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Nachruf: Wolfram Paulus
nachruf
ABSCHIED VON WOLFRAM PAULUS
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Er war einer, den man als Wegbereiter für den neuen österreichischen Film bezeichnen kann: Wolfram Paulus nahm mit seinen Filmen ab 1982 viele Strömungen und Erzählweisen vorweg, durch die das heimische Filmschaffen später international reüssierte. In seinem Langfilmdebüt „Heidenlöcher“ (1985) forschte er am Lebensgefühl der Menschen im Zweiten Weltkrieg und erhielt dafür den Wiener und den Deutschen Filmpreis. Viele Arbeiten thematisierten vorbelastete Begriffe wie Heimat, Religion oder Kindheit. „Paulus galt mit seinen Filmen nicht nur als einer der Erneuerer des Heimatfilms in den 80er-Jahren, sondern in Folge als innovativer Erzähler und oft auch widerständiger Einzelkämpfer, der sich gerne gegen die bestehende Ordnung auflehnte. Eine Haltung, die sich auch in seinen Filmen wieder spiegelt“, würdigt das Filmarchiv Austria den Regisseur, dem man im März eine Retrospektive gewidmet hätte, die wegen der Corona-Krise abgesagt wurde. Am 28. Mai ist Wolfram Paulus nach langer Krankheit gestorben.
Wolfram Paulus (1957 - 2020)
WEGGEFÄHRTEN VON WOLFRAM PAULUS ERINNERN SICH:
WOLFGANG MURNBERGER erinnert sich auf Facebook: „Ich denke an eine Geschichte die mir Wolfram Paulus in der zweiten Hälfte der 80iger Jahre erzählt hat. Er ist mit dem Zug und einer Kopie seines Filmes „Heidenlöcher“ der im Wettbewerb der Berlinale gelaufen ist, zu Robert Bresson gefahren um dem großen, angebeteten französischen Regisseur seinen Film zu zeigen. Aber Bresson war in keiner guten Stimmung. Es gelang ihm nämlich gerade nicht, das Geld für sein Vermächtnis zusammen zu bekommen und hatte kein riesiges Interesse am Film eines jungen österreichischen Regisseurs. Wolfram war fassungslos, aber nicht weil sich Bresson nicht besonders für seinen Film interessierte. Er fragte sich völlig verzweifelt: Wie kann es sein, dass einer der größten Regisseure der Filmgeschichte, die Finanzierung für seinen nächsten, vermutlich letzten Film nicht zusammen bekommt, nicht einmal in Frankreich, dem europäischen Filmparadies. Wolfram hat das mit so viel Empathie und ehrlicher Entrüstung erzählt, dass ich diese Begegnung und diese Erzählung nicht mehr vergessen habe. Ich hoffe, Bresson hat jetzt mehr Zeit für ihn. In Frieden ruhen, das passt so gar nicht zu Wolfram. SABINE DERFLINGER erinnert sich auf Facebook: „Wolfram Paulus’ ‚Heidenlöcher‘: Ich bin begeistert und beeindruckt, so einen Ö-Film hab ich noch nie gesehen. Ich bin 23. Wolfram Paulus, einer der ersten Regisseure, für den ich arbeiten durfte. Filmverwertung in den Landkinos von ‚Heidenlöcher‘, die Producerin Monika Maruschko engagiert mich, Bürgermeister anschreiben, telefonieren. Noch gibt es kein Fax, keinen Computer. Ich habe keine Ahnung und arbeite mit der Begeisterung einer Unwissenden, ich spreche mit Gemeindesekretärinnen und schicke Unterlagen an Fremdenverkehrsverbände. ‚Heidenlöcher‘ schafft die notwendigen Zuschauerzahlen, es gibt Referenzgeld für den Regisseur und die Produktionsfirma. Als Produktionskoordinatorin seines Kinofilms ‚Nachsaison‘ schreibe ich die Dispos mit der Schreibmaschine. ‚Nachsaison‘, inspiriert vom Leben seines Bruders Albert, der als Koch im Saison-Tourismusgeschäft arbeitet, gedreht in Bad Gastein. Albert Paulus und Mercedes Echerer in den Hauptrollen, das legendäre Gewürzsträusschen, Christian Berger findet die Bilder für diesen so anderen Heimatfilm, Andreas Prohaska hat die Muster angelegt, erinnere ich mich, geschaut haben wir täglich im Kino, das dem Vater vom Wolfgang Steininger (Moviemento, Kino Freistadt) gehörte. Motive durften nicht abgebaut werden, bis das Ok vom Kopierwerk da war. Arbeiten und drehen im fast leeren Grandhotel. Mit Familie. Und Team. Nur wir vom Film und einmal ein arabischer Scheich mit seinen 40 (?) Frauen, die hinter schwarzen Burkas versteckt wurden. Eine schwere Zeit für mich, mir ging’s nicht so gut. Gelernt habe ich viel. Vor allem, dass RegisseurInnen sich nix dreinreden lassen. Diese Beharrlichkeit, die Wolfram Paulus an den Tag gelegt hat, bleibt mir in lebhafter Erinnerung. Und inspiriert hat mich Wolfram Paulus’ Arbeit, das Politische in ‚Heidenlöcher‘, das Unmittelbare bei seinen Arbeiten, seine Direktheit, seine Vermischung von Realem und Fiktivem, in Form, Stoff und Umsetzung, und ‚Nachsaison‘ hat sicher den Boden für meinen Kinospielfilm ‚Vollgas‘ bereitet. Danke für all diese Inspirationen!