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RITUALE, SYMBOLE UND FESTE

Zur positiven Kraft von Ritualen

Andreas Stehle

Rituale begegnen uns in vielfältigen religiös-spirituellen, aber auch alltäglichen Lebenssituationen. Manche Rituale erleben oder praktizieren wir täglich, andere begegnen uns nur zu besonderen Anlässen, wie beispielsweise zu Geburtstagen oder Festen im kirchlichen Jahreskreis. Das regelmäßig Wiederkehrende macht die Welt für uns Menschen berechenbarer und vermittelt so das Gefühl der Sicherheit, der Kontrolle und Kraft (vgl. Biesinger, 2005, S.102f.). Wenn wir über den Wert und die Bedeutung von Ritualen für uns Menschen nachdenken, so wird schnell deutlich, dass Rituale weit mehr sind als gewohnheitsmäßige, routinierte Handlungen. „Routinehandlungen sind keine Rituale“ gibt Hans Werner Schied mit Recht zu bedenken, „denn sie enthalten keinen Symbolwert religiöser oder sozialer Art“ (Schied, 2000, S.79). Im Gegensatz zu reinen Routinehandlungen kommt hinter dem wiederkehrenden Handeln von Ritualen etwas Tieferes zum Ausdruck als die vollzogene Handlung selbst. Das Ritual ist ein Symbolgeschehen, das den Zugang zu einem tieferen Wirklichkeitsbereich eröffnet und uns eine gleich doppelte Erfahrung ermöglicht: Die Erfahrung des Schutzes und der Geborgenheit sowie die Erfahrung des Aufbruchs ins eigene Leben. Die Potenziale solcher Erfahrungen sind gerade für Kinder von großem Wert und zudem für ihre Entwicklung von essenzieller Bedeutung. Insbesondere in der Phase der Kindheit entfalten Rituale ihre stabilisierende und entwicklungsfördernde Wirkung. Dadurch, dass Rituale Kindern dabei helfen können, selbst Sicherheit zu gewinnen, sich die Welt zu erschließen und Situationen sinnstiftend zu deuten, unterstützen sie die Entwicklung des Ichs des Kindes und wirken so identitätsstiftend. Kinder mit Ritualen vertraut zu machen und ihren Alltag dadurch zu strukturieren bedeutet folglich, sie auf ihrem Weg hin zu gesunden Persönlichkeiten zu stärken und zu begleiten und ihnen dabei zu helfen, die Welt der Bedeutungen auch in religiöser Hinsicht zu erschließen. Über die Bedeutung von Ritualen innerhalb der religiösen Bildung schreibt Helga Kohler-Spiegel sehr treffend: „Wenn wir Kinder im Religiösen begleiten, helfen wir ihnen, diesen symbolischen Raum zu erschließen und zu entwickeln, wir stärken – im positiven Sinn – ihre Fähigkeit, sich nach innen zu wenden um wieder gestärkt nach außen gehen zu können“ (Kohler-Spiegel, 2008, S.53). Der Hinweis, wonach Rituale den Kindern helfen, den symbolischen Raum des Religiösen zu erschließen, lässt eine weitere wichtige Dimension von Ritualen aufleuchten: Rituale bieten die Möglichkeit, die Gottesbeziehung zu vergegenwärtigen und diese lebendig zu erfahren. Rituale mit religiösen Elementen unterbrechen den Alltag und bereiten den Raum, empfänglich zu werden für das Außergewöhnliche beziehungsweise für die spirituell-geistige Dimension in unserem Leben. Pädagogischen Fachkräften im Kindergarten kommt somit die bedeutsame Aufgabe zu, „ritualkompetent“ zu sein beziehungsweise zu werden. Ritualkompetent meint die Fähigkeit, „religiöse Rituale in den Alltag einzustreuen, wo dies angezeigt erscheint. Das können Rituale beim Essen, bei Festtagen, bei Geburtstagen und anderen mehr sein. Der Sinn dieses Tuns besteht darin, mittels solcher Rituale in bescheidenen Zeichen und Formen den Alltag zu unterbrechen und auf eine Gemeinschafts- und Tiefendimension hin zu öffnen“ (Lechner, 2009, S.109). Die gewählten Rituale müssen auf die jeweilige Situation und das Entwicklungsalter der Kinder passgenau zugeschnitten sein. Ein Charakteris-

tikum von Ritualen ist die Wiederholung. Durch Wiederholung werden Lernprozesse angestoßen, bei denen neben der Einspeicherung kognitiver Inhalte durch Festigung neuronaler Strukturen auch emotionale Gedächtnisstrukturen gelegt werden. Diese können dann in ähnlichen Situationen später wieder abgerufen werden. Somit begleiten uns Rituale durch unser Leben und erinnern uns an Gefühle der Kindheit. Rituale brauchen also eine feste, wiederkehrende Struktur, um Halt und Orientierung geben zu können. Innerhalb dieses statischen Rahmens sind bei der inhaltlichen Ausgestaltung jedoch Variationen möglich und pädagogisch auch angezeigt. Rituale, die mit Kindern praktiziert werden, sollten trotz ihrer verlässlichen äußeren Struktur nicht erstarrt wirken, sondern mit Leben gefüllt sein und Freude machen. Solche mit Leben gefüllte Ritualelemente können Gebete und Gesänge sein. Traditionelle, in ihren Formulierungen feststehende Gebete, wie beispielsweise das Vaterunser haben hier ebenso ihren berechtigten Platz, wie frei formulierte, spontane Gebete von Kindern und pädagogischen Fachkräften im Kindergarten. Sofern alles aus dem Alltag der Kinder zur Sprache kommen darf, was ihnen wichtig erscheint und sie beschäftigt, gibt es beim Beten kein richtig oder falsch. Der bekannte Religionspädagoge Albert Biesinger formuliert in diesem Zusammenhang zurecht: „Dank und Lobpreis, Bitte und Fürbitte haben ebenso ihren Platz wie Klage und Unverständnis, Angst, Ärger und Leid“ (Biesinger, 2005, S.108). Rituale repräsentieren – wie beispielsweise durch Gebete und Gesänge – Erfahrungen, Sehnsüchte und Wünsche aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Rituale werden somit zu Deutehorizonten subjektiven Erlebens. Neben explizit religiösen Ritualen können bei der religionspädagogischen Arbeit mit Kindern auch weitere Rituale Eingang finden. Ein Beispiel hierfür ist das Versöhnungsritual, das partizipativ mit den Kindern entwickelt werden kann. Nicht selten treten im Alltag der Kinder Konflikte und Streitigkeiten auf. Kinder lernen in solchen Situationen unter anderem nach und nach, ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken, Frustrationen zu tolerieren, ihre Interessen gegenüber anderen zu wahren und zugleich die Bedürfnisse und Gefühle anderer zu respektieren. Wenn nun gemeinsam mit den Kindern einer Gruppe oder Einrichtung ein Versöhnungsritual gefunden wird, das ihnen hilft, Konflikte positiv beizulegen und nicht feindschaftlich, sondern versöhnt den Weg miteinander weiterzugehen, finden die Kinder meist schneller aus der Konfliktspirale heraus und werden emotional entlastet. Möglich wäre beispielsweise, dass die Konfliktpartner sich in die Augen sehen, die Hände reichen und sich zusprechen: „Unser Streit ist jetzt vorbei, wir wollen neu miteinander beginnen“ (Biesinger & Schweitzer, 2013, S.82). Auch andere Rituale können das Kindergartenjahr strukturieren und prägen. Hierzu bieten sich die Feiern des Kirchenjahres so wie jene des Jahreskreises an; aber auch eine interreligiös gestaltete Feier zu Beginn oder am Ende des Kindergartenjahres bietet den Kindern Deutehorizonte für ihr subjektives Erleben. Rituale an Übergängen zu neuen Lebensabschnitten (man könnte auch von Transitionsritualen sprechen wie beispielsweise zum Kindergarteneintritt, zu Beginn eines neuen Kindergartenjahres oder beim Übergang in die Grundschule) erleichtern den Kindern diese Übergänge und schaffen zugleich Identifikation mit der Gruppe. Rituale sind ein Schatz, den es für und mit den Kindern zu heben gilt. Möglichkeiten und Anlässe gibt es viele.

Literaturangaben:

Biesinger, Albert (2005): Kinder nicht um Gott betrügen, Anstiftungen für Mütter und Väter, 14. Auflage. Freiburg im Breisgau: Herder.

Biesinger, Albert; Schweitzer, Friedrich (Hrsg.) (2013): Religionspädagogische Kompetenzen. Zehn Zugänge für pädagogische Fachkräfte in Kitas. Freiburg im Breisgau: Herder.

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