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Vegan ist das neu

Von Ulrich Rotzinger

und Moritz Kaufmann

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eben ohne Tier im Essen. Für die einen ist Veganismus eine Lebenseinstellung. Für die anderen ist die rein pflanzliche Ernährung und Bekleidung einfach nur ein gutes Geschäft. Sogar die beiden Grossverteiler Coop und Migros haben zahlreiche Marken lanciert, mit denen sie die wachsende Zahl von Vegan-Konsumenten abholen wollen. Coop bietet 13 verschiedene Tofu-Sorten an. 200 Produkte sind mit dem Vegi-Logo versehen, 100 davon sind vegan. Bei der Migros sind rund 160 Produkte als vegetarisch deklariert, 85 davon eignen sich auch für Veganer. «Immer mehr Kunden wollen die vegane Küche probieren», sagt Sprecher Luzi Weber. Vegan werde zum Lifestyle – auch wegen Prominenter, die sich so ernährten. Dazu gehören etwa Schauspielerin Michelle Pfeiffer (57) und Sänger Bryan Adams (56). Selbst Ikea Schweiz mischt mit. Seit Frühling serviert der Möbelhändler die fleischlose Variante Vegiballs seines Verkaufsschlagers Köttbullar. Anhänger des Veganismus kommen komplett ohne tierische Produkte aus (siehe Grafik). «Ihre Nachfrage ist riesig, das Wachstumspotenzial ebenso. Ein veganes Sortiment ist deshalb nicht nur finanziell lohnenswert, sondern auch ein wichtiges Instrument, um sich von der Konkurrenz abzuheben», sagt Cristina Roduner (38), Sprecherin der Veganen Gesellschaft Schweiz (VGS). Bettina Höchli (29) stützt Roduners Aussagen: «Vegan ist noch radikal. Damit kann man

Sogar Coop und Migros setzen auf rein pfl

noch schockieren. Deshalb ist es attraktiv», sagt die Gesellschaftsforscherin am GottliebDuttweiler-Institut (GDI). Wie damals der Bio-Hype, der nun von der Vegan-Welle abgelöst wird. «Bio hat einen Boom erlebt. Aber es ist dadurch auch verwässert. Vegan ist klarer, weil gewisse Dinge einfach nicht drin sind. Vegan ist das neue Bio», sagt Höchli. Die Veganer-Gemeinde in der Schweiz wächst rasant. Laut

Bettina Höchli ist Forscherin am GDI.

will die Eidgenossen künftig mit tierfreier Ware beliefern: «Für das kommende Jahr 2016 konzentrieren wir uns vor allem auf die Ausweitung der Grosshandelsaktivitäten in Europa, insbesondere in der Schweiz», sagt Veganz-Sprecherin Michèle Hengst zu BLICK. Hierfür sei man in Verhandlungen mit einem Grossverteiler. Weder ­ Coop noch Migros wollten auf Anfrage etwas dazu sagen. Doch es ist klar, dass die Wirtschaft nicht mehr um die auf pflanzliche Ernährung ausgerichteten Kunden herum-

gelegentlich

Cristina Roduner, Sprecherin VGS.

VGS hat sich deren Zahl in den letzten zehn Jahren auf heute 80 000 vervierfacht. Die Zahl der Vegetarier hat sich in dieser Zeit knapp versechsfacht – auf gegen 500 000 Personen. Die Zahl der öfter einmal auf Fleisch verzichtenden Flexitarier beziffert Sprecherin Roduner auf rund 3,5 Millionen Menschen hierzulande. Tendenz steigend. Es sind die Fleischesser, die den Vegan-Trend antreiben. Das bestätigt Gastronom Daniel Frei (46): «Die Mehrheit, 75 Prozent, unserer Gäste sind Teilzeit-Vegetarier», sagt der Chef der populären und erfolgreichen vegetarischen Gastrokette Tibits. Er führt insgesamt acht Restaurants in Zürich, Basel, Bern, Luzern, Winterthur ZH und London. Bald kommen Zürich-Oerlikon und St. Gallen dazu, in Lausanne und Genf sucht man Standorte. Sogar im deutschen Berlin, wo es hipp ist, Veganer zu sein, schaut man jetzt auf die Schweiz: Veganz, die erste vegane Supermarktkette Europas,

kommt – allein schon in finanzieller Hinsicht: «Veganer verschreiben sich ihrer Ernährungsweise sehr emotional. Sie sind deshalb bereit, mehr für entsprechende Produkte zu zahlen», sagt GDI-Forscherin Höchli. Laut Prognosen nimmt die Nachfrage nach veganen Produkten stetig zu. «Vegan ist eindeutig: Die Welt wird in gut und schlecht eingeteilt. Das bietet Orientierung. Und gibt einem ein gutes Gefühl, wenn man so ein Produkt kauft», so Höchli.

erlaubt Verzicht

Fleisch

Fisch

Eier

Milch/ Milchprodukte

Honig

Gemüse

Flexitarier Pescetarier Ovo-LaktoVegetarier Ovo-Vegetarier LaktoVegetarier Veganer

Honig ist für Veganer tabu Zürich – Konsequente Veganer verzichten auf alle tierischen Produkte (siehe Grafik): Sie meiden nebst Fleisch etwa auch Milch, Eier und sogar Bienenhonig – der Mensch gewinne diese Produkte durch Ausbeutung der Tiere, so die Philosophie. Deshalb sind auch

Leder, Schafwolle und Produkte, die an Tieren getestet wurden, tabu. Andere entscheiden sich aus ökologischen Gründen für den Veganismus. Sie kritisieren beispielsweise den hohen Ressourcenverbrauch der industriellen Tierhaltung.

Nur Äpfel und so, ist das nicht Sünde?

Ben Stiller

Fotos: Film Magic, WireImage, AFP, AP, Universal, Heinz Wuchner/Corbis Gemüse

Der Komiker (50) und seine Frau Christine Taylor (44) essen seit einigen Jahren vegan – jetzt versuchen sie ihre Kinder davon zu überzeugen.

Bill Clinton

Wegen seiner Herzprobleme stellte der Ex-US-Präsident (69) auf vegan um. Mittlerweile isst er wieder vegetarisch, verzichtet aber rigoros auf Fleisch.

Michelle Pfeiffer

Die 57-Jährige war von Bill Clintons Ernährungsumstellung so beeindruckt, dass auch sie sich für eine vegane Diät entschied.

Bryan Adams

Der kanadische Sänger (56) wurde in den 80er-Jahren Vegetarier – seit einiger Zeit isst er aber nichts Tierisches mehr.

Vegane Ernährung birgt viele Risiken U

Alicia Silverstone

Die US-Schauspielerin (39) lebt vegan und hat vor einigen Jahren auch ein Kochbuch mit veganen Rezepten veröffentlicht: «Meine Rezepte für eine bessere Welt – bewusst geniessen, schlank bleiben und die Erde retten» lautet der Titel.

nter Ernährungs­ experten ist rein vegane Kost umstritten: Die Gefahr von Mangelerscheinungen ist hoch. Expertin Steffi Schlüchter von der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung: «Das Hauptrisiko besteht darin, dass durch den Verzicht auf Fleisch und Fisch bestimmte Nährstoffe sowie Proteine nicht mehr in genügenden Mengen aufgenommen werden.»

Veganer fehlen oft die Vitamine B12 (wichtig für Hirn, Herz, Nerven) und D (Immunsystem, Knochen), Zink (Abwehr), Eisen (Sauerstofftransport im Blut), Selen (Zellschutz), Kalzium (Knochen) und bestimmte Fettsäuren (Energie). Steffi Schlüchter sagt: «Vegane Ernährung birgt vor allem für Kinder, Schwangere und chronisch Kranke ein grösseres Risiko.» Strittig sind die oft be-

haupteten Vorteile der veganen Ernährung: Sie führe zu weniger Krebserkrankungen, stärke das Herz-Kreislauf-System und reduziere das Risiko für Übergewicht. Steffi Schlüchter: «Dazu ­liegen weder Studien noch andere fundierte Erkenntnisse vor.» Ein weiteres Problem ist der häufige Versuch, das fehlende tierische Eiweiss durch Soja zu ersetzen: Soja gilt im Übermass als hormo-

nell aktiv im Körper, über die gesundheitlichen Folgen ist sich die Forschung bisher nicht einig. Lebensmittelchemiker und Sachbuchautor Udo Pollmer (61, «Don’t Go Veggie!») sieht in veganer Ernährung eine gesundheitlich und ökologisch unsinnige «Ersatzreligion»: «Die Nahrungskette ist die Basis der Evolution.» Der Mensch brauche tierisches Eiweiss, könne nur unter grösseren

Schwierigkeiten und Risiken darauf verzichten. Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung gibt daher keine Empfehlung ab. Steffi Schlüchter erklärt: «Veganer können sich einer guten Gesundheit erfreuen – sofern sie über ein grosses Ernährungswissen und genügend Erfahrung verfügen, um sich so zu ernähren, dass die erhöhten Risiken kompensiert werden.» Attila Albert


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