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Handwerk: Informationsorgan des Kurszentrums Ballenberg Heimatwerk
3/ 97 Stiftung Heimatwerkschule Ballenberg Ein Gemeinschaftswerk des Schweizerischen Freilichtmuseums Ballenberg und der Heimatwerke der Schweiz
Themen Handwerk 3/97 1 3 4 5 8 13 17 19 21
Tag der offenen Tür, Kunst am Bau Kursprogramm 1998 Bauprojekt «Offener Unterstand» Traditionelle Klänge Maienpfeife Experimentelle Musik Trockenmauern Weben: Doppelgewebe Musik im Ballenberg
Herausgeber Kurszentrum Ballenberg Heimatwerk Postfach, 3855 Brienz Telefon 033-952 80 40 Fax 033-952 80 49 Redaktion Ursina Arn-Grischott Druck Gisler Druck AG, 6460 Altdorf Jahresabonnement Inland Fr. 24.–, Ausland Fr. 32.– 3200 Abonnemente erscheint 3-mal pro Jahr Ausgabe 1/98 Redaktionsschluss 1. März 1998 erscheint 1. April 1998 Bestellkarte auf der 3. Umschlagseite Insertions-Tarif 1/4 Seite Fr. 150.–, 1/2 Seite Fr. 300.–
Kurszentrum aktuell
Editorial
Offene Tür Am 25. und 26. Oktober öffnete das Kurszentrum allen Interessierten seine Türen. Die Einladungskarte las sich bereits verheissungsvoll mit vielen möglichen Aktivitäten zum Mitmachen, einer Kunstausstellung, der Einweihung eines eben fertig gestellten Bauprojektes mit Lehrlingen der Bauernschule Hondrich sowie dem Vorstellen des Kursprogrammes 1998. Was diese Einladung aber weder versprechen noch voraussagen konnte und was schliesslich den Erfolg des Anlasses ausmachte, war die gute Stimmung und die spürbare kreative Energie, mit welcher das Kurszentrum belebt wurde. Ein starkes, unverkennbares Zeichen wurde gesetzt und der Öffentlichkeit übermittelt. Die Handschrift des Leiters Adrian Knüsel ist unmissverständlich zu lesen: ein klares, gestalterisch konsequentes Gesamtkonzept liegt vor.
Kunst am Bau Den Auftakt machte am Freitag abend die Eröffnung der Ausstellung Kunst am Bau des Bildhauers Thomas Birve, des Malers Ueli Michel und der Textilkünstlerin Verena Sieber-Fuchs. Die poetischen, subtilen Arbeiten von Verena Sieber
Neues entdecken, staunen, ausprobieren, rätseln, fragen, selber machen, feiern: Tage der offenen Tür...
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präsentieren sich gut im einfallenden Licht des hellen Treppenhauses. In ihren mit Draht gewirkten Raumelementen verarbeitet sie Recyclingund Verpackungsmaterialien oder Filmnegative und bewegt sich im Spannungsfeld zwischen gekonntem Handwerk und bildender Kunst. Grossformatige Holzskulpturen von Thomas Birve, dessen Treppenskulptur bereits in der letzten Handwerks-Nummer vorgestellt wurde, stehen im gedeckten Zwischentrakt und integrieren sich gut in das funktionale Werkgebäude. Die Skulpturen sind grob behauen und sprechen mit dem Werkstoff Holz den Betrachter in einer archaischen Sprache an. Die grossflächigen Farbfelder des in Basel lebenden Malers Ueli Michel haben mich ganz stark angesprochen; sie wirken überzeugend am Ort und müssten besser gesehen statt besprochen werden!
Hand anlegen für Neugierige Die Beflaggung «Gestaltung Handwerk Form Material Werkzeug» hielt, was sie versprach. Verschiedene Kunsthandwerkerinnen und -handwerker luden die Besucher zum Machen und Erleben ein. So konnte man sich im Glasblasen üben, die Feder bei der Kursleiterin in Kalligraphie zur Hand nehmen, ein Blatt Papier schöpfen, an Handwerk 3/97 2
einem Sattlerbock von Hand eine Naht nähen oder am experimentellen Musikinstrumentenbau teilnehmen. Fäden wurden nicht nur am Spinnrad gesponnen, sondern auch unter Besuchern und Kursleitern und am Büchertisch. Der Spass, in direkter Aktion und – wie man so schön zu sagen pflegt – «aus erster Hand», nämlich der eigenen, Handwerk zu erfahren und zu erleben war bei jungen wie älteren Leuten sichtlich spürbar. Gedanken zu unserer Wahrnehmung konnte man sich bei der begehbaren camera obscura machen. Auch kulinarisch wurden die Gäste verwöhnt; der Betriebshandwerker Marc Schlup kochte ausgezeichnet und die ganze Kurszentrum Crew fasste mit an und zeigte, dass es ein gemeinsames Fest war – ein weiterer wesentlicher Grund zum guten Gelingen! n Ursina Arn-Grischott
Dank Ein grosses Stück Arbeit liegt hinter uns. Das magische Datum 25./26. Oktober, auf das wir alle hin gearbeitet haben, ist vorbei. Es bleibt mir zu danken: allen die mitgeholfen haben, diese Tage zu einem Ereignis werden zu lassen. Insbesondere gilt mein Dank meinen nächsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Beatrice Brügger, Lisa Fankhauser, Margret Omlin, Mark Schlup, die mit ihrem überdurchschnittlichen Einsatz gezeigt haben, dass die Mitarbeit im Kurszentrum Ballenberg Heimatwerk auch idealistisch getragen wird und dass wir alle gemeinsam an einem längerfristigen Projekt arbeiten. Mein ganz herzlicher Dank auch allen Familienangehörigen der Familien Schlup Müller und Knüsel, die spontan mitgeholfen haben, diese 2. offene Tür zu einem kulinarischen Fest werden zu lassen. Schliesslich ein grosser Dank allen Kursleiterinnen und Kursleitern, die mit Ihrer Begeisterung viele angesteckt haben, selber mehr wissen zu wollen. Ich freue mich, gemeinsam das neue Jahr anzugehen und grüsse erwartungsvoll. n Adrian Knüsel
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Auf Kurs '98
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Auf Kurs 1998 Das neue Kursprogramm liegt vor! In der Beilage finden Sie ein Kurzprogramm in chronologischer Ordnung. Das detaillierte Kursprogramm, eine Broschüre mit dem stattlichen Umfang von 68 Seiten «Handwerk und zeitgenössische Gestaltung à discrétion...», wird Ihnen gerne zugesandt. Das Kursangebot ist übersichtlich nach Daten geordnet; zusätzlich findet sich noch ein Stichwortregister sowie eine Übersicht zu den einzelnen Kursthemen. Nebst Bekanntem und Bewährtem gibt es viel Neues zu entdecken, z. B. zum Thema Keramik/ Ton, Bauen oder Specials, wo z. T. auch Symposien im Angebot stehen. Alles in allem eine farbenfrohen Palette mit traditionellen Handwerkstechniken sowie deren Interpretation in zeitgenössischer Gestaltung. Die guten Neujahrswünsche der Redaktion verknüpfen sich mit der Hoffnung, dass möglichst viele Leute in den Genuss dieser Kurse kommen können. Handwerk 3/97 3
Unterstand für Kurse
genutzt werden, wie z. B. Bildhauerei, Bearbeitung von Speckstein, Keramik, Bauhandwerk. Der Lagerboden wurde bereits als dringend benötigter Stauraum für grosses Kurszubehör bezogen.
Überarbeiteter Lehrgang zur Zimmermannstechnik
Das Bauprojekt «Offener Unterstand» beim Kurszent rum Ballenberg Heimatwerk Mit dem Bau des offenen Unterstandes westlich des Kursgebäudes knüpft das Kurszentrum an eine bestandene Tradition der früheren Heimatwerkschule an: ein Bauprojekt als Lehrlingslager. Zimmermann und Schreiner Mark Schlup und Rolf Blöchlinger leiteten 20 Lehrlinge des zweiten Lehrjahres der Bergbauernschule Hondrich während 8 Arbeitstagen im Zimmereihandwerk an. Da die Lehrlinge in Gruppen aufgeteilt und in dieser Praktikumszeit noch auf anderen Baustellen tätig waren, erforderte es eine ausserordentlich gute Vorbereitung des Projektes und gute Führung und Motivation der Jugendlichen. Wie geplant, wurde der Unterstand mit seinen 8 x 8 m Grundfläche und 6,5 m Höhe mit eingebautem Lagerboden zum Tag der offenen Türe fertig und konnte gleich mit einer kleinen Festwirtschaft eingeweiht werden. Dieser Aussenraum wird in Zukunft für verschiedene Kursarten, welche sich vorteilhafterweise draussen abspielen,
Das Gebäude wurde in einfacher, traditioneller Zimmermannstechnik gebaut. Ein Lehrgang dazu wurde neu überarbeitet und den Schülern abgegeben; dieser Lehrgang kann auch von unseren Lesern im Kurs-Sekretariat bezogen werden. Baueingaben, Sonderbewilligung und Pläne wurden von den Fachleuten vorbereitet. Das Bauholz lag bei Kursbeginn bereit, geschnitten, nummeriert und angezeichnet. Die Arbeiten der Lehrlinge umfassten: Abbund, Aufrichten, Balkenlage, Bodenlegen, Verschalung und Dach. Ein Kran und ein Hubstapler standen zur Verfügung. Für die Projektleitung und die Schulleitung wurde die Zusammenarbeit mit den Lehrlingen sehr positiv erlebt und sie hoffen, dass sich in Zukunft noch weitere Bauvorhaben mit Lehrlingen durch das Kurszentrum realisieren lassen.
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Traditionelle Klänge
Traditionelle Instrumente wie diese Drehleier bei uns im Kurszentrum selber bauen und spielen lernen.
Matthias Wetter: Alte Saiteninstrumente neu zum Klingen gebracht Da das Kurszentrum Ballenberg Heimatwerk die Tradition des Instrumentenbaus der früheren Heimatwerkschule weiterpflegt und im Kursprogramm des nächsten Jahres wieder Kurse zum Bau von Instrumenten angeboten werden, lesen Sie in dieser Handwerks-Nummer einige Beiträge zum Thema Musikinstrumente und Instrumentenbau, nachfolgend etwas über Harfe und Drehleier. Im Kursangebot finden sie vom 12. bis 17. Oktober 1998 das Bauen einer Spielmannsharfe, Kastendrehleier, Symphonia und Büchel mit Matthias Wetter. Die Recherchen zu diesem Artikel haben zu vielfältigen Kontakten und schliesslich zu der Idee geführt, im Herbst 1998 ein Symposium über Volksmusikinstrumente und Volksmusik zum hören und mitspielen zu organisieren. Wir werden Sie in der nächsten Nummer genauer darüber informieren.
Die Harfe Die Harfe ist eines der ältesten Saiteninstrumente. Sie spielte eine wichtige Rolle in verschiedenen vorchristlichen Kulturen, und hat über die ganze Welt verstreut in vielen Formen überlebt. Relativ hochentwickelte Formen der Harfe gibt es bereits seit 5000 Jahren; sie zählte in der babylonischen und der ägyptischen Kultur zu den am meisten geschätzten Instrumenten. Trotz offensichtlicher Unterschiede in Konstruktion, Gestalt und Spieltechnik steht sie durch den ausschliesslichen Gebrauch von leeren Saiten dem
Psalterium und dem Hackbrett nahe. Da anders als bei der Violine oder der Gitarre keine Saite mit den Fingern abgegriffen wird, erzeugt jede Saite nur einen Ton, so dass der Tonumfang des Instruments gänzlich von der Anzahl Saiten abhängt. Im Mittelalter wurden Saiten häuptsächlich aus zusammengedrehten Tierdärmen – meistens Schafsdarm – hergestellt, obwohl auch Rosshaar und gelgentlich Seide verwendet wurde. Ab dem 13. Jahrhundert kamen zunehmend Metallsaiten aus Kupfer, Stahl oder sogar Silber in Gebrauch. Metall wurde besonders geschätzt bei Instrumenten, die wie das Hackbrett geschlagen oder wie das Psalterium gezupft wurden. Der Klang war kräftiger, durchdringender, und die Saiten selbst waren weniger reissanfällig. Auch Harfen waren ebenso mit Metall- wie mit Darmsaiten bespannt, obwohl sie normalerweise mit den Fingern oder den Fingernägeln gezupft werden. Wenn die mittelalterlichen Harfenisten ein eigenes Notationssystem entwickelt hätten, wüssten wir einiges mehr über die Verwendung der Harfe. Unbekannt ist, wie sie die einstimmigen Lieder der Troubadours begleitete oder welcher Art die freien Präludien waren, die offensichtlich dem Gesang bei feierlichen Anlässen vorausgingen. Mit Sicherheit haben die Harfenspieler während des Mittelalters ein ausserordentliches Solorepertoire, einschliesslich einiger Arten von mehrstimmiger Musik zu hoher Meisterschaft entwickelt, wobei die Spieler sich wohl primär auf ihr Gedächtnis und die Improvisation verliessen. Solch technische Gewandtheit ist heute das Kennzeichen südamerikanischer Spieler, die noch den direkten Abkömmling der spanischen Harfe aus dem 16. Jahrhundert benutzen. Handwerk 3/97 5
Das wesentliche Merkmal, das die Harfe des mittelalterlichen Europas von ihren Vorläufern in den antiken östlichen Kulturen unterscheidet, ist ihre dreiteilige Bauweise. Während die antike Harfe sich auf einen Schallkörper und einen Saitenträger beschränkte, vollendete die hinzugefügte Vorderstange den dreieckigen Rahmen und stellte dadurch eine feste, robuste Bauform her. Der Überlieferung nach kommt Irland, wo die Harfe in keltischen Gebieten besonders gepflegt wurde, das Verdienst für diese Entwicklung zu. Die Harfe spielte eine wichtige Rolle in Legende und Brauchtum. Sie war nicht nur das traditionelle Attribut König Davids, sondern hatte nach einem weit verbreiteten Aberglauben auch die übermächtige Kraft, die Macht des Feindes zu zerstören, wie in vielen Legenden berichtet wird. So wurde z. B. im 10. Jahrhundert St. Dunstan, der Erzbischof von Canterbury, wegen Hexerei angeklagt, da er seine Harfe dort stehen liess, wo der Wind durch die Saiten blasen und eine magische, geheimnisvolle Musik erzeugen konnte.
Die Drehleier Das erste Saiteninstrument, auf das das Prinzip der Klaviatur angewandt wurde, war die Drehleier, die auch als organistrum, symphonia, lyra odervielle à roue bekannt wurde. Die letztgenannte Bezeichnung, «Rad-Fidel», bezieht sich auf einen der mechanischen Vorgänge. Die Bogenbewegung der Fidel ist durch ein Scheibenrad ersetzt, das mit einer Kurbel gedreht wird. Das Rad, dessen äussere Kante mit Harz bestrichen ist, bringt alle Saiten, Bordun – wie Melodiesaiten, gleichzeitig zum Schwingen und sorgt für einen ununterbrochenen Klang. In ähnlicher Weise, wie bei der Sackpfeife Unterbrechungen zum Atemholen durch den Sack entfallen, wird bei der Drehleier durch das Rad der Bogenwechsel vermieden. Mechanisiert ist gleichfalls der Vorgang des Greifens, wobei die gleiche Saite an verschiedenen Punkten verkürzt wird, um die gewünschte Tonleiter zu erzeugen. Der älteste Nachweis für die Drehleier in Europa stammt aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, wobei ihr Konstruktionsprinzip wie die Streichbogenkunst auf frühere Experimente im islamitischen Osten zurückgehen könnte. Bis ins 12. Jahrhundert war das Instrument weithin gebräuchlich und hoch geschätzt. Über den Schallkörper laufen eine oder zwei Melodiesaiten, die –
in einen Kasten eingeschlossen – statt durch die Finger durch eine Art Drücker verkürzt, und daneben zwei oder vier Bordunsaiten, die stets vom Rade mitgestrichen werden. Der älteste Name der Drehleier ist organistrum (10. bis 13. Jahrhundert). Daneben tritt – nach dem Zusammenklingen aller Saiten – symphonis (13. bis 16. Jahrhundert). Je mehr das Instrument von den Klöstern zum Laientum herabstieg, um so mehr machten die lateinischen Bezeichnungen volkstümlichen Namen Platz. Da es in der äusseren Form die Fidel nachahmte, über nahm Handwerk 3/97 6
es auch deren französischen Namen vielle. In der deutschen Sprache wurde das griechische Wort lira übernommen, über Leier zu Drehleier, Radleier, Bauernleier. Die ersten Drehleiern waren Zwei-Mann-Instrumente, bei denen eine Person die Kurbel drehen und die andere die Klaviatur bedienen musste. Diese Arbeitsteilung war nicht nur wegen der Grösse des Instruments, sondern auch wegen der Tastenmechanik erforderlich. Die Tasten stellten eine Art bewegliche Stege dar, bei denen jeweils eine leichte Drehung nötig war, um sie in Kontakt mit den Saiten zu bringen. Diese Spielweise muss sehr schwerfällig gewesen sein. Mit der Weiterentwicklung der Drehleier entfiel der zweite Spieler, da eine Person jetzt Kurbel und Klaviatur bedienen konnte. Die Drehstege wurden durch Tangententasten ersetzt, die gegen die Saiten gepresst wurden und danach in ihre Ausgangsstellung zurückfielen. Die Tangenten verkürzten nur die Melodiesaite, so dass die anderen als Bordune ununterbrochen weiterklangen. Folglich änderte sich der ganze Charakter der Drehleier: aus einem schwerfälligen Instrument entstand ein ideales Instrument für Tanzmusik mit einer beweglichen Klaviatur für die Melodie und einem festen Bordun für die Begleitung. Zunächst scheinen drei Saiten die Regel gewesen zu sein; eine Stimmung der Bordunsaiten in G und D und der Melodiesaite in C entspräche einer gängigen Stimmung der Fidel. Die Saitenzahl wurde bis zum 14. Jahrhundert auf fünf oder sechs erhöht. Auch der Umfang der Klaviatur vergrösserte sich allmählich auf zwei vollständig chromatische Oktaven.
Zu Besuch im Musikinstrumente-Baukurs Am 25. November, auf der Reise ins Kurszentrum, liegt das Mittelland im Nebel; bei meiner Ankunft auf dem Ballenberg scheint bereits die Sonne und beleuchtet das Kurslokal, wo eine grössere Gruppe von Leuten eifrig an der Arbeit ist. Die Musikinstrumente, welche als Modell dienen, ziehen meinen Blick zuerst an: ein wunderschöner Büchel und verschiedene Drehleiern. Ein Kursteilnehmer ist eben daran, Peddigrohr um einen bereits ausgehöhlten Büchelteil zu leimen – eine heikle Arbeit, welche viel Fingerspitzengefühl erfordert. Für die Vorbereitungsarbeiten wurden modernste Präzisionsmaschinen, wie eine Kopier-
drechselmaschine, ein Bildschnitzkopierapparat und eine Präzisionsbandsäge eingesetzt. Trotzdem bleibt noch sehr viel Handarbeit zu tun – ca. 60 Stunden für alle Instrumente, welche im Kurs gebaut werden – dies bedeutet sechs lange Arbeitstage, welche die Kursteilnehmer aber mit Enthusiasmus erbringen!
Mein Instrument bauen... ...dies schafft einen ganz persönlichen Bezug beim späteren Spielen des Instrumentes. Wie der Kursleiter Mathias Wetter beobachten konnte, sind Neugier und Bereitschaft zum Spielen eines selbst gebauten Instrumentes viel grösser als bei einem gekauften Instrument. Beim Bauen werden die Funktionen des jeweiligen Instrumentes verstanden, was z. B. auch auf die nötige Wartung des Instrumentes einen grossen Einfluss hat. Die Motivation, eine Drehleier, eine Spielmannsharfe oder einen Büchel selber zu bauen, sind vielfältig: eine Kursteilnehmerin spielt bereits verschiedene Saiteninstrumente, aber eine Harfe fehlte noch in ihrem Sortiment, ein anderer befasst sich in seiner Freizeit schon seit langem mit Musik der Renaissance, und somit entstand der Wunsch, eine Kastendrehleier zu bauen.
Fein geschliffen soll es sein Die Instrumente werden aus einheimischen Edelhölzern (Birnbaum, Pflaumenbaum, Kirsch- und Apfelbaum) gearbeitet, als Resonanzholz dient feinjährige Bündner Fichte; bis Ende Woche wird dieses den feinsten Schliff bekommen und nach dem Bespannen mit Saiten und dem Stimmen werden die Instrumente hoffentlich wunderbar klingen! Heute noch, am zweiten Kurstag, wird gesägt und gehobelt, geleimt und bereits mit gröberem Schleifpapier geschliffen. Theoretisch kann sich auch jemand ohne jegliche Schreinerkenntnisse ein Instrument bauen. Im Kurs hat es Unkundige sowie auch Könner im Schreinerhandwerk. Gearbeitet wird nicht nach vorliegenden Plänen, sondern nur mit Massangaben. Mathias Wetter hat in seiner langjährigen Kurstätigkeit als Instrumentenbauer die Erfahrung gemacht, dass auf diese Weise auch von Seiten der Kursteilnehmer immer wieder neue Impulse einfliessen und so bei jedem Instrument die Möglichkeit zur Veränderung und Weiterentwicklung gegeben ist. n Ursina Arn-Grischott
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Die Maienpfeife
Die Maienpfeife – ein fünfhundertjähriges Volksmusikinstrument der Schweiz Der Malerpoet Tobias Stimmer (1539 bis 1584) aus Schaffhausen schrieb 1580 unter dem Titel «Comedia» eine Posse, in deren 9. Szene die Maienpfeife erwähnt wird: Im frieling schlachen auss die weiden, dan sol man recht die pfeiffen schneiden.
Dieser Reim weist auf einen allgemein verbreitet gewesenen Frühlingsbrauch, nämlich, aus Weiden Pfeifen anzufertigen. Stimmer führt ihn im übertragenen Sinn, als Aufforderung, eine Gelgenheit zu nutzen, an. Tatsächlich lässt sich eine Weidenpfeife nur während einer kurzen Zeit herstellen – dann, wenn die Laubbäume im Saft stehen – das heisst, so lange der Pflanzensaft rascher als während der Wintermonate durch die Bäume zirkuliert.
Us altem Holz git’s ka Pfiffa Wer die Gelegenheit verpasst habe, könne keine Pfeife mehr schnitzen, sagt dieses Sprichwort aus dem Kanton Schaffhausen. S’Holz mue im Saft si, weet wotsch Pfiife träje
weist ebenfalls auf die Grundbedingung zur Fabrikation von Maienpfeifen und damit auf die für diese Tätigkeit günstige Zeit. Die allgemein verbreitete Redensart: wo kes Holz isch, git’s ke Pfiiffe
kommt in umgekehrter Bedeutung im bekannten Emmentalerlied «Dr Bueb vo Trueb» von Johann Rudolf Krenger vor (1854 bis 1925). In der ersten Strophe heisst es: I bi-n ä Ämmitaler, und desse bi-n i stolz, Es wachst i üsne Grebe viel saftigs Pfyffeholz und mänge chäche Bueb I bi-n ä Bueb vo Trueb.
Diese Redensarten mit der Metapher des im Saft stehenden Pfeifenholzes lassen eine vormals weitherum bekannt gewesene Tradition vermuten. Heute gehört das Maienpfeifenschnitzen zu den verlorengegangenen Selbstverständlichkeiten der Schweiz.
Musica getutscht 1511 hatte Sebastian Virdung in Basel die erste deutschsprachige Instrumentenkunde, die «Musica getutscht», herausgebracht. Das mit Holzschnitten bebilderte Büchlein beschreibt die Handwerk 3/97 8
Abb. 2 Zur Herstellung einer Maienpfeife wählt man ein ast- und knospenfreies Stück Weide oder einer anderen im Saft stehenden Laubbaumart. Foto: BBG, 1973
Abb. 3 10 – 30 mm vom Astende wird eine halbmondförmige und bei der gewünschten Länge eine konzentrische Kerbe eingeschnitten. Foto: G. Howald, 1974
Abb. 4 Maienpfeife mit 2 Grifflöchern, 1933 von Hans In der Gand in Schlans gesammelt. Foto: Museum der Kulturen Basel
Abb. 5 Die Rinde wird mit dem Messerrücken beklopft. Foto: BBG, 1973
Abb. 1, Seite 8 Zurechtschneiden des Schnabels; das Holz kann gerade bleiben – seltener wird das Ende schnabelförmig zugeschnitten. Foto: G. Howald, 1974
Musikinstrumente vornehmer Bürger, nämlich Laute, Viola da Gamba, Clavichord, Harfe, Trumscheit, Hackbrett, Schalmeien, Schwegel und Krummhörner. Neben diesen gehobenen Instrumenten führt Virdung Klanggeräte an, die er als dorliche (törichte) instrumenta taxiert. Er sagt über sie: Dise instrument (...) acht ich alle für göckelspill.
Diese elementaren Musikinstrumente werden weder beschrieben noch abgebildet. Virdung ver mittelte aber 1511 durch die blosse Aufzählung traditioneller Instrumente eine Liste von dokumentarischer Bedeutung. Er nennt folgende Volksmusikinstrumente: Trumpeln (Maultrommeln), Schellen, Jegerhorn, Acherhorn (wahrscheinlich Alphorn), Kühschellen, Britschen uff dem hafen (Hafenklopfen), pfeifflin aus den federkilen, lockpfeifflin der fogler, wachtelbeinlin, Lerchen pfeifflin, Maisenbeinlin, Pfeiffen von strohhelmen gemacht, Pfeiffen von den safftigen rinden der böm, von den pleter der böm.
Sebastian Virdung erweitert unsere Kenntnis der Maienpfeife um ein ganz wichtiges Detail. Er nennt sie Pfeiffen von den safftigen rinden der böm.
Bereits vor der Reformation, im ausgehenden Mittelalter war also bekannt, dass sich die Rinde leichter vom Holz trennen lässt, wenn der Saft in die Bäume steigt. Der verbreitetste Name dieses Kinderinstruments – Meiepfiffe – weist denn auch auf den für die Fabrikation günstigsten Zeitpunkt des Jahres, den Monat Mai. Im Kanton Uri notierte Hanns in der Gand den Mundartbegriff Langsigpfiffe (Lenzenpfeife). Allgemein bekannt ist zudem das Wort Widepfiffe. Es deutet, ebenso wie die französiche Übersetzung – sifflet de saule – und das im Tessin gängige Wort – pipa salici –, auf das günstige Material, Weidenrinde. Die meisten im Saft stehenden Laubbäume eignen sich aber zur Herstellung von Maienpfeifen. Neben der Weide wurden häufig Erle, Esche und Hasel verwendet. Handwerk 3/97 9
Im Glarnerland sagt man, die Linde bleibe länger als andere Bäume im Saft. In höher gelegenen Tälern wurden Maienpfeifen aus Nuss- und Vogelbeerbaum sowie aus Ahorn angefertigt. Im Kanton Tessin und in den südlichen Bündnertälern nahm man auch Kastanienholz als Material zur Anfertigung von Maienpfeifen.
Schneiden einer Maienpfeife Zur Herstellung einer Maienpfeife wählt man ein ast- und knospenfreies Stück Weide oder einer anderen im Saft stehenden Laubbaumart. Dieser 10 bis 25 mm dicke und bis zu 80cm, meistens aber 10 bis 20 cm lange Ast wird vorerst an beiden Enden gerade abgeschnitten. (Abb. 2) Seltener schnitt man das eine Ende schnabelförmig zu. (Abb. 1) Mindestens 10 und höchstens 30 mm vom geraden oder schnabelförmigen Ende entfernt wird eine halbmondförmige Kerbe eingeritzt, das sogenannte Fenster oder Labium. (Abb. 3) Vom geraden oder schnabelförmigen Ende mit dem eingeritzten Fenster aus wird nun die gewünschte Länge der Pfeift bestimmt. Sie kann nicht der ganzen Länge des Astes entsprechen, denn am anderen Ende muss ein mindestens 10cm langes Stück als Handgriff zur Herstellung der Pfeife frei bleiben. Das untere Ende der herzustellenden Pfeife wird nun durch eine konzentrische Kerbe bezeichnet. Soll die Maienpfeife nach dem Vorbild einer Blockflöte mit einigen Grifflöchern – es liessen sich zwei bis fünf beobachten – versehen werden, ritzt man diese Löchlein mit Vorteil ein, so lange das Holz noch nicht von der Rinde befreit ist. Diese Löchlein wurden meistens ohne Rücksicht auf eine reine Stimmung in beliebigen Abständen unterhalb des Fensters, in einer senkrechten Reihe angeordnet, in die Rinde gestochen. (Abb. 4) Der nun folgende Arbeitsgang des Beklopfens der Rinde mit dem Rücken des Sackmessers ist auch all jenen, die seit langer Zeit keine Maienpfeife mehr hergestellt haben, in Erinnerung. Chlöpferle nannte man dieses Losklopfen der Rinde in der deutschsprachigen Schweiz, wobei es schwierig ist, die ebenrechte Intensität, nicht zu stark und nicht zu schwach, herauszufinden. Es ist ebenfalls kein Kinderspiel zu wissen, wann sich die Rinde vom Holz gelöst hat. Alle Gewährsleute haben betont, dass man nicht zu lange, wohl aber
zu wenig lange klopfen könne. Wird dieser Arbeitsgang zu rasch oder nicht gleichmässig über den ganzen Ast verteilt vollzogen, zerreisst die Rinde beim Abtrennen vom Holz. (Abb. 5) Bevor man durch sorgfältiges Abdrehen versucht, das Rindenröhrchen vom Holz abzuziehen, empfehlen die meisten Informanten, die Rinde abzulecken. Zu diesem Zweck wird der beklopfte Ast auf die Zunge gelegt und mit beiden Händen gedreht und hin- und hergeschoben. (Abb. 6) Vorerst wird mit dem Messer die Rinde der halbmondförmigen Kerbe abgezogen, wenn dies nicht von Anfang an gemacht worden ist. Danach versucht man, durch leichte Drehbewegung die Rinde zu lösen und schliesslich das Holz herauszuziehen. Diesen delikaten Arbeitsgang begleiteten Kinder früher mit sogenannten Bastlösereimen (siehe ds.). Der herausgezogene Holzstab zeigt die Fensterkerbe und damit auch die Länge des nun zu schneidenden Pflöckleins an. Es wird an der angezeichneten Stelle vom Holz geschnitten oder abgesägt und danach leicht abgeplattet. Wird dieser Holzzapfen in die Rindenröhre gesteckt und zwar mit der flachen Stelle an der Fensterseite, entsteht genau über dem Fenster eine Kernspalte.
Die Töne der Maienpfeife Der Grundton dieser elementaren Blockflöte ist desto tiefer, je länger und je dicker die Pfeife ist. Umgekehrt ergibt eine kurze Maienpfeife einen hohen Ton. Dieser Grundton lässt sich auf vier Arten verändern. a) Kernspaltpfeife mit verschiebbarem Mündungsboden:
Das herausgezogene Holz wird wieder in die Rindenröhre gesteckt. Der Holzstab kann auf- und abwärts bewegt werden. Beim Hinunterziehen wird der Ton tiefer, beim Heraufstossen verkürzt sich die schwingende Luftsäule: der Ton wird höher. b) Maienpfeifen mit Grifflöchern:
Die Grifflöcher werden beim Spiel zugedeckt und dabei der tiefste Ton erreicht. Beim Aufdecken der Grifflöcher wird der Grundton erhöht. c) Gedackte Maienpfeifen:
Eine Maienpfeife ist dann gedackt (gedeckt), wenn sie unten an der Röhre mit dem Finger verschlossen wird. Mit dieser Technik, die auch im Handwerk 3/97 10
Orgelbau angewendet wird, lässt sich der Grundton einer Pfeife um eine Oktave senken. d) Veränderung des Grundtons durch Überblasen: Abb. 6 Vor dem Abdrehen wird die Rinde angefeuchtet Foto: BBG, 1973
Abb. 7 Kreuzpfeife von Hans In der Gand gesammelt, 1933 Vissoye (VS) Foto: Museum der Kulturen, Basel
Abb. 8 Salomon Gessner (1730 – 1788) Faunkind und zwei Knaben in einer Weide, einer der Knaben mit Maienpfeife. Foto: Schweizer Inst. für Kunstgeschichte, Zürich
Abb. 9 Albert Anker (1831 – 1910) Der Pfeifenschnitzer, Öl auf Leinwand, 1858, Privatbesitz Foto: Kunstmuseum Bern
Durch starken Atemdruck lässt sich der Grundton um eine Oktave oder andere Töne der Obertonreihe erhöhen. Im Bündner Oberland wurden zwei oder mehrere Pfeifen unterschiedlicher Länge zusammengebunden, was ein Spiel mit mehreren Tönen erlaubte. Eine Sonderform ist aus Vissoie (VS) bekannt. Dort banden sich Hirten zwei Pfeifen unerschiedlicher Länge mit einer Kernspalte und einem Aufschnitt auf beiden Seiten zu einer Kreuzpfeife zusammen. (Abb. 7) Maienpfeifen haben die Eigenschaft, rasch zu vertrocknen und bereits nach wenigen Tagen nicht mehr zu klingen. Auch wenn nur ältere Kinder in der Lage sind, Maienpfeifen zu schneiden, gilt die Maienpfeife als musikalisches Kinderspiel im Freien.
Maienpfeifen in der bildenden Kunst Das älteste bekannte Bild, eine Radierung des Zürcher Dichtermalers Salomon Gessner von 1767, veranschaulicht nicht nur den Liebreiz der pfeifenschnitzenden Kinder, sondern auch die Weide als Lieferantin der Maienpfeife. (Abb. 8) Ein kleines Ölbild von 1858 von Albert Anker zeigt einen Knaben, der im Begriff ist, von einem Weidenast ein Stück abzuschneiden und daraus für ein Mädchen, das ihm staunend zuschaut, eine Maienspfeife zu schnitzen. (Abb. 9) Im frühen 20. Jahrhundert dokumentierten der bereits erwähnte bernische Jodelliedkomponist Johann Rudolf Krenger und der Schwyzer Dichter Meinrad Inglin die Maienpfeife. Das Mundartgedicht «s’Mayepfyffli» erschien 1913. Hüt heisst’s i d’Maiepfyffe goh! He, ‘s hät mi lang scho g’jukt Wi rüehig isch’s im Unterholz! Mein, ‘s isch do alls vermukt. Isch öppe gar dr Wald verhärt? Mira se söll er’s sy Äs Maiepfyffli schnätzli zwäg, Drü Löchli schnäfli dri. Und woni due durs Farechrut Eis flöitle und dürs Gschtrüch, Handwerk 3/97 11
So lacht mi gly ä Dröistle us, Gält, chasch äs nüd wien ich. Und cha’s mys Pfyffli ase nüd Sä blost’s doch allerhand, Mym liebe Schätzli chlopfet ‘s Härz Und ‘s räukt, wän’s töint is Land.
Während heute die Maienpfeife in der Schweiz weitgehend vergessen ist, fertigte noch vor zwanzig Jahren da und dort ein Lehrer Maienpfeifen mit Schulkindern. Nur noch im Muotatal fand sich in diesem Jahr (1997) ein Briefträger, der sich daran erinnerte, früher seinen Kindern Maienpfeifen geschnitten zu haben. Er hat sich denn auch bereit erklärt, im Mai 1997 einigen Waldschullehrern die bescheidene Kunst beizubringen. Auf diese Weise ist das Maienpfeifenschnitzen von der Tradition in die Pflege übergegangen. Den Multiplikatoren wurde schon an jenem Kursnachmittag bewiesen, dass auch heutige Kinder an Maienpfeifen interessiert sein können. Eine Gruppe von Pfadfinderinnen, die zufälligerweise des Weges kam, machte Halt. Die Mädchen wollten reihum die Maienpfeife blasen.
Bastlösereime 1905 publizierte Jean Jeanjaquet 35 Bastlösereime, die er im dialektologischen Material, des «Glossaire des patois romands» gefunden hatte. Bastlösereime sind Sprüche, die Kinder bei der Herstellung von Maienpfeifen, und zwar beim schwierigen Abdrehen der Rinde, aufzusagen pflegten. Alle diese Verse beginnen mit dem beschwörenden «Pèle, pèle bien» und versprechen beim guten Schälen «du bon vin». Ein Beispiel sei aus Bière im Kanton Waadt zitiert: Pèle, pèle bien Tu auras du bon vin, Si tu pèle mal, Tu auras de la pisse de cheval
Wer beim Gelingen der Maienpfeife mit einem Glas Wein belohnt oder beim Zerreissen der Rinde mit Pferdeurin bestraft wird, bleibt unbekannt. Das rückt diese Kinderreime in den Bereich des Magischen. Die Bastlösereime sind wahrscheinlich sehr alte Volksdichtungen. Vielleicht knüpfen sie gar an vorchristliche Zaubersprüche an. n Brigitte Bachmann-Geiser
Brigitte Bachmann-Geiser, Die Volksmusikinstrumente der Schweiz, Handbuch der europäischen Volksmusikinstrumente. Serie I, Bd. 4, Leipzig/Zürich 1981. Meinrad Inglin, ‘s Schwäbelpfyffli. Bd. I, Aarau 3/1913. Jean Jeanjaquet, Formulettes enfantines accompagnant la fabrication des sifflets de saule. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 9, 1905, S. 59 – 64. G. Kummer, Schaffhauser Volksbotanik. In: Neujahrsblatt, hg. Naturforschende Gesellschaft Schaffhausen auf das Jahr 1953.Thayngen – Schaffhausen 1952. Tobias Stimmer, Comedia. Ein nüw schimpfspil von zweien jungen eheleuten, 1580. Richard Weiss, Das Alpwesen Graubündens. Erlenbach 1941. Gertrud Züricher, Bastlösereime. In: Schweizer Volkskunde 9, 1919, 10; 36. Gertrud Züricher, Kinderlieder der deutschen Schweiz. Basel 1926, 29. Sebastian Virdung, Musica getutscht. Basel 1511. Faksimile – Nachdruck hg. v. Klaus Wolfgang Niemöller. Kassel, Basel, Paris, London 1970. Diskographie Die Volksmusikinstrumente der Schweiz. CD Claves 50 – 9621. Video Balade à travers la musique populaire suisse. Télévision Suisse Romande, 1205 Genève, 2 Kassetten mit schweizerischen Volksmusikinstrumenten.
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Experimentelle Musik
Serge Lunin: Mit Lust und Background experimentieren Ich besuche Serge Lunin in der Holzwerkstatt der Schule für Gestaltung Zürich. Er erteilt dort den Werklehrerstudenten und -studentinnen Unterricht im Gestalten mit Holz und führt Kurse im Rhythmusinstrumentenbau durch. Nächstes Jahr bietet er vom 14. bis 18. April im Kurszentrum Ballenberg Heimatwerk einen Kurs «Experimenteller Instrumentenbau» an. Serge Lunin ist gelernter Schreiner und hat in seiner Ausbildung am Werklehrerseminar begonnen, sich mit Instrumenten zu befassen, sie zu bauen und zu spielen. Seither ist seine Hingabe für dieses Thema gewachsen und er hat sowohl Erwachsenen als auch Kindern mit Begeisterung sein grosses Wissen und seine Erfahrungen weitergegeben. In erster Linie möchte Serge Lunin mit seinen Kursteilnehmern experimentieren und nicht ein Instrument nach Vorgaben nachbauen. Er will inspirieren und beim Erforschen der verschiedenen Prinzipien unterschiedlicher Instrumente in Bau und Klang die Arbeit der Schüler unterstützen.
Den Wurzeln nachgehen Serge Lunin zeigt mir eine Sammlung von Musikinstrumenten, die auch einige Kuriositäten beinhaltet, einerseits Ethnoinstrumente aus aller
Welt aber auch eine Vielfalt an selbstgebauten Instrumenten. Bei meinem Besuch führt er mir einige vor Augen und natürlich auch vor Ohr und entlockt ihnen überraschende Klänge. Ebenso inspirierend ist sein spannendes Bucharchiv, mit Abbildungen von Instrumenten aus aller Welt und allen Zeiten – eine Fülle von Formen, an denen sich Kursteilnehmer inspirieren können. Viele Instrumente sind noch nie gesehene Objekte, deren Klänge nur geahnt werden können und neugierig machen. Man soll nicht an dieser Fülle der Welt kapitulieren – im Gegenteil – Serge Lunin sieht diese Vorbilder als Inspiration zur Weiterentwicklung und zur Weckung der Neugierde. Er lässt sich gerne von Ethnoinstrumenten inspirieren, nicht um sie zu kopieren, sondern um Anregungen zu bekommen, mit unseren Materialien ein Prinzip oder eine Form entsprechend umzusetzen. Deshalb ist seine Spielfreude ungebremst, er hat stets offene Ohren und Augen für alles, was sich spielen lässt, und entlockt auch banalsten Gegenständen unerwartete Klänge. Das einfachste Haushaltinstrument, das er gleich vor meinen Augen präpariert – ein Trinkrohr, dem er mit einem Messer auf einfache und schnelle Art einige Grifflöcher und einen Membran nach dem Prinzip der Klarinette einschneidet – tönt schon fast wie eine Schalmei! Handwerk 3/97 13
Ein anderer Haushaltgegenstand, dessen Klang er kürzlich entdeckte, ist die Gugelhopfform. Inspiriert vom Prinzip der tibetanischen Klangschale, die durch Reibung zum Schwingen gebracht wird, fährt er mit einem lederbezogenen Holz über den Rand und entlockt ihr einen intensiven Klang. Wie er z. B. sein Auto zum Klangkörper machte, davon erzählt er mir eine lustige Geschichte. Zu diesem Experiment verleitete ihn das Prinzip des Schwirrholzes, ein Instrument der Aborigines, das zur Geistervertreibung gespielt wird. Es ist ein an einer Schnur befestigtes Brettchen, das ein surrendes Geräusch von sich gibt, wenn es geschwungen wird. Der Ton verändert sich je nach Geschwindigkeit. Bei seinem Autoexperiment hat er in einem gewissen Abstand Spanngurten über sein Auto gespannt. Beim Fahren werden die Spanngurten in Schwingung versetzt; das Auto dient als Resonanzraum und verstärkt den entstandenen Klang.
...ein dicker Stab tönt höher als ein dünner auf dieselbe Länge... Er lässt die Kursteilnehmer mit Materialien arbeiten, die anregend sind, und anhand derer er einfache Grundprinzipien zeigen kann. Es soll ein Verständnis erlangt werden, wie verschiedene Instrumente, die wir kennen, funktionieren – warum sie klingen! Das Kennenlernen der verschiedenen Klangprinzipien soll anregen, Eigenes zu entwickeln und ermöglichen, weitere Entdeckungen zu machen. Als Einstieg in die Entdeckung der Klangvielfalt lässt Serge Lunin die KursteilnehmerInnen den ganzen Raum und seine Gegenstände auf ihren Klang hin mit Schlegeln erkunden und zum Klingen bringen. Es gibt Dinge, die an und für sich klingen, aber unhörbar bleiben, weil ihre Abstrahlfläche zu klein ist. Weiss man aber, dass durch Anfügen eines Resonanzkörpers Klänge hörbar werden, gibt es unglaubliche Entdeckungen zu machen. Er demonstriert mir eine andere Form der Verstärkung anhand einer Gabel. Sie wird an eine Schnur gehängt, deren Enden man sich an die Ohren führt. Wird die Gabel angeschlagen, leitet die Schnur den Klang ins Ohr und lässt ihn schön und klar erklingen.
Bau von Djembes (Bechertrommel aus Westafrika). Sie sind aus Erlenholz geschnitzt und mit Ziegenfell aus dem Emmental bespannt. Schwingungen sichtbar machen und staunen! Eine mit Salz bestreute Messingplatte wird mit einem Bogen angestrichen.
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...und wieso tönt eine Röhre, wenn man hineinbläst... Jedes Grundprinzip bietet eine Vielfalt an Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Serge Lunin zeigt mir verschiedene Mundstücke, die aus Elektrikerrohren, einer Fahrradpumpe oder anderen einfach zu beschaffenden Materialien gemacht wurden, um herauszufinden, wie die verschiedenen Prinzipien der Querflöte, einer südamerikanischen Quena oder einer japanischen Shakubachi-Flöte funktionieren. Mit einem Ballon veranschaulicht er mir das Grundprinzip des Membrans auf verständliche Weise. Dem Ballon wird durch Spannen der Öffnung langsam die Luft abgelassen, so dass er pfeifende Töne von sich gibt. Will man die Töne kontrollierter spielen, werden in einem nächsten Schritt zwei ineinandergesteckte Rohre mit einem Ballon bespannt und vom Spieler selbst geblasen. Mit zusätzlichen Grifflöchern können verschiedene Tonhöhen erzeugt werden. Auf dieser Basis haben sich in seinen Kursen verschiedene flötenartige Instrumente weiterentwickelt und wurden in mehreren Arbeitsetappen perfektioniert. Serge Lunin hat das Thema weiter verfolgt und eine Art Orgel gebaut, bei der eine ganze Palette von Rohren verschiedener Länge mit einer Tastatur gespielt wird. Als Luftreservoir hat er Latexhandschuhe eingesetzt, die mit einer Schlauchbootpumpe aufgeblasen werden. Jeder Finger des Handschuhes steuert ein Rohr an. Zur Erzeugung eines Tones lässt sich eine Klappe heben, die an den Rohren angebracht ist.
Klangprinzip durch Ausprobieren, Erforschen und Hören kennenzulernen. Es soll die Lust entstehen, gewisse Phänomene herauszugreifen und sich vertieft damit zu beschäftigen. Aus den Erkenntnissen, die gemacht werden, wird es möglich, sein eigenes Instrument zu bauen. Der Kursverlauf hängt oft von den verschieden gelagerten Interessen der Kursteilnehmer und -teilnehmerinnen ab; einige bauen eine Woche lang eine Trommel, andere wollen mit verschiedenen Prinzipien experimentieren und deren Klang erforschen. In Kursen, die sich speziell mit Rhythmusinstrumenten befassten, ist ein Spektrum von Instrumenten entstanden, das sich vom bespannten Waschzuber bis zur aufwendig gebauten perfekten Trommel aus 24 Segmenten erstreckt. Für eine solche Bauweise braucht es bereits sehr viel Erfahrung im Arbeiten mit Holz. Beim Trommelbau werden ganze Baumstammstücke ausgehöhlt und mit Fell bespannt. Es gibt verschiedene Vorgehensweisen, bei welchen entweder der Baumstamm halbiert, separat ausgehöhlt und wieder zusammengeleimt wird oder am Stück ausgehöhlt wird. Vorgeschnitten wird mit der Kettensäge, nachbearbeitet von Hand mit dem Schnitzmesser. Zur Befestigung des Fells wird ein Spannring geschweisst und mit Stoff umwickelt. Mit horizontalen und vertikalen Schnüren wird das Fell auf die Trommel gespannt. Einfachere Möglichkeiten des Trommelbaus sind z. B. mit Schweinsblasen bespannte Blumentöpfe aus Ton – mit unterschiedichen Topfgrössen können verschiedene Grundklänge erzeugt werden oder ein mit Klebband bespanntes Metallfass.
Billig oder edel Manche, mit «billigen» Materialien provisorisch gefertigte Instrumente verlieren nach den ersten Experimenten an Reiz, da ihre Klangmöglichkeiten begrenzt sind. Wenn das Bedürfnis vorhanden ist, ein Plastikrohr durch ein edleres Material zu ersetzen, dient das Plastikrohr als wichtiger Prototyp, woran z. B. Lochabstand, Lochgrösse und Rohrdurchmesser erprobt werden können, z. B. mit einem Bambusrohr wird eine ganz andere Klangqualität erzielt – man erhält eine edlere und wärmer klingende Flöte, die auch zum Spielen angenehmer ist. Bewusst wählt Serge Lunin dieses Vorgehen, bei welchem es ihm wichtig ist, nicht Vorgaben zum Bau einer Bambusflöte zu liefern, sondern ein
Erfahrbare Gesetzmässigkeiten Ein klassisches Experimentierinstrument ist das Monochord, ein Instrument mit mehreren gleichgestimmten Saiten. Durch verschiebbare Stege können die Saiten halbiert, gedrittelt, geviertelt usw. werden und sowohl mit dem Auge wie mit dem Ohr gestimmt werden. Mit diesem Instrument können akustische Gesetzmässigkeiten und Proportionen physisch erlebbar und verständlich gemacht werden. Schon Pythagoras hat viele seiner Erkenntnisse über das Experiment mit dem Monochord gewonnen. Eine weitere akusische Gesetzmässigkeit, die visuell darstellbar ist, sind Schwingungsbilder, die sich Chladnische Klangfiguren nennen. Für dieHandwerk 3/97 15
ses Experiment verwendet Serge Lunin eine Messingplatte. Sie wird mit Salz bestreut und mit einem Bogen angestrichen. Die Schwingung wird sichtbar, indem sich das Salz zu wunderbaren Mustern ordnet. Die ovale Blechform, mit welcher mir Serge Lunin das Experiment vorführte, liess uns zwölf verschiedene Bilder zählen. Die Struktur ist umso einfacher, je tiefer der Ton ist, da die Schwingungen langsamer sind. Hohe Töne ergeben viel differenziertere Muster. Interessant bei diesem Experiment ist, wie Phänomene, die sonst bereits hochtechnisiert und zum Teil elektronisch erzeugt werden, mit einfachen Mitteln – einem Blech, einem Bogen und Salz – verständlich nachvollziehbar sind und wichtige Erkenntnisse liefern. Im ausgeschriebenen Kurs «Experimenteller Instrumentenbau» möchte Serge Lunin in den ersten Tagen eine Einführung in die verschiedenen Instrumentengruppen geben, Chordophone (Saiteninstrumente), Aerophone (Blasinstrumente), Membranophone (Trommeln) und Idiophone (Selbstklinger). Eine Untersuchung bei den Idiophonen könnte z.B. folgendermassen aussehen: eine Dachlatte wird auf zwei Schnüre aufgelegt und angeschlagen. Je nachdem wie die Latte bearbeitet ist, je nach Grösse des Resonanzraumes und Wahl des Schlägers, wird ein anderer Klang erzeugt. Serge Lunin ist gut ausgerüstet mit einem grossen Sortiment an Schlägern aus Holz oder Gummi, mit Schnur, Klebband oder Leder umwickelt, wattiert oder hart, die er dann für den gewünschten Klang auswählen kann. Ist jemand von diesem Prinzip fasziniert, bieten sich verschiedene Weiterbearbeitungsmöglichkeiten an, z. B. Resonanzräume zu bauen, wie sie vom Vibraphon oder Xylophon her bekannt sind, wo sich ein Kästchen oder eine Röhre unter jedem Ton befindet, um die entstehenden Schwingungen aufzufangen. Ohne Resonanzkörper sind vor allem die tiefen Töne kaum hörbar, da die Schwingung zu träge ist. Wenn das Volumen des Resonanzkörpers jedoch mit dem Ton übereinstimmt, kann ein Klang enorm verstärkt werden.
Ganz neue Töne Meistens sind die selbstgebauten Instrumente nicht wie unsere westlichen Instrumente wohltemperiert gestimmt. Dies beeinflusst natürlich auch die Spielweise, die plötzlich asiatisch oder afrikanisch anmutet, und kann den Vorteil haben, dass man viel freier improvisiert, da es kein Festhalten an den Hörgewohnheiten unserer Skala gibt – mitunter ein Anlass, sich zu den verschiedenen Kulturen und ihrer Musik Gedanken zu machen. Verschiedene Grundlebenshaltungen sowie die unterschiedlichen Rohstoffe beeinflussen sowohl die Beschaffenheit der Instrumente wie auch die darauf gespielte Musik. Gemeinsam ist allen Rhythmuskulturen der Welt, dass sie sich aus Arbeitsrhythmen entwickelt haben. So lebt die westliche Kultur eher in einem 2er-Rhythmus; der Grundpuls ist ein hektisches zielgerichtetes Vorwärtsgehen und die Instrumente sollen möglichst einen reinen Ton geben. Ganz im Gegensatz dazu lassen die asiatischen Instrumente alle Obertöne mitklingen und die asiatische Kultur lebt in einem 3er-Rhythmus – ein meditatives Verweilen. Die Wieder-Entdeckung der eigenen Rhythmen durch die Improvisation ist daher sehr aktuell. Serge Lunin unterrichtet KursteilnehmerInnen mit den verschiedensten Voraussetzungen. Die musikalischen Erfahrungen sind oft sehr unterschiedlich, einige haben viele Kenntnisse, andere kaum welche. Viele, die ein Instrument spielen, wissen nicht, welche Faktoren den Klang ihres Instrumentes beeinflussen. Die selbst gebauten Instrumente werden in den Kursen auch gespielt; nicht nur, um sie auszuprobieren, sondern auch aus Freude am gemeinsamen Spiel. Beim Zusammenspiel werden die verschiedenen Klänge kombiniert und möglicherweise wird ein Instrument wieder verändert oder ein neuer Klang entdeckt. Der Umgang mit Musik ist dem Gestaltungsprozess verwandt. Auf beiden Gebieten sind Erwartung und Anspruch Feinde des Entdeckens und Geschehenlassens. Durch Loslassen eröffnen sich oft neue Räume und Welten, welche den Zugang zu innerer und äusserer Inspiration möglich machen. n Christina Arn
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Trockenmauern
Heckenlandschaft Trimmis: Trockenmauern erhalten
Frank Rumpe: Trockenmauer-Baukurs Im Kursprogramm 1998 finden Sie zwei Kurse mit Frank Rumpe, Projektleiter bei der Stiftung Umwelt Einsatz Schweiz (SUS): Grundkurs Trockenmauerbau vom 25. bis 29. Mai 1998; Trockenmauerbau für Fortgeschrittene vom 28. September bis 2. Oktober 1998. Beachten Sie zum Thema auch den Text in HANDWERK 2/97. Um eine Trockensteinmauer zu errichten, braucht es viele fleissige Hände... Alte Trockensteinmauer in Trimmis
Trimmis liegt am Fuss des Schieferberges Montalin und seiner Ausläufer. Der Schiefer erodiert sehr stark. Daher wird die Landschaft geprägt durch Wildbäche, die durch ihre Ablagerungen mächtige Schuttkegel aufgeschüttet haben. Das Gebiet ist sehr steinig, und die Gewinnung von Kulturlandschaft bereitete den Bewohnern harte Arbeit. Immer wieder wurde das gewonnene Land durch neue Rüfengänge bedroht oder verschüttet. Die unzähligen Steinbrocken und Lesesteine wurden am Rand der Grundstücke aufgehäuft und zu Trockenmauern verarbeitet. Dadurch war das Eigentum abgegrenzt und geschützt vor fremden Weidetieren und weiteren Murgängen. So sind in fleissiger Arbeit durch viele Generationen im Talgebiet ca. 16 km Trockenmauern entstanden. Einzelne Mauern sind teilweise mehrere Meter breit und bilden beidseitig begrenzte Lesesteindeponien. Zum Schutze des Kulturlandes und des Dorfes wurde vermutlich in Gemeinschaftsarbeit eine starke Trockenmauer errichtet, die sich auf einer Länge von ca. 4 km vom Bergfuss bis in die Talsohle erstreckt. Heute noch bildet sie weitgehend die Abgrenzung zwischen dem Kulturland und dem Wald oder der Allmend. Leider findet sich in den ohnehin spärlich vorhandenen Dokumenten Handwerk 3/97 17
aus früheren Jahrhunderten in Trimmis keine Aufzeichnung über den Bau von Trockenmauern. Durch die Wildbachverbauungen in unserem Jahrhundert haben die Mauern als Schutz für das Kulturland an Bedeutung verloren. Durch den starken Rückgang der in der Landwirtschaft Tätigen waren die Unterhaltsarbeiten nicht mehr gewährleistet, und viele Trockenmauern zerfielen. Entlang der Mauern wuchsen Bäume und Sträucher, die den Zerfall noch beschleunigten. Andererseits bildete sich so ein wesentlicher Teil der heutigen Heckenlandschaft. Die vielen Trockenmauern im Trimmiser Kulturland waren ein wesentlicher Grund, dass keine Melioration durchgeführt wurde. Dadurch blieb die kleinräumige Landschaft in ihrer grossartigen Vielfalt bis heute erhalten. Die Trockenmauern sind heute Kulturdenkmäler und bilden bedeutende Oeko-Nischen. In der Naturkundlichen Vereinigung Trimmis wurde die Bedeutung der Trockenmauern erkannt und zu deren Erhaltung nach Lösungen gesucht. In Zusammenarbeit mit dem Kant. Amt für Landschaftspflege und Naturschutz Graubünden wurde ein Projekt verfasst, welches u.a. die Pflege der Hecken und den Unterhalt der Trockensteinmauern beinhaltet. Mit Trockenmauerspezialisten von der Stiftung Umwelteinsatz Schweiz und den Beiträgen des Fonds Landschaft Schweiz wird das Projekt «Heckenlandschaft Trimmis» realisiert, welches die Restauration von jährlich 300m2 Trockenmauern vorsieht. Die Arbeiten werden überwacht durch Frank Rumpe, Projektleiter für Trockenmauern bei der SUS.
Lehrlingseinsätze Die für das Projekt verantwortliche Kommission wählt die zu erneuernden Mauerruinen aus, wobei Mauern entlang von Flur- und Spazierwegen, sowie Abgrenzungen zwischen Privat- und Gemeindeland bevorzugt werden. Mit den Eigentümern wird eine Vereinbarung getroffen, worin sie die Einwilligung für die vorzunehmenden Arbeiten geben und die Zusicherung erhalten, keine Kosten übernehmen zu müssen. Im Herbst werden die geplanten Lagereinsätze bei der SUS angemeldet. Nach Möglichkeit und Interessenten werden uns Schulklassen und Lehrlingsgruppen für das nächste Jahr zugeteilt, die in unserem Projekt einen unentgeltlichen Um-
welteinsatz leisten. Die Gemeinde trägt ebenfalls dazu bei, indem sie Unterkunft und Werkzeuge zur Verfügung stellt. Auch bei der Entfernung hartnäckiger Wurzelstöcke werden Fachleute der Forstgruppe mit den entsprechenden Maschinen eingesetzt. Zu Beginn ihres Lagers werden die Teilnehmer über das Projekt informiert. Es wird ihnen die Bedeutung der Trockenmauern als wertvoller Bestandteil einer vielfältigen Kulturlandschaft und Lebensraum für viele Bodenlebewesen, Insekten, Spinnen, Kleinsäuger und Vögel vor Augen geführt.
Das Aufbauen der Mauer Über die grossen Fundamentsteine wird ein Schnurgerüst errichtet und die Steine mit dem «Gesicht» an der Schnur ausgerichtet, so dass sie längs in die Mauer zu liegen kommen. Es wird immer von beiden Seiten her gebaut. Die Mauersteine werden sorgfältig aneinandergefügt und mit Keilsteinen unterlegt, damit sie sich nicht mehr bewegen können. Die Zwischen- und Hohlräume werden mit Füllsteinen ausgelegt. Nach jeder Schicht wird die Schnur wieder um ca. 10 cm angehoben. Nachdem die Höhe erreicht ist, wird die Mauer mit den grossen, schweren Decksteinen abgedeckt. Die Gesamthöhe beträgt ca. 1 m, die Breite am Fuss ca. 60 bis 70 cm und an der Krone ca. 50 bis 60 cm. Bei gutem Einsatz werden durchschnittlich pro Lagerteilnehmer in der Woche 2 Quadratmeter Trockenmauer restauriert. Pro Laufmeter werden bei freistehenden Mauern 2, bei Stützmauern 1 Quadratmeter gerechnet, wenn die Höhe 1 m beträgt. Seit dem Beginn unseres Projekts im Jahr 94 wurden durch 12 Klassen- und 4 Lehrlingslager mit insgesamt 321 Teilnehmern aus sieben Kantonen 635 m2 Trockenmauern restauriert. Dazu kommen noch Einsätze von Grundeigentümern und Arbeitslosen mit 173 m2. Mit diesen Arbeitseinsätzen wurde nebst der Verschönerung einer alten Kulturlandschaft auch ein wertvoller Beitrag für das ökologische Verständnis bei vielen Teilnehmern und den Einwohnern geleistet. n Christian Hemmi, Trimmis
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Weben: Rundgewebe Ursina Arn-Grischott: Rundgewebe am 4-schäftigen Handwebstuhl
bereits mit 2 Schäften weben können, lassen sich folglich mit 4 Schäften deren zwei übereinander herstellen, ein sogenanntes Doppelgewebe.
Aus dem neuen Buch «Doppelgewebe in der Handweberei»
Wählen Sie irgend ein Kettmaterial, welches Ihnen vertraut ist, und nehmen eine doppelt so dichte Kettfadenzahl, als für einen Stoff in einer einflächigen Leinenbindung benötigt würde (z. B. für LB 8 Kettfäden/cm, für LB in Doppelgewebe 16 Kettfäden/cm, da ja jede der beiden Schichten die jeweilige Kettfadenzahl benötigt). Nehmen Sie eine ungerade Totalkettfadenzahl.
Die genialen Erfindungen für das Weben von Stoffen in zwei oder mehreren Gewebelagen gehen weit zurück – die ältesten Funde von Doppel- und Mehrfachgeweben sind 2000 Jahre alt und stammen aus der Küstengegend von Peru, wo sie uns dank idealen klimatischen Verhältnissen erhalten geblieben sind. Von neuen Webergenerationen wurde seither die Technik, Stoffe gleichzeitig übereinander weben zu können, immer weiterentwickelt. Das Herstellen von Doppelgeweben wurde auch immer wieder als Beweis für ein hohes Können des Webers eingesetzt. In einem Blatt der «Welsh Textile Industrie» von 1927 ist folgende amüsante Geschichte zu lesen, welche William Cranhshaw, selber Weber, von seinem Vater erzählt: «Als mein Vater mit Weben begann, fragte er einen benachbarten Weber, ob er ihm bei einem Stoff, welchen er weben sollte, mit technischen Details zu Rate kommen könnte. Da der Nachbar die Hilfe verweigerte, löste mein Vater schliesslich das Problem selbst. Stolz über das Resultat, sandte er davon ein Stoffmuster dem Weber-Nachbarn. Als Antwort darauf erhielt er einen nahtlosen, an einem Stück gewobenen Unterrock zugesandt mit der Notiz: ‘Kannst du das?’. Mein Vater wob als Anwort darauf ein Paar nahtlose Hosen (ebenfalls gewoben an einem Stück als Doppelgewebe) und sandte diese seinem Nachbarn mit der Notiz: ‘Ja, aber was hältst du von diesen Hosen?’»
Phänomen des Rundgewebes Es ist faszinierend, für Betrachter ohne Webkenntnisse nahezu phänomenal, dass an einem einfachen Handwebstuhl mit nur vier Schäften ein Gewebe mit kontinuierlicher Bindung in zwei Gewebelagen hergestellt werden kann – ein Rundgewebe. Frühere Weber woben am Handwebstuhl Rundgewebe für nahtlose Säcke, Feuerwehrschläuche oder auch für Dochte.
Doppelgewebe konstruieren Prinzipiell wird für jede Gewebeschicht die gleiche Anzahl Schäfte benötigt wie für ein einflächiges Gewebe. Da wir einen Stoff in Leinenbindung
Wählen Sie einen geraden Einzug auf vier Schäften. Die Hälfte der Kettfäden (jeder zweite Faden) gehört einer Gewebeschicht an, z. B. die Fäden der Schäfte 1 + 3 bilden eine Gewebeschicht, die Fäden der Schäfte 2 + 4 bilden die zweite Gewebeschicht. Heben sie alternierend die Schäfte 1 + 3, entsteht eine Leinenbindung obenauf, also ein Obergewebe. Um auch auf der Rückseite weben zu können, das sog. Untergewebe, müssen die Obergewebeschäfte gehoben werden, damit sich die Schichten trennen (Aushebung genannt), dazu noch alternierend die Schäfte 2 und 4 für die Leinenbindung des Untergewebes.
Geheimnis der Doppelgewebe Der Grund, weshalb Gewebe gleichzeitig in zwei oder auch mehreren Gewebelagen gewoben werden können, liegt in der sogenannten «Aushebung». Damit versteht man in der Fachsprache, dass sämtliche Schäfte, welche für das Obergewebe verantwortlich sind, gehoben werden müssen, wenn Untergewebe webt. Nur so bleiben die Schichten getrennt. Die Regel heisst also: Immer wenn Untergewebe webt, muss das ganze Obergewebe ausgehoben werden. In den Faden-Diagrammen ist die Aushebung zur besseren Lesbarkeit im Verschnürungskästchen mit «O» bezeichnet. In der Praxis am Webstuhl bedeutet dieses Zeichen aber eine gewöhnliche Schafthebung.
Die Schussfolgen Beim Rundgewebe wird nur mit einem Schiffchen gewoben. Es folgen sich ein Unterschuss, ein Oberschuss, ein Unterschuss, ein Oberschuss. Da der Schussfaden immer von einer Gewebelage in die andere wechselt, werden die Kanten an beiden Seiten verbunden. Handwerk 3/97 19
OOUU
Die Schafthebungen Auf einer ungeraden Kettfadenzahl kann ein fehlerloses Rund- oder Schlauchgewebe in Leinenbindung gewoben werden – es müssen aber noch weitere Kriterien berücksichtigt werden: n Von welcher Seite soll mit dem Weben begonnen werden? n Welcher erste Oberschuss schliesst dem ersten Unterschuss an?
AB CD Y Wir weben auf einer ungeraden Kettfadenzahl. An der rechten Kante ist der Rapport nicht komplett; ein Faden im Schaft 4 fehlt.
1 2 3 4 1 2 3
1. Unterschuss (Tritt D): Mit Weben an jener Kante beginnen, wo der Rapport nicht komplett ist. Schaft 4 wird gehoben. Schäfte 1 und 3 werden ausgehoben. Der 1. Unterschuss webt von rechts nach links.
1 2 3 4 1 2 3
1. Oberschuss (Tritt B): Der Schussfaden wechselt ins Obergewebe. Schaft 3 wird gehoben, der 1. Oberschuss webt von links nach rechts.
1 2 3 4 1 2 3
2. Unterschuss (Tritt C): Der Schussfaden wechselt ins Untergewebe. Schaft 2 wird gehoben, Schäfte 1 und 3 werden ausgehoben. Der 2. Unterschuss webt von rechts nach links.
1 2 3 4 1 2 3
2. Oberschuss (Tritt A): Der Schussfaden wechselt ins Obergewebe. Schaft 1 wird gehoben, der 2. Oberschuss webt von links nach rechts. Die 4 Schussfolgen wiederholen sich.
Schlauchgewebe in Leinenbindung. Die im Verschnürungskästchen mit O bezeichneten Schafthebungen sind die Aushebungen (alle Schäfte des Obergewebes werden gehoben, wenn Untergewebe webt). Y ist Kontrolltritt ohne Schusseintrag, um von Zeit zu Zeit zu prüfen, ob sich die beiden Gewebelagen nicht durch einen Webfehler verbunden haben).
Die Kanten Da der Schuss an den Kanten leicht einzieht und die Kettfäden dort etwas dichter stehen, wird dies auch an beiden Falten so sein. Wir können dem entgegenwirken, wenn der Blattstich bei den äussersten 2-3 Rieten lockerer gewählt wird.
Das Zusammenweben Wollen Sie z. B. einen Beutel oder eine Tasche in Rundgewebe herstellen, ist es sinnvoll, wenn Sie zu Beginn die beiden Schichten zusammenweben. Da Sie mit einem geraden Einzug arbeiten, können Sie irgend eine Ihnen vertraute Verschnürung wählen, um ein einflächiges Gewebe herzustellen. Üblich ist das Zusammenweben in Hebungen wie für LB, was bei der dichten Ketteinstellung eine Kettrepsbindung ergibt. Diese Bindung hat aber die Tendenz, in die Breite zu drücken. Köperbindungen sind nicht so dicht bindend wie Leinenbindung und werden daher kaum breiter erscheinen als das Rundgewebe. Wählen Sie eine Verschnürung des Köpers 2/2 oder 1/3. Viel Spass beim Weben des ersten Rundgewebes!
Ursina Arn-Grischott Doppelgewebe in der Handweberei Verlag Haupt 192 Seiten CHF 69.— Handwerk 3/97 20
Musik im Ballenberg
Von der Wiedererweckung der «eigentlichen Alpenmusik» bis zur Schunkelmusik Das Freilichtmuseum Ballenberg stellt in seinen Häusern nur ganz wenige Musikinstrumente aus. Dies, obwohl die Volksmusik in der ländlichen Kultur vergangener Zeiten eine wichtige und umfassende Bedeutung hatte. Ein Hauptgrund für den fast «instrumentenlosen» Ballenberg liegt in der Beliebtheit des Sammelns von Musikinstrumenten. Neben vielen privaten Liebhabern haben sich diverse Museen in der Schweiz auf Musikinstrumente konzentriert (z. B. Instrumentensammlung im Historischen Museum in Basel, Zentrum für Volkskultur in Burgdorf, Streichinstrumentensammlung Einsiedeln, Kabinett für alte Musikinstrumente in Rüschlikon oder Musée d’instruments anciens de musique in Genf). Der folgende Artikel1) soll einen kurzen Überblick über die Entwicklung der einheimischen Volksmusik geben. Noch weit bis in die Neuzeit hatte die Musik eine weit umfassendere Bedeutung als der blosse Unterhaltungswert. In den urtümlichen Maskentänzen und Lärmumzügen der Fastnachtszeit, im dröhnenden Schellengeläut vieler Winter- und Frühjahrsbräuche oder im monotonen Sprechge-
sang des Betrufs manifestierte sich der Versuch, mit Gott oder mit den guten und bösen Geistern zu kommunizieren. Diese Bräuche waren oft so stark in der Bevölkerung verwurzelt und so faszinierend, dass auch das Christentum (wohl oder übel) die alten Weisen übernahm, nicht aber ohne auf deren Inhalt und Zweck Einfluss zu nehmen. So soll z. B. der Jesuitenpater Johann Baptist Dillier (1668 bis 1745) den Betruf christlich umgedeutet haben, indem er die Vokativform «Loba» (für die Anrufung der Kuh) in das «Gott ze lobe» umfunktionierte und insgesamt aus dem Ruf einen christlichen Text schuf. Heute wird von vielen die Volksmusik mit Schunkelmusik im Bierzelt gleichgesetzt. Diese einseitige Reduzierung findet ihre Wurzeln wohl in den idealisierenden Tendenzen ab dem 18. Jahrhundert. Damals machte sich eine städtische Oberschicht auf, in den Alpen ihre romantischen Phantasien vom freien, glücklichen Hirtendasein mit seinen urtümlichen, naturverbundenen Sitten verwirklicht zu finden. Dieses Interesse für Volkskultur hatte aber auch zur Folge, dass das Brauchtum wieder intensiver gepflegt wurde. Manche alte Tänze und Weisen, oder auch das Jodeln und Alphornspielen wurden so wahrscheinlich vor dem Verschwinden gerettet. Das folgende Zitat von 1814 im Bericht «Reise in die Alpen» von Franz Nikolaus König verdeutlicht Handwerk 3/97 21
diese – wenn auch nicht immer erfolgsgekrönten – Rettungsversuche: «Von dem Alphorn hört und siehet man fast nichts mehr. Ein Hauptzweck des angeordneten Volksfestes bey Unspunnen war eben der, diese eigentliche Alpenmusik wieder zu erwecken, aber es blieb ohne einigen Er folg.» Gleichzeitig mit der Wiederbelebung der alten Bräuche setzte im 18. Jahrhundert eine eifrige Sammeltätigkeit der traditionellen Tänze, Lieder und Melodien ein. Allerdings wurde das überlieferte musikalische Gut der «einfachen» Leute nicht immer im Original übernommen, sondern gemäss einem von «gebildeten» Kreisen vertretenen Sittlichkeits- und Kunstbegriff von seinen wilden und rebellischen Elementen in Wort und Klang befreit. Opfer dieser Verdrängungen und Glättungen wurde z. B. die bis dahin prägende Naturtonreihe mit ihrem berühmten Alphorn-fa, jenem zwischen den Noten f und fis angesiedelten eigentümlichen Ton. Ihre archaische, unter die Haut gehende Intonation hatte in der neuen wohltemperierten Ordnung keinen Platz mehr. Auch zahlreiche historische Instrumente wie Zister, Drehleier, Schalmei oder Brummtopf verschwanden im Laufe dieser Entwicklung aus dem Repertoire musikalischer Aktivitäten. Mit dem Aufkommen des verhältnismässig einfach zu spielenden Handörgelis und der Ländlerkapellen im 19. Jahrhundert war das Schicksal jener früheren Klangkörper und ihrer Weisen schliesslich endgültig besiegelt. Das älteste traditionelle Ensemble der schweizerischen Volksmusik – Pfeifer und Trommler – war ursprünglich Militärmusik. In Friedenszeiten aber wurde nach diesen Instrumenten auch getanzt. Ab dem 16. Jahrhundert spielten dann vermehrt die Violine und das Hackbrett zum Tanze auf. Das ursprünglich innerschweizerische, aber auch in der ganzen deutschsprachigen Schweiz beliebte Gegenstück zur Streichmusik ist die Ländlerkapelle. Die Bezeichnung «Ländlermusig» kam um 1880 anstelle des noch bis ins 20. Jahrhundert allgemein bekannten Begriffs «Burämusig» auf. n Christian Sidler
Vorderseite: Unter dem Motto «Alte Weisen – Neue Töne» führte das Freilichtmuseum Ballenberg 1994 diverse Musikveranstaltungen durch. Im Bild ein Innerschweizer Alphornensemble vor dem Spycher von Kiesen BE. Oben: Speziell 1994 luden diverse VolksmusikFormationen zur »Stubätä» ein. Im Bild ein Streicherensemble im Haus von Ostermundigen BE. 1) Der Artikel stützt sich einerseits auf das Buch «Volksmusik in der Schweiz», herausgegeben von der Gesellschaft für die Volksmusik in der Schweiz, Zürich 1985 und auf einen Bericht im Ballenberg-Boten 1/94 von Bärbel Talmon, «Musik im Museum».
Johannes Fuchs, Hackbrettbauer und Hackbrettspieler. Foto: Daniel Gadoni Handwerk 3/97 22
«...schlugen gern und mit freuden zu...» 2) Das trapezförmige Cordophon zeichnet sich durch seine solide Bauart ebenso aus wie durch die schönen geschnitzten Rosetten, welche die Schallöffnungen bedecken. Die Rede ist vom Hackbrett, einem alpenländischen Musikinstrument, das oft synonym für das appenzellische Volksmusikleben schlechthin betrachtet wird. Den schweizerischen Hackbrettern gemeinsam ist der trapezförmige Resonanzkasten aus feinem Tonholz (meist junge Fichte), der in einen Rahmen aus härterem Ahorn-, Nussbaum- oder Kirschbaumholz gefügt ist. Die frühere Dreiecks- und jetzige Trapezform entwickelte sich übrigens aus der Anwendung der Schallgesetzmässigkeit: verschieden lange Saiten ergeben – zupft oder schlägt man sie – verschieden hohe Töne. An älteren Hackbrettern finden sich noch Saiten aus Eisendraht, heute wird im Wallis gerne Stahl, im Appenzellerland Messing verwendet. Das Appenzeller Hackbrett unterscheidet sich mit vier- bis fünffachen Chören (als Chor bezeichnet man ein Bündel gleich gestimmter Saiten) von einem Walliser Hackbrett, das meistens nur mit dreifachen Chören bespannt ist. Das Hackbrett oder Psalterium kommt im 10. Jahrhundert schon in arabischen Märchen vor und und dürfte vier Jahrhunderte später über die Balkaninsel, die Donauländer und Böhmen in die übrigen Länder Mittel-, Nord-und Südeuropas und somit auch in die Schweiz gewandert sein.3) Hier zwar anfänglich nicht nur geliebt, wie die vielen Ruhestörungsklagen seitens der Behörden gegen die mittelalterlichen Hackbrettvirtuosen vermuten lassen! Der Signauer Uli Berger wurde zwischen 1665 und 1672 gleich mehrmals verklagt, weil er mit seinem «Hackbrättschlachen bösen Inzug» hatte.4) Im Zuge der idealisierenden Hirtenmode gegen Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das Hackbrett zwar «salonfähig», seine Hochblüte verebbte jedoch wenig später. Geblieben ist das Hackbrett noch in der Volksmusik einiger Gebiete: Bayern, Tirol, Salzburger Land, Steiermark, Slovenien, Böhmen, Moldavien, Weissrussland, Litauen, Norwegen, Mittelschweden, den Kanarischen Inseln und Mexiko. In der Schweiz war das Hackbrett vor Handwerk 3/97 23
allem in den Kantonen Bern, Wallis und Appenzell heimisch. Im Wallis und im Berner Oberland wurde es wie der Teufel gespielt, es existieren auffallend zahlreiche schriftliche und bildliche Quellen. 1804 wurde im Appenzellerland zum ersten Mal das Tanzen nach Geige und Hackbrett beschrieben.5) Heute gehört die Streichmusik und das neben Saiteninstrumenten (zwei Violinen, Cello, Bassgeige) auffallende Hackbrett zum Appenzell wie der Appenzeller Käse oder die Landsgemeinde. «Die Schlagtechnik des Hackbrettlers ist, was die Bogenführung des Geigers. Die heutigen fünffachen, etwa einen Zentimeter breiten Chöre erleichtern das Treffen des richtigen Tones. Beim nächtlichen Spiel – und der Hackbrettler spielt meistens am Abend – wirft das Licht verwirrende Schatten auf die Resonanzdecke, der Grund, warum man die Hackbretter gerne dunkel beizt. Immer wieder erstaunt es, wie man sich das Hackbrettspiel aneignet. Man lernt es vom Vater oder lässt sich die Anfänge von einem fachkundigen Verwandten zeigen, schaut den andern zu beim Spielen und muss das Hackbretteln einfach im Blut haben.»6) Und das haben sie wahrlich, die Appenzeller... n Esther Schönmann
2) Felix Blatter: Tagebuchblätter. In: John Henry van der Meer, Brigitte Geiser, Karl-Heinz Schickhaus: «Das Hackbrett, ein alpenländisches Musikinstrument». Verlag Schläpfer & Co. AG, Herisau/Trogen 1975. 3) Zur Geschichte des Hackbretts vgl. a.a.o. 4) Christian Seiler: Verkaufte Volksmusik. Weltwoche Verlag Zürich 1994, S. 153f. 5) a.a.o. 6) John Henry van der Meer et al., a.a.o., S. 53.
Das Hackbrett – typisch schweizerisch? Auch das FLM Ballenberg beherbergt (als Leihgabe vom Museum Appenzell) ein Hackbrett. Der Entdeckungsrundgang «Typisch Schweiz?!», der sich einiger vertrauter Klischees und Eigentümlichkeiten, der Uhren, Schokolade, dem «typischen» Schweizer Bauernhausschmuck, den Geranien u. a. annimmt, führt auch zum Appenzeller Kreuzfirsthaus von Brülisau. Dort kann das Hackbrett bewundert und bei der VolksmusikDebatte «mitdiskutiert» werden! Der Rundgang «Typisch Schweiz?!» kann während der Saison bei den Kassen bezogen werden.
Das Freilichtmuseum 20jährig 1998 wird das Freilichtmuseum Ballenberg 20jährig. In Veranstaltungen, Ausstellungen und einer Festschrift wird zurückgeblickt und die heutige Bedeutung beleuchtet. Der Veranstaltungskalender liegt dieser Ausgabe bei. Weitere Exemplare können mit der Bestellkarte bezogen werden. Handwerk 3/97 24
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Geige und Maienpfeife: Zwei ganz unterschiedliche Instrumente, die für handwerkliche Tradition und Volkskultur stehen.
Büchel, Spielmannsharfe, Drehleier: Mit Matthias Wetter traditionelle Instrumente bauen und spielen lernen – ein Kurs aus dem aktuellen Jahresprogramm 1998.
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