7 minute read

geRManIsches nM

Next Article
cuRTKIds

cuRTKIds

Advertisement

ARMPROThESEN, EiSENbLECh, LEDER, hOLZ © UND FOTO: gERMANiSChES NATiONALMUSEUM, NüRNbERg bEUTELbUCh, 1471, FOTO: gNM, JüRgEN MUSOLF

SiLviA wEiDENbACh, FRACTAL iNvENTiON, LONDON 2012, NYLON, EDELSTEiN, gOLD © UND FOTO: gERMANiSChES NATiONALMUSEUM, NüRNbERg, DAUERLEihgAbE AUS PRivATbESiTZ

curt und das germanische nationalmuseum, teil 7

TRäUmende büCheR

EiN SURREALER TRiP DURCh DiE SAMMLUNg DES gNM. TExT: MARIAN WILD

Letzte Nacht hatte ich einen Traum. Eine kleine Erkältung hatte mich angeflogen und die dunklen Stunden waren dadurch unruhiger als gewohnt. An das Erlebnis im Traum erinnere ich mich aber noch erstaunlich gut. „Willkommen“, sagte das kleine, agile Buch mit der Schlafmütze und der leicht fisteligen Stimme zu mir. „Es ist die zweite Stunde nach Mitternacht, höchste Zeit für dein Morgengebet!“ „Neinneinnein, ich bin Atheist“, murmelte ich verschlafen (ich war auch im Traum müde, was irgendwie schon ziemlich bescheuert ist). „Ave stella matutina, mundi princeps et regina …”, sagte das Buch. Es konnte wohl nicht anders, denn es war ein antikes Beutelbuch voller Stundengebete. Als es sein Zweiuhrgebet beendet hatte, fragte ich es darum etwas ungeduldig, bevor es sein Dreiuhrgebet beginnen konnte: „Was machen wir hier eigentlich?“ „Das GNM hat eine gewaltige Sammlung an überraschenden Dingen. Man kann hier wirklich Stunden um Stunden verbringen, um Stunden, um Stunden. Guck mal da!“ Wir waren in der Medizinsammlung angekommen, und das lustige Buch mit der Zipfelmütze hüpfte aufgeregt um mich herum und deutete auf eine hübsch dekorierte Vitrine. „Das ist ein Beckenknochen!“, sagte ich im Brustton der überzeugung. „Falsch. Das ist zeitgenössischer Schmuck.“, bemerkte das Buch schnippisch. „Warum ist es dann in der Medizinabteilung? Und warum würde jemand sich einen künstlichen Beckenknochen als Schmuck um den Hals umhängen?“ Ich war jetzt hellwach. „Oder künstliche Hände.“ „Nein, DAS sind Prothesen“, korrigierte mich das Buch fröhlich. Ich öffnete den Mund, überlegte es mir aber anders und schloss ihn wieder, als eine tiefe Stimme aus dem Nebenraum brummte. „MEIN KNIE TUT WEH.“ „Was war das?“, fragte ich das Buch, das schon wieder kurz davor

war, sein nächstes Stundengebet zu rezitieren. Es warf seine Mütze in den Nacken und blickte mich verschwörerisch an. „Das war Oskar, der Drahtmensch. Ziemlich missmutig, der Gute. Hängt schon ziemlich la…“ Den Rest des Satzes konnte ich nicht mehr hören, weil ich schon in den Nebenraum gewandert war und eine große Drahtfigur an der Wand hängen sah, die eine kleine Figur festhielt. „MEIN KNIE TUT WEH!“, bemerkte Oskar. „Kein Wunder, musst es vielleicht mal ausstrecken.“ Ich wunderte mich selber, dass ich das alles einfach so hinnahm und das Seltsamste an der ganzen Sache mir die kleine Figur in Oscars Hand schien. „Lassmichrunterverdammt“, nuschelte die Figur. „RUHE, WALTER!“ fuhr der Drahtmann sie an, dann blickte er zu mir. „HAB IHN WALTER GENANNT, VERSTEHST SCHON, HöHö.“ Tat ich tatsächlich, kratzte mich aber trotzdem am Kopf. Da hatte das Buch mich plötzlich wieder eingeholt. „Vier Uhr, Zeit für das…“ sagte es eben noch, da verabschiedete ich mich hastig um etwas verwirrt aufzuwachen. Ich lag in meinem Bett, etwas verschnupft, und hoffte, dass das kleine, freundliche Buch irgendwann ebenfalls zur Ruhe kommen würde.

geRManIschesnaTIOnalMuseuM Kartäusergasse 1, Nbg. Di-So 10-18, Mi 10-20:30 Uhr. www.gnm.de

OSKAR SChLEMMER, DRAhTFigUR hOMO MiT RüCKENFigUR AUF DER hAND, 1930/31, DAUERLEihgAbE DES NEUEN MUSEUMS iN NüRNbERg (eigentum der stadt nürnBerg) FOTO: gNM, ANNETTE KRADiSCh

Whoami WanT Tobe

-avatare im museum für kommunikation

gamer*innen wissen es: Lara Croft, Super Mario oder der werwolf im Fantasy-Rollenspiel – AvATARE, also steuerbare Figuren, sind wichtige Elemente in digitalen Spielen. Sie tragen zum Erzählen von geschichten bei, verkörpern verschiedene identitäten und mit ihnen können handlungen in der jeweiligen Spielwelt ausgeführt werden. Noch bis Frühjahr 2023 dreht sich im Museum für Kommunikation alles um Avatare – in der Ausstellung „whoAmiwantTobe – Avatare in digitalen Spielen“. Sie entstand in Kooperation mit dem institut für Theater- und Medienwissenschaft der FAU Erlangen-Nürnberg und präsentiert studentische arbeiten rund um die virtuellen personifikationen aus medien- und kulturwissenschaftlicher Sicht.

CURT: was ist ein Avatar? Sind Avatare die besseren ichs? DR. PETER PODREZ: Für Kinofans ist „Avatar“ vielleicht der kommerziell erfolgreichste Film aller Zeiten, für Musikfreund*innen eine Metalband. Aber in Bezug auf das Computerspiel meint der Begriff etwas anderes. Er kommt ursprünglich aus der Jahrtausende alten indischen Mythologie und bezeichnet dort eine göttliche Verkörperung auf Erden. Und auch in Games sind Avatare Verkörperungen, nämlich die Stellvertretungen der Spieler*innen in der Spielwelt. Oder einfacher: die steuerbaren Spielfiguren. Diese können verschiedene Gestalten und Identitäten besitzen. Sie sind damit unsere virtuellen Egos. Sind diese Egos besser als unsere Ichs? Zumindest bieten sie die Möglichkeit, Facetten unserer Identität auszuagieren oder zu erproben, die wir im „realen Leben“ eher hintenanstellen. Oder sie lassen uns in gänzlich andere Rollen schlüpfen. wie zeigt uns die Ausstellung aktuelle gesellschaftliche Fragen und mit welchen haben sich die Studierenden beschäftigt? PP: Das erwähnte Schlüpfen in eine Rolle ist immer auch mit gesellschaftlich bedeutsamen Aspekten verbunden. Was erlauben uns Spiele? Moralische Tabubrüche ohne Konsequenzen? Genderfluidität? Spielen als Tier? Prinzipiell möglich. Interessant werden dann die Zuschreibungen, die Spiele an die jeweiligen Identitäten knüpfen. Denn natürlich erfahren wir nicht, was es bedeutet, sein Geschlecht wirklich zu wechseln, sondern was es bedeutet, die für uns durch das Spiel vordefinierte Geschlechterrolle auszuagieren, mitsamt all ihren Einschreibungen. Diese spiegeln gesellschaftliche Diskurse und Bilder wider, aber sie erzeugen sie gleichzeitig auch. Indem wir Avatare steuern, können wir über die damit verbundenen Identitäten nachdenken: Was ist unsere Vorstellung von Geschlecht, Ethnizität, (Nicht-)Menschlichkeit? Wie wird sie von den Spielen affirmiert oder subvertiert? DR. ANNAbELLE hORNUNg: Diese vielfältigen Möglichkeiten zeigen die Studierenden in ihren Arbeiten rund um Avatare auf. Die inhaltliche Bandbreite reicht von Exponaten zu Geschlechter- oder Mensch-Tier-

Verhältnissen bei Avataren über Arbeiten zu psychisch erkrankten oder monströsen Avataren bis hin zu Beobachtungen von Avataren in Historienspielen oder der Aneignung von Avataren in Editoren, Praktiken des Cosplay oder transmedialen Zusammenhängen wie Film und Literatur. was hat das mit Kommunikation bzw. dem Kommunikationsmuseum zu tun? AhO: Avatare in den digitalen Spielen kommunizieren mit uns, sind (über-)Träger*innen von Botschaften. Zudem zeigen sie in ihrem Facettenreichtum gesellschaftliche Sichtweisen und Prozesse auf, und dies in Computerspielen, welche mittlerweile für viele Menschen aus ihrem Alltag und ihrer Freizeit nicht mehr wegzudenken sind. Gaming als Konzept, aber auch Inhalte von digitalen Spielen sind spannend für den ganzen Museumssektor, eben auch für das Museum für Kommunikation. So entstand die Ausstellung, welche in multimedialen, analogen und digitalen Formen die vielfältigen Botschaften und Identitäten von Avataren thematisiert. Die Gäste können auch selbst aktiv werden, z.B. neue Avatare entwerfen, deren Geschlechterstereotype konterkarieren oder ganz analog ein klassisches Quartett rund um die „Avatiere“ spielen. Hier entsteht übrigens auch viel Kommunikation! wenn das curt Magazin einen Avatar hätte – wie könnte das aussehen? AhO: Da curt ja schon diesen feschen Hund namens Weber als Maskottchen hat, würde ich sagen, wäre der Avatar ein biertrinkender und tanzender Hund mit einer feinen Spürnase für Kultur und Stadtgeflüster. Aber was meinst du, Peter? Du beschäftigst dich ja mit HumanAnimal-Studies. PP: Ja, genau, das ist auch eins meiner Forschungsfelder. Von daher sehe ich Vermenschlichungen von Tieren kritisch, gerade in medialen Darstellungen. Aber als zukunftsweisender Kompromiss: Wie wäre es mit einem Roboterhund mit feiner Spürnase für Kultur? Tanzen kann er, beim Trinken müsste man sich noch etwas überlegen, damit er keinen Kurzschluss bekommt. Dass curt ausgerechnet in diesem gespräch über die medien- und kulturwissenschaftlicher Ausarbeitung von Avataren aufs Tanzen und biertrinken reduziert wird, ist verwirrend, passt aber –zum aktuellen curt-Cover. Danke für das gespräch und die Einschätzung. Prost!

MuseuM füRKOMMunIKaTIOn nüRnbeRg WhOaMIWanTTObe – avatare in digitalen spielen Di–Fr 9–17 Uhr / Sa, So, Feiertage 10 bis 18 Uhr Lessingstraße 6, 90443 Nürnberg www.mfk-nuernberg.de

dR. peTeRpOdRez ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Theater- und Medienwissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und übernimmt regelmäßig Lehraufträge am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Er hat zu filmischen Zukunftsvisionen des urbanen Raums promoviert – während er sich schon langjährig mit Game Studies beschäftigte. Aktuell forscht er zur Medialität und Politik von analogen und digitalen Spielfiguren. Außerdem führt er im Rahmen verschiedener universitärmusealer Kooperationen Forschungs- und Ausstellungsprojekte durch. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind u.a.: Bildlichkeit, Räumlichkeit und Dispositive von (Computer-)Spielen, mediale Zukunftsvisionen (Utopien, Dystopien, Science Fiction, Apokalypsen), medialer Horror, HumanAnimal Studies, Gender Studies.

This article is from: