinne aufgehoben werden soll. Durch die bahnbrechenden medizintechnischen, biotechnologischen und pharmakologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte ist es zu einer neuen Beziehung zwischen dem Individuum „Mensch“, seinem Körper und dem Gesamtsystem von Medizin und Medizintechnik gekommen. Technologische Innovationen haben die Grenzen des Machbaren immer mehr verschoben — und den menschlichen Körper zunehmend zu einem Objekt an der Schnittstelle von Informatik, Pharmakologie sowie Implantat- und Substitutionstechnologie gemacht. Stichworte wie Transhumanismus, „Verbesserung des Menschen“ ( human enhancement ) und Mensch 2.0 sind bereits eng mit konkreten Entwicklungen im gegenwärtigen Gesundheitssystem verbunden. Wissenschaftler wie Michio Kaku nennen die heutige Entwicklung die Entstehung einer globalen Körperindustrie, wo immer mehr Körperbestandteile beeinflussbar oder austauschbar werden — darunter vermutlich bald auch der menschliche Kopf,

der mittels Kopftransplantation auf neue Körper versetzt werden können soll, wenn es nach Wissenschaftlern wie dem Turiner Neurochirurgen Sergio Canavero und seinem Projekt Heaven ( Head anatonomosis venture ) geht, für das bereits viele Freiwillige bereitstehen. Die technologische Ausweitung der Lebensspanne und die neuronale Beeinflussbarkeit der inneren Wahrnehmung — etwa mittels Gehirnimplantaten und genaueren, „gelenkten“ Medikamenten sowie in absehbarer Zeit auch Nanotechnologie, zum Beispiel Miniroboter, die unsere Körper bewohnen und kontinuierlich die Blutbahnen reinigen sollen — sind Neuerungen, die im Zentrum wachsender Investitionsinteressen stehen. Mit der zunehmenden Beeinfluss- und Umwandelbarkeit des Körpers ist nicht nur die Hoffnung auf sehr langes, sondern auch schmerzfreies Leben verbunden. Insgesamt befinden wir uns am Beginn des Zeitalters einer „Transformationsmedizin“. Transformationsmedizin heißt: Vom bisherigen Heilen des kranken Körpers ( healing ) zum Verbessern des gesunden Körpers ( enhancement ). Der gesamte Körper

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soll künftig „verwan- Einerseits soll Schmerz als Wahrnehmungsdelt“ oder gar „verbes- element mit hohem kognitiven Wert kultisert“ werden, auch in viert werden, also „aufgehoben“ werden im seinen gesunden Teilen. Sinn von „aufbewahrt“ für bestimmte ZweDer ganze Mensch soll cke. Zugleich soll er möglichst völlig „aufgephysiologisch mittels hoben“ werden im Sinn von „verschwinden“, Technologie modifiziert nicht mehr sein. werden, um die angebSollte der Transhumanismus weiter volichen „Fundamental- ranschreiten, was wahrscheinlich ist, wird probleme“ von Altern, diese Paradoxie in den kommenden Jahren Tod und Schmerz zu an Bedeutung gewinnen: Die positive Neu„lösen“ — und zwar über bewertung des Schmerzes gleichzeitig mit den Körper auch in der seinem völligen Aufhebungsversuch — woInnenwahrnehmung des mit, in der Gleichzeitigkeit von beiden, mög„Ichs“. Diese Idee ist Teil licherweise auch eine „Hebung“ des Gesamtder heute um sich greifen- phänomens Körper auf eine höhere Stufe den Ideologie des „Trans- gemeint ist. Damit verbunden ist eine Umhumanismus“. Transhuma- wertung aller Werte. Eine Neu-„Kultivienismus heißt: „mit Technik rung“, wenn man so will. Diese Neuwahrüber den bisherigen Men- nehmung grundlegender Sinneserfahrungen schen hinausgehen“. Die wird unser Verhältnis zum Körper grundTransformationsmedizin, die sätzlich verändern. Wir sind vermutlich am Beginn des Zeitdas propagiert, ist Teil einer Transformationstechnologie, alters einer Körperindustrie, die sich auf die mittlerweile alle Bereiche eine Transformationsmedizin stützt. Damit unseres Lebens durchdringt — ändert sich der Kulturbegriff sowohl hinund in ihrer Gesamtwirkung auf sichtlich des Körpers wie der Medizin. Das unser Selbstbewusstsein bereits Zeitalter der technoiden Körperindustrie wichtiger als herkömmliche Politik qua Transformationsmedizin ist, realistisch und Wirtschaft geworden ist. besehen, durchaus ein Zeitalter der KulturBesonders interessant — weil technologie. Aber der Begriff der Kultur änbeispielhaft — ist in diesem Gesamt- dert sich: Er wird immer mehr gleichbedeubild meines Erachtens die Zukunft tend mit „hypertechnologischer Medizin“ des Schmerzes als einer körperli- oder Mensch-Maschine-Konvergenztechnochen Grund- und Kernerfahrung. Der logie. Der Körper steht in einem kulturellen Schmerz soll „transhumanistisch“ ei- Wandel, weil sich das Paradigma der Kultur nerseits durch die technologische Um- durch die Technisierung ändert. Der Kulturrüstung des Menschen völlig abgeschafft begriff wird zunehmend mit dem Technikwerden. Andererseits wird er — parado- begriff gleichgesetzt, teilweise auch durch xerweise — eben durch die technischen ihn ersetzt: sowohl hinsichtlich Körper wie Neuerungen der Medizin zum Luxus, auf Sinn und Dauer. Und dabei verändert sich den man nicht verzichten kann. Denken auch das Bild des Menschen — als dem ZenSie etwa an die neuen, erst seit kurzem pa- trum von beidem. tentierten Prothesen, die „fühlen“ können. Insgesamt ist eine Entwicklung absehSchmerzempfindung wird hier geradezu bar, innerhalb derer praktisch alle Belange zum Desiderat, um mit der Prothese natür- des menschlichen Körpers durch den Dialichen Gliedmaßen möglichst nahe zu kom- log zwischen dem bisherigen Humanismus men. Schmerz wird zum „feature“, Schmer- und dem technoiden Transhumanismus bezen künftig als Wahrnehmungsorgane und stimmt sein werden. Das betrifft auch den gewissermaßen als Luxus in ausgewählten Kern der Medizin. Die Frage ist einerseits, Erfahrungsbereichen konzipiert. Schmerz ob — und wenn ja welche — Argumente wird zum Vermittler zum Realen. Schmerz die bisherige Kultur der Technisierung von wird zum Ich-Instrument. Körper und Mensch entgegensetzen soll. Zusammengefasst heißt das nichts an- Und andererseits, wie Kultur- und Integraderes als: Unser Verhältnis zum Schmerz tionspraktiken sinnvoll am vor uns liegenwird paradox, und über ihn auch unser den Gesamtprozess des ZusammenwachVerhältnis zum Körper. Wir wollen den sens von Technik, Körper und Mensch Schmerz abschaffen, und wir brauchen ihn. teilnehmen kann. In einigen Bereichen Damit steht der Schmerz beispielhaft für gilt es durchaus Widerstand zu leisunser immer ambivalenteres Verhältnis zum ten. Nicht nur gegen zu schnelle Körper. Wir stehen hier künftig in einer Pa- und zu unbewusste Entwicklung. radoxie, die für unseren Bezug zum Körper Auch im Grundsätzlichen. Und charakteristisch sein wird. Die große Bewe- an anderen Aspekten gilt gung ist: Schmerz soll „aufgehoben“ werden. es aktiver als bisher Das hat schon im Wort „aufheben“ eine Dop- teilzuhaben. pelbedeutung — ganz im Hegelschen Sinne.


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R   ollentausch Mal ehrlich: Wer steigert nicht gerne seine Effizienz durch Rechenleistung? Wer schließt nicht seine Gedankenlücken durch Speicherplatz? Und wer lindert seinen Schmerz nicht durch Medikamente? Doch wie weit sind wir bereit, zu gehen? Und wie weit sind wir bereit, uns selbst aus dieser Gleichung herauszustreichen, wenn wir uns als fragilsten Faktor im System herausstellen? Die Anfangsthese meines Theaterprojektes Uncanny Valley ist, dass sich im Theater eine Frage stellen lässt, die die Gesellschaft in allen von Robotik bedrohten Arbeitsfeldern betrifft (und das sind ja bekanntlich alle). Warum nicht hier zur Robotik greifen, wo Wiederholbarkeit zur Bedingung von Genialität geworden ist: Im Repertoirebetrieb des deutschen Stadttheaters. Vor einem guten Jahr entstand die Idee, auf einer Bühne, wo Darsteller normalerweise scheinbar einmalige Aura ausstrahlen, einen Körper hinzusetzen, der ohne zu klagen immer wieder auftritt, um seinen eigenen Entstehungsprozess zu reflektieren: Einen künstlichen Klon, angetrieben durch Strom und DMX-Sig-nale.

Ich habe also gemeinsam mit dem Schriftsteller Thomas Melle eine Kopie von Thomas Melle erstellt. In der Maskenabteilung der Münchner Kammerspiele wurde der Schriftsteller in einer Prozedur, die — wie er selbst sagt — vergleichbar mit dem Abnehmen einer Totenmaske ist, in Silikon abgegossen. Es entstand eine künstliche Haut, die ihrem Original zum Verwechseln ähnlich sieht. Eine Berliner Mechatronik-Tüftler-Bude entwickelte gleichzeitig das Innenleben: ein Skelett aus maßgenau 3D-gedruckten Körperteilen, angetrieben durch 32 Servomotoren. Ein komplexes Unterfangen das zum Nachdenken übers Menschsein anregt — wie jedes Selbstportrait: egal ob Höhlenmalerei, Tuschezeichnung, Plastik oder Selfie. Um Körper künstlich zu reproduzieren, schaut man jedes Detail der Natur genau an. Allerlei Inspiration für das philosophisch versierte Original und seinen Text. Robotik kann alles, aber eben nur, wenn die Ingenieure wissen, was sie können soll. Ich als Regisseur musste mir plötzlich am Reißbrett ausdenken, was ich sonst Probe für Probe entwickle und verfeinere. Thomas Melle musste mitansehen, wie nach und nach eine zunächst recht klapprige Variante seiner selbst entstand. Denn — das ist wohl die erstaunlichste Erfahrung aus diesem Projekt — ein Humanoide ist eben alles andere als eine immaterielle Künstliche Intelligenz. Das Wort „Roboter“ löst ja oft Ängste vor Killermaschinen aus, die nicht nur schneller als wir rennen, schießen oder fliegen können, sondern auch noch jede Verletzung

Mit „Uncanny Valley“ (dt. unheimliches Tal) wird jenes Phänomen bezeichnet, bei dem Roboter von Menschen nicht umso mehr akzeptiert werden, je menschenähnlicher sie werden. Das Gegenteil ist zu beobachten: Je ähnlicher Roboter den Menschen werden, desto beklemmendere Gefühle lösen sie aus. Ein solches Unbehagen dürfte paradoxerweise erst dann aufhören, wenn Roboter und Menschen nicht mehr unterscheidbar sind. Stefan Kaegi, Regisseur und Mitbegründer des Theaterkollektivs Rimini Protokoll, hat sich mit dem Schriftsteller Thomas Melle in dieses unheimliche Tal begeben. Ein theatralischer Reisebericht.

medusengleich wegstecken. Unser Humanoide hatte dagegen während der Proben nervöse (elektronische) Zuckungen in den Fingerspitzen und brach sich schon nach der zweiten Vorstellung das Genick. Das wurde zwar in den zwei verbleibenden Stunden vor der Vorstellung repariert, löste aber nicht weniger Adrenalinschübe bei allen Beteiligten aus als Heiserkeit bei Opernsängern. Überhaupt: Selten habe ich so viel Angst um einen Darsteller gehabt. Kaum je so viel Empathie. Kein Wunder: Nie hatte ich so viel Zeit damit verbracht, einem Performer Wort für Wort das Sprechen beizubringen. Ihm auch noch die kleinste Regung seines Handgelenks in sekundengenauer Beschleunigungskurve vorzugeben. Kindererziehung stelle ich Nicht-Vater mir dagegen als ein Kinderspiel vor. Denn wie jeder Roboter kann auch dieser nur genau das, wofür er eben gebaut ist: Roboter in der Industrie können Autos bauen, aber niemanden umarmen, SchachBots können matt setzen, aber nicht kochen und so kann eben auch dieser Theaterroboter nicht töten oder lieben, sondern nur darstellen. Da aber nun unsere eigene Funktion — nicht nur im Theater, sondern auch im Büro, im Netz und im Familienalltag — zu großen Teilen darin besteht, uns selbst darzustellen, trifft der Roboter als Darsteller letztlich doch einen sensiblen Nerv seiner Zuschauer. Als Publikum sind sie nämlich darauf programmiert, sich mit dem da vorne zu identifizieren. Sie leiden mit. Einige haben Tränen in den Augen, andere beteuern mir, sie

hätten in unserem Humanoiden einen begabten Schauspieler bewundert, der seine Rolle als Roboter virtuos erfülle. Offenbar schafft es der Humanoide mit seinen Worten, seiner Mimik und einem sensiblen Tanz im Publikum jene Regungen auszulösen, die in ihnen bisher nur lebende Darsteller ausgelöst haben. Er schafft es in ihnen das Programm zu starten, das sie dazu bringt, selbst ein ganz normales Publikum darzustellen, das sich identifiziert und am Ende zwar zögerlich — aber dann doch — applaudiert. Dieser Applaus ist nämlich das eigentliche Ereignis. Es ist ein Applaus der erst gewohnheitsmäßig anschwillt, dann verunsichert abbricht, um dann doch gegen Ende des Abspanns nochmal wiederzukommen. Ein kleiner rebellischer Akt, der versucht, sich der Routine zu entziehen — um wenig später doch wieder in dieselbe zurückzufallen. Wie weit also sind wir bereit, für eine gesteigerte Effizienz zu gehen? Hilft uns Effizienz auch dann noch, wenn wir selbst gar nicht mehr dabei sind? Nach der Premiere jedenfalls wurde die mechatronische Kopie von Thomas Melle in einer Kiste mit martialisch justierter Halsbefestigung verstaut, während Thomas und ich uns zur Premierenparty aufmachten — mit einem schalen Gefühl von Mitleid, dem Leid also, ebendiese Emotion nicht mit der Kopie teilen zu können. Der Kopie also, die wir schufen, um nicht zu leiden. Dass der Humanoide dieses Gefühl nicht erwidert, gehört für ihn zu seiner Definition — und für uns zum unheimlichen Tal, das uns von ihm trennt.


Körperwende  — von Nam June Paik bis Hiroshi Ishiguro NRW-Forum Düsseldorf 29. 3.—5. 5. 2019

In Kooperation mit dem NRW-Forum Düsseldorf zeigt das tanzhaus nrw diese von Cis Bierinckx kuratierte Ausstellung im Rahmen von Hi Robot! Das Mensch Maschine Festival. Die vorgestellten künstlerischen Positionen verhandeln die Grenzen von Mensch und Maschine, von lebendigen, künstlichen und unbelebten Körpern. Es sind Videoausschnitte von Nam June Paiks nicht-menschlichem Aktionskünstler Robot K456 ebenso zu sehen wie Hiroshi Ishiguros humanoider Roboter Alter 3, der zur Eröffnung des Festivals Keiichiro Shibuyas Oper Scary Beauty dirigierte. Das Festival widmete sich

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vom �3.– 3�. 3. 20�9 den Körpern der Zukunft in den Künsten. In mehr als 20 Veranstaltungen sowie einer von der Medien- und Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser konzipierten Konferenz versammelte es Stimmen aus Tanz, Performance, bildender Kunst, Wissenschaft und Coding und fragte: Wieviel Roboter verträgt der Mensch? Ausstellungskonzept: Cis Bierinckx Künstlerinnen: Ivana Bašić, Nick Ervinck, Hiroshi Ishiguro, Erika Kiffl, Martina Menegon, Nam June Paik, Oscar Santillan und Pinar Yoldas.   www.hi-robot.de/koerperwende →

Hiroshi Ishiguro leitet das Intelligent Robotics Laboratory an der Universität Osaka in Japan, das weltweit eines der führenden Forschungsinstitute für Robotik ist. Er und sein Team entwickeln Androiden, die wie Menschen wirken sollen und als deren Stellvertreter agieren können. Ishiguro und sein Forschungskollege Shuichi Nishio sind überzeugt, dass Menschen durch Androiden mehr über sich erfahren können. In der Ausstellung Körperwende — von Nam June Paik bis Hiroshi Ishiguro, die aktuell im NRWForum Düsseldorf zu sehen ist, präsentiert Ishiguro seinen Opern dirigierenden Androiden Alter 3.

Als ich (Hiroshi Ishiguro, die Vorlage für HI-1) HI-1 zum ersten Mal sitzen sah, war es, als würde ich in einen Spiegel schauen. Als sich HI-1 jedoch bewegte, konnte ich mich selbst nicht erkennen. Das war seltsam, da wir meine Bewegungsabläufe nach HI-1 kopiert haben. Zudem sagten andere, die mich gut kennen, dass der Roboter meine Charakteristika zeige. Das bedeutet, dass wir unsere unbewussten Bewegungen nicht objektiv selbst erkennen.

Zwilling  oder K   opie? Wenn wir einen Androiden als einen sehr menschenähnlichen Roboter entwickeln könnten, wie würden wir, die Menschen, dann einen echten Menschen von einem Androiden ist im unterscheiden? Die Mechanismen im Inne- Wesentliren eines Androiden können wir nicht sehen, chen identisch daher kann man ihn leicht für einen Men- zu vorherigen Anschen halten. Das bedeutet, dass Menschen droiden. Unsere Aranhand ihres Organismus und ihres Äuße- beit an diesem Roboter ren definiert werden können. zielt jedoch darauf, dass Wir haben eine neue Gruppe von Robo- er nicht nur einer Person tern entwickelt: Geminoid. Der Begriff „Ge- ähnelt, sondern eine Kopie minoid“ setzt sich zusammen aus geminus dieser ist: Die Silikonhaut wur(lat.: Zwilling, doppelt) und oid (lat.), das de durch einen Abguss der reauf Ähnlichkeit hinweist. Analog zum Na- alen Person geformt, Hauttextumen ist ein Geminoid ein Roboter, der eine ren wurden auf der Grundlage von Kopie einer realen Person ist. Mit dieser MRT-Scans und Fotos manuell gePerson ist er über ein Computernetzwerk malt. Fünfzig pneumatische Stellverbunden. glieder steuern den Roboter so, dass Geminoide erweitern die Anwendungen er sich sanft und leise bewegt, was im der Androidenforschung. Androiden wur- Hinblick auf die Interaktion mit Menden für die Untersuchung der menschlichen schen eine wichtige Eigenschaft ist. Körperbewegungen wie etwa das Natur im Allgemeinen konzipiert. Mit Geminoiden können wir etwa Präsenz oder Per- Atmen oder Blinzeln sind bei jedem Mensönlichkeitsmerkmale untersuchen, deren schen zu beobachten, aber bei kaum eiHerkunft nachspüren und in Robotern im- nem Roboter. Um den Roboter natürlicher plementieren. Da Geminoide über ein au- wirken zu lassen, simuliert der Steuetonomes Programm ferngesteuert werden, rungsserver das menschliche autonome ermöglichen sie durch diese Trennung von System und erzeugt so solche MikrobeKörper und Geist auch Studien zu mensch- wegungen automatisch und abhängig vom lichen Eigenschaften. Beim Geminoid kann jeweiligen Interaktionszustand. Wenn der der Bediener (Geist) leicht ausgetauscht Roboter „spricht“, zeigt er andere Mikrobewerden, während der Roboter (Körper) wegungen als beim „Hören“. gleich bleibt. Der erste Geminoid-Prototyp, HI-1, wurDer aktuelle Geminoid-Prototyp, HI-1, de im Juli 2006 fertiggestellt. Seitdem besteht aus einem Roboter, einem zentralen fanden zahlreiche Versuche statt, bei deSteuerungsserver und einer Teleoperations- nen wir auf interessante Phänomene gestoSchnittstelle. Die Struktur des Roboters ßen sind:

Während ich HI-1 steuere, adaptiere ich meine Bewegungen unbewusst an die des Geminoids. Das aktuelle Geminoid kann sich weniger frei bewegen als ich. Ich fühlte, dass nicht nur das Geminoid, sondern auch mein eigener Körper auf den Bewegungsradius von HI-1 beschränkt ist.

In weniger als fünf Minuten können sich sowohl die Besucher als auch ich an das Gespräch durch das Geminoid anpassen. Die Besucher erkennen und akzeptieren das Geminoid als meinen Stellvertreter.

Wenn ein Besucher HI-1 insbesondere im Gesichtsbereich anstößt, fühle ich eindeutig diese Berührung. Dies ist merkwürdig, da das System derzeit keine taktilen Informationen an die reale Person übermittelt. Ich fühle dies allein durch das Beobachten der Monitore und die Interaktion mit dem Besucher. Wir haben die Besucher gefragt, wie sie die Interaktion durch das Geminoid empfinden. Die meisten erzählten, dass sie HI-1 bei der ersten Begegnung für eine reale Person (mitunter für Hiroshi Ishiguro) hielten. Erst bei genauerem Hinsehen erkannten sie, dass HI-1 ein Roboter war und wurden nervös. Dieses Gefühl löste sich auf, wenn sie sich dann auf das Gespräch durch HI-1 konzentrierten. Obwohl sie ursprünglich als Forschungsinstrument entwickelt wurden, könnten Geminoide die Einsatzbereiche von Robotern in der realen Welt erweitern. Die ferngesteuerten, teilautonomen Geminoide könnten beispielsweise als Ersatz für Angestellte verwendet werden. Reale Menschen müssten sie nur dann steuern, wenn untypische Reaktionen erforderlich sind. In den meisten Fällen wäre eine autonome KI-Reaktion ausreichend. Damit könnten wenige Menschen hunderte von Geminoiden kontrollieren.


Gleich zeitigkeiten Die diesjährige Ausgabe des Tanzkongresses liegt künstlerisch in den Händen der weltweit hochgeschätzten Choreografin Meg Stuart. Ihre Beobachtung ist, dass unsere Körper mehr als unsere Hirne wissen, sie haben längst gelernt, sich in multiplen Wirklichkeiten zu bewegen, gleichzeitig fleischlich-lebendige Körper und Avatare zu sein. Meg Stuart nutzt dieses Potenzial für ihre künstlerische Arbeit.

Tanzkongress 2019  — A Long Lasting Affair HELLERAU — Europäisches  Zentrum der Künste, Dresden 5.—10. 6. 2019 Nach vorbereitenden Salons weltweit und verschiedenen künstlerischen und diskursiven Formaten in der diesjährigen Gastgeberstadt Dresden kulminiert der Tanzkongress 20�9 in einer fünftägigen experimentellen Versammlung in HELLERAU. Unter der Leitung der international renommierten Choreografin Meg Stuart basiert der Kongress auf choreografischen und tänzerischen Überlegungen und begibt sich auf die Suche nach ihren Energien und ihren sozialen Potenzialen. Er knüpft an künstlerische Utopien von Gemeinschaft, Anarchie und Spiritualität an, wie sie der Veranstaltungsort — die Gartenstadt Hellerau — aber auch die künstlerische Exilkolonie Monte Verità in den �9�0er Jahren, die legendäre Abschlussparty des ersten Tänzerkongresses �927 in Magdeburg oder die Happenings der �960er Jahre in den USA verkörpern. In den letzten Jahren hat sich der Tanzkongress zu einer der wichtigsten Veranstaltungen, Netzwerktreffen und Reflexionsstätten der deutschen Tanzszene entwickelt. Die diesjährige Ausgabe veranstaltet die Kulturstiftung des Bundes in Kooperation mit HELLERAU — Europäisches Zentrum der Künste, dem Goethe-Institut sowie DIEHL+RITTER und wird durch die Landeshauptstadt Dresden und den Freistaat Sachsen unterstützt. Künstlerische Leitung: Meg Stuart →   www.tanzkongress2019.de

Die zeitgenössische Technik ist darauf ausgelegt, uns augenblicklich zueinander zu bringen. Wir sind so unauflöslich mit diesen Geräten verbunden — so verdrahtet, so an den Bildschirm gefesselt — dass es unmöglich scheint, eine wahrnehmende Distanz zur Idee der Zusammengehörigkeit herzustellen, die diese Geräte unterstellen und produzieren. Ständig werden wir von unserem Fernzusammensein gefordert, springt es uns an, werden wir von ihm benachrichtigt — über und mit unbekannten wie bekannten Menschen, gewünschtem oder unerwünschtem Zeug und ebensolchen Handlungen. Diese nachverfolgte algorithmisch Aufhäufung einer technischen Zusammengehörigkeit verlangt nicht nur nach unserer Aufmerksamkeit, sondern lässt uns auch beständig an unserer Verbindung zu dem Raum und dem Ort zweifeln, den unser physischer Körper einnimmt. Gehirn und Körper erfahren die Welt auf unterschiedliche Art und Weise. Ist aber die Unterbrechung wichtiger als die damit gegebene Interaktion? Diese zufällige Zusammensetzung aus Irritation und Überraschung hat mein Verständnis der Choreografie beeinflusst. Bei Violet (2012) schien es ganz natürlich, das Bewegungsmaterial der fünf Tänzerinnen und Tänzer aus dem Zufall heraus zu arrangieren. Die Eröffnungssequenz des Stücks, in der die Tänzerinnen und Tänzer sich individuell bewegen, habe ich immer mit vielen zu gleicher Zeit auf einem Computerbildschirm geöffneten Fenstern verglichen, oder mit Figuren in einem Videospiel, die ihr Potenzial und ihre Fertigkeiten erklären. Parallele Wirklichkeiten und Aufgaben verlangen gleichzeitig unsere Aufmerksamkeit. In Violet stehen die Tänzerinnen und Tänzer voneinander getrennt in einer Reihe. Es gibt keine klassisch-choreografische Idee des „unisono“. Was sie zusammenhält, ist die gemeinsame Aufgabe, energetische Muster zu formen. Sie tun dies jedoch auf sehr unterschiedliche Weise. Und wenn dies auf den ersten Blick sehr chaotisch und zufällig aussieht, die auf Einzelheiten von Schwingungen und Frequenzen ausgerichtete Aufmerksamkeit verbindet die Darsteller miteinander. Und das spürt das Publikum. Unsere Körper haben gelernt (oder wussten es die ganze Zeit), in multiplen Wirklichkeiten präsent, gleichzeitig fleischlich-lebendige Körper und virtuelle Avatars zu sein. Als Choreografin interessieren mich die Unzulänglichkeiten zwischen diesen körperlichen Wahrnehmungen, die Brüche und Dissonanzen. Und ebenso die Momente, in denen es tatsächlich funktioniert. Aus dem Englischen von Thomas Brückner

Dieser Körper Hülle, Fleisch und Blut, Ideal und Muskelpaket: Dieser oder jener Körper —  was waren sie, was können und werden sie nicht alles sein? Die kenianische Schriftstellerin Yvonne Adhiambo Owuor lässt das Wort „Körper“ durch ihre Gedanken und Erinnerungen mäandern und landet bei der Vergänglichkeit als dem technisch Unverfügbaren. Owuor ist derzeit Fellow im Wissenschaftskolleg Berlin und eine der drei Kuratorinnen des Festivals Membrane. African Literatures and Ideas.

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Schlage das Wort „Körper“ nach. Physischer Rahmen. Gruppe. Objekt mit Dimensionalität. Implikation der Berührbarkeit. Versuch zu einem Wesen. Es ist einfacher, sich auf den Ort seiner Qualen zurückzuziehen. Frau. Schriftstellerin, Wandernde, Zeugin, Wörter aufsaugend/besetzend, um dieser unangenehmen Frage Sinn zu verleihen: Was heißt es, Mensch zu sein, und das in einer Welt, in der Schlagworte wie „Künstliche Intelligenz“ und „Robotik“ zunehmend Aktualität erlangen? Was dauert fort? Eine Antwort: der Protagonist (und der Antagonist) Das uns. Immer. In jedem Augenblick heute mehr Gesten zu einer Erwiderung. Entdecke Drucke des irischen Bildhauers wieder. Dony Macmanus. Er behauptet auch heute noch allen Ernstes, dass der menschliche Körper den Ort bildet, an dem das Leben erfahren wird, der Sinn der Schöpfung. Ich vermute, dass er in diesem Zeitalter des Wandels an seiner Ansicht festhalten würde, angesichts des wahnwitzigen menschlichen Strebens danach, sie von sich selbst zu lösen und seine Fähigkeiten Dingen seiner Schöpfung zu übertragen, was meiner Ansicht nach zu einer rückwärtsgewandten Wiedereinsetzung der Anbetung des Goldenen Kalbs führt, mit dem einzigen Unterschied, dass das vergoldete Rindvieh heute ein Cyber-Homunkulus ist. Körper. In diesen Zeiten der Ungewissheit, der Trennung, des Überdrusses, der Bewunderung der Maschinen, des Cyber-dies und Techno-das … das Beständige.


Brave  New Bag Könnte sein, dass der „Bio-Bag“ der Cyborgisierung die Krone aufsetzt. Oder den größten anzunehmenden Gegenangriff in Gang setzt. Die Leipziger Schriftstellerin Bettina Wilpert veröffentlichte 2018 ihren ersten Roman nichts, was uns passiert im Verbrecher Verlag und erhielt auf Anhieb mehrere Auszeichnungen, darunter den aspekte-Literaturpreis.

da Beep. Beep. Beep. Manchmal ist der „Körper“ so dinglich erfahrDie Menschen haben schon längst Ma- bar wie das Wort „Tod“. Und Tränen. schinen entfremdet, um die Bedeutung des Seins zu erweitern. Später wird die Nichte an Onkel Charlies Sarg stehen, um sich von ihm zu verabschieUnd wenn ich blinzele, werde ich wieder an den. Und ihr wird des Onkels verstummter das Grundlegende erinnert, an das Sein, an Körper auffallen. Im Anzug. Ihre Augen werden Tod. den auf seinem Gesicht verweilen. Sie wird Körper aus Wasser. die Totenstille des Körpers/der Hülle bemerMenschlicher Körper. ken. Und sie wird mit absoluter, augenblickKarosse. licher, kindlicher Sicherheit begreifen: „Aha! Körper mit Gedächtnisavataren. Das ist nur ein Kostüm.“ Einzelner Körper. Gedanke. Name: Onkel Charlie. Aber wie es mit allen Dingen in VergangenEr war so ein Onkel, wie ihn jedes Kind heit, Gegenwart und Zukunft ist … Ephemer. haben sollte; märchenhaft, ein Freudenspen Aus dem Englischen von der, Träger von Beruhigung, des Lachens, von Thomas Brückner bedingungsloser Zuneigung. Ein geliebter Onkel, von dem ein Kind weiß, dass er für immer leben muss. Für immer. Der, wenn er auftaucht, den großen Körper in seinem schicken Anzug, immer Geschenke und Lachen dabei hat und seinen Mantel ablegt, um mit seinen Nichten auf Bäume und Dächer zu klettern. Bis eine Nichte eines Tages zum ersten Mal im Leben jenes Wort hört: Krebs, und es bezieht sich auf Onkel Charlie. Die Erwachsenen reden nicht. Die Maschinen im Krankenhaus aber, an die der Onkel angeschlossen ist, sie piepen, schnaufen, gurgeln. Sprache? Und schon bald wird das Kind erkennen, dass der Krebs ein fürchterlicher Eindringling ist, der den Körper eines geliebten Onkels verzehrt und schluchzende Tränen weinen lässt und unzählige Herzen bricht; dass nicht einmal Literaturhaus Stuttgart 23.—26. 5. 2019 die piependen Maschinen ihn daran hindern können, Onkel den Atem zu stehlen. Eine Membran ist so zart wie unauffällig: Sie bezeichnet eine dünne Haut, die durchlässig für Flüssigkeiten und Gase

Membrane. African Literatures and Ideas

13 Es gibt Dinge, die meine Vorstellungsgrenzen sprengen: dass Strom Licht produziert; dass ich in die Vergangenheit blicke, wenn ich nachts den Kopf in den Nacken lege und in die Sterne schaue; dass in diesem, meinem Körper, ein Lebewesen wachsen können soll; dass dieses Lebewesen aus meiner Vagina kommen soll. Ich bin noch keine Mutter und habe bereits Angst, als Mutter zu versagen. Eine unvollständige Liste: Rückgang der Müttersterblichkeitsrate, Rückgang der Sternenkinder, Kaiserschnitt, Abtreibung, künstliche Befruchtung, Pränataldiagnostik, Leihmutterschaft. 2017 gelang es Forscherinnen der Universität Philadelphia, frühgeborene Lämmer in einer Art künstlicher Gebärmutter heranwachsen zu lassen. „Bio-Bag“ nennen die Mediziner, was aussieht wie ein riesiger Gefrierbeutel, in dem das Lamm liegt, ein zentraler Schlauch scheint die Nabelschnur zu imitieren. Bis jetzt entwickeln sich menschliche Frühchen, die drei bis acht Wochen vor dem errechneten Geburtstermin geboren werden, ohne Komplikationen. Die 23. Schwangerschaftswoche bildet heute die Grenze des Möglichen. Das Bio-Bag kann helfen, dass eines Tages Babys, die vor diesem kritischen Zeitpunkt geboren werden, überleben können. Es ist ein Schritt hin zur Entwicklung der künstlichen Gebärmutter; Schwangerschaft könnte schließlich vollständig auf Maschinen ausgelagert werden. Ich habe Angst vor einer Schwangerschaft, plötzlich wären da nur ich und mein Körper, der noch mehr als sonst verurteilt werden könnte (Warum trinkt sie ein Glas Sekt? Ist es wirklich gut, wenn sie so viel Zucker isst?). Die gleichberechtigte Beziehung, die mein Partner und ich geführt haben, wäre vorbei. Nun wäre es so klar: Da ist ein Mann und eine Frau und ein Körper. Die Idee einer künstlichen Gebärmutter gebiert Träume. Ich stelle mir vor: Ich trinke, esse, feiere, wie ich will, lasse nichts sein; mein Partner und ich ziehen das Kind von Beginn an gleichberechtigt auf, es hat zu

uns beiden eine gleich enge Bindung; meine homosexuellen Freundinnen und Freunde können leichter Kinder bekommen; auch alleinstehende Personen haben es einfacher. Es wird sich ändern: Die Familie als kleinste Zelle des Staates hat ausgedient; wir streichen Rabenmutter, eines der deutschesten Wörter, aus dem Sprachgebrauch. Wir konzentrieren uns auf die Lust und führen neue Wörter ein: Circlusion und Vulvalippen. Die Einteilung in Geschlechter ist obsolet geworden. Was würden wir verlieren: Welche Rituale, an die der biologische Imperativ uns knüpft? Rechte Männergruppen sagen: Wir brauchen keine Frauen mehr. Im schlimmsten Fall eine Brave New World: Perfekt programmierbare Retortenbabys nach Alter, Geschlecht, Intelligenz, Kraft. Devianz ist ausgelöscht. Und: Können sich dann nur die Reichen das perfekte Baby, überhaupt ein Baby leisten? Was würde ich verlieren: Möchte ich nicht diesen kleinen Menschen in mir aufwachsen spüren? Spüren, wie ein kleiner Fuß gegen meinen Bauch tritt? Will ich nicht die Erfahrung einer Geburt machen? Diesen Schmerz fühlen. Dieses sogenannte Bonding zwischen Mutter und Kind – wäre es verschwunden? Würde mir alles, was meine feministischen Schwestern in den letzten Jahrzehnten erkämpft haben, genommen werden: Die Freiheit zu entscheiden? Die Freiheit keine Kinder zu bekommen? Die Lämmer aus dem Bio-Bag konnten teilweise ohne Hilfe atmen, doch wie sie sich weiterentwickelt hätten, ist unklar. Für weitere Untersuchungen wurden sie eingeschläfert. Was wäre aus Ihnen geworden? Was passiert mit Babys, die in einem sterilen Labor wachsen? Was bekommen Babys in der Schwangerschaft mit? Würden wir mit künstlichen Gebärmüttern eine Armada egomaner, soziophober Kinder heranzüchten, die sich in ihre Aquarien verlieben und Musik am liebsten rückwärts hören?

ist. Durchlässigkeit im Denken, Sprechen und Handeln stellt der senegalesische Wirtschaftswissenschaftler und Autor Felwine Sarr als eine Grundbedingung von Veränderung heraus, die in Zeiten erstarkender Nationalismen, wachsender Ausgrenzungen und Rassismen in Europa mehr denn je notwendig ist. Zusammen mit dem Espace Culturel Gambidi in Ouagadougou (Burkina Faso) präsentieren das Literaturhaus Stuttgart, das Institut Français und die Akademie Schloss Solitude unter dem Titel Membrane. African Literatures and Ideas ein internationales Festival über Literaturen aus Afrika, das die-

se Durchlässigkeit zum Thema macht. Das Festival wird im Fonds TURN gefördert und findet an verschiedenen Orten in Stuttgart sowie in Ouagadougou statt. Das Programm setzt sich zusammen aus Lesungen, Gesprächen, Interventionen und Vorträgen sowie einer Ausstellung, Konzerten und einem deutsch-kamerunischen ComicBriefwechsel. Kuratoren: Nadja Ofuatey-Alazard,   vonne Adhiambo Owuor, Felwine Sarr Y Projektleitung: Annette Bühler-Dietrich Autorinnen: Taiye Selasi, Sharon Dodua Otoo, Souleymane Bachir Diagne, Léonora Miano, Mohamed Amjahid u. a.   www.literaturhaus-stuttgart.de →


Einreichtermine für antragsgebundene Förderung 1. 7. 2019

F   onds Digital

Für den digitalen Wandel in Kulturinstitutionen

31. 7. 2019 Allgemeine Projektförderung 31. 8. 2019 Fonds hochdrei Stadtbibliotheken  verändern

#gefördert Aktuelles aus der Stiftung

Vom Stiftungsrat in seiner jüngsten Sitzung am 5. Dezember 2018 bewilligt 360°

Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft

In der zweiten und letzten Förderrunde des Fonds 360° erhalten 22 weitere Institutionen jeweils bis zu 360.000 Euro. Mit dem 20�6 ins Leben gerufenen Programm werden Kultureinrichtungen darin unterstützt, Einwanderung und kulturelle Vielfalt als chancenreiches Zukunftsthema aktiv in das eigene Haus und in die Stadtgesellschaft zu tragen. Zur Gruppe der neu Geförderten gehören zehn Museen, acht Theater, drei Bibliotheken sowie ein Symphonieorchester, u.a. das Badische Staatstheater Karlsruhe und das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin, die Münchner Stadtbibliothek sowie die Ernst-Abbe-Bibliothek Jena, das Kleist-Museum Frankfurt (Oder), das Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg sowie das Rautenstrauch-Joest-Museum Köln sowie die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland. Die Institutionen werden bei der Zusammenarbeit mit migrantischen Organisationen, der Entwicklung neuer Teilhabekonzepte und der interkulturellen Organisationsentwicklung von sogenannten Agenten unterstützt.

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→ www.kulturstiftung-bund.de/ 360

Ensemble Modern Seit 2004 fördert die Kulturstiftung des Bundes das in Frankfurt am Main ansässige Ensemble Modern als einen ihrer kulturellen Leuchttürme. Anlässlich seines 40jährigen Gründungsjubiläums im  Jahr 2020 will es in einem ganzjährigen  Zyklus den Facettenreichtum seines musikalischen Wirkens, mit dem es zur treibenden Kraft der jüngeren Musikgeschichte wurde, im In- und Ausland präsentieren. Der Zyklus rückt charakteristische Aspekte des Ensembles in den Vordergrund: die intensive Zusammenarbeit mit Komponisten, die Suche nach Aufführungsformen und -orten, in denen Werk und Ensemble neu erlebbar werden oder die Skalierbarkeit der Orchesterbesetzung. Die Kulturstiftung des Bundes fördert das Jubiläumsprogramm mit zusätzlich 400.000 Euro. Das umfangreiche Programm, u.a. mit Heiner Goebbels’ Stück Schwarz auf Weiß, Les Espaces Acoustique von Gérard Grisey sowie dem Konzertprojekt Anton Webern und das ��. Jahrhundert und Black Voices in Contemporary Music wird ab Herbst 20�9 bekanntgegeben. → kulturstiftung-des-bundes.de/ ensemblemodern


Nachrichten aus den Programmen

Die neuesten Entscheidungen der Fachjurys in den Fonds D   oppelpass

Fonds für Kooperationen im Theater

Mit dem Programm unterstützt die Kulturstiftung des Bundes bereits seit 20�� Kooperationen zwischen freien Gruppen und festen Tanz- und Theaterhäusern. Die Doppelpass-Jury hat auf ihrer jüngsten Sitzung weitere 15 Projekte mit einem Fördervolumen von 3,6 Mio. Euro empfohlen, darunter vier Opern- und zwei Musikvorhaben, wie z.B. das Projekt des Solistenensembles Kaleidoskop mit der Staatsoper Hannover und HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste. Über die Hälfte der Projekte kooperiert mit einem europäischen Partnerhaus, so z.B. arbeitet das freie Theaterkollektiv Futur3 mit der Neuen Bühne Senftenberg und dem Teatre Lesya Ukrainka zusammen. → www.kulturstiftung-bund.de/ doppelpass

Fonds hochdrei Der antragsoffene Fonds hochdrei – Stadtbibliotheken verändern fördert innovative Projekte, die dazu beitragen, Bibliotheken als teilhabeorientierte und kooperationsfreudige Kulturorte zu etablieren. Die Jury des Fonds hochdrei hat jetzt erste beispielhafte Projekte für eine Förderung empfohlen: Die Öffentlichen Bibliotheken in Leipzig, Bremerhaven, Adendorf, Berlin Tempelhof-Schöneberg, Ludwigsburg, Warendorf und Weißenfels werden mit neuen Konzepten die Öffnung der Bibliotheken in die Stadtgesellschaft betreiben. Der Antragsschluss für die nächste Förderrunde ist der 31. August 2019.

Bauhaus 2019

Museum Global

Kultur Digital

Anlässlich der Gründung des Bauhaus vor �00 Jahren fördert die Kulturstiftung mit �7,2 Mio. Euro das Programm Bauhaus 20�9. Zu den Höhepunkten des Jubiläumsjahres gehören die Ausstellungen an den historischen Bauhaus-Standorten. Das Bauhaus Museum Weimar stellt neben Designikonen und bislang nicht gezeigten Zeitdokumenten die großen Fragestellungen, Utopien und Experimente zur Lebensgestaltung des frühen Bauhauses und der zwanziger Jahre in den Mittelpunkt. Das Bauhaus-Archiv Berlin / Museum für Gestaltung fragt mit seiner Schau original bauhaus in der Berlinischen Galerie Was ist typisch Bauhaus? und die Stiftung Bauhaus Dessau gibt mit Versuchsstätte Bauhaus u.a. Einblicke in den Alltag des Lernens und der Lehre an der Hochschule für Gestaltung. Ein weiterer Höhepunkt im Jubiläumsjahr ist die Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe bauhaus imaginista zur Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte des Bauhaus. Sie vereint ab März 20�9 in einer großen Gesamtschau in Berlin vier einzelne Ausstellungskapitel, die zuvor in Japan, China, Russland und Brasilien zu sehen waren.

Im Rahmen des Programms Museum Global der Kulturstiftung des Bundes befragen mehrere deutsche Kunstmuseen kritisch ihre Sammlungen und damit einen westlichen Kanon der Moderne. Nachdem das MMK in Frankfurt, die Nationalgalerie in Berlin und die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf ihre Projekte abgeschlossen haben, wird eine Konferenz Zwischenbilanz ziehen: Welche Folgen hat Museum Global für die Institutionen? Wie werden die Projekte in der öffentlichen Debatte verortet? Planen die Museen, ihre Ausrichtungen nachhaltig zu verändern und welche Herausforderungen ergeben sich daraus? Wie können sich Museen langfristig international vernetzen und was können sie dabei von Künstlern lernen?

Die Antragsfrist im Fonds Digital — Für den digitalen Wandel in Kulturinstitutionen läuft: Einsendeschluss ist der 1. Juli 2019. Der Fonds Digital richtet sich an öffentlich geförderte Kulturinstitutionen aller künstlerischen Sparten, die bereits digitale Strategien entwickelt und digitale Angebote erprobt und umgesetzt haben. Gefördert werden Vorhaben in den Bereichen digitales Kuratieren, digitale künstlerische Produktion, Vermittlung und Kommunikation. Verbünde aus mindestens zwei Häusern können sich im Fonds Digital bewerben. Informationen z  u Förderbedingungen und Antragstellung finden Sie auf unserer Website. Am �8. Mai 20�9 findet die Preisverleihung des Kultur-Hackathon Coding da Vinci Süd in Nürnberg statt. Mit der Unterstützung von bis zu acht Kultur-Hackathons möchte die Kulturstiftung des Bundes weniger erfahrenen Kulturinstitutionen Einblicke in die Möglichkeiten digitaler Technologien bieten.

Das Bauhaus kommt aus Weimar, ab �. �. 20�9, Bauhaus Museum Weimar original bauhaus, �. �. 20�9 – 27. �. 2020, Berlinische Galerie, Berlin Versuchsstätte Bauhaus, ab �. �. 20�9, Bauhaus Museum Dessau

→ www.kulturstiftung-bund.de/ bauhaus-20�9

World Cinema Fund Bei der diesjährigen 69. Berlinale feierten erneut vom World Cinema Fund (WCF) geförderte Filme große Erfolge: Das Langfilmdebüt des sudanesischen Regisseurs Suhaib Gasmelbari, Talking about Trees, wurde mit dem Dokumentarfilmpreis sowie dem Panorama-Publikumspreis in der Kategorie Dokumentarfilm ausgezeichnet. Breve Historia del planeta verde des Argentiniers Santiago Loza erhielt den TEDDY Award. Der World Cinema Fund, ein Initiativprojekt der Berlinale und der Kulturstiftung des Bundes, unterstützt sowohl die Produktion von Filmen aus Ländern, in denen die Filmindustrie nur schwach ausgebildet ist, als auch den Verleih dieser Filme an Kinos in Deutschland. Seit seiner Gründung im Jahr 2004 förderte der WCF mehr als 200 Filme und Projekte.

→ www.kulturstiftung-bund.de/ hochdrei

→ kulturstiftung-des-bundes.de/ worldcinemafund

Konferenz Global Museum: Where do we go from here? / Museum Global: Wie geht es weiter? Hamburger Bahnhof — Museum für Gegenwart Berlin, 30. 9. 20�9 – �. �0. 20�9

→ www.kulturstiftung-bund.de/ museumglobal

→ www.kulturstiftung-bund.de/ kulturdigital

RomArchive RomArchive, das Digitale Archiv der Sinti und Roma, präsentiert seit Ende Januar internationale künstlerische Produktionen von Sinti und Roma als Teil der europäischen Kulturgeschichte. Erstmals wurde eine derart umfangreiche Sammlung zusammengetragen, die derzeit etwa 5.000 Objekte aus zehn Archivbereichen umfasst: Bildende Kunst, Film, Flamenco, Literatur, Musik, Tanz, Theater und Drama, Bilderpolitik, Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma sowie Holocaust („Voices of the Victims“). Die Objekte konzentrieren sich auf die Selbstrepräsentation von Roma und Sinti und stammen aus Privatsammlungen, Museen, Archiven und Bibliotheken weltweit. → www.romarchive.eu

Stadtgefährten

Fonds für Stadtmuseen

Ausgestattet mit 6,5 Mio. Euro fördert der Fonds Stadtgefährten seit 20�5 insgesamt 38 Vorhaben. Das Projekt StadtMuseum inklusive: beteiligen, nicht behindern! des Stadt- und Industriemuseums Rüsselsheim, eines von �3 bereits abgeschlossenen Projekten der ersten Förderrunde, wird als fünfjähriges Modellprojekt der Stadt Rüsselsheim fortgesetzt. Das Museum wird sich gemeinsam mit anderen Einrichtungen und Trägern aus der Behindertenhilfe für inklusive Kulturarbeit auf regionaler Ebene engagieren. Zudem will es seine museumspädagogischen Aktivitäten ausweiten und weiterentwickeln. Im Rahmen des Projektes ist die Publikation Museum und Inklusion. Kreative Wege zur kulturellen Teilhabe im transcript Verlag erschienen. → www.kulturstiftung-bund.de/ stadtmuseum

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hochdrei

Stadtbibliotheken verändern Vier Studienreisen führen von März bis Juni 20�9 im Programmmodul hochdrei   Tandem zu beispielhaften dänischen — und niederländischen Bibliotheken. Diese haben den Ruf ausgesprochen teilhabeorientierte und kooperationsfreudige Kulturorte zu sein und gelten als besonders zukunftsorientiert. An den Exkursionen nehmen je neun Tandems teil, bestehend aus Bibliotheksleitungen sowie z.B. Bürgermeisterinnen oder Kulturdezernenten. Zudem finden eine Reihe offener Veranstaltungen im Programmmodul hochdrei – Werkstatt ab Sommer 20�� statt. Die Termine werden auf unserer Website angekündigt. Die Kulturstiftung des Bundes fördert das Programm hochdrei in den Jahren 20�� bis 2022 mit insgesamt 5,6 Mio. Euro. → www.kulturstiftung-bund.de/ hochdrei


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Kulturstiftung des Bundes Stiftungsrat

Stiftungsbeirat

Die Stiftung

Der Stiftungsrat trifft die Leitentscheidungen für die inhaltliche Ausrichtung, insbesondere die Schwerpunkte der Förderung und die Struktur der Kulturstiftung. Der aus 14 Mitgliedern bestehende Stiftungsrat spiegelt die bei der Errichtung der Stiftung maßgebenden Ebenen der politischen Willensbildung wider. Die Amtszeit der Mitglieder des Stiftungsrates beträgt fünf Jahre.

Der Stiftungsbeirat gibt Empfehlungen zu den inhaltlichen Schwerpunkten der Stiftungstätigkeit. In ihm sind Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik vertreten.

Vorstand Hortensia Völckers Künstlerische Direktorin Alexander Farenholtz Verwaltungsdirektor

Vorsitzende des Stiftungsrates Prof. Monika Grütters Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien für das Auswärtige Amt Michelle Müntefering Staatsministerin für internationale Kulturpolitik für das Bundesministerium der Finanzen Bettina Hagedorn Parlamentarische Staatssekretärin für den Deutschen Bundestag Prof. Dr. Norbert Lammert Bundestagspräsident a.D. Burkhard Blienert Entsandter des Deutschen Bundestags Marco Wanderwitz Bundestagsabgeordneter als Vertreter der Länder Rainer Robra Staats- und Kulturminister, Chef der Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt Dr. Eva-Maria Stange Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst des Freistaates Sachsen als Vertreter der Kommunen Klaus Hebborn Beigeordneter, Deutscher Städtetag Uwe Lübking Beigeordneter, Deutscher Städteund Gemeindebund als Vorsitzender des Stiftungsrats der Kulturstiftung der Länder Dr. Peter Tschentscher Erster Bürgermeister und Präsident des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg

Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann Präsident des Goethe-Instituts, Vorsitzender des Stiftungsbeirats Prof. Markus Hilgert Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder Prof. Ulrich Khuon Präsident des Deutschen Bühnenvereins Prof. Dr. Eckart Köhne Präsident des Deutschen Museumsbunds Prof. Martin Maria Krüger Präsident des Deutschen Musikrats Dr. Franziska Nentwig Geschäftsführerin des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft im BDI e.V. Regula Venske Präsidentin PEN-Zentrum Deutschland, stellvertretende Vorsitzende des Stiftungsbeirats Frank Werneke Stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di Olaf Zimmermann Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats

Jurys und Kuratorien Rund 50 Experten aus Wissenschaft, Forschung und Kunst beraten die Kulturstiftung des Bundes in verschiedenen fach- und themenspezifischen Jurys und Kuratorien. Weitere Informationen zu diesen Gremien finden Sie auf unserer Website unter www.kulturstiftung-bund.de bei den entsprechenden Projekten.

Sekretariate Beatrix Kluge, Beate Ollesch (Büro Berlin), Christine Werner, Sabrina Bachmann Referent des Vorstands Dr. Lutz Nitsche Justitiariat / Vertragsabteilung Christian Plodeck (Justitiar), Marius Bunk, Alexandra Kluschke, Anja Petzold, Lina Schaper Kommunikation Friederike Tappe-Hornbostel (Leitung), Sabine Eckardt, Tinatin Eppmann, Bijan Kafi, Juliane Köber, Julia Mai, Anja Piske, Arite Studier Förderung und Programme Kirsten Haß (Leitung), Dr. Marie Cathleen Haff (Leitung Allgemeine Projektförderung), Dr. Sebastian Brünger, Teresa Darian, Anne Fleckstein, Antonia Lahmé, Marie-Kristin Meier, Carl Philipp Nies, Uta Schnell, Hassan Soilihi Mzé, Max Upravitelev, Friederike Zobel, Anna Zosik Programm-Management und Evaluation Ursula Bongaerts (Leitung), Anja Bauer, Lucie Chwaszcza, Marcel Gärtner, Katrin Gayda, Bärbel Hejkal, Sarah Holstein, Constanze Kaplick, Steffi Khazhueva, Laura Klopf, Anja Lehmann, Dörte Koch, Richard Sachse, Saskia Seidel, Anne-Kathrin Szabó, Antje Wagner Projektprüfung Steffen Schille (Leitung), Franziska Gollub, Frank Lehmann, Fabian Märtin Verwaltung Andreas Heimann (Leitung), Margit Ducke, Maik Jacob, Steffen Rothe Auszubildender Basel Khadir Omar

als Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur Prof. Dr. Bénédicte Savoy Professorin für Kunstgeschichte Dr. Hartwig Fischer Direktor des British Museum Prof. Dr. Dr. h.c. Wolf Lepenies Soziologe

Das Magazin

Impressum

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Vorstand Hortensia Völckers / Alexander Farenholtz (verantwortlich für den Inhalt) Redaktion Friederike Tappe-Hornbostel Schlussredaktion Anja Piske Gestaltung Bureau David Voss

Wir verwenden in unsystematischer Abfolge mal die grammatisch männliche, mal die weibliche Form bei personenbezogenen Substantiven im Plural. Wir legen Wert darauf, dass in allen Fällen Menschen jedweden Geschlechts ( m/w/d ) gemeint oder angesprochen sind. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Die Kulturstiftung des Bundes wird gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.

Schriften Dialogue von Manuel von Gebhardi Gaisyr von Dinamo Bildnachweis Heimo Zobernig

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Lithografie Marius Brüggen

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Redaktionsschluss 1. März 2019 Auflage 26.000

→     Heimo Zobernig Mehr zur Bildstrecke auf Seite 8







PROJEKTE Die interdisziplinäre Jury der Allgemeinen Projektförderung hat auf ihrer letzten Sitzung im Herbst 2018 30 neue Förderprojekte ausgewählt. Die Fördersumme beträgt insgesamt 4,7 Mio. Euro.

Die Mitglieder der Jury sind: Dr. Manuel Gogos, Autor und Ausstellungsmacher / Björn Gottstein, Leiter der Donaueschinger Musiktage / Bart van der Heide, Freier Kurator / Sabine Himmelsbach, Leiterin Haus für elektronische Künste Basel / Wolfgang Hörner, Leiter des Verlags Galiani Berlin / Prof. Dr. Gerald Siegmund, Direktor des Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft der Universität Gießen / Susanne Titz, Direktorin des Museums Abteiberg in Mönchengladbach / Almut Wagner, Geschäftsführende Dramaturgin Schauspiel am Theater Basel

Bild & Raum

Fotografinnen an der Front Von Lee Miller bis Anja Niedringhaus Männliche Kriegsfotografen wie Robert Capa oder James Nachtwey prägen das öffentliche Bild militärischer Konflikte. Die Geschichte der in Konfliktgebieten tätigen Fotografinnen wurde demgegenüber noch nicht nachgezeichnet, obwohl die Schicksale, von denen ihre Bilder erzählen, unsere Wahrnehmung vom Krieg ebenso stark beeinflusst haben. Denn im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen erhielten die Fotografinnen häufig uneingeschränkten Zugang zu Familien und Betroffenen. Viele ihrer Bildwerke spiegeln daher die menschliche Dimension des Krieges in besonderer Unmittelbarkeit wider. Das Museum Kunstpalast Düsseldorf präsentiert im Rahmen seiner Ausstellung rund 120 Bilder von Fotografinnen aus 80 Jahren Konfliktgeschichte. Darunter finden sich sowohl intime Einblicke in den Alltag von Kriegsteilnehmern wie auch Zeugnisse von Gräueltaten und der allgegenwärtigen Absurdität bewaffneter Konflikte wie des Zweiten Weltkriegs oder des Vietnamkriegs. →     www.kunstpalast.de Kuratorinnen: Anne-Marie Beckmann, Felicity Korn Fotografinnen: Carolyn Cole, Françoise Demulder, Catherine Leroy, Susan Meiselas Lee Miller, Anja Niedringhaus, Christine Spengler, Gerda Taro Kunstpalast, Düsseldorf: �. �.– �0. �. 20�9

Up in Arms Das Ausstellungs- und Rechercheprojekt nimmt die international expandierende Rüstungsindustrie zum Ausgangspunkt für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Waffenhandel. Das kuratorische Team kombiniert künstlerische Arbeiten, aktivistische Praxis und wissenschaftliche Forschung, um Mechanismen und Ambivalenzen des Waffengeschäfts offenzulegen und das öffentliche Bewusstsein für das Thema zu schärfen. Die Ausstellung zeigt zeitgenössische und historische Werke u. a. von Jill Gibbon, Dani Ploeger, Hiwa K und John Heartfield, die etwa Exportwege von Rüstungsgut nachzeichnen, Digitalisierung im militärischen Kontext thematisieren oder Verknüpfungen von Krieg und Kapitalismus beleuchten. Die Waffenexporte Deutschlands und damit einhergehende Debatten stellen inhaltlich die zweite Säule des Projekts dar: Öffentliche Führungen im Berliner Stadtraum und interaktives Kartenmaterial auf der Projektwebsite leiten zu Orten in der Hauptstadt, die für das weltweite Rüstungsgeschäft von Bedeutung sind, darunter Büros großer Konzerne und ehemalige Produktionsstätten. →     www.ngbk.de Künstlerische Leitung: Ayse Güngor, Cassandra Mehlhorn, Amalie Solling-Jorgensen, Johanna Werner, Gabriela Seith Künstler: Jill Gibbon, John Heartfield, Sonia Hedstrand, Hiwa K, Peter Kennard, Dani Ploeger, Julian Röder, Constantine Zlatev u. a. In Kooperation mit Kunstraum Kreuzberg / Bethanien sowie Adopt a Revolution, Aktion Aufschrei­ — Stoppt den Waffenhandel!, Global Net — Stop the Arms Trade, LobbyControl, urgewald nGbK (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst), Berlin: 28. �.– �5. �2. 20�9

Nil Yalter. Exile  is a Hard Job Eine Überblicksausstellung der Künstlerin Nil Yalter In den Arbeiten der heute 80-jährigen Künstlerin Nil Yalter spielen feministische Anliegen und das Thema Migration eine herausragende Rolle. Die türkische Künstlerin hat selbst einen Migrationshintergrund: 1938 in Kairo geboren, ist sie in Istanbul aufgewachsen und lebt heute in Paris. Sie gilt als Pionierin einer gesellschaftlich engagierten und technisch avancierten Kunst. Yalters künstlerische Arbeiten sind oft kritische Auseinandersetzungen mit politischen Situationen wie dem Alltag in Frauengefängnissen, der Lebenssituation von Analphabetinnen und Gastarbeiterinnen. Das Museum Ludwig präsentiert erstmals einen Überblick über ihr gesamtes Werk. In enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin entsteht eine Präsentation auf mehr als eintausend Quadratmetern. Zudem ist ihre Arbeit Exile Is A Hard Job außerhalb des Museums in verschiedenen Kölner Stadtvierteln installiert. Die Posterarbeit wird in die Sprachen übersetzt, die im jeweiligen Stadtviertel bevorzugt gesprochen werden und gemeinsam mit den Bewohnern in einem partizipativen Prozess installiert. →     www.museum-ludwig.de Kuratorin: Rita Kersting Künstlerin: Nil Yalter Autorinnen für den Katalog: Övül Ö. Durmuş oğ lu, Fabienne Dumont, Rita Kersting  Museum Ludwig, Köln: �. �.– �. �. 20�9

Eija-Liisa Ahtila smart as photography  — be an artist  today Skulptur in Zeiten des (Post)Humanismus  (AT)

Die Werke der finnischen Künstlerin und Filmemacherin Eija-Liisa Ahtila erzählen von zwischenmenschlichen Beziehungen, emotionalen Ausnahmesituationen, Sexualität, Psychosen und unserer Beziehung zur Natur. Sie entwirft ihre Filme zumeist als audiovisuelle Installationen im Raum. Die Ausstellung gibt einen repräsentativen Einblick in Ahtilas Werk der letzten 20 Jahre — von den frühen Monitorinstallationen über Multiprojektions-Räume, Filme, Fotografien und Zeichnungen bis hin zu ihren aktuellen skulpturalen Medieninstallationen. Im Zentrum stehen ihre Arbeiten der letzten zehn Jahre. In ihnen beschäftigt sie sich mit Theorien des Posthumanismus, stellt gewohnte Vorstellungen vom Menschsein in Frage und erforscht Möglichkeiten einer alternativen Welterfahrung. Beispielsweise lässt sie in Studies on the Ecology of Drama Schauspieler in die Rolle von Tieren und Pflanzen schlüpfen. So führt sie den Betrachter Schritt für Schritt aus seinen anthropozentrischen Gewissheiten heraus und präsentiert spielerische Übungen einer neuen Wahrnehmung. Mit ihren Versuchsanordnungen arbeitet Ahtila daran, das Potenzial der menschlichen Sinne so zu erweitern, dass eine Sensibilität für andere Formen des Lebens entsteht und ein neues Verständnis des Miteinanders von belebter und unbelebter Umwelt. →     www.lehmbruckmuseum.de Künstlerische Leitung: Söke Dinkla Künstlerin: Eija-Liisa Ahtila Lehmbruck Museum, Duisburg: 28. �. 20�9 – 26. �. 2020

V   ergessene Aufklärungen Unbekannte Geschichten über den Islam in der zeitgenössischen Kunst Die Berichterstattung in Europa vermittelt häufig ein Bild des Islam, das von Terror, religiösem Fundamentalismus und Rückwärtsgewandtheit geprägt ist. Islam und Aufklärung scheinen Gegensätze zu sein. Die Ausstellung will dazu beitragen, eine solche vereinfachende und unhistorische Sichtweise zu hinterfragen. Sie untersucht Bezüge zwischen dem Islam und den Werten der Aufklärung und erkundet im Medium der Kunst diesbezügliche Konvergenzen von Orient und Okzident. Ihr Interesse gilt der Bedeutung des reichhaltigen islamischen Erbes für die zeitgenössische Kunst: Wie beziehen sich Künstler auf klassische Formen islamischer Kunst? Welche Rolle spielt das Bilderverbot? Wie verbindet sich Spiritualität mit aktuellen ästhetischen und sozialen Themen? Für die Ausstellung kooperiert die Halle 14 mit Kuratoren aus Ägypten und der Türkei, wie der unabhängigen künstlerischen Initiative Out of the Circle aus Kairo, die junge zeitgenössische Künstler aus dem Nahen Osten und Nordafrika vernetzt. Gemeinsam präsentieren die Kuratoren ein breites Spektrum von künstlerischen Positionen, das Malerei, Fotografie, Film, Installation, Performance, Klang- und Medienkunst sowie digitale Medien umfasst. →     www.halle14.org Kuratoren: Michael Arzt, Elham Khattab Künstlerinnen: Adel Abidin, Azadeh Akhlaghi, Emrah Gökdemir, Manaf Halbouni, Zarah Hussain, Soukaina Joual, Yara Mekawei, Mehreen Murtaza, Erkan Özgen, Anahita Razmi, Haythem Zakaria u. a. Ausstellung & Kunstvermittlung: HALLE �4 — Zentrum für zeitgenössische Kunst, 27. �.– �. �. 20�9, Eröffnung mit zahlreichen Veranstaltungen zum Rundgang der Spinnerei-Galerien: 27. + 28. �. 20�9, Performance zur Museumsnacht Halle / Leipzig, HALLE ��: ��. �. 20��

Artists  & Agents Performancekunst und Geheimdienste in Osteuropa Performance-Art galt in den Ländern des ehemaligen Ostblocks als eine besonders subversive westliche Kunstform und stand daher im Fokus der Geheimdienste. Deren Akten sind seit der Öffnung ihrer Archive im Jahr 1990 zugänglich. Sie zeugen davon, wie Künstler überwacht wurden und was die jeweilige Staatsmacht unternahm, um die Kunstszene zu „zersetzen“ und so die Opposition zu schwächen. Die in der Ausstellung versammelten Akten aus zahlreichen Geheimdienstarchiven offenbaren vor allem die Ängste der Regime. Sie dokumentieren Strategien und die Zensurpraxis der Geheimdienste, die ganz ähnlich auch heute noch in autoritären Staaten zu beobachten sind. Die Kuratorinnen veranschaulichen, wie künstlerische Aktionen durch inszenierte Ereignisse verhindert und Künstler systematisch geschädigt werden sollten oder wurden. Die Ausstellung macht zudem die Serialität, die immer wiederkehrenden Formate und Formulierungen in den Akten sichtbar und lässt so eine eigene Archivästhetik erkennen. Demgegenüber stehen Werke von Künstlerinnen, die sich Techniken der Geheimdienste aneigneten oder nach 1990 die Archive als Materialfundus nutzten. →     www.hmkv.de Kuratorinnen: Inke Arns, Kata Krasznahorkai, Sylvia Sasse Künstler: György Galantai / Artpool, Laszlo Beke, Ion Grigorescu, Orange Alternative, Gabriele Stötzer u. a. HMKV (Hartware MedienKunstVerein), Dortmund: 26. �0. 20�9 – 23. �. 2020

Cevdet Erek, Bani Abidi:  They Bergama Died Laughing Stereo Ausstellung

Die aus dem pakistanischen Karachi stammende Künstlerin Bani Abidi gehört zu den bemerkenswertesten zeitgenössischen Künstlerinnen ihrer Generation. Die Tochter indischer Eltern ist in Pakistan aufgewachsen, lebte viele Jahre in den USA und wohnt heute in Berlin. In ihren Filmen übernimmt sie oft die Rolle der Geschichtenerzählerin und Stadtarchäologin. Sie thematisiert ihre eigene Herkunft und befasst sich mit den geopolitischen Spannungen zwischen den Nachbarstaaten Pakistan und Indien. Ihre künstlerische Arbeit ist oft durch humorvolle Zugänge zu politischen und kulturellen Themen geprägt. Ihre Werke sind seit mehr als einer Dekade international zu sehen, so in Kalkutta, Dallas, New York, Berlin und auf der documenta. Die Ausstellung They Died Laughing versammelt sowohl bereits existierende Arbeiten als auch das neu entwickelte Auftragsprojekt The Graveyard and Lost Procession (AT). In ihm setzt sich Abidi mit den Erfahrungen der Hazara-Bevölkerungsgruppe aus Quetta, der Hauptstadt von Belutschistan, auseinander, die in jüngster Zeit nach Deutschland geflohen sind. →     www.gropiusbau.de Kuratorin: Natasha Ginwala Künstlerin: Bani Abidi Gropius-Bau, Berlin: �. �.– 22. �. 20�9

Ausstellung / Konzerte / Performances Mit seinen Soundinstallationen ist der türkische Künstler und Musiker Cevdet Erek international erfolgreich. 2012 war seine Installation Room of Rhythms auf die documenta eingeladen, im selben Jahr erhielt er den Nam June Paik Award für Medienkunst der Kunststiftung NRW und 2017 vertrat er die Türkei auf der Biennale in Venedig. Ausgehend von der Geschichte des Pergamonaltars in Berlin entwickelt Erek die Soundund Architekturinstallation „Bergama Stereo“. Bergama ist der aktuelle türkische Name der historischen Stadt Pergamon in der Westtürkei. Für die bedeutende hellenistische Altaranlage und die Ausgrabungen aus Pergamon wurde in Berlin bereits 1901 ein eigenes Museum eröffnet. Die Ausstellung hat ihre erste Station im Rahmen der Ruhrtriennale 2019 in der monumentalen Industriearchitektur der Turbinenhalle in Bochum. Als zweite Station ist die historische Halle des Hamburger Bahnhofs in Berlin vorgesehen, wo sie im Rahmen der Reihe Musikwerke Bildender Künstler präsentiert wird. An beiden Ausstellungsorten ist ein Konzert- und Performanceprogramm geplant. →     www.ruhrtriennale.de Kuratorinnen: Ingrid Buschmann, Gabriele Knapstein, Matthias Osterwold  Künstler: Cevdet Erek Ausstellung und Konzerte: Turbinenhalle, Bochum: 24. �.– 29. �. 20�9; Ausstellung und Konzerte: Hamburger Bahnhof — Museum für Gegenwart, Berlin: �9. �0. 20�9 – �. �. 2020

Internationale und interdisziplinäre  Tagung und Ausstellung zum  Thema Smartphone-Fotografie In jeder Minute entstehen mit Smartphones Milliarden neuer Bilder, die nicht nur die Welt abbilden, die uns umgibt, sondern auch uns selbst. Das Digitale spiegelt das Wirkliche und das Wirkliche spiegelt das Digitale. Das soziale Miteinander und die Bildästhetik des digitalen Zeitalters befinden sich deshalb in einem grundlegenden Wandel. Das Projekt smart as photography wird vom Reiss-Engelhorn-Museum und der Biennale für aktuelle Fotografie in Mannheim organisiert und befasst sich mit dem Verhältnis des digitalen und des physischen Raums. Ausgangspunkt ist eine öffentliche Tagung, die die moderne Smartphone-Fotografie und ihre Wirkung auf unser Bild der Welt im Zusammenhang mit der Geschichte der Fotografie betrachtet. Eine Ausstellung begleitet die Konferenz. Ein begleitendes partizipatives Projekt, das in Zusammenarbeit mit Rosa Roth entsteht, lädt ein junges Publikum dazu ein, das Smartphone künstlerisch zu nutzen. →     www.zephyr-mannheim.de →     www.rem-mannheim.de Künstlerische Leitung: Thomas Schirmböck Künstler und Wissenschaftlerinnen: Douglas Busch, David Campany, Forensic Architecture, Dieter M. Gräf, Katrin Koenning, Simon Menner, Rosa Roth, Anastasia Samoylova, Joachim Schmid, Alistair Taylor-Young Ausstellung: Reiss-EngelhornMuseen / Zephyr, Mannheim: �. �.– �. �. 20�9; T   agung: Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim: 28. �.– �. �. 20�9

Future Food Essen für die Welt von morgen Essen dient heute in den modernen Industriegesellschaften zunehmend der Selbstoptimierung und der gesellschaftlichen Verständigung über das gute Leben. Die interdisziplinäre Ausstellung widmet sich den Visionen einer künftigen Ernährung in der kosmopolitischen Gesellschaft und will diese für ein breites Publikum erfahrbar machen. Vom Labor über das Feld und die globalen Märkte bis hin zum Kauf im Supermarkt und letztendlichen Konsum beleuchtet sie, was aus der Praxis und der Theorie des Essens geworden ist und möglicherweise werden wird. Die Schau kombiniert Objekte aus Wissenschaft, Kulturgeschichte und gegenwärtiger Alltagskultur mit zeitgenössischen Werken der Bildenden Kunst und Ansätzen des spekulativen Designs. Dabei geht es um die soziale Bedeutung und gesellschaftliche Symbolkraft des Essens ebenso wie um seine Rolle in Politik und (fairem) Handel, den Religionen und Digital Food Cultures. →     www.dhmd.de Künstlerische Leitung: Viktoria Krason Künstlerinnen: Wojtek Doroszuk, Izumi Miyazaki, L.A. (Liesbeth und Angelique) Raeven,  Thomas Rentmeister Kooperationspartner: Interdisziplinärer Forschungsverbund „Ernährung, Gesundheit und soziale Ordnung in der Moderne“, Futurzwei, LeibnizForschungsverbund „Nachhaltige Lebensmittelproduktion und gesunde Ernährung“, Sonderforschungsbereich „Invektivität, Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung“ an der TU-Dresden Deutsches Hygiene-Museum, Dresden: �. �. 2020 – �. �. 202�

Critical Zones The Skin of the Earth Unsere Sicht auf die Welt als „Blauer Planet“ sei keine angemessene Position für die Herausforderungen, die uns auf der Erde begegnen, so der Philosoph und Soziologe Bruno Latour. Ausgehend vom Terminus „Critical Zones“, der die dünne Oberfläche der Erde bezeichnet, in der lebende Organismen, Erdboden und Wasser aufeinander einwirken, entwickelt er eine alternative Haltung. Die Ausstellung setzt sich mit dem Zusammenwirken von Kunstgeschichte, Wissenschaft und Politik der Natur in der westlichen Welt seit dem 16. Jahrhundert auseinander. Ausgangspunkt ist die These, dass die aktuellen Umwälzungen, mit den historischen Umbrüchen des 16. Jahrhunderts und den auf sie aufbauenden neuen Weltbildern der Moderne vergleichbar sind. Die Kunst nimmt eine zentrale Rolle ein, um neue Repräsentationen und Handlungsoptionen für eine noch unklare Situation zu entwickeln. International renommierte Institutionen (u. a. Institut national des sciences de l’univers, Harvard University, Helmholtz Zentrum Potsdam) und Experten, Künstlerinnen sowie Aktivisten wirken an der Entwicklung der Ausstellung mit. Zudem basiert das Projekt auf einem zweijährigen Workshop an der HfG Karlsruhe, in dem Studentinnen und Wissenschaftler mit Latour an den theoretischen Grundlagen von Critical Zones arbeiten. Die Ausstellung bezieht Neuproduktionen und künstlerische Positionen aus Ländern wie Iran, Nigeria, China ein, um den westlich geprägten Diskurs zu Themen wie Migration und Ökonomie kritisch neu zu denken. →     www.zkm.de Künstlerische Leitung: Bruno Latour Künstlerinnen und Wissenschaftler: Dipesh Chakrabarty, Julian Charrière, Joana Hadjithomas und Khalil Joreige, Joseph Leo Koerner, Agnieszka Kurant, Armin Linke, Bibi Manavi, Emeka Ogboh, Sarah Sze, SOC — Société d’Objets Cartographiques, Zhao Liang ZKM — Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe: �. �.– �. �0. 2020

Game of Drones Von unbemannten Flugobjekten Drohnen erfassen Daten für Sicherheitsbehörden und für die Forschung, Landwirte setzen sie bei der Schädlingsbekämpfung ein und viele Privatpersonen nutzen sie als Spielzeug. Schon lange dienen sie nicht mehr nur militärischen Zwecken. Allein im Jahr 2017 waren etwa 400.000 dieser ferngesteuerten, unbemannten Flugobjekte im deutschen Luftraum unterwegs. Das Zeppelin Museum, das die weltweit größte Sammlung zur Geschichte des Luftschiffbaus beherbergt, beleuchtet die Drohnentechnologie in der gemeinsam mit dem Berliner Architekturbüro chezweitz entwickelten Ausstellung. Dafür versammelt es Arbeiten von Künstlern und Künstlerinnen, die sich bereits seit einigen Jahren mit Drohnen und deren hybriden Einsatzmöglichkeiten beschäftigen, verknüpft diese mit der langen Geschichte der unbemannten Luftfahrt und schält Potenziale und Risiken der Technologie heraus. Es geht um Fragen zur Überwachung und Gegenüberwachung, zur Technikmystifizierung sowie zu Strategien des Widerstands. →     www.zeppelin-museum.de Kuratoren: Jürgen Bleibler, Ina Neddermeyer Künstler: Ignacio Acosta, Frédérick A. Belzile, James Bridle, Omer Fast, Agi Haines, Adam Harvey, Lawrence Lek, Martha Rosler, Raphaela Vogel u. a. Zeppelin Museum, Friedrichshafen: �. �.– �. ��. 20�9

den Osnabrücker Jugendchor nach Almaty und Taschkent, um dort mit kasachischen und usbekischen Musikstudenten das Oratorium Yunus Emre des türkischen Komponisten Ahmed Adnan Saygun aufzuführen. →     www.morgenland-festival.com Künstlerische Leitung: Michael Dreyer Künstler: Saleem Ashkar, Kinan Azmeh, Aynur, Sandeep Bhagwati, Narek Hakhnazaryan, Mohsen Namjoo, NDR Bigband, Alim Qasimov, Taksim Trio, Maya Youssef u. a. Konzerte: (diverse Orte) Osnabrück: �4.– 29. �. 20�9

Musik & Klang

Am Anfang Musikperformance zu Schöpfungsmythen aus Mali und Europa In den Kompositionen und Konzerten von Marc Sinan verbinden sich zeitgenössische Kompositionen mit traditionellem Klangmaterial und musikethnologischer Feldforschung. Am Anfang ist eine erzählerische Erkundung religiöser und wissenschaftlicher Schöpfungsmythen aus Westafrika und Europa. Traditionelle und sakrale Musik aus Mali trifft dabei auf zeitgenössische europäische Musik, Gesang, Performance und Videokunst. Für die Produktion kooperiert die Marc Sinan Company in Deutschland mit den Neuen Vocalsolisten Stuttgart. Die Partner aus Mali sind das neu geschaffene Ensemble für Avantgardemusik an der Spielstätte BlonBa in Bamako mit ihrem Leiter Habib Sangaré sowie die Choreografin und Performerin Kettly Noel. Die künstlerische Herausforderung besteht unter anderem darin, von der Virtuosität der jeweils anderen Musiker zu lernen und gemeinsam neue Spiel- und Gesangstechniken zu erproben. Die Uraufführung ist in Bamako, die Deutschlandpremiere findet im Rahmen der Eröffnungsphase des Humboldt Forums statt und soll auch dessen weltweit einzigartiges Lautarchiv vorstellen. →     www.marcsinan.com Künstlerische Leitung: Marc Sinan Musikalische Leitung / Dirigent: Marc Sinan / Andrea Molino Compagnie / Ensemble/Orchester: Marc Sinan & Company, Neue Vocalsolisten Stuttgart, Complexe Culturel BlonBa u. a. Choreografie: Kettly Noel Wissenschaftliche Recherche: Salia Malé Text & Dramaturgie: Maike Wetzel Endproben & Premiere: Complexe Culturel BlonBa, Bamako: �5.– 28. �. 2020; Aufführung / DeutschlandPremiere: Humboldt-Forum, Berlin: ��.– �2.�. 2020; Aufführung (Der Sommer in Stuttgart, Festival): T   heaterhaus, Stuttgart: �6.– �7. �. 2020

Tele-Visions. G   eschichtsnarrative der Neuen Musik im Fernsehen MaerzMusik — Festival für Zeitfragen Das Festival MaerzMusik widmet sich 2019 dem Thema Geschichtsschreibung. Im Rahmen des Festivals untersucht das Projekt TeleVisions die Darstellung der westlichen Kunstmusik im Medium Fernsehen: Wie wurde die Neue Musik dort thematisiert? Welche anderen, nicht-westlichen Narrative wurden im Massenmedium Fernsehen ausgespart? Welche Arten der Diskriminierung prägen den Bereich der zeitgenössischen Musik bis heute? Untersucht werden Porträtfilme, Konzertmitschnitte und Talkshows von den Anfängen des Fernsehens als Massenmedium in den 1950er Jahren bis etwa 1990. Die Filme werden während des Festivals in einer dauerhaften Medieninstallation im silent green Kulturquartier und in Einzel-Screenings präsentiert. Im Haus der Berliner Festspiele finden Konferenzen, Panel-Diskussionen und Workshops zu den gezeigten Filmen statt. Ein Konzertprogramm, u. a. mit Werken der Komponisten George E. Lewis und Elaine Mitchener, setzt sich künstlerisch mit dem Thema und dem Konvolut an Filmen auseinander.

Wort & Wissen

→     www.dla-marbach.de Künstlerische Leitung: Heike Gfrereis, Sandra Richter Künstler und Wissenschaftlerinnen:  Tanya Blaich, Steffen Bogen, Measha Bruggergosman, Gabriel Kahane, Christoph Israel, Sebastian Padó, Stephan Schwan, Alexander Schwarz, Peer Trilcke,  Thomas Wördehoff Experimentelle Ausstellungsreihe, Literaturmuseum der Moderne, Marbach: Lachen �. �.– ��. �. 20�9; Berechnen �3. �2. 2020 – ��. �. 202�; Rauschen �3. �.– �5. �. 202�; Freiheit 24. �.– �4. �. 2022; Singen �6. �.– �3. �. 2023

mit Künstlergesprächen, Diskussionen und bis heute und von den Flüchtlingslagern um Vorträgen sowie dem Open Call 50 Manifestos Matera bis auf die Monokulturen des brasiliafor a Queer Future, der sich an Berliner Kunst- nischen Mato Grosso do Sul. schaffende richtet. *Abkürzung für: Lesbian-Gay-Bisexual-Transgender/ Transsexual-Intersexual-Queer →     www.hebbel-am-ufer.de Künstlerische Leitung: Ricardo Carmona Theater, Performance, Tanz: Michal- Borczuch, Maria Kulikovska, Wu Tsang, boychild und Fred Moten, Mehdi-Georges Lahlou, Astrit Ismaili u. a. Bildende Kunst: Karol Radziszewski u. a. Film: Mária Takács u. a. Festival: HAU — Hebbel am Ufer, Berlin: �9.– 30. �. 20�9

Emergence Eine Neuproduktion von José Vidal & CĺA mit Hamburger Beteiligten

Der chilenische Choreograf José Vidal und seine Company CIÀ sind für Choreografien bekannt, die sich mit zwischenmenschlichen Beziehungen sowie Vielfalt in künstlerischen Schaffensprozessen auseinandersetzen. Die auf Kampnagel produzierte raumgreifende Choreografie Emergence ist Vidals erste Uraufführung in Deutschland. In der Großproduktion wirken einhundert Tänzer und Tänzerinnen mit, deren kulturelle, soziale und tänzerische Erfahrungen nicht unterschiedlicher sein könnten: Neben den zwanzig professionellen Tänzern seiner Kompagnie, sind dreißig semi-professionelle sowie fünfzig Laien-Tänzer aus Hamburg beteiligt. José Vidal, der vor seiner Karriere als Tänzer und Choreograf Soziologie und Anthropologie studierte, geht in seinen Produktionen immer wieder einer Frage nach: Wie bilden sich soziale Strukturen, wie entsteht aus vielen verschiedenen Individuen eine Gemeinschaft, eine Gesellschaft? Getragen von seiner Web/Online Archiv dialogischen und respektvollen Arbeitsweise reflektieren die Tänzerinnen gemeinsam dieMit dem Oral-History-Projekt Archiv der se Frage und beziehen sie auf aktuelle Themen Flucht soll ein digitaler Gedächtnisort ent- wie Migration, Integration und Kollaboration stehen, der an Flucht und Migration nach in einer kulturell diversen Gesellschaft. Deutschland im 20. und 21. Jahrhundert er    www.kampnagel.de innert. Auf Initiative der Publizistin Caro- → Künstlerische Leitung: José Vidal lin Emcke, die das Projekt gemeinsam mit Ensemble: Compagnie CíA Kampnagel, Hamburg: �.– �. �. 20�9 der Migrationswissenschaftlerin Manuela Bojadžijev realisiert, werden in mehrstündigen Gesprächen die Erfahrungen betroffener Menschen mit Flucht und Vertreibung, Heimat und Exil, Zugehörigkeit und Neuanfang reflektiert und auf Video dokumentiert. Bei Aufzeichnungen in der Originalsprache wer(AT) den die Interviews ins Deutsche übersetzt und indexiert, um dann in beiden Sprachen Aufführungen online verfügbar zu sein. Die Plattform ist als systematisiertes Ar- Die argentinische Regisseurin Lola Arias gilt chiv angelegt, in dem gezielt nach Regionen, als Star des Dokumentartheaters. Ihre Stücke Themen, Orten oder Fragen gesucht werden waren in Südamerika sowie an verschiedenen kann. Sie kann damit von der allgemeinen Öf- deutschen Theatern und auf internationalen fentlichkeit sowie als Quelle und Recherche- Festivals zu sehen. Ihre Regie zeichnet sich instrument für wissenschaftliche oder jour- durch sensible Recherchen und einen verantnalistische Forschungen genutzt werden. Das wortungsvollen Umgang mit den LebensgeArchiv der Flucht möchte die Erinnerungen schichten ihrer Darsteller aus. In ihren jüngsder Vergangenheit vor dem Vergessen oder ten Inszenierungen arbeitete sie auch mit Verdrängen bewahren und aus diesen Erin- Kriegsveteranen und Geflüchteten. Für ihre neue Produktion Children of non nerungen heraus die Gegenwart moderner Migrationsgesellschaften besser zu verste- recherchiert sie die Lebenssituation minhen helfen. Zugleich sucht das Projekt nach derjähriger unbegleiteter Geflüchteter in angemessenen Formen von Erinnern und Deutschland. Im Vordergrund stehen dabei nicht deren Fluchtgeschichten und die einBezeugen. zelnen Schicksale, sondern der Aufnahme→     www.kbb.eu prozess: Auf welche Welt treffen die Kinder Kuratorinnen: Carolin Emcke, Manuela Bojadz̆ ijev und Jugendlichen, wenn sie nach Deutschland Beteiligte: Malek Bajbouj, Lilian-Astrid Geese, Eva Gilmer, Charlene Lynch, Ethel Matala de Mazza, kommen? Die Produktion reflektiert sowohl Mohammed Sarhangi, Heidi Specogna, Inken Stern, die individuellen Hoffnungen und ErwartunStefanie Schüler-Springorum, Amir Theilhaber, Joseph Vogl, Gabriele von Arnim Haus der Kulturen gen der Jugendlichen als auch ihre Verunsider Welt, Berlin: �5. ��.– ��. �2. 20�9 cherung angesichts der gesellschaftlichen Anforderungen. Arias entwickelt das Stück gemeinsam mit einer Gruppe minderjähriger Geflüchteter im Alter von 8 bis 17 Jahren. Auf der Bühne stehen sowohl Schauspieler des Maxim Gorki Ensembles als auch die Jugendlichen selbst.

Film & Neue Medien

Europa im Gedicht Eine Lese-Tournee Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung gibt ab dem Frühjahr 2019 eine neue Reihe zweisprachiger Anthologien mit Lyrik unterschiedlicher Länder und Sprachen Europas heraus. Die Edition wird flankiert von der Lese-Tournee Europa im Gedicht, um den Austausch zwischen europäischen Dichterinnen und Übersetzern zu fördern. Den Anfang macht der Dichter, Übersetzer und Büchner-Preisträger Jan Wagner, der gemeinsam mit Federico Italiano den Eröffnungsband Grand Tour. Reisen durch die junge Lyrik Europas herausgibt. Beide veranstalten gemeinsam mit in der Anthologie vertretenen Dichtern Lesungen und Gespräche in verschiedene Regionen Europas. Den Folgetitel Das dänische Gedicht. Von den Balladen bis heute, gibt Peter Urban-Halle anlässlich des 2020 stattfindenden Deutsch-Dänischen Kulturellen Freundschaftsjahrs heraus. 2021 setzt die von Matthias Görlitz, Amalija Maček und Aleš Šteger herausgegebene Anthologie Der Nachbar auf der Wolke die Reihe mit slowenischer Lyrik aus dem 20. und 21. Jahrhundert fort. →     www.deutscheakademie.de Kuratoren: Jan Wagner, Federico Italiano, Peter Urban-Halle Lyriker: Tomica Bajsić , T   adeusz Dabrowski, ̨ Sasha Dugdale, Nikola Madzirov, V   alzhyna Mort, Georgi Gospodinov, Sinéad Morrissey, Aleš Šteger, Maria Stepanova Mehrsprachige Lesungen und Gespräche: Festivalkongress zur Gegenwartslyrik, Frankfurt am Main: �. �. 20�9; Hessische Landesvertretung bei der EU, Brüssel: �. �. 20�9; Festival Dichterloh: Alte Schmiede, Wien: 15. �. 20�9; Deutscher Übersetzerfonds c/o Literarisches Colloquium, Berlin: �. �. 20�9; Festival Krokodil, Belgrad: �.– �. �. 20�9; Internationales Literaturfestival, Leukerbad: 28.– 29. �. 20�9; Erlanger Poetenfest, Erlangen: 29.–30. �. 20�9; Lviv International Literature Festival, Lviv: �8.– 22. �. 20�9; Casa di Goethe, Rom: 29.11. 20�9; Poetica �, Köln: 24. �. 2020; Literaturfestival European Poet of Freedom, Danzig: �8.– ��. �. 2020; Abschluss Grand Tour / Buchpremiere Das dänische Gedicht: Concert Hall des Louisiana Museum of Modern Art, Humlebaek bei Kopenhagen: 25. �. 2020

Anbauen! Ein transdisziplinäres Labor zu Bauen und Ökologie auf einem Planeten, der kurz vorm Ende ist

Auf Burg Hülshoff, dem Geburtsort der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, wurde im Jahr 2018 das international ausgerichtete Center for Literature eröffnet. Parallel zu den geplanten Um- und Anbauten des historischen Gebäudes präsentiert es 2019 mit Anbauen! ein breites künstlerisches Programm. In Workshops und gemeinsamen künstlerischen Arbeiten erforschen und diskutieren Schriftsteller und Lyriker mit Architekten, Filmemachern, Medienkünstlern, Tänzern, Musikern, Umweltaktivisten und dem Publikum das Thema Natur: Was ist die Natur im →     www.berlinerfestspiele.de/maerzmusik Anthropozän? Wie lässt sich heute in Zeiten Künstlerische Leitung: Berno Odo Polzer Autoren und Künstlerinnen: George E. Lewis, von Urban Gardening und Global Warming Ensemble Pamplemousse (Natacha Diels, über Natur sprechen? Passen Ökologie und David Broome, Josh Modney, Andrew Greenwald, Jesse Marino), Elaine Mitchener, Anke Charton, Architektur zusammen und welche Visionen Rolando Vázquez u. a. Medieninstallation, Konzerte, einer neuen Ökologie gibt es? Diskursveranstaltungen: silent green Kulturquartier, Es entstehen ein Live-Hörspiel, eine begehRadialsystem, Berlin: 23.– ��. �. 20�9 bare Skulptur und eine filmische Inszenierung, die auf Texten von Schriftstellern wie Hamed Abboud, Ann Cotten oder Yoko Tawada beruht. Die Premiere der drei Produktionen findet auf dem Festival Natur am Bau statt. Das festivalbegleitende Symposium Ökologie & Wahnsinn widmet sich auch extremen Positionen von Klimaskeptizismus oder Klima-Aktivismus. Das Architekturduo Umschichten untersucht mit seinen temporären Bauten im Park der Burg A Global Impulse for das Verhältnis von Bauen und Ökologie. New Yiddish Creativity Die einzelnen Teilprojekte und das Festival werden in einer digitalen Ausstellung doSeit dem Mittelalter entwickelte sich die jid- kumentiert, die der Programmierer und ARdische Sprache von einem Soziolekt zu einer Künstler Bobby Rajesh Malhotra entwickelt. wichtigen Sprache für Kultur, Literatur und     www.burg-huelshoff.de Politik. In der Zeit der Weimarer Republik er- → Künstlerische Leitung: Jörg Albrecht Künstlerinnen: reichte diese Entwicklung ihren Höhepunkt. Maria Cecilia Barbetta, Ann Cotten, Rosalind Goldberg, Dieser enorme Kreativitätsschub jiddischer Michael Graessner, Laura Landergott, Timothy Morton, Phill Niblock, Monika Rinck, Yoko Tawada, Kultur steht im Zentrum des Festivals: Inter- Studio Umschichten, Senthuran Varatharajah Partizipatives Gartenprojekt: Burg Hülshoff, national bekannte Künstler wie Amit Weisberger und Josh Dolgin geben auf der Basis Havixbeck: �. �.– ��. �0. 20�9; Workshop Nature Studies: Haus Rüschhaus, Münster: �4.– �7. �. 20�9; Transunveröffentlichter ethnografischer Aufnah- disziplinäre Produktion �/2/3: Burg Hülshoff, Havixbeck: men aus dem 20. Jahrhundert Impulse für �6.– �9. �. 20�9 / ��.– �5. �. 20�9 / 26.– 29. �. 20�9; Festival Natur am Bau: Burg Hülshoff, Havixbeck: ��.– �5. �. 2019 neue jiddische Musik des 21. Jahrhunderts. Der Komponist und Regisseur Alan Bern setzt sich mit dem Literaten Itzik Manger auseinander und realisiert eine Vertonung, die der Jüdische Kulturbund 1936 nicht mehr umsetzen konnte. Im Projekt Cross-Century Encounters 1919 – 2019 befasst sich Yuri Vedenyapin mit dem „berliner goles“ und Michael Wex mit der jiddischen „kleynkunst“ in WarCrossing Borders — Translate schau. Zudem dienen Werke bisher unbe — Transform — Understand kannter jiddischer Dichterinnen als Basis für zwei neue Liederzyklen, die unter anderem Seit einem Jahrzehnt setzt sich das Kölner ProPolina Sheperd, Efim Chorny, Daniel Kahn jekt stimmen afrikas mit der Vielfalt der Spraund Josh Waletzky, schreiben. Eine öffentli- chen und Literaturen auf dem Kontinent ausche Vortragsreihe zu jiddischer und jüdischer einander. Dabei wird immer wieder deutlich, Kultur in der Weimarer Republik erläutert den wie wichtig die Arbeit des Übersetzens für die historischen Kontext. Verständigung der Menschen und Kulturen ist. Übersetzer öffnen Türen zur Welt, indem sie →     www.yiddishsummer.eu Geschichten und Informationen über Sprach→     www.othermusicacademy.eu grenzen hinweg zugänglich machen. Dabei traKünstlerische Leitung: Alan Bern, Andreas Schmitges Künstler: Efim Chorny, Josh „Socalled“ Dolgin, gen sie eine bedeutende soziale und politische Daniel Kahn, Sveta Kundish, Polina Shepherd, Verantwortung. Nicht umsonst wird ihre ArJury Vedenyapin, Josh Waletzky, Amit Weisberger, Michael Wex Probenphase und Festivalwoche: beit gelegentlich misstrauisch beäugt. diverse Spielorte, Weimar: �3. �.– �. �. 20�9; Das Jubiläumsfestival Crossing Borders —  Kooperationsveranstaltungen 20�9 + 2020: YIVO, Translate, Transform, Understand untersucht New York; Espace Hillel, Lyon; Jewish Music Institute, London; KlezKanada, Québec; das Themenfeld unter kultur-, bildungs- und Y   iddish New York, New York medienpolitischen Gesichtspunkten. In Podiumsdiskussionen, Workshops, Lesungen und interaktiven Präsentationen kommen 40 internationale Autorinnen, Übersetzer, Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaftlerinnen sowie das Publikum zusammen. Das Projekt möchte so zur Vernetzung von Übersetzerinnen, Künstlern und Experten aus afrikanischen Ländern, der Diaspora und Deutschland beitragen und eine breite Öffentlichkeit für Morgenland 15 das Thema sensibilisieren.

The Weimar Republic of Yiddishland

stimmen afrikas

Morgenland Festıval Osnabrück

Das Morgenland Festival Osnabrück widmet sich seit vielen Jahren der Musik des Vorderen Orients, von traditioneller Musik bis zu musikalischer Avantgarde, Jazz und Rockmusik. Für das Programm von Morgenland 15 baut der künstlerische Leiter Michael Dreyer auf seiner langjährigen intensiven Auseinandersetzung mit der Musik Westasiens auf: Konzertformate wurden unter anderem gemeinsam mit Musikern aus Aserbaidschan, der Türkei, Syrien oder dem Iran entwickelt. Präsentiert werden herausragende Solisten und Ensembles der traditionellen Musik wie Alim Qasimov, Moslem Rahal oder Waed Bouhassoun. Mit der syrischen Qanun-Virtuosin Maya Youssef und der iranischen Oudspielerin Yasamin Shahhosseini treten zwei erfolgreiche Musikerinnen auf, die auf ihren Instrumenten neuen Dimensionen erschließen. Beim Konzert des Ensembles Sound of Montreal treffen Kompositions- und Improvisationsstile der westlichen experimentellen Musik auf iranische, indische, senegalesische und türkische Musik. Die Morgenland All Star Band wird erstmals mit dem Osnabrücker Sinfonieorchester spielen und die NDR Bigband konzertiert mit dem syrischen Klarinettisten Kinan Azmeh. Gastspiele führen

Teil ihrer an den Augenblick gebundenen Lebendigkeit erhalten bleibt? Welche neuen Formen der Ausstellungsgestaltung entstehen, wenn Ausstellungen kein statisches Medium mehr sind, sondern eines, das bewegt und bewegt werden kann? Neben Antworten auf diese Fragen sucht das Projekt Auskunft darüber, ob sich das Experiment in andere nationale Kontexte übersetzen lässt.

→     www.stimmenafrikas.de Künstlerische Leitung: Christa Morgenrath Autorinnen und Experten: Bibi Bakare Yusuf, Paul F. Bandia, Doudou Dia, Boubacar Boris Diop, Youssouf Amine Elalamy, Navid Kermani, Susan Kiguli, Mukoma wa Ngugi,     ukiswa Wanner Lesungen, Workshops, Diskussionen: Z Literaturhaus Köln, VHS, Stadtbibliothek u. a., Köln: 23.– 26. �0. 20�9

Literatur bewegt Mit der experimentellen Ausstellungsreihe Literatur bewegt will die Literaturwissenschaftlerin Heike Gfrereis einen neuen Weg für die Gattung Literaturausstellung einschlagen. Dazu arbeitet sie mit Künstlern und Programmierern zusammen, die Texten und Sammlungsstücken aus dem Literaturarchiv, die auf ein immersives Abspielen oder Aufführen zielen, live einen Körper verleihen und sie auf ihre jeweils spezifische Weise kommentieren. Wie lassen sich die Spuren dieser Körper wiederum so archivieren, dass wenigstens ein

Archiv der Flucht

Children of non

→     www.gorki.de Künstlerische Leitung: Lola Arias vorr. Ruhrtriennale, Recklinghausen: �5. �.– 30. �. 20�9; Maxim Gorki Theater, Berlin: �. �0.– ��. �2. 20�9

Bühne & Bewegung

common ground[s] Germaine Acogny mit ihrer École des Sables und das Erbe von Pina Bausch begegnen sich

Bilderschlachten/ Batailles d’Images Ein Ballett zum Ende der Welt (2019) Bilderschlachten ist eine gemeinsame Recherche der Choreografin Stephanie Thiersch und der Komponistin Brigitta Muntendorf, die sich mit den Beziehungen zwischen Musik und Tanz auseinandersetzen. Die Künstlerinnen wollen gewohnte Seh- und Hörgewohnheiten im Zusammenspiel von Tanz und musikalischen Formationen wie Chor, Orchester oder Quartett aufbrechen: Welche Abhängigkeiten bestehen zwischen Musik und Tanz? Wer bewegt wen? Für diese deutsch-französische Kooperation arbeiten sie mit dem Asasello Quartett und dem Les Siècles Orchester zusammen, das zurzeit zu den interessantesten Orchestern Europas zählt. Bilderschlachten beginnt mit Bernd Alois Zimmermanns Musique pour le souper du Roi Ubu, ein als Ballettmusik charakterisiertes Werk, das noch nie choreografisch umgesetzt wurde. Zimmermann machte für diese Komposition Anleihen quer durch die Musikgeschichte: Stockhausen und Strawinsky treffen auf Wagner, Bach, Märsche und Polka. Dieser musikalischen Sampling- und Zitatenschlacht stellt Thiersch eine ‚Bilderschlacht‘ zur Seite, bei der sie zeitgenössischen Tanz mit Ballett oder Urban Dance mit höfischen Tänzen des 16. Jahrhunderts verwebt. Im Verlauf des Stückes entwickeln die Künstlerinnen musikalische und choreografische ‚Freilegungen‘ und die Sampling-Komposition Zimmermanns wird von Muntendorf kompositorisch entzerrt. →     www.mouvoir.de Choreografie/Regie: Stephanie Thiersch Musikalische Leitung: Brigitta Muntendorf Musiker: Les Siècles Orchester / Leitung: François Xavier Roth, Asasello Quartett: Rostislav Kozhevnikov (�. Violin), Barbara Kuster (2. Violin), Teemu Myöhänen (Cello), Justyna Śliwa (Viola) Lichtdesign: Begoña Garcia Choreografie/ Performance: F. Almakiewicz, N. Barcons, A. Fernández, J. Ferranti, M. Kim, A. Naudet, C. Revol, J. Suárez Gómez Produktion / Koproduktion: MOUVOIR e.V. in Kooperation mit Freihandelszone / Köln, Internationale Maifestspiele Wiesbaden / Staatstheater Wiesbaden, Théâtre des Nîmes, Beethovenfest Bonn / Oper Bonn, tanzhaus nrw, Düsseldorf Komposition: Bernd-Alois Zimmermann Musique pour le souper du Roi Ubu (�968) und Kompositionen von Brigitta Muntendorf Théâtre des Nîmes, Nîmes: �.– �0. �. 20�9; Internationale Maifestspiele: Hessisches Staatstheater, Wiesbaden: �5. �. 20�9; Beethovenfest, Bonn: 22. �. 20�9; tanzhaus nrw, Düsseldorf: 24. �. 20�9

T   he Present  is not Enough

(AT)

Festival vom HAU Hebbel am Ufer Das interdisziplinäre Festival präsentiert aktuelle künstlerische Positionen zu Vergangenheit und Zukunft der LGBTIQ*-Community. Im Fokus stehen Kunstschaffende aus Mittelund Osteuropa, Brasilien und den USA. Politischer Rechtsruck und Populismus erzeugen hier ein Klima schwindender Toleranz, welches das Leben und Arbeiten queerer Künstler erschwert. Das Festival möchte ihnen ermöglichen, gesellschaftspolitische Ideen und Handlungsabsichten zu formulieren. Ausgehend von einer Analyse verschiedener queerer Theorien und Szenen werden utopische Szenarien entwickelt — im Sinne des kubanisch-amerikanischen Wissenschaftlers José Esteban Muñoz: „Queerness ist im Wesentlichen die Ablehnung der gegenwärtigen Realität und das Insistieren auf einer anderen Welt.“ Das Festival umfasst Performances, Tanz, Theater, Bildende Kunst, Film und Musik, eingeladen sind u. a. der polnische Theaterregisseur Michal– Borczuch, die ungarische Filmemacherin Mária Takács und das brasilianische Künstlerkollektiv OPAVIVARÁ!. Gerahmt wird das Festival von einem Begleitprogramm

Anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens initiiert die Pina Bausch Foundation gemeinsam mit der École des Sables (Senegal) unter der Leitung von Germaine Acogny das Projekt common ground[s]: Als eine Suche nach Gemeinsamkeiten verstanden, gehen die mitwirkenden Tänzer den Resonanzen zwischen unterschiedlichen Tanztraditionen und Werken aus Afrika und Europa nach. Sie erforschen dabei Wege, wie Wissen und Erfahrungen im Tanz weitergegeben werden. Das Projekt ist zweiteilig angelegt: Zum einen studieren westafrikanische Tänzer Pina Bauschs Choreografie zu Igor Strawinskys Le Sacre du printemps ein. Die nicht-klassisch ausgebildeten Tänzerinnen beeinflussen das Stück mit ihren jeweils eigenen tänzerischen und persönlichen Hintergründen. Le Sacre du printemps wurde seit 1977 an zahlreichen Orten weltweit gezeigt, bislang jedoch nicht in Afrika. Zum anderen erarbeiten Germaine Acogny und Malou Ariaudo ein Duett. Beide, schon über 70 Jahre alt, verfügen über einen großen Erfahrungsschatz: Acogny gilt als Pionierin des zeitgenössischen afrikanischen Tanzes und Ariaudo war u. a. eine prägende Protagonistin des Tanztheater Wuppertal. Der Komponist Fabrice Buillon entwickelt mit senegalesischen Trommlern Rhythmen für das Stück, die er aufzeichnet und bei den Aufführungen live mixt. common ground[s] wird in Dakar und Wuppertal aufgeführt. Das Londoner Sadler’s Well Theater, das die Produktion mitfinanziert, organisiert eine Tournee durch Europa und Afrika. Den Entstehungsprozess dokumentiert der Filmemacher Florian Heinzen-Ziob. →     www. pinabausch.org Künstlerische Leitung: Jo Ann Endicott, Patric Acogny Choreografie: Germaine Acogny und Malou Ariaudo Workshop- und Auditiontour Ende 20�9: Centre de Développement Chorégraphique La Termière, Ouagadougou; Compagnie Ange Aoussou, Abijan; Centre Culturel Blaise Senghor, Dakar Workshops Frühjahr 2020: Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, Wuppertal; Folkwang Universität der Künste; Essen Aufführungen Frühjahr 2020: Centre Culturel Blaise Senghor, Dakar; T   héâtre National Daniel Sorano, Dakar; Opernhaus, Wuppertal; Filmpreview + internationales Symposium, Frühjahr 2020: Schauspielhaus (Pina Bausch Zentrum), Wuppertal; Internationale Gastspiele 2020 – 2022

Die Rückeroberung der  Zukunft Von der Jesus- zur Landlosenbewegung: Internationale Projektreihe zu Geschichte und Methoden des kollektiven Widerstands (Performance, Film, Ausstellung) Mit Die Rückeroberung der Zukunft führt das International Institute of Political Murder (IIPM) seine Arbeit über die Widersprüche der globalen Wirtschaft fort: Es soll mit den Mitteln des Aktivismus und der Kunst der Entwurf einer Politik des Widerstands entstehen. Dafür begeben sich Milo Rau und sein Team zuerst an die Peripherie der EU, nach Matera in Süditalien. An den Schauplätzen der Jesusfilme von Pasolini und Mel Gibson werden sie gemeinsam mit Flüchtlingen, Arbeitern auf Tomatenplantagen, nigerianischen Prostituierten und arbeitslosen Kleinbauern die wohl einflussreichste Vorlage aller sozialrevolutionären Bewegungen neuverfilmen: Das Neue Testament. Zudem wird das IIPM gemeinsam mit der Landlosenbewegung in Brasilien eine international besetzte und vernetzte „School of Resistance“ begründen, die die Vertreibung und Rechtlosigkeit im Zeitalter der Menschenrechte in den Fokus nimmt. Zeitgleich zur Premiere des Dokumentarfilms Il Nuovo Vangelo werden in der Ausstellungsreihe Die Rückeroberung der Zukunft die politischen Interventionen in Italien und Brasilien als Video-Installationen, als interaktive Webseite und als Buch präsentiert. Es entsteht eine multimediale Geschichte der Strategien des Widerstands vom antiken Rom

→     www.international-institute.de Künstlerische Leitung: Milo Rau, International Institute of Political Murder und Gäste Dramaturgie: Eva-Maria Bertschy, Stefan Bläske Dramaturgische Mitarbeit: Carmen Hornbostel, Kasia Woijik Bühne: Anton Lukas, Technische Leitung: Jens Baudisch, Produktionsleitung: Mascha Euchner-Martinez & Eva-Karen Tittmann Herbst 20�9 – Ende 2020,   Teatri uniti di Basilicata, Matera; Teatro di Roma, Rom; Kongress: Mato Grosso do Sul / Sao Paulo; Filmpremiere, Ausstellung, Diskussionsreihe, Buchvernissage: Akademie der Künste, Berlin

Karussell  — Themenfestival Russland Zeitgenössische Positionen Russischer Kunst Das Themenfestival stellt die Vielfalt zeitgenössischer russischer Theater-, Tanz- und Musikproduktionen vor. Im Zentrum steht die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Öffentlichkeit. Das Festspielhaus Hellerau arbeitet hierfür mit verschiedenen russischen Theatern, Kulturzentren, Underground-Spielstätten und Festivals zusammen. Ein retrospektiver Schwerpunkt liegt etwa auf dem Teatr.doc aus Moskau, das viele Jahre als das Dokumentartheater der Gegenwart galt. Auch das Gogol Center Moskau wird als ein Ort für zeitgenössische Kunst porträtiert, der sich mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzt. Vorgestellt werden zudem Produktionen des neu gegründeten Theatre 18+ aus Rostow am Don, das sich dem Gegenwartstheater verschrieben hat, sowie des Creative Center Ugol in Kazan, dessen Schwerpunkt das dokumentarische Theater ist. Im musikalischen Bereich kooperiert Hellerau u. a. mit dem Electrotheatre Stanislawski aus Moskau, das in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Zentren und Laboratorien des zeitgenössischen Musiktheaters geworden ist. Unabhängige Künstler und Kollektive u. a. aus den Bereichen des dokumentarischen Theaters und des ortsbezogenen Arbeitens sind ebenso eingeladen. Arbeitstreffen zwischen russischen und deutschen Künstlern sowie Residenzen russischer Künstlerinnen ergänzen das Programm. →     www.hellerau.org Regie: Maxim Didenko, Dimitri Krymov, Mats Staub Performance: Konstantin Uchitel, Katrin Reshetnikova, Vera Shelkina, Kristina Petrova  Komponist: Vladaimir Rannev Kurator: Filipp Vulakh Festival: HELLERAU ­— Europäisches Zentrum der Künste, Dresden: ��.– 26. �. 2020

STRANGE℗

(AT)

Produzent/innen-Netzwerk und bilinguale Kunst- und Theaterprojekte Das Theater an der Ruhr ist Vorreiter in der internationalen Theaterarbeit im deutschsprachigen Raum. Es hat in über 40 Ländern gastiert und Theater aus über 50 Ländern nach Nordrhein-Westfalen eingeladen. Derzeit befindet sich das arabischsprachige, internationale Künstler- und Theaterkollektiv Collective Ma’louba mit einer Residenz am Theater. Ausgehend von seinen Erfahrungen in der bilingualen Theaterarbeit will das Collective Ma’louba gemeinsam mit ähnlichen Ensembles ein deutschlandweites ProduzentenNetzwerk aufbauen. Angesiedelt am Theater an der Ruhr und an den Münchner Kammerspielen sollen aus der Zusammenarbeit langfristig bilinguale Kunst- und Theaterprojekte erwachsen. Sechs bilinguale Ensembles sind die Gründungsmitglieder. 2019 und 2020 steht der interne Erfahrungsaustausch im Zentrum, im Jahr 2021 ist eine europäische Koproduktion mit dem Arabiska Theatern in Stockholm geplant. Zudem findet das wandernde Festival STRANGE ℗ (AT) statt, bei dem die künstlerische Arbeit der einzelnen Ensembles sowie die entstandenen Koproduktionen vorgestellt werden. →     www.collective-malouba.de Künstlerische Leitung: Amal Omran, Mudar Alhaggi, Immanuel Bartz Dramaturgie: Wael Kadour Künstlerinnen und Wissenschaftler: Mohamad Alrashi, Max Brands, Ramzi Choukair, Kenda Hmeidan, Hala Omran, Jonas Tinius Gründungsmitglieder: Boat People Projekt, Collective Ma’louba, Exil Ensemble, Hajusom, Open Border Ensemble,  Theater- und Kunstprojekt RUHRORTER Festival STRANGE ℗, Kampnagel, Hamburg / Theater an der Ruhr, Mülheim an der Ruhr: 27. �.– �0. �0. 202� z. T. öffentliche Arbeitstreffen: Theater an der Ruhr, Mülheim an der Ruhr: ��.– 24. �. 20�9; Münchner Kammerspiele, München �.–  �0. ��. 20�9; N.N. (voraussichtlich Berlin) �.– �0. �. 2020.; N.N. (voraussichtlich Hamburg): �.– �0. ��. 2020; N.N. (voraussichtlich Göttingen): �.– �0. �. 202�; Premiere bilinguale Kunst- und Theaterproduktion: Theater an der Ruhr, Mülheim an der Ruhr: �.– �. �0. 20�9; Premiere bilinguale Koproduktion: �.– ��. �0. 2020; Premiere multilinguale europäische Koproduktion: Theater an der Ruhr, Mülheim an der Ruhr: 4.– �0. �0. 202�; Stockholm: ��.– �7. �0. 202�

MONUMENT 0.6  — HETERO-  CHRONIE Haunted by revolutions (1848 – 2018) Die ungarische Künstlerin, Tänzerin und Performerin Eszter Salamon ist mit ihren Arbeiten weltweit erfolgreich. Im Jahr 2014 begann sie an einer Reihe von Stücken unter dem Titel Monumente zu arbeiten, in denen sie den Umgang mit Monumenten und die Praxis der „Neuschreibung“ von Geschichte und Tanzgeschichte untersucht. Heterochronie ist ihre neue Produktion in dieser Reihe und besteht aus zwei Teilen: der Choreografie Palermo 1848 für zehn Tänzer sowie dem musikalischen Werk Nos Revolutions für einen fünfundzwanzig-köpfigen Chor. Palermo 1848 fragt nach der Erinnerung des menschlichen Körpers, nach Formen des Erinnerns, die sich in Gebärden, Ausdrucksformen und Stimmen manifestieren. Thema der Choreografie sind die italienischen Unabhängigkeitskriege und die sizilianische Revolution von 1848. Hauptmotiv des musikalischen Teils Nos Revolutions ist die Geschichte der europäischen Revolutionen von 1848 bis heute. Das Vokalwerk wird von dem amerikanischen Komponisten Terre Thaemlitz für Chor a cappella geschrieben. Die Produktion wird in Deutschland, Frankreich, Ungarn, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz aufgeführt und der Chor wird in jeder Stadt vor Ort neu zusammengestellt. →     www.eszter-salamon.com Konzept & Künstlerische Leitung: Eszter Salamon Musikkomposition: Terre Thaemlitz Kostümdesign: Vava Dudu Dramaturgie: Bojana Cvéjic Recherche, Assistenz: Tom Engels Choreografie & Performance: Corey Scott-Gilbert, Boglárka Börcsök, Csilla Nagy, Krisztián Gergye, Jessica Simet, Domokos Kovács, Olivier Normand, Mario Barrantes Espinoza u.a. Produktion: Botschaft Gbr. / Alexandra Wellensiek, Studio E.S. / Elodie Perrin Koproduzenten und Gastspiele 20�9 / 2020: T   héâtre Nanterre-Amandiers, Nanterre, PACT Zollverein, Essen, HAU Hebbel am Ufer, Berlin, Festival Pays de Danses: Théâtre de Liège, Lüttich; Kunstfestspiele, Hannover, Concertgebouw, Brügge u. a.

Abbildung →  Heimo Zobernig


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