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Wo die Hühner glücklich legen Das Dschungel-Camp von Feldmoos
Nein, das Ei des Columbus hat auch Edgar noch nicht entdeckt, aber er kann stundenlang darüber sinnieren: Gut 6000 Hühner leben inzwischen auf dem Hof der stolzen Familie in Feldmoos, einem kleinen Weiler hoch über Fronhofen, auf dem Dach von Oberschwaben. Die Hühner vom Stamme Lohmann, sie sollen natürlich fleißig Eier legen, auch eine bäuerliche Hühnerhaltung muss am Ende des Tages Geld verdienen. Die ewig gackernde Schar soll aber auch gesund und glücklich leben. Genügend Platz haben, Schutz vor dem Habicht, tierart gerecht in jeder Hinsicht. Besuch auf dem Hühner-Hof, im Dschungel-Camp von Feldmoos…
„Solange das Huhn jeden Tag ein Ei lebt, geht es ihm offenbar gut.“ Diesen Spruch eines Professors, dessen Aussehen seinem Forschungsobjekt verblüffend ähnelte, durfte ich im Studium in Hohenheim hören. Als noch kein Hahn nach Tierwohl krähte, kaum einer Mitleid mit den männlichen Küken hatte, die damals wie heute schnell „entsorgt“ werden, da sie eben keine Eier legen. Die modernen Hybridhühner sind wie die Hochleistungsrinder „keine Zweinutzungstiere“, sie sind entweder auf die Legeleistung oder auf Fleischansatz gezüchtet, die jungen Hähne daher wie die Kälber für eine Fleischnutzung unnütz. Eine der Sackgassen der modernen Landwirtschaft, die wir heute erkennen, aber noch keine Alternative gefunden haben. Die Eier der alten Rassen, von denen wir gerne schwärmen, stillen unseren Hunger auf Frühstücksei und Pasta so wenig wie die Äpfel aus Streuobstwiesen! Ob Äpfel, Milch oder Eier: Mit den Mengen der alten Rassen oder Sorten lässt sich der Massenkonsum nicht befriedigen – die Hühner von Edgar Rimmele legen in elf Monaten 250 – 280 Eier, die Hühner von einst vielleicht 150. Daher ist der Kompromiss aus Menge, Qualität und Tierwohl so wichtig. Bauer Edgar verkauft seine Eier oft persönlich, er steht den kritischen Kunden in den Supermärkten der Region gerne Rede und Antwort. Der wortgewandte Landwirt kennt die Vorzüge wie die Nachteile jeder Haltungsform: „Alle wollen die Hühner im Freiland sehen, da aber hat der Habicht leichtes Spiel“, mit der Hygiene wird es schwierig, da Hühner jede Wiese spielend in eine Wüste ver wandeln. Daher haben sich Edgar und Gudrun Rimmele anders entschieden: Schon der erste Stall für 3.000 Hühner bot mehr Platz als bei „Bio“ gefordert
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Eine glückliche Familie in Feldmoos: Edgar und Gudrun Rimmele mit ihren Kindern auf der Wiese vor ihrem bäuerlichen Musterstall für 6000 Hühner. Die viele Eier legen, aber mit viel Platz auch glücklich leben! Mit dem besten Futter, Auslauf ins Freie, einem Bad im Sand, Kletterbäumen wie im „Dschungel“. Natürlich hilft die Technik bei so vielen Eiern, Sohn Heiko aber füllt die Kartons noch gerne von Hand…
wird und – vor allem aber konnten die Hühner jederzeit ins Freie, gut geschützt unter „Volieren“ aus Draht. „Die Hühner spüren den Schutz, so sind sie tiefenentspannt“, schmunzelt Edgar, „die sind meist entspannter als der Bauer…“. 3000 Hühner waren auf Dauer aber zu wenig für eine solide bäuerliche Existenz, daher sollte es ein zweiter Stall werden, noch etwas größer und moderner. „Hat nur etwas länger gedauert, da sich die Familienplanung auch gezogen hat“, schmunzelt Edgar wieder – mit fünf Kindern, die alle auf dem Hof mit anpacken, hat sich die Planung aber sichtlich gelohnt. Damit auf in den neuen Stall, Edgar klopft an, damit die Hühner Bescheid wissen, den Bauer kennen sie gut, den Besucher nehmen sie kritischer in Augenschein. Aber nicht lange, denn sie sind alle gut beschäftigt, sie futtern und trinken, sie gackern und kämpfen auch mal, die „Hackordnung“ ist bekanntlich im Hühnerstall entstanden. Und, kaum zu vermeiden: „Es gibt immer Loser, ob Hühner, Rinder oder Menschen, die haben es nie leicht“, so Edgar. Aber: „Wenn sie genügend Platz haben, können sie sich ausweichen, dann ist die Hierarchie schnell geklärt“, erklärt Edgar, so wie er es bei Führungen etwa mit Schulkindern macht, die er regelmäßig auf dem Hof und im Stall empfängt und aufklärt. Gut 6000 Hühner in drei Gruppen, fast doppelt so viele könnten es sein, aber Edgar und Gudrun wollen auf keinen Fall zu viel Gedränge im Stall. Gut, zählen will ich sie jetzt schon nicht, dafür schaue ich genau hin: Kaum ein Kampf, so viele Hühner, und doch scheint jedes mit sich selbst beschäftigt – der Kompromiss zwischen Leistung und Tierwohl, er ist sehr wohl möglich. Das Geheimnis der friedlichen Koexistenz aber bleibt mir erst verborgen. Das Huhn, so Edgar, stamme ursprünglich aus dem Dschungel! Die Hühner klettern und flattern hinauf und hinunter – der neue Stall der bekannten Firma „Big Dutchman“ folgt daher einem Baumprinzip
Der Hofladen ist das Reich von Gudrun Rimmele. Die Eier sind begehrt, fast noch mehr die Nudel-Speziali täten. Manche Kunden fahren von weit her zu diesem Hofladen, Edgar Rimmele beliefert viele Großkunden direkt, so auch den LandZunge-Adler in Gaisbeuren (unten)
mit mehreren Etagen. „Natura Step“ lautet das System, Stufen für die Hühner, Tierwohl auf mehreren Etagen. Das Hühnerleben ist ein ewiges Auf und Ab, die Tiere fühlen sich gut in der Herde, sie suchen die Nähe – „wie die Menschen auf dem Rutenfest“, schmunzelt Edgar wieder, „da hat sich noch keiner über die Massenmenschenhaltung beschwert…“. Je enger, je lieber, und genug zu trinken. Dafür ist in Feldmoos noch besser gesorgt als auf dem Rutenfest – Tag und Nacht, garantiert alkoholfrei. Und statt Brathähnchen kriegen die Hühner Karotten als Spielzeug, mit dem sie ihre Schnäbel entschärfen und Abwechslung zu ihrer Tagesroutine haben. Am Ende des Tages aber suchen Huhn wie Mensch nach ihrem Nest: Im sicheren Stall, im ruhigen Schlafzimmer, gerne auch mal eng nebeneinander. Nur schlafen die Hühner auf mehreren Etagen, traumhaft sicher auf ihren Stangen – wir könnten mehrere Folgen für das Dschungelbuch drehen… Oben schlafen, unten brüten: Hühner sind „Bodenbrüter“, die hier auch ihrer großen Leidenschaft frönen: Ein Bad im Staub! Ideal für das Gefieder, gut gegen Parasiten, so angenehm wie ein Vollbad für uns. Fast meditativ taucht jedes Huhn im Staub ab und wirbelt ihn glücklich hoch. Toll für die Tiere, weniger für den Menschen im Stall, der ideale Staubabzug ist noch nicht erfunden… Das Futter: Weizen, Mais und Öl, angereichert mit etwas Kalk für die Eierschalen und Grünmehl für die schöne Farbe des Eigelbs. Aber auch Soja von einem Soja-Toaster in Schemmerberg – wir Laien wissen ja kaum, wie intensiv die findigen Landwirte experimentieren. Denn die Hühner im Dschungel-Camp, sie sind „von Natur aus Fleischfresser“, so Edgar. Das Huhn braucht das passende Protein, Eiweiß, damit es auch jeden Tag sein Ei legen kann – brav auf das Förderband. Oh je, schon wieder eine Analogie: Als Ersatz für das Fleisch gibt es Soja! Gespickt mit Eiweiß, das ideale Kraftfutter für hohe Leistungen, aber auch das Synonym für Abholzung am Amazonas! Edgar kennt seine Kunden als kritische „Verbraucher“, er will aber vor allem selbst ein gutes Gewissen haben, er sucht nach Alternativen: Erbsen böten sich an, aber für die Hühner sind darin zu viele Bitterstoffe. So bleibt mittelfristig nur eines: selber Soja anbauen, auch wenn sich das noch schwierig gestaltet. „Da müssen wir noch intensiv testen, aber das muss bald klappen.“ Und wie kam das Bauernpaar ausgerechnet auf Huhn und Ei? 2003 schenkte Edgar seiner Gudrun zu Weihnachten ein Huhn. Eine weise, eine bäuerliche Geste, zwei Jahre später fiel die Entscheidung: Egal, was zuerst war, Huhn oder Ei, wir setzen darauf. Aller Anfang ist holprig, Edgar drehte Verkaufsrunden bis nach Biberach, dort fand er in einem Hofladen einen ersten begeisterten Abnehmer: Thomas Zinser ist heute noch einer der besten Kunden. Dem Dutzende folgten: Supermärkte in der Nähe, ein Rewe in Biberach, auch Gastronomen, „das aber dürften gerne noch mehr werden“. Acht Märkte sind es insgesamt, für 4500 bis 6000 Eier am Tag braucht es viele glückliche Kunden, die für ein Ei etwa 30 Cent anlegen müssen. Wichtig aber auch: Der Verkauf ab Hof –im neuen schmucken Hofladen. Auch wenn der nur noch für 10 Prozent Umsatz sorgt, dafür aber immer neue Kunden anlockt, die ihre Eier aus Feldmoos dann im Markt kaufen. Vertrauen ist die wichtigste Währung! Im Hofladen gibt es Eier in jeder Größe, sorgsam verpackt, aber auch Nudeln in Hülle und Fülle. Jedes Ei wird hier genutzt, was immer zu viel ist, wird von Bäuerin Gudrun zu Teig und Nudeln verarbeitet, bei denen an nichts gespart wird. Seit der neue Stall fertig ist und mit Hühnern gut belegt, ist das noch
20 Jahre LandZunge: Fast so lange begleitet uns Edgar Rimmele als Vorzeige-Landwirt schon. Für ein Porträt der Serie „Oinaweag“ 2003 noch mit Kühen. 10 Jahre danach mit Ehefrau und glücklichen Hühnern, 2022 dann mit einem zweiten Stall und mit fünf Kindern. Ein bäuerlicher Musterfall…
viel wichtiger, denn 6000 Eier am Tag sind so leicht nicht zu verkaufen, neue Kunden sind daher auch erwünscht, gerne auch von weiteren Supermärkten und Gasthöfen in der Nähe. Und wie lange leben und legen die glücklichen Hühner? Auch da hilft Romantik nicht weiter: Die sogenannten Hybrid-Hühner, auf hohe Legeleistung getrimmt, sind nach einer „Legeperiode“ von elf Monaten erschöpft, dann haben sie Pause, sie kommen in die „Mauser“, eine Art Winterruhe. Diese Pause aber wird den Hühnern nicht gegönnt, durchfüttern ohne Gegenleistung lohnt sich nicht, der nächste Trupp rückt in den Stall. Edgar Rimmele ist aber mit diesem kurzen Leben seiner Hühner nicht glücklich, er versucht daher das Leben der Hühner im Stall in eine Art künstlichen Winter zu verwandeln: Mit einer kürzeren Tageslichtzeit von sechs bis acht Stunden und einem speziellen Futter mit weniger Nährstoffen – so können die Hühner nach einer Pause von vier bis fünf Wochen in ihren zweiten Frühling starten. Daher haben die Rimmeles ein rollierendes System: Von drei Gruppen sind zwei brav am Legen, die dritte darf sich in der Mauser fühlen. So können die Hühner artgerecht länger leben und legen. Was in der modernen Zucht unmöglich scheint, wäre keine schlechte Sache für Tier wie Mensch: Eine zweite Lege periode, ein längeres Leben und mehr Eier, die offenbar noch besser schmecken: Weniger „Bruderhähne“, Aufschub bis zum glücklichen Ende als Suppenhuhn – bis heute ist die Hühnersuppe so etwas wie die Quintessenz der bäuer lichen Küche, so nahrhaft wie gesund! Und so wäre es zu schön, wenn Edgar die Legeleistung seiner Hühner mit einer artgerechten Mauser kombinieren könnte. Das wäre dann doch das Ei des Kolumbus!
Rudi Holzberger
Foto: Ernst Fesseler
Foto: Ernst Fesseler
Foto: Rudi Holzberger