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Reinhold Beiser: Die Umsatzsteuer bei Eigentümergemeinschaften im Licht der Rechtsprechung des EuGH

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jener Zählermiete, die ein Fernwärmeanbieter für den Hauptzähler verrechnet, der ja ein notwendiger Teil der Lieferbedingungen ist.

Davon zu unterscheiden sind aber Zähler, die nicht Teil der Lieferbedingungen sind, sondern der Zuordnung des Energieverbrauchs zu den einzelnen Nutzungsobjekten dienen. Das ergibt sich aus den Erläuterungen der RV55 zur ursprünglichen Vereinbarung gem Art 15a B-VG über die Einsparung von Energie,56 denen zu entnehmen ist, dass die Installation von Messgeräten zur Feststellung des individuellen Energieverbrauchs im Vollanwendungsbereich des MRG aus den Hauptmietzinsen zu decken ist. Daher scheidet eine Verrechnung der Anschaffungs-, Miet- und Erhaltungskosten solcher Messgeräte an die Mieter nach §§ 21 bis 24 MRG aus.

6. Zusammenfassung

Eine Abrechnung nach HeizKG bedingt nicht zwingend, dass die auf einzelne Nutzungsobjekte entfallenden Anteile an den gesamten Versorgungskosten in die Zahlungspfl icht der jeweils zivilrechtlich Nutzungsberechtigten der Objekte fallen. Wo das HeizKG die Zuordnung bestimmter Kosten zu einem Nutzungsob-

55 268 15. GP 14. 56 BGBl 1980/351. jekt zulässt, kann das MRG einer Kostentragungspfl icht des Mieters für diese Kosten entgegenstehen. In der Konsequenz muss der Vermieter eine von der Abrechnung iSd HeizKG abweichende Abrechnung nach mietrechtlichen Bestimmungen legen oder hat der Abgeber in seiner Heizkostenabrechnung die tatsächliche Zahlungsverpfl ichtung des Abnehmers unter Berücksichtigung der bestandrechtlichen Regelungen gesondert auszuweisen, um sowohl dem MRG als auch dem HeizKG gerecht zu werden.

Der Autor:

Mag. Walter Rosifka, Leiter des Teams Wohnen und Wohnrechtsexperte der AK Wien, Mitglied der Arbeitsgruppe Wohnrecht im BMJ.

walter.rosifka@akwien.at lesen.lexisnexis.at/autor/Rosifka/Walter

Der Autor:

Mag. Clemens Berger, Team Wohnen AK Wien; Schwerpunkte: gesamtes Immobilienrecht; Verbandsklagen und Musterprozesse.

clemens.berger@akwien.at lesen.lexisnexis.at/autor/Berger/Clemens

Univ.-Prof. Dr. Reinhold Beiser

Die Umsatzsteuer bei Eigentümergemeinschaften im Licht der Rechtsprechung des EuGH

»Zak 2021/43

Sind die unechte Befreiung und die Ermäßigung des Steuersatzes auf 10 % nach § 6 Abs 1 Z 17 und nach § 10 Abs 2 Z 3 lit b UStG unionsrechtswidrig? Ist eine rückwirkende Aufh ebung oder Nichtanwendung dieser umsatzsteuerlichen Sonderbestimmungen des österreichischen Rechts unionsrechtlich geboten und verfassungsrechtlich zulässig? Der Beitrag sucht eine systematisch und teleologisch konsistente Lösung.1

1 Zum Begriff „Eigentümergemeinschaften“: Steuerrechtlich fi ndet sich immer noch der Begriff Wohnungseigentumsgemeinschaft(en), den es aber seit dem 1. 7. 2002 (WEG 2002) nicht mehr gibt (5 Ob 197/17g immolex 2018/102 [Räth] = wobl 2018/52 [Brandstätter]). Im Folgenden wird die Eigentümergemeinschaft als EigG bezeichnet (ausgenommen bei der

E des EuGH, da in Deutschland dieser Begriff noch in Verwendung ist (s etwa Bärmann, WEG12 1717).

1. Unionsrechtswidrigkeit der unechten

Befreiung und des ermäßigten Steuersatzes?

1.1. Rattinger und Mario Mayr

Rattinger2 und Mario Mayr3 bezweifeln die Unionsrechtskonformität der unechten Befreiung von EigG mit ihren Leistungen zur Erhaltung, Verwaltung oder zum Betrieb von Büros, Geschäftsräumen, Garagen, Abstellplätzen oder einer anderen Nutzung als zu Wohnzwecken (unechte Befreiung mit Vorsteuerausschluss für eine von Wohnzwecken verschiedene Nutzung nach § 6 Abs 1 Z 17 UStG). Mario Mayr4 bezweifelt auch die Deckung der Steuer-

2 Rattinger in Melhardt/Tumpel, UStG3 § 6 Rz 515. 3 Mario Mayr, Umsatzsteuer und Wohnungseigentumsgemeinschaft – das rückwirkende Ende der Begünstigungen, SWK 2021, 1101 ff . 4 M. Mayr, SWK 2021, 1101 ff .

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satzermäßigung von 10 % für Leistungen von EigG zur Erhaltung, Verwaltung oder zum Betrieb von Wohnungen im WE nach § 10 Abs 2 Z 3 lit b UStG (Steuersatzermäßigung für eine Nutzung von WE-Objekten zu Wohnzwecken).

1.2. WEG Tevesstraße

Die WEG Tevesstraße ist eine EigG in Deutschland und hat im Jahr 2012 auf ihrem Grundstück ein Blockheizkraftwerk errichtet. „Der mit diesem Kraftwerk erzeugte Strom wurde an ein Energieversorgungsunternehmen und die erzeugte Wärme an die Eigentümer, die Mitglieder der Gemeinschaft sind, geliefert.“5

Die EigG beansprucht den vollen Vorsteuerabzug für das Blockheizkraftwerk, das Strom und Wärme erzeugt (Energieproduktion) und an einen Dritten (ein Energieversorgungsunternehmen) Strom und an die Mitglieder der EigG Wärme liefert.

Die deutsche Finanzverwaltung wollte den Vorsteuerabzug nur für die Stromproduktion gewähren, dagegen für die Wärmelieferungen an die Mitglieder der EigG verweigern.

Der EuGH hat den vollen Vorsteuerabzug für das Kraftwerk bestätigt: Der Betrieb eines Kraftwerkes durch die WEG Tevesstraße fällt nicht unter die unechte Befreiung für eine „Vermietung und Verpachtung von Grundstücken“ nach Art 135 der Mehrwertsteuerrichtlinie. Die Lieferungen von Strom und Wärme sind umsatzsteuerpfl ichtig. Der Vorsteuerabzug ist somit für das Blockheizkraftwerk der WEG Tevesstraße in vollem Umfang zu gewähren: Die WEG Tevesstraße hat Strom und Wärme entgeltlich geliefert. Die Wärmelieferungen an die einzelnen Mitglieder der EigG sind nach dem jeweiligen Zählerstand abgerechnet worden.6 Die Lieferungen von Strom und Wärme sind somit Gegenstand eines entgeltlichen wechselseitig fi nal verknüpften Leistungsaustausches im Rahmen des Kraftwerkunternehmens der WEG Tevesstraße. 7

Der Begriff einer „Vermietung von Grundstücken“ iSd Art 135 der Mehrwertsteuerrichtlinie (MWSt-RL) ist nach der Rsp des EuGH „eng auszulegen“ und wird vom EuGH als eine verhältnismäßig passive Tätigkeit defi niert: Ein Vermieter überlässt dem Mieter ein Grundstück auf bestimmte Zeit gegen eine Vergütung mit dem Recht des Mieters, dieses Grundstück in Besitz zu nehmen und jede andere Person von diesem Recht auszuschließen.8

1.3. Wohnungseigentümer nutzen nicht als Mieter, sondern als (Mit-)Eigentümer

Rattinger9 und Mario Mayr10 weisen zutreff end darauf hin: Die unechte Befreiung für EigG nach § 6 Abs 1 Z 17 UStG ist nach der Rsp

5 EuGH 17. 10. 2020, C-449/19, WEG Tevesstraße, Rz 13. 6 EuGH 17. 10. 2020, C-449/19, WEG Tevesstraße, Rz 27, 28 und 36. 7 Zur wechselseitig fi nalen Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung als Bedingung eines umsatzsteuerbaren Leistungsaustausches s Beiser,

Steuern19 Rz 472. 8 EuGH 17. 10. 2020, C-449/19, WEG Tevesstraße, Rz 39 bis 41. 9 Rattinger in Melhardt/Tumpel, UStG3 § 6 Rz 515. 10 M. Mayr, SWK 2021, 1101 ff . des EuGH11 nicht als eine „Vermietung von Grundstücken“ zu qualifi zieren und somit nicht durch Art 135 Abs 1 lit l der MWSt-RL gedeckt.

2. Die Unionsrechtskonformität der österreichischen Rechtslage

Die unechte Befreiung nach § 6 Abs 1 Z 17 UStG mit einer Option zur Umsatzsteuerpfl icht nach § 6 Abs 2 UStG kann auch ohne Grundlage in Art 135 der MWSt-RL als unionsrechtskonform qualifi ziert werden.

2.1. Kostenverteilungen ohne Leistungsaustausch sind nicht umsatzsteuerbar

Ein umsatzsteuerbarer Leistungsaustausch setzt einen wechselseitig fi nal verknüpften Austausch von Leistung und Gegenleistung voraus.12

Von einem entgeltlichen Leistungsaustausch zu unterscheiden sind nicht umsatzsteuerbare Kräftebündelungen. Bündeln zwei oder mehrere Personen ihre Kräfte (Kapital, Arbeitskraft, Know-how, Grundstücke, Sachanlagen etc) in einer Gesellschaft (Personen- oder Kapitalgesellschaft) oder in einer Gemeinschaft (Miteigentumsgemeinschaft, EigG, Verein etc), um bestimmte gemeinsame Ziele gemeinsam (mit vereinten Kräften) zu erreichen, so liegt nicht ein umsatzsteuerbarer Leistungsaustausch im Sinne eines „do ut des“, sondern eine nicht umsatzsteuerbare Kräftebündelung („viribus unitis“) vor.13

EigG verbinden ihre Mitglieder zu Personenvereinigungen, die im gemeinsamen Eigentum stehende Anlagen einer Liegenschaft betreiben, erhalten und verwalten. Die Bündelung von Eigentum und Personen zu einer EigG und die Verteilung der Kosten aus der Verwaltung, Erhaltung und dem Betrieb der gemeinsamen Anlagen begründen nicht einen umsatzsteuerbaren Leistungsaustausch. Die Verteilung der Kosten auf die einzelnen Mitglieder ist Ausfl uss der Gemeinschaft und somit ebenso nicht umsatzsteuerbar wie Gewinnausschüttungen einer Kapitalgesellschaft oder Gewinnverteilungen einer Personengesellschaft.

Der EuGH hebt in seiner Begründung aus gutem Grund hervor: Die WEG Tevesstraße hat Strom und Wärme gegen Entgelt geliefert.14

Es ist also zu diff erenzieren: Werden Anlagen zur Energieerzeugung nur zur Versorgung der Gemeinschaft betrieben (zB Heizanlagen, Blockheizkraftwerke, Photovoltaikanlagen) und die daraus anfallenden Kosten auf die Mitglieder der Gemeinschaft verteilt, so liegt ein umsatzsteuerbarer Leistungsaustausch insofern nicht vor.

Erst Energielieferungen gegen Entgelt begründen einen umsatzsteuerbaren Leistungsaustausch.

11 EuGH 17. 10. 2020, C-449/19, WEG Tevesstraße. 12 Beiser, Steuern19 Rz 472; EuGH 3. 3. 1994, C-16/93, Tolsma; 12. 5. 2016,

C-520/14, Gemeente Borsele; 2. 6. 2016, C-263/15, Lajver, 10. 11. 2016, C-432/15,

Bastova; FG Niedersachsen 1. 10. 2020, 11 K 185/19 (rechtskräftig), DStR 2021, 994 zur Aufteilung von Erlösen im Rahmen einer Interessengemeinschaft nach einem bestimmten Schlüssel ohne Austausch von Leistungen. 13 Beiser, Steuern19 Rz 474; Beiser in Achatz/Ehrke-Rabel/Heinrich/Leitner/

Taucher, Steuerrecht Verfassungsrecht Europarecht, FS Ruppe (2007), Einlegen und Teilen in der Umsatzsteuer 39 ff . 14 EuGH 17. 10. 2020, C-449/19, WEG Tevesstraße, Rz 27, 28 und 36.

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Was nach der MWSt-RL mangels eines entgeltlichen Leistungsaustausches nicht umsatzsteuerbar ist, muss nicht auf eine Befreiung nach Art 135 MWSt-RL gestützt werden.

2.2. Die gesetzliche Fiktion einer Unternehmerqualität zum Vorsteuerabzug in der

Unternehmerkette

§ 6 Abs 1 Z 17 und ebenso § 10 Abs 2 Z 3 lit b UStG verankern eine Unternehmerqualität von EigG kraft gesetzlicher Fiktion,15 um im Fall einer Nutzung von WE-Anlagen (Wohnungen, Büros, Geschäftsräumen, Garagen etc) für umsatzsteuerpfl ichtige Zwecke (steuerpfl ichtige Vermietung oder Eigennutzung für steuerpfl ichtige Unternehmen) einen Vorsteuerabzug aus den von der EigG verrechneten Kosten zu ermöglichen. Bei Geschäftsräumen, Büros, Garagen etc kann die EigG zur Umsatzsteuerpfl icht optieren, soweit die einzelnen Anlagen für umsatzsteuerpfl ichtige Umsätze mit Vorsteuerabzug genutzt werden.16 Wohnraumvermietungen durch Wohnungseigentümer sind idR umsatzsteuerpfl ichtig. § 10 Abs 2 Z 3 lit b UStG verankert einen Steuersatz von 10 % für die EigG im Anschluss an den ermäßigten Steuersatz von 10 % für eine Vermietung von Wohnraum nach § 10 Abs 2 Z 3 lit a UStG. § 6 Abs 1 Z 17 samt Option zur Umsatzsteuerpfl icht und § 10 Abs 2 Z 3 lit b UStG verhindern eine systemwidrige Umsatzsteuerkumulation: Die umsatzsteuerpfl ichtige Unternehmerkette wird kraft Fiktion einer EigG als Unternehmer im Rahmen ihrer Kostenverteilung auf ihre Mitglieder nicht unterbrochen. Die Kostenneutralität kraft Vorsteuerabzug wird so gewahrt.

Das ist sachlich geboten: Ein Anwalt, der seine Kanzlei in einem Büro in seinem WE betreibt, kann für die von der EigG (kraft Option zur Umsatzsteuerpfl icht) in Rechnung gestellten Kosten ebenso den Vorsteuerabzug beanspruchen wie ein Anwalt, der sein Büro von einem Alleineigentümer oder einer Miteigentumsgemeinschaft mietet.

Wohnungseigentümer, die ihre Wohnungen umsatzsteuerpfl ichtig vermieten, ziehen den Vorsteuerabzug für die von der EigG in Rechnung gestellte Umsatzsteuer.

2.3. Die österreichische Rechtslage ist unionsrechtskonform

§ 6 Abs 1 Z 17 iV mit der Option zur Umsatzsteuerpfl icht nach § 6 Abs 2 UStG und der ermäßigte Steuersatz von 10 % nach § 10 Abs 2 Z 3 lit b UStG sind unionsrechtskonform: Die Kostenneutralität in der Unternehmerkette wird kraft Vorsteuerabzug gesichert.

Die Autonomie in der Gestaltung von Steuersätzen wird genutzt.

Tragen die Mieter die von einer EigG in Rechnung gestellten Betriebskosten für ihre Mietwohnung, so profi tieren die Mieter von der Steuersatzermäßigung nach § 10 Abs 2 Z 3 lit b UStG ebenso wie von der Steuersatzermäßigung für das Mietentgelt nach § 10 Abs 2 Z 3 lit a UStG.

3. Kraftwerke zur entgeltlichen Lieferung von Energie

Kraftwerke, die gegen Entgelt Energie (Strom, Wärme) liefern, sind idR als umsatzsteuerpfl ichtige Unternehmen zu qualifi zieren. Das gilt auch für Kraftwerke von EigG. Entgeltliche Energielieferungen fallen nicht unter die Befreiung nach § 6 Abs 1 Z 17 UStG.

Eine unterschiedliche Behandlung von Kraftwerksunternehmen zur Lieferung von Energie gegen Entgelt je nach Organisationsform des Unternehmers (natürliche Person, GmbH, Miteigentumsgemeinschaft, EigG etc) verstößt gegen die Wettbewerbsneutralität der Umsatzsteuer und ist somit sachlich (Art 7 B-VG) nicht zu rechtfertigen.

Der EuGH fordert auch nach Unionsrecht eine systematisch und teleologisch konsistente Gleichbehandlung von Energieversorgern in der Umsatzsteuerpfl icht und im Vorsteuerabzug.17

4. Das Fehlerkalkül des EuGH bei einer Verletzung von Richtlinien der EU

RL geben den Mitgliedstaaten verbindlich die zu erreichenden Ziele vor, überlassen jedoch „den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel“ zur Erreichung der vorgegebenen Ziele (Art 288 AEUV). RL sind an die Mitgliedstaaten adressiert: Die Mitgliedstaaten sind die Normadressaten von Richtlinien der EU. Die Unionsbürger sind erst Adressaten der nationalen Umsetzung. In Österreich hat diese Umsetzung nach dem Legalitätsprinzip (Art 18 B-VG) idR durch Gesetze und (Durchführungs-)Verordnungen zu erfolgen.

Werden RL der EU von einem Mitgliedstaat fehlerhaft in sein nationales Recht umgesetzt, greift unionsrechtlich folgendes Fehlerkalkül:18

4.1. Fehler zu Lasten der Unionsbürger

Wird eine EU-RL zu Lasten der Unionsbürger nicht fristgerecht oder fehlerhaft umgesetzt, so wird die RL unmittelbar anwendbar, soweit Tatbestand und Rechtsfolgen hinreichend klar und unbedingt aus der RL hervorgehen. In solchen Fällen kann der Einzelne sich zu seinen Gunsten direkt auf die RL berufen und seine aus der RL abgeleiteten Rechte gegen den Mitgliedstaat über den Anwendungsvorrang des Unionsrechts durchsetzen.19

Ein österreichischer Steuerpfl ichtiger kann sich also zB gegen einen unionsrechtswidrigen Vorsteuerausschluss erfolgreich wehren. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts schützt den Steuerpfl ichtigen vor unionsrechtswidrigen Belastungen.

15 „Die juristische Fiktion besteht in der gewollten Gleichsetzung eines als ungleich Gewußten.“ Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft5 251. 16 Zur Option für die Steuerpfl icht siehe Ruppe/Achatz, UStG5 § 6 Rz 406 ff ;

Rattinger in Melhardt/Tumpel, UStG3 § 6 Rz 518. 17 EuGH 17. 10. 2020, C-449/19, WEG Tevesstraße. 18 Beiser, Das Fehlerkalkül des EuGH, SWK 2013, 546 ff . 19 Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht Rz 266 ff und 180 ff .

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4.2. Fehler zu Gunsten der Unionsbürger

Sehen EU-RL dagegen Pfl ichten und Lasten der Unionsbürger vor, so greifen diese erst nach deren Umsetzung durch die Mitgliedstaaten ins nationale Recht. EU-RL wenden sich an die Mitgliedstaaten als Normadressaten. Es ist Aufgabe der Mitgliedstaaten, die vorgegebenen Ziele durch die dazu ausgewählten nationalen Mittel und Formen umzusetzen. Auf Grund ihrer Adressierung an die Mitgliedstaaten begründen EU-RL grundsätzlich nicht Pfl ichten oder Lasten der Unionsbürger.20

Werden also Steuerpfl ichtige durch nationales Steuerrecht nicht oder zu wenig belastet, so begründen die EU-RL nicht höhere Steuerlasten als nach nationalem Recht. Insoweit greift der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nicht. Die in EU-RL vorgesehenen Pfl ichten und Lasten treff en die Unionsbürger erst mit der nationalen Umsetzung. Steuerlasten bedürfen in Österreich nach dem Legalitätsprinzip einer gesetzlichen Grundlage (Art 18 B-VG).

4.3. Ein bürgerfreundliches Gesamtkalkül – eine „No-win-Situation“ für Richtlinienverletzungen der Mitgliedstaaten

Das unionsrechtliche Fehlerkalkül hinsichtlich der Verletzung von EU-RL durch die Mitgliedstaaten (als Normadressaten) ist somit im Gesamtergebnis bürgerfreundlich: Die Unionsbürger können sich gegen richtlinienwidrige Belastungen durch Berufung auf die jeweilige RL wehren; der Anwendungsvorrang des Unionsrechts schützt vor richtlinienwidrigen Belastungen. Pfl ichten und Lasten einer EU-RL treff en Unionsbürger dagegen erst mit der nationalen Umsetzung.

Aus der Sicht der Unionsbürger wirken EU-RL im Fall deren fehlerhafter Umsetzung in nationales Recht stets zu ihren Gunsten: Sieht das nationale Recht unionsrechtswidrige Pfl ichten oder Lasten vor, verdrängt der Anwendungsvorrang des Unionsrechts diese Lasten und Pfl ichten.21 EU-RL wirken insoweit zu Gunsten der Unionsbürger (Steuerpfl ichtigen).

Werden dagegen in EU-RL vorgesehene Pfl ichten und Lasten nicht im nationalen Recht verankert, so werden die Unionsbürger nicht belastet: EU-RL wenden sich an die Mitgliedstaaten als Normadressaten. Unionsbürger sind nicht Pfl ichtadressaten von EU-RL

20 EuGH 26. 2. 1986, Rs 152/84, Marshall, Slg 1986, 723 ff , Rz 48; 8. 10. 1987,

Rs 80/86, Kolpinghuis Nijmegen, Slg 1987, 3969 ff , Rz 9 f; Schweitzer/

Hummer/Obwexer, Europarecht Rz 280 ff . 21 Zum Grundsatz der geringstmöglichen nationalen Rechtsanpassung siehe VwGH 17. 4. 2008, 2008/15/0064; Gosch, Vielerlei Gleichheiten – Das Steuerrecht im Spannungsfeld von bilateralen, supranationalen und verfassungsrechtlichen Anforderungen, DStR 2007, 1553 (1555); Zorn in Quantschnigg/Wiesner/Mayr, Steuern im Gemeinschaftsrecht, FS Nolz (2008) 211 (234); derselbe, SWK 2008, 467, 469 f.

Zum Rechtsschutz, zur Eff izienz von Rechtsschutzeinrichtungen und zur

Rechtssicherheit (einschließlich der Rechtsquellensicherheit im Sinn des

Stufenbaues der Rechtsordnung) siehe VfGH 11. 12. 1986, G 119/86, VfSlg 11.196 sowie Beiser, Der Rechtsschutz gegen gesetzes-, verfassungs- oder unionsrechtswidrige Abgaben – Anträge auf Normprüfung zur Aufhebung oder Auslegung nach höherrangigem Recht? ÖStZ 2020, 453 ff . und werden somit erst durch nationales (Umsetzungs-)Recht belastet und verpfl ichtet. EU-RL wirken insoweit zu Gunsten der Unionsbürger, als sie einerseits Umsetzungsfehler zu ihren Lasten verdrängen (insoweit greift der Anwendungsvorrang des Unionsrechts) und andererseits Unionsbürger nicht über das nationale Recht hinaus belasten und verpfl ichten. Dieses Gesamtergebnis ist bürgerfreundlich und fördert den Rechtsschutz im Sinn der Rechtsstaatlichkeit: Pfl ichten und Lasten treff en die Bürger erst ab der nationalen Umsetzung. Das stärkt die Rechtssicherheit und das Vertrauen in die nationalen Rechtsquellen in der jeweiligen Landessprache. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts fördert das Interesse am Unionsrecht und an der Rsp des EuGH.

Auf den ersten Blick begünstigt die Rsp des EuGH einseitig die Unionsbürger: Das Unionsrecht verdrängt unionsrechtswidrige Belastungen der Unionsbürger, begründet jedoch grundsätzlich weder Pfl ichten noch Lasten der Unionsbürger. Ein zweiter Blick lässt ein ausgewogenes Fehlerkalkül erkennen: Die Mitgliedstaaten sind die Normadressaten von EU-RL. Die Mitgliedstaaten haben die vorgegebenen Ziele in geeigneter Form und mit geeigneten Mitteln umzusetzen (Art 288 AEUV). Die Mitgliedstaaten sollen aus Umsetzungsfehlern nicht profi tieren: Werden zB Befreiungen in der MWSt im nationalen Recht zu weit gezogen, so verliert der Mitgliedstaat ein Steueraufkommen. Der betreff ende Mitgliedstaat kann sich nicht zu Lasten der Steuerpfl ichtigen auf die Unionsrechtswidrigkeit der nationalen Befreiung berufen. Der Mitgliedstaat hat den Umsetzungsfehler zu verantworten. Es ist somit konsequent, den Mitgliedstaat durch den Ausfall von Steuern zu belasten. Die Steuerpfl ichtigen dürfen auf das nationale Steuerrecht vertrauen.

Das unionsrechtliche Fehlerkalkül ist insgesamt konsistent: Fehler in der Umsetzung von EU-RL sollen grundsätzlich den fehlerhaft umsetzenden Mitgliedstaat belasten. Dieser Mitgliedstaat hat Umsetzungsfehler zu verantworten. Es ist folgerichtig, den Schaden aus Umsetzungsfehlern dem fehlerhaft umsetzenden Mitgliedstaat anzulasten und nicht seinen Bürgern, Steuerpfl ichtigen oder Unionsbürgern.22

4.4. Keine Rückwirkung zu Lasten der Abgabepfl ichtigen

Das Legalitätsprinzip nach Art 18 B-VG ist ein Kernelement jedes Rechtsstaats. Die Abgabepfl ichtigen dürfen nur im Rahmen der Gesetze belastet werden. Das Vertrauen der Abgabepfl ichtigen auf die nationalen Rechtsgrundlagen wird geschützt.

22 Beiser, Die Kollision österreichischer Steuern mit Unionsrecht – Verdrängung und unionsrechtskonforme Auslegung, in Griller/Kahl/Kneihs/Obwexer, 20 Jahre EU-Mitgliedschaft Österreichs, 1161 ff , 1169: Bürgerfreundliches Gesamtkalkül – eine „No-win-Situation“ für Richtlinienverletzungen der Mitgliedstaaten; EuGH 26. 2. 1986, C-152/84, Marshall/Southampton and

South-West Hampshire Area Health Authority, Rz 48; 8. 10. 1986, C-80/86, Kolpinghuis Nijmegen, Rz 9 f; Sutter, Die richtlinienkonforme Interpretation und ihre mögliche Wirkung zu Lasten der Abgabepfl ichtigen, ÖStZ 2013, 338 ff .

Zum Vorrang nationalen Rechts zu Gunsten der Abgabepfl ichtigen siehe auch VwGH 9. 10. 2020, Ro 2019/13/0025; 13. 9. 2017, Ro 2017/13/0015; 5. 9. 2012, 2009/15/0213 sowie BFH 10. 7. 2019, XI R 27/18, DStR 2020, 154.

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