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Manuel benutzt zum Laufen einen Rollstuhl Sabine Bordonetti

Manuel benutzt zum Laufen einen Rollstuhl

Sabine Bordonetti

Die Persona Doll als Methode der Vorurteilsbewussten Bildung Manuel ist vier Jahre alt und wohnt mit seinen Eltern und den beiden älteren Geschwistern in einem kleinen Dorf. Er besitzt zwei Hasen als Haustiere, isst am liebsten Lasagne und Spinatknödel und liebt es, Wettrennen zu fahren. Manuel sitzt im Rollstuhl, da er mit Spina Bifida geboren ist und deshalb seine Beine nicht bewegen kann. Manuel ist eine Persona Doll. Persona Dolls sind besondere Puppen – sie haben eine Persönlichkeit. Sie haben einen Namen, eine Familie, eine Geschichte, Vorlieben und Abneigungen. Sie sprechen bestimmte Sprachen, haben ein Zuhause, mögen bestimmte Speisen, einige Gerichte schmecken ihnen nicht. Sie sind wie ein Kind aus dem Kindergarten, haben Merkmale, mit denen sich die Kinder identifizieren können. Die Persona Doll ist kein Spielzeug wie andere Puppen, sie wird so behandelt wie jedes Kind, mit Respekt und Vorsicht. Die Brücke zu den Kindern schlägt die pädagogische Fachkraft: Die Persona Doll flüstert ihr etwas ins Ohr, dies bringt die Fachkraft dann in die Kindergruppe. Die Arbeit mit den Persona Dolls verfolgt das Ziel, mit Kindern ins Gespräch zu kommen und die vier Ziele der Vorurteilsbewussten Bildung umzusetzen. Manuel und seine Biografie wurde im Rahmen einer Ausbildung zur Methode Persona Doll entwickelt. Ein Vielfaltsaspekt wurde ausgewählt, sein Aussehen nach und nach gestaltet und dann einzelne Geschichten für den Einsatz der Methode in der Kindergruppe geschrieben.

Bei den ersten Treffen in der Kindergruppe stand Ziel 1 der Vorurteilsbewussten Bildung im Fokus: „Ich-Identität und Bezugsgruppenidentität stärken“. Die Kinder sollten über den Austausch von gemeinsamen Erfahrungen, Interessen und Ähnlichem eine Beziehung zueinander aufbauen, dabei aber auch in ihrer Persönlichkeit gestärkt werden. Ziel 2 der Vorurteilsbewussten Bildung „Allen Kindern Erfahrungen mit Vielfalt ermöglichen“ floss dabei schon fast wie selbst ein. Manuel benutzt zum Laufen einen Rollstuhl. Die Kinder stellten bald die Frage: „Warum sitzt Manuel im Rollstuhl?“ Manuel erzählt den Kindern, dass er mit Spina Bifida geboren wurde und seine Beine nicht bewegen kann. Manuel erzählt den Kindern auch, dass er regelmäßig zur Physiotherapie geht, da seine Beine gut bewegt werden müssen, da er dies selbst nicht kann. Manuel fragt bei den Kindern nach, wer vielleicht schon selbst einmal eine Therapie besucht hat. Die Mädchen und Jungen nennen Logopädie, Musiktherapie, Ergotherapie. Michael erzählt von seinem Bruder Tobias, er hat Trisomie 21 und wurde am Herzen operiert. Auch er besucht regelmäßig die Logo- und Physiotherapie. Auch andere Kinder berichten davon, dass sie zur Logopädie gehen. Ein Mädchen erzählt von seiner Mama, die nach einer Beinoperation zur Physiotherapie geht. Klemens hört aufmerksam zu, äußert sich aber nicht. Als Manuel rückmeldet, dass er manchmal überhaupt nicht gern zur Physiotherapie geht, weil das sehr anstrengend ist, setzt sich Klemens ganz aufrecht auf den Stuhl und sagt: „Ich auch nicht!“ Manuel möchte wissen, was Klemens an der Therapie stört. Als dieser sagt, dass er sich dabei gar nicht gut fühle, bestätigt Manuel Klemens‘ Gefühle und fragt gleich in der Gruppe nach, ob es einem anderen Kind auch so gehe? In diesem Augenblick strahlt Klemens. Ich spüre in der Gruppe ein hohes Maß an Empathie, Solidarität und Gemeinsamkeit. Gerade diese Gespräche stärken Kinder in ihrer Persönlichkeit, geben ihnen Selbstvertrauen und die Gewissheit, dass sie Erfahrungen und Gefühle teilen.

Klemens‘ Befinden Klemens ist mit einem Herzfehler geboren, er wurde mehrmals operiert und erlitt einen Gehirnschlag, der sein Sichtfeld eingrenzt und somit seine Wahrnehmung beeinträchtigt. Er muss täglich

Medikamente zu sich nehmen und besucht die Ergotherapie sowie die Frühförderung für das Sehen. Klemens‘ Mutter berichtet mir, dass er sich zurzeit stark mit seiner Krankheit beschäftigt, dass er keine weit ausgeschnittenen T-Shirts tragen möchte, die seine Wunde von der Herzoperation an der Brust erkennen lassen. Auch sei es für ihn gerade sehr schwierig, täglich die Medikamente zu sich zu nehmen.

Klemens wird in seinem Selbstvertrauen gestärkt Bei einem nächsten Treffen berichtet Manuel, dass er etwas sehr Wichtiges mit der Gruppe teilen möchte. Er erzählt, dass er täglich Medikamente einnehmen müsse und dies gar nicht toll findet. Die Kinder fragen nach, warum er diese einnehmen müsse. Manuel erklärt, dass dies wegen seines Herzens sei. Klemens hört wieder sehr aufmerksam zu. Michael berichtet gleich nach der Erklärung, dass auch sein Bruder täglich Medikamente einnehmen müsse, da er am Herzen operiert worden sei. Manuel fragt nach, ob ein anderes Kind auch operiert worden sei. Da wendet sich Michael an Klemens und sagt: „Du bist doch auch am Herzen operiert worden!“ Klemens schaut verlegen weg. Manuel fragt ihn, ob das stimme und ob er darüber sprechen wolle. Klemens bejaht und erzählt seine Geschichte. Er erzählt auch von den Medikamenten, die er täglich einnehmen müsse. Manuel fragt nach, wie die Medikamente aussähen. Die seien rot und grün, erklärt Klemens. Manuel sagt, er müsse ähnliche einnehmen. Michael erzählt von den Medikamenten seines Bruders. Die Fachkraft fragt auch die anderen Kinder, wie das bei ihnen sei. Diese berichten über ihre Erfahrungen bei diversen Krankheiten und von ihren Gefühlen. Es entsteht ein angeregter Austausch unter den Kindern. Auch bei diesem Treffen konnte ich ein starkes Gemeinschaftserleben spüren. Jedes Kind wurde in seiner Ich-Identität bestätigt und gestärkt – so auch Klemens, der erleben konnte, nicht allein zu sein mit der Erfahrung, Medikamente einnehmen zu müssen, oder dem Besuch von Therapiestunden. Kinder konnten die Vielfalt innerhalb ihrer Kindergruppe erleben.

Wichtig dabei ist als Fachkraft, ein waches Auge darauf zu haben, dass Manuel nicht „nur“ als das Kind im Rollstuhl gesehen wird, sondern Gefühle, Interessen, Vorlieben ... mit den Kindern teilt. Dann können die nächsten Schritte und Ziele der Methode Persona Doll angegangen werden: Kinder zur kritischen Auseinandersetzung, zum kritischen Denken über Vorurteile und Diskriminierung anregen. Gemeinsam zu erkennen, dass zum Beispiel Manuel mit dem Rollstuhl nicht zum Bäcker kann, da dort Stufen ins Geschäft führen, oder darüber nachzudenken, wie Manuel beim Ballspiel im Garten teilnehmen könnte. Kinder erfahren an konkreten Geschichten, was es bedeuten kann, sich mit dem Rollstuhl zu bewegen. Über die von Manuel eingebrachten Erfahrungen, welche der Lebensrealität der Kinder nahe sind, werden sie angeregt, kritisch nachzudenken, Lösungen zu überlegen und gemeinsam aktiv zu werden sowie bei Ausgrenzung oder Diskriminierung zu agieren.

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