Das aktuelle Interview
Benedikt Kommenda spricht mit Thomas Schwab
Rechtsfragen für den Aufsichtsrat
Der Gesetzesentwurf zur Flexiblen Kapitalgesellschaft
Nachhaltigkeitsberichterstattung im Zuge der CSRD
Praxisfragen rund um den Aufsichtsrat
Die neuen im Aufsichtsrat und die fünfte Jahreszeit
Must-haves für die virtuelle Gremienkommunikation
Künstliche Intelligenz
„Mal etwas ganz Neues wagen“ – Gespräch mit Ralf Lauterbach
ChatGPT und künstliche Intelligenz
Künstliche Intelligenz als Erfolgsfaktor bei Marktturbulenzen?
!PAROL¡ – Aufsichtsräte und künstliche Intelligenz
AufsichtsART® – Von der Kunst zur künstlichen Intelligenz
Das Offene Buch
Literaturrundschau
Nr. 3
19. Jahrgang / Juni 2023 /
LIEBE LESERINNEN UND LESER,
herzlich willkommen zur neuesten Ausgabe von Aufsichtsrat aktuell, die sich einmal mehr mit den aktuellsten Trends der Welt des Aufsichtsrats beschäftigt. In diesen Wochen finden zahlreiche Aufsichtsratssitzungen statt, denen ich als Wirtschaftsprüfer beiwohne. Dabei bestätigen sich drei Topthemen für Aufsichtsräte, die derzeit in aller Munde und miteinander verwoben sind: Nachhaltigkeit, Cyber Security, künstliche Intelligenz. Nachhaltigkeit befasst sich mit unterschiedlichen Aspekten der Bereiche Environmental, Social and Governance (ESG). Die Einhaltung und Sicherung von ESG-Standards und -Kriterien stellt eine der großen aktuellen Herausforderungen für Aufsichtsräte dar, zumal selbst sehr professionell geführte Unternehmen Gefahr laufen, von Umweltkatastrophen, Cyber-Attacken oder Korruptionsskandalen betroffen zu sein. Investoren, Geschäftspartner und Verbraucher legen Wert darauf, dass sich Unternehmen angemessen mit diesen Themen, die zukünftig entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit sein werden, auseinandersetzen.
Demonstrativ sei das Cyber-Risiko in diesem Zusammenhang als ein hoch relevantes Risiko hervorgehoben, das Aufsichtsräte vor diesem Hintergrund jedenfalls auf ihrer Agenda haben müssen. Cyber-Kriminelle sind mitunter deshalb so erfolgreich, weil die IT-Sicherheitssysteme von Unternehmen regelmäßig massive Schwachstellen aufweisen, die bereits mit mäßig ausgefeilten Angriffstaktiken ausgenützt werden können. Aufsichtsräte sind angesichts der Aktualität und Dringlichkeit des Themas angehalten, als Sparringspartner für die IT-Verantwortlichen in Unternehmen zu fungieren und sich gegebenenfalls auch mithilfe externer IT-Experten von der Etablierung und Funktionsfähigkeit eines angemessenen IT-Sicherheitssystems zu überzeugen. Nur dadurch kann sichergestellt werden, dass Unternehmen auf Änderungen schnell genug reagieren können und IT-Sicherheitsrisiken minimiert werden. Eine Entwicklung, die Cyber-Risiken weiterhin verschärfen kann, sind die Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz. Bei allen Chancen, die künstliche Intelligenz mit sich bringt, muss dem verantwortungsbewussten Aufsichtsrat auch ihr Missbrauchspotenzial bewusst sein. Zu denken ist hier etwa an vertrauliche Informationen (zB Passwörter), die irrtümlich der künstlichen Intelligenz preisgegeben werden. Weitere Gefahren bestehen etwa aufgrund erfundener oder nicht aktueller Inhalte. Für Aufsichtsräte ist es daher von entscheidender Bedeutung, dass sie künstliche Intelligenz zielgerichtet einsetzen. Dadurch können der Fokus und die Konzentration auf jene Bereiche gerichtet werden, in denen der Mensch nicht durch die Technik ersetzt werden kann. Das betrifft insbesondere nichtlineare Entwicklungen, die die Zukunft betreffen, aber auch originär ethische Entscheidungen. Die künstliche Intelligenz ist wiederum besser geeignet, die Vergangenheit zu analysieren, indem sie Informationen generiert und verdichtet. Die Aussage, künstliche Intelligenz könne bloß routinemäßige Aufgaben übernehmen, während dem Menschen kreative Lösungen vorbehalten seien, kann wohl nicht mehr so apodiktisch getroffen werden.
Was bedeutet das alles für die Tätigkeit des Aufsichtsrats? Ständige Weiterbildung ist unerlässlich, um am Puls der Zeit zu bleiben. Ferner ist es wichtiger denn je, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats aufgeschlossen, neugierig und wertegetrieben sind. Aktionäre bzw Gesellschafter und Betriebsräte sind zudem gut beraten, sich genau zu überlegen, ob die von ihnen entsandten Mitglieder des Aufsichtsrats im Lichte aktueller Anforderungen das erforderliche Rüstzeug haben. Wenn dies zum Selbstverständnis der Corporate Governance wird, können Aufsichtsräte als Gesamtorgan nicht nur als wertvolle Sparringspartner für die gesetzlichen Vertreter und sonstigen Schlüsselpersonen in Unternehmen fungieren, sondern vielmehr zu strategischen Ideengebern und Game Changern werden.
Aufsichtsrat aktuell wird mit diesem Heft einmal mehr dem Ruf als Schutzbrief für Aufsichtsräte gerecht, indem die hier kursorisch angesprochenen Themen in weiterer Folge umfassend behandelt werden. Eine informative Lektüre und einen erholsamen Sommer wünscht Ihnen in diesem Sinne
Ulrich Kraßnig
Editorial 97 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
Ihr
Impressum
Fachinformation für die verantwortungsvolle Kontrolle und Beratung von Unternehmen und Stiftungen
Redaktion
Ausgabe 3/2023
Dr. Josef Fritz, Mag. Clarissa-Diana de Grancy, DDr. Ulrich Kraßnig, LL.M., Mag. Stefan Menhofer
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Inhaltsverzeichnis 98 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
Herstellung
-beratung
Anzeigenverkauf und
Inhaltsverzeichnis Benedikt Kommenda 99 Was tun, wenn sich künstliche Intelligenz unter die Gesellschafter mischt? Interview mit Rechtsanwalt Mag. Thomas Schwab Rainer Werdnik 103 Der Gesetzesentwurf zur Flexiblen Kapitalgesellschaft Melissa Gallob 109 Go Green – Nachhaltigkeitsberichterstattung im Zuge der CSRD Josef Fritz 114 Forum Aufsichtsrat – Man kann nicht genug Steine in den Weg gelegt bekommen Josef Fritz ................................................................................................................................................... 117 Die neuen im Aufsichtsrat und die fünfte Jahreszeit Ansgar Dirkmann 121 Must-haves für die virtuelle Vorstands- und Gremienkommunikation Clarissa-Diana de Grancy 123 „Mal etwas ganz Neues wagen …“ Wie digitale Beiräte den Zukunftsblick ins Unternehmen bringen und dabei die Welt verändern Gespräch mit Digital-Unternehmer Ralf Lauterbach Victoria Riess 129 ChatGPT und künstliche Intelligenz Stephan Hebenstreit 132 Künstliche Intelligenz als Erfolgsfaktor in Zeiten von Marktturbulenzen? Michael Schwertel 135 !PAROL¡ – Aufsichtsräte und künstliche Intelligenz Clarissa-Diana de Grancy ......................................................................................................................... 137 AufsichtsART® – Von der Kunst zur künstlichen Intelligenz Gespräch mit Medienkünstler Volker Schütz Clarissa-Diana de Grancy & Sven Neumann 142 AufsichtsART® – Das Offene Buch Michael Barnert 144 Literaturrundschau
Benedikt Kommenda
Was tun, wenn sich künstliche Intelligenz unter die Gesellschafter mischt?
Rechtsanwalt Mag. Thomas Schwab im Interview über das geplante Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz sowie über Vor- und Nachteile von online abgehaltenen Sitzungen. Schwab bedauert, dass der Aufsichtsrat vom Entwurf nicht erfasst ist. Und er gibt Tipps, wie künstliche Intelligenz in virtuellen Versammlungen am besten enttarnt werden kann.
Kommenda: Welche Vor- und Nachteile virtueller Gesellschafterversammlungen haben Sie während der Corona-Pandemie geortet?
Schwab: Die Pandemie hat sich, was virtuelle Versammlungen und das Gesellschaftsrecht betrifft, als Innovationsmotor erwiesen. Die Maßnahmen, die ergriffen wurden, standen schon lange auf der Wunschliste vieler Berater, Gesellschafter und Organmitglieder. Neben einigen anfänglichen Unsicherheiten haben sich die Vorteile schnell herauskristallisiert. Die Teilnehmer können sich flexibel von jedem Ort der Welt an den Versammlungen beteiligen. Lange Anfahrtswege entfallen, und die Terminfindung wurde erheblich erleichtert. Virtuelle Versammlungen kosten bei Gesellschaften mit vielen Gesellschaftern regelmäßig auch weniger. Außerdem kann es dadurch gerade in der jetzigen digitalen Zeit gelingen, eine neue Gruppe von meist jungen Aktionären und Gesellschaftern anzusprechen und sie zur Teilnahme zu motivieren.
Gibt es auch Nachteile?
Natürlich. Virtuelle Versammlungen bergen immer die Gefahr, dass sich unberechtigte Personen Zugang verschaffen oder es zu einem Datenverlust kommt. Von Interessenvertretungen wird auch immer wieder der Einwand erhoben, dass virtuelle Hauptversammlungen die Stellung von Kleinaktionären schwächen könnten. Letztlich sind natürlich auch der einzelne Teilnehmer und seine Technikaffinität ein Faktor, der über den Erfolg einer virtuellen Versammlung entscheidet. Im Durchschnitt funktionieren die virtuellen Versammlungen nach unseren bisherigen Erfahrungen aber sehr gut.
Haben Sie nach Art der Versammlungen Unterschiede festgestellt? Es wird wohl nicht egal sein, ob wir von einer Hauptversammlung einer großen Aktiengesellschaft, von einer Aufsichtsratssitzung oder von einer Generalversammlung in einer kleinen GmbH sprechen.
Unter unseren Mandanten haben vor allem Gesellschaften mit einem großen und internationalen Gesellschafterkreis die neuen Möglichkeiten als große Erleichterung empfunden und sie sofort umgesetzt. Und zwar oft auf direkten Wunsch der internationalen Gesellschafter. Ge-
rade bei börsenotierten Aktiengesellschaften wird die virtuelle Versammlung mit den neuen gesetzlichen Möglichkeiten bald zum Standard werden bzw ist sie es bereits während der COVID-19-Regelung geworden.
Größere Versammlungen sind virtuell nicht gerade einfacher als kleinere, oder?
Natürlich steigen mit der Zahl der Teilnehmer auch die technischen Anforderungen, um eine stabile Verbindung zu gewährleisten. Übersteigt die Teilnehmerzahl einen überschaubaren Kreis, ist eine normale Videokonferenz nicht geeignet. Während eine GmbH noch besser mit den herkömmlichen Anbietern für Videokonferenzen zusammenarbeiten kann, ist das bei einer börsenotierten Aktiengesellschaft nicht möglich. Dafür gibt es dann eigene Anbieter. Dass der Organisationsaufwand mit der Zahl der Teilnehmer steigt, ist aber nichts Neues. Das war schon bei den Präsenzversammlungen so.
Haben auch kleine Versammlungen Besonderheiten?
Ja. Bei Gesellschaften mit wenigen Gesellschaftern – wie vor allem bei GmbHs – hängt die Art der Versammlung stark von den jeweiligen Vorlieben der Beteiligten ab. Hier bevorzugen vor allem länger gediente Gesellschafter meistens die Präsenzversammlung. Das ist oft die Macht der Gewohnheit.
Aktuelles Interview 99 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
Mag. Benedikt Kommenda ist Chef vom Dienst und Leiter des Rechtspanoramas in der „Presse“.
Foto: Clemens Fabry
Wie steht es mit virtuellen Gesellschafterversammlungen im europäischen Vergleich?
Auch ein Blick über die Grenzen zeigt, dass die Nachfrage nach virtuellen Versammlungen stark zunimmt. Wie Deutschland oder die Schweiz gehen immer mehr Länder dazu über, Regelungen für virtuelle Versammlungen ins Dauerrecht aufzunehmen. Die erhöhte Flexibilität steigert die Attraktivität der jeweiligen Gesellschaftsform, da die Zugangsschwelle zur Teilnahme an Versammlungen weiter gesenkt wird.
Spielt auch die Frequenz der Sitzungen eine Rolle?
Definitiv. Die Häufigkeit der Versammlungen macht meiner Erfahrung nach einen großen Unterschied. So haben unter unseren Mandanten etwa Aufsichtsräte die Möglichkeit der virtuellen Sitzung während der COVID-19-Pandemie häufiger genutzt als Gesellschafter einer GmbH. Vor allem, weil Aufsichtsräte meistens auch internationaler besetzt sind. Darum ist es schade, dass das geplante Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz Organvertreter wie die Aufsichtsräte außen vor lässt und nur die Gesellschafterversammlungen regeln wird.
Halten Sie den Gesetzesentwurf ansonsten für gelungen?
An sich halte ich den Gesetzesentwurf für gelungen. Wie der Vergleich mit unseren Nachbarländern zeigt, sind wir damit auch nicht die Ersten. Im Detail ist das Gesetz aber in einigen Passagen zu programmatisch, insbesondere wenn es um die Verantwortung der Gesellschaft bei der Nutzung technischer Kommunikationsmittel geht. Auch die Frage, wie mit technischen Problemen bei virtuellen Versammlungen umzugehen ist, wurde nur sehr vage beantwortet. Insgesamt wird der OGH wohl noch einige Male klarstellend eingreifen müssen. Eine Chance hat man, wie gesagt, auch damit verpasst, dass die Versammlungen von Organmitgliedern nicht berücksichtigt wurden. Auch wenn die Regelungen für Organmitglieder schon vor dem neuen Gesetz flexibler waren, wäre eine Klarstellung in vielen Bereichen wünschenswert gewesen.
Kurzbiografie
Mag. Thomas Schwab wurde 1992 in Graz geboren und ist als Rechtsanwalt in der Wirtschaftskanzlei ScherbaumSeebacher tätig. Dort berät er Mandanten an den Standorten Wien und Graz. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit in der Corporate- und M&A-Abteilung liegt in der Vorbereitung und Begleitung von Gesellschafterversammlungen und der laufenden Unterstützung von Organmitgliedern. Neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt ist Schwab für diverse Verlage und Hochschulen als Vortragender tätig.
Ist es gut, virtuelle Sitzungen nur unter der Voraussetzung zuzulassen, dass sie vorab in der Satzung oder im Gesellschaftsvertrag verankert wurden?
Dadurch wird die Verantwortung abweichend von der COVID-19-Übergangsregelung von den einberufenden Organen auf die Gesellschafter verlagert. Ich halte den Ansatz, der gesellschaftsvertraglichen Ausgestaltung den Vorzug zu geben, für konsequent. Damit behalten die Gesellschafter die Hoheit über die Art und Weise ihrer Versammlung. Natürlich ist diese Vorgabe bei den meisten Gesellschaften mit einer Änderung der Satzung oder des Gesellschaftsvertrags und damit mit einem administrativen Aufwand verbunden. Vor allem für kleine Gesellschaften führt das zu nicht unerheblichen Kosten. Das unterstreicht aber noch einmal die grundsätzliche Bedeutung dieser Entscheidung.
Geht sich das für alle Gesellschaften zeitlich gut aus?
Nein, und das ist ein Problem, das aus meiner Sicht mit einer Übergangsfrist gelöst werden sollte: Für Gesellschaften, deren Gesellschaftsvertrag bisher keine virtuellen Versammlungen zulässt, werden diese mit Auslaufen der COVID-19-Übergangsregelung ab Juli 2023 nicht mehr möglich sein. Gerade Gesellschaften mit vielen Gesellschaftern, die ihre ordentlichen Versammlungen im Jahr 2023 bereits abgehalten haben, stehen damit vor dem faktischen Problem, dass sie zumindest im nächsten Jahr noch eine Präsenzversammlung abhalten müssen, um ihre Satzung bzw ihren Gesellschaftsvertrag entsprechend anzupassen.
Abseits des Gesellschaftsrechts konnte man feststellen, dass viele Versammlungen mit einiger Erleichterung wieder unter Anwesenden durchgeführt wurden und werden. Haben Sie das auch beobachtet?
Das ist richtig. Und auch bei kleineren Unternehmen, vor allem bei Familienunternehmen, habe ich die Erfahrung gemacht, dass virtuelle Versammlungen oft als Mehraufwand empfunden werden. Da ist man froh, wenn man sich wieder persönlich treffen kann. Ein Faktor, den man bei physischen Versammlungen nicht vernachlässigen sollte, ist auch, dass neben den formellen Berichten, Fragen und Abstimmungen vieles passiert, was nicht zum offiziellen Programm gehört. Was bei Präsenzversammlungen neben den Tagesordnungspunkten stattfindet, darf in Verbindung mit der nonverbalen Kommunikation während einer solchen Versammlung nicht unterschätzt werden.
Nonverbale Kommunikation funktioniert halt viel besser von Angesicht zu Angesicht als vermittelt durch Kameras und Bildschirme.
Aktuelles Interview 100 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
Genau. Jeder, der schon einmal eine physische und eine virtuelle Versammlung abgehalten hat und diese vergleicht, weiß, dass die Rückmeldungen der Teilnehmer bei der Präsenzsitzung viel größer und unmittelbarer sind. Der Austausch während einer Präsenzversammlung ist in der Regel viel intensiver. Es kann aber auch ein Vorteil sein, dass Gesellschafter und Organe elektronisch übermittelte Fragen und Antworten besser aufbereiten können. Wer aber schon einmal an einer großen Präsenzversammlung einer Aktiengesellschaft teilgenommen hat, weiß, wie wichtig und schön auch das Networking neben der eigentlichen Versammlung ist und wie leidenschaftlich sich viele Aktionäre mit den Organen austauschen. Das fällt bei virtuellen Versammlungen natürlich weitgehend weg. Die Flexibilität wird durch die virtuellen Versammlungen aber wesentlich erhöht.
Ist die Abhaltung virtueller Versammlungen fehleranfälliger oder fehlerärmer als jene physischer Treffen?
Generell sind virtuelle Versammlungen fehleranfälliger als ihre physischen Pendants. Denn neben den formellen Anforderungen des Gesellschaftsrechts muss man auch die technischen Gegebenheiten meistern. Die Gesellschaft bzw ihre Organe müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Versammlung möglichst reibungslos ablaufen kann. Die Fehleranfälligkeit steigt mit der Komplexität der Versammlungsform und der Anzahl der Teilnehmer. Ein Techniker würde in diesem Zusammenhang wahrscheinlich sagen, dass es sich bei diesen Fehlern in der Regel um Anwenderfehler handelt. Das eine oder andere technische Problem kann man bei einigen Teilnehmern immer wieder beobachten. Die meisten Probleme – wie etwa ein nicht funktionierender Ton oder eine schwarze Kamera – lassen sich jedoch schnell beheben. Bei schwerwiegenderen technischen Problemen stellt das natürlich ein Risiko für die Gesellschaft dar, da technische Probleme auch zur Anfechtbarkeit der Versammlung führen können.
Nach dem Gesetzesentwurf und den Erläuterungen trägt die Gesellschaft die Verantwortung für den Einsatz der technischen Kommunikationsmittel, soweit sie ihrer Sphäre zuzurechnen sind.
Richtig. Ein Ausfall der verwendeten Software oder des Anbieters der Videokonferenz würde also womöglich zur Anfechtbarkeit der Versammlung führen. Wenn aber der einzelne Teilnehmer keine Verbindung herstellen kann, weil zB sein PC nicht funktioniert, wäre das nicht der Gesellschaft zuzurechnen.
Wie geht man live mit technischen Problemen um, zB mit Aussetzern in der Tonübertragung?
In der Praxis empfiehlt es sich, neben der Zusammenarbeit mit bewährten Anbietern,
bereits in der Einladung zum Treffen auf eine Fehler-Hotline hinzuweisen. An diese können sich die Teilnehmer bei Problemen wenden. Viele Anbieter haben eine solche Hotline. Bei einer geringen Teilnehmerzahl sollte die Versammlungsleitung bei technischen Problemen die Versammlung kurz unterbrechen, um den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, sich erneut einzuloggen. Das sehen bereits die Erläuterungen zum Gesetz vor. Wie genau in diesem Fall zu verfahren ist, muss die jeweilige Versammlungsleitung aber immer im Einzelfall entscheiden.
Was kann man präventiv tun?
Um solchen Fehlern vorzubeugen, könnte die Gesellschaft bereits in der Einladung die technischen Voraussetzungen für die Versammlung festlegen. Aber auch hier ist Vorsicht geboten, da eine Überregulierung der technischen Voraussetzungen mangels sachlicher Rechtfertigung zu einer Anfechtung wegen Gesellschafterungleichbehandlung führen kann. In der Praxis haben wir bis dato aber noch nicht erlebt, dass eine Gesellschafterversammlung wegen technischer Probleme oder technischen Zugangsvoraussetzungen angefochten wurde. Da geht es in der Regel um inhaltliche Themen.
Ist es wichtig, auch die Kameras eingeschaltet zu haben?
Bei virtuellen Versammlungen mit einem überschaubaren Teilnehmerkreis ist es von großem Vorteil, wenn alle Teilnehmer ihre Kameras einschalten. Dadurch hat man weniger das Gefühl, mit einem unpersönlichen Bildschirm zu sprechen. Außerdem haben die Teilnehmer so eine weitere Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen, falls etwas technisch nicht funktionieren sollte. Um die Motivation dafür zu erhöhen, können die einberufenden Organe bereits in der Einladung darum bitten, die Kamera einzuschalten. Auf diese Weise können sich die Gesellschafter auch schon darauf einstellen.
Wie kann man verhindern, dass sich eine künstliche Intelligenz unter die Teilnehmer der Gesellschafterversammlung mischt?
In Zeiten von ChatGPT und Co wird es immer schwieriger, im schriftlichen Bereich zwischen echten Menschen und künstlicher Intelligenz zu unterscheiden. Die KI-Verordnung der Europäischen Kommission sieht vor, hier regulierend einzugreifen. So sollen KI-Systeme verpflichtet werden, sich vor der Interaktion mit natürlichen Personen zu erkennen zu geben. Dies wird den Missbrauch in Gesellschafterversammlungen aber wohl nur sehr bedingt verhindern. Laut dem aktuellen Gesetzesentwurf zu virtuellen Gesellschafterversammlungen kann die Gesellschaft bei Zweifeln an der Identität eines Teilnehmers dessen Identität überprüfen. Generell ist das Einschalten der Kamera schon eine
Aktuelles Interview 101 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
erste Maßnahme, um künstliche Intelligenz zu erkennen. Sollte künstliche Intelligenz den Menschen aber auch optisch imitieren – Stichwort Deepfake –, kann die Versammlungsleitung auch das Vorzeigen eines Lichtbildausweises in die Kamera verlangen. Darüber hinaus können verschiedene Softwareprogramme eingesetzt werden, um die künstliche Intelligenz zu enttarnen. Gegen weniger ausgefeilte KI-Programme könnten auch die klassischen „Sind Sie ein Roboter?“-Bilder vor der Anmeldung eingesetzt werden. Diese Bilder können auch während der laufenden Versammlung eingespielt werden. Das macht es besonders schwierig, diese Kontrolle zu umgehen. Aber künstliche Intelligenz wird in Zukunft auch für die unterstützende Anwendung bei der Gesellschafterversammlung ein interessantes Thema sein.
Wie bewähren sich hybride Versammlungen?
Insbesondere bei kleinen und mittleren Gesellschaften haben sich nach meiner Erfahrung hybride Versammlungen bewährt. Sie sind ein gutes Mittel, um einzelnen Gesellschaftern, die sonst nicht an der Versammlung teilnehmen könnten, die Teilnahme zu ermöglichen. Je mehr Personen an einer hybriden Versammlung teilnehmen, desto mehr verlagert sich der Fokus aber auf die physisch anwesenden Gesellschafter, da zB kurze Redebeiträge für die anwesenden Gesellschafter leichter möglich sind. Im Ergebnis ist die hybride Versammlung somit eine wesentliche Erleichterung. Ich würde aber aus Gründen der Gesellschaftergleichbehandlung die virtuelle Vollversammlung vorziehen. Was bei hybriden Versammlungen aus meiner Sicht aber wichtig ist: dass zumindest das Leitungsorgan vor Ort physisch anwesend ist.
Werden Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften mehr entlastet oder mehr belastet, wenn sie online abgehalten werden?
Das hängt stark von der Größe der Aktiengesellschaft und ihrer Aktionärsstruktur
ab. Gerade börsenotierte Aktiengesellschaften bzw generell Aktiengesellschaften mit einem großen Aktionärskreis werden durch die neuen Regelungen und die durch COVID-19 angestoßenen Änderungen der Notariatsordnung erheblich entlastet. Die ersten virtuellen Versammlungen waren mit einem organisatorischen Mehraufwand verbunden. Mittlerweile hat man aber im Zusammenspiel mit verschiedenen Softwareanbietern genügend Erfahrungen gesammelt, sodass deren Durchführung eine faktische Entlastung darstellt. Die Möglichkeit, Fragen vorab zu formulieren, erleichtert den Aktionären die Teilnahme an der Versammlung und den Organen die Vorbereitung. Auch die Möglichkeit der Stimmrechtsvertretung kann die Stimmabgabe bzw die Ausübung der Aktionärsrechte bis zu einem gewissen Grad kanalisieren. Ein immer wiederkehrendes Thema ist, dass die Beantwortung von Fragen einzelner Aktionäre oft viel Zeit in Anspruch nimmt. Hier ist darauf zu achten, dass den Fragen und Auskunftsbegehren der Aktionäre ausreichend Zeit eingeräumt wird. Auch unangenehme Fragen müssen nach wie vor ausreichend beantwortet werden, um die Rechte der Aktionäre nicht einzuschränken.
Die Schwelle für eine Teilnahme von Aktionären ist jedenfalls niedriger, oder?
Auf jeden Fall. Im Gegensatz zur physischen Hauptversammlung entfällt für den einzelnen Aktionär die Anreise, und man kann sich von überall auf der Welt einwählen. Was natürlich wegfällt, insbesondere für Kleinaktionäre, ist die Möglichkeit des persönlichen Austauschs und der Vernetzung mit den Organen und anderen Aktionären. Da aber gerade bei Kleinaktionären das Interesse an Hauptversammlungen oft gering ist, kann es durch die neuen Regelungen gelingen, eine neue Generation technikaffiner Aktionäre anzusprechen und sie zur Teilnahme zu motivieren.
Aktuelles Interview 102 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
Der Gesetzesentwurf zur Flexiblen Kapitalgesellschaft
Um „für innovative Start-ups und Gründerinnen(1) in der Frühphase eine international wettbewerbsfähige Option“(2) einer Gesellschaftsform zur Verfügung stellen zu können, wurde mit dem Ministerialentwurf zum Gesellschaftsrechts-Änderungsgesetz 2023 (GesRÄG 2023) ein Bundesgesetz über die Flexible Kapitalgesellschaft oder Flexible Company (Flexible Kapitalgesellschafts-Gesetz –FlexKapGG) veröffentlicht.(3) Als Hybridform zwischen GmbH und AG soll die FlexKapG auf den Bestimmungen des GmbHG aufbauen und zusätzlich weitere Gestaltungsmöglichkeiten bieten. Auch für mittelgroße FlexKapG gemäß § 221 Abs 2 UGB besteht nach dem Entwurf eine Verpflichtung zur Bestellung eines Aufsichtsrats. Die für die GmbH geltenden Formvorschriften werden beibehalten, allerdings wird für die Anteilsübertragung und Übernahmeerklärung sowie Ausübung des Bezugsrechts bei einer Kapitalerhöhung eine alternative Formpflicht sui generis zugelassen. Unternehmenswertanteile sollen insbesondere Mitarbeiterinnen attraktive Bedingungen zur Beteiligung an der FlexKapG bieten. Das Mindeststammkapital der GmbH wird auf 10.000 € gesenkt. Damit beträgt das Mindeststammkapital der FlexKapG auch 10.000 €. Das FlexKapGG soll mit 1. 11. 2023 in Kraft treten. Nachfolgend werden die wesentlichen Bestimmungen des Entwurfs zum FlexKapGG dargestellt.
1. GRÜNDUNG EINER FLEXKAPG
Auf die Flexible Kapitalgesellschaft (FlexKapG) gelangen die Bestimmungen des GmbHG zur Anwendung, soweit im FlexKapGG nicht abweichendes geregelt ist. Die FlexKapG soll als Kapitalgesellschaft „zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck durch eine oder mehrere Personen gegründet werden“(4) können.
1.1. Gesellschaftsvertrag
Zur Gründung einer FlexKapG ist mangels besonderer Bestimmungen im FlexKapGG der Abschluss eines Gesellschaftsvertrags der Gründungsgesellschafterinnen bzw die Errichtungserklärung bei einer Einpersonengründung gemäß GmbHG notwendig. Eine vereinfachte Gründung gemäß § 9a GmbHG ist zulässig. Der Firma einer FlexCo ist als Rechtsformzusatz „Flexible Kapitalgesellschaft“, „FlexKap“,
„Flexible Company“ oder „FlexCo“ hinzuzufügen.(5)
1.2. Stammkapital
Das Stammkapital der GmbH soll durch das GesRÄG 2023 auf 10.000 € herabgesetzt werden. Durch die subsidiäre Anwendbarkeit des GmbHG auf die FlexKapG und mangels abweichender Bestimmung im FlexKapGG gilt dieses Mindeststammkapital von 10.000 € auch für die FlexKapG.
1.3. Stammeinlagen
Abweichend vom GmbHG(6) betragen Stammeinlagen von Gesellschafterinnen mindestens einen Euro und dürfen nicht unter diesen Betrag herabgesetzt werden.(7) Es ist auf jede bar zu leistende Stammeinlage mindestens ein Viertel, jedenfalls aber ein Betrag von einem Euro einzuzahlen. Ist der Betrag der zu
(1) Der Gesetzestext führt in § 27 FlexKapGG zur sprachlichen Gleichbehandlung aus: „Soweit in diesem Bundesgesetz auf natürliche Personen bezogene Bezeichnungen nur in weiblicher Form angeführt sind, beziehen sie sich auf alle Geschlechter in gleicher Weise.“ Daher hat auch der Autor die weibliche Form für auf natürliche Personen bezogene Bezeichnungen übernommen.
(2) 276/ME 27. GP Erläut 1.
(3) Ministerialentwurf betreffend Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Flexible Kapitalgesellschaft oder Flexible Company (Flexible Kapitalgesellschafts-Gesetz – FlexKapGG) erlassen wird und mit dem das GmbH-Gesetz, das Firmenbuchgesetz, das Rechtspflegergesetz, das Notariatstarifgesetz, das Rechtsanwaltstarifgesetz sowie das Wirtschaftliche Eigentümer Registergesetz geändert werden (Gesellschaftsrechts-Änderungsgesetz 2023 – GesRÄG 2023) 276/ME 27. GP.
(4) § 1 Abs 1 FlexKapGG.
(5) Die Möglichkeit des englischen Ausdrucks des Rechtsformzusatzes (bzw die Abkürzung) ist insbesondere zur Attraktivierung der FlexCo für internationale Venture-Capital-Investoren vorgesehen; siehe 276/ME 27. GP Erläut 1.
(6) §§ 6 Abs 1, 54 Abs 3, 58 GmbHG: Stammeinlagen einzelner Gesellschafterinnen müssen mindestens 70 € betragen.
(7) § 3 FlexKapGG.
Gesetzesentwurf zur Flexiblen Kapitalgesellschaft 103 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
Rainer Werdnik
Mag. Rainer Werdnik, LL.M. ist Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee.
leistenden Bareinzahlung auf die Stammeinlage weniger als ein Euro, muss dieser Barbetrag zur Gänze eingezahlt werden.(8)
1.4. Beschlussfassung
Gemäß § 34 Abs 1 GmbHG müssen im Fall der schriftlichen Beschlussfassung alle Gesellschafterinnen im einzelnen Fall der schriftlichen Abstimmung an sich zustimmen und davon entkoppelt über den Beschlussantrag abstimmen.(9) In § 7 Abs 1 des Entwurfs zum FlexKapGG wird bestimmt, dass im Gesellschaftsvertrag vorgesehen werden kann, „dass für eine Abstimmung im schriftlichen Weg das Einverständnis aller Gesellschafterinnen nicht erforderlich ist“
Alle Gesellschafterinnen müssen eine Möglichkeit zur Teilnahme an der schriftlichen Beschlussfassung haben. Es besteht kein gesetzliches Mindestteilnahmequorum. Bei der Ermittlung des Beschlussergebnisses ist allerdings entsprechend § 34 Abs 2 GmbHG die Gesamtstimmenanzahl aller Gesellschafterinnen entscheidend. Ein mit einfacher Mehrheit zu fassender Beschluss bedarf daher der Teilnahme und Zustimmung von mehr als der Hälfte der Stimmen.(10)
Zur Stimmabgabe an sich kann im Gesellschaftsvertrag vorgesehen werden, dass die Einhaltung der Textform (§ 13 Abs 2 AktG) ausreicht.(11)
Mit § 8 des Entwurfs zum FlexKapGG ist Gesellschafterinnen die ausdrückliche Möglichkeit zur uneinheitlichen Stimmabgabe eingeräumt.(12)
(8) § 5 FlexKapGG.
1.5. Pflicht zur Bestellung eines Aufsichtsrats
Die Pflicht zur Bestellung eines Aufsichtsrats für die GmbH ist in § 29 GmbHG bestimmt. Dies gilt auch bei der FlexKapG, wobei diese Bestellungspflicht um den Fall erweitert ist, dass „die Gesellschaft zumindest eine mittelgroße Kapitalgesellschaft im Sinn des § 221 Abs. 2 und 4 UGB ist“.(13)
2. GESCHÄFTSANTEILE
2.1. Form von Anteilsübertragungen
Die Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen bedarf gemäß § 76 Abs 2 GmbHG eines Notariatsakts.(14) Im Entwurf zum FlexKapGG ist nun eine Alternative zum Notariatsakt vorgesehen:(15) Rechtsgeschäfte zur Übertragung von Geschäftsanteilen an der FlexKapG können „auch in der Form abgeschlossen werden, dass eine Notarin oder eine Rechtsanwältin eine Urkunde darüber errichtet. Die Notarin oder die Rechtsanwältin hat dabei die Zulässigkeit der Anteilsübertragung zu überprüfen und beide Parteien über die Rechtsfolgen ihrer Erklärungen und mögliche weitere Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Übertragung zu belehren.“(16)
Ebenso kann die Übernahmeerklärung bei einer Kapitalerhöhung oder bei genehmigtem Kapital sowie die Ausübung des Bezugsrechts in dieser Form abgegeben werden.(17) Zur Vermeidung von Interessenkollisionen dürfen Notarinnen und Rechtsanwältinnen in Sachen, in denen sie selbst beteiligt sind, keine solche Urkunde errichten.(18)
(9) Siehe dazu Harrer in Gruber/Harrer, GmbHG (2018) § 34 Rz 51 ff; Enzinger in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG (2021) § 34 Rz 58 ff.
(10) 276/ME 27. GP Erläut 4.
(11) 276/ME 27. GP Erläut 4: „Für eine Stimmabgabe per E-Mail bedeutet das, dass neben qualifizierten elektronischen Signaturen auch andere Formen der ‚digitalen Unterschrift‘ verwendet werden können.“
(12) Bei der GmbH ist die uneinheitliche Stimmabgabe umstritten; vgl OGH 31. 8. 2018, 6 Ob 154/18t; Harrer in Gruber/Harrer, GmbHG, § 39 Rz 17 f; Gratzl in J. Reich-Rohrwig/Ginthör/Gratzl, Generalversammlung der GmbH (2021) Rz 3.86 ff; Enzinger in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG (2013) § 39 Rz 36 ff.
(13) § 6 FlexKapGG; 276/ME 27. GP Erläut 3: „Der Zeitpunkt, ab dem eine Aufsichtsratspflicht besteht, richtet sich dabei nach § 221 Abs. 4 UGB, der auch für die sonstigen Rechtsfolgen des Erreichens einer bestimmten Größenklasse maßgeblich ist.“
(14) Ebenso die Übernahmserklärung bei einer Stammkapitalerhöhung; § 52 Abs 4 GmbHG.
(15) 276/ME 27. GP Erläut 10: „[…] dass eine flexible Anteilsvergabe an Investorinnen mit minimalen digitalen Behördenwegen möglich sein soll.“
(16) § 12 Abs 1 FlexKapGG.
(17) § 12 Abs 2 FlexKapGG; das Original der Urkunde ist bei der Firmenbuchanmeldung der Kapitalerhöhung beizuschließen.
(18) § 12 Abs 4 FlexKapGG; 276/ME 27. GP Erläut 10 f: „Selbst beteiligt sind Notarinnen und Rechtsanwältinnen nicht nur dann, wenn sie in eigener Sache tätig werden, sondern etwa auch dann, wenn sie als Vollmachtnehmerin oder Vollmachtgeberin, gesetzliche Vertreterin, Treuhänderin oder Treugeberin, Kuratorin oder Testamentsvollstreckerin in der betreffenden Sache (in fremden Namen) einschreiten (vgl. zur entsprechenden Formulierung in § 33 Abs. 1 Z 1 NO Zach in Murko/Nunner-Krautgasser, Anwaltliches und notarielles Berufsrecht § 33 NO Rz 15).“
Gesetzesentwurf zur Flexiblen Kapitalgesellschaft 104 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
Es ist fraglich, ob durch diese alternative Formpflicht sui generis(19) eine Erleichterung zum Notariatsakt eintritt: Es bestehen für diese Formpflicht sui generis an den Notariatsakt angelehnte Belehrungs- und Prüfungspflichten, eine Überprüfungspflicht der Identität und die selbstverständliche Pflicht zur Einhaltung der Geldwäschepräventionsbestimmungen.(20)
In § 69b NO ist klar geregelt, unter welchen Voraussetzungen ein Notariatsakt elektronisch errichtet werden kann.(21) Ob und unter welchen Bedingungen die Errichtung der Urkunde gemäß § 12 FlexKapGG elektronisch möglich ist, ist nicht geregelt. Offen ist auch, ob die einschreitenden Notarinnen oder Rechtsanwältinnen gemäß § 12 FlexKapGG in Österreich bestellt bzw zugelassen sein müssen oder nicht.(22)
2.2.
Vom gemäß § 75 Abs 2 GmbHG bestehenden Grundsatz der Einheitlichkeit des Geschäftsanteils(23) kann bei entsprechender Regelung im Gesellschaftsvertrag bei der FlexKapG abgegangen werden. Die Geschäftsanteile können in Stammeinlagenteile von jeweils zumindest einem Euro Nennbetrag gestückelt werden (Stückanteile).(24)
2.3.
Gemäß § 79 Abs 1 GmbHG ist die Teilung von Geschäftsanteilen nur bei entsprechender Regelung im Gesellschaftsvertrag zulässig.(25) Für die FlexKapG gilt, dass eine Teilung zulässig ist, sofern diese im Gesellschaftsvertrag nicht ausgeschlossen ist.(26) Allerdings ist zu beachten, dass Stückanteile nicht geteilt werden können.(27)
(19) 276/ME 27. GP Erläut 10.
2.4. Erwerb eigener Geschäftsanteile
In Anlehnung an §§ 65 ff AktG wird der Erwerb eigener Geschäftsanteile bei der FlexKapG für ausdrücklich im Gesetz genannte Erwerbsfälle zugelassen. Ausdrücklich festgehalten wird, dass der Anteil der FlexKapG an eigenen Geschäftsanteilen ein Drittel des Stammkapitals nicht übersteigen darf.
Die aktienrechtlichen Bestimmungen zu Veräußerung und Einziehung eigener Aktien (§ 65a AktG), Inpfandnahme eigener Aktien (§ 65b AktG) und Erwerb eigener Aktien durch Dritte (§ 66 AktG) werden – mit Ausnahme von § 65b Abs 1 Satz 2 AktG – für die FlexKapG entsprechend in den §§ 16 bis 18 FlexKapGG übernommen.(28)
3. UNTERNEHMENSWERTANTEILE
3.1. Unternehmenswertanteile zur Beteiligung
Zur Beteiligung von Mitarbeiterinnen und anderen Dritten am wirtschaftlichen Erfolg der FlexKapG werden gesetzlich bestimmte Unternehmenswertanteile vorgesehen. Eine Schaffung von unterschiedlichen Geschäftsanteilsklassen im Gesellschaftsvertrag ist daneben zulässig; ein gänzlicher Ausschluss des Stimmrechts ist bei diesen Geschäftsanteilsklassen nicht möglich.(29)
Damit Unternehmenswertanteile ausgegeben werden können, muss dies im Gesellschaftsvertrag vorgesehen werden. Im Hinblick auf die Beurteilung einer Beteiligung von 25 % als wirtschaftliches Eigentum, können Unternehmenswertanteile nur bis zu unter 25 % des Stammkapitals ausgegeben werden.(30)
Unternehmenswertanteile sind Geschäftsanteilen gleichgestellt, soweit nicht abweichendes bestimmt wird. Unternehmenswertanteile sind
(20) 276/ME 27. GP Erläut 10: „Diese Formpflicht, die insbesondere eine verlässliche Identifizierung und umfassende Belehrung der Parteien sowie eine Überprüfung der rechtlichen Zulässigkeit der Vorgänge gewährleistet, wird –obwohl auch diese Notariatsakte mittlerweile unter Nutzung einer elektronischen Kommunikationsmöglichkeit und damit ohne persönliches Anwesenheitserfordernis errichtet werden können (vgl. § 69b NO) – vor allem von ausländischen Investorinnen teilweise als hinderlich empfunden.“
(21) Siehe dazu zB Zach in Murko/Nummer-Krautgasser, Anwaltliches und notarielles Berufsrecht (2022) § 69b NO Rz 1 ff.
(22) Siehe zur Frage der Errichtung des Notariatsakts außerhalb von Österreich im Zusammenhang mit der Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen Schopper in Gruber/Harrer, GmbHG, § 76 Rz 49; Rauter in Straube/ Ratka/Rauter, WK GmbHG (2019) § 76 Rz 182.
(23) Siehe zB Schopper in Gruber/Harrer, GmbHG, § 75 Rz 10.
(24) § 13 FlexKapGG.
(25) Siehe zB Schopper in Gruber/Harrer, GmbHG, § 79 Rz 5 f.
(26) § 14 FlexKapGG.
(27) § 13 letzter Satz FlexKapGG.
(28) 276/ME 27. GP Erläut 12.
(29) § 9 Abs 1 FlexKapGG; 276/ME 27. GP Erläut 4.
(30) § 9 Abs 1 FlexKapGG; 276/ME 27. GP Erläut 4 f – samt Berechnungsbeispiel.
Gesetzesentwurf zur Flexiblen Kapitalgesellschaft 105 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
Stückanteile
Teilbarkeit
daher auch Teile des Stammkapitals.(31) Eine Umwandlung von Unternehmenswertanteilen in Geschäftsanteile ist durch Kapitalherabsetzung und entsprechender Kapitalerhöhung unter Einhaltung der Formvorschriften möglich.(32)
Die Stammeinlage von Unternehmenswertbeteiligten und der geringste Nennbetrag bei Stückanteilen müssen mindestens einen Cent betragen, der sofort in voller Höhe zu leisten ist. Eine Ausfallhaftung oder (im Gesellschaftsvertrag vorgesehene) Nachschusspflicht für Unternehmenswertbeteiligte ist ausgeschlossen. Ist im Gesellschaftsvertrag keine abweichende Regelung vorgesehen, kommt Unternehmenswertbeteiligten kein Bezugsrecht zur Übernahme von Stammeinlagen zu.
Unternehmenswertanteile gewähren einen Anspruch auf einen anteilsmäßigen Bilanzgewinn und am Liquidationserlös. Eine abweichende Regelung im Gesellschaftsvertrag ist nur zulässig, soweit eine entsprechende Gleichbehandlung mit den Gründungsgesellschafterinnen vorgesehen ist.
Grundsätzlich stehen Unternehmenswertbeteiligten keine Stimmrechte und kein Recht auf Anfechtung oder Nichtigerklärung von Gesellschafterinnenbeschlüssen zu. Ausgenommen davon sind die Fälle gemäß § 9 Abs 5 FlexKapGG, „in denen es um einen unmittelbaren Eingriff in die ihnen gesellschaftsvertraglich zugesicherte Rechtsposition geht“,(33) wie zB Änderung der Rechte der Unternehmenswertbeteiligten oder Umwandlung von Unternehmenswertanteilen in Geschäftsanteile. Im Gesellschaftsvertrag können auch weitere Fälle vorgesehen werden, in denen eine Zustimmung der Unternehmenswertbeteiligten erforderlich ist. Eine Zustimmung der Unternehmenswertbeteiligten ist nicht erforderlich, wenn im Gesellschaftsvertrag eine Gleichbehandlung mit den Gründungsgesellschafterinnen vorgesehen ist und darüber hinaus bei Einräumung der Unternehmenswertanteile vorbehalten wurde, später ausgegebenen Geschäftsanteilen oder
(31) 276/ME 27. GP Erläut 5.
(32) § 9 Abs 9 FlexKapGG.
(33) 276/ME 27. GP Erläut 6.
(34) § 9 Abs 5 FlexKapGG.
Unternehmenswertanteilen eine vorrangige Rechtsposition einzuräumen.(34)
Unternehmenswertbeteiligte sind zur Teilnahme an der Generalversammlung berechtigt. Die Einladung dazu, die Information über die Durchführung von schriftlichen Abstimmungen und die Übersendung von gefassten Beschlüssen muss nicht per eingeschriebenem Brief erfolgen.(35) Unternehmenswertbeteiligte haben ausschließlich die Informations- und Einsichtsrechte nach § 22 Abs 2 und 3 GmbHG.(36)
Als gänzliche Ausnahme von den Formerfordernissen für Geschäftsanteile ist für die Übernahme (bei Gründung und im Rahmen einer Kapitalerhöhung) und Übertragung von Unternehmenswertanteilen die Schriftform ausreichend. Unternehmenswertbeteiligte sind nicht individuell im Firmenbuch einzutragen. Es ist alleine der Umstand der Ausgabe von Unternehmenswertanteilen samt darauf entfallender Stammeinlage im Firmenbuch einzutragen.(37)
Die Geschäftsführerinnen der FlexKapG haben über die Unternehmenswertanteile ein Anteilsbuch, für das die Bestimmungen über das Aktienbuch einer AG gelten, mit einer Namensliste und einer Anteilsliste zu führen. Die Namensliste und die Anteilsliste, die von den Geschäftsführerinnen zu unterzeichnen sind, sind bei der erstmaligen Ausgabe von Unternehmenswertanteilen und danach jeweils spätestens neun Monate nach dem Bilanzstichtag beim Firmenbuch einzureichen.(38) Die beiden Listen müssen sich auf einen Stichtag beziehen, der am Tag der Firmenbucheinreichung höchstens einen Monat zurückliegt.(39)
Werden Unternehmenswertanteile ausgegeben, sind im Gesellschaftsvertrag Regelungen aufzunehmen, dass die Unternehmenswertbeteiligten ihre Anteile mitverkaufen dürfen, wenn die Gründungsgesellschafterinnen ihre Geschäftsanteile mehrheitlich – unabhängig davon, ob die Kapitalmehrheit der Gründungsgesellschafterinnen zum Veräußerungszeitpunkt noch besteht oder nicht – veräußern. Dabei lösen auch sukzessive Verkäufe nach Erreichen
(35) 276/ME 27. GP Erläut 6: Zusendung per E-Mail ausreichend.
(36) 276/ME 27. GP Erläut 6: „[…] nicht jedoch über den in ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bejahten umfassenden Informationsanspruch von GmbH-Gesellschafterinnen (vgl. näher dazu RIS-Justiz RS0060098) verfügen.“
(37) § 9 Abs 6 FlexKapGG.
(38) 276/ME 27. GP Erläut 8: „Die Einreichung von zwei separaten Listen ist deshalb erforderlich, weil kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nur die Namensliste in die öffentlich zugängliche Urkundensammlung aufgenommen werden soll (vgl. näher dazu § 12 Abs. 1 FBG). Die Anteilsliste mit sämtlichen Angaben wird demgegenüber nur zum betreffenden Firmenbuchakt genommen.“
(39) § 9 Abs 7 FlexKapGG.
Gesetzesentwurf zur Flexiblen Kapitalgesellschaft 106 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
der entsprechenden Schwelle das Mitverkaufsrecht aus. Bei sukzessiven Verkäufen sind nach dem jeweiligen Verkaufsvolumina gewichtete Durchschnittspreise anzuwenden.(40) Verkäufe zwischen Gründungsgesellschafterinnen sind nicht relevant. Es können auch andere Fälle im Gesellschaftsvertrag vorgesehen werden, für die ein Mitverkaufsrecht der Unternehmenswertbeteiligten besteht.(41) Gründungsgesellschafterinnen sind durch den Gesellschaftsvertrag festzulegen. Dabei muss es sich um eine oder mehrere Gesellschafterinnen handeln, die zum Zeitpunkt der Einräumung der Unternehmenswertanteile über eine Mehrheit des Stammkapitals der Gesellschaft verfügen. Die Gründungsgesellschafterinnen haben dafür zu sorgen und zu garantieren (§ 880a Fall 2 ABGB), dass die Erwerber auch die Unternehmenswertanteile zu gleichen Konditionen übernehmen.(42) Unternehmenswertbeteiligte müssen Zugang zu den Unterlagen erhalten, aus denen sich der vereinbarte Kaufpreis und die sonstigen Konditionen ergeben. Dies gilt auch für vorangegangene Verkaufsunterlagen bei sukzessiven Verkäufen.
3.2. Besondere Bestimmungen für Mitarbeiterinnen
Für Mitarbeiterinnen(43) von FlexKapG gelten die Sonderbestimmungen, dass diese zwei Wochen vor Zeichnung oder Übernahme der Unternehmenswertanteile über die Natur der Unternehmenswertanteile und die wesentlichen Punkte des Gesellschaftsvertrags in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zu belehren sind.(44) Es ist den Mitarbeiterinnen eine nachvollziehbar gestaltete Information auszuhändigen.
Im Gesellschaftsvertrag ist verpflichtend aufzunehmen, an wen und zu welchen Konditionen Mitarbeiterinnen ihre Unternehmenswertbeteiligung im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses veräußern können.(45) Die zum Erwerb verpflichtete(n) Person(en) ist/ sind zu bestimmen, zB die Gesellschaft selbst oder maßgebliche Gesellschafterinnen, ebenso die Ermittlung des Kaufpreises.(46)
(40) Siehe zu Beispielen 276/ME 27. GP Erläut 9.
(41) § 10 Abs 1 FlexKapGG.
(42) § 10 Abs 2 FlexKapGG.
4. KAPITALERHÖHUNG UND KAPITALHERABSETZUNG
4.1. Bedingte Kapitalerhöhung
In Anlehnung an die §§ 159 ff AktG wird für die FlexKapG die Möglichkeit eines genehmigten bedingten Kapitals zur Bedienung von Optionsprogrammen eröffnet.(47) Eine bedingte Erhöhung des Stammkapitals kann bereits der Gründungsgesellschaftsvertrag enthalten. Die Zwecke, für die die Kapitalerhöhung beschlossen werden kann, entsprechen sinngemäß § 159 Abs 2 AktG.
„Zu einer bedingten Kapitalerhöhung für die Einräumung von Anteilsoptionen an Arbeitnehmerinnen, leitende Angestellte und Mitglieder der Geschäftsführung können die Gesellschafterinnen die Geschäftsführung bis zu einem bestimmten Nennbetrag im Gesellschaftsvertrag auch ermächtigen. Diese Ermächtigung kann für höchstens fünf Jahre erteilt werden.“(48) Die Entscheidung der Geschäftsführung bedarf die Zustimmung eines allenfalls vorhandenen Aufsichtsrats.
§ 20 Abs 1 FlexKapGG bestimmt, dass die Ausübung des Bezugsrechts in der Form eines Notariatsakts zu erfolgen hat. Im Hinblick auf § 12 Abs 2 FlexKapGG besteht auch die Möglichkeit der alternativen Formpflicht sui generis für die Übernahmeerklärung. Erfolgt die Übernahme weiterer Anteile im Rahmen eines Stufenplans – wenn in der ersten Übernahmeerklärung die Übernahme weiterer Anteile erklärt wurde –, ist kein weiterer Notariatsakt notwendig.(49)
Im Gesellschaftsvertrag kann die Geschäftsführung für die Dauer von höchstens fünf Jahren nach Gesellschaftseintragung ermächtigt werden, das Stammkapital durch Ausgabe neuer Geschäftsanteile gegen Einlage bis zu einem bestimmten Nennbetrag zu erhöhen (genehmigtes Kapital).(50) Begrenzt ist der Nennbetrag mit der Hälfte des im Zeitpunkt der Ermächtigung vorhandenen Stammkapitals. Eine Sacheinlage als Gegenleistung muss ausdrücklich in der Ermächtigung vorgesehen sein.
Sonstige Finanzierungsformen mit Einräumung eines Umtausch- oder Bezugsrechts auf
(43) 276/ME 27. GP Erläut 9: weite Auslegung; umfasst Arbeiterinnen, Angestellte und freie Dienstnehmerinnen.
(44) Siehe zu Inhalt und Umfang der Belehrung 276/ME 27. GP Erläut 9.
(45) § 11 Abs 2 FlexKapGG.
(46) 276/ME 27. GP Erläut 10.
(47) 276/ME 27. GP Erläut 12.
(48) § 19 Abs 2 letzter Absatz FlexKapGG.
(49) 276/ME 27. GP Erläut 13.
(50) § 21 Abs 1 FlexKapGG.
Gesetzesentwurf zur Flexiblen Kapitalgesellschaft 107 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
Geschäftsanteile sind gesetzlich zulässig. Die Gesellschafter müssen der Ausgabe solcher Finanzierungsinstrumente mit einer Mehrheit von drei Viertel der Stimmen zustimmen.(51) Weitere Erfordernisse können im Gesellschaftsvertrag vorgesehen werden. Eine Ermächtigung zur Ausgabe solcher Finanzierungsinstrumente kann höchstens für fünf Jahre erteilt werden.(52)
4.2. Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Geschäftsanteilen
Geschäftsanteile können nach Erwerb durch die Gesellschaft oder zwangsweise eingezogen werden. Die Zwangseinziehung setzt voraus, dass dies im Gesellschaftsvertrag vor Übernahme des Geschäftsanteils angeordnet oder gestattet war. Ein Beschluss der Gesellschafterversammlung ist im Fall der im Gesellschaftsvertrag angeordneten Zwangseinziehung nicht notwendig; die Geschäftsführung entscheidet über die Einziehung.(53)
Durch die Zwangseinziehung „wird die rechtstechnische Grundlage für gesellschaftsvertragliche Austritts- und Ausschlussrechte geschaffen […], die nach derzeitiger Praxis über Anteilsübertragungen auf Gesellschafterinnenebene abgebildet werden. Die Zulässigkeit von gesellschaftsvertraglichen Ausschlussrechten wird sich an den von Lehre und Rechtsprechung zu § 140 UGB entwickelten Kriterien zu orientieren haben.“(54)
5. UMWANDLUNG EINER FLEXKAPG
Sowohl für die Umwandlung einer GmbH in eine FlexKapG als auch einer FlexKapG in eine GmbH gelten die Bestimmungen des GmbHG über die Änderung des Gesellschaftsvertrags. Die Bestimmungen gemäß § 99 GmbHG zu besonderen Zustimmungserfordernissen bei Verschmelzungen sind sinngemäß anzuwenden.(55) Maßnahmen zum Schutz der Gläubigerinnen oder ein Barabfindungsanspruch für mit der Umwandlung nicht einverstandener Gesellschafterinnen sind nicht notwendig.(56)
Für die Umwandlung einer AG in eine FlexKapG und umgekehrt gelten die §§ 239 bis 244
(Umwandlung einer AG in eine GmbH) bzw 245 bis 253 AktG (Umwandlung einer GmbH in eine AG) sinngemäß.
6. EXURS: ÄNDERUNGEN IM GMBHG
Das Mindeststammkapital der GmbH wird auf 10.000 € herabgesetzt, wobei mindestens 5.000 € einzuzahlen sind. Die Errichtung einer GmbH mit Gründungsprivilegierung gemäß § 10b GmbHG ist nach Inkrafttreten des GesRÄG 2023 nicht mehr möglich.
Für bestehende gründungsprivilegierte Gesellschaften gilt § 10b GmbHG unverändert fort. Eine Beendigung der Gründungsprivilegierung durch Zeitablauf ist ausgeschlossen. Allerdings werden ab 1. 11. 2024 Änderungen des Gesellschaftsvertrags nur dann im Firmenbuch eingetragen, wenn die Änderung des Gesellschaftsvertrags auch eine Beendigung der Gründungsprivilegierung umfasst.(57) Ein Gläubigeraufruf ist bei der Beendigung der Gründungsprivilegierung nicht notwendig, wenn die im geänderten Gesellschaftsvertrag übernommenen Stammeinlagen zumindest gleich hoch sind wie ihre bisherigen gründungsprivilegierten Stammeinlagen.
7. AUSBLICK
Die neue Kapitalgesellschaft FlexKapG bietet rechtliche Möglichkeiten, die für Start-ups interessant sein können. Offen ist natürlich, ob und welche Änderungen im Entwurf noch vorgenommen werden. Erleichterte Beteiligungen von Dritten und Mitarbeiterinnen am Unternehmenserfolg der FlexKapG sind hervorzuheben. Ob die vorgeschlagene alternative Formpflicht sui generis zum Notariatsakt für die Geschäftsanteilsübertragung bei FlexKapG in der Praxis eine Erleichterung ist, wird sich zeigen. Aus dem vorliegenden Gesetzesentwurf ist ersichtlich, dass bestimmte rechtliche Möglichkeiten entsprechende Regelungen im Gesellschaftsvertrag voraussetzen. Dazu werden Gründerinnen schon im Vorfeld der Gründung Überlegungen anstellen und in den Gesellschaftsvertrag einfließen lassen müssen.
(51) 276/ME 27. GP Erläut 14: „Dabei handelt es sich wie im AktG nur um eine interne Zustimmungspflicht und keine Wirksamkeitsvoraussetzung.“
(52) § 22 FlexKapGG.
(53) § 23 FlexKapGG.
(54) 276/ME 27. GP Erläut 14.
(55) § 25 Abs 2 FlexKapGG.
(56) 276/ME 27. GP Erläut 14.
(57) 276/ME 27. GP Erläut 16: „Bei dieser Abänderung des Gesellschaftsvertrags wird es häufig zu einer Veränderung bei den von den einzelnen Gesellschaftern übernommenen Stammeinlagen und damit auch zu einer Änderung des Stammkapitals der Gesellschaft kommen, wobei innerhalb der gesetzlichen Schranken (vgl. insbesondere die §§ 6 und 10 GmbHG) unterschiedlichste Gestaltungsvarianten denkbar sind. Die einfachste Möglichkeit besteht freilich darin, die neuen Stammeinlagen mit dem Betrag der bisherigen gründungsprivilegierten Stammeinlagen festzulegen.“
Gesetzesentwurf zur Flexiblen Kapitalgesellschaft 108 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
Go Green – Nachhaltigkeitsberichterstattung im Zuge der CSRD
Mit den neuen Vorgaben der EU betreffend Offenlegung zu Themen wie Klima- und Umweltschutz, Menschenrechte und nachhaltige Unternehmensführung, umgesetzt durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD),(1) ziehen neue Maßstäbe in die Nachhaltigkeitsberichterstattung der globalen Unternehmungen ein. Ein ambitionierter Zeitplan, der nachvollziehbarerweise auf laute Kritik stößt. Mehr Zeit wäre gewünscht … wenn wir sie bloß hätten.
Die nichtfinanzielle Berichterstattung (§ 243b UGB) oder neuerlich die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist nicht nur ein Thema, das für Führungskräfte großer Unternehmen zunehmend an Bedeutung gewinnt. Auch für Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsräte rückte dieser Themenbereich in den vergangenen Jahren nach und nach immer mehr in den Fokus. Das Schlagwort Nachhaltigkeit spiegelt den Trend unserer heutigen Zeit wider. Hinsichtlich des Umwelt- und Klimaschutzes, von Sozial- und Arbeitnehmerbelangen sowie der Wahrung von Menschenrechten wird nicht nur vonseiten des Gesetzgebers mehr Transparenz verlangt, auch die breite Öffentlichkeit und die Erwartungen der Kapitalmärkte priorisieren die Nachhaltigkeitsleistungen der Unternehmungen fortschreitend. Folglich werden die Nachhaltigkeitsaspekte immer mehr zu einem wesentlichen Eckpfeiler, wenn es um die Beurteilung der Zukunftslage eines Unternehmens geht. Durch die Publizität der nichtfinanziellen Berichterstattung sollen die Auswirkungen des Handels der Unternehmen sichtbar, messbar, vergleichbar und kontrollierbar gemacht werden. Durch die Ende 2022 veröffentlichte CSRD wurden dafür neue Wegweiser geschaffen.
2. ENTWICKLUNG DER RECHTSGRUNDLAGEN
Ein gesellschaftliches und politisches Umdenken zeigt sich ua in der Entwicklung der Sustainable Development Goals (SDG), wobei
die UN-Mitgliedstaaten im Jahr 2015 betreffend soziale, ökologische und ökonomische Belange bestimmte Ziele festgelegt haben, die bis 2030 umgesetzt und erreicht werden sollen. Auch die Europäische Kommission trägt mit dem im Dezember 2019 verabschiedeten „European Green Deal“ einen großen Anteil am Nachhaltigkeitstrend durch die Vorgabe, Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 praktisch auf null zu reduzieren.(2)
Diese Bewegung zeigt sich auch in den Vorgaben zur Berichterstattung. Während die angesprochenen nichtfinanziellen Themenbereiche anfangs eher im Hintergrund standen, wurde durch diverse Stakeholder-Gruppen der Druck von außen immer höher, weshalb sich eine Tendenz hin in Richtung freiwilliger Offenlegung entwickelt hat. Die EU wagte dabei den ersten Schritt und schuf durch die NFI-Richtlinie (Non-Financial Reporting Directive)(3) einen verbindlichen Rahmen für die nichtfinanzielle Berichterstattung zur Anwendung ab dem Geschäftsjahr 2017, wenngleich der große Gestaltungsspielraum der Richtlinie und somit die fehlende Vergleichbarkeit und Aussagekraft in den ersten Jahren starker Kritik unterlagen. Erschwerend hinzu kam, dass die unzureichende Umsetzung in nationales Recht (§ 243b UGB) durch das Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbesserungsgesetz (NaDiVeG) die Rechtssicherheit noch weiter belastete.(4)
Durch den in den letzten zwei Jahren immer stärken Ruf nach einem weltweiten Wandel wurde auch bei der Berichterstattungspflicht laufend nachgelegt und im Juni 2022 eine Einigung hinsichtlich der finalen Fassung der CSRD
(1) Richtlinie (EU) 2022/2464 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. 12. 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) 537/2014 und der Richtlinien 2004/109/EG, 2006/43/EG und 2013/34/EU hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, ABl L 322 vom 16. 12. 2022, S 15.
(2) Vgl Hummel/Mittelbach-Hörmanseder, Worte nichtfinanzieller Berichterstattung in Österreich – ein Überblick über die letzten 15 Jahre, in Mittelbach-Jörmanseder/Schiebel (Hrsg), Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung, Festschrift für Romuald Bertl (2021) 795 (795 f).
(3) Richtlinie 2014/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 10. 2014 zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen, ABl L 330 vom 15. 11. 2014, S 1.
(4) Vgl Baumüller/Tanzer, Vorschläge für eine wirksam(er)e nichtfinanzielle Berichterstattung, CFOaktuell 2021, 173.
Nachhaltigkeitsberichterstattung im Zuge der CSRD 109 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
1. GRUNDLEGENDES(1)
Melissa Gallob
Melissa Gallob, MSc. ist Berufsanwärterin bei der Alpen-Adria Steuerberatung GmbH in Klagenfurt.
erzielt, durch die die NFI-Richtlinie ersetzt werden soll. Die Ausgestaltung lässt aufgrund weniger Wahlrechte für die Umsetzung in nationales Recht auch deutlich weniger Gestaltungsspielraum zu, was die Messlatte hinsichtlich der Anforderungen an die Berichterstattung deutlich anheben wird.(5) Die CSRD trat schließlich mit 5. 1. 2023 in Kraft. Die Mitgliedstaaten haben 18 Monate Zeit, die neuen Vorgaben in nationales Recht umzusetzen (also bis zum 6. 7. 2024).(6) Ziel ist es, mit dieser Neugestaltung einerseits den Anwendungskreis der berichtspflichtigen Unternehmen zu erhöhen und andererseits die Qualität der offenzulegenden Daten und Informationen durch eine höhere Bestimmtheit der Vorgaben zu verbessern. Darüber hinaus soll auch die Verfügbarkeit durch eine digitale Dokumentation vereinfacht werden.
Zeitgleich entwickelte die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) zwölf Berichtsstandards (ESRS – EU Sustainability Reporting Standards), die am 23. 11. 2022 veröffentlicht wurden und in die ESG-Bereiche (Environment, Social, Governance) untergliedert sind. Diese sollen die Grundlage der zukünftigen Berichtspflicht bilden.(7) Eine finale Verabschiedung des ersten Teils seitens der Europäischen Kommission ist für Juni 2023 angedacht. Ab diesem Zeitpunkt gilt die Anwendung dieser Standards als verbindlich. Diverse sektorspezifische und ergänzende Standards für kapitalmarktorientierte kleine und mittelgroße Unternehmen sollen bis Juni 2024 veröffentlich werden.(8)
3. BERICHTSPFLICHTIGE UNTERNEHMEN
Während die nichtfinanzielle Berichterstattung auf Grundlage der NFI-Richtlinie – umgesetzt mit § 243b UGB – nur einen kleinen Kreis an Unternehmen (große Kapitalgesellschaften von öffentlichem Interesse mit durchschnittlich 500 Beschäftigten) zur Offenlegung verpflichtete (in Österreich rund 90 Unternehmen(9)), müssen sich nun durch die neuen Vorgaben der EU deutlich mehr Unternehmen mit den soge-
nannten ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung) auseinandersetzen.(10) Der Anwendungsbereich soll in Zukunft sämtliche große Unternehmen sowie kapitalmarktorientierte KMU (mit Ausnahme der Kleinstunternehmen) miteinschließen. Für den Zeitpunkt der Erstanwendung wurde eine Staffelregelung eingeführt:(11)
y Für Geschäftsjahre, die nach dem 1. 1. 2024 beginnen, haben bereits alle Unternehmen nach den neuen Vorgaben Bericht zu erstatten, die auch schon gemäß der NFI-Richtlinie berichtspflichtig sind.
y Ab 1. 1. 2025 treten alle großen Unternehmen gemäß § 221 UGB unabhängig einer allfälligen Kapitalmarktorientierung hinzu.
y Mit 1. 1. 2026 trifft die Berichtpflicht alle börsenotierten kleinen und mittelgroßen Unternehmen (mit einer Opt-out-Option bis 1. 1. 2018), alle kleinen und nicht komplexen Kreditinstitute sowie firmeneigene Versicherungsunternehmen.
y In der letzten Stufe werden zum 1. 1. 2028 auch noch sämtliche Nicht-EU-Unternehmen eingeschlossen, die eine Niederlassung oder ein Tochterunternehmer innerhalb der EU mit einem Nettoumsatz von mindestens 150 Mio € besitzen.
Neben diesem Kreis der direkten Berichtspflichtigen wird der Anwendungsbereich auch auf Unternehmen ausgeweitet, die der CSRD nur mittelbar unterliegen. Dabei handelt es sich um Unternehmen, die sich innerhalb der Wertschöpfungskette eines CSRD-berichtspflichtigen Unternehmens befinden. Die pflichtigen Unternehmen haben dabei entsprechende Daten der Partnerunternehmen einzuholen und abzubilden, was wesentlich für den Fortbestand der Geschäftsbeziehung sein kann.(12) Sind Tochterunternehmen in den Konzernabschluss des Mutterunternehmens einbezogen und erstellt die Mutter bereits einen derartigen Bericht, so können die Tochterunternehmen von der Befreiung Gebrauch machen und von einer eigenen Berichterstellung Abstand nehmen. Eingeschränkt wird diese Erleichterung
(5) Vgl Baumüller/Haring/Merl, Die Endfassung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD): Überblick und Anwendungsbereich), NR 2022, 509 (509 f).
(6) Vgl Sternisko/Rosanowski, Die europäische Nachhaltigkeitsberichterstattung nimmt Form an: Einblick in den aktuellen Stand der sektoragnostischen European Sustainability Reporting Standards (ESRS), RWZ_digitalOnly 2023.
(7) Vgl EFRAG, EFRAG delivers the first set of draft ESRS to the European Commission (23. 11. 2022) abrufbar unter https://www.efrag.org/Assets/Download?assetUrl=/sites/webpublishing/SiteAssets/EFRAG+Press+release +First+Set+of+draft+ESRS.pdf (Zugriff am 5. 4. 2023).
(8) Vgl Pasch/Stawinoga, Die Konsultationsentwürfe der Nachhaltigkeitsberichterstattung (E-ESRS) der EFRAG, IZR 2023, 63 (64).
(9) Vgl Lanfermann/Baumüller, Der Anwendungsbereich der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD): Detailregelungen und Zweifelsfragen, IRZ 2023, 89 (90).
(10) Vgl Torggler, Es grünt so grün – von CSR zur ESG, RdW 2022, 299.
(11) Vgl Sternisko/Rosanowski, RWZ_digitalOnly 2023.
(12) Vgl Baumüller/Wala, Die Endfassung der Corporate Sustainability Reporting Directive, GRCaktuell 2022, 87.
Nachhaltigkeitsberichterstattung im Zuge der CSRD 110 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
dadurch, dass dies für große Tochterunternehmen nicht möglich ist bzw auf bestimmte Tochterunternehmen im Bericht der Mutter gesondert im Konzernlagebericht einzugehen ist, wenn zwischen den Risiken und Auswirkungen der Tochtergesellschaft im Vergleich zum restlichen Konzern erhebliche Unterschiede gegeben sind.(13)
Der persönliche Anwendungsbereich wird dadurch erheblich ausgeweitet. Auf Unionsebene wird mit einem Anstieg um rund das Vierfache (ca 49.000 Unternehmen) hinsichtlich der Zahl der berichtspflichtigen Unternehmen gerechnet.(14)
y Beschreibung, welche Rolle dabei die Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane einnehmen und durch welche fachliche Qualifikationen sie dazu befähigt werden;
y Beschreibung der Unternehmenspolitik;
y Angaben über allfällige Anreizsysteme für Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane, die seitens der Nachhaltigkeit begrüßenswert wären;
y Beschreibung eines durchgeführten DueDiligence-Prozesses mit Blick auf Nachhaltigkeitsaspekte sowie Darlegung der wichtigsten tatsächlichen oder negativen Auswirkungen und wie diese verhindert oder zumindest gemindert werden sollen;
Begrifflich wird mit dieser Umstellung nicht mehr von den nichtfinanziellen Informationen, sondern von Nachhaltigkeitsinformationen gesprochen, weil die Bereiche Umwelt, Soziales und Menschenrechte sowie Governance entgegen der ehemaligen Definition sehr wohl einen hohen Einfluss auf die finanzielle Lage eines Unternehmens haben können.(15)
Die Grundidee baut auf einer doppelten Wesentlichkeit auf, was bedeutet, dass einerseits die Risiken für das Unternehmen (Outside-in) und andererseits die Auswirkungen der unternehmerischen Tätigkeit auf die angesprochenen ESG-Ziele (Inside-out) offengelegt werden sollen.(16) Niedergeschlagen hat sich dies vor allem in der grundlegenden Überarbeitung von Art 19a Bilanz-Richtlinie(17) durch die CSRD. In Abs 2 leg cit werden dabei folgende Kernthemen angesprochen, die bei der Berichterstattung zu berücksichtigen sind:(18)
y Beschreibung des Geschäftsmodells, der Strategie und deren Umsetzung bezogen auf Chancen und Risiken im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsaspekten;
y Beschreibung der gesetzten Nachhaltigkeitsziele vor allem im Hinblick auf die vorgegebenen Meilensteine bis 2030/2050;
y Beschreibung der wichtigsten Risiken, denen ein Unternehmen im Zusammenhang mit den Nachhaltigkeitsaspekten unterliegt;
y Erläuterung der wichtigsten Indikatoren, die zur Offenlegung der oben genannten Punkte geführt haben.
Die Ende 2022 veröffentlichten Entwürfe zu den zwölf Berichtsstandards (ESRS) sollen dabei die Basis für die Umsetzung der oben genannten Punkte bilden. Zusammenfassend bestehen die ESRS aus zwei allgemeinen Standards (ESRS 1 und 2, Cross-Cutting-Standards), fünf Standards betreffend Umweltbereiche (ESRS E1 bis E5, Enviroment), vier Standards zu Sozialthemen (ESRS S1 bis S4, Social) und einem Standard hinsichtlich Unternehmensführung (ESRS G1, Governance). Inhaltlich beziehen die Standards sämtliche Stellungnahmen und Rückmeldungen ein, die sich nach der Veröffentlichung der Exposure Drafts im April 2022 ergeben haben.(19)
In den ersten beiden übergreifenden Standards ESRS 1 und 2 werden die wesentlichen Konzepte und Grundsätze der Nachhaltigkeitsberichterstattung erläutert und wird auf die übergreifenden Abgabenpflichten eingegangen.(20) Besonders hervorzuheben ist dabei der Grundsatz der doppelten Wesentlichkeit, der neben den Auswirkungen der Nachhaltigkeits-
(13) Vgl Baumüller/Haring/Merl, Die Endfassung der CSRD – Was lange währt, wird endlich gut? CFOaktuell 2022, 126.
(14) Vgl Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2013/34/EU, 2004/109/EG und 2006/43/EG und der Verordnung (EU) 537/2014 hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen vom 21. 4. 2021, KOM(2021) 189 endg.
(15) Vgl Needham/Warnke/Müller, Grünes Licht für die Corporate Sustainability Reporting Directiv (CSRD): Ein Überblick über die finalisierten Regelungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, IRZ 2023, 41 (43).
(16) Vgl Fuhrmann/Winkelbauer, CSRD – Ausweitung der Nachhaltigkeitsberichtspflichten, immo aktuell 2022, 124 (125).
(17) Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 6. 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABl L 182 vom 29. 6. 2013, S 19.
(18) Vgl Needham/Warnke/Müller, IRZ 2023, 41 (43).
(19) Vgl Hrinkow/Roider/Strakova, EFRAG veröffentlicht endgültige European Sustainability Reporting Standards (ESRS), Lexis Rechtsnews 33488 vom 3. 1. 2023.
(20) Vgl Sternisko/Rosanowski, RWZ_digitalOnly 2023.
Nachhaltigkeitsberichterstattung
Zuge
CSRD 111 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
im
der
4. INHALTLICHE VORGABEN
aspekte auf die finanzielle Lage des Unternehmens („financial materiality“) auch Informationen über die Auswirkungen der Tätigkeit des Unternehmens auf die Menschen und die Umwelt („impact materiality“) verlangt.(21) Durch ESRS 1 soll zudem sichergestellt werden, dass auch jene Aspekte offengelegt werden, die zwar nicht explizit von den einzelnen Standards abgedeckt werden, jedoch trotzdem fundamentale Auswirkungen auf die ESG-Ziele haben könnten bzw entsprechende Chancen oder Risiken abbilden. Auch das qualitative Niveau der Informationswiedergabe wird in ESRS 1 abgesteckt, indem dort die Relevanz und die Glaubwürdigkeit der Daten neben der Vergleichbarkeit, Überprüfbarkeit und Verständlichkeit als qualitative Merkmale genannt werden.
Hinsichtlich des Zeithorizonts der wiederzugebenden Daten legt ESRS 1 fest, dass die Berichterstattung sowohl vergangenheitsorientiert als auch zukunftsorientiert zu erfolgen hat.(22)
Im zweiten Cross-Cutting-Standard ESRS 2 legt der Standardsetter branchenunabhängige Angabepflichten fest, die von allen Unternehmen zu beachten sind, die dem CSRD-Anwendungsbereich unterliegen. Ebenso werden darin sogenannte Angabeerfordernisse beschrieben, die Aufbau und Mindestinhalt der einzelnen themenspezifischen Standards wiedergeben.(23)
Die größte Beachtung im Zuge der Nachhaltigkeitsberichterstattung wird aktuell den Umweltaspekten, allen voran dem Klimawandel, geschenkt. Somit wurden auch fünf eigene Standards mit den Schwerpunkten Umwelt (ESRS E1), Verschmutzung (ESRS E2), Wasser- und Meerressourcen (ESRS E3), Biodiversität und Ökosysteme (ESRS E4) sowie Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft (ESRS E5) geschaffen, die den hohen Stellwert dieser Themen innerhalb der EU deutlich aufzeigen. Die Bekämpfung des Klimawandels wird dabei in 17 Unterpunkten zur Offenlegungspflicht am umfangreichsten thematisiert. Zu erwähnen ist, dass der Klimawandel als einziger Standard bisher eine Parallele in den IFRS-Vorschriften zur Nachhaltigkeitsberichterstattung findet, wenngleich der ESRS-Standard durch die zusätzlich geforderte Outside-in-Perspektive und die damit einhergehende Ausweitung des Adressatenkreises weitergehend ausgestaltet ist.
(21) Vgl Pasch/Stawinoga, IZR 2023, 63 (69).
(22) Vgl Sternisko/Rosanowski, RWZ_digitalOnly 2023.
Die bestehenden Normen der Global Reporting Initiative (GRI) sind dabei bereits umfassender ausgearbeitet und decken auch alle Bereiche der ESRS in ihren Grundzügen ab, was einen Vorteil für jene Unternehmen bietet, die bereits nach diesen Standards berichten. Aufgrund der umfassenden Offenlegungspflichten stellen die ESRS E1 bis E5 aber dennoch eine große zukünftige Herausforderung für die berichtspflichtigen Unternehmen dar.(24)
Die Sozialstandards der ESRS gliedern sich in vier Sektionen: eigene Belegschaft (ESRS S1), Arbeitnehmer in der Wertschöpfungskette (ESRS S2), betroffene Gemeinden (ESRS S3) sowie Verbraucher und Endbenutzer (ESRS S4). Der Stakeholder-bezogene Aufbau unterscheidet sich dabei vom themenbezogenen Aufbau der GRI-Standards. Inhaltlich sind diese jedoch nahezu deckungsgleich, was aufgrund der damit einhergehenden internationalen Harmonisierung begrüßenswert ist. Abgedeckt wird dabei ein umfangreiches Spektrum an Sozialbelangen hinsichtlich Arbeitnehmerrechte, Achtung von Menschenrechten sowie Sozial- und Verbraucherthemen.(25)
Mit ESRS G1 wird ein einziger GovernanceStandard umgesetzt, der zum Ziel hat, den Adressaten der Nachhaltigkeitsberichterstattung die Strategie, den Ansatz, die Prozesse und Abläufe sowie die Leistung des Unternehmens hinsichtlich der Geschäftsgebarung näherzubringen. Im Detail werden dabei Gebiete wie Unternehmenskultur, Beziehungsmanagement mit Lieferanten, die Bekämpfung von Korruption und Bestechung, die politische Einflussnahme, der Schutz von Whistleblowern, Tierschutz und die Zahlungspraktiken von KMU beleuchtet.(26)
Von der breiten Öffentlichkeit werden die Standards bislang eher kritisch gewürdigt. Die bestehende Skepsis begründet sich vor allem in der hohen Komplexität und dem großen Umfang der Standards sowie der gleichzeitig strengen Terminvorgabe für die erstmalige Umsetzung. Die fehlende Harmonisierung in Bezug auf andere internationale Standardsetter (insbesondere IFRS-Standards) stößt ebenfalls auf großen Unmut, weil diese weiterhin nebeneinander Geltung entfalten. Angeprangert wird zudem die fehlende bzw zu geringe Abstufung der Berichtsanforderungen für kleinere Unternehmen, bei denen
(23) Vgl Hrinkow/Roider/Strakova, European Sustainability Reporting Standards: ESRS 2 General disclosures, Lexis Rechtsnews 33542 vom 17. 1. 2023.
(24) Vgl Warnke/Müller, Entwürfe der Nachhaltigkeitsstandards zu Umweltaspekten (E-ESRS E1 bis E5), IZR 2022, 347 (347 ff).
(25) Vgl Reustlen/Warnke, Die Entwürfe der EU Sustainability Reporting Standards zu Sozialaspekten (E-ESRS S1 bis E-ESRS S4), IZR 2022, 400.
(26) Vgl Hrinkow/Roider/Strakova, European Sustainability Reporting Standards: ESRS G1 Business conduct, Lexis Rechtsnews 33532 vom 16. 1. 2023.
Nachhaltigkeitsberichterstattung im Zuge der CSRD 112 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
die Informationsbeschaffung und -verarbeitung einen erheblichen Kosten- und Zeitfaktor darstellen wird.(27) Eine einstweilige Priorisierung bestimmter Punkte wie Klimawandel wird in diversen Veröffentlichungen gefordert, um nicht Gefahr zu laufen, Abstriche bei der Qualität aufgrund der hohen Quantität vornehmen zu müssen.(28) Inwieweit hierbei die EFRAG einen Schritt auf die Anwender zugeht, bleibt bis zur Finalisierung der ESRS abzuwarten.
5. PRÜFPFLICHT DER NACHHALTIGKEITSBERICHTE
Erstmalig kommt es durch die neuen Vorgaben auch verpflichtend zu einer externen inhaltlichen Prüfpflicht der Nachhaltigkeitsthemen. Auch damit soll der Erhöhung der Wertigkeit der Informationen des Nachhaltigkeitsberichts im Vergleich zum Vorgänger des nichtfinanziellen Berichts Rechnung getragen werden, der nicht zwingend einer externen materiellen Prüfung zu unterziehen, sondern nur durch den Aufsichtsrat zu begutachten war. Zu beachten ist allerdings, dass auch bereits in der Vergangenheit diese Prüfpflicht des Aufsichtsrats meist freiwillig an den Abschlussprüfer delegiert wurde. Aufgrund der bisher fehlenden Informationsgrundlage soll vorerst eine externe Prüfung mit begrenzter Prüfungssicherheit erfolgen, die hinsichtlich Umfang und Intensität deutlich geringer ausfällt. Mittelfristig soll aber eine Prüfung mit hinreichender Prüfungssicherheit gewährleistet werden, insofern die Kommission eine solche als für möglich erachtet. Dafür sollen bis 2028 unionsweit einheitliche Prüfungsstandards erlassen werden.
Nach den Vorgaben der EU ist eine solche Prüfung nicht zwingend durch einen Wirtschaftsprüfer vorzunehmen, sondern es sind ebenso weitere unabhängig Erbringer von Bestätigungsleistungen zugelassen, insofern sie gleichwertige Qualifikationen nachweisen können und somit die Qualität der Prüfungsleistung sichergestellt werden kann. In der Praxis erschließt sich allerdings kaum ein Vorteil für die berichtspflichtigen Unternehmen, sich hierbei eines anderen als den
(27) Vgl Pasch/Stawinoga, IZR 2023, 63 (63 ff).
für den Jahresabschluss beauftragen Abschlussprüfers zu bedienen.(29) Bisher ist ohnehin noch offen, ob dieses Wahlrecht hinsichtlich der prüfenden Organe überhaupt von Seiten des nationalen Gesetzgebers in Anspruch genommen wird.(30) Als problematisch wird hinsichtlich der inhaltlichen Prüfpflicht das fehlende Know-how auf beiden Seiten (Berichtersteller und Prüfer) gesehen, was durch den strikten Zeitplan zusätzlich verschärft wird.(31)
6. AUSWIRKUNGEN AUF DIE PFLICHTEN DES AUFSICHTSRATS
Die primäre Prüfpflicht der Nachhaltigkeitsaspekte kommt wie bereits bei der nichtfinanziellen Berichterstattung nach wie vor dem Aufsichtsrat zu. Demnach war der Aufsichtsrat bereits vor der CSRD gemäß § 96 AktG für die materielle Prüfung des nichtfinanziellen Berichts zuständig.(32) Durch die nunmehr stark erhöhte Regelungstiefe auf Unionsebene wird auch der Aufsichtsrat strenger in die Pflicht genommen. Der Prüfungsumfang des Aufsichtsrats erstreckt sich nun neben der Rechtmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit auch auf die strategische Ausrichtung und die operative Umsetzung der nachhaltigkeitsbezogenen Themenbereiche. Letztere sind vom Aufsichtsrat kritisch zu beurteilen und eine laufende Überwachung des Managements, des IKS, des Risikomanagementsystem und des Rechnungslegungsprozesses ist zu gewährleisten. Im Zuge der Kontrolle des Risikomanagementsystems hat der Aufsichtsrat zB zu prüfen, ob Klimarisiken unter dem Aspekt der doppelten Wesentlichkeit ausreichend berücksichtigt wurden.(33) Darüber hinaus soll der Aufsichtsrat dafür Sorge leisten, dass der Vorstand mit ausreichend qualifizierten Personen besetzt ist, um dem Nachhaltigkeitsstreben gerecht zu werden.(34)
Durch die verpflichtende externe Prüfung erhält der Aufsichtsrat hinsichtlich der Datenaufbereitung Unterstützung, grundsätzlich kann er sich auf den Prüfbericht des Abschlussprüfers auch verlassen. Nachdem in den ersten Jahren aber nur eine Prüfung mit beschränkter
(28) Vgl Lanfermann, Sustainability Reporting Standards als neue regulatorische Herausforderung für die Finanzfunktion im Unternehmen, RWZ 2022, 248.
(29) Vgl Needham/Warnke/Müller, IRZ 2023, 41 (45 f).
(30) Vgl Grufeneder/Vrba, Nachhaltigkeitsberichterstattung – Update zur EU-Richtlinie (CSRD), LindeMedia vom 2. 1. 2023, abrufbar unter https://lindemedia.at/news/news-swi/nachhaltigkeitsberichterstattung-update-zur-eurichtlinie-csrd (Zugriff am 5. 4. 2023).
(31) Vgl Pasch/Stawinoga, IZR 2023, 63 (72).
(32) Vgl Eberhartinger/Milla, Die Nachhaltigkeitsberichterstattung im Prüfungsausschuss, RWZ 2023, 24 (25).
(33) Vgl Rödler/Hartmann/Sternisko, Zur Rolle des Aufsichtsrats kapitalmarktorientierter Unternehmen im Rahmen der Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung, in Mittelbach-Jörmanseder/Schiebel (Hrsg), Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung, Festschrift für Romuald Bertl (2021) 657 (659 ff).
(34) Vgl Gabius/Glöckner, Green and more: Zusammenarbeit von Prüfern und Aufsichtsrat, WPg 2023, 193 (194 f).
Nachhaltigkeitsberichterstattung
Zuge
CSRD 113 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
im
der
Prüfsicherheit vorgeschrieben wird, liegt dem Aufsichtsrat kein vollumfänglicher Prüfbericht vor. Somit ist ein aktives Tätigwerden seinerseits erforderlich, um dem Ebenbild eines ordentlichen und sorgfältigen Kontrollorgans gerecht zu werden.(35) Der Aufsichtsrat soll dabei die Rolle eines strategischen Gegenspielers zum Vorstand einnehmen und nicht nur reine Kontrollfunktion ausüben. Um das eigene Haftungsrisiko des Aufsichtsrats minimieren zu können, wird erwartet, dass in Zukunft häufig freiwillige Prüfungen mit Reasonable Assurance (Prüfung mit hinreichender Sicherheit) in Auftrag gegeben werden. Eine weitere Herausforderung stellt sich dem Aufsichtsrat hinsichtlich der Entscheidung über die Bestellung des Prüfers, zumal laut Vorgabe der EU nicht nur herkömmliche Abschlussprüfer dafür in Frage kommen sollen. Aufgrund dieser steigenden Anforderungen wird es auch geboten sein, den Aufsichtsrat, explizit den Prüfungsausschuss, mit entsprechender Expertise auszustatten.(36)
Eine nicht dem Sorgfaltsmaßstab eines Aufsichtsrats entsprechende Prüfung des Nachhaltigkeitsberichts ist keine Bagatelle. Die Nichteinhaltung der Pflichten kann vielmehr umfassende rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Anzudenken wären zivilrechtliche Haftungsfolgen iSd § 84 bzw § 99 AktG aufgrund der Verletzung von Informationspflichten, Sanktionen gemäß § 283 UGB für Fälle
der nicht fristgerechten Offenlegung. Bei vorsätzlichem Handeln könnte unter Umständen auch der Tatbestand der Bilanzfälschung gemäß § 163a Abs 1 Z 1 StGB erfüllt sein.(37)
7. FAZIT
Das Thema Nachhaltigkeit nimmt in der heutigen Gesellschaft einen immer größer werdenden Stellenwert ein. Demnach werden auch die Akteure des Wirtschaftslebens nach und nach mehr gefordert sein, diesen Aspekten Rechnung zu tragen. Durch die CSRD werden auf Unionsebene neue Maßstäbe gesetzt, was die Offenlegung der Bereiche Umwelt, Soziales und Unternehmensführung betrifft. Im Fokus steht dabei die Zielsetzung, Investoren und anderen Stakeholder-Gruppen die Möglichkeit zu geben, nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Wenngleich die derzeitige Klima- und Umweltsituation ein schnelles und dynamisches Handeln erfordert, stellt der ambitionierte Plan der EU die weltweit agierenden Unternehmen vor große Herausforderungen, denen sich die Verantwortlichen in den nächsten Jahren jedoch stellen müssen. Zu hoffen bleibt, dass eine ausreichende Basis seitens der nationalen und internationalen Legislative geschaffen wird, um die Führungskräfte der berichtspflichten Unternehmen dabei ausreichend zu unterstützen und nicht als Lückenbüßer darzustellen.
(35) Vgl Rödler/Hartmann/Sternisko in Mittelbach-Jörmanseder/Schiebel, FS Bertl, 657 (659 ff).
(36) Vgl Gabius/Glöckner, WPg 2023, 193 (194 f).
(37) Vgl Schranz, Die neuen Richtlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen und die Rolle von Vorstand und Aufsichtsrat, ZFR 2023, 4 (10).
Man kann nicht genug Steine in den Weg gelegt bekommen
Zum von BOARD SEARCH veranstalteten Forum Aufsichtsrat vom 22. März 2023 im Palais Rothschild der Schoellerbank in Wien war Jörg Conradi, Vorstandsvorsitzender der Hamburger ALLCURA Versicherungs-Aktiengesellschaft als Gastsprecher geladen. Über 150 handverlesene Gäste aus allen Bundesländern – sowie auch wieder aus Deutschland, der Schweiz, Frankreich und erstmals aus Kroatien – schätzten das Veranstaltungsformat mit Content, Musik und Networking. Das Streichquartett ATMOS gestaltete das Musikprogramm. Zusätzlicher Gastmusiker – und somit zum Quintett formiert – war der ukrainische Akkordeonkünstler Ivan Bykov.
Jörg Conradi berichtete von seinen Erfahrungen und seinen Karrieren in der Konzernwelt sowie in der Selbständigkeit. Der gebürtige Leipziger schlug in der damaligen DDR die Militärlaufbahn ein und absolvierte eine Offiziersausbildung. Die friedliche Revolution im Jahr 1989 prägte sein Leben. Ohne diese Erfahrung hätte er sich die Gründung einer Versicherung nicht zugetraut: „Wenn rund um einen alles zu-
sammenbricht, woran man geglaubt hat, verliert man die Angst vor Veränderung!“
DER UNTERSCHIED ZWISCHEN CHEF UND „DAVOR“GESETZTEM
Beim Versicherungskonzern ALLIANZ machte Jörg Conradi eine beachtliche Karriere und war dort zuletzt Leiter des Underwri-
Forum Aufsichtsrat 114 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
tings für alle Komposit-Sparten in NordrheinWestfalen, Niedersachen, Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein. Schon davor leitete er deutschlandweit die Fachberatung Vermögenshaftpflichtversicherung. In 20 Jahren Konzernzugehörigkeit haben ihn 17 Vorgesetzte und drei Chefs begleitet. Gab es Unterschiede? „Nur mit dem inneren Respekt der Mitarbeitenden wird man Chef, sonst bleibt man ‚Davor‘-Gesetzter.“
Als er eine ALLIANZ-Entscheidung, die sein Geschäft und seinen Verantwortungsbereich maßgeblich betroffen hätte, nicht mehr mittragen konnte und wollte, kam es zu seinem Entschluss, „es selbst zu wagen“ – er gründete mit einem Team „seine“ Versicherung.
Im Gespräch mit Josef Fritz, dem geschäftsführenden Gesellschafter von BOARD SEARCH und Moderator des Abends, wurden folgende Schwerpunkte vertieft:
y Entrepreneur ist keine Berufsbezeichnung …
y Wer seinen Träumen nicht entgegengeht …
y Probleme sind Gelegenheiten …
Die folgenden drei Zitate passen sehr gut zur Persönlichkeit Conradis, zu seiner Einstellung, seinem Gestalten und zu seinem markanten sowie besonderen Umsetzen: „Entrepreneur ist keine Berufsbezeichnung. Es ist eine Geisteshaltung von Menschen, die Zukunft gestalten möchten.“ „Wer seinen Träumen nicht entgegengeht, dem kommt nur Alltägliches entgegen.“ Duke Ellington sagte einst: „Probleme sind Gelegenheiten zu zeigen, was du kannst.“
Die Gründung Conradis eigener Versicherung entstand in einer Rotweinrunde. Im Rahmen dieser wurde die Idee erstmals ventiliert und besprochen, bevor die aufwendige, zeitintensive und anspruchsvolle Aufgabe in Angriff genommen wurde. Der in der Versicherungsaufsicht zuständige oberste Beamte für die Versicherungswirtschaft war überzeugt, dass es in seinem Berufsleben nicht zur Gründung einer „privaten“ Versicherung kommen würde. Seine Frau wettete dagegen – er sollte die Wette verlieren. Anders als man – vor allem aus heutiger Sicht – erwarten würde, war die Aufsicht nicht Feind, sondern Freund und unterstützte alle Gründungsvorbereitungsschritte und vorgesellschaftsrechtlichen Stadien.
Drei Jahre sollten vergehen. Neben wohlwollenden Ratgebern gab es auch Einwände von Bedenkenträgern. Aus dem Abwägen von Argumenten in sehr vielen Gesprächen – wie zB mit Experten wie Aktuaren, Rechts- und Finanzkundigen – ergaben sich Lösungen. Und es galt, auch die Besten für dieses neue Versicherungsunternehmen und für den Aufsichtsrat zu finden sowie auch einzubinden.
Nachdem Rechtsformen wie ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit oder das Genossenschaftsmodell aus guten Gründen
verworfen werden mussten, wurde jene der Aktiengesellschaft gewählt. Das Kapital kam von den Gründern selbst, aber auch von Fremdkapitalgebern. So stellte ein älterer Herr, dem der Business Case vorgestellt worden war und der „erstmal mit einem Gläschen Mut gefasst hatte“, am nächsten Tag 100.000 € ohne Gegenleistung in Aussicht. Geglaubt hat man dies erst, als das Geld tags darauf am neu eingerichteten Konto auch tatsächlich eingelangt war. Jemand anderer steuerte als Aktionär ebenfalls 100.000 € zur Gründung bei. Doch das erste Gründungskapital war naturgemäß schnell ausgegeben. Investitionen wie zB ein IT-System um rund 500.000 € waren aus der Langfristperspektive und der Erkenntnis der geschäftlichen Notwendigkeit zu treffen.
Die ersten Aufsichtsräte rekrutierte man im „Family & Friends“-Umfeld. Als größter Einzelaktionär wurde eine Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft mit Sperrminoritätsrecht etabliert. Es ist keine andere Versicherung bekannt, die im Wesentlichen den Mitarbeitern gehört. Damit war eine wichtige Basis geschaffen, die Engagement, Unternehmensverbundenheit und Identifikation fördert. „Niemand ist perfekt, aber jeder kann großartig sein!“ Das schafft eine Kultur des Vertrauens und des Miteinanders – einen Rahmen, der zum aktiven Einbringen einlädt. Besonders unterstützend verhielten sich in den ersten Jahren auch die Aktionäre, indem sie einer fünfjährigen dividendenlosen Aufbauentwicklung vorbehaltlos zustimmten.
Die Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft weist die Regelung auf, dass an die Gesellschafter keine Gewinnausschüttung erfolgt. Der Gewinn wird thesauriert. Kommt es zum seltenen Fall des Ausscheidens eines Mitarbeitenden, werden die pekuniären Ansprüche aus dem so angesammelten Kapital bedient.
VOLLE GEHALTSTRANSPARENZ – AUCH DER VORSTANDSVERGÜTUNG
Aufhorchen ließ Jörg Conradi damit, dass alle Mitarbeiter – auch die neu Eintretenden –in die strategischen Überlegungen eingebunden werden und alle Gehälter – auch die Vorstandsvergütung – jedem im Unternehmen bekannt sind. Dazu führte er an: „Das kann natürlich auch anstrengend für die Mitarbeitenden und den Vorstand sein!“ Aber man hat damit einen Produktivitätsschub erreicht. Zudem würde dadurch die hohe Servicequalität unterstützt. Bei ALLCURA werden 99 % aller Anfragen und Vorgänge binnen 24 Stunden erledigt. Somit ist klar, dass man das Diskontgeschäft nicht mit einem Callcenter bedient.
Forum Aufsichtsrat 115 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
KOOPERATIONSPARTNER – MAKLER
In Deutschland sind rund 45.000, in Österreich rund 4.500 Makler am Markt tätig. ALLCURA arbeitet am deutschen Markt mit rund 600 und in Österreich rund 100 Vertriebspartnern zusammen. Makler haben den Vorteil der emotionalen Bindung zum Kunden, ALLCURA hat das Know-how. Beim Kompositgeschäft, der Sachversicherung, kauft der Versicherer Kundenrisiko ein, wobei ein Teil des Risikos immer beim Kunden verbleibt. Conradi hielt dazu fest: „Es ist schön, wenn der Einkäufer das Risiko versteht. Somit kommt es auch zur Umkehr – nicht Versicherungen wollen Produkte verkaufen, sondern Kunden ein Risiko loswerden.“
VERTRÄGE SIND DAZU DA, DASS MAN SICH VERTRÄGT, WENN MAN SICH NICHT MEHR VERTRÄGT
Bei der Gründung der Versicherung wurden etliche Regeln für den Fall des Auseinandergehens aufgenommen, sodass schon der Notar schon fragte: „Wollt ihr wirklich gründen?“ Diese Regelungen für das Ausscheiden aus dem Unternehmen haben sich bewährt. Vorstände und Geschäftsführer sind „Sachwalter für fremdes Vermögen auf Zeit“. Im Wissen, „wer arbeitet macht Fehler“ und „Fehler kosten – fremdes –Geld“, kommt es auch zu Schäden und Regressansprüchen.
Das Ausscheiden von Managern ist normalerweise mit vielen Emotionen (Hausverbot, Schlüsselabgabe, Unterlagensperre etc) verbunden, die einer rationalen Exit-Lösung hinderlich sind. Deshalb ist das Vorabregeln als „Privathaftpflicht für den Beruf“ bedeutsam. Zudem stehen offene Auseinandersetzungen aus einem Managementvertrag häufig einer Neuanstellung entgegen oder behindern diese zeitlich.
Der Hamburger Versicherungs-CEO ist aufgrund seiner Lebenserfahrung – und auch mit einem ihn prägenden Fremdzitat – überzeugt: „Man kann nicht genug Steine in den Weg gelegt bekommen, damit man daraus ein festes Fundament bauen kann!“
DER ALLCURAAUFSICHTSRAT
Nach der Anfangsphase mit der Auswahl von Aufsichtsräten ausschließlich auf der Beziehungs- und Vertrauensebene hat sich der Rekrutierungsprozess vorteilhaft weiterentwickelt. Mit der Erkenntnis, wie wichtig Aufsichtsräte für das Unternehmen sind, wurde der Suchvorgang professionalisiert. Dazu hat auch der Umstand beigetragen, dass die anfangs bestellten Aufsichtsräte eine nicht erwünschte Eigendynamik entwickelten und glaubten, ALLCURA sei allein ihr Unternehmen. Auch die Vorgangsweise, Aufsichtsräte ohne Abstimmung mit dem Vorstand auszusuchen, führte letztendlich zu einem neuen Dialogprozess. Natürlich kann sich der Vorstand seine Aufsichtsräte nicht aussuchen, in der Doppelrolle als Vorstand und Aktionär kam es aber zu einem vom Vorstand verlangten Hearing-Verfahren. Bei diesem fielen jene potenziellen Aufsichtsräte, die nur auf der Beziehungsebene von anderen Aufsichtsräten in Aussicht genommen wurden, durch. Heute würden gezielt solche Aufsichtsräte ausgesucht und bestellt, die ein Add-on mitbringen, die als Aufsichtsrat einen Nutzen stiften und helfen, das Unternehmen weiterzuentwickeln. Vor allem der Rat von Versierten, die zB mit ihrer Expertise aus dem Umgang mit selbst erlebten Krisen Wertvolles beitragen können, wird geschätzt. Last, but not least ist das Geben von Rat, um Fehler zu vermeiden, die Königsdisziplin eines professionellen Aufsichtsrats.
Josef Fritz
Forum Aufsichtsrat 116 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
Dr. Josef Fritz ist Managing Partner der Board Search GmbH.
Die neuen im Aufsichtsrat und die fünfte Jahreszeit
Für Aufsichtsräte und Eigentümer, und da besonders für Aktionäre, gibt es eine fünfte Jahreszeit: die Periode der Hauptversammlungen. Aufbauend auf den Beiträgen „Wer sind die neuen im Aufsichtsrat?“ (Teil I bis V in Aufsichtsrat aktuell 2022, S 134 ff, 180 ff und 225 ff sowie Aufsichtsrat aktuell 2023, S 19 ff und 70 ff) wende ich mich in diesem Beitrag dieser sogenannten fünften Jahreszeit zu.
Für jene Aktiengesellschaften, die „fast close“ praktizieren, kann die Feststellung des Jahresabschlusses im Aufsichtsrat schon im Februar und die Vorlage in der Hauptversammlung im März erfolgen. Die fünfte Jahreszeit reicht traditionell bis in den Juni. Dann haben die meisten börsenotierten Gesellschaften, deren Wirtschaftsjahr sich mit dem Kalenderjahr deckt, ihre Jahresabschlüsse unter Dach und Fach. Für die rasche Verabschiedung der Bilanz des letzten Geschäftsjahres spricht auch, dass man sich zeitlich nicht allzu lange mit der Vergangenheit beschäftigen muss und man den Blick lieber in die Zukunft richten kann.
Umgekehrt ist die nicht zeitadäquate Vorlage eines Jahresabschlusses ein Rauchzeichen, dass etwas nicht stimmt. Aus langjähriger Erfahrung des Autors lassen Verzögerungen bei der Feststellung des Jahresabschlusses zB auf Bilanzierungsprobleme, geschäftliche Schwierigkeiten, Differenzen mit dem Abschlussprüfer (zB Wirecard), das Nichterfüllen der Eigenkapitalerfordernisse, hohe Schulden, Eigentümerneuordnungen, Liquiditätsschwierigkeiten oder insolvenznahe Umstände schließen.
2. DER PRÜFUNGSAUSSCHUS
Für jene Aufsichtsräte, die einem Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats angehören, endet im Frühjahr die Arbeit zur Bilanz, zur Gewinnund Verlustrechnung, zum Geschäftsbericht mit dem Bericht des Aufsichtsrats, zum Anhang und zum Nachhaltigkeitsbericht über das letzte Geschäftsjahr. Wenig später beginnt die Befassung mit dem künftigen Jahresabschluss; denn diese Aufgabe ist bei Konzernen umfangreich, intensiv und mittlerweile eine Ganzjahresaufgabe für diesen verpflichtenden Ausschuss des Aufsichtsrats geworden.
Bei kleineren und mittleren Unternehmen ist in den letzten Jahren festzustellen, dass beim erstmaligen Einsetzen des Audit Committees ein richtiger Andrang unter den Aufsichtsratsmitgliedern und Beiräten um einen Platz in
diesem Gremium herrscht. Dies ist einerseits der Wichtigkeit geschuldet, andererseits geben jene Räte, die nicht genannt werden wollen, vertraulich zu, dass es für sie eine besonders wertvolle Praxisausbildung sei.
Bei der Vorbereitung einer Hauptversammlung oder auch Generalversammlung ist der Tagesordnungspunkt „Wahl in den Aufsichtsrat“ ein Muss. Professionell agierende Eigentümer und die Beteiligungsmanagementbereiche in Konzernen führen penibel Buch, welches Aufsichtsratsmitglied wann und bis zum Ablauf welcher Aufsichtsratssitzung und Hauptversammlung bestellt wurde, die dann über den vierten oder fünften Jahresabschluss in Folge entscheidet (je nach Satzung bzw Gesellschaftsvertrag), wo das Mandat endet.
In den „good old days“ war das akkurate und rechtzeitige Aufmerksam-Machen der Eigentümer wichtig, um eventuelle Dispositionen rechtzeitig vornehmen zu können. Tatsächlich war es mehr oder weniger eine Formalübung, weil die Mandate meist verlängert wurden. Neben dieser Wiederbestellung zum Aufsichtsrat gab es – so die Satzung dies vorsah – den Losentscheid, dass Aufsichtsratsmitglieder, die dem Gremium am längsten angehörten, per Los ausscheiden mussten. Der Autor erinnert sich noch gut an seine Tätigkeit im Beteiligungsmanagement einer Großbank mit umfangreichen Beteiligungsbesitz, wo er häufig zum Ziehen der Namenskarten altgedienter Aufsichtsräte aus einem nicht einsehbaren Behältnis auserkoren wurde. Was anfangs noch mit einem subjektiven Kribbeln und Spannungsgefühl verbunden war, entpuppte sich alsbald als Formalakt, weil die per Los zum Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat bestimmten Mitglieder in der nachfolgenden Hauptversammlung gleich wieder neu gewählt wurden – manche auf die Restlaufzeit, andere sogar auf die maximale Mandatslaufzeit. Für die so vom Los Betroffenen alles andere als ein Nachteil, da ihre Mandatslaufzeit somit eine erfreuliche vorzeitige Verlängerung erfuhr.
Die neuen im Aufsichtsrat und die fünfte Jahreszeit 117 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
1. DIE FÜNFTE JAHRESZEIT
3. DIE HAUPTVERSAMMLUNG UND DAS LOS
Josef Fritz
Dr. Josef Fritz ist Managing Partner der Board Search GmbH, eines auf die Suche nach qualifizierten Aufsichtsorganen im deutschsprachigen Raum spezialisierten österreichischen Dienstleistungsunternehmens.
Mit der zunehmenden Professionalität in Gremien wurden Wiederwahlen im Aufsichtsrat seltener und auch die per Gesetz längst mögliche Bestellung zum Aufsichtsrat hat bei Vorreitern zu verkürzten Mandatslaufzeiten in Gremien geführt. Eigentümer haben dadurch ihre Position gestärkt und ihren Entscheidungsspielraum erhöht. Nach zwei oder drei Jahren Mandatslaufzeit im Aufsichtsrat oder Beirat können Eigner, besonders in Zeiten der Umbrüche, flexibel entscheiden, ob die Zusammensetzung des Gremiums adäquat ist oder einer Änderung bedarf – ein nicht zu unterschätzender Vorteil in unruhigen Zeiten mit multiplen Krisen.
der bemerkenswerte Fall, dass man bei einer entscheidenden Aufsichtsratssitzung mangels ausreichend anwesender Mitglieder lange nicht beschlussfähig war, ehe kurz vor Mitternacht eilig eingeflogene Mitglieder noch mitstimmen konnten.
„Der aktuelle Vorsitzende Mark Garrett habe bekannt gegeben, sein Mandat nicht verlängern zu wollen […].“ Die Medien berichten, dass Garrett das Interesse am Vorsitz zunehmend verloren hätte. Die ÖBAG warf ihm vor, sich zu wenig für die Versorgungssicherheit Österreichs engagiert zu haben. Sein Nachfolger wird –Wochen vor der Hauptversammlung – ebenfalls in Medien genannt: Lutz Feldmann Feldmann sei ein „ausgewiesener Energie-Experte“ und Aufsichtsratsvorsitzender des deutschen Energieversorgers EnBW. Zudem verfüge er über Managementerfahrung bei E.ON, BP und Aral und war bei der Entwicklung von Strategien und im M&A-Bereich tätig.(1)
6.2. WESTbahn
Während Änderungen in Aufsichtsräten oder Beiräten früher einer Geheimangelegenheit glichen und die Öffentlichkeit gar nicht interessierten, hat sich das Blatt mittlerweile gewendet.
Wie in den letzten Jahren neu zu beobachten war und ist, verfassen Unternehmen nun über Gremienänderungen Presseaussendungen. Auch Journalisten berichten oft und gerne, wenn Unternehmen in die Schlagzeilen geraten oder vermeintlich oder tatsächlich Prominente neu in den Aufsichtsrat einziehen bzw ihr Mandat vorzeitig zurücklegen. Zeitungsberichte, in denen nicht nur über die Veränderung berichtet, sondern auch die Qualifikation, das Bereichernde und das Nutzenstiftende der Neuen dargelegt wird, sind erfreulich.
6. WER SIND DIE NEUEN?
Hier eine mediale Rundschau über einige aktuelle Gremienänderungen:
6.1. OMV
Die börsenotierte OMV AG steht nicht erst seit der Energiekrise im öffentlichen Rampenlicht. Beispielsweise betrifft dies die Eigentümerstruktur mit der syndizierten Mehrheit bei Adnoc aus Abu Dhabi und dem Anteil von 31,5 % der Staatsholding ÖBAG, Personalia der kommenden und gehenden Aufsichtsräte und Vorstandsmitglieder, Querelen sowie
Die WESTbahn – ein privater Zugfahrtenanbieter (Wien–Salzburg/Innsbruck bzw München) wurde 2008 im Rahmen der Bahnliberalisierung in der Europäischen Union als erste operative Tochtergesellschaft der Rail Holding AG gegründet. Bei der Muttergesellschaft Rail Holding kam es zu einem generationsbedingten Wechsel an der Aufsichtsratsspitze. Benedikt Weibel, vormaliger CEO der Schweizer Bahn hat sich nach vielen Jahren als Aufsichtsratsvorsitzender zurückgezogen. Der frühere Umdasch-Manager Andreas Ludwig hat den Vorsitz übernommen. Wie bei der WESTbahn üblich, hat diese Funktion ein „Neutraler“ inne. Die Hauptaktionäre – die Stiftung von Hanspeter Haselsteiner bzw eine Erhard Grossnigg zuzurechnende Gesellschaft – werden durch Anna-Theresa Korbutt und Marco Bekavac-Ramsbacher vertreten. Im Aufsichtsrat hat auch Jean-Baptiste Guenot ein Mandat inne.(2)
Alle Aufsichtsratsmitglieder verfügen über einschlägige Erfahrung. Die private Bahn hat im Jahr 2022 das zweite Mal seit ihrer Gründung operative Gewinne gemacht.
Das hessische Familienunternehmen Viessmann wurde jüngst für zwölf Milliarden Euro größtenteils in die USA verkauft. Der US-Klimaanlagen-Hersteller Carrier Global aus Florida übernahm die dominierende Heiz- und
(1) „OMV wechselt den Aufsichtsratschef aus“, Kurier.at vom 14. 4. 2023, abrufbar unter https://kurier.at/wirtschaft/ omv-aufsichtsratschef-garrett-wird-nicht-verlaengert/402410927 (Zugriff hier und in der Folge am 23. 5. 2023).
(2) Siehe https://westbahn.at/unternehmen/rail-holding-ag
Die neuen im Aufsichtsrat und die fünfte Jahreszeit 118 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
4. KÜRZERE MANDATSLAUFZEITEN ERÖFFNEN EIGENTÜMERN MÖGLICHKEITEN
5. VON DER GEHEIMSACHE ZUR PRESSEAUSSENDUNG
6.3. Viessmann
Klimatechniksparte von Viessmann. Die Gründerfamilie erhielt 80 % des Kaufpreises in bar und 20 % in Form von Carrier-Aktien. Viessmann-Chef Max Viessmann zog in den Verwaltungsrat von Carrier ein.(3)
6.4. Bayer
Beim DAX-Konzern Bayer droht durch aktivistische Aktionäre Ungemach: „Der aktivistische Investor Bluebell sammelt Finanzkreisen zufolge nach dem Einstieg bei dem Chemie- und Pharmakonzern Verbündete, um seine Forderungen durchzusetzen. Ganz oben auf Bluebells ToDo-Liste: Baumann soll weg, und zwar schnell. Der Vertrag des Bayer-Vorstandsvorsitzenden läuft eigentlich noch bis April 2024. Zudem fordert der Investor offenbar Veränderungen im Aufsichtsrat sowie die Aufspaltung des Konzerns. Ein erster Schritt dazu soll die Abspaltung des Geschäfts mit nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten rund um die Marke Aspirin sein. Bluebell kauft üblicherweise kleine Anteile und sucht verbündete Aktionäre. Die zu finden fällt bei Bayer angesichts des schwachen Aktienkurses nicht allzu schwer: Auch der neu eingestiegene US-Hedgefonds Inclusive favorisiert einen neuen Chef, der von außen kommen soll, sowie eine ‚Überprüfung der Strukturen‘. Vertreter der deutschen Fondsgesellschaften Union Investment und Deka nannten im HandelsblattGespräch ähnliche Forderungen. Hinter vorgehaltener Hand äußerten auch andere Fonds Kritik. Hauptgrund für die Unzufriedenheit: Seit der Übernahme des US-Agrochemiekonzerns Monsanto 2018 hat die Bayer-Aktie rund die Hälfte an Wert eingebüßt.“(4)
Die Bank will die vorab eingereichten Fragen der Anteilseigner nur im Vorfeld und schriftlich beantworten. Anlässlich des virtuellen Aktionärstreffens können nur Nachfragen zu gegebenen Antworten und zu aktuellen Entwicklungen gestellt werden. Das löst bei Groß- und Kleinaktionären Unmut aus.
Widerstand gibt es auch gegen die Wiederwahl des Vizeaufsichtsratschefs Norbert Winkeljohann. Aus Sicht einiger Investoren wie Union Investment und Deka nimmt der Ex-Deutschlandchef der Prüfungsgesellschaft PwC zu viele Aufsichtsratsposten wahr. Winkeljohann ist Aufsichtsratschef von Bayer und Vizeaufsichtsratschef der Deutschen Bank. Darüber hinaus sitzt er in den Aufsichtsräten von Georgsmarienhütte Holding, Bohnenkamp AG und Sievert SE. Bei Bohnenkamp und Sievert leitet er auch das Kontrollgremium. „Wir werden gegen die Wiederwahl von Herrn Winkeljohann stimmen. Die Ämterhäufung ist eklatant“, sagt Union-Expertin Vanda Rothacker.(5)
6.6. SAP
„Beim Softwarekonzern SAP übernimmt der Amerikaner Punit Renjen die Aufsichtsratsspitze. Wäre da nicht ein Deutscher besser geeignet? Nein. Die geforderten Qualifikationen für die Rolle haben sich enorm erhöht. Da ist mehr gefordert als eine Karriere in deutschen Unternehmen.
Für den Umgang mit Kleinaktionären formulierte einst der Bankier Carl Fürstenberg die Grundhaltung: „Aktionäre sind dumm und frech. Dumm, weil sie Aktien kaufen, und frech, weil sie dann auch noch eine Dividende haben wollen.“
Vielleicht muss man es als Hommage an den vor 90 Jahren verstorbenen Fürstenberg verstehen, was die Deutsche Bank anlässlich ihrer diesjährigen Hauptversammlung im Mai plant:
Aufsichtsratsvorsitzende von Börsenunternehmen hatten traditionell eine langjährige Vorstands-, oft auch eine Aufsichtsratskarriere in deutschen Unternehmen hinter sich. Mit den Usancen in deutschen Konzernspitzen, dem Umgang mit deutschen Gewerkschaften und den Regeln deutscher Hauptversammlungen waren sie bestens vertraut. Bei SAP übernimmt jetzt Punit Renjen (61) den Aufsichtsratsvorsitz: Ein Amerikaner, geboren in Indien, qualifiziert vor allem als CEO der Beratungsgesellschaft Deloitte. Vielerorts wird gefragt: Kann das gut gehen?
Die Aufsichtsratsspitze braucht andere Charaktere als vor 10 oder 15 Jahren. Damals hat der Vorsitzende im Verbund mit dem CEO mehr oder weniger allein die Strategielinie des Unternehmens sowie den Informationsfluss etwa zu den Arbeitnehmervertretern bestimmt. Heute ist er der Spielertrainer, kooperiert, stimmt sich stärker
(3) „Verkauft: Politische Debatte um den Viessmann-Deal / Verfahren: Schon wieder ein Koalitionsausschuss“, Handelsblatt vom 26. 4. 2023, abrufbar unter https://www.handelsblatt.com/audio/podcast-morning-briefing/ morning-briefing-vom-26-04-2023-verkauft-politische-debatte-um-den-viessmann-deal-verfahren-schonwieder-ein-koalitionsausschuss/29115324.html
(4) Rickens, Unter Druck: Aktionärsattacke gegen Bayer-Chef Baumann, Handelsblatt vom 6. 2. 2023, abrufbar unter https://www.handelsblatt.com/meinung/morningbriefing/morning-briefing-unter-druck-aktionaersattackegegen-bayer-chef-baumann/28964926.html
(5) Osman, Deutsche Bank schränkt Fragemöglichkeiten ein, Handelsblatt vom 25. 4. 2023, abrufbar unter https:// www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/banken/virtuelles-aktionaerstreffen-deutsche-bankschraenkt-fragemoeglichkeiten-ein/29110034.html
Die neuen im Aufsichtsrat und die fünfte Jahreszeit 119 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
6.5. Deutsche Bank
ab mit anderen Aufsichtsrats- und Vorstandsmitgliedern sowie diversen Stakeholdern und ist in der Öffentlichkeit visibel.
Die Amtszeiten der Aufsichtsräte sind immer häufiger gestaffelt und verkürzt, mit der Folge laufender Erneuerung und Wechseln auch in den Ausschüssen – hinzukommt die intensive Regulierung durch Gesetzgeber sowie Richtlinien der Stimmrechtsberater und Fonds, die eine bestimmte Diversität und genormte Fachkenntnisse im Gremium fordern.
Wenn in der jetzigen Hauptversammlungssaison vielerorts die Auseinandersetzung um die richtige Transformationsstrategie im Vordergrund steht, kann die Wahl zum Aufsichtsrat für Aktivisten zum Ventil für die Lösung eines realen oder auch nur behaupteten Reformstaus werden. Denn die Aufsichtsräte werden immer bedeutender.
Sie beraten jetzt bei der Transformationsstrategie, sie kontrollieren ihre Umsetzung und sind das Frühradar für notwendige Anpassungen. Sie müssen Charaktere und neue Schwerpunktressorts im Vorstand adjustieren. Mit ihrer besonderen Legitimität bei Anteilseignern sind die Vorsitzenden des Gremiums – und immer stärker auch des Prüfungsausschusses – dabei Leitfiguren und Reputationsanker für Strategie und Werte.“(6)
7. WER SCHEIDET AUS?
7.1. EVN
Bettina Glatz-Kremsner legt ihren Aufsichtsratsvorsitz und ihr Mandat nach sieben Jahren aus persönlichen Gründen zurück. Die Managerin wurde im Jänner 2016 als erste Frau an die Spitze des EVN-Aufsichtsrats gewählt.
7.2. Airport Klagenfurt
Schon seit Längerem hat die Kärntner Flughafen Betriebsgesellschaft mit beschränkter Haftung (Airport Klagenfurt) Eigentümerquerelen und Liquiditätsengpässe. Ende April 2023 legten vier (darunter der Vorsitzende) der neun Aufsichtsräte ihre Mandate mit sofortiger Wirkung nieder, weil es im Gremium keine konstruktive Zusammenarbeit gab.
„BMW-Großaktionärin Susanne Klatten tritt als Aufsichtsratschefin des Grafit-Spezialisten SGL Carbon ab. Die 60-Jährige wolle ihr Mandat im Aufsichtsrat nach der Hauptversammlung am 9. Mai aus persönlichen Gründen vorzeitig abgeben […]
Heftige Turbulenzen gab es bei der MaiHauptversammlung von VW in Berlin, die von politischen Akteuren gegen das Konzernengagement in der Uiguren Region Westchinas missbraucht und wie nie zuvor gestört wurde. Klimakleber behinderten den Zutritt, in der Halle unterbrachen Zwischenrufe die Reden und es gab massive Kritik am Aufsichtsrat. Während der Rede des Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch warf ein Demonstrant eine Torte in Richtung des Aufsichtsratsmitglieds Wolfgang Porsche, die ihn knapp verfehlte. Der 80-jährige Familienpatriarch steht im VW-Konzern vor einer weiteren Amtszeit im Kontrollgremium. Porsches Verlängerung gilt unter GovernanceGesichtspunkten als umstritten. Eigentlich dürfen Aufsichtsratsmitglieder nur bis zum Alter von 75 Jahren gewählt werden.(7)
Klatten, die als reichste Frau Deutschlands gilt, war eigentlich noch bis 2025 gewählt. „Ihr Engagement als Hauptanteilseignerin der SGL Carbon bleibt von ihrer persönlichen Entscheidung, aus dem Aufsichtsrat auszuscheiden, unberührt. Klatten und mit ihr BMW hatten einst große Hoffnungen in die Werkstoffe von SGL Carbon für den ultraleichten Bau vor allem von Elektroautos gesetzt. Diese Hoffnungen haben sich aber nie so recht erfüllt.“(8)
8. SELL IN MAY AND GO AWAY
Den Abschluss darf eine alte und zur Jahreszeit passende Börsenweisheit einnehmen. „Sell in May and go away, but remember to come back in September.“ Inwieweit das in Krisenzeiten noch aktuell ist, ist eine andere Geschichte.
(6) Seibt, Warum der Aufsichtsratsvorsitz immer anspruchsvoller wird, manager magazin vom 15. 4. 2023, abrufbar unter https://www.manager-magazin.de/unternehmen/tech/sap-warum-der-aufsichtsratsvorsitz-immeranspruchsvoller-wird-a-5c3737b2-f127-483e-a995-76030c73552a
(7) Backovic/Murphy, Der Protest der Straße zieht in die VW-Hauptversammlung ein, Handelsblatt vom 10. 5. 2023, abrufbar unter https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/volkswagen-der-protest-derstrasse-zieht-in-die-vw-hauptversammlung-ein/29142616.html
(8) Fasse, Susanne Klatten verlässt Aufsichtsrat von SGL Carbon, Handelsblatt vom 16. 2. 2023, abrufbar unter https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/bmw-erbin-susanne-klatten-verlaesst-aufsichtsrat-vonsgl-carbon/28980110.html
Die neuen im Aufsichtsrat und die fünfte Jahreszeit 120 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
6.7. VW
7.3. SGL Carbon
Ansgar Dirkmann
Musthaves für die virtuelle Vorstandsund Gremienkommunikation
Egal ob Hauptversammlung, Vorstandstreffen oder Aufsichtsratssitzung: Selbst Gremien verlegen ihre Konferenzen mittlerweile in den virtuellen Raum. Doch gerade die Informationen, mit denen diese Klientel umgeht, sind häufig streng vertraulich. Dass gängige Kommunikationslösungen wie unverschlüsselte E-Mails und File Sharing für die Übertragung solch sensibler Daten eher nicht geeignet sind, liegt auf der Hand – vor allem, weil diese Technologien Hauptangriffspunkte für Cyberkriminelle darstellen. Doch wie gelingt die sichere und effiziente virtuelle Gremienkommunikation?
1. STEIGENDE CYBERKRIMINALITÄT
Seit Jahren nimmt die Anzahl von Cyberattacken stetig zu. Zwar verzeichnete die Polizeiliche Kriminalstatistik für die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2021 einen Rückgang an Straftaten insgesamt – bei Hackerangriffen und Co war allerdings genau das Gegenteil der Fall. So vermeldete das deutsche Bundeskriminalamt(1) einen traurigen Rekord von 146.363 Internetdelikten – um zwölf Prozent mehr als noch im Jahr 2020. Bedenkt man zudem, dass die Aufklärungsquote gerade einmal bei rund 30 % liegt, kann man davon ausgehen, dass sich der Trend zu vermehrten Cybercrime-Vorfällen auch künftig fortsetzen dürfte.
2. IM VISIER DER CYBERTÄTER
Auch Gremien und Vorstände bleiben nicht von Cyberattacken verschont. Immerhin hantieren sie mit sensiblen Daten, aus denen sich aus Sicht der Kriminellen gut Kapital schlagen lässt. Zwar schadet ein Datenleck auf Führungsebene allein schon dem Image des Unternehmens und zieht bisweilen herbe juristische Konsequenzen nach sich – insbesondere, wenn es sich um personenbezogene Daten handelt. Wesentlich dramatischer ist es jedoch, wenn es schlicht und ergreifend um die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen geht.
Im schlimmsten Fall veröffentlichen die Hacker gestohlene Daten oder verkaufen diese gar an die Konkurrenz, die somit Zugang zu wertvollem Know-how, geheimen Geschäftsstrategien oder Finanzdaten bekommt. Han-
delt es sich bei der geschädigten Firma dann auch noch um ein börsenotiertes Unternehmen und sind die durchgesickerten Informationen von wesentlicher Natur (wie etwa geplante Firmenübernahmen, Unternehmenszusammenschlüsse oder unerwartete Gewinneinbrüche), drohen erhebliche Strafen durch die Börsen- bzw Wertpapieraufsicht, die bei großen Unternehmen gut und gerne im Milliardenbereich liegen können.
Umso verwunderlicher ist es, wie nachlässig der Umgang mit solch kritischen Informationen häufig auch auf Vorstandsebene ist. Dabei ist es denkbar einfach, virtuelle Gremiensitzungen sicher und gleichzeitig effizient zu gestalten. Virtuelle Datenräume sind zB ein probates Mittel dafür.(2) Mit den erforderlichen Schutzmaßnahmen und Funktionen versehen, gestatten sie einen bequemen und ungestörten sicheren Austausch vertraulichster Informationen. Hier gilt es nur, einige wenige Punkte zu beachten.
3. SECHS MUSTHAVES
Das A und O: Der virtuelle Datenraum muss allerhöchsten Sicherheitsvorschriften entsprechen. Um ein risikofreies Sitzungsmanagement zu gewährleisten, sollte dieser allerdings zudem diese sechs Must-haves aufweisen:(3)
1. Zertifizierte Sicherheit: Für eine Gremienkommunikation ist es unabdingbar, dass der virtuelle Datenraum ein sehr hohes Sicherheitsniveau besitzt, nachgewiesen durch eine hohe Schutzklasse für Cloud-Dienste (idealerweise zertifiziert nach TCDP-Schutzklas-
(1) Siehe Bundeskriminalamt, Bundeslagebild Cybercrime 2021 (9. 5. 2022) abrufbar unter https://www.bka.de/ SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/Cybercrime/cybercrimeBundeslage bild2021.html?nn=28110 (Zugriff am 23. 5. 2023).
(2) Siehe idgard, Virtueller Datenraum, abrufbar unter https://www.idgard.com/de/produkt/datenraum/?utm_ source=Aufsichtsrataktuell&utm_medium=Fachartikel&utm_campaign=Gremienarbeit (Zugriff am 23. 5. 2023).
(3) Welche Anforderungen Sie an Tools für die digitale Gremienarbeit stellen sollten, erfahren Sie in der kostenlosen Checkliste „Digitale Gremienarbeit – 6 Must-haves für Ihr digitales Sitzungsmanagement“, abrufbar unter https://www.idgard.com/de/produkt/datenraum/sitzungsmanagement-und-vorstandskommunikation/ ?utm_source=Springer&utm_medium=Fachartikel&utm_campaign=Gremienarbeit
Virtuelle Vorstands- und Gremienkommunikation 121 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
Ansgar Dirkmann ist Head of Sales der idgard | uniscon GmbH in München.
se III). Dies gewährleistet, dass die Daten während der Übertragung, Speicherung und Verarbeitung geschützt und unautorisierte Zugriffe technisch ausgeschlossen sind.
2. Betreiberabschirmung: Ebenso wichtig ist das Thema Datenhoheit. Ausschließlich die Gremiums- bzw Vorstandsmitglieder sollten bestimmen können, wer Zugriff auf die Daten hat. Durch technische Vorkehrungen wie die Sealed-Cloud-Technologie ist sichergestellt, dass weder IT-Administratoren noch Cloud-Dienste jemals auf die darin befindlichen sensiblen Informationen zugreifen können. Selbst der Betreiber des Datenraums ist hiervon völlig abgeschirmt.
3. Lizenz- und Gästeverwaltung: Doch auch wenn die Hoheit über die Daten im Gremium verbleibt, heißt das nicht, dass alle, die Zugang zum virtuellen Datenraum haben, automatisch Zugriff auf alle darin enthaltenen Dokumente haben sollten. Hierfür sollte der Datenraum die Möglichkeit bieten, Zugriffsberechtigungen individuell auf Benutzer- und Dokumentenebene festzulegen. Der Administrator des Datenraums kann somit Lese- und Schreibzugriffe erteilen und bestimmen, wer Daten löschen oder weiterleiten darf. Auch sinnvoll: Eine Funktion, mit der sich der Zugriff auf Dateien und Dokumente auf einen bestimmten Zeitraum begrenzen lässt.
4. Einsatz gängiger Technologien: Gerade für Gremiumsmitglieder, die häufig auf Dienstreise sind, ist es unabdingbar, von extern Zugang zu allen nötigen Unterlagen zu haben. Der sichere Zugriff auf den Datenraum muss also auch via Mobilgerät jederzeit möglich sein. Das wiederum heißt, dass ebenso auf dem Tablet, Notebook oder Smartphone dafür gesorgt sein muss, dass die Dokumente verschlüsselt sind und sich zudem von der Ferne aus löschen lassen, sollte das Gerät abhandenkommen. Ebenfalls hilfreich ist eine Synchronisierungsfunktion, die es dem Anwender erlaubt, auch offline – also ohne Netzwerkverbindung – weiter mit den heruntergeladenen Daten zu arbeiten. Ein weiterer Knackpunkt: Da auch bei der Gremienkommunikation gängige Technologien für Videokonferenzen wie Microsoft Teams zum Einsatz kommen, sollte der Datenraum auf jeden Fall eine entsprechende Integration dieser Software ermöglichen.
5. Compliance- und Revisionssicherheit: Aufgrund von Revisions- und ComplianceVorgaben gilt es oftmals, genauestens zu vermerken, wer wann an welchen Dokumenten gearbeitet, diese eingesehen, heruntergeladen, kopiert oder gelöscht hat. Hierfür muss
der virtuelle Datenraum eine sogenannte Journal-Funktion bieten, die ein revisionssicheres Protokoll (Audit Trail) ermöglicht und idealerweise die Filterung nach gewissen Benutzern, Aktionenkategorien und Zeiträumen erlaubt.
6. Sitzungsmanagement-Funktionen: Speziell auf das Sitzungsmanagement abgestimmte Funktionen, die die Vor- und Nachbereitung des Meetings erleichtern, runden das Profil eines virtuellen Datenraums ab. Hierzu zählt etwa ein PDF-Viewer, aber auch die im Folgenden genannten Features sind sinnvoll.
4. FUNKTIONEN EINES VIRTUELLEN DATENRAUMS
y Digitale Sitzungsmappen fassen alle für das Meeting relevanten Dokumente in einem PDF zusammen. Strukturierte Versionen sind in der Lage, automatisch alle Dokumente den jeweiligen Unterordnern zuzuordnen und Inhaltsverzeichnisse dynamisch zu erstellen.
y Eine Chat-Funktion vereinfacht die Kommunikation innerhalb des Gremiums. Sie gestattet es, Mitglieder über persönliche Nachrichten etwa darauf hinzuweisen, dass eine neue Version der Unterlagen verfügbar ist oder ein Dokument auf ihre Sichtung wartet.
y Online-Abstimmungen erleichtern die Beschlussfassung noch während der Sitzung. Die Ergebnisse des Beschlusses sind stets in Echtzeit verfügbar.
y Mit Wasserzeichen versehene Unterlagen sind schreibgeschützt und lassen sich nicht ohne diesen Schriftzug ausdrucken. Dies schränkt die unerwünschte Verbreitung vertraulicher Dokumente ein.
y Eine – auch via Mobilgerät bedienbare – Annotationsfunktion erlaubt es, die Sitzungsmappe innerhalb des sicheren Datenraums mit Zeichnungen, Bildern und Audio-Dateien zu versehen, Änderungen vorzunehmen und Notizen anzubringen.
y Mithilfe der Schwärzungsfunktion (Redaction) lassen sich in einem mit den Gremienmitgliedern zu teilenden Dokument enthaltene Informationen entfernen, die niemand zu Gesicht bekommen sollte. Wichtig: Bei der Schwärzung handelt es sich nicht nur um eine farbliche Markierung. Vielmehr wird die dahinterliegende Information unwiederbringlich gelöscht. So ist es ausgeschlossen, dass unberechtigte Personen doch noch durch Manipulation an die vertraulichen Daten gelangen.
Virtuelle Vorstands- und Gremienkommunikation 122 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
5. FAZIT
Heutzutage ist es auch für Gremienmitglieder unerlässlich, von überall und zu jeder Zeit auf Sitzungsunterlagen zugreifen zu können –auch dann, wenn diese hochsensible Daten oder brisante Informationen enthalten. Sollen diese nicht in die falschen Hände geraten, gilt es darauf zu achten, dass nur Befugte Zugriff erhalten. Statt auf (unverschlüsselte) E-Mails oder File-
Sharing-Dienste zu setzen, sollten die Sitzungsteilnehmer auf professionelle Tools zurückgreifen: Geschützte virtuelle Datenräume, die selbst höchsten Anforderungen an Datenschutz und -sicherheit gerecht werden, gestalten die Gremienkommunikation sicher. Mit speziell auf das Management virtueller Sitzungen zugeschnittenen Funktionen sorgen sie nebenbei auch für mehr Effizienz sowie eine erleichterte Vor- und Nachbereitung der Meetings.
„Mal etwas ganz Neues wagen …“
Wie digitale Beiräte den Zukunftsblick ins Unternehmen bringen und dabei die Welt verändern
Vor rund sieben Jahren initiierte der Digital-Unternehmer Ralf Lauterbach die Marke Deutsche Digitale Beiräte. Seine Mission: mit digitalen Kompetenzen mittelständische Unternehmen nach vorne bringen – der Beirat als Mittler und Trigger für mehr Innovation und Zukunftsblick. Inzwischen ist aus der Marke ein täglich wachsendes Netzwerk geworden. Immer mehr Unternehmer:innen erkennen den Mehrwert, den ihnen ein gut orchestrierter Beirat bringen kann. Digitaler Rat muss nicht teuer sein. Meist bringt er sogar mehr als das promotete Berater-Tool. Doch wie findet man Player, die wirklich was von Digitalisierung verstehen? Dr. Ralf Lauterbach über Narzissten, „Sitz-Beiräte“ und die 100.000-Dollar-Frage.
Ralf Lauterbach: Gerade vor einigen Tagen ist mir durch den Kopf gegangen, dass es doch einfach nicht wahr sein kann, dass immer noch Leute in Aufsichtsräte und Beiräte berufen werden, die überhaupt keine Digitalkompetenz haben. Ich bin der Meinung, Digitalkompetenz muss heute zum Handwerkszeug eines jeden gehören, der/die in solch ein Gremium berufen werden will. Ich empfinde es als geradezu sträflich, diese Rollen an Menschen zu vergeben, die keine Digitalkompetenz mitbringen. Auch bei den Deutschen Digitalen Beiräten (DDB) mache ich gerade die Erfahrung, dass mich immer wieder Leute ansprechen und sagen: „Ich wäre gerne dabei, denn ich bin digitalkompetent und somit der perfekte Kandidat.“
Im nächsten Moment falle ich über zwei Dinge: Das Erste ist, dass es sich um Corporate Manager handelt. Sie sind durchaus erfolgreich, aber häufig mit einer Attitüde von Selbstbewusstsein ausgestattet, bei der ich mich frage, wo die bloß herkommt. Diese Player gehen mit einem ziemlich speziellen Selbstbild los, das da wäre: „Ich bin doch auf den Punkt die geeignete Person, um einem Unternehmer zu sagen, wie der sein Geschäft zu führen hat.“ – Die Krux: Das sind eigentlich gar keine Unternehmer, das sind Manager. Manager sind schon sehr erfolgreich, wenn sie fünf Prozent ihrer Effizienz in irgendeinem Bereich verbessert haben; sie haben aber kein echtes persönliches Risiko mit ihren Entscheidungen. Kaum ein Manager springt über
Hürden ins Ungewisse, wie das ein Unternehmer macht, oder wagt mal etwas ganz Neues.
Das Zweite ist, dass Leute auf mich zukommen, die teilweise gesegneten Alters sind und vielleicht in den 1990er-Jahren mal ganz erfolgreich waren. Sie präsentieren sich mir heute als die angeblich perfekt geeignete Person, um als digitaler Beirat einen relevanten Beitrag zu leisten. Nun sei man zwar nicht mehr operativ tätig, jedoch könne man sich durchaus kompetent einbringen. Offen gestanden hatten diese Persönlichkeiten häufig schon 1990 keine Ahnung von Digitalisierung. Und es ist fraglich, ob das seither besser geworden ist.
Es kann doch nicht sein, dass heute Leute im Beirat oder Aufsichtsrat aktiv werden, die weder die Themen Digitalisierung noch Nachhaltigkeit noch sonst irgendetwas auf dem Radar haben. Selbstverständlich reagiere ich dann immer freundlich und unterhalte mich auch ausführlich mit derlei Mandatsinteressierten. Doch wie sage ich’s dem Kinde, dass diese Person weder Unternehmer ist noch irgendeine Ahnung von Digitalisierung hat?
Mit welchen Argumentationslinien hast du in solchen Gesprächen zu tun? Was spürst du zwischen den Zeilen?
Nun bin auch nicht mehr der Allerjüngste. Trotzdem gibt es einen Unterschied: Ich bin kein „digital immigrant“, sondern ein „digital pioneer“, weil ich das Ganze mitaufgebaut habe. Ich habe einen Internet-Provider gegründet, die
„Mal etwas
Neues wagen …“ 123 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
ganz
Systemtechnik und Infrastrukturen mitgebaut und schon an den allerersten E-CommerceModellen mitgearbeitet. Das heißt: Ich bin nicht jemand, der da irgendwo reingewachsen ist und als Anwender gesagt hat: „Huch, wie geht das?“ Es macht einen deutlichen Unterschied, ob man die Dinge von innen heraus gemacht hat oder sie nur aus der Draufsicht kennt. Deshalb ist mir der „proven track record“ bei den Kandidat:innen so wichtig. Ich will wirklich sehen können, ob der/die schon mal Digitalgeschäft gemacht hat. Ich sage den Leuten immer: „Pass mal auf, ich will nicht Menschen dabeihaben, die ein Buch über Digitalisierung gelesen haben. Ich möchte jene dabeihaben, die das gemacht haben.“
Für wie wichtig hältst du branchenspezifisches Know-how im Beirat?
Persönlich bin ich ein Verfechter dessen, dass man das Fachliche einer Branche relativ schnell lernen kann. Aber man muss das Handwerkszeug für Digitalisierung & Co. wirklich in der eigenen DNA haben. Also: Wie geht ServiceDesign? Wie geht Architektur-Design? Wie erstelle ich eine User-Centric-Analyse? Demnach alles, was mit Digitalisierung von IOT bis hin zu Marketing zu tun hat. Diese Leute sind dann auch geeignet, branchenübergreifend zu arbeiten. Die Methoden sind ja immer die gleichen. Branchenwissen kann man sich – wie gesagt –relativ schnell aneignen; dann hat man zwar vielleicht kein Netzwerk, doch über ein solches verfügt zum Beispiel der Chief Executive oder jemand anderes, der/die da sonst noch im Beirat sitzt, in der Regel ohnehin viel besser.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit denen, die das Thema Beirat am meisten angeht: den Unternehmen selbst? Erkennen Unternehmer:innen überhaupt die Chancen, die mit einem Beirat einhergehen?
Letztens ist es mir wieder passiert, dass mir ein Unternehmer sagte: „Da haben wir keinen … Wir wollen lieber jemanden, der Stallgeruch hat.“ Ich fragte: „Was ist das denn? – Stallgeruch?“
„Ja, der soll hier aus der Szene und der Branche kommen …“ Ich sagte: „Dann stell doch deinen Buddy ein. Aber wie wär’s denn, mal jemanden einzustellen, der woanders herkommt und ganz andere Fragen stellt, weil der einen ganz anderen Blick auf die Dinge hat.“ Das ist doch das, was man sich reinholen möchte: den Blick von außen, einen, der nicht aus der eigenen Soße kommt, sondern frisch ist und sagt: „Habt ihr eigentlich auch schon daran gedacht, oder daran? Und wieso redet jetzt eigentlich über dieses oder jenes Thema überhaupt keiner?“ Ja, warum nicht? Weil der Horizont gar nicht vorhanden ist. Ein Unternehmer muss sich aber zwingend mit Zukunftsthemen befassen, sonst kann er irgendwann die Tür abschließen. Das ist Unternehmerpflicht.
Kann es sein, dass manche Unternehmer gar nicht wissen, auf welche Digitalkompetenz sie konkret setzen müssten und sich aus Unkenntnis heraus nicht trauen, neue Wege zu gehen? So nach dem Motto: Der Wald vor lauter Bäumen …
Da kann ich nur schmunzeln, weil das auf allen Wegen immer wieder auf einen zurückkommt: Viele leben im Bewusstsein, dass sie etwas tun müssen, wenn man das aber wirklich mal konkret einfordert und sagt: „Jetzt müssen wir aber mal was tun“, dann kommt die Antwort: „Das haben wir ja bisher auch nicht gebraucht.“ –Dann kriegt man allzu häufig Widerstände. Das hat mit Angst zu tun, vor allem der Angst, das eigene Geschäftsmodell zu ruinieren. Das ist das berühmte „Innovator’s Dilemma“ nach Clayton M. Christensen. Es ist nun mal so: Wenn man Dinge in Sachen Digitalisierung wirklich maßgeblich verändern möchte, dann stößt man häufig auf ein mittleres Management, das alles blockiert und der Meinung ist: „Das haben wir noch nie gebraucht.“
Was für ein Quatsch, das bringt meine Ziele doch jetzt gar nicht voran. Ich erlebe immer wieder und in unterschiedlichen Ausprägungen, dass gerade jene Menschen, die lange Zeit im Unternehmen sind, Neues gerne behindern. Manchmal sagen die einem das dann vielleicht nicht einmal. Man wird einfach geblockt und bekommt gar nicht mit, warum es nicht weitergeht, man gebetsmühlenartig immer das gleiche sagen muss und nichts passiert. Das ist kein seltenes Phänomen. Sich aus seiner eigenen Komfortzone herauszubewegen, ist manchmal schmerzhaft. Deshalb ist es auch so wichtig, dass Beiräte und Aufsichtsräte eben nicht nur fachlich gut drauf, sondern zugleich auch dazu imstande sind, die Leute mitzunehmen.
Stichwort: Lesen von Bilanzen. Muss ein digitaler Beirat einen kaufmännischen Background mitbringen?
Bei uns ruft niemand an, weil wir Bilanzen lesen können, sondern weil wir Digitalgeschäft verstehen. Dafür gibt es in diesen Gremien ohnehin die Wirtschaftsprüfer:innen oder Steuerberater:innen. Digitale Geschäftsmodelle heißt das Stichwort. Und das ist eigentlich auch der Grund, warum ich das Thema digitale Beiräte so vorantreibe, gerne in Zukunft noch mit dem Zusatz „nachhaltige Beiräte“. Im Kern geht es darum, die neuen Themen zu setzen – und das Thema Digitalisierung treibt uns als DDBler seit 2016 massiv an – und begann eigentlich schon vorher.
Als ich die DDB gegründet habe, war ich an dem Punkt, dass mir die verpennte Digitalisierung in Deutschland dermaßen auf den Keks gegangen ist, dass ich gesagt habe: „Ich mach jetzt was.“ Und jetzt fangen wir gerade mit dem
„Mal etwas ganz Neues wagen …“ 124 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
nächsten Ding an: der künstlichen Intelligenz. Ich bin gespannt, ob wir das in Deutschland auch versemmeln.
Wir werden das nicht versemmeln, denn dieses Interview wird die Stunde Null des Erwachens aller Digital-Schlafschafe sein! Worauf achtest du grundsätzlich und ganz konkret bei der Aufnahme der Player in dein Netzwerk? Es gibt einen Kriterienkatalog: Kannst du diesen kurz skizzieren?
Ja, es gibt 15 Kriterien, um aufgenommen werden zu können; ich bin aber nicht päpstlicher als der Papst. Ich lasse mir von den Leuten ihren Lebenslauf erzählen, höre mir an, was sie gemacht haben und stelle Fragen dazu. Dann schaue ich mir an, was sie in welchem Maß gemacht haben. Nicht alle sind nur als Unternehmer unterwegs gewesen, sondern haben vielleicht auch mal was ganz anderes gemacht. Nicht alle haben einen 100%igen Footprint irgendwo in der Start-up-Szene hinterlassen. Das gibt’s auch nicht, es ist nicht alles binär. Manche erfüllen die Kriterien zu 80 %, manche zu 120 %. Es muss nun mal auch von der Persönlichkeit her passen und von dem, was die jeweilige Person unserem Netzwerk in der jetzigen Situation, in der wir gerade sind, bieten würde. Wenn ich mir so anschaue, wie eine Aufnahme vonstattengeht, dann ist das, zugegeben, schon ein bisschen Rosinenpicken, was ich da mache –ein bisschen nach Gutsherrenart.
Wir haben so viele Leute, die bei uns mitspielen wollen. Denen erzähle ich, wie unser Netzwerk funktioniert. Und dass wir nicht jeden aufnehmen können. Hinterher picke ich mir dann jene Personen heraus, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie in der aktuellen Situation mit ihrem Netzwerk und ihrer Expertise gut zu uns passen würden. Natürlich kann es sein, dass sie dann eine Fähigkeit ein bisschen mehr oder weniger haben. Der Fokus ist aber klar: Sie müssen Digitalgeschäft gemacht haben. Das kann in allen möglichen Ausprägungen geschehen sein. Das kann jemand sein, der einen Internet Provider gebaut hat, das kann aber auch jemand sein, der eine Produktionslinie digitalisiert hat.
Die Interessierten müssen in irgendeiner Form auch unternehmerisch tätig gewesen sein. Entweder haben sie selbst mal ein Unternehmen geleitet oder ein Start-up gegründet, oder sie sind in eine Gründung mit hineingegangen. Ich nehme keine puren Corporate Manager auf – das ist mir wichtig, weil wir vor allem mittelständische Unternehmen beraten. Und der – doch sehr häufig anzutreffende – 75-jährige mittelständische Patriarch wird einen Beirat, der nie ein Unternehmen geleitet hat, nach 15 Minuten vor die Tür setzen, wenn er merkt, dass dieser die Schmerzen eines echten Unternehmers gar nicht kennt.
Kurzbiografie
Dr. Ralf Lauterbach ist Gründer des Netzwerks Deutsche Digitale Beiräte und geschäftsführender Gesellschafter der 1stMOVER Management GmbH. Er ist Diplom-Physiker und promovierter Ingenieur und hat ein Dutzend Unternehmen gegründet. In den 2000er-Jahren war Lauterbach als CTO und Director unter anderem in der Produkt- und Softwareentwicklung bei der Versatel Internet Group in Amsterdam tätig, später beim globalen VodafoneKonzern in London und Düsseldorf. Als „digital pioneer“ hat er digitale Infrastrukturen aufgebaut und digitale Geschäftsmodelle entwickelt. Bis heute begeistert er sich leidenschaftlich für neue Ideen und Innovationen – und bringt sein Wissen als Beirat in Unternehmen ein.
Wie organisiert ihr euch als Netzwerk?
Wir haben bei uns 80 bis 90 % echte Macher:innen, die alle irgendetwas auf die Beine gestellt haben. Das führt dazu, dass die Leute, die bei den DDB aktiv sind und in Aufsichtsräten sowie Beiräten mitarbeiten, auch als Geschäftsführer unterwegs waren. Die meisten haben das Potenzial, auch unser Netzwerk ordentlich durcheinander zu wirbeln. Das heißt, ich muss schauen, dass ich die Mitglieder irgendwie in diesen Leitplanken halte: dass wir für Digitalisierung und Unternehmertum stehen, dass wir von außen einen frischen Blick in andere Unternehmen hineinbringen wollen, dass wir gewisse Expertisen mitbringen und die neuen Themen, die wichtig sind, entsprechend beherrschen. Deshalb stand im letzten Jahr etwa das Thema Cyber Security ganz oben auf der Agenda. Dieses Thema haben wir immer wieder hochgeworfen, uns intern damit beschäftigt und gesagt. „Hey Leute, wenn ihr als digitale Unternehmer in einem Beirat aktiv seid und euer betreutes Unternehmen angegriffen wird, ohne dass ihr euch damit zuvor je beschäftigt habt, dann seid ihr hier falsch. Ihr müsst die Unternehmen darauf vorbereiten, dass so ein Fall eintreten kann. Also: Habt ihr geschaut, ob es da Checklisten gibt?
Hat sich das Unternehmen bereits darüber informiert, wer, sollte der Fall X eintreten, angerufen werden kann, oder fangen die dann an, das Rad neu zu erfinden? – Nein, das muss alles vorbereitet sein! Und das ist unter anderem eine Rolle, die ein digitalaffiner Beirat können muss. Er/Sie muss ein Unternehmen für solche Fälle fitmachen – auch wenn das nochmal so sehr gegen den Strich gehen mag. Ein digitaler Beirat muss diese Forderung stellen, denn eine solche Situation wird eintreten. Es ist nicht die Frage, ob, sondern wann. Deswegen wollen wir diese wichtigen Themen, um die sich ein Beirat kümmern muss, in unserem Netzwerk diskutieren und die Leute fit dafür machen. Das ist ua auch ein Grund, warum ein Beiratsgremium ein hohes Maß an wirtschaftlicher Unabhängigkeit mitbringen muss. Wenn sich die Beiräte nicht trauen, Unangenehmes anzusprechen, weil sie fürchten, dann ihr Mandat zu verlieren, sind sie für den Job nicht die Richtigen.
Ein anderes großes Thema ist das Netzwerk selbst. Wir sind kein Verein, kein Verband, kei-
„Mal
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etwas ganz Neues wagen …“
ne gemeinnützige GmbH. Wir sind nur eine Marke. Wir sind noch nicht einmal eine „legal entity“. Wir haben nur ein gemeinsames Verständnis, einen gemeinsam unterzeichneten Markenvertrag, keine Jahresbeiträge, keine Vermittlungsprovisionen, ja auch kein eigenes Geschäftsmodell der Plattform. Eine kommerzielle Beziehung kommt daher immer nur bilateral zwischen den Kandidat:innen und dem Unternehmen zustande, niemals aber mit der Plattform der DDB. Wir sind daher kein Wettbewerber von Headhuntern oder anderen suchenden Organisationen, sondern laden alle gerne ein, sich auf unserer Plattform umzuschauen und die Mitglieder direkt anzusprechen. Die DDB sind ein altruistisches Netzwerk meinerseits, und ich habe mich selbst einfach als möglicher Kandidat dort miteingereiht. Wir wollen die Methode „digitaler Beirat“ in Unternehmen sozusagen hoffähig machen.
Was sind die aktuellen Themen, die euch umtreiben?
Im Moment sind wir auf dem Stream künstliche Intelligenz. Wir haben bei den DDB Leute, die seit vielen, vielen Jahren tief im Thema drinstecken und selbst ganz viel Erfahrung mitbringen. Das heißt, wir brauchen noch nicht mal so sehr Input von außen, sondern können einfach in unser Netzwerk hineinfragen: Auf diese Weise findet ein sinnvoller und gewinnbringender Austausch auch intern statt.
Bei Aufsichtsräten in DAX-Unternehmen gibt es juristische Stellschrauben. Da möchte man das Board schon aus diesem Grund kompetent besetzen. Wie ist das bei Unternehmen, die nicht mal einen Beirat haben, weil sie denken, das sei zu viel Aufwand, oder wenn, dann bloß als „Sitz-Beiräte“, die man der Website und der klingenden Namen wegen rekrutiert hat? Wie kann man Unternehmer:innen den Mehrwert transparent machen, den ihnen ein gut gematchter Beirat bringt?
Wie nennst du das? „Sitz-Beiräte?“ [lacht] –Das ist die 100.000-Dollar-Frage, würde ich sagen. Wenn du die Lösung hast, lass es mich wissen – dann würde ich manchen noch mal ein bisschen was erzählen.
Es ist ja häufig so, dass Unternehmer nach außen hin sagen, dass es völlig klar sei, dass etwas verändert und getan werden müsse. Aber einen Beirat installieren? „Ne, das können wir alles selber.“ Darum geht es aber nicht. Es geht doch darum, Input von außen und neue Sichtweisen zu bekommen. Da bekommt man dann an den Kopf geknallt: „Ich lass doch nicht irgendwelche fremden Leute in meine Zahlen gucken.“ Je weiter man in solche Familienstrukturen reinkommt, umso weniger ist man bereit, Zahlen sichtbar zu machen. Dabei musst du diese als Beirat kennen, damit du weißt, wo das Unternehmen steht. Wel-
che Möglichkeiten es überhaupt hat und welche Investitionspower überhaupt vorhanden ist. Wie viel Budget kann ich umwidmen, um irgendetwas Neues zu machen? Wenn jemand als Beirat wirklich ernsthaft arbeiten will, dann muss er in alle Zahlen blicken können, Zugriff auf alles im Unternehmen haben, um sich überhaupt ein Bild machen zu können.
Die Unternehmer:innen sollten es so verstehen: „Ja, ich lasse da wildfremde Leute reingucken, die hole ich mir gezielt rein – als sich langfristig dem Unternehmen verbunden fühlende Menschen, die auch dann bleiben, wenn es mal knirscht und nicht so gut läuft.“ Ein Berater ist weg, wird es mal eng. Sind die Zahlen in herausfordernden Zeiten nicht mehr so gut, schwindet das Interesse schnell. Demgegenüber bleibt man als Aufsichtsrat oder Beirat dem Unternehmen langfristig verbunden, auch wenn es durch die Krise geht.
Und wenn wir einen Schlüssel gefunden haben, mit dem wir Unternehmer:innen davon überzeugen können, in diesem Punkt ihre Einstellung zu ändern und zu sagen: „Die wollen mir ja nichts, die wollen mir helfen, das sind erfahrene Unternehmer, die dieses Geschäft vielleicht schon mal woanders gemacht haben, die ein Netzwerk mitbringen, die wissen, wovon sie reden, die auch wissen, welchen Blödsinn man lieber nicht machen sollte, weil dieser nur Geld kostet und nichts bringt.“ Irgendwann werden sie dann vielleicht verstehen, dass es nicht klug ist, sich Personen reinzuholen, die bloß Profit machen wollen, sondern besser solche, die sich wirklich als Sparringspartner mit an einen Tisch setzen und auf die man sich in den nächsten Jahren verlassen kann.
Dass man mit einem Beiratsmandat nicht unbedingt reich wird, sollte bekannt sein. Ungleich mehr profitieren Unternehmen, die sich einen Beirat leisten – eine Investition in die Zukunft.
Es gibt so viele, die denken, mit Beiratsmandaten könne man viel Geld verdienen. Mitnichten! Als Beirat verpflichte ich mich, für einen Pauschalbetrag typischerweise viermal im Jahr für das Unternehmen da zu sein – und ob die mich nun zehnmal im Jahr anrufen oder 50 Mal: Das kostet das gleiche. Es ist für jene, die einen Beirat engagieren, in der Regel immer viel lukrativer, als ein Consulting-Unternehmen einzubinden, das bloß darauf aus ist, abrechenbare Tagessätze zu verkaufen. So etwas macht ein Beirat nicht. Gerade in der Corona-Krise haben wir gemerkt, dass die Anzahl der Kontaktaufnahmen zu unseren Beiräten sprunghaft zunahm, weil die Unternehmen zum Teil dastanden und nicht mehr weiterwussten. Die Beiräte sind einfach da und bleiben dem Unternehmen auch in solchen Krisensituationen erhalten.
„Mal etwas ganz Neues wagen …“ 126 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
In Abgrenzung zum Aufsichtsratsmandat haben Beiratsmandate oft noch das Image von „Mandätchen“, die man in Form von vier Sitzungen im Jahr abfeiern kann. Den guten Beirat zeichnet doch aus, dass man einzelne Beiratsmitglieder bei dringenden Fragen, wie du eben sagtest, auch mal informell, abseits der vereinbarten Board Meetings kontaktieren kann. Wie stimmt man so etwas optimal ab, damit beide Seiten zufrieden sind?
In meinen eigenen Engagements ist es so, dass man seine festgelegte Anzahl an Sitzungen hat. Diese vereinbart man zwei-, drei-, viermal, je nachdem, wie häufig sich die Unternehmensleitung oder der Gesellschafterkreis eine offizielle Beiratssitzung wünscht. Dann hat man typischerweise vier solcher Sitzungen. Ich habe es aber immer so gehalten, dass ich mindestens einmal im Monat zusätzlich One-to-One-Meetings mit dem Geschäftsführer und den Gesellschaftern on top gemacht habe. Das waren teils sporadische Gespräche, mal hier zwei Stunden, mal dort drei Stunden, bei denen man sich noch einmal zusammensetzt und ausgetauscht hat. Ich halte sehr viel davon, nah am Unternehmen zu sein und wirklich zu begleiten.
Andernfalls kann man hinterher auch keinen vernünftigen Rat geben. Das Wort Beirat besteht ja nun mal aus „Bei“ und „Rat“, so wie Aufsichtsrat aus „Aufsicht“ und „Rat“ – man hat schließlich nicht nur eine Kontrollfunktion, sondern soll auch Input geben. Im Übrigen kann das Unternehmen über seine Beiratsordnung genau festlegen, was es sich wünscht, was der Beirat mitentscheiden darf und was nicht.
Damit sind wir wieder beim Thema digitaler Beirat und Nachhaltigkeit. Der Beirat sollte eine eindeutige und aktuelle Expertise in diesen Themen haben, sonst kann er/sie keinen Rat geben.
Genau. Wenn jemand Beirat werden möchte und sagt, er habe zwar Unternehmen geleitet, das sei aber schon 20 Jahre her, dann gebe ich zur Antwort, dass das nichts bringt. Auch zum Geldverdienen ist das, wie erwähnt, nichts. Schau dir etwa die Studien zum Thema Beirat von PwC an. Man ist als Beirat top bezahlt, wenn man 35.000 € pro Jahr bekommt. Die meisten Beiratsmandate sind viel kleiner – die echten Ausnahmen sind etwa jene zehn Lichtgestalten in Deutschland, die mehr als 100.000 € über ihr Beiratsmandat verdienen.
Trotzdem ist zu beobachten, dass die Attraktivität von derlei Mandaten zunimmt. Bei manchen ist es vielleicht doch der Gedanke, bei geringerer Vergütung mehr Freiheit zu haben und dabei den Blick für neue Themen zu weiten. Welchen Persönlichkeitstypen begegnest du, und wie siehst du deren Rolle im Beiratsteam?
Für mindestens 90 % der Leute aus unserem Netzwerk kann ich sagen: Die machen das nicht wegen des Geldes, sondern weil sie Lust auf die Rolle haben und etwas weitergeben oder zurückgeben wollen – das ist eigentlich das richtige Wort: zurückgeben. Sie sind der Ansicht, bisher Glück in ihren eigenen Karrieren und Laufbahnen gehabt sowie gut verdient zu haben und nun etwas zurückgeben wollen. Natürlich gibt es aber auch eine gewisse Anzahl von Leuten, die sich auf eine Art Thron setzen wollen. Solche, die meinen, das sei eine gute Rolle, die man für die eigene Reputation vermarkten könne.
Die meisten Dinge sind jedoch nicht planbar. Bei Licht betrachtet, entsteht unternehmerischer Erfolg zu 80 % durch Zufall. Man braucht also letztlich sehr, sehr viel Glück. Ich kann das auch von mir behaupten, weil an den richtigen Stellen zur richtigen Zeit neue Unternehmen gegründet wurden, bei denen ich die Hand gehoben und gesagt habe, das würde ich gerne machen. Wäre ich zum Beispiel ein paar Monate später dagestanden, wäre das Ding an mir vorbeigelaufen. Und das wissen viele, die ein bisschen reflektieren: Wieso stehe ich eigentlich da, wo ich bin? Viele erkennen, dass sie selbst Glück hatten und möchten nun ein bisschen von dem an andere zurückgeben und weiterhelfen. Das ist eine große Motivation, die man nicht unterschätzen darf.
Und woran erkennst du die wahre Motivation der digitalen Beiratsinteressierten? Wer ist wirklich Sinn-driven?
Ich hatte das Vergnügen, sehr viele Gespräche in meinem Leben zu führen, mit Leuten, die sehr schlau sind, die viel erlebt und ein großes Netzwerk haben. Ich habe auch viele Bewerbungsgespräche auf wichtige Rollen in Unternehmen geführt – auch Coaching-Gespräche, weil ich da ja selbst aktiv bin und nebenbei ein bisschen Executive Coaching mit Personen gemacht habe, die sich in ihren eigenen Rollen irgendwie weiterbringen wollten. Hat man das eine Weile gemacht, kommt man in den Gesprächen innerhalb kürzester Zeit auf den eigentlichen Treiber. Man weiß nach fünf Minuten, ob derjenige/diejenige das kann oder nicht. Man weiß auch relativ schnell, ob sich da jemand auf einen Sockel setzen will oder es sich um jemanden handelt, der/die einfach Lust hat, das zu machen, um die Sache weiter voranzubringen. Du spürst das sofort.
Ich versuche auch, keine Leute in unser Netzwerk zu holen, die narzisstische Züge haben. Es ist mir zutiefst zuwider, mit solchen Leuten zusammenzuarbeiten. Da versuche ich, einen großen Bogen drum zu machen. Gerade in Managementpositionen oder – noch schlimmer – in Corporate-Management-Positionen
„Mal
…“ 127 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
etwas ganz Neues wagen
im Vergleich zu Familienunternehmen findet man derlei narzisstische Charaktere jedoch häufig, die andere weggerammt haben und dann irgendwann in so einer Position sind, wo sie sich so richtig ausleben und jeden Tag erneut auf den Sockel setzen können. Solche Personen möchte ich in unserem Netzwerk nicht haben. Daher achte ich auch sehr stark darauf, wer oder was die Treiber dahinter sind. Möchten diese Leute etwas weitergeben? Haben die vielleicht eine altruistische Motivation? Sind es Personen, die ihr Leben verändern möchten, weil sie zum Beispiel aus der operativen Rolle heraus, aber weiter Kontakt haben und noch was Sinnstiftendes tun wollen? Dabei handelt es sich um jene, die bereits am Ende ihres Berufslebens angekommen sind.
Dann haben wir auch viele Personen, die Anfang bis Ende 40 sind und das, was sie jetzt machen, weitergeben möchten, weil sie reflektiert genug sind und wissen, was sie tun. Sie möchten etwas Sinnstiftendes tun und so in entsprechende Rollen hineinkommen, die dann auch, wie man so schön sagt, Impact haben. Das ist das Schöne am Beirats- und Aufsichtsratswesen: Man ist an einer Stelle, an der man wirklich Einfluss ausüben, wirklich etwas verändern kann.
Deutsche Digitale Beiräte: Dürfen auch Österreicher:innen mitmachen?
Natürlich dürfen auch Österreicher:innen mitmachen – wir haben auch Mitglieder aus dem Schweizer Raum und aus den Niederlanden. Dafür haben wir das Ziel der ChapterBildung bei uns ausgerufen. Allerdings fahren wir hier mit angezogener Handbremse. In den Niederlanden gibt es inzwischen den NEDERLANDSE DIGITALE ADVIESRAAD, in der Schweiz denken wir über eine lokale Initiative nach. Aber das ist immer verbunden mit der Anforderung von Sprachkenntnissen und der Kenntnis der lokalen Gegebenheiten. So haben wir in der niederländischen Initiative auch nur Personen, die Niederländisch sprechen. Außerdem sollen sich die Initiativen an den Werten der DDB orientieren: kein Geschäftsmodell, keine Gebühren, keine Provisionen und klare Kriterien für die Aufnahme. Ein ähnliches Modell gibt es in Österreich bereits mit der „Digital Governance Excellence“-Initiative von Michael Weilguny. Damit ist Österreich bereits gut aufgestellt; wir sind partnerschaftlich miteinander verbunden, und es gibt keinen Grund für uns, als DDB aktiv zu werden.
Künstliche Intelligenz: Was ist dein Gebot der Stunde?
Mitmachen! Deutschland sollte mitmachen und sich nicht treiben lassen, vor allem nicht in Sachen künstlicher Intelligenz. Alles, was an neuen Technologien auf dem Markt ist, hat eine
positive und eine negative Seite. Und wir wären ja mit der Wurzelbürste gepudert, würden wir immer nur sagen, wie schlimm das das ist und wie wir das verhindern können. Wir sollten da jetzt aktiv mitmachen. Denn nun können wir mitgestalten, die richtigen Weichen stellen und somit mitbeeinflussen, wie sich künstliche Intelligenz in unsere Gesellschaft einbringen wird. Da geht es ganz entscheidend darum, ethische Aspekte einzubringen. Man sollte aber bitte nicht wieder verweigern, wie bei vielen anderen Sachen der Digitalisierung.
Die Eigenverantwortung, selbst gestalterisch tätig zu werden, wenn es um die Zukunft geht, kommt lustigerweise selbst im Denken der Zukunftsgestalter:innen kaum vor. Künstliche Intelligenz nehmen viele als monströses Gegenüber wahr, das sich mit schwarzen Schwingen über unser Land breitet, statt mal auf die Idee zu kommen, dass wir selbst es sind, die diese Schwingen mitgestalten können.
Ja, das ist so genial! Damit kann man so tolle Sachen machen.
Die verstehen einfach nicht, dass man auf den Flügeln der Krähe, die Flügel der Friedenstaube geradezu kreieren könnte …
Die künstliche Intelligenz wird unsere Welt mehr verändern als der Digitalisierungsschub vor 30 Jahren. Sie wird unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft radikal verändern, und das betrifft diesmal nicht die ganz einfachen Jobs, wo Schreibkräfte ersetzt werden, sondern die künstliche Intelligenz wird smarte Jobs, also jene von Kreativen, Textern, Übersetzern, Juristen und sogar Softwareentwicklern weitgehend ersetzen.
Erst kürzlich kam die Meldung durch die Medien, dass der Börsenkurs von Chegg, einer Plattform für Online-Bildungssysteme, abgesemmelt sei. Warum? Weil Dan Rosenzweig, der Chef von Chegg, in einem Interview anmerkte, dass er sehe, dass jene Studenten, die sonst auf seine Plattform kommen würden, ChatGPT für sich entdeckt hätten. Daraufhin meinten einige, das könnte disruptiv das Geschäftsmodell der Online-Learning-Plattformen angehen. Und daraufhin stürzte der Aktienkurs von Chegg um 38 % ab.
Also Leute: Aktien kaufen!
… und hoffen, dass sie sich wieder beruhigen. Das wäre doch mal eine Maßnahme. Wie schön, wenn jemand in allen Dingen erstmal das Positive sehen würde … Die künstliche Intelligenz wird die Welt verändern, und zwar dramatisch. Davon bin ich fest überzeugt. In fünf Jahren wird unsere Welt deutlich anders aussehen – positiv anders.
Das Gespräch führte Mag. Clarissa-Diana de Grancy.
„Mal etwas ganz Neues wagen …“ 128 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
Mag. Clarissa-Diana de Grancy ist geschäftsführende Gesellschafterin und Gründerin der WOMEN’S BOARDWAY GmbH in Berlin.
Victoria Riess
ChatGPT und künstliche Intelligenz
Chancen und Herausforderungen generativer künstlicher Intelligenz für Aufsichtsrat und Corporate Governance
ChatGPT von OpenAI ist schneller auf über eine Million Nutzer angewachsen als viele der dominierenden Tech-Apps und -Plattformen des letzten Jahrzehnts. Die generative künstliche Intelligenz (KI) baut als das „nächste große Ding“ der Technik auf jahrzehntelangem maschinellem Lernen auf, das bereits in Geschäftsprozesse integriert ist. Doch was sind die Chancen und Herausforderungen der KI-Einführung für den Aufsichtsrat und die Corporate Governance?
Was heute im Bereich der KI geschieht, ist die Beschleunigung von Technologieprozessen, die bereits seit bis zu zwei Jahrzehnten in einer Vielzahl von Unternehmensfunktionen eingesetzt werden, von der Softwareentwicklung bis hin zu Finanzen, Betrieb, Recht, Logistik und Kreativität. Aufsichtsräte mit Mandaten aus allen Branchen von Einzelhandel, Medien, Recht, Landwirtschaft bis hin zur Logistik berichten von zahlreichen Beispielen, wie KI bereits in effizientere Geschäftsprozesse eingebettet ist.
Der Markt nimmt die neuesten KI-Fortschritte eindeutig ernst, vielleicht nirgendwo deutlicher als Anfang Februar 2023 in der Schlacht zwischen Microsoft und Google über konkurrierende KI für Suchmaschinen. Die KI wird alle Branchen verändern, deshalb muss jeder darüber nachdenken, nicht nur in Data Science. Bei allem, was Unternehmen tun, werden sie über verstärkende Tools verfügen, die sich in den nächsten drei bis zehn Jahren als Grundlage für alles, was sie tun, durchsetzen werden. Bei der generativen KI und der KI im weiteren Sinn geht es um viel mehr als nur um eine neue Ära der Internetsuche.
Im Folgenden sind einige der Vorteile und Risiken aufgeführt, an die Aufsichtsräte denken müssen, wenn Topmanager:innen ihrer Mandatsunternehmen generative KI in die Geschäftsabläufe sowie in die Dienstleistungen und Produkte für Verbraucher:innen integrieren – wobei viele von ihnen KI bereits eingeführt haben.(1)
1.1. Vom Meistern einer Aufgabe durch KI zur Beherrschung aller Aufgaben
Viele KI-Fortschritte der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass Rechenleistung für die Beherrschung einer einzigen komplexen Aufgabe
eingesetzt werden kann, zB für ein Schachspiel oder einen Netflix- oder TikTok-Empfehlungsalgorithmus. Die Lektion von ChatGPT ist in einer wichtigen Hinsicht anders: Sie definiert die Grenzen dessen, was eine Maschine lernen kann, neu. Man kann sogar davon sprechen, dass eine weitere industrielle Revolution im Gange ist.
Die Deep-Learning-Modelle, die derzeit entwickelt und auf den Markt gebracht werden, haben Anwendungsfälle, die letztlich alle Sektoren und alle Funktionsteams betreffen, die heute Aufgaben manuell erledigen.
Um es auf den Punkt zu bringen, ist das Beispiel der Aktienanalyse beim Mandaten einer Aufsichtsrätin zu nennen. Das Topmanagement in diesem Unternehmen verwendet ChatGPT im Finanzbereich. Dazu wählt das Unternehmen 5.000 Bilanzen aus, liest sie mit ChatGPT innerhalb von Sekunden, kann alle Finanzinformationen extrahieren, einen Risikoscore berechnen und eine Entscheidung über das Risiko eines Portfolios treffen.
Auch in der Kreativwirtschaft hat das Niveau der Ausgereiftheit und der Lösungen, die man lösen kann, wenn man Deep-LearningSprachmodelle wie ChatGPT trainieren kann, tiefgreifende Auswirkungen auf funktionale und kreative Arbeitsplätze. Während die traditionelle KI nur Probleme in stark analytischen Bereichen gelöst hat, bringt diese neue KI diese Fähigkeiten zu jedem/jeder Mitarbeiter:in in der Kreativwirtschaft und nicht nur den Data Scientists – die „Demokratisierung von KI“.
1.2. ChatGPT wird Arbeitsplätze kosten, aber auch Arbeitsplätze schaffen
Während das klassische Argument gegen KI lautet, dass sie Arbeitsplätze vernichten wird, verfechten Aufsichtsräte aus verschiedenen Branchen seit Jahren die Meinung, dass dies nicht der Fall sein und KI repetitive oder banale Aufgaben übernehmen wird, die Menschen gar nicht erst
(1) Vgl den Deutschen Corporate Governance Kodex idF vom 28. 4. 2022 (mit Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger am 27. 6. 2022).
ChatGPT und künstliche Intelligenz 129 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
1. DIE CHANCE – WARUM CHATGPT DIE SPIELREGELN DER KI VERÄNDERN WIRD
Victoria Riess, MBA von den Deutschen Digitalen Beiräten ist Senior Strategy Advisor, Executive, Geschäftsführerin, Gründerin in der Technologiebranche und mehrfach ausgezeichnete Top Women Leader in Tech aus Bayern.
erledigen sollten, sodass Menschen wichtigere Aufgaben übernehmen können. Allerdings gibt es auch einige Beispiele für Arbeitsplatzverluste. Beispielsweise wurden die manuellen Laborant:innen, die sich mit Mikroskopen und Bildern abmühen, bereits in den letzten zehn Jahren ersetzt. Bei Anwält:innen und Buchhalter:innen zeichnet sich ab, dass die KI im Moment nicht die Anwält:innen ersetzen wird, sondern dass jene, die KI nutzen, die Anwält:innen ersetzen werden.
Im Technologiesektor zeigt sich, dass Experimente, die vor vier Jahren mit generativer KI für Serviceanfragen durchgeführt wurden und diese dazu geführt haben, dass etwa 89 % der ungeplanten Serviceanfragen des Unternehmens jetzt völlig autonom bearbeitet werden. Da sich die Reaktion auf diese Front-End-Interaktion im Laufe der Zeit verbessert hat, gab es auch keine Fluktuation im Team.
1.3. Der Einzelhandel baut auf die vorhandene KI-Intelligenz der Geschäfte
Im Einzelhandels zeigt sich, dass aktuelle Technologien wie die Automatisierung von Roboterprozessen und Anwendungen des maschinellen Lernens im Bereich der Prognosen Bausteine sind, die bereits in fast jeder Branche im Einsatz sind. Sie zeigen, dass die nächste Stufe der KI nicht darauf ausgerichtet ist, Arbeitsplätze zu ersetzen.
Jeder Aufsichtsrat hat den tiefen Wunsch aus betrieblicher und finanzieller Sicht, effizienter zu werden, damit die Kund:innen bekommen, was sie wollen. Was generative KI leistet, ist, dass sie dem Topmanagement wirklich hilft, dessen maschinelles Lernen auf die n-te Stufe der endlichen Stufe zu bringen. Dh, generative KI hilft, viel schneller zu einer vorgefertigten Antwort zu kommen, bei der man nicht für jede einzelne Sache alle Modelle mit seinen eigenen Daten trainieren muss.
Das kann bedeuten, dass KI die besten Standorte für Einzelhandelsgeschäfte identifiziert und den Versand von Artikeln an die Geschäfte optimiert, ohne dass ein Data Scientist bei jedem Schritt des Prozesses dabei sein muss. Wenn die generative KI die Data Scientists und Expert:innen für maschinelles Lernen von der Schulung der Technologie bei jedem Schritt befreien kann und nur auf das „Inkrementelle“ achtet, wird es immense Produktivitätsverbesserungen im Einzelhandel geben.
Diese intelligenten Maschinen können ohne Investitionen, ohne kostspielige Investitionsentscheidungen, Top Executives dabei helfen, zu verstehen, was das Ergebnis sein könnte und dieses auf einige wenige Auswahlmöglichkeiten eingrenzen, im Gegensatz zu einer unendlichen Anzahl an Auswahlmöglichkeiten. Darin liegt die wahre Stärke.
2. DIE HERAUSFORDERUNGEN DER GENERATIVEN KI
Es gibt beim Setzen von Impulsen für die Nutzung generativer KI in der unternehmensinternen Diskussion aber auch ernstzunehmende Herausforderungen und Risiken für den Aufsichtsrat:(2)
y Fehlinformationen oder einfach nur ungenaue Informationen, die bereits von KI produziert werden;
y Rauschen in den Daten, auch bekannt als „junk science“, das Unternehmen in kostspielige Sackgassen führen kann;
y Voreingenommenheit;
y Bedrohung menschlicher Arbeitsplätze;
y Probleme im Zusammenhang mit der Einwilligung, wenn Menschen mit KI sprechen und den Unterschied nicht mehr erkennen können;
y Urheberrechtsfragen.
2.1. Ein Wilder Westen beim Urheberrecht von Konsumgütern ist denkbar
Konsumgüter sind ein Bereich, in dem Urheberrechtsfragen häufiger und ohne Präzedenzfall beim Aufsichtsrat auftauchen könnten, und zwar aufgrund der Basisnatur dessen, was derzeit geschieht.(3)
In der jüngeren Vergangenheit wurden Produktentwicklung und Technologie integriert, um Kundenerlebnisse zu schaffen, jetzt geschieht es aber, dass kreative Leute Produkte wie DALL-E und Midjourney – zwei beliebte generative KI-Kunstprogramme – nutzen, um sich bei der Produktentwicklung in der Konsumgüterindustrie inspirieren zu lassen.
Die positive Seite ist, dass es eine großartige Möglichkeit ist, den kreativen Prozess in Gang zu bringen, um KI-gesteuerte Moodboards und ähnliche Dinge zu erstellen, wenn sie neue Produkte entwickeln. Aber die Kehrseite der Medaille ist, dass dieser ganze IP-Aspekt, das Eigentum am geistigen Eigentum und wie es
(2) Vgl Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für Künstliche Intelligenz (Gesetz über Künstliche Intelligenz) und zur Änderung bestimmter Rechtsakte der Union, KOM/2021/206 endg.
(3) Vgl Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. 4. 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl L 119 vom 4. 5. 2016, S 1.
ChatGPT und künstliche Intelligenz 130 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
sich entwickelt, der heikle Teil der Sache für den Aufsichtsrat ist.
2.2. Einverständniserklärung bei der Nutzung generativer KI ist nicht klar
In den Nachrichtenmedien wurde viel über die Befürchtung berichtet, dass Fehlinformationen noch effektiver werden, und in der akademischen Welt wird befürchtet, dass Studenten neue KI-Tools zum Schummeln verwenden und der Betrug nicht aufgedeckt werden könnte. Im Aufsichtsrat wird jedoch auch eine andere Form des Betrugs als Risiko bei der Einführung von Technologien gesehen.
Aufsichtsräte in der Gesundheitsbranche befürchten, dass Marken, die wahllos KI einsetzen, möglicherweise das Vertrauen der Verbraucher untergraben, wenn die Technologie die Gespräche ohne ein hohes Maß an Transparenz führt.
Apps für die psychische Gesundheit haben zB bereits mit ChatGPT experimentiert und die Antworten von ChatGPT verfassen lassen, was tatsächlich effektiv sein kann, aber die Frage aufwirft, ob die Antworten nicht von einem Menschen stammen. Das allgemeine Konzept von Chat-Apps für psychische Gesundheit, die Bots verwenden, ist nicht neu, und viele gibt es schon seit Jahren.
Aber die Bots so weit zu bringen, dass sie wie Menschen wirken, ist in gewisser Weise das Ziel der KI, wie es im Turing-Test festgelegt wurde: den Punkt zu erreichen, an dem Menschen in einer Unterhaltung nicht mehr zwischen einer Maschine und einem Menschen unterscheiden können. Und es wird für den Aufsichtsrat schwerwiegende Probleme geben, wenn es darum geht, wie das Topmanagement der Mandatsunternehmen die KI offenlegt und die Zustimmung der Nutzer erhält.
3. UNTERNEHMENSVORSTÄNDE BRAUCHEN MÖGLICHERWEISE EINEN KIBEAUFTRAGTEN
Der verantwortungsvolle Einsatz von KI wird weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Diskussion sein. Aufsichtsräte müssen möglicherweise darauf hinwirken, eine KI-spezifische Vorstandposition einzurichten. KI wird die Menschheit vorantreiben, aber das Topmanagement müsste es langsam angehen, während es herausfindet, wie KI am besten zu nutzen ist; ähnlich wie bei Software gibt es Viren und Antivirenprogramme.
Das könnte KI auch ins Fadenkreuz von ESG-Investoren rücken, die sicherstellen müs-
sen, dass der ethische Aspekt Teil der Mission von Unternehmen ist, die KI einsetzen. Hier müssen Aufsichtsrat und große Investoren eingreifen und kontrollieren, was das Profil des Unternehmens ist, wenn es diese KI einsetzt. Ebenso wie Unternehmen einen ESG-Beauftragten im Vorstand haben, müssen sie in Zukunft einen KI-Beauftragten – Chief AI Officer – im Vorstand haben.
3.1. Der Verzicht auf den Einsatz von KI könnte für die Gesellschaft das schlechtere Ergebnis sein
Die Debatte wird weitergehen, aber auf der anderen Seite aller Risiken, die mit der Einführung von KI verbunden sind, steht das Risiko für den Aufsichtsrat und dessen Mandate, KI nicht zur Optimierung von Prozessen in Bezug auf Themen wie Umweltauswirkungen einzusetzen – vor allem in der Logistikbranche.
KI-gesteuerte Fertigung und Automatisierung sind entscheidend für Optimierung und Ertrag. Wenn Logistikunternehmen mit ihren Kunden sprechen, erscheint es heute einfach unverantwortlich, KI nicht zu nutzen, um die Umweltauswirkungen des Schrotts und die niedrigen Erträge in der Produktion auszugleichen. Es ist unverantwortlich für den Aufsichtsrat, sich nicht mit KI-Lösungen zu befassen, weil diese heute so leistungsstark sind.
3.2. Selbst Skeptiker sind beeindruckt, jedoch sollte der Aufsichtsrat Impulse für Richtlinien setzen
Abschließend sei gesagt, dass der Aufsichtsrat das Geschehen nicht unterschätzen sollte, weil es die Zukunft wettbewerbsfähiger Unternehmen und erfolgreicher Top Executives prägen wird.
Es gibt viele Herausforderungen und eine Reihe schwieriger Governance-Probleme, die der Aufsichtsrat bewältigen muss. Die Chancen sind aber viel zu groß, um sie einfach zu ignorieren. Die Realität ist, dass es bei jeder Veränderung Herausforderungen gibt. Der Aufsichtsrat muss sich da durcharbeiten. Die Zeit wird sehr schnell ablaufen.
Daher sollte jeder Aufsichtsrat die Probleme, die KI aufwirft, bewerten, um festzustellen, inwieweit sie ein wesentliches Risiko für das Unternehmen darstellen. Jeder Aufsichtsrat muss KI unter Berücksichtigung des eigenen Risikoprofils des Mandatsunternehmens betrachten.(4)
(4) Vgl Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung der Vorschriften über außervertragliche zivilrechtliche Haftung an künstliche Intelligenz (Richtlinie über KI-Haftung), KOM/2022/496 endg.
ChatGPT und künstliche Intelligenz 131 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
Mögliche Maßnahmen für den Aufsichtsrat sind ua folgende Richtlinien und Leitplanken in der internen Diskussion und politischen Debatte:
y Ausschluss bestimmter Verwendungen von KI. Einige Unternehmen haben bereits Maßnahmen ergriffen, um die Nutzung von ChatGPT durch Mitarbeiter:innen einzuschränken;
y Festlegung der zulässigen Verwendung von KI und der Fälle, in denen eine vorherige Genehmigung erforderlich ist;
Stephan Hebenstreit
y interne Nachverfolgung der Nutzung von KI und zusätzliche menschliche Überprüfung ausgewählter KI-generierter Inhalte;
y Offenlegung der Nutzung von KI und KIErgebnissen nach außen;
y Regulierung der Nutzung von KI durch externe Geschäftspartner und Anbieter.
Künstliche Intelligenz als Erfolgsfaktor in Zeiten von Marktturbulenzen?
Mit der zunehmenden Popularität von KI-Technologien wie ChatGPT suchen immer mehr Unternehmen nach Möglichkeiten, künstliche Intelligenz in ihre täglichen Routinen einzubinden. Aktuell im Trend liegt neben der künstlichen Intelligenz auch ChatGPT. Aber was ist das genau? GPT steht für „generative pre-trained transformer“; stark vereinfacht ausgedrückt ist ChatGPT ein künstliches neuronales Netzwerk, das eine Menge Text gelesen hat und mit Menschen über ein Chat-Fenster interagieren kann. ChatGPT verwendet künstliche Intelligenz, um menschliche Sprache zu verstehen und eine Ausgabe oder Antworten zu produzieren, die der menschlichen Sprache ähneln.
1. FINANZFUNKTIONEN IM WANDEL
Künstliche Intelligenz gewinnt in Unternehmen immer mehr an Bedeutung. Die abteilungsübergreifende Einbindung von künstlicher Intelligenz wird als potenzieller Wegbereiter in Krisenzeiten gesehen, weil sie Teams helfen kann, effizienter zu arbeiten und bei der Problemlösung kreativer zu sein. Doch während die rasche Akzeptanz der KI-Technologie durch den generativen Aspekt vorangetrieben wird, ist es die Ebene des Weiterlernens der künstlichen Intelligenz, die Unternehmen helfen kann, durch intelligenteres Arbeiten einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern zu erzielen.
Da sich das Finanzwesen und seine Funktionen an einem Wendepunkt befinden, beschreibt dieser Beitrag die digitale Transformation der Abläufe in Finanzabteilungen und dabei insbesondere, wie Finanzteams von Unternehmen moderne KI-Technologien in verschiedene Aspekte ihrer täglichen Arbeit integrieren. Dabei geht es nicht nur um Grundstrukturen, die einzelne Finanzabteilungen betreffen, sondern um praktische Auswirkungen auf alle Abteilungen eines Unternehmens.
2. DIGITALISIERUNG IN DER TRANSFORMATION
Digitalisierung und Automatisierung werden als Treiber, aber auch als Wendepunkt für
Unternehmen gesehen. Darüber hinaus wird die Rolle der Finanzabteilung in einem neuen, digitalisierten Unternehmen immer weiter ausgebaut. Doch was haben Controller mit künstlicher Intelligenz, Data Science oder Cloud Computing zu tun? Schließlich geht es auch um tiefgreifende Veränderungen im Unternehmen. Gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten wie diesen ist eine zentrale Voraussetzung für eine zielorientierte Unternehmensführung ua ein entscheidungsorientiertes Controlling. Durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz kann das Controlling schneller, effizienter und auch sinnvoller werden. Denn zeitaufwändige Tätigkeiten, die festen Prozessen und Regeln folgen und einen hohen Grad an Aufmerksamkeit erfordern, lassen sich oft relativ einfach automatisieren. Neue Technologien haben sich in der Finanzabteilung und im Rechnungswesen sowie bei der Erstellung von Berichten und Dashboards bereits vielfach bewährt. Das größte Potenzial liegt nicht nur in einer verbesserten Vereinfachung der Prozessautomatisierung, sondern auch in der Etablierung höchster Standards in den Bereichen Transparenz, Betrugsprävention und Compliance.
Die Befürchtung, dass die Digitalisierung geschultes Fachpersonal ersetzen wird, ist nicht gegeben – künstliche Intelligenz ist kein Jobkiller. Controller und Fachkräfte müssen keinen Bedeutungsverlust ihres Arbeitsplatzes
Künstliche Intelligenz als Erfolgsfaktor 132 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
Mag. (FH) Stephan Hebenstreit, LL.M. ist Managing Director des FinTechs Yokoy (yokoy.at) in Wien.
befürchten, denn sie haben nach wie vor das alleinige Verständnis für Zahlen und grundlegende Geschäftsprozesse. Durch eine neue Perspektive sowie den Einsatz neuer Technologien, die ganzheitliche Einblicke ermöglichen, können sich Mitarbeitende auf ihre Kernaufgaben konzentrieren und so wichtige Impulse für die Planung und Steuerung von Unternehmensprozessen sowie die Unternehmensstrategie geben und den Transformationsprozess begleiten. Diese Effizienzmaßnahmen stärken nachhaltig die Unternehmensentwicklung und verbessern den Finanzsektor für Unternehmen.
laufend automatisch überprüft, etwa wenn es um die korrekte Abrechnung von lohnrelevanten Aufwendungen im komplexen Gefüge der Kollektivverträge geht.
Ausreißer, Sonderfälle und verdächtige Vorgänge müssten die Mitarbeitenden mit solchen neuen Lösungen künftig nur noch manuell prüfen. Neuartige Plattformen, die künstliche Intelligenz nutzen, sind darauf ausgelegt, mit jeder verarbeiteten Spesenabrechnung, Eingangsrechnung oder Kartentransaktion ständig dazuzulernen.
Die Umsetzung von Digitalisierungs- und Automatisierungsprojekten ist kein neues Phänomen, das einem kurzfristigen Trend folgt, sondern eine neue Rolle im Zentrum von Unternehmensdaten und Analytik, um nachhaltig Erkenntnisse aus Daten zur Ausrichtung der Unternehmensstrategie zu gewinnen. Ein gutes Beispiel sind in diesem Zusammenhang Buchhaltungs- und Finanzprozesse: In vielen Unternehmen sind die Ausgabenprozesse äußerst komplex und undurchsichtig – etwa wenn es um die Verarbeitung von Ausgaben, Kartentransaktionen oder Rechnungen geht. Bei manuellen Prozessen bedeutet dies einen entsprechend hohen Arbeitsaufwand, der für sich wiederholende Prüfprozesse mit hoher Fehlerquote und geringem Mehrwert aufgewendet wird. Ebenso gibt es keinen vollständigen Überblick über die Ausgaben eines Unternehmens auf Knopfdruck.
In modernen, durch künstliche Intelligenz gesteuerten Prozessen lassen sich Ausgabenprozesse digital abbilden und auf einer Plattform konsolidieren. Sie ermöglichen es, einem einheitlichen Prozess zu folgen. Die GovernanceStandards werden deutlich verbessert, da alle Spesen, Kreditkartenausgaben und Rechnungen eines Unternehmens automatisch einen kontrollierten Genehmigungsprozess durchlaufen, der nur bei Unregelmäßigkeiten ein manuelles Eingreifen der Finanzabteilung erfordert und Alarm schlägt.
Die Finanzabteilungen österreichischer Unternehmen sind täglich mit komplexen Herausforderungen der Abrechnungsmodalitäten konfrontiert, denn aufgrund hunderter unterschiedlicher Kollektivverträge und der darin enthaltenen Abrechnung von Tagesdiäten stellt Österreich einen der komplexesten Märkte Europas in Bezug auf die Abwicklung des Ausgabenmanagements dar.
Auch Compliance-Richtlinien und interne Vorschriften können besser abgebildet und umgesetzt werden, deren Einhaltung wird fortan
Neuartige Plattformen können alle in die Plattform eingespeisten Dokumente automatisch mittels optischer Zeichenerkennung (OCR) lesen. Basierend auf den vorhandenen Text- und/oder Datensegmenten können alle Ausgaben wie Rechnungen, Kartentransaktionen oder Spesenbelege automatisch verarbeitet werden. Darüber hinaus sind Integrationen in bestehende ERP-Systeme nahtlos möglich und Genehmigungsprozesse sowie Unternehmensrichtlinien können je nach Spesenart individuell definiert und jederzeit ohne Programmieraufwand angepasst werden. Das entlastet die Finanzabteilungen massiv. Durch die Bündelung aller Ausgaben auf einer zentralen Plattform wird zum einen die Übersichtlichkeit erhöht, zum anderen wird die Basis für tiefgreifende Analysen des Ausgabeverhaltens analysiert.
Angesichts der Tatsache, dass die aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die anhaltenden geopolitischen Unsicherheiten den Unternehmen viel abverlangen, rücken Einsparungen und kosteneffizientes Handeln in den Fokus. Genau hier punktet das Potenzial von künstlicher Intelligenz: Deren Einsatz hilft Unternehmen, Prozesse systematisch und zukunftsorientiert zu automatisieren und manuelle Tätigkeiten zu reduzieren. In Krisenzeiten sind CFOs besonders gefordert, finanzielle Optimierungs- und Einsparpotenziale zu identifizieren – dies geschieht zunehmend durch die Digitalisierung und Automatisierung von Finanzprozessen. Aktuelle Themen wie Inflation, unterbrochene Lieferketten, steigende Energiekosten, Zinserhöhungen und das wachsende Bewusstsein für Governance-Standards veranlassen Unternehmen, ihren Fokus zu erweitern.
Lange Zeit wurde die Hauptaufgabe des Controllings in der Buchführung und Doku-
Künstliche Intelligenz als Erfolgsfaktor 133 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
3. BESSERE UND NACHVOLLZIEHBARERE ENTSCHEIDUNGEN
4. KOSTEN SPAREN DURCH GEZIELTEN EINSATZ VON KÜNSTLICHER INTELLIGENZ
5. NEUE ÄRA FÜR UNTERNEHMEN –EIN BLICK IN DIE ZUKUNFT
mentation gesehen – rückwärtsgewandte Tätigkeiten, die sich mit den Ereignissen der Vergangenheit befassen. Vorstände und damit auch deren Kontrollorgane profitieren vor allem vom Gewinn an Transparenz und Kontrolle durch künstliche Intelligenz. Unternehmen verfügen über eine fundierte Datenbasis, die es ihnen ermöglicht, Optimierungspotenziale und Trends im Ausgabeverhalten zu erkennen. Die Verfügbarkeit und Analyse von Daten ermöglicht nun ein neues Selbstverständnis. Ihre Entscheidungen basieren fortan auf verlässlichen Informationen, denn die Unternehmensausgaben sind in dieser Hinsicht natürlich eine wichtige Stellschraube. So können sie ihre Steuerungsfunktion in Krisenzeiten bestmöglich erfüllen.
6. KÜNSTLICHE INTELLIGENZ WIRD
SICH LANGFRISTIG UND NACHHALTIG
ETABLIEREN
Die Erwartungen an öffentliche und private Unternehmen, ihr wirtschaftliches Handeln zunehmend an ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) auszurichten, steigen stetig. Dies sind ua Themen, die im Fokus von Investoren und anderen Stakeholdern stehen. Wie sollte der Prüfungsausschuss oder der Aufsichtsrat diese Themen im Rahmen seiner Verantwortung für das Unternehmen berücksichtigen und welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, um Unternehmen in die Zukunft zu führen?
Neuartige Technologien erzielen auch einen zusätzlichen Effekt, indem sie Innovation, Rentabilität und vor allem ESG miteinander verbinden. Die große Herausforderung besteht darin, dass Unternehmen einerseits Gewinne und Innovationen vorantreiben müssen, andererseits aber auch versuchen, ESG-Anforderungen und -Ziele zu erfüllen. Die neuen unionsrechtlichen Vorgaben für die Umsetzung des Green Deals setzen auch umfassende Standards in Bezug auf Transparenz (Berichterstattung) und die Eindämmung von Greenwashing (Verbrau-
cherschutz). Mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)(1) werden ab 1. 1. 2024 konkrete, ambitionierte Ziele, Kennzahlen und Fakten in der Berichterstattung gefordert. Wie geht der Aufsichtsrat mit der Implementierung neuer Technologien um? Welche Anreize setzt er im Rahmen seiner Aufsichtsund Prüfungspflichten? Für Unternehmen geht es nicht nur darum, künstliche Intelligenz zu nutzen, um Compliance oder Transparenz zu erreichen, sondern darum, dabei zu helfen, eine moderne Governance anzustreben. Künstliche Intelligenz schafft einen übergreifenden Rahmen, der eine Vielzahl von Prozessen, Methoden oder Tools kontrolliert. Die Implementierung schafft einen neuen Ansatz für Risikomanagement, Cybersicherheit, Transparenz, Betrugsprävention und – was am wichtigsten ist – Nachvollziehbarkeit, Governance und Klarheit für das Unternehmen.
Heute vertrauen Unternehmen in hohem Maße auf Algorithmen-basierte Anwendungen, um wichtige Geschäftsentscheidungen zu treffen. Dies eröffnet natürlich neue Möglichkeiten. Da wir in eine Ära der Steuerung durch Algorithmen eintreten, müssen Unternehmen über die Steuerung von Algorithmen nachdenken, um Vertrauen in die Ergebnisse aufzubauen und das volle Potenzial der künstlichen Intelligenz auszuschöpfen. Wie kommen die Unternehmen dahin? Sie müssen mutig sein. Sie müssen mutig sein, um langfristige Umstrukturierungen vorzunehmen, insbesondere jetzt in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Mutig sein, um zukunftsweisende Projekte gezielt voranzutreiben. Und mutig sein, um wenig oder gar nicht genutzte Technologien wie künstliche Intelligenz oder Big Data zu übernehmen und zu nutzen. Langfristig führt dies zu Kosteneinsparungen, einer transparenten Ausgabenpolitik, dadurch verbessert sich die Widerstandsfähigkeit des Unternehmens. Eine Krise ist immer auch eine Chance für Unternehmen – es ist wichtig, diese nicht nur zu überleben, sondern gestärkt aus dieser hervorzugehen.
(1) Richtlinie (EU) 2022/2464 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. 12. 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) 537/2014 und der Richtlinien 2004/109/EG, 2006/43/EG und 2013/34/EU hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, ABl L 322 vom 16. 12. 2022, S 15.
Künstliche Intelligenz als Erfolgsfaktor 134 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
Michael Schwertel
!PAROL¡ – Aufsichtsräte und künstliche Intelligenz
Gute Argumente für die eigene Sache – sowas kann jeder. Eine Kunst jedoch ist es, sich selbst zu widerlegen – das spricht für Souveränität und Sachkompetenz.
Die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) hat in den letzten Jahren die Geschäftswelt revolutioniert. Verantwortungsbewusste Aufsichtsräte sind nun gezwungen, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken zu verstehen, um fundierte Entscheidungen für ihre Unternehmen treffen zu können.
Strategische Ausrichtung: Aufsichtsräte sollten sicherstellen, dass die Implementierung von KI im Einklang mit der langfristigen Strategie und den Zielen des Unternehmens steht.
Eine Implementierung von KI, die mit der Unternehmensstrategie übereinstimmt, kann die Effizienz steigern und Wettbewerbsvorteile schaffen.
Wenn die KI-Initiative nicht gut in die Unternehmensstrategie integriert ist, kann dies zu Ressourcenverschwendung und mangelnder Akzeptanz führen.
Ethik und gesellschaftliche Verantwortung: Die Nutzung von KI sollte ethischen Grundsätzen folgen und die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens berücksichtigen, um Diskriminierung, Bias und unfaire Praktiken zu vermeiden.
Die Beachtung ethischer Grundsätze und gesellschaftlicher Verantwortung fördert das Image des Unternehmens und stärkt das Vertrauen der Stakeholder.
Ethik- und verantwortungsbasierte Entscheidungen können manchmal zu höheren Kosten führen und kurzfristige Gewinne einschränken.
Datenschutz und Datensicherheit: Aufsichtsräte müssen darauf achten, dass Unternehmen bei der Implementierung von KI-Systemen die geltenden Datenschutzvorschriften einhalten und angemessene Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz sensibler Daten ergreifen.
Ein angemessener Datenschutz und Datensicherheit gewährleisten Rechtskonformität und schützen das Unternehmen vor finanziellen und rechtlichen Risiken.
Umfassende Datenschutzmaßnahmen können zusätzliche Kosten verursachen und die Einführung neuer Technologien verlangsamen.
Transparenz und Nachvollziehbarkeit: KI-Systeme sollten so gestaltet sein, dass deren Entscheidungen und Handlungen nachvollziehbar und transparent sind, um das Vertrauen von Kunden, Mitarbeitern und Stakeholdern zu stärken.
Transparente und nachvollziehbare KI-Systeme stärken das Vertrauen und erleichtern die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine.
Die Schaffung von Transparenz kann technisch herausfordernd sein und die Komplexität der Systeme erhöhen.
Mitarbeiterentwicklung und Weiterbildung: Unternehmen sollten ihre Mitarbeiter auf die Veränderungen durch KI vorbereiten und ihnen entsprechende Weiterbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten anbieten, um den Übergang zu einer KI-gestützten Arbeitswelt zu erleichtern.
Die Investition in Mitarbeiterentwicklung und Weiterbildung fördert die Mitarbeiterzufriedenheit und ermöglicht es dem Unternehmen, sich an Veränderungen anzupassen.
Weiterbildungsprogramme können zeit- und kostenintensiv sein, ohne dass kurzfristige Ergebnisse garantiert sind. Der Fortschritt in der KI ist so schnell, dass Schulungen schneller verpuffen.
Prof. Michael Schwertel ist Medienproduzent, Gestalter sowie Professor für Medienmanagement und Digital Marketing an der CBS International Business School in Köln. In Workshops und Vorträgen beschäftigt er sich seit über einem Jahrzehnt mit künstlicher Intelligenz und dem digitalen Wandel.
!PAROL¡ 135 3/2023 Aufsichtsrat aktuell 1. PRO UND CONTRA Pro Contra
Risikomanagement: Aufsichtsräte sollten potenzielle Risiken im Zusammenhang mit der Implementierung von KI identifizieren und geeignete Maßnahmen ergreifen, um diese Risiken zu minimieren und das Unternehmen vor negativen Auswirkungen zu schützen.
Ein effektives Risikomanagement schützt das Unternehmen vor negativen Auswirkungen und ermöglicht eine bessere Entscheidungsfindung.
Zu vorsichtiges Risikomanagement kann Innovationsbremsen verursachen und das Unternehmen daran hindern, neue Technologien voll auszuschöpfen.
Innovationsfähigkeit: Die Einführung von KI sollte darauf abzielen, die Innovationsfähigkeit des Unternehmens zu fördern und seine Wettbewerbsposition zu stärken.
Eine gesteigerte Innovationsfähigkeit durch KI kann zu neuen Geschäftsmöglichkeiten führen und das Unternehmen langfristig wettbewerbsfähig halten.
Fokussierung auf Innovation kann kurzfristig hohe Investitionen erfordern und von bewährten Geschäftsmodellen ablenken.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit: Aufsichtsräte sollten darauf achten, dass bei der Entwicklung und Implementierung von KI-Projekten Fachleute aus verschiedenen Disziplinen zusammenarbeiten, um ein umfassendes Verständnis der Technologie und deren Auswirkungen auf das Unternehmen zu gewährleisten.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglicht ein umfassendes Verständnis der KI-Technologie und von deren Auswirkungen auf das Unternehmen.
Die Zusammenführung verschiedener Disziplinen kann zu Kommunikationsschwierigkeiten und längeren Entscheidungsprozessen führen.
Regulatorische Anforderungen: Unternehmen müssen sich über die aktuellen und zukünftigen regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit KI informieren und sicherstellen, dass sie diese Anforderungen erfüllen.
Die Einhaltung regulatorischer Anforderungen schützt das Unternehmen vor rechtlichen Problemen und fördert das Vertrauen der Stakeholder.
Ständig wechselnde regulatorische Anforderungen können die Einführung und Implementierung von KI erschweren und zusätzliche Kosten verursachen.
Erfolgsmessung: Aufsichtsräte sollten geeignete Kennzahlen und Bewertungskriterien festlegen, um den Erfolg von KI-Projekten im Unternehmen zu messen und deren fortlaufende Optimierung zu gewährleisten.
Eine sorgfältige Erfolgsmessung ermöglicht es, den Wert von KI-Projekten zu erkennen und Optimierungspotenziale zu identifizieren.
Die Festlegung geeigneter Kennzahlen und Bewertungskriterien kann komplex sein und von den eigentlichen Projektzielen ablenken.
sowohl die Chancen als auch die Herausforderungen sorgfältig abzuwägen.
Die Implementierung von KI in Unternehmen bietet zahlreiche Chancen wie Effizienzsteigerung, Kostensenkung, bessere Entscheidungsfindung und Innovationsförderung. Gleichzeitig bringt sie Herausforderungen mit sich, so zB ethische Bedenken, Datenschutz, Arbeitsplatzveränderungen und Risikomanagement. Für Aufsichtsräte ist es entscheidend, sich mit diesen Aspekten auseinanderzusetzen und
Aufsichtsratsmitgliedern liegt es in der Verantwortung, über die Entwicklungen im Bereich KI zu informieren und fundierte Entscheidungen für die Unternehmen zu treffen. Durch eine umfassende Auseinandersetzung mit den Chancen und Herausforderungen der KI können sie sicherstellen, dass sie die Vorteile dieser Technologie nutzen, ohne dabei ethische Grundsätze oder gesetzliche Vorschriften zu verletzen.
!PAROL¡ 136 Aufsichtsrat aktuell 3/2023 Pro Contra
2. FAZIT
Clarissa-Diana de Grancy
AufsichtsART® – Von der Kunst zur künstlichen Intelligenz
„Zeichen:wende. Who’s afraid of robots?“ – so heißt die jüngste Ausstellung von Volker Schütz, Medienkünstler und Experte im Umgang mit künstlicher Intelligenz. Wir treffen uns in der Saarbrücker Galerie von Prof. Dr. Albert Herbig, Sali e Tabacchi – für Kunst-Connaisseure ein echter Geheimtipp. Hier, wo künstlerische und künstliche Intelligenzen einander die Hand geben, unterhalten wir uns über die verschiedenen Gesichter von künstlicher Intelligenz in Wirtschaft und Gesellschaft.
Wir sprechen über KI-Kompetenz an Board und wie wir Ressentiments gegenüber neuen Technologien umkehren und produktiv wenden können. Für Schütz, der in seinem Werk die künstliche Intelligenz als Ideengeber, Ausgestalter und experimentelles Werkzeug benutzt, steht fest: „Kunst ist der geheime Garten, in dem künstliche Intelligenz längst angekommen und mannigfaltig im Einsatz ist. Wir haben es in der Hand, wie wir sie in unsere Umwelt gewinnbringend integrieren.“
Spoiler Alert: Eine der Fragen an Volker Schütz hat nicht er selbst, sondern eine ChatGPT-Version-3.5 beantwortet. Zeigen Sie Ihre KI-Kompetenz und schreiben Sie uns, welche Antwort von der Maschine stammt. Gewinnen Sie einen exklusiven Fünf-Minuten-Bühnen-Slot bei der nächsten AufsichtsART ® (virtuell oder live und in Farbe); sdg@aufsichts.art .
Volker, du beschäftigst dich schon seit den 1980er-Jahren mit digitaler Technik. Wann trat die künstliche Intelligenz in dein Leben? Wie hat sich deine Zusammenarbeit mit ihr über die Jahre entwickelt?
Volker Schütz: Meine Liebe zum Digitalen begann mit den acht Bit der Heimcomputer aus den 1980er-Jahren. Mein universitärer Ausgangspunkt war dann das Studium Generale mit Fokus auf Informationswissenschaft.
Damals waren Programme eine schlichte Aneinanderreihung kleiner Befehle. Da lief alles prozedural ab, im Sinne von Punkt, Strich und noch einen Punkt … Man konnte einzelne Flächen anlegen oder Farbgebungen. Dabei kam die Bildbearbeitung aber selten über das einzelne Bit hinaus. Im Grunde hatte das Programm keinen Schimmer, was es da genau machte. Dann, mit der künstlichen Intelligenz, konnte das Programm Bildstrukturen verändern und generieren. Da entwickelte der Algorithmus plötzlich einen eigenen Blick. Auf einmal ließen sich einzelne Bildstrukturen erkennen, verändern und sogar eigenständig herstellen. Ganz früher, als alles begann, konnte man den Stil von einem Bild auf ein anderes übertragen. Wollte man aber das Bild eines Elefanten im Stil von van Gogh haben, musste man immer erst zwei Beispielbilder hochladen – eines von einem Elefanten und eines aus dem Werk von van Gogh. Heute kann man beides sprachlich formulieren, man benötigt also keine visuellen Bilder mehr. Das Programm weiß, wie ein Elefant aussieht, kennt den Stil von van Gogh und kann daraus ohne weitere Hilfe das gewünschte Bild erzeugen.
Gab es so etwas wie einen „KI-Moment“ für dich?
Den gab es tatsächlich. Ich erinnere mich noch gut, wie eines nachts der erste von einer
künstlichen Intelligenz gemalte Pinselstrich vor mir auf meinem Bildschirm auftauchte, mit einer borstigen Pinselstruktur, inklusive Schattenwurf und auslaufenden Farben. Das war vor sieben oder acht Jahren. Damals sagte man noch Deep Learning dazu, die Ausgangsbasis von allem.
Im künstlerischen Bereich wurde aus Deep Learning dann Deep Dreaming. Das mag sich esoterisch anhören, passt aber ganz gut zur Ästhetik der Bilder, die dabei entstanden. Der Deep-Dreaming-Erfinder hatte bei der Entwicklung des Algorithmus offenbar auf einen eher kleinen Fundus an Bildmaterial zurückgegriffen. Da müssen eine Menge Tierportraits dabei gewesen sein – viele Deep-DreamingBilder sahen deshalb so aus wie indische Süßigkeitenverpackungen mit Vogel- oder Hundeschnäuzchen.
Wie fühlt sich die Zusammenarbeit mit einer künstlichen Intelligenz für dich an?
Die Zusammenarbeit mit künstlicher Intelligenz hat sich für mich immer angefühlt wie im Team. Künstliche Intelligenz ist mir wie eine Kollegin mit ganz besonderen Fähigkeiten, mit einer mal naiven, mal kühnen Kreativität, einer beeindruckenden Emsigkeit, die sich über Nacht nicht zwei oder drei, sondern gleich ein paar Hundert Entwürfe ausdenkt, die in ihrer Spannbreite mein eigenes Vorstellungsvermögen bei weitem übertreffen.
Siehst du vor dem Hintergrund deiner KIExpertise – abseits der Kunst – Chancen für das Auffinden passender Persönlichkeiten für den Beirat bzw Aufsichtsrat?
Der entscheidende Vorteil von künstlicher Intelligenz ist ihre Unvoreingenommenheit. Wir sehen es ja schon beim klassischen Recruiting: Menschen neigen dazu, Menschen einzustellen, die ihnen ähnlich sind. Sind Entscheider
AufsichtsART® ist eine Initiative von Mag. ClarissaDiana de Grancy, www. aufsichts.art, geschäftsführende Gesellschafterin und Gründerin der WOMEN’S BOARDWAY GmbH in Berlin.
AufsichtsART® – Von der Kunst zur künstlichen Intelligenz 137 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
Kurzbiografie
Volker Schütz spricht ein gutes Dutzend verschiedene Programmiersprachen und liebt den Umgang mit Menschen, Maschinen und Algorithmen – im wirklichen Leben wie auch in der Kunst. Weltbürger im Denken, jenseits aller Fakultäten, mit einem multiperspektivischen Blick auf die Bedürfnisse der Menschen und Maschinen, lebt er zwischen Technik, Geisteswissenschaft und Kunst. In den Zwischenräumen, den Nischen, entdeckt er vergessenes, manchmal unerkanntes Potenzial – das Basismaterial für seine künstlerischen Arbeiten. Sein Werk beinhaltet fiktionale Mykologie, Geisterwesen aus Licht und Schatten sowie Begegnungen mit künstlicher Intelligenz. Dazu hat er etwas entwickelt, das wahrscheinlich gar nicht so wenige Aufsichtsräte gerne hätten, zumindest im metaphorischen Sinne: eine Maschine zum Verlängern von Körperteilen. In seiner Freizeit programmiert er historische Oszilloskope (www.volkerschuetz.de).
etabliert, vielleicht älter an Jahren, mit einer Erwerbsbiografie, linear und geschmeidig, wie sie früher noch üblich war, dann gelangt man schnell in eine konservative Schleife. Das kann sich nachteilig auf das Unternehmen auswirken. Dabei wäre es doch gerade jetzt das Gebot der Stunde, auf neue Entwicklungen zu reagieren. Eine künstliche Intelligenz kennt weder Alter noch persönliche Vorlieben – das ist definitiv ein Vorteil.
Was bedeutet das für den Berufsstand des Personalvermittlers (bzw Placers)?
Personalfragen werden wohl zu keinem Zeitpunkt – ob mit oder ohne künstliche Intelligenz – präzise und unfehlbar gelöst werden können. Was künstliche Intelligenz aber kann, ist die Vorarbeit zu leisten. Sie ist sehr viel schneller als ein Mensch in der Lage, in einem weitaus breiteren Radius besondere Talente zu identifizieren. Diese kann sie für die jeweilige Aufgabe gezielt vorschlagen, und sie wird mit der Zeit immer besser, heißt: treffsicherer. Damit verschafft sich jedes Unternehmen einen Vorsprung, mit Sicherheit auch, wenn es um Platzierungsfragen geht.
Für eine künstliche Intelligenz macht es nun mal keinen Unterschied, ob sie das Profil eines einzelnen Mandatsinteressierten auswerten soll oder die Profile von Tausenden. Darüber hinaus können Unternehmerinnen und Unternehmer bei der Entscheidungsfindung ihr eigenes Bauchgefühl von einer künstlichen Intelligenz nochmal überprüfen lassen.
Künstliche Intelligenz wird den War of Talents auf allen Seiten befeuern. Weiter gedacht wird es zu einem globalen Wettrüsten der künstlichen Intelligenzen auch bei der Suche nach passenden Persönlichkeiten kommen. Unternehmen sollten darauf vorbereitet sein.
Alexa im Aufsichtsrat. So etwas hat die Board Community noch vor einem halben Jahr belächelt. Heute wissen wir: Das wird kommen. Können wir uns künstliche Intelligenz als vollwertiges Gremienmitglied vorstellen?
Das wird nicht so aussehen, dass da im Board Meeting zehn Menschen und ein Laptop mit einer künstlichen Intelligenz zusammensitzen. Und dass man der dann die eine alles entscheidende Frage stellt und on top auch noch darauf hoffen darf, die eine umfassende, kluge
und in allen Details korrekte sowie unfehlbare Antwort zu erhalten. Die Erwartungen, die wir an künstliche Intelligenzen stellen, sind oft übertrieben, manchmal naiv. Komplexe Fragen erfordern eine umfangreiche Vorarbeit – auch bei der künstlichen Intelligenz.
Wie können diese Vorarbeiten konkret aussehen?
Klug ist es, sich vor jeder Frage, egal, ob sie an einen Menschen oder eine künstliche Intelligenz gerichtet ist, zu überlegen, was zu deren Beantwortung überhaupt nötig ist. Ist dieses Nötige im konkreten Fall überhaupt vorhanden? Hat eine künstliche Intelligenz die benötigten Informationen nicht oder kann sie diese nicht interpretieren, wird sie eventuell so reagieren, wie wir es von manchem Kollegen kennen, der (oder die) Unwissenheit mittels Rhetorik gewieft überspielt. Im Moment neigt künstliche Intelligenz noch dazu, sich nicht so gerne als unwissend zu outen. Eher wird sie eine Empfehlung abgeben, die womöglich perfekt formuliert ist, sich bei genauerer Überprüfung jedoch inhaltlich nur als bedingt belastbar herausstellen wird.
In beiden Fällen, bei Mensch oder Maschine, ist es also erforderlich, die Gesamtsituation zu betrachten, um die eigentliche Qualität einer Antwort einschätzen zu können. Dafür bedarf es der Erfahrung im Umgang miteinander. Mit Stand heute hat die künstliche Intelligenz noch Schwierigkeiten, die Qualität ihrer eigenen Antwort einzuschätzen, um diese gegebenenfalls nachzujustieren. Sie braucht also – zumindest zurzeit noch – einen menschlichen Begleiter, einen Sparringspartner, der das Daten-Biotop im Blick behält und die Ergebnisse kritisch hinterfragen kann.
Was muss dieser „menschliche“ Sparringspartner können? Was muss er konkret tun? Wie kann er sich im Idealfall einbringen?
Wenn eine künstliche Intelligenz eine neue Fähigkeit erlernen soll, dann braucht sie Anschauungsmaterial. Dieses Material sollte möglichst die gesamte Spannbreite des neuen Arbeitsfelds umfassen. Das Material muss in der Lernphase von einem Menschen in allen relevanten Teilen kompetent einsortiert und bewertet werden. Es werden also erstmal Rohdaten benötigt. Dazu braucht es jemanden, der diese Daten an die jeweilige Fragestellung anpasst, sie umformuliert und somit handhabbar macht.
KI-Kompetenz im Aufsichtsrat: Welche Qualifikationen und Erfahrungen sind aus deiner Sicht nötig?
Die Person muss wissen, wie eine künstliche Intelligenz tickt. Sie muss das technische Knowhow mitbringen sowie Erfahrungswissen im konkreten Umgang mit künstlicher Intelligenz. Wenn es um wichtige Fragestellungen geht, wird es von Vorteil sein, zu wissen, wie eine künstliche Intelligenz auf der untersten technischen
AufsichtsART® – Von der Kunst zur künstlichen Intelligenz 138 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
Ebene funktioniert. Erst dann ist diese Person immun gegen naive Wunschvorstellungen, die womöglich von Unternehmensseite formuliert werden, obwohl sie über das technisch Machbare hinausgehen.
Häufig sind solche Personen dann die viel zitierten Nerds, oder? Braucht es einen Übersetzer?
Ich denke, dass es eine gute Grundlage ist, die Entwicklung der künstlichen Intelligenz von Anfang an selbst mitbekommen zu haben. Weil man dann die entsprechende Bodenhaftung hat. An der Uni werden Informatik, Informationswissenschaft und Wirtschaftsinformatik angeboten. Nun klingen diese drei Begriffe erstmal ziemlich ähnlich, dabei sind es bei Lichte betrachtet drei verschiedene Nummern – man darf sich da nicht blenden lassen. Um es kurz zu machen: Die einzigen, die wirklich Ahnung haben, sind die Informatiker. Alle anderen ziehen Nutzen aus der Ähnlichkeit des Begriffs und hoffen, dass, wenn sie erst hoch genug gestiegen sind und mit den Basisarbeiten sowieso nichts mehr zu tun haben, weil das eh andere machen, ihnen dann einfach abgenommen wird, dass sie Ahnung haben. Doch dem ist nicht so. Nur die wahren Informatiker verstehen etwas von diesen technischen Grundlagen. Ich denke, deshalb wäre es gut, gäbe es in einem Gremium eine solide Basis von Leuten, die von der technischen Seite her Ahnung haben. Also keine Leute, die sich „digitaler Beratungsmanager“ nennen, aber nicht mal programmieren können. Mag sein, dass auch ein Wirtschaftsinformatiker durchaus wichtige Impulse setzen kann. Wenn es aber hart auf hart kommt, ist jedes Unternehmen gut beraten, einen Informatiker hinzuzuziehen.
Kennst du das Lied „Computer Freak“ von Heinz Strunk? Informatiker gelten – um mal ein Klischee zu bemühen – häufig als Nerds, die nur in ihrer eigenen Bubble verharren und die kein Mensch versteht.
Ja, und eine solche Person sollte man in den Gremien ehren und schätzen – was noch nicht häufig der Fall ist. Die sogenannten Nerds werden in Soaps und Sitcoms ja immer wieder gerne aufs Korn genommen. Ich bin nicht so der Serien-Gucker, aber das hier als kleine Empfehlung: „The IT Crowd.“ Da gibt es eine Mitarbeiterin, Jen, die extra als Relationship Manager eingestellt wurde. Sie soll die Brücke zwischen Technikern und nicht technischen Mitarbeitern bauen. Auf alle Fälle ist es sicher eine gute Sache, jemanden mit Mehrfachbegabung zu finden. Oder man holt sich als Übersetzer einfach jemand’ Klugen aus den Geisteswissenschaften an die Seite. Linguisten, Literaturwissenschaftler oder Komparatisten sind ganz gut im Übersetzen.
Müssen wir Angst vor künstlicher Intelligenz haben?
Ja, ganz bestimmt. Die gesellschaftlichen Umwälzungen werden größer sein als bei den bisherigen technologischen Revolutionen – und sie werden sehr schnell kommen. Zum Vergleich: Von der Erfindung der Eisenbahn bis zu einem wirklich gut funktionierenden Eisenbahnnetz hat es rund 100 Jahre gedauert. Mit der Erfindung alleine war es freilich nicht getan. Die Gleise, Lokomotiven, Eisenbahnwagen, Tunnels und Brücken mussten auch noch mit großem zeitlichen Aufwand gebaut werden. Der Pferdekutscher von einst hatte also lange Zeit, sich neu zu erfinden. Die aktuell gerade beginnende Revolution der künstlichen Intelligenz wird viel schneller
AufsichtsART® – Von der Kunst zur künstlichen Intelligenz 139 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
Clarissa-Diana de Grancy im Gespräch mit Volker Schütz bei der AufsichtsART® Frankfurt aM im Atelier von Mike Kuhlmann.
© Ernst Stratmann
stattfinden. Warum? – Alles, was die künstliche Intelligenz benötigt, ist schon da. Künstliche Intelligenzen laufen notfalls auch auf jedem besseren Spielerechner und sind mit einem Mausklick kopiert, installiert und betriebsbereit. Bald werden wir zusehen können, wie ganze Berufssparten in allen gesellschaftlichen Schichten wegbrechen werden. Das ist die große gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe in unserem Jahrhundert, die verbleibende Arbeit einigermaßen gerecht zu verteilen und auch den Rest der Menschheit anständig zu versorgen. Gewinner werden diejenigen sein, die auch die Chancen – zum Beispiel im Entstehen neuer Berufsfelder – erkennen und für sich einzusetzen wissen.
Globale Weitsicht und ein tiefergehendes Verständnis der abzubildenden Vorgänge fehlen der künstlichen Intelligenz wohl im Moment noch, oder?
Genau. Das übernehmen zurzeit noch besser die menschlichen Teammitglieder, deren Arbeit sich jetzt verlagert: Die Menschen müssen nun weniger aus dem eigenen Fundus schöpfen, Dinge ausformulieren oder von Grund auf neugestalten. Die neue Key-Kompetenz besteht vielmehr darin, aus einer großen Menge meist sehr spannender Entwürfe das Passende auszusuchen. Nehmen wir an, es geht um die Erstellung von Bildern, so sind die mittels künstlicher Intelligenz generierten Entwürfe nicht fix – sie können stets noch diskutiert und justiert werden. Das kann bei meiner künstlerischen Arbeit zum Beispiel im Gespräch erfolgen – sowohl mit den Menschen als auch mit der Maschine. Ich kann aber auch direkt grafisch-visuell eingreifen, um die Bestandteile zu markieren, die ich unbedingt behalten, verändern oder löschen will. Sobald ich selbst an einer bestimmten Stelle im Bild eine ganz präzise Idee habe, kann ich diese auch direkt als gezeichnete Skizze einfügen. Wie bei jedem Team, das sich erstmal finden muss, gibt es am Anfang Übereinstimmungen und auch Missverständnisse. Aber kein Grund zur Sorge: Das spielt sich schnell ein. So war es zumindest bei mir.
Regeln regeln nicht nur die Arbeit im Aufsichtsrat. Auch künstliche Intelligenz wird sich an Regeln halten müssen – doch wer stellt diese auf?
Ja, in der Tat, wir brauchen KI-Regeln – und diese Regeln sollten nicht die Hersteller der künstlichen Intelligenzen verfassen. Eine wichtige Forderung an die künstliche Intelligenz ist Transparenz. Das heißt, sie sollte sich schlichtweg an die Grundsätze des wissenschaftlichen Arbeitens halten, also korrekt zitieren und stets die Quellen angeben. Insofern können manche Aufsichtsräte noch einiges von der künstlichen Intelligenz lernen. KI-generierte Texte sollten immer erstmal als solche gekennzeichnet werden. Wenn ein Mensch dann mit diesem Text
arbeitet, ihn anschließend nochmal gegenliest und ihn dann unter seinem Namen veröffentlicht … nun ja … dergleichen wird man nicht verhindern können. Dann muss der Verfasser aber auch die Verantwortung für den Text übernehmen und die Konsequenzen tragen.
Gibt es etwas, das künstliche Intelligenz nie können wird?
Künstliche Intelligenz hat keinen eigenen (An-)Trieb, etwas zu tun. Natürlich kann sie mit etwas beauftragt werden. Für Außenstehende kommt das auf dasselbe raus. Womit sich künstliche Intelligenz im Moment noch schwertut, ist die Aufbereitung großer, komplexer Texte mit vielen Personen, langen Biografien und umfangreichen Verbindungen, die sich vielleicht im Laufe der Zeit auch noch verändern. Einen klassischen Roman zu verfassen, wird also eines der letzten Dinge sein, das die künstliche Intelligenz erlernen wird. Witze und Kurzgeschichten kriegt sie schon jetzt ganz gut hin.
Müssen wir befürchten, dass sich die Dinge irgendwann verselbständigen und uns ein kreatives Chaos bevorsteht, bei dem uns eine Maschine bei Personalfragen plötzlich bloß noch Papageien und Pinguine vorschlägt?
Oder können Regeln sogar zum Gegenteil führen, dass sich also verfestigt, wovon wir jetzt schon wissen, dass etwas anderes besser wäre.
Das Schöne an der künstlichen Intelligenz ist, dass sie beides kann. Wir können sie also gut nutzen, um auch mal die Extreme auszuprobieren. Gerade in der Kunst, die ja für viele gesellschaftliche, technische und wirtschaftliche Prozesse ein Experimentierfeld sein kann, ist das außerordentlich spannend. Und im wirklichen Leben eine Bereicherung.
Wenn mein zwölfjähriger Sohn eine Frage hat, fragt er nicht zuerst seine Freunde, sondern schaut im Internet nach. Werden zukünftige Generationen überhaupt noch auf Family & Friends setzen oder ist das eher ein Auslaufmodell?
Gute Frage. Früher konnte man Wissen an der Uni, durch Fachliteratur oder Erfahrungen bei der Arbeit erlangen. Vielleicht gab es noch die eine oder andere Infoveranstaltung, ansonsten zog man seine Kommilitoninnen und Kommilitonen zurate, später die Arbeitskollegen. Heute haben wir YouTube-Tutorials, TikTok-Influencer, Tausende Facebook-Gruppen und Online-Foren, dazu Wikipedia und – jetzt neu – die künstliche Intelligenz, mit der man sich wie mit einem guten Freund unterhalten kann, der immer verfügbar und nie beleidigt ist. Diese größere Spannbreite von möglichen Wissensquellen mag für die Älteren verwirrend und unübersichtlich wirken und die Frage aufwerfen, wem man wohl noch vertrauen kann. Die jüngeren Leute, die gerade zwischen all diesen Medien aufwachsen, tun sich da leichter.
AufsichtsART® – Von der Kunst zur künstlichen Intelligenz 140 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
Ihr Myzel der Verflechtungen und Empfehlungen ist genauso komplex wie die Medien selbst. Man vertraut keinem Medium einfach so, schon gar nicht einem alleine. Das Wissen und Vertrauen entsteht aus einem Zusammenspiel, aus Interaktion und dem Abgleich der vielen Informationen, bei deren Bereitstellung wiederum mehrere unabhängige künstliche Intelligenzen ihren Anteil haben.
Kann man die Begriffe künstliche Intelligenz und Digitalisierung überhaupt gegeneinander ausspielen? Beides sind doch komplett unterschiedliche Dinge …
Das ist so. Ich trenne beide Begriffe ganz hart, weil das auch von der technischen Seite zwei verschiedene Nummern sind. Die künstliche Intelligenz ist mehr als bloß eine etwas bessere Digitalisierung. Sie hat natürlich eine digitale Basis, geht mit ihren Fähigkeiten aber weit über das bisher Mögliche hinaus. Das kann man allerdings erst beurteilen, wenn man die Entwicklung mitverfolgt hat, insbesondere dann, wenn man ein paar Programmiersprachen beherrscht, die voneinander grundverschieden sind. Programmiersprachen-Familien, die wirklich verschieden sind – davon gibt es nicht so viele, eine Handvoll vielleicht. Da gibt es ganz maschinennahe Programmiersprachen, bei denen man tatsächlich die einzelnen Bits hin- und herschiebt, die also sehr mathematisch daherkommen. Dann gibt es höhere Programmiersprachen und noch höhere mit objektorientierten Sachen, die schon ein klitzekleines bisschen intelligent sein können. Erst wenn man all diese verschiedenen Sprachfamilien kennt und weiß, was sie im Einzelnen können, wenn man weiß, wie nah sie eigentlich im Vergleich zur künstlichen Intelligenz beieinanderliegen, erst dann erkennt man, dass die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz tatsächlich eine vollkommen neue Qualität haben. Früher war es noch so, dass man sich als Mensch in die Programmiersprachen hineindenken musste, man musste genau wissen, wie sie formal funktionieren und konnte dann in ihnen programmieren.
Jetzt – mit den neuronalen Netzen der künstlichen Intelligenz – ist das anders. Wenn ich mit diesen interagiere, kann ich das entweder in einer Programmiersprache oder in einer menschlichen Sprache tun. Ich kann mit ihnen interagieren wie mit einem Menschen, indem ich zum Beispiel sage: „Schau mal her, lies diesen Text und beherzige den Inhalt für deine nächste Antwort.“ – Das ist eine völlig neue Dimension.
Das Potenzial entwickelt sich erst jetzt, in diesem Moment. Es funktioniert bereits im Kleinen, ist aber noch nicht perfektioniert. Wir dürfen stark davon ausgehen, dass es bald, in ein paar Jahren, perfekt sein wird.
Künstliche Intelligenz wird perfekt? Kann sie jemals perfekt sein, wenn sie sich immer weiterentwickelt?
Zu einer perfekten künstlichen Intelligenz werde ich einfach nur sagen: Das sind meine Fakten, die sind für mich relevant, und zwar für mein jetziges Projekt, aber auch für alles, was wir in Zukunft miteinander tun werden. Und dann merkt sich die künstliche Intelligenz meine spezifische Situation und erinnert sich dann auch noch nächste Woche oder in drei Jahren dran und weiß, was meine Umgebung ist, was meine Eigenarten und Anforderungen sind und was ich brauche.
Im Moment funktioniert das alles nur in kleinen, punktuellen Zusammenhängen. Die künstliche Intelligenz kann zurzeit nur kleine Texte im Fokus behalten und greift bei größeren Fragen auf ihr allgemeines Wissen zurück. Deshalb kann sie immer nur punktuell spezifisch auf mich eingehen. Aber das ist kein prinzipielles, unabänderliches Manko. Mit einer besseren Hardware, die auf die Anforderungen der künstlichen Intelligenz optimiert ist, stehen große Verbesserungen bevor – und dann wird es so sein, als hätte ich einen sehr klugen Menschen an meiner Seite, der mich kennt und alle möglichen Dinge für mich erledigen kann.
Kann es sein, dass eine künstliche Intelligenz irgendwann eigene Werke erschaffen und den Menschen in der Kunst verdrängen wird?
Es ist theoretisch möglich, dass künstliche Intelligenz eines Tages in der Lage sein könnte, eigene Werke zu erschaffen. KI-Systeme haben bereits Fortschritte in der kreativen Gestaltung gemacht, zum Beispiel beim Malen von Bildern, Komponieren von Musikstücken oder Schreiben von Texten.
Obwohl künstliche Intelligenz möglicherweise in der Lage sein könnte, beeindruckende Werke zu schaffen, ist es unwahrscheinlich, dass sie den Menschen in der Kunst vollständig verdrängen wird. Die Kreativität und der künstlerische Ausdruck sind einzigartige Merkmale der menschlichen Erfahrung, die schwer zu replizieren sind. Es ist wahrscheinlicher, dass künstliche Intelligenz als ein Werkzeug von Künstlern eingesetzt wird, um kreative Fähigkeiten zu erweitern und neue Möglichkeiten zu erkunden. Die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine kann zu interessanten und innovativen Ergebnissen führen, aber die menschliche Einzigartigkeit in der Kunst bleibt weiterhin von großer Bedeutung.
Wie siehst du die Zukunft der Kunst?
Selbst wenn ich in meiner Arbeit gerne damit spiele, dass Mensch und Maschine auch mal ihre Rollen tauschen, spielt es am Ende keine große Rolle, ob eine Intelligenz jetzt menschlich, maschinell oder vielleicht gar außerirdisch ist. Wenn sie intelligent ist, dann kann sie auch spannende Kunst hervorbringen – und hoffen, dass diese verstanden wird.
Das Gespräch führte Mag. Clarissa-Diana de Grancy.
AufsichtsART® – Von der Kunst zur künstlichen Intelligenz 141 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
AufsichtsART® ist eine Initiative von Mag. ClarissaDiana de Grancy, www. aufsichts.art, geschäftsführende Gesellschafterin und Gründerin der WOMEN’S BOARDWAY GmbH in Berlin.
Clarissa-Diana de Grancy
AufsichtsART® – Das Offene Buch
Das Offene Buch entspringt einer Roman- und Social-MediaPerformance, die in der Pandemie-Zeit ihren Anfang nahm. Hier, ein Auszug aus dem Klappentext:
Sandwichposition war gestern. Heute schmiert sich Heidi ihre Stullen selbst. Womit sie nicht gerechnet hat: Als Sozialunternehmerin begegnen ihr die gleichen Mechanismen wie zu Konzernzeiten. Kreativität wird gehypt und doch heimlich belächelt. Wer gegen etwas ist, fällt raus. Wer klagt, ist ein Jammerlappen. Heidi findet das himmelschreiend. Zusammen mit der Corpus-Governance-Künstlerin Claire gründet sie den Auswein-Salon. Unternehmerinnen und Unternehmer, die ihre Situation nicht länger beklagen wollen, finden hier Reben und Rat. Es hat sich ausgeweint. Céleste, Inhaber der aufstrebenden Multimediaagentur #tagDreams, entwickelt das Campaigning: Mit KI-Two soll kein Unternehmen mehr gezwungen sein, ohne besten Rat weiterzugehen, wenn es eng geworden ist oder Wege verlegt sind. Doch die Gründer haben nicht mit den Schlafschafen gerechnet. Gerade noch rechtzeitig kommt Claire die Erweckungsidee: Das Offene Buch.
Das Offene Buch will anstiften, mitzugestalten, diejenigen mitnehmen, die den Wandel wirklich wollen. Und tatsächlich, es gibt sie doch: echte Zukunftsgestalter. Täglich werden es mehr, bereit, AufsichtsART®, jene neue Wortschöpfung, mit Leben zu füllen. Claire ist pragmatisch. Alle sollen ein Geleitwort schreiben. Das geht schneller als ein zehnseitiger Beitrag. Challenge: ein Geleitwort für ein Buch, von dem es bislang nur den Titel auf dem Buchdeckel gibt. Wer hatte gesagt, dass ein Buch nur ein einziges Geleitwort haben darf?
„Innovation braucht die Meta-Ebene, der zeitgemäße Aufsichtsrat eine neue Denk-Kompetenz, schreibt einer der Aufsichtsräte.“ – „Die Fähigkeit, wie eine russische Puppe denken zu können“, erklärt eine Rätin, „... Fantasie und die Bereitschaft, das Unsichtbare sehen zu wollen“ – ein anderer. Der Legal Designer des Deutschen Corporate Governance Kodex diktiert sein Geleitwort kurzerhand beim Frühstück ein. Er hat den Begriff gegoogelt und gelangt zum Schluss: „AufsichtsART ist jedenfalls auf seine Art etwas NEUES.“(1)
CUT
[„‚Mach es Dir gut‘, sagt er und reicht ihr das Buch. Sie öffnet es nicht. Stumm liegt es in ihrem Schoß, die blassen Hände wie zum Gebet über dem Buchdeckel gefaltet. ‚Ja, ich will‘, sagt Claire. ‚Und wie sehr ich will.‘ Sie nimmt ihre Sonnenbrille ab und sucht seinen Blick. Aber ich kann nicht. –Und Du? Er hatte noch nichts gesagt, schon wusste sie, wer er war. ‚Ich versuche, im Rahmen meiner Möglichkeiten zu agieren‘, sagt Céleste und schaut über das Wasser. ‚Wohlwollend, umsichtig und nach meinen Interessen. Gestern, heute, morgen. Ich strebe nach Gelingen. Auf Basis von Können. Das geht nicht in jedem Moment. Oft lange gar nicht oder kaum. Dann versuche ich es anders.‘ Jetzt schaut er Claire direkt ins Gesicht. – ‚Dir, liebe Heidi, wünsche ich heute viel Gutes.‘“]
GELEITWORT
Die deutsche Wirtschaft befindet sich gegenwärtig in der wohl schwierigsten Lage seit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Bedenklich daran ist, dass momentan nicht einmal in der Welt der Vorstellungen und Visionen ein Weg erkennbar ist, wie dieses Land seine unzähligen vernachlässigten Baustellen mit den verfügbaren finanziellen, personellen und ideellen Mitteln zum Erfolg führen könnte.
Da die Situation in der Geschichte Deutschlands seit 1945 beispiellos ist, gibt es keine Patentrezepte, die die politische Führung oder die Wirtschaftselite aus der Schublade ziehen könnten, um damit in kurzer Zeit das Ruder zum Positiven herumzureißen. Es ist wie bei einer Schifffahrt im Nebel: Stillstand und behäbiges Auf-Sicht-Fahren können sich als ebenso tödlich erweisen wie besserwisserisches und ideologiegetriebenes Voranpreschen. Die einzig erfolgversprechende Strategie ist eine tabufreie Analyse der Lage, gefolgt von einer klaren Ziel-
AufsichtsART® – Das Offene Buch 142 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
(1) Edition CLAIREzine, Das Offene Buch – Zukunftsbuch | BETA-Version 0.2, Wien, Frankfurt aM, Wiesbaden, Herford, Berlin, Starnberg, KI (2023).
Präsentation von Das Offene Buch, AufsichtsART® Frankfurt aM im Atelier von Mike Kuhlmann.
© Ernst Stratmann
definition: Wo liegen die Chancen für die Zukunft, welche Wege führen dahin und welche davon sind im konkreten Fall besonders erfolgversprechend? Wenn diese Fragen beantwortet und gangbare Wege ausgelotet sind, müssen mutige und kompetente Persönlichkeiten das Handeln begleiten, überwachen und wenn notwendig korrigieren. Dies gilt für Staaten ebenso wie für jene Unternehmen, die den Wohlstand erwirtschaften.
Es dürfte außer Zweifel stehen, dass der Schlüssel zur Bewältigung der krisenhaften Situation die Fähigkeit ist, neue, kreative Wege zu gehen („sich neu zu erfinden“) sowie Geschäftsmodelle ständig zu hinterfragen und an die sich verändernden Bedingungen anzupassen. Mit anderen Worten: Es gilt, auf allen Ebenen eine ausgeprägte Innovationskultur zu schaffen, ein innovatives Ökosystem, das viel mit dem kreativen Prozess in Kunst und Kultur gemeinsam hat: praktisches Ausprobieren, Ernstnehmen origineller Ansätze sowie Schaffung von Plattformen für individuelles und gemeinsames Brainstorming, zudem Erarbeitung kreativer Lösungen.
Besondere Bedeutung kommt bei dieser Aufgabe den einzelnen Unternehmen aller Branchen und Wirtschaftssektoren zu. Sie sind die tragende Säule der wirtschaftlichen Stabilität und der Sicherung des Wohlstands für alle. Und hier wird deutlich, dass den Aufsichtsräten und Beiräten der Unternehmen in den kommenden kritischen Jahren eine wachsende Verantwortung zufallen wird. In ihrer beratenden und prozesskontrollierenden Funktion sind sie gewichtige Innovationstreiber und Ideengeber bei der Überwindung von Trägheit, Stillstand und Abstieg.
Dreh- und Angelpunkt für Innovation im 21. Jahrhundert sind die großen Themenkomplexe der fortgeschrittenen Digitalisierung wie künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und autonome Systeme, eng verbunden mit den Jahrhundertaufgaben Nachhaltigkeit und Schutz unseres Lebensraums. Wer hier bei der Entwicklung und vor allem praktischen Anwendung die Nase vorn hat, wird auch auf den internationalen Märkten in den ersten Liegen mitspielen.
Diese Hightech-Speerspitze der Digitalisierung ist nicht einfach gleichzusetzen mit dem Einsatz digitaler Hard- und Software. Sie verlangt vielmehr auch eine Transformation des unternehmerischen Denkens in Richtung schnelle datenbasierte Entscheidungsfindung sowie kreatives Vordenken disruptiver Innovation bei Technologie, Businessmodell und Unternehmensorganisation. Nur so lassen sich die inneren und äußeren Aktivitätsfelder der Unternehmen transformieren und eine Ausweitung
Kurzbiografie
Sven Neumann ist Gründer und Inhaber des Thinktanks impacts4u sowie Spezialist für digitale Unternehmenstransformation im Mittelstand. Langjährige Erfahrung in und mit innovativen Unternehmen, Pioniergeist und Zukunftsorientierung befähigen ihn, kreative Ideen und Visionen konsequent in digitale Praxislösungen umzusetzen – und machen ihn zum gesuchten Begleiter und Sparringspartner von Start-ups und mittelständischen Unternehmen, die ihn als Veränderungsexperten und Zukunftsgestalter wahrnehmen.
der Businessmöglichkeiten, des Umsatzes und der Wertschöpfungsoptionen verwirklichen.
In diesem Rahmen werden Aufsichtsräte in den Unternehmen immer größere Bedeutung erlangen. Ihnen obliegt es, mit entsprechendem Know-how, Einfühlungsvermögen und strategischem Denken ein systematisches Innovationsmanagement zu etablieren, das zum Ziel hat, ein geistiges Umfeld für zukunftsweisende Erneuerung zu schaffen – ein auf alle Mitarbeiter ausstrahlendes Denken in Kategorien von stetiger Veränderung und Verbesserung. Voraussetzung dafür, dass Aufsichtsräte im Zeitalter von künstlicher Intelligenz & Co wertvolle Unternehmensbegleiter sein können, ist eine intensive Beschäftigung mit den Einsatzmöglichkeiten, -chancen und -risiken dieser Zukunftstechnologien.
Die idealen Aufsichtsratsmitglieder eines im absehbar schwierigen Wettbewerbsumfeld der Zukunft erfolgreichen Unternehmens werden Know-how-Träger und -Trägerinnen mit ausgewiesener Kompetenz im jeweiligen Branchensegment, in digitalem Denken und in der abteilungsübergreifenden Mitarbeiterführung sein. Leidenschaft für Innovation, der Wille zum Infragestellen des Bestehenden, Engagement für die Überwindung technischer und menschlicher Hindernisse sowie überdurchschnittliche Kommunikationsfähigkeiten sind zusätzlich erforderlich.
Sicherlich muss und kann nicht jeder Aufsichtsrat Experte oder Expertin auf jedem einzelnen Gebiet und jeder Ebene des Entscheidungsprozesses sein, und manche Aufgaben lassen sich ohne Zweifel delegieren. Allerdings sind fundierte Kenntnisse über die entscheidenden Zusammenhänge hinsichtlich der Anwendungsbedingungen sowie die Vor- und Nachteile des Einsatzes moderner digitaler Technologie und eine umfassende Wissensbasis auf allen branchenspezifischen Feldern unerlässlich, um die Erfolgsperspektiven für ein Unternehmen umfassend beurteilen zu können. Es geht dabei nicht nur um die Untersuchung der technischen und wirtschaftlichen Nützlichkeit von Anwendungsfunktionen und -szenarien, sondern (insbesondere bei Applikationen nach Art von ChatGPT etc) in wachsendem Maß
AufsichtsART® – Das Offene Buch 143 3/2023 Aufsichtsrat aktuell
auch um die Überprüfung von Faktoren wie Rechtssicherheit und Regelkonformität.
Eines dürfte aus dem Gesagten deutlich werden: Einfacher wird die Aufgabe für den Aufsichtsrat der Zukunft nicht werden. Da Compliance- und Haftungsthemen immer mehr an Bedeutung gewinnen, steigen auch die rechtlichen Anforderungen an die Unternehmen und ihre Aufsichtsräte. Eine solche Position anzu-
Literaturrundschau
ZUR HAFTUNG VON ORGANMITGLIEDERN BEI EINER RESSORTVERTEILUNG
Johannes Feilmair und Gabriel Straßer erörtern in ihrem Beitrag in GesRZ 2023, 96, die Thematik der Ressortverteilung für die Geschäftsführung. Die Autoren gehen der Frage nach, unter welchen Umständen eine Ressortverteilung zulässig ist und welche Auswirkungen diese auf die Haftung von Geschäftsführern bzw Vorstandsmitgliedern hat.
Eingangs halten die Autoren zur (dispositiven) Bestimmung des § 21 Abs 1 GmbHG fest, dass im Rahmen der darin vorgesehenen Gesamtgeschäftsführung die Zustimmung aller Geschäftsführer bei sämtlichen Entscheidungen der Geschäftsführung erforderlich ist. Die Autoren erörtern, dass eine proaktive Zustimmung hierbei nicht vorausgesetzt wird, sondern es vielmehr ausreicht, wenn einer Geschäftsführungsmaßnahme nicht widersprochen wird. Im AktG besteht – wie von Feilmair und Straßer festgehalten – eine solche Regelung für die Geschäftsführung nicht. Wie von den Autoren ausgeführt, nimmt die herrschende Ansicht an, dass Gesamtgeschäftsführung dann vorliegt, wenn der Vorstand mehrgliedrig ausgestaltet ist. Zur speziellen Thematik der Ressort- bzw Geschäftsverteilung erörtern Feilmair und Straßer, dass sich diese nach örtlichen und sachlichen Kriterien richten kann. Die Autoren führen aus, dass eine Ressortverteilung nach Unternehmensbereichen festgelegt werden kann und eigene Ressorts der kaufmännischen oder technischen Leitung, im Personalwesen oder in der Produktion denkbar sind. Wie von den Autoren erörtert, kann eine Ressortverteilung darüber hinaus auch funktional festgelegt werden, wobei Feilmair und Straßer anmerken, dass Kombinationen zweier verschiedener Organisationsmöglichkeiten ebenfalls denkbar sind. Die Autoren halten fest, dass gerade in größeren Aktiengesellschaften häufig CEO-Modelle auf-
nehmen, wird zunehmend Mut erfordern. Häufigere Zusammenkünfte und Sitzungen werden wohl zum Normal des künftigen Aufsichtsrats gehören. Und nicht zuletzt werden unorthodoxe Konzepte Eingang in die Beratungs- und Entscheidungsprozesse finden. Die Ideenwelt von AufsichtsART® könnte sich dafür als geistesverwandter Kreativitätsmotor erweisen.
Sven Neumann
treten und der Vorstandsvorsitzende das Spitzenmanagement auf hierarchisch übergeordneter Ebene leitet.
Zur Zuständigkeit bei der Ressortverteilung merken die Autoren an, dass das Gesetz die Frage, welches Organ für die Erlassung einer Ressortverteilung zuständig ist, nicht explizit regelt. Zur GmbH führen Feilmair und Straßer zustimmend aus, dass in der Literatur die Möglichkeit vertreten wird, eine Ressortverteilung durch Gesellschafterbeschluss vorzusehen. Die Autoren halten gleichzeitig fest, dass die Frage, ob Geschäftsführer selbst eine Ressortverteilung festlegen können, die ihre Verantwortlichkeit für fremde Ressorts reduziert, auch in der Literatur umstritten ist. Zur AG führen die Autoren aus, dass die Kompetenz zur Erlassung einer Geschäftsverteilung in der AG vorrangig bei der Hauptversammlung liege, Geschäftsverteilungen allerdings überwiegend durch den Aufsichtsrat beschlossen werden.
Im Anschluss gehen die Autoren auf die Thematik ein, dass auch eine Ressortverteilung keinen Ausschluss der Haftung für fremde Ressorts bewirkt. Allerdings wird durch eine wirksame Ressortverteilung und die hinsichtlich fremder Ressorts in diesem Fall bestehende Überwachungspflicht die Gesamtverantwortlichkeit der Geschäftsführung abgeschwächt. Verstärkte Überwachungspflichten bestehen in jedem Fall dann, wenn – wie von Feilmair und Straßer festgehalten – Missstände im Ressortbereich eines anderen Geschäftsführers bzw Vorstandsmitglieds erkennbar sind, zudem im Fall der Überwachung von Kardinalpflichten.
Für den Fall der Auslagerung der Haftung für bestimmte Geschäftsbereiche durch Gründung einer Tochtergesellschaft empfehlen die Autoren abschließend, dass diesfalls die Einflussnahme der Muttergesellschaft auf die Tochtergesellschaft – zum Beispiel durch die Einführung einer Konzernrichtlinie oder Geschäftsordnung – klar geregelt wird.
Literaturrundschau 144 Aufsichtsrat aktuell 3/2023
Michael Barnert
Dr. Michael Barnert, LL.M. ist Rechtsanwalt in Wien.
Professionelle Aufsichtsrats- und Gremientätigkeit
Das Certified Program bildet nicht nur in den essentiellen rechtlichen Grundlagen aus, sondern behandelt auch auf hohem akademischen Niveau die für Aufsichtsorgane wesentlichen Bereiche der Betriebs-, Finanz- und Personalwirtschaft und legt einen weiteren Fokus auf die – nach den Skandalen der vergangenen Zeit immer wichtiger werdenden – ethischen Grundsätze erfolgreicher Unternehmensführung.
Software rechtssicher entwickeln, vertreiben und nutzen
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Strukturierte Eingaben verpflichtend seit 1.7.2022
z Die häufigsten Mängel in den Anmeldungen
z Gerichtliche Zwischenerledigungen in der Praxis
z Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie – das EU-UmgrG: Umgründungstatbestände, Verfahren, erste Praxiserfahrungen
Aus dem firmenbuchgerichtlichen Alltag
Dr. Klaus Jennewein Vizepräsident des Landesgerichts Innsbruck, Firmenbuchrichter
13.9.2023 15:00-17:00 Webinar lindecampus.at
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