Leseprobe SWI | Linde Verlag

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33. Jahrgang / Juli 2023 / Nr. 7

Eric Coenen Besonderheiten des DBA Taiwan Peculiarities of the Tax Treaty with Taiwan

Thomas Frenkenberger / Franz Wallig Zuzug aus den VAE und Grundstücksveräußerung Immigration from the UAE and Sale of Immovable Property

Stefan Bendlinger DAC 6 – Steuersicherungstool oder Bürokratiemonster? DAC 6 – Instrument for Securing Tax Revenues or Bureaucratic Monster?

Thomas Bieber / Stefan Vonderbank Zollwertermittlung im Konzern Customs Valuation in the Group

Valentin Bendlinger / Martin Klokar Grenzüberschreitende Verlustverwertung Cross-Border Loss Utilization in Corporate Tax Law

Till Moser Die neue deutsche Wegzugsbesteuerung The New German Exit Taxation

EAS, News aus der EU, Rechtsprechung Legal Opinions, EU News, Court Decisions


Praxisforum

Verrechnungs­ preise 2023 Update, aktuelle Schwerpunktthemen & Best Practices z Neuerungen aus der nationalen und internationalen Finanzverwaltung z Endspurt Pillar II – die letzten To-dos z Die Anwendung von Verrechnungspreismethoden in der Praxis z Wertschöpfungskettenanalyse z Verfahrensrechtliche Aspekte iZm Verrechnungspreisen z Behandlung von Standortvorteilen bei der Ermittlung von Verrechnungspreisen

Moderation Oliver Kost, PwC Österreich

Doris Bramo­Hackel

Iris Burgstaller

27.9.2023

Veronika Daurer

Andreas Kallina

9:00–17:15

Eva­Maria Kerstinger

Oliver Kost

Wien

Roland Macho

Melinda Perneki

Mario Wegner

lindecampus.at


swi_2023_h07.fm Seite 337 Mittwoch, 5. Juli 2023 7:22 07

STEUER & WIRTSCHAFT INTERNATIONAL Redaktion: Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Michael Lang, Mag. Stefan Menhofer A-1210 Wien, Scheydgasse 24, Tel.: +43 (0)1 24 630/729, Fax: +43 (0)1 24 630/751 E-Mail Redaktion: redaktion@lindeverlag.at

INHALT / CONTENTS Aus der Arbeit der BMF-Fachabteilungen ........................................................... Legal Opinions of the Ministry of Finance Concerning Tax Problems

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Eric Coenen ............................................................................................................. Die völker- und abkommensrechtlichen Besonderheiten des DBA Taiwan Peculiarities of the Tax Treaty with Taiwan Under International and Treaty Law

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Thomas Frenkenberger / Franz Wallig ................................................................. SWI-Jahrestagung: Zuzug aus den VAE und anschließende Grundstücksveräußerung SWI Conference: Immigration from the UAE and Subsequent Sale of Immovable Property

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Stefan Bendlinger ................................................................................................... DAC 6 – Instrument zur Steuersicherung oder Bürokratiemonster? DAC 6 – Instrument for Securing Tax Revenues or Bureaucratic Monster?

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Thomas Bieber / Stefan Vonderbank ................................................................... Zollwertermittlung im Konzern: Eine systematische Analyse nachträglicher Verrechnungspreisanpassungen Customs Valuation in the Group: A Systematic Analysis of Subsequent Transfer Pricing Adjustments

354

Valentin Bendlinger / Martin Klokar ...................................................................... „Shifting of Losses“ – Gedanken zur grenzüberschreitenden Verlustverwertung im Körperschaftsteuerrecht “Shifting of Losses” – Thoughts on Cross-Border Loss Utilization in Corporate Tax Law

368

Till Moser ................................................................................................................. Die neue deutsche Wegzugsbesteuerung nach § 6 dAStG idF ATADUmsG – Übersicht und kritische Würdigung The New German Exit Taxation Under Section 6 German Foreign Tax Act in the Version of the Anti-Tax Avoidance Directive Implementation Act – Overview and Areas of Concern

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Peter Haunold / Christian Stangl / Michael Tumpel ............................................ News aus der EU EU News

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Gerald Toifl .............................................................................................................. Literaturrundschau Literature Survey

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Sabine Schmidjell-Dommes .................................................................................. Rechtsprechung zum Internationalen Steuerrecht International Court Decisions

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Impressum ..............................................................................................................

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Legal Opinions

Rechtsansichten des Finanzministeriums zu steuerlichen Tagesfragen*)

Aus der Arbeit der BMF-Fachabteilungen Besteuerung von Geschäftsführerbezügen gemäß Art 15 DBA Japan BMF-Rechtsansichten Legal Opinions 

Begründet eine in Japan ansässige natürliche Person, deren Lebensmittelpunkt in Japan bleibt, in Österreich temporär einen Wohnsitz und baut sie hier als unselbständig tätiger, nicht beteiligter Geschäftsführer den Betrieb einer österreichischen GmbH auf, während sie weiterhin als nicht beteiligter Managing Director eines in Japan ansässigen Unternehmens unselbständig tätig ist, stellt sich die Frage, ob Österreich ein Besteuerungsrecht an den Bezügen aus den beiden Dienstverhältnissen zusteht. Infolge der Begründung des Wohnsitzes in Österreich wird die Person unbeschränkt steuerpflichtig. Aus zwischenstaatlicher Sicht ist die Person gemäß Art 4 Abs 2 lit a DBA Japan aufgrund des Mittelpunkts der Lebensinteressen weiterhin in Japan ansässig. Die Bezüge aus den Tätigkeiten als Geschäftsführer und Managing Director sind als Einkünfte aus einer nichtselbständigen Tätigkeit iSd § 25 Abs 1 Z 1 lit a EStG einzustufen (zur Einordnung von Geschäftsführerbezügen aus innerstaatlicher Sicht siehe im Detail EAS 3431). Die Bezüge aus der Tätigkeit als Geschäftsführer der österreichischen Gesellschaft sind als Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvergütungen iSd Art 15 DBA Japan einzustufen, da dieser – abweichend von Art 16 OECD-MA – auch den Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsvergütungen „ähnliche Zahlungen“ erfasst und in Z 3 des Protokolls zum DBA Japan festgelegt wurde, „dass sich Artikel 15 des Abkommens auf die in diesem Artikel genannten Zahlungen bezieht, unabhängig davon, ob ein Mitglied des Aufsichts- oder Verwaltungsrats oder eines ähnlichen Organs einer Gesellschaft eine Aufsichtstätigkeit oder eine leitende Tätigkeit ausübt“. Hierdurch soll dem japanischen Verständnis der Bestimmung gefolgt werden, demgemäß auch leitende Funktionen von Art 15 DBA Japan erfasst sein sollen (siehe ErlRV 6 BlgNR 26. GP). Infolgedessen sind die Einkünfte in Österreich als Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft steuerpflichtig. Japan hat gemäß Art 23 Abs 2 DBA Japan die in Österreich erhobene Steuer anzurechnen. Grundsätzlich wären auch die Bezüge aus der Tätigkeit als Managing Director des japanischen Unternehmens von Art 15 DBA Japan erfasst, allerdings fehlt es in diesem Fall an der Voraussetzung einer in einem anderen Staat ansässigen Gesellschaft, da sowohl die Person als auch die Gesellschaft in Japan ansässig sind. Daher sind diese Bezüge als Einkünfte aus unselbständiger Tätigkeit iSd Art 14 DBA Japan einzustufen. Sofern die Tätigkeit in Österreich ausgeübt wird, dürfen die Vergütungen ebenfalls in Österreich besteuert werden, es sei denn, die Person hält sich hier nicht länger als 183 Tage auf (Art 14 Abs 2 lit a DBA Japan). Dementsprechend sind die Bezüge – je nachdem – nur in Japan als Ansässigkeitsstaat der Person steuerpflichtig bzw müsste Japan eine in Österreich erhobene Steuer anrechnen. (EAS 3444 vom 5. 6. 2023) *)

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Die hier wiedergegebenen Texte sind originalgetreue Zitate aus Anfragebeantwortungen durch Fachabteilungen des Bundesministeriums für Finanzen. Die Namen der Anfrager sowie die Geschäftszahl der Erledigung sind der SWI nicht bekannt; über die hier abgedruckten Texte können daher von der Redaktion keine weiteren Auskünfte erteilt werden. In Klammer beigefügt ist das Datum der Erledigung durch die BMF-Fachabteilung. (SWI)

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Das DBA Taiwan

Eric Coenen*)

Die völker- und abkommensrechtlichen Besonderheiten des DBA Taiwan PECULIARITIES OF THE TAX TREATY WITH TAIWAN UNDER INTERNATIONAL AND TREATY LAW Das Tax DBATreaty Taiwan The with Taiwan Taiwan is not considered by Austria to be a state in the sense of international law and thus has no subjectivity under international law. Therefore, it is not possible to conclude an agreement under international law in the form of a tax treaty with Taiwan. However, due to strong economic connections between Austria and Taiwan, it is important to avoid double taxation. To this end, the Double Taxation Act was passed, which provides for the Federal Minister of Finance to issue regulations to avoid double taxation with territories without subjectivity under international law. This article is intended to highlight the specifics of the DTA Taiwan under international law and the substantive deviations from the OECD Model Convention 2010 and the UN Model Convention 2011 as well as from the Austrian template for negotiation. I. Die völkerrechtlichen Besonderheiten beim Abschluss des DBA Taiwan Ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) ist in der Regel ein bilateraler völkerrechtlicher Vertrag zwischen zwei Staaten, mit dem sich die Vertragsstaaten gegenseitig verpflichten, auf Teile ihrer Steuerhoheit zu verzichten, um juristische Doppelbesteuerung zu vermeiden.1) Notwendigerweise bedarf es für den Abschluss eines solchen völkerrechtlichen Vertrags auch der entsprechenden Völkerrechtssubjektivität der Vertragsabschlusspartner.2) Daraus folgt, dass es grundsätzlich nicht möglich ist, ein solches DBA mit Taiwan abzuschließen, weil Österreich3) – wie die meisten Staaten4) – Taiwan nicht als souveränen Staat anerkennt. Damit mangelt es an der notwendigen Voraussetzung der Völkerrechtsubjektivität Taiwans, um den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags überhaupt zu ermöglichen. Da Taiwan allerdings eigene Steuerhoheit besitzt und starke wirtschaftliche Bedeutung für Österreich hat,5) erschien es – aus wirtschaftlichen Interessen – trotz mangelnder Völkerrechtssubjektivität Taiwans wünschenswert, ein vergleichbares Regelungsregime wie in Form eines eigenen DBA zu schaffen.6) Um dem gerecht zu werden, ist das Doppelbesteuerungsgesetz7) (DBG) verabschiedet worden. Dieses Gesetz enthält eine Verordnungsermächtigung des Bundesministers für Finanzen, welche die Vermeidung von *) 1

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Eric Coenen, LL.B. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Österreichisches und Internationales Steuerrecht der WU Wien. Der Autor dankt Univ.-Prof. Dr. DDr. h.c. Michael Lang und Mag. Valentin Bendlinger, MSc., LL.B. für die kritische Durchsicht und die hilfreichen Anmerkungen. Kofler in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA2 (2019) Vor Art 1 Rz 10; so auch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung, siehe VfGH 23. 6. 2014, SV 2/2013-14, VfSlg 19.889/2014. Dazu grundlegend Wutscher in Kahl/Kakzadeh/Schmid, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht (2021) Art 50 B-VG Rz 4. Daneben bedarf es als weitere Voraussetzungen noch der Willenseinigung sowie der Begründung völkerrechtlicher Rechte und Pflichten, siehe Öhlinger/Müller in Korinek/Holoubek et al, Österreichisches Bundesverfassungsrecht (2018) Art 50 B-VG Rz 16. Zur vergleichbaren Situation in Deutschland siehe Schiessl, Das neue DBA mit Taiwan – Besonderheiten für grenzüberschreitende Investitionen, ISR 2013, 125 (125). Taiwan wird derzeit nur von folgenden Staaten als eigener völkerrechtlicher Staat anerkannt: Vatikanstadt, Haiti, Paraguay, Guatemala, Honduras, Eswatini, Tuvalu, St. Vincent und die Grenadinen, St. Kitts und Nevis, Belize, Marshallinseln, Palau, Nauru, St. Lucia. Zur wirtschaftlichen Relevanz eines DBA mit Taiwan siehe Rauner-Andrae/Wieselthaler-Wiebogen, Verordnung zum neuen Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Österreich und Taiwan, SWI 2015, 65 (66). Rauner-Andrae, Die DBA-Politik Österreichs aus Sicht der Wirtschaftskammer Österreich, SWI 2012, 396 (397). BGBl I 2010/69.

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The Tax Treaty with Taiwan Doppelbesteuerung im Verhältnis zu einem ausländischen Gebiet ermöglichen soll, dem keine Völkerrechtssubjektivität zukommt (§ 1 Abs 1 DBG). Das DBA Taiwan steht folglich nicht im Rang eines einfachen Gesetzes, sondern wurde auf Basis des DBG als Verordnung erlassen.8) Anders als bei völkerrechtlich abgeschlossenen Verträgen ist für den Abschluss des DBA Taiwan sohin keine Zustimmung des Bundespräsidenten (oder eines dazu Bevollmächtigten) gemäß Art 65 Abs 1 B-VG notwendig, weil es sich mangels Völkerrechtssubjektivität Taiwans beim DBA Taiwan um keinen Staatsvertrag handelt. Faktisch ist das DBA Taiwan durch das Österreich Büro in Taipeh9) und dem Taipeh Wirtschafts- und Kulturbüro in Österreich abgeschlossen worden. Eine Abschlusskompetenz der Wirtschaftskammer sieht das DBG nicht vor. Nach § 1 DBG hängt die Erlassung einer solchen Verordnung auch gar nicht davon ab, dass überhaupt eine solche Vereinbarung geschlossen wurde. Eine Bindung an den Inhalt einer solchen Vereinbarung existiert für den Verordnungsgeber genauso wenig. Das in § 1 Abs 1 DBG genannte Kriterium der Gegenseitigkeit erleichtert aber die Erlassung einer solchen inhaltlich an der Vereinbarung orientierten Verordnung, wenn der BMF auf Grundlage dieser sonst rechtlich nicht relevanten Vereinbarung faktisch davon ausgehen kann, dass auf taiwanesischer Seite auch Doppelbesteuerung vermieden wird. II. Inhaltliche Abweichungen des DBA Taiwan zum OECD-MA 2010 und UN-MA 2011 Im Folgenden sollen vor allem die relevanten inhaltlichen Abweichungen des DBA Taiwan zum OECD-MA 201010) und UN-MA 201111) hervorgehoben und deren Auswirkungen aufgezeigt werden. Zu Beginn fällt auf, dass Art 2 Abs 1 DBA Taiwan keine Vermögensteuer erfasst, sondern bloß Steuern auf das Einkommen,12) womit es vom OECD-MA und vom UN-MA abweicht. Als Steuern vom Vermögen qualifizieren alle Steuern, die auf sämtliches bewegliches und unbewegliches sowie materielles und immaterielles Vermögen erhoben werden,13) wobei das OECD-MA keine eigene Definition für den Vermögensbegriff enthält. Im Ergebnis ist der Begriff jedoch weit zu verstehen.14) Demnach sind all diese Steuern vom sachlichen Anwendungsbereich des DBA Taiwan ausgenommen. Anders verhält es sich etwa im DBA Deutschland – Taiwan, welches neben der Einkommensteuer auch eine allfällige Vermögensteuer erfasst.15) Weiters wird für Zwecke der Festlegung der Ansässigkeit einer vom Abkommen erfassten juristischen Person in Art 4 Abs 1 DBA Taiwan nicht nur auf den Ort der Geschäftsleitung, sondern auch ausdrücklich auf den Ort der Gründung abgestellt. Das OECD-MA hingegen verwendet den Ort der Gründung nicht ausdrücklich als Anknüpfungspunkt für die Ansässigkeit, sondern kann nur in Form eines „ähnliche[n] Merkmal[s]“ iSd Art 4 Abs 1 OECD-MA die Ansässigkeit begründen. Das DBA Taiwan verwendet auch für die Tie-Breaker-Klausel für doppelt ansässige juristische Personen den Ort der Gründung, während das OECD-MA ausschließlich auf den Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung abzielte.16) Im Ergebnis ist der Ort der Gründung einfacher zu bestimmen als der Ort der 8

BGBl II 2014/385, siehe auch Kofler in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA2, Anhang FN 241. Das Österreich Büro in Taipeh ist ein von der österreichischen Wirtschaftskammer geleitetes Büro. 10 ) Im Folgenden ist das OECD-MA 2010 gemeint, sofern nicht ausdrücklich ein anderes Musterabkommen verwendet wird. 11 ) Im Folgenden ist das UN-MA 2011 gemeint, sofern nicht ausdrücklich ein anderes Musterabkommen verwendet wird. 12 ) Art 2 Abs 1 DBA Taiwan. 13 ) Tumpel/Luketina in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA2, Art 2 Rz 15. 14 ) Ismer/K. Blank in Reimer/Rust, Klaus Vogel on Double Taxation Conventions5 (2022) Art 2 Rz 41. 15 ) Siehe Art 2 Abs 1 DBA Deutschland – Taiwan, dBGBl I 2012, 2079. 16 ) Art 4 Abs 3 DBA Taiwan. Art 4 Abs 3 OECD-MA 2017 hingegen verwendet nicht mehr den Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung als Anknüpfungspunkt für doppelt ansässige Gesellschaften, sondern vielmehr erfolgt die Ansässigkeitsbestimmung im Rahmen eines gegenseitigen Verständigungsverfahrens, was auf die Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken zurückzuführen ist. Siehe dazu Tumpel/Luketina in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA2, Art 4 Rz 28. 9

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Das DBA Taiwan Geschäftsleitung, weist aber gleichzeitig auch eine größere Umgehungsgefahr auf, weil dieser Anknüpfungspunkt faktisch keiner tatsächlichen Präsenz in einem der beiden Vertragsstaaten bedarf und somit ein rein rechtlich leicht gestaltbares Kriterium ist.17) Es genügt vielmehr, dass die Gesellschaft in einem der beiden Staaten gegründet wurde. Die vom OECD-MA und UN-MA abweichende Bestimmung des Art 4 Abs 2 DBA Taiwan, die Personen vom persönlichen Geltungsbereich des Abkommens ausschließt, wenn diese Personen nur Quelleneinkünfte aus einem Vertragsstaat beziehen, ist auf das territoriale Steuersystem Taiwans zurückzuführen.18) Art 10 Abs 1 OECD-MA weist grundsätzlich dem Quellenstaat ein ausschließliches Besteuerungsrecht von grenzüberschreitenden Gewinnausschüttungen zu, wobei auch dem Quellenstaat ein zweigeteiltes begrenztes Recht zur Besteuerung zukommt.19) Der Quellenstaat kann somit die Dividenden im Ausmaß von 5 % besteuern, wenn der Nutzungsberechtigte eine Gesellschaft ist, die mindestens 25 % des Kapitals der ausschüttenden Gesellschaft hält (Art 10 Abs 2 lit a OECD-MA), und im Ausmaß von 15 % in allen anderen Fällen (Art 10 Abs 2 lit b OECD-MA). Davon weicht das DBA Taiwan insofern ab, als es dem Quellenstaat jedenfalls ein maximales Besteuerungsrecht im Ausmaß von 10 % zuspricht, unabhängig von einer allfälligen Beteiligungshöhe des Nutzungsberechtigten an der ausschüttenden Gesellschaft.20) Zur Beseitigung einer daraus resultierenden Doppelbesteuerung in Österreich als Ansässigkeitsstaat sieht Art 21 Abs 1 lit b DBA Taiwan vor, dass die im Quellenstaat gezahlten Steuern in Österreich angerechnet werden. Zur Anwendung der Anrechnungsmethode in Österreich als Ansässigkeitsstaat kommt es aber nur in Bezug auf Passiveinkünfte (Art 10, 11 und 12 DBA Taiwan), in allen anderen Fällen wird die Befreiungsmethode angewandt. Ist Taiwan hingegen der Ansässigkeitsstaat, gelangt gemäß Art 22 Abs 2 DBA Taiwan für alle Einkünfte die Anrechnungsmethode zur Anwendung, um Doppelbesteuerung zu vermeiden. Anders als im OECD-MA lässt sich in der Definition des Begriffs der Dividende in Art 10 Abs 3 DBA Taiwan eine Abweichung finden: Nicht von der Definition der Dividende umfasst sind – im Unterschied zu Art 10 Abs 3 OECD-MA – „aus sonstigen Gesellschaftsanteilen stammende Einkünfte“. Art 11 OECD-MA regelt grundsätzlich, dass dem Ansässigkeitsstaat ein unbeschränktes Besteuerungsrecht zukommt, während der Quellenstaat der Höhe nach ein begrenztes Besteuerungsrecht für Zinsen besitzt.21) Art 11 Abs 2 DBA Taiwan begrenzt das Besteuerungsrecht des Quellenstaats – ebenso wie das OECD-MA – auf höchstens 10 %. Auch die Definition des Begriffs der Zinsen sind deckungsgleich. Eine Besonderheit stellt jedoch die Ausnahme von der begrenzten Besteuerung durch den Quellenstaat für Zinszahlungen an öffentlich-rechtliche Institutionen (Art 11 Abs 3 lit a DBA Taiwan), Zinsen iZm Institutionen, die der Exportförderung dienen (Art 11 Abs 3 lit b DBA Taiwan), oder Zinsen aus Darlehen, die zwischen Banken gewährt werden (Art 11 Abs 3 lit c DBA Taiwan). In all diesen Fällen kommt das Besteuerungsrecht ausschließlich dem Ansässigkeitsstaat zu. Das Besteuerungsrecht für Lizenzgebühren fällt im OECD-MA grundsätzlich nur dem Ansässigkeitsstaat zu.22) Davon abweichend sieht das UN-MA hingegen – ebenfalls wie für das Besteuerungsrecht für Zinsen – ein der Höhe nach begrenztes Besteuerungsrecht für den Quellenstaat vor. Dieser Regelung des UN-MA folgt auch das DBA Taiwan, indem es dem Quellenstaat ein Besteuerungsrecht für Lizenzgebühren von höchstens 17

) Ausführlich dazu Avery Jones, Place of Effective Management, BIT 2005, 20; vgl auch Ismer/K. Blank in Reimer/Rust, Klaus Vogel on Double Taxation Conventions5, Art 4 Rz 67. ) Jirousek, Doppelbesteuerungsabkommen Österreich-Taipeh, ÖStZ 2015, 178 (178). 19 ) Aigner/Prechtl-Aigner in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA2, Art 10 Rz 1. 20 ) Art 10 Abs 2 DBA Taiwan. 21 ) Lohbeck/Ruß in Vogel/Lehner, DBA7 (2021) Art 11 Rn 2. 22 ) Art 12 Abs 1 OECD-MA. 18

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The Tax Treaty with Taiwan 10 % vom Bruttobetrag23) zuteilt.24) Hier ist eine allfällige Doppelbesteuerung mittels Anrechnungsmethode zu beseitigen. Im Übrigen stimmt die Definition des Begriffs der Lizenzgebühren mit jenem des OECD-MA überein. Auch beim Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung von Vermögen weicht das DBA Taiwan vom OECD-MA geringfügig ab: Art 13 Abs 4 OECD-MA sieht für Fälle, in denen unbewegliches Vermögen durch eine Veräußerung von Anteilen an einer Gesellschaft von mindestens 50 % veräußert wird, ein Besteuerungsrecht des Belegenheitsstaats vor. Zweck dieser Bestimmung ist es, eine Vermeidung der Besteuerung in diesem Staat durch bloße Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft zu verhindern.25) Das Fehlen einer solchen vergleichbaren Bestimmung im DBA Taiwan führt dazu, dass Veräußerungsgewinne aus den Anteilen an einer Gesellschaft, die unbewegliches Vermögen hält, nicht im Belegenheitsstaat, sondern ausschließlich im Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen besteuert werden können.26) Art 16 DBA Taiwan (Art 17 OECD-MA und UN-MA) sieht für Zwecke der Besteuerung von Künstlern und Sportlern eine besondere Regelung für die Fälle vor, in denen der Aufenthalt der Person aus öffentlichen Kassen finanziert wird. Dann kommt es zur ausschließlichen Besteuerung im Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen.27) Dem OECD-MA und dem UN-MA ist eine solche Regelung fremd. Anders verhält es sich aber zB für die österreichische28) sowie die deutsche Verhandlungsgrundlage29) für den Abschluss von DBA. Diese enthalten beide einen inhaltsgleichen Absatz, der eine Ausnahme der Anwendung der Absätze 1 und 2 für solche öffentlich finanzierten Aufenthalte normiert. Die Besteuerung von Ruhegehältern folgt nach Art 18 OECD-MA grundsätzlich dem Ansässigkeitsprinzip, wonach die Besteuerung im Ansässigkeitsstaat der das Ruhegehalt beziehenden Person erfolgt.30) Davon abweichend regelt Art 17 Abs 1 DBA Taiwan jedoch eine ausschließliche Quellenbesteuerung, und somit darf nur der Staat, aus dem die Ruhegehälter stammen, diese auch besteuern. Diese Art der Zuordnung des Besteuerungsrechts im DBA Taiwan deckt sich mit der Tendenz vieler Staaten, von dieser Regelung des OECD-MA in Form des Ansässigkeitsprinzips abzuweichen, um einer allfälligen doppelten Nichtbesteuerung entgegenzutreten.31) Die Verteilungsnorm für sonstige Einkünfte im DBA Taiwan sieht, wie das OECD-MA, eine ausschließliche Besteuerung der Einkünfte im Ansässigkeitsstaat vor.32) Vom OECD-MA abweichend enthält Art 20 Abs 3 DBA Taiwan allerdings eine Ausnahme von der Besteuerung im Ansässigkeitsstaat für bestimmte gesetzliche Versorgungsrechtsansprüche, sofern diese in dem Gebiet von der Besteuerung ausgenommen sind, aus dem die entsprechenden Einkünfte bezogen wurden. Diese Besonderheit deckt sich auch mit der österreichischen Verhandlungsgrundlage.33) 23

) Zur unionsrechtlichen Problematik der Quellenbesteuerung auf den Bruttobetrag siehe Lohbeck/Schwarz in Vogel/Lehner, DBA7, Art 12 Rn 44. ) Art 12 Abs 2 DBA Taiwan. 25 ) Reimer in Vogel/Lehner, DBA7, Art 13 Rn 2b. 26 ) Vgl Bräumann/Moshammer in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA2, Art 13 Rz 2. 27 ) Art 17 Abs 3 DBA Taiwan. 28 ) Eine abgedruckte Version dieser Verhandlungsgrundlage ist Lang/Schuch/Staringer, Die österreichische DBA-Politik (2013) 407 ff, zu entnehmen; siehe auch Loukota, Stand und Perspektiven der österreichischen DBA-Verhandlungen, ÖStZ 1998, 127 (128); Hinny/Kaiser/Balzerkiewicz/Lang, Das Verfahren beim Abschluss und bei der Kündigung von Doppelbesteuerungsabkommen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, StAW 2020, 27 (32). 29 ) Siehe zur deutschen Verhandlungsgrundlage Stockmann in Vogel/Lehner, DBA7, Art 17 Rn 1. 30 ) Schmidjell-Dommes in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA2, Art 18 Rz 1. 31 ) Ausführlich dazu bereits Lang, Wohin geht das Internationale Steuerrecht, IStR 2005, 289 (295). Zur umfangreichen Regelung der deutschen Verhandlungsgrundlage zu Art 18, die nicht bloß dem Ansässigkeitsprinzip folgt, siehe Ismer/Ruß in Vogel/Lehner, DBA7, Art 18 Rn 1. 32 ) Art 20 Abs 1 DBA Taiwan; Art 21 Abs 1 OECD-MA. 33 ) Art 20 Abs 3 österreichische Verhandlungsgrundlage. 24

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Das DBA Taiwan Als abschließende Besonderheit sei die in Art 25 DBA Taiwan verankerte Missbrauchsvorschrift genannt: Nach Art 25 DBA Taiwan bleibt die Erlangung von Steuerermäßigungen oder -befreiungen dem Steuerpflichtigen dann verwehrt, wenn der Hauptzweck des Geschäfts bloß die Erlangung eines solchen Abkommensvorteils ist. Im österreichischen DBA-Recht kam eine solche Regelung zum Abschlusszeitpunkt selten vor34) und ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass das taiwanesische Steuerrecht keine mit § 22 BAO vergleichbare Missbrauchsregelung enthält.35) Diese Missbrauchsvorschrift ähnelt dem Principal-Purpose-Test in Art 7 MLI und Art 29 Abs 9 OECD-MA 2017, der in vielen aktuellen DBA enthalten ist. Der Zweck dieser Bestimmung ist es ebenfalls, Steuerbegünstigungen aus dem entsprechenden Abkommen dann zu versagen, wenn der Hauptgrund des Steuerpflichtigen in der Erlangung eines solchen Vorteils besteht.36) III. Vergleich des DBA Taiwan mit der österreichischen Verhandlungsgrundlage Das DBA Taiwan weicht auch in einigen Punkten von der österreichischen Verhandlungsgrundlage ab. Im Wesentlichen deckt sich die österreichische Verhandlungsgrundlage mit dem OECD-MA, weshalb hier im Folgenden nur auf die vom OECD-MA und DBA Taiwan abweichenden Bestimmungen näher eingegangen wird. Zinsen können nach der österreichischen Verhandlungsgrundlage nur dann im Ansässigkeitsstaat besteuert werden, wenn der Empfänger der Zinszahlungen auch der tatsächliche Nutzungsberechtigte ist (Art 11 Abs 1 Verhandlungsgrundlage). Eine solche Regelung, die auf die Nutzungsberechtigung abstellt, ist dem DBA Taiwan fremd. Weiters weicht das DBA Taiwan von Art 11 Abs 2 Verhandlungsgrundlage insofern ab, als es die Quellenbesteuerungsbefugnis nur auf Einkünfte aus Forderungen mit Gewinnbeteiligung aus seiner Beteiligung oder aus einem partiarischen Darlehen vorsieht. Das DBA Taiwan sieht zudem anders als die österreichische Verhandlungsgrundlage eine höhenmäßige Begrenzung des Quellenbesteuerungsrechts vor.37) Für Einkünfte aus unselbständiger Arbeit lässt sich eine Besonderheit in der 183-TageRegelung feststellen. Sowohl das OECD-MA als auch das DBA Taiwan zielen zur Feststellung dieser Dauer auf einen Zeitraum von zwölf Monaten ab. Die österreichische Verhandlungsgrundlage hingegen verwendet den Begriff des Steuerjahres, woraus sich im Ergebnis eine andere Beurteilung ergeben kann, weil dies zwei voneinander abweichende Beurteilungszeiträume sind. Die Bestimmung über die gesetzlichen Versorgungsrechtsansprüche in Art 20 Verhandlungsgrundlage deckt sich wiederum mit der Bestimmung in Art 20 DBA Taiwan. IV. Fazit Aufgrund der mangelnden Völkerrechtssubjektivität Taiwans ist das DBA Taiwan im DBANetzwerk Österreichs in vielerlei Hinsicht eine Besonderheit: Zum einen steht das DBA Taiwan im Gegensatz zu allen anderen österreichischen DBA im Verordnungsrang und nicht im Gesetzesrang. Zum anderen ist der Abschluss des Abkommens durch die österreichische Wirtschaftskammer hervorzuheben. Weiters zeigt auch die fehlende Beteiligung des Bundespräsidenten als Exekutivorgan, der in der Regel die Zustimmung 34

) So etwa Art 16 DBA USA 1997, der ein weitaus umfangreicheres Regelungswerk für die Grenzen der Abkommensbegünstigungen vorsieht. Siehe dazu auch Gassner, Die Grenzen der Abkommensbegünstigung und die Ermessensentscheidung nach Art 16 Abs 2 DBA Österreich-USA, in Gassner/ Lang/Lechner, Das neue Doppelbesteuerungsabkommen Österreich-USA (1997) 173 ff. 35 ) Rauner-Andrea/Wieselthaler-Wiebogen, SWI 2015, 65 (68). 36 ) Ausführlich zum Principal-Purpose-Test siehe Pinetz/Turcan in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA2, Art 29 Rz 175 ff. 37 ) Art 11 Abs 2 OECD-MA; Art 11 Abs 2 DBA Taiwan.

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Immigration and Sale of Immovable Property zum Vertragsabschluss erteilen muss, eine Besonderheit im österreichischen DBA-Netzwerk auf.38) Auch inhaltlicher Art sind interessante Abweichungen vom OECD-MA zur österreichischen Verhandlungsgrundlage sowie anderen von Taiwan abgeschlossenen DBA festzustellen. Wesentlich ist dabei wohl die fehlende Erfassung von Vermögensteuern vom sachlichen Anwendungsbereich des DBA, aber auch das Abstellen auf den Ort der Gründung für Zwecke der Tie-Breaker-Klausel für juristische Personen (Art 4 Abs 3 DBA Taiwan) oder die Abweichung vom häufig verwendeten Ansässigkeitsprinzip bei der Besteuerung von Renten und Ruhegehältern. Darüber hinaus enthält das DBA Taiwan (Art 25 DBA Taiwan) einen Principal-Purpose-Test ähnlich jenem, der sich heute in Art 7 MLI und in Art 29 Abs 9 OECD-MA 2017 findet, obwohl das DBA Taiwan auf Grundlage des OECD-MA 2010 und des UN-MA 2011 abgeschlossen wurde. 38

) Zur grundlegenden Rolle des Bundespräsidenten beim Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen siehe Grabenwarter/Frank, B-VG (2020) Art 65 Rz 6.

Thomas Frenkenberger / Franz Wallig*)

SWI-Jahrestagung: Zuzug aus den VAE und anschließende Grundstücksveräußerung SWI CONFERENCE: FROM THE UAE AND SUBSEQUENT SALE OF IMMOVABLE Zuzug und Grundstücksveräußerung Immigration andIMMIGRATION Sale of Immovable Property PROPERTY On November 10th, 2022, the 17th annual SWI conference was held in Vienna. Various recent cases on international tax law were presented and discussed from the perspective of practitioners, judges, tax auditors, and experts from the tax administration. This contribution summarizes the main points of discussion on a selected case.1) 1 I. ) Sachverhalt

Ein in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) tätiger Steuerpflichtiger hat sich im Jahr 2002 eine Immobilie gekauft. Es handelt sich um eine Immobilie für Vermietungszwecke in den VAE. Zu Veranschaulichungszwecken sei angenommen, dass die Anschaffungskosten im Jahr 2002 bei 100.000 Euro gelegen sind. Im Jahr 2014 zieht der Steuerpflichtige nach Österreich. Der Wert der Immobilie ist zwischenzeitlich auf 300.000 Euro gestiegen. Der Steuerpflichtige überlegt, diese Immobilie, die mittlerweile 350.000 Euro wert ist, im Jahr 2022 oder 2023 zu veräußern. Es gilt nun zu ermitteln, wie der Veräußerungsgewinn im Lichte des DBA mit den VAE zu besteuern ist. *) 1

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Thomas Frenkenberger, LL.M. (WU) und Franz Wallig, MSc (WU) sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Österreichisches und Internationales Steuerrecht der WU Wien. Am 10. 11. 2022 fand zum siebzehnten Mal die vom Linde Verlag und vom Institut für Österreichisches und Internationales Steuerrecht der WU (Wirtschaftsuniversität Wien) gemeinsam veranstaltete SWIJahrestagung in Wien statt. Aktuelle Fälle aus der Praxis des internationalen Steuerrechts wurden aus Sicht der Betriebsprüfung, des BMF, des BFG, des VwGH und der Beratungspraxis diskutiert. Unter der Moderation von Univ.-Prof. Dr. DDr. h.c. Michael Lang diskutierten Mag. Dr. Adebiola Bayer, LL.M., StB Mag. Gerald Gahleitner, LL.M., Mag. Judith Herdin-Winter, WP/StB Mag. Gabriele Holzinger, Mag. Matthias Kornberger, WP/StB Mag. Christoph Plott, WP/StB Mag. Reinhard Rindler, LL.M., Horst Rinnhofer, Dr. Sabine Schmidjell-Dommes, StB Dr. Markus Stefaner, Laura Turcan, LL.M., Präs. Dr. Peter Unger und Sen.-Präs. Univ.-Prof. Dr. Nikolaus Zorn. Dieser Beitrag gibt die Argumente wieder, die in der Podiumsdiskussion zu einem der Fälle ausgetauscht wurden.

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Zuzug und Grundstücksveräußerung II. Diskussion Reinhard Rindler: Zunächst stellt sich die Frage, wie mit den stillen Reserven umzugehen ist, die zwischen dem Anschaffungszeitpunkt 2002 und dem Zuzugszeitpunkt 2014 entstanden sind. Laut Sachverhalt wären das immerhin 200.000 Euro aus einem Zeitraum, in dem der Abgabepflichtige noch nicht in Österreich ansässig war. Im EStG finden sich zwei Bestimmungen für die Bewertung von Vermögen im Rahmen eines Zuzugs nach Österreich: Zum einen können im Betriebsvermögen gelegene Wirtschaftsgüter gemäß § 6 Z 6 lit f und g EStG einer Aufwertung zugeführt werden. Zum anderen können im Ausland entstandene stille Reserven für Kapitalvermögen im außerbetrieblichen Bereich gemäß § 27 Abs 6 EStG aufgewertet werden. Der im vorliegenden Fall einschlägige § 30 EStG kennt im Gegensatz zu § 6 EStG und § 27 EStG keine besondere Zuzugsbestimmung. Da es keine Möglichkeit der Aufwertung gibt, müsste nach nationalem Recht bei der Veräußerung im Jahr 2022 oder 2023 die Differenz zwischen dem Veräußerungspreis von 350.000 Euro und den ursprünglichen Anschaffungskosten von 100.000 Euro der Immobilienertragsbesteuerung zugeführt werden. Fraglich ist, ob Österreich dieses Besteuerungsrecht abkommensrechtlich ausüben darf. Ein Blick in das derzeit gültige DBA VAE2) zeigt, dass die Grundstücksveräußerung gemäß Art 13 Abs 1 DBA VAE dort besteuert werden darf. Das DBA folgt somit dem Belegenheitsprinzip. Das momentan gültige DBA VAE sieht im Methodenartikel die Befreiungsmethode vor. Österreich kann die Grundstückseinkünfte daher nur im Rahmen des Progressionsvorbehalts berücksichtigen. Allerdings wurde das DBA VAE aufgrund der BEPS-Diskussion geändert. Die Änderungsprotokolle haben auch schon den österreichischen Nationalrat durchlaufen.3) Wenn die Änderungen auch die in den VAE zuständigen Stellen passieren, tritt das neue Protokoll voraussichtlich mit 1. 1. 2023 in Kraft.4) Das neue Protokoll sieht nicht mehr die Befreiungsmethode, sondern die Anrechnungsmethode vor. Wird das Grundstück erst im Jahr 2023 veräußert, hätte dies zur Folge, dass Österreich die Einkünfte nicht mehr befreit, sondern die in den VAE entrichtete Steuer anrechnet. Nur beträgt der Steuersatz in den VAE 0 %, sodass Österreich im Endeffekt ein volles Besteuerungsrecht iHv 30 % zukommt. Es stellt sich die Frage, ob es im vorliegenden Fall Gestaltungsmöglichkeiten gibt bzw gegeben hätte. Wenn die Immobilie im Jahr 2023 veräußert wird, erfolgt eine Besteuerung inklusive der in den VAE angefallenen stillen Reserven. Eine Möglichkeit wäre gewesen, die Immobilie rechtzeitig vor dem Zuzug nach Österreich in eine Kapitalgesellschaft zu übertragen. Dadurch werden die stillen Reserven realisiert, die wiederum in den VAE zu keiner Steuerpflicht führen. Es läge der Zuzug einer Kapitalgesellschaft mit der Möglichkeit einer Aufwertung der Beteiligung gemäß § 27 Abs 6 EStG auf den gemeinen Wert im Zeitpunkt des Zuzugs vor. Die Immobilie wäre dadurch auf 300.000 Euro aufzuwerten, und die in den VAE entstandenen stillen Reserven iHv 200.000 Euro wären nicht steuerpflichtig. Erst wenn das Grundstück tatsächlich um 350.000 Euro verkauft wird, sind die restlichen 50.000 Euro in Österreich der Besteuerung zuzuführen. Der Fall zeigt, dass eine Ände2

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Abkommen zwischen der Republik Österreich und den Vereinigten Arabischen Emiraten auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen samt Protokoll (BGBl III 2004/84). Protokoll zwischen der Republik Österreich und den Vereinigten Arabischen Emiraten zur Abänderung des am 22. September 2003 in Abu Dhabi unterzeichneten Abkommens zwischen der Republik Österreich und den Vereinigten Arabischen Emiraten auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen, BGBl III 2022/211. Anmerkung: Der Austausch der Ratifikationsurkunden ist am 20. 12. 2022 erfolgt, sodass die mit dem Protokoll vereinbarten Verschärfungen ab dem 1. 1. 2023 anzuwenden sind.

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Immigration and Sale of Immovable Property rung im DBA durchaus erhebliche Auswirkungen haben kann und es sich auszahlt, über Gestaltungsmöglichkeiten nachzudenken, um ungewünschte Ergebnisse zu vermeiden. Laura Turcan: Das ist ein sehr spannender Fall, der uns auch schon von einer anderen Seite aus der Praxis herangetragen wurde. Das hat dazu geführt, dass wir ganz druckfrisch die EAS 34405) zu dem Thema herausgegeben haben. Diese bestätigt im Wesentlichen genau Ihre Ausführungen. Im außerbetrieblichen Bereich haben wir für Immobilien kein Zuzugs- oder Wegzugs-Konzept, und das führt dazu, dass aus österreichischer Sicht im Verkaufszeitpunkt die gesamten stillen Reserven steueranhängig sind. Dann stellt sich die Frage, ob dieses Besteuerungsrecht durch die Anwendung des DBA eingeschränkt wird. Die EAS beschäftigt sich mit der Auslegung des Art 13 OECD-MA und stellt fest, dass Art 13 OECD-MA auf das Besteuerungsrecht und die Bemessungsgrundlage im Veräußerungszeitpunkt abstellt, und zwar unabhängig davon, was bis dahin passiert ist. Auch die Tatsache, dass zwischenzeitlich eine Änderung im DBA stattgefunden hat, hat keinen Einfluss auf die Beurteilung gemäß Art 13 OECD-MA. Die Bemessungsgrundlage richtet sich nach dem innerstaatlichen Recht, denn Art 13 OECD-MA überlässt es dem nationalen Recht, ob die jeweiligen Gewinne besteuert werden sollen oder nicht.6) Das innerstaatliche Recht sieht wie schon erwähnt keinen Step-up vor. Das bedeutet, dass die gesamten stillen Reserven in Österreich steueranhängig werden, soweit der Succus der EAS. Der Gedankengang, dass man die Steuerlast senken kann, indem man eine Immobilie in eine zu diesem Zweck gegründete Gesellschaft einbringt und dann die Beteiligung an der Gesellschaft veräußert, ist nicht neu. Art 13 Abs 4 OECD-MA wurde eingeführt, um solche Gestaltungen zu vermeiden. Man müsste sich daher überlegen, ob die Gestaltung durch Einbringung in eine Gesellschaft im allerletzten Augenblick vor Zuzug Erfolgschancen hätte. Aus der Perspektive des innerstaatlichen Rechts sind der Zuzug mit einer Immobilie und der Zuzug mit einer Beteiligung unterschiedlich geregelt. Da das innerstaatliche Recht für die Berechnung der Bemessungsgrundlage gemäß Art 13 maßgeblich ist, würde das auch auf die DBA-Beurteilung durchschlagen. Unter Umständen könnte eine solche Gestaltung mE aber auch problematisch sein. Denn sie könnte etwa als unangemessen beurteilt werden. Wurde die Gestaltung für steuerliche Zwecke in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Zuzug und dem Verkauf des Grundstücks ins Leben gerufen, könnte man vermuten, dass ihr wesentlicher Zweck in der Erlangung steuerlicher Vorteile liegt. Die Beurteilung des Hauptzwecks bzw etwaiger wirtschaftlicher Gründe ist aber natürlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig und müsste von den Gerichten entschieden werden. Judith Herdin-Winter: Klar ist, dass die fehlende innerstaatliche Möglichkeit zur Aufwertung eine Lücke im Gesetz ist. Ob der Gesetzgeber Gründe dafür hat, dass er eine solche Möglichkeit nicht vorgesehen hat, ist eine andere Sache. Das DBA wirkt immer im Verhältnis zwischen zwei Staaten und je nachdem, wo die Person ansässig ist, kommt dann auch dieses Steuerrecht zur Anwendung. Wenn die Person aus den VAE nach Österreich, also in ein Hochsteuerland zieht, dann ist die Konsequenz dieses Zuzugs, dass künftig auch die Besteuerung beim Verkauf der Liegenschaft einsetzt. Und wenn das Abkommen zwar dem Belegenheitsstaat das Besteuerungsrecht zuweist, dieser aber keine Steuer erhebt, dann läuft die Anrechnungsmethode ins Leere. Das Steuerniveau wird in jedem Fall auf das österreichische Steuerniveau angehoben, selbst wenn die VAE einen niedrigen Steuersatz erheben würden. Ich sehe es nicht problematisch, dass auf den Zeitpunkt der Realisierung abgestellt wird. Christoph Plott: Ich sehe das Problem auch nicht im zwischenstaatlichen Bereich, sondern eher innerstaatlich. Wir haben überall entweder Aufwertung bei Eintritt oder 5 6

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EAS 3440 vom 4. 11. 2022. Tz 1 OECD-MK zu Art 13 OECD-MA.

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Zuzug und Grundstücksveräußerung Entstrickung bei Austritt. Wir haben das im betrieblichen Bereich so und auch beim Kapitalvermögen. Bei der Immobilienertragsbesteuerung mit der ImmoESt 2012 hat man das scheinbar übersehen, weil es wahrscheinlich ein Thema ist, das nicht so oft vorkommt. Alle Regeln, dh ob Alt- oder Neuvermögen vorliegt, die Hauptwohnsitzbefreiung etc, müssten auch auf Personen angewendet werden, die aus einem Nicht-DBAStaat zuziehen. Das spricht dafür, dass es einfach ein Versehen des Gesetzgebers war, dass eine Aufwertungsmöglichkeit für Immobilien nicht vorgesehen wurde. Das als planwidrige Lücke zu interpretieren und die anderen Regeln anzuwenden, würde ich dennoch für sehr kühn erachten. Man bräuchte eine gesetzliche Regelung, dass die stillen Reserven, die im Ausland angesammelt wurden, in Österreich nicht besteuert werden können. Dass eine solche Regelung fehlt, führt dazu, dass manche nicht zuziehen oder Konstruktionen tätigen, die vielleicht problematisch sind und die man auch als Missbrauch betrachten könnte. Reinhard Rindler: Ich hätte das jetzt nicht so problematisch gesehen, dass ich unmittelbar vor Änderung des DBA die Möglichkeit ausnutze und die Immobilie auf eine Kapitalgesellschaft übertrage. Es muss dem Steuerpflichtigen freigestellt werden, ob er die Immobilie als natürliche Person hält oder über eine Kapitalgesellschaft. Ich sehe das nicht als Missbrauch. Judith Herdin-Winter: Ich hätte jetzt vom ersten Ansatz her auch gemeint, dass das noch als Gestaltungsspielraum zulässig ist. Michael Lang: Vielleicht noch zwei Anmerkungen dazu von meiner Seite. Die erste ist im Gleichklang mit den Auffassungen, die ohnehin vertreten worden sind. Es gibt ein sehr altes Judikat des BFH7) aus den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Das ist aber nicht zu Immobilien, sondern zu einer Beteiligung und noch vor der EuGH-Judikatur zur Wegzugsbesteuerung ergangen. Ein Steuerpflichtiger ist aus den Niederlanden nach Deutschland gezogen, und der BFH hatte zu entscheiden, was die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung des Veräußerungsgewinns der Beteiligung ist. Der BFH hat die seinerzeitigen Anschaffungskosten und nicht den Wert im Zeitpunkt des Zuzugs herangezogen und hat somit ausgesprochen, dass die stillen Reserven, die in den Niederlanden entstanden sind, in Deutschland besteuert werden. Das war laut BFH die Konsequenz des Zuzugs und ist im Einklang mit dem, was wir gerade diskutieren. Deshalb sehen seitdem nicht nur das innerstaatliche Recht,8) sondern auch das DBA Deutschland eine Sonderregelung der Aufwertung im Fall des Zuzugs vor,9) allerdings nicht für Immobilien, sondern für Beteiligungen. Die zweite Anmerkung, die mir in den Sinn kommt, ist die observation, die Österreich beim Kommentar im Fall von DBA-Änderungen gemacht hat.10) Österreich behält sich vor, alle stillen Reserven, die vor Inkrafttreten des DBA aufgetreten sind, in voller Höhe zu besteuern. Die observation Österreichs betrifft also genau den umgekehrten Fall. Jetzt könnte man sagen, wenn Österreich in der umgekehrten Situation sein Besteuerungsrecht an den stillen Reserven trotz Änderung des DBA behält, dann wäre es zumindest rechtspolitisch konsequent, es in diesem Fall genauso zu sehen und vor Inkrafttreten der DBA-Änderung davon auszugehen, dass Österreich die bisher in den VAE entstandenen stillen Reserven nicht besteuert. Nehmen wir an, Österreich wäre tatsächlich in der Lage, die auf die Zeiten des Besteuerungsrechts Österreichs entfallenden Wertzuwächse auch nach dem Inkrafttreten des die Besteuerung Österreichs im Falle der Veräußerung verbietenden DBA zu besteuern. Dann müsste umgekehrt konsequenterweise auch gelten, dass Österreich die stillen Reserven, die in Zeiträumen entstanden sind, 7

BFH 19. 3. 1996, VIII R 15/94. § 17 Abs 2 Satz 3 dEStG. Art 13 Abs 6 DBA Deutschland. 10 ) Tz 32.1 OECD-MK zu Art 13 OECD-MA 2017. 8 9

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Immigration and Sale of Immovable Property als Österreich noch kein Besteuerungsrecht daran hatte, auch dann nicht erfassen darf, wenn Österreich aufgrund des Wechsels von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode scheinbar ein Besteuerungsrecht erhält. Das wäre rechtspolitisch konsistent. Die explizite Rechtsgrundlage fehlt zwar, aber die fehlt im Falle des Inkrafttretens eines neuen DBA meiner Auffassung nach auch. Dort hat man das durch die einseitige observation gelöst. So gesehen könnte man den Art 13 OECD-MA so verstehen, dass die ab dem Eintritt in das österreichische Besteuerungsrecht entstandenen stillen Reserven in Österreich besteuert werden dürften. Ich wäre aber auch in diesen Fällen zurückhaltender: Eine Rechtsgrundlage fehlt. Laura Turcan: Meiner Einschätzung nach sind die Konstellationen nicht vergleichbar. Eine konsequente Weiterentwicklung der österreichischen observation bestünde darin, dass Österreich das Besteuerungsrecht des Quellenstaats anerkennt, wenn Österreich nicht selbst der Quellenstaat ist. Österreich erkennt im vorliegenden Fall aber das Besteuerungsrecht der VAE gerade an und würde eine allfällige in den VAE bezahlte Steuer auch anrechnen. Befindet sich Österreich bei einem DBA, welches die Befreiungsmethode vorsieht, in der Position des Ansässigkeitsstaats, so müssten die im anderen Staat besteuerten Einkünfte befreit werden. Dies ist im Falle eines DBA mit Anrechnungsmethode ganz anders zu sehen, da das DBA in diesem Fall dem Ansässigkeitsstaat das Besteuerungsrecht gerade zusichern soll. Ein Verzicht auf dieses Besteuerungsrecht ist daher nicht angebracht und kann auch nicht aus der observation abgeleitet werden, weil die Konstellation eine ganz andere ist. Michael Lang: Ich gebe schon zu, dass das nicht völlig spiegelbildliche Konstellationen sind. Die Parallele besteht darin, dass Österreich ein Besteuerungsrecht zuwächst, das eigentlich durch den Wechsel von der Befreiungs- auf die Anrechnungsmethode aufgrund von stillen Reserven entstanden ist, welche vor Wechsel der Methode entstanden sind. Und diese stillen Reserven hätten vor Inkrafttreten des DBA oder vor der DBA-Änderung nicht besteuert werden können. Laura Turcan: Eine letzte Anmerkung noch zum Fall: In Österreich kann ein kohärentes System bestehen, in welchem bei Zuzugs- und Wegzugsbesteuerung ein Step-up vorgesehen wird. Wenn der Sachverhalt aber noch einen anderen Staat betrifft, fällt das System auseinander. Nur ein paar der österreichischen DBA, wie etwa das DBA Deutschland,11) enthalten Sonderregeln, welche zumindest eine teilweise Abstimmung der innerstaatlichen Bewertungen vorsehen. Das heißt, es kann auch mit Step-up zu Verwerfungen kommen, wenn der (ehemalige oder zukünftige) Ansässigkeitsstaat etwa die in Österreich angewandte Bewertung nicht anerkennt. Dies bedeutet, dass eine etwaige Ausdehnung der Step-up-Regeln auf Immobilien mittels Analogie (oder im Wege einer Gesetzesänderung) nicht alle Probleme lösen kann. Im Übrigen handelt es sich mE auch nicht um eine planwidrige Lücke, die eine Analogie zulassen würde. 11

) Siehe Art 13 Abs 6 DBA Deutschland.

Frankreichs Finanzamt spürte 120.000 Pools mit Luftbildern auf Mit der Auswertung von Luftbildern haben Frankreichs Finanzbehörden über 120.000 nicht deklarierte Schwimmbäder im Land aufgespürt. Die Betroffenen würden vom Finanzamt angeschrieben und hätten 30 Tage Zeit, um dieses unter der Angabe von Größe, Baujahr und anderen Details nachzumelden. Die Finanzbehörden erhofften sich dadurch Zusatzeinnahmen von 40 bis 50 Mio Euro. 348

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DAC 6 – Instrument zur Steuersicherung oder Bürokratiemonster?

Stefan Bendlinger*)

DAC 6 – Instrument zur Steuersicherung oder Bürokratiemonster? DAC 6 –6 FORzur SECURING TAX REVENUES OR BUREAUCRATIC MONSTER? –– Instrument Steuersicherung oder Bürokratiemonster? DAC ster? 6INSTRUMENT Instrument for Securing Tax Revenues or Bureaucratic MonFollowing an inquiry of the German CDU/CSU parliamentary group on the effectivity of the reporting obligation required under the Council Directive (EU) 2018/822 of May 25th, 2018, amending Directive 2011/16/EU regarding the mandatory automatic exchange of information in the field of taxation in relation to reportable cross-border arrangements (DAC 6) in May 2023, the German Parliament has drawn up a first interim evaluation. The German Government’s answers to 30 questions in total on the outcome of the reporting obligations are disillusioning. In this article, Stefan Bendlinger summarizes the results of the response and gives a critical outlook on utility and value of the reporting obligations on cross border tax arrangements imposed on taxpayers by the European Commission. I. Instrument zur Identifizierung unerwünschter Steuergestaltungen Als Reaktion auf das Bestreben der EU, Maßnahmen gegen schädliche Steuerpraktiken zu setzen, ungewollte Gestaltungsspielräume zeitnah aufzudecken, Steuerflucht und -vermeidung zu bekämpfen, ungewollte Gesetzeslücken zu identifizieren und zu schließen, durch eine rechtzeitige Risikoabschätzung Steuerprüfungen gezielt einzusetzen und letztlich Steuerpflichtige von der Nutzung „aggressiver“ Steuergestaltungsmodelle abzuhalten, wurde im Jahr 2018 auf Grundlage der OECD-Empfehlungen zu BEPSAktionspunkt 12 aus Oktober 20151) vom Rat der EU eine Richtlinie (DAC 6)2) verabschiedet, die einen automatischen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten über „verdächtige Steuergestaltungen“ vorsieht und „Intermediäre“ und „relevante Steuerpflichtige“ dazu verpflichtet, marktfähige und maßgeschneiderte grenzüberschreitende Gestaltungen den nationalen Finanzbehörden zu melden, sofern diese ein Risiko der Steuervermeidung in sich bergen, der Umgehung der Meldepflicht des Gemeinsamen Meldestandards dienen oder die Identifizierung des wirtschaftlichen Eigentümers verhindern. II. Anwendung und Auslegung des EU-Meldepflichtgesetzes In Österreich wurde DAC 6 in das EU-Meldepflichtgesetz (EU-MPfG) gegossen,3) während in Deutschland die Meldepflichten in die §§ 138d ff der deutschen Abgabenordnung (AO) übernommen worden sind. Das EU-MPfG ist am 1. 7. 2020 in Kraft getreten (§ 27 EU-MPfG) und war (rückwirkend) auf die in den §§ 5 und 6 EU-MPfG taxativ aufgezählten unbedingt und bedingt meldepflichtigen Gestaltungen anzuwenden, deren erster Schritt zwischen 25. 6. 2018 und 30. 6. 2020 umgesetzt worden ist, und solche, deren erster Schritt ab 1. 7. 2020 umgesetzt wurde oder die seit 1. 7. 2020 konzipiert, vermarktet, organisiert oder zur Umsetzung bereitgestellt oder verwaltet werden (§ 4 EU-MPfG). Die Anzeigepflicht ist mit 30 Tagen sehr kurz bemessen. Der Fristlauf beginnt für den Intermediär entweder am Tag der Bereitstellung der meldepflichtigen Gestaltung zur Umsetzung, am Tag, der dem Tag folgt, an dem der relevante Steuerpflichtige bereit ist, *) 1

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Prof. Dr. Stefan Bendlinger ist Steuerberater und Senior Partner der ICON Wirtschaftstreuhand GmbH in Linz. OECD, Mandatory Disclosure Rules, Action 12 – 2015 Final Report (2015). Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates vom 25. 5. 2018 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen, ABl L 139 vom 5. 6. 2018, S 1. BGBl I 2019/91 idF BGBl I 2020/96.

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DAC 6 – Instrument for Securing Tax Revenues or Bureaucratic Monster? diese umzusetzen oder dieser den ersten Schritt zur Umsetzung der meldepflichtigen Gestaltung gesetzt hat (§ 8 Abs 1 EU-MPfG). Der Fristlauf für Hilfsintermediäre und in Fällen, in denen der relevante Steuerpflichtige den Hilfsintermediär von seiner gesetzlichen Verschwiegenheit entbindet, ist in § 8 Abs 2 und Abs 3 EU-MPfG gesondert geregelt. § 13 EU-MPfG definiert die für den relevanten Steuerpflichtigen relevanten Fristen. Versäumnisse lösen gemäß § 49c FinStrG als Finanzordnungswidrigkeit Geldstrafen bis zu 50.000 Euro und bei grober Fahrlässigkeit bis zu 25.000 Euro aus. Das EU-MPfG entspricht weitgehend den Richtlinienvorgaben. Die für die Anwendung des EU-MPfG relevanten Begriffe sind in § 3 EU-MPfG definiert. Dennoch bestehen in der Praxis, insbesondere bezüglich der Auslegung der die Meldeverpflichtung auslösenden Kennzeichen („Hallmarks“) oder der Frage, in welchen Fällen ein „Risiko der Steuervermeidung“ gegeben ist, Unklarheiten, die auch durch das Informationsschreiben des BMF zur Anwendung des EU-MPfG (im Folgenden: BMF-Info)4) nicht hinreichend geklärt sind. Gleiches gilt für die Frage, in welchen Fällen ein „Risiko der Steuervermeidung“ gegeben ist, das nach Ansicht des BMF als zusätzlicher Prüfschritt dienen soll,5) um die Meldung unschädlicher bzw vom Gesetzgeber intendierter Getaltungen zu vermeiden.6) Das Fehlen ausführlicher Leitlinien und Interpretationshinweise begründet das BMF mit der Notwendigkeit einer unionsweit einheitlichen Auslegung, die eben nur auf Ebene der EU vorgenommen werden kann, worauf in der Einleitung der BMF-Info auch ausdrücklich hingewiesen wird.7) Geeignetes Instrument , um auf EU-Ebene Klarstellungen vorzunehmen, wäre zB „FISCALIS 2020“, ein EU-Kooperationsprogramm, das es den Steuerverwaltungen der einzelnen EU-Länder ermöglicht, Informationen und Erfahrungen auszutauschen. Derzeit sind aber Auslegungsmaterialien der EU dem Rechtsanwender nicht zugänglich. Auch die BMF-Info zum EU-MPfG ist im dritten Jahr nach deren Veröffentlichung noch nicht aktualisiert worden. In der Praxis wird deshalb – soweit die Regelungen des EU-MPfG den §§ 138d ff AO entsprechen – die deutlich umfangreichere Auslegungshilfe des deutschen BMF herangezogen.8) Über Wirksamkeit des EU-MPfG, die Anzahl der beim BMF eingelangten Meldungen oder die bislang aufgedeckten Steuergestaltungsmodelle sind in Österreich derzeit keine Informationen verfügbar. Anders in Deutschland, wo die deutsche Bundesregierung aufgrund einer „Kleinen Anfrage“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Mitteilungspflicht von grenzüberschreitenden Steuergestaltungen Anfang Mai 2023 anhand von insgesamt 30 Fragen erste Informationen zur Effektivität der erhaltenen Mitteilungen geliefert hat.9) 4

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Info des BMF vom 21. 10. 2020, Informationsschreiben zur Anwendung des EU-Meldepflichtgesetzes (EU-MPfG), 2020-0.675.748. BMF-Info, Pkt 4a. Kritisch dazu Lang, der darauf hinweist, das es unionsrechtlich keine Anhaltspunkte dafür gibt, das in § 4 EU-MPfG erwähnte „Risiko der Steuervermeidung“ als eigene Voraussetzung der Meldepflicht anzusehen, das für die in den §§ 4 und 5 EU-MPfG genannte Gestaltung zusätzlich maßgeblich ist. Lang, Steuervermeidung und Steuerumgehung nach dem EU-Meldepflichtgesetz, in Dietrich/Glaser/ Kert/Tipold, FS Brandstetter (2022) 593. So heißt es in der BMF-Info: „Das gegenständliche Informationsschreiben des BMF gibt lediglich die derzeitige Rechtsansicht des BMF wieder und steht daher unter dem Vorbehalt einer sich zu einem späteren Zeitpunkt entwickelnden anderslautenden Auslegung und Anwendung der Richtlinie (EU) 2018/822 zwischen den EU-Mitgliedstaaten.“ DBMF-Schreiben vom 29. 3. 2021, Anwendung der Vorschriften über die Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen, IV A 3 – S 0304/19/10006 :010, IV B 1 – S 1317/19/10058 :011, ergänzt durch dBMF-Schreiben vom 23. 1. 2023, IV A 3 – S 0304/19/10006 :013, IV B 1 – S 1317/19/ 10058 :011, mit dem die Rz 248 bezüglich der Mitteilungspflicht von Intermediären an die Änderung von § 138f AO durch dBGBl I, 2730, vorgenommen worden ist. Deutscher Bundestag, 20. Wahlperiode, Antwort der der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU, BT-Drs 20/6503, Wirksames Instrument oder Bürokratiemonster – Zwischenbilanz zur Mitteilungspflicht grenzüberschreitender Steuergestaltungen, BT-Drs 20/7634 vom 8. 5. 2023.

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DAC 6 – Instrument zur Steuersicherung oder Bürokratiemonster? III. DAC-6-Meldungen in Deutschland Beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) sind mit Stand 31. 3. 2023 seit der Einführung der Mitteilungspflicht grenzüberschreitender Gestaltungen iSd §§ 138d ff AO insgesamt 26.921 Mitteilungen eingegangen. Zusätzlich hat das BZSt gemäß § 7 Abs 14 des EU-Amtshilfegesetzes (EHAHiG) insgesamt 1.967 Mitteilungen aus dem Zentralverzeichnis der EU heruntergeladen, die Deutschland als betroffene Mitgliedstaaten einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung kennzeichnen. Dabei wurden bislang keine die Zollverwaltung betreffenden grenzüberschreitenden Gestaltungen identifiziert, die durch das BZSt an die Generalzolldirektion hätten übermittelt werden müssen. Von diesen Meldungen wurden 76,5 % von Intermediären und 22,9 % von den „Nutzern“ 10) einer Steuergestaltung mitgeteilt. Zu 0,6 % der Mitteilungen waren keine Informationen verfügbar, weil die Angabe der mitteilenden Person in Deutschland eine optionale Angabe im Datensatz war. Die Auswertung der eingegangenen Mitteilungen wurden unter Einbeziehung und Mitwirkung der Finanzbehörden der Länder – soweit davon Steuern betroffen sind, die von den Landesfinanzbehörden oder den Gemeinden verwaltet werden (§ 138j Abs 1 Satz 1 AO iVm § 21a Abs 5 FVG) – durch das BZSt gesammelt, sortiert, zugeordnet und nach § 138f Abs 1 AO ausgewertet (§ 5 Abs 1 Nr 44 FVG11)). Diese Mitteilungen wurden den zuständigen Finanzbehörden der Länder unter Angabe der Registrier- und der Offenlegungsnummer bekanntgegeben (§ 138i AO). In diesen Fällen wurden auch die Angaben nach § 138f Abs 3 AO sowie eigene Ermittlungsergebnisse und die Ergebnisse der Auswertung zum Abruf bereitgestellt. Die deutsche Bundesregierung weist in ihrer Anfragebeantwortung darauf hin, dass Bund und Länder nicht jede einzelne Mitteilung, sondern nur die zusammengefassten Gestaltungsmodelle auswerten. Im Rahmen der Auswertung wurden 206 Steuergestaltungsmodelle identifiziert, die in den rechtspolitischen Auswertungsprozess überführt worden sind. Auf der Grundlage von 4.268 Einzelmeldungen wurden 24 grenzüberschreitende Steuergestaltungsmodelle als solche mit rechtspolitischem Handlungsbedarf identifiziert, die allesamt auch den Finanzbehörden der Länder bekanntgegeben worden sind. Wie man aus dem deutschen BMF hört, bewegen sich diese Modelle im rechtlichen Rahmen und waren der Finanzverwaltung ohnehin bekannt. Auswertungsergebnisse zu weiteren 140 Gestaltungsmodellen ohne rechtspolitischen Handlungsbedarf wurden unmittelbar durch das BZSt den Finanzbehörden der Länder zum Abruf zur Verfügung gestellt. Die Frage, wie viele der eingegangenen Meldungen Maßnahmen der Finanzverwaltung, Außenprüfungen, Ermittlungs- oder Steuerstrafverfahren ausgelöst haben, wurde von der deutschen Bundesregierung nicht beantwortet. Auch zur Höhe der Steuermehreinnahmen aus der Bekämpfung der identifizierten grenzüberschreitenden Steuergestaltungen wurden keine Informationen geliefert, zumal auch die finanziellen Auswirkungen der Präventivwirkung von DAC 6 nicht erfasst werden können. Die deutsche Bundesregierung weist darauf hin, dass Regelungslücken in den deutschen Steuergesetzen bereits durch das Gesetz zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb12) geschlossen worden sind. Die Einführung der Mitteilungspflicht über grenzüberschreitende Steuergestaltungen hat in Deutschland (Sach-)Kosten von insgesamt 44,5 Mio Euro verursacht, wovon 40 Mio Euro auf die Informationstechnik entfallen. Personalkosten der Verwaltung und die bei den meldepflichtigen Personen anfallenden Kosten der Rechtsbefolgung sind dabei nicht 10

) Das EU-MPfG verwendet dafür den Begriff des „relevanten Steuerpflichtigen“ (§ 3 Z 9 EU-MPfG). ) Gesetz über die Finanzverwaltung (Finanzverwaltungsgesetz – FVG), dBGBl I, S 846, 1202, in aktueller Fassung. 12 ) Gesetz zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb (Steueroasen-Abwehrgesetz – StAbwG), dBGBl I, 2056. 11

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DAC 6 – Instrument for Securing Tax Revenues or Bureaucratic Monster? berücksichtigt. Über die diesen gegenüberstehenden Steuermehreinnahmen iZm der durch die Mitteilungspflicht möglichen Aufdeckung missbräuchlicher Steuergestaltungen lagen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.13) IV. Schlussfolgerung Bereits die vom Unterausschuss für Steuerfragen des Europäischen Parlaments (FISC)14) in Auftrag gegebene Studie aus März 202215) hat ergeben, dass durch DAC 6 die von der Europäischen Kommission erhofften Effekte nicht erzielt worden sind. Und zwar deshalb, weil

• aufgrund der nicht hinreichend definierten bzw sehr weit gefassten Kennzeichen („Hallmarks“) nicht klar sei, welche Gestaltungen tatsächlich gemeldet werden müssen. Dies würde den Mitgliedstaaten zwar mehr Freiraum bei der Umsetzung der Richtlinie ermöglichen, hätte aber eine uneinheitliche Anwendung und Auslegung in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten zur Folge.

• in den einzelnen Mitgliedstaaten in qualitativer und quantitativer Hinsicht unterschiedliche Informationen gemeldet und ausgetauscht würden, weil Mitgliedstaaten im Zuge der nationalen Umsetzung von DAC 6 zum Teil zusätzliche Kennzeichen hinzugefügt haben;

• die Steuerbehörden mit dem Überfluss an gemeldeten Informationen überfordert seien; und

• aufgrund der unklaren „Hallmarks“ auch legale Steuergestaltungen mitgeteilt werden müssen. Dadurch würde das Funktionieren des Binnenmarkts nicht verbessert, weshalb die Studie auch die Rechtmäßigkeit der für DAC 6 angeführten Rechtsgrundlage (Art 115 AEUV) in Frage stellt. Von der deutschen Bundesregierung wird die (grundsätzliche) Vereinbarkeit von DAC 6 mit den Grundrechten der EU, insbesondere mit Art 113 und Art 115 AEUV unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rs Orde van Vlaamse Balies ua16) nicht bezweifelt. Ebenso wird die Meinung zum Ausdruck gebracht, dass DAC 6 einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art 52 Abs 1 der Charta der Grundrechte der EU (GRC17)) sehr wohl standhält. Allerdings hat der EuGH gerade in der zitierten Entscheidung aufgrund des Vorlageantrags des belgischen Verfassungsgerichts auf Initiative der flämischen Rechtsanwaltskammer festgehalten, dass Art 8ab Abs 5 EU-AHR idF des Art 1 Z 2 DAC 6 zumindest insoweit Unionsrecht widerspricht, als Intermediäre, die sich auf eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht berufen, andere an der Gestaltung beteiligte Intermediäre oder – falls es solche nicht gibt – den relevanten Steuerpflichtigen selbst unverzüglich schriftlich und unter Angabe von Gründen darüber zu unterrichten haben, dass sie seiner Meldepflicht nicht nachkommen können. Weil es belgischen Rechtsanwälten nicht möglich ist, dieser Informationspflicht nachzukommen, ohne das belgische Berufsgeheimnis zu verletzen, an das Anwälte gebunden sind, und weil das Berufsgeheimnis ein wesentlicher Bestandteil der GRC ist, insbesondere in Bezug auf Art 7 GRC, der das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens garantiert, hat der EuGH einen (teilweisen) Verstoß gegen Unionsrecht festgestellt. Denn die in Art 8ab Abs 5 EU-AHR und die in § 11 EU-MPfG erfolgte Umsetzung dieser Informationspflicht von Intermediä13

) Antwort der Bundesregierung zur Frage 14. ) FISC = Economic and Monetary Affairs Subcommittee on tax matters. Der FISC-Unterausschuss unterstützt den Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) im Kampf gegen Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Steuervermeidung und im Hinblick auf finanzielle Transparenz für Besteuerungszwecke. 15 ) European Parliament, Study requested by the FISC subcommittee, Assessment of recent anti-tax avoi dance and evasion measures (ATAD & DAC 6) (2022), abrufbar unter https://www.europarl.europa.eu/ RegData/etudes/STUD/2022/703353/IPOL_STU(2022)703353_EN.pdf (Zugriff am 26. 6. 2023). 16 ) EuGH 8. 12. 2022, Orde van Vlaamse Balies ua, C-694/20. 17 ) Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl C 364 vom 18. 12. 2000, S 1. 14

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DAC 6 – Instrument zur Steuersicherung oder Bürokratiemonster? ren hat einen Eingriff in das durch die GRC garantierte Recht auf Achtung der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant zur Folge. Die von Deutschland zwei Jahre nach Einführung der Meldepflicht gezogene Zwischenbilanz zur Mitteilungspflicht grenzüberschreitender Steuergestaltungen ist jedenfalls ernüchternd. Wesentliche Erkenntnisse über neue Steuersparmodelle wurden nicht gewonnen.18) Auch die Anzahl der identifizierten Modelle mit steuerpolitischem Handlungsbedarf ist nicht überwältigend. Insofern überrascht es, dass die deutsche Bundesregierung im Rahmen eines „Steuerfairnessgesetzes“ plant, die Mitteilungspflicht, die sich derzeit nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte bezieht, über die Vorgaben von DAC 6 hinaus – auch auf rein innerstaatliche Steuergestaltungen – ausweiten zu wollen und demnächst die hierfür erforderlichen gesetzlichen Grundlagen zu schaffen. Mit Spannung abzuwarten sind auch die gemäß Art 27 DAC 6 von der Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat vorzulegenden Berichte über die Anwendung von DAC 6 durch die Mitgliedstaaten, die möglicherweise eine Anpassung der Richtlinie auslösen werden. 18

) Schwab, Meldepflichten ohne Mehrwert, BStBKR-Report (2023) 1.

Automatischer Informationsaustausch über Finanzkonten nach § 91 GMSG – Liste der teilnehmenden Staaten Info des BMF vom 21. 6. 2023, 2023-0.415.373. Diese BMF-Info listet alle Staaten und Territorien auf, welche für den Meldezeitraum 2023 zwecks automatischen Austausches von Informationen über Finanzkonten als teilnehmende Staaten nach § 91 GMSG gelten, und führt darüber hinaus jene Staaten und Territorien an, für die im Kalenderjahr 2023 Informationen gemäß § 4 GMSG an das zuständige Finanzamt übermittelt werden müssen. Zwecks automatischen Austausches von Informationen über Finanzkonten gelten im Kalenderjahr 2022 folgende Staaten und Territorien als teilnehmende Staaten nach § 91 GMSG (Änderungen ab 1. 5. 2023 fett): Albanien, Andorra, Anguilla, Antigua und Barbuda, Argentinien, Aruba, Aserbaidschan, Australien, Bahamas, Bahrain, Barbados, Belgien, Belize, Bermuda, Brasilien, Britische Jungferninseln, Brunei Darussalam, Bulgarien, Cayman Islands, Chile, China, Cook Inseln, Costa Rica, Curaçao, Dominica, Ecuador, Dänemark, Deutschland, Estland, Färöer Inseln, Finnland, Frankreich (einschließlich Französisch-Guayana, Guadeloupe, Martinique, Mayotte, Réunion, Sankt Bartholomäus und St. Martin), Georgien, Ghana, Gibraltar, Grenada, Griechenland, Grönland, Guernsey, Hongkong, Indien, Indonesien, Irland, Island, Israel, Isle of Man, Italien, Jamaika, Japan, Jersey, Kanada, Kasachstan, Katar, Kenia, Kolumbien, Korea (Republik), Kroatien, Kuwait, Lettland, Libanon, Liberia, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Macau, Malaysia, Malediven, Malta, Marokko, Marshall-Inseln, Mauritius, Mexiko, Moldau, Monaco, Montenegro, Montserrat, Nauru, Neukaledonien, Neuseeland, Niederlande (einschließlich Bonaire, Saba und Sint Eustacius), Nigeria, Niue, Norwegen, Oman, Pakistan, Panama, Peru, Polen, Portugal, Rumänien, Russland (mit Stand vom 23. 3. 2022 ist der Informationsaustausch mit Russland aufgrund der Amtshilfekonvention suspendiert), Saint Kitts und Nevis, Saint Lucia, Saint Vincent und die Grenadinen, Samoa, San Marino, Saudi Arabien, Schweden, Schweiz, Seychellen, Singapur, Sint Maarten, Slowakei, Slowenien, Spanien (einschließlich Kanarische Inseln), Südafrika, Thailand, Tschechische Republik, Türkei, Turks und Caicos Inseln, Uganda, Ukraine, Ungarn, Uruguay, Vanuatu, Vereinigte Arabische Emirate, Vereinigtes Königreich und Zypern. SWI 2023

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Customs Valuation in the Group

Thomas Bieber / Stefan Vonderbank*)

Zollwertermittlung im Konzern: Eine systematische Analyse nachträglicher Verrechnungspreisanpassungen CUSTOMS VALUATION GROUP: A SYSTEMATIC ANALYSIS OF SUBSEQUENT Zollwertermittlung Konzern Customs ValuationINim inTHE the Group TRANSFER PRICING ADJUSTMENTS Customs valuation in the group is subject to multiple regulations, although understanding its specific aspects often hinges on the use of “soft law” including comments and guidelines provided by the World Customs Organization (WCO). The objective of this article is to provide a structured approach to group customs valuation and illustrate its practical application through the example of subsequent transfer pricing adjustments. I. Überblick und Problemstellung Grenzüberschreitende Warenbewegungen zwischen Konzernunternehmen werfen verschiedene rechtliche Fragestellungen auf. Zentrales Thema bei Einfuhren aus einem Drittland in die Union ist die Ermittlung des korrekten Zollwerts. Die Zollwertermittlung wird WTO-rechtlich durch Art VII GATT und das GATT-Zollwertübereinkommen1) (GATT-Zollwert-Kodex) vorgegeben.2) Das Unionszollrecht regelt die Zollwertermittlung in den Art 69 bis 76 UZK,3) den Art 127 bis 146 UZK-IA,4) Art 347 UZK-IA (galt nur bis zum 31. 12. 2017) sowie Art 71 UZK-DA.5) Für die Auslegung der zollwertrechtlichen Vorschriften sind weiters relevant die Rechtsansichten und Stellungnahmen der WCO, institutionalisiert durch den Ausschuss für den Zollwert (Committee on Customs Valuation, CCV) sowie den Technischen Ausschuss für den Zollwert (Technical Committee on Customs Valuation, TCCV6)). Ein regelmäßig aktualisiertes Compendium on Customs Valuation 7) enthält Interpretationshilfen der Europäischen Kommission zu zollwertrechtlichen Einzelfragen. Nicht zuletzt sind die Rechtsansichten der Zollverwaltungen zur Zollwertermittlung regelmäßig in nationalen Verwaltungs- bzw Dienstanweisungen festgehalten, wie der Arbeitsrichtlinie ZK-0690 der österreichischen Zollverwaltung8) und der Dienstvorschrift Zollwertrecht E-VSF Z 5101 der deutschen Zollverwaltung.9) *)

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Univ.-Prof. Dr. Thomas Bieber ist Universitätsprofessor für Steuerrecht und Vorstand des Instituts für Finanzrecht, Steuerrecht und Steuerpolitik an der Johannes Kepler Universität Linz. Diplom-Finanzwirt (FH) Stefan Vonderbank ist Leiter der Bundesstelle Zollwert. Er äußert in diesem Beitrag nur seine persönliche Sicht und vertritt dabei nicht die offizielle Position der Zollverwaltung. Übereinkommen zur Durchführung des Artikels VII des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens 1994, ABl L 336 vom 23. 12. 1994, S 119. Vgl dazu bereits Muziol, Die neuere Entwicklung des Wertzolls in der Weltwirtschaft, Weltwirtschaftliches Archiv 1952, 92 (92 ff); Glashoff in Kruse, Zölle, Verbrauchsteuern, europäisches Marktordnungsrecht (1988) 135 (135 ff); Müller-Eiselt in Müller-Eiselt/Vonderbank, EU-Zollrecht/Zollwert, Fach 4100, Rn 36 ff. VO (EU) 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. 10. 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABl L 269 vom 10. 10. 2013, S 1. DVO (EU) 2015/2447 der Kommission vom 24. 11. 2015 mit Einzelheiten zur Umsetzung von Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABl L 343 vom 29. 12. 2015, S 558. Delegierte VO (EU) 2015/2446 der Kommission vom 28. 7. 2015 zur Ergänzung der VO (EU) 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union, ABl L 343 vom 29. 12. 2015, S 1; berichtigt durch die Delegierte VO (EU) 2016/651 der Kommission vom 5. 4. 2016 zur Berichtigung der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446, ABl L 111 vom 27. 4. 2016, S 1. WCO, Historical documents of the TCCV, abrufbar unter https://www.wcoomd.org/en/topics/valuation/ resources/tccv.aspx (Zugriff am 11. 6. 2023). EU Commission, Customs Valuation, abrufbar unter https://taxation-customs.ec.europa.eu/system/ files/2022-07/2022%20EU%20Valuation%20Compendium%20EN.pdf (Zugriff am 11. 6. 2023). Richtlinie des BMF vom 1. 5. 2016, ZK-0690, Arbeitsrichtlinie Zollwert, BMF-010313/0112-IV/6/2016, idF 2020-0.212.990 vom 1. 4. 2020. Zuletzt aktualisiert mit E-VSF N 22 2021 Nr 102 vom 30. 9. 2021.

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Zollwertermittlung im Konzern Der UZK nennt sechs Methoden der Zollwertermittlung, die nach einer vorgeschriebenen Reihenfolge anzuwenden sind.10) Die jeweils nächste Methode darf nur angewendet werden, wenn der Zollwert nicht nach der vorangegangenen Methode ermittelt werden konnte.11) Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH12) soll mit den unionsrechtlichen Zollwertermittlungsmethoden ein gerechtes, einheitliches und neutrales System errichtet werden, das die Anwendung willkürlicher oder fiktiver Zollwerte ausschließt. Der Zollwert soll den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der eingeführten Waren widerspiegeln.13) Der Zollwert kann ermittelt werden nach der Transaktionswertmethode, dem Zollwert gleicher Waren, dem Zollwert gleichartiger Waren, der deduktiven Methode, der Methode des errechneten Werts oder der Schlussmethode. Die deduktive Methode und die Methode des errechneten Werts können auf Antrag in umgekehrter Reihenfolge angewendet werden.14) In der Praxis kann der Zollwert jedoch meistens schon nach der ersten Methode – der Transaktionswertmethode – ermittelt werden.15) Sie kommt in weit mehr als 90 % aller grenzüberschreitenden Warenlieferungen zur Anwendung.16) Soweit die Transaktionswertmethode nicht anwendbar ist, erfolgt die Zollwertermittlung in der Praxis zumeist nach der Schlussmethode (6. Methode). Die anderen Methoden der Zollwertermittlung (Methoden 2 bis 5) spielen eine deutlich untergeordnete Rolle, da die dazu erforderlichen Informationen und Nachweise dem Anmelder oftmals nicht vorliegen.17) Ausgehend von diesem groben Umriss der Rechtsgrundlagen und Systematik der Zollwertermittlung soll in weiterer Folge das Thema der nachträglichen Verrechnungspreisanpassungen im Konzern bei der Überlassung von Waren zum zollrechtlich freien Verkehr vertieft dargestellt werden. Dabei interessiert insbesondere die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich ein unterjährig angemeldeter Zollwert aufgrund einer nachträglichen Verrechnungspreisanpassung zum Jahresende (year end adjustment) nachträglich erhöht oder vermindert bzw ob es zur Nacherhebung oder Rückerstattung von Zollabgaben kommt.18) Verstärkt in den Blickpunkt gerückt ist diese Frage durch das EuGH-Urteil Hamamatsu,19) die dazu ergangene Nachfolgeentscheidung des BFH vom 17. 5. 202220) sowie ein aktuelles Urteil des FG München vom 27. 10. 2022.21),22) Eine Studie von Deloitte23) aus dem Jahr 2022 zum Thema „The Link Between Transfer Pricing and Customs Valuation“ verdeutlicht, dass international unterschiedlich vorgegangen wird und an die Erstattung oftmals andere Anforderungen gestellt werden als an die Nacherhebung. 10

) Scheurecker, Verrechnungspreise und Zollwert – ein Spannungsverhältnis der besonderen Art, taxlex 2017, 254 (255). ) Vonderbank, Die Bedeutung von Verrechnungspreisen bei der Zollerhebung, IStR 2016, 329 (329); Thoma/ Böhm/Kirchhainer, Zoll und Umsatzsteuer3 (2016) 49. 12 ) EuGH 20. 12. 2017, Hamamatsu, C-529/16, Rn 24; 16. 6. 2016, EURO 2004. Hungary Kft, C-291/15, Rn 23; 15. 7. 2010, Gaston Schul, C-354/09, Rn 27. 13 ) EuGH 20. 12. 2017, Hamamatsu, C-529/16, Rn 24; 21. 1. 2016, Stretinskis, C-430/14, Rn 23. 14 ) Thoma/Böhm/Kirchhainer, Zoll und Umsatzsteuer4 (2021) 62. 15 ) Jatzke in Sölch/Ringleb, UStG (96. Lfg, 2023) § 11 Rn 18; Körner, Zollwert-Ermittlungsverfahren, taxlex 2014, 351 (352). 16 ) Thoma/Böhm/Kirchhainer, Zoll und Umsatzsteuer3, 50; Müller-Eiselt in Müller-Eiselt/Vonderbank, EU-Zollrecht/Zollwert, Fach 4100, Rn 51. 17 ) Müller-Eiselt in Müller-Eiselt/Vonderbank, EU-Zollrecht/Zollwert, Fach 4100, Rn 51. 18 ) Siehe dazu im Schrifttum insbesondere Vonderbank in Müller-Eiselt/Vonderbank, EU-Zollrecht/Zollwert, Fach 4270, Rn 1042 ff; Vonderbank, Zollwertrechtliche Behandlung von Verrechnungspreisanpassungen, ZfZ 2017, 170; Roth/Rinnert, Zur Berücksichtigung von Verrechnungspreisen bei der Ermittlung des Zollwerts, DStR 2018, 2090. 19 ) EuGH 20. 12. 2017, Hamamatsu, C-529/16, Rn 35, mit Anmerkung Gerner/Weinzierl, Auswirkung von Verrechnungspreisanpassungen auf den Zollwert, SWI 2018, 59 (59 f). 20 ) BFH 17. 5. 2022, VII R 2/19. 21 ) FG München 27. 10. 2022, 14 K 588/20. 22 ) Vgl dazu Anmerkung von Vonderbank in Müller-Eiselt/Vonderbank, EU-Zollrecht/Zollwert, Fach 7500, Rn 33, sowie Vonderbank, Foreign Trade 2/2023, 37. 23 ) Deloitte, The Link Between Transfer Pricing and Customs Valuation (2022), abrufbar unter https://www2. deloitte.com/content/dam/Deloitte/us/Documents/Tax/us-tax-the-link-between-transfer-pricing-and-cu stoms-valuation-v2.pdf (Zugriff am 11. 6. 2023). 11

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Customs Valuation in the Group Dieser Beitrag möchte zum Verständnis der Systematik der Zollwertermittlung beitragen. Dazu soll in einem ersten Schritt aufgezeigt werden, dass der maßgebliche Bewertungszeitpunkt für die Zollwertermittlung die Annahme der Zollanmeldung ist (vgl Pkt II.). Ausgehend von diesem Zeitpunkt sind für die Ermittlung des Zollwerts im Allgemeinen – und für die im vorliegenden Beitrag interessierende Ermittlung des Zollwerts iZm nachträglichen Verrechnungspreisanpassungen im Besonderen – zunächst die Grundsätze der Transaktionswertmethode zu prüfen (vgl Pkt III.1.). Dies umfasst auch die Prüfung der Ausschlussgründe des Art 70 Abs 3 lit a bis d UZK von der Transaktionswertmethode. Diese Ausschlusstatbestände beziehen sich ausnahmslos auf Fälle, in denen der für die importierte Ware vereinbarte Preis aufgrund zusätzlicher Vereinbarungen oder Umstände nicht den tatsächlichen Wert der Ware wiedergibt.24) IZm der Anerkennung von individuell vereinbarten Verrechnungspreisen nach der Transaktionswertmethode sind die Ausschlusstatbestände des Art 70 Abs 3 lit b, lit c und lit d UZK zu prüfen (vgl Pkt III.2.). Falls die Transaktionswertmethode nicht anwendbar ist, verbleibt regelmäßig nur mehr der Rückgriff auf die Schlussmethode, wobei auch im Rahmen dieser Methode bestehende Verrechnungspreisvereinbarungen nicht einfach ausgeblendet werden dürfen (vgl Pkt IV.). Pkt V. soll das Gesagte anhand von typischen Fallbeispielen veranschaulichen. II. Annahme der Zollanmeldung als maßgeblicher Bewertungszeitpunkt Der Zoll wird gemäß Art 85 Abs 1 UZK anhand der Bemessungsgrundlagen festgesetzt, die zum Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld für die betreffenden Waren gelten. Art 86 Abs 1 UAbs 2 UZK nennt als Bemessungsgrundlagen den Zollwert, die Menge, die Beschaffenheit und den Ursprung der Waren.25) Bei regulären Einfuhren entsteht die Zollschuld gemäß Art 77 Abs 2 UZK zum Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung. Somit ist der Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung auch der maßgebliche Zeitpunkt, zu dem der Zollwert zu bestimmen ist.26) Der Anwendungsbereich des Art 85 Abs 1 UZK ist auf keine bestimmte Zollwertmethode eingeschränkt. Der Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung ist somit bei sämtlichen Zollwertmethoden (von der Transaktionswertmethode bis hin zur Schlussmethode) der relevante Zeitpunkt, zu dem der Zollwert zu ermitteln ist.27) Die Annahme der Zollanmeldung erfolgt bei einer Standardzollanmeldung, wenn die Zollstelle eine Plausibilitätskontrolle durchgeführt hat, dh die abgegebene Zollanmeldung auf ihre ordnungsgemäße Erstellung und innere Schlüssigkeit hin geprüft, erkennbare Einfuhrverbote abgeklärt, mit den notwendigen Unterlagen gemäß Art 163 UZK und unter Beachtung der Anmeldevoraussetzungen gemäß Art 170 UZK angenommen hat.28) Dieser Annahmezeitpunkt wird gemäß Art 226 UZK-IA dem Anmelder mitgeteilt.29) Die Zollwertermittlung ist demnach eine waren- und stichtagsbezogene Wertermittlung.30) III. Transaktionswertmethode 1. Transaktionswert als tatsächlich gezahlter oder zu zahlender Preis, der erforderlichenfalls anzupassen ist Vorrangige Methode für die Zollwertermittlung ist nach Art 70 Abs 1 UZK die Transaktionswertmethode. Der Transaktionswert ist der für die Waren bei einem Verkauf zur 24

) Thoma/Böhm/Kirchhainer, Zoll und Umsatzsteuer4, 67. ) Traub in Witte, UZK8 (2022) Art 85 Rn 2. 26 ) BFH 17. 5. 2022, VII R 2/19; Traub in Witte, UZK8, Art 85 Rn 3. 27 ) BFH 17. 5. 2022, VII R 2/19. 28 ) Witte in Witte, UZK8, Art 77 Rn 16; Jatzke in Wolffgang/Jatzke, UZK (2021) Art 77 Rn 46, demzufolge unter dem „Zeitpunkt der Annahme“ der Abschluss der Prüfungen und die Mitteilung an den Anmelder zu verstehen ist. 29 ) Witte in Witte, UZK8, Art 77 Rn 16. 30 ) BFH 17. 5. 2022, VII R 2/19; FG München 27. 10. 2022, 14 K 588/20. 25

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Zollwertermittlung im Konzern Ausfuhr in das Zollgebiet der Union tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis, der erforderlichenfalls anzupassen ist.31) Der Transaktionswert beruht auf einem Kaufgeschäft, das die Ausfuhr von Waren aus einem Drittland in das Zollgebiet der Union bezweckt.32) Ein Kaufgeschäft, das die Ausfuhr von Waren aus einem Drittland in ein anderes Drittland bezweckt, ist nicht anzuerkennen.33) Was als Kaufgeschäft gilt, ist weder welthandelsrechtlich noch unionsrechtlich definiert.34) Nach welthandelsrechtlichem Verständnis soll der Transaktionswert weitgehend zur Berechnung der Einfuhrabgaben herangezogen werden können, was für eine weite begriffliche Auslegung des Verkaufsbegriffs spricht.35) Die wesentlichen Elemente des zollwertrechtlichen Verkaufsbegriffs sind die Eigentumsverschaffung an der eingeführten Ware (Verschaffung der tatsächlichen und rechtlichen Verfügungsmacht) und die Entgeltzahlung, wobei zur Abgrenzung von Vermittlergeschäften maßgeblich ist, wer das finanzielle Risiko der Transaktion trägt.36) Der Kauf iSd Zollwertrechts ist daher ein Vertrag, der den Wechsel der tatsächlichen und rechtlichen Verfügungsmacht an Waren gegen Entgelt regelt.37) Bei der Ermittlung des Zollwerts nach der Transaktionswertmethode ist der zwischen dem Verkäufer und dem Käufer für die Einfuhrware individuell vereinbarte Kaufpreis und nicht ein üblicher oder normaler Preis Ausgangspunkt für den tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis und damit für den Transaktionswert.38) Dabei ist der tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis nach der Definition in Art 70 Abs 2 UZK39) die vollständige Zahlung, die der Käufer an den Verkäufer oder der Käufer an einen Dritten zugunsten des Verkäufers für die eingeführten Waren leistet oder zu leisten hat.40) Hierzu rechnen alle Zahlungen, die als Bedingung für den Verkauf der eingeführten Waren tatsächlich geleistet werden oder zu leisten sind. Aus Art 129 Abs 1 UZKIA ergibt sich zudem, dass solche Zahlungen sowohl an den Verkäufer, an einen Dritten zu Gunsten des Verkäufers, an einen mit dem Verkäufer verbundenen Dritten als auch an einen Dritten zur Erfüllung einer Verpflichtung des Verkäufers erfolgen können. Bei der Ermittlung des tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preises – und damit auch des Transaktionswerts – ist immer auf die vertraglichen Vereinbarungen im maßgeblichen Zeitpunkt abzustellen. So regelt Art 130 Abs 1 UZK-IA, dass Preisnachlässe bei der Bestimmung des Zollwerts nach Art 70 Abs 1 UZK berücksichtigt werden, wenn der Kaufvertrag zum Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung deren Anwendung und Höhe ausweist. Nach Ansicht der deutschen Zollverwaltung gilt dies auch für nachträgliche Preiserhöhungen.41) 2. Ausschlussgründe für die Transaktionswertmethode 2.1. Wertmäßig nicht bestimmbare Bedingungen und Leistungen Das Kaufgeschäft oder der Preis dürfen nach Art 70 Abs 3 lit b UZK weder von Bedingungen noch von Leistungen abhängig sein, die für die zu bewertenden Waren nicht bestimmt werden können. Nur wenn sich der Wert einer Bedingung/Leistung beziffern lässt, ist der Transaktionswert anwendbar, indem der Wert der Bedingung/Leistung 31

) EuGH 20. 12. 2017, Hamamatsu, C-529/16, Rn 26; 21. 1. 2016, Stretinskis, C-430/14, Rn 15; Körner, taxlex 2014, 351 (353); Summersberger, Grundzüge des Zollrechts (2002) 88 f; Arbeitsrichtlinie ZK-0690, Z 1. ) Arbeitsrichtlinie ZK-0690, Z 0.3.1. 33 ) Schlussanträge GA Kokott 30. 3. 2017, LS Customs Services, C-46/16, Rn 49. 34 ) VwGH 20. 11. 2007, 2004/16/0031. 35 ) VwGH 20. 11. 2007, 2004/16/0031. 36 ) VwGH 20. 11. 2007, 2004/16/0031. 37 ) Arbeitsrichtlinie ZK-0690, Z 1.1. 38 ) UFS Graz 16. 7. 2003, ZRV/0232-Z3K/02. 39 ) Ebenso Anmerkung 1 zu Art 1 GATT-Zollwert-Kodex. 40 ) EuGH 18. 4. 1991, Brown Boverie, C-79/89, Rn 21; 19. 10. 2000, Hans Sommer, C-15/99, Rn 24; 23. 2. 2006, Dollond & Aitchison, C-491/04, Rn 34. 41 ) Dienstvorschrift E-VSF, Z 5101 Abs 16. 32

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Customs Valuation in the Group nach Art 133 UZK-IA wie ein Kaufpreisbestandteil betrachtet und in den Zollwert der Ware einbezogen wird.42) Unter einer Bedingung ist eine für den Verkäufer wesentliche Vertragsbedingung zu verstehen, ohne deren Vereinbarung der konkrete Verkauf zur Ausfuhr in das Zollgebiet der Union nicht oder nicht in dieser Form zustande gekommen wäre.43),44) Eine Bedingung iSd Art 70 Abs 3 lit b UZK liegt zB vor, wenn der Verkäufer den Preis für die eingeführten Waren daran knüpft, dass der Käufer auch andere Waren in bestimmten Mengen kauft. Allgemein übliche Kauf- oder Lieferbedingungen (zB „Kauf unter der Bedingung, dass die Ware bis zum […] geliefert wird“) beziehen sich zwar auf das Kaufgeschäft, beeinflussen jedoch nicht den Preis und führen daher nicht zum Ausschluss der Transaktionswertmethode.45) Fraglich ist, ob Preisanpassungsklauseln als Bedingungen iSd Art 70 Abs 3 lit b UZK anzusehen sind. Hilfestellung bietet hierbei der Kommentar Nr 4.1 des Technischen Ausschusses für den Zollwert bei der WCO46), bei dem es sich allerdings um „soft law“ handelt. Danach beruht in Verträgen, die Preisanpassungsklauseln enthalten, der Kaufpreis der eingeführten Waren auf dem endgültigen Gesamtpreis, der nach den Vertragsbedingungen gezahlt oder zu zahlen ist. Weiters sind nach Ansicht des Technischen Ausschusses Preisanpassungsklauseln übliche Vertragsbestandteile und, sofern der tatsächliche Preis auf der Grundlage von vertraglich vereinbarten Preiselementen bestimmt werden kann, keine Bedingung oder Leistung, deren Wert nicht bestimmbar ist. In der Praxis – so der Technische Ausschuss – treten keine Probleme in jenen Fällen auf, in denen diese Klauseln bereits im Bewertungszeitpunkt zum Zuge gekommen sind, da dann der endgültig gezahlte oder zu zahlende Preis bekannt ist.47) Anders ist es aber dann, wenn derartige Klauseln an noch ungewisse Voraussetzungen gebunden sind, die erst einige Zeit nach der Wareneinfuhr eintreten. Dieser Einstufung folgend schließen Preisanpassungsklauseln als solche die Bewertung nach Art 70 UZK (also nach der Transaktionswertmethode) grundsätzlich nicht aus, selbst wenn es nicht immer möglich ist, den zu zahlenden Preis im Zeitpunkt der Einfuhr zu bestimmen. Voraussetzung ist allerdings, dass der für die eingeführte (konkrete) Ware tatsächlich zu zahlende Preis im Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung auf der Grundlage von vertraglich vereinbarten Preiselementen bestimmt werden kann. Mit anderen Worten: Die Preisanpassungsformel muss bereits im maßgebenden Zeitpunkt (Art 85 Abs 1 UZK) vertraglich vereinbart sein, und die Preisanpassung muss produktbezogen48) durchgeführt werden. Darauf weist auch die WCO unter Z 5.3.1 des „Guide to Customs Valuation and Transfer Pricing“ (Edition 2018)49) hin und hält das im Kommentar Nr 4.1 beschriebene Szenario mit Situationen vergleichbar, „in denen der dem Zoll bei der Einfuhr angemeldete Preis auf einem Verrechnungspreis beruht, der nachträglich berichtigt werden kann (z.B. um eine im Voraus festgelegte Gewinnspanne zu erreichen)“. Daher – so die Schlussfolgerung der WCO – besteht im Zeitpunkt der Einfuhr die Möglichkeit einer Berichtigung der Verrechnungspreise. 42

) Rinnert in Witte, UZK8, Art 70 Rn 60. ) Vonderbank in Müller-Eiselt/Vonderbank, EU-Zollrecht/Zollwert, Fach 4270, Rn 747; Fallstudie Nr 7.1 des TCCV, Rn 9; vgl auch BFH 27. 2. 2007, VII R 25/06; FG Hamburg 18. 6. 2019, 4 K 148/17. 44 ) Arbeitsrichtlinie ZK-0690, Z 1.4.1. 45 ) Vonderbank in Müller-Eiselt/Vonderbank, EU-Zollrecht/Zollwert, Fach 4270, Rn 750; Rinnert in Witte, UZK8, Art 70 Rn 61; Krüger in Dorsch, Zollrecht, Art 70 Rn 53. 46 ) Abgebildet zB bei Müller-Eiselt/Vonderbank, EU-Zollrecht/Zollwert, Fach 3330. 47 ) ZB bei Preisanpassungsklauseln, nach denen sich der Preis für eingeführte Rohstoffe nach dem Börsenpreis zum Zeitpunkt der Einfuhr richtet. 48 ) Nach Auffassung der deutschen Zollverwaltung liegt eine Produktbezogenheit auch dann vor, wenn Produkte einer Produktgruppe dem gleichen Zollsatz unterliegen. 49 ) WCO, Guide to Customs Valuation and Transfer Pricing (2023), abrufbar unter https://www.wcoomd. org/en/topics/valuation/instruments-and-tools/guide-to-customs-valuation-and-transfer-pricing.aspx (Zugriff am 11. 6. 2023). 43

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Zollwertermittlung im Konzern Der EuGH hat sich im Urteil Hamamatsu50) nicht mit dem Vorliegen einer Bedingung auseinandergesetzt. Nach der Folgeentscheidung des BFH51) war im Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung keine Bedingung iSd Art 70 Abs 3 lit b UZK erkennbar, was jedoch uE auch anders beurteilt werden hätte können. Denn Hamamatsu Japan verkaufte die eingeführten Waren an Hamamatsu Deutschland nur unter der Bedingung zu den unterjährig in Rechnung gestellten Preisen, dass die von Hamamatsu Deutschland am Ende des Jahres erzielte Nettomarge innerhalb der im Vorfeld der Einfuhren ermittelten und vertraglich festgelegten Bandbreite fremdüblicher Nettomargen lag. Für beide Vertragsparteien lag also auf der Hand, dass die Summe der in Rechnung gestellten Preise nur bei Einhaltung dieser Bedingung endgültig war. Da die Bedingung nicht eingehalten wurde, musste nach der Preisanpassungsklausel die Summe der unterjährig in Rechnung gestellten Preise nachträglich geändert (hier verringert) werden. Diese Korrektur wurde nicht produktbezogen vorgenommen, was uE einen Ausschluss der Transaktionswertmethode begründet hätte. 2.2. Erlösbeteiligungen, für die Anpassungen nicht möglich sind Nach Art 70 Abs 3 lit c UZK ist die Transaktionswertmethode nur anwendbar, wenn dem Verkäufer kein Anteil des Erlöses aus späteren Weiterverkäufen, Verfügungen oder Verwendungen der Waren durch den Käufer unmittelbar oder mittelbar zugutekommt, es sei denn, dass eine angemessene Anpassung möglich ist. Was unter Erlösen aus späteren Weiterverkäufen, sonstigen Überlassungen oder Verwendungen der eingeführten Ware exakt zu verstehen ist, welchen Anwendungsbereich und welche Tragweite die Vorschrift hat, wird weder in den Erläuternden Anmerkungen zum GATT-Zollwert-Kodex noch im Unionszollkodex näher bestimmt.52) Wesentlich ist der in der Vorschrift vorausgesetzte direkte Bezug der Erlösbeteiligungen auf die eingeführten Waren.53) Nur wenn der Betrag, der dem Verkäufer letztlich zugutekommt, aus einem Weiterverkauf der eingeführten Waren durch den Käufer oder aus einem sonstigen Geschäft (zB Vermietung, Verpachtung, sonstige Nutzungen usw) des Käufers mit den eingeführten Waren resultiert, kommt eine Hinzurechnung in Betracht. In einem solchen Fall spielt es auch keine Rolle, ob die ausbedungene Zahlung gleichzeitig als Bedingung für das Kaufgeschäft iSd Art 70 Abs 2 UZK oder Art 70 Abs 3 lit b UZK (siehe zuvor) angesehen werden kann, denn das bloße Vorliegen solcher Erlöse erfordert eine Berichtigung nach Art 71 UZK.54) Bezieht sich die Erlösbeteiligung auf die eingeführte Ware und ist sie zum maßgeblichen Zeitpunkt bekannt, ist sie nach Art 71 Abs 1 lit d UZK dem tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis hinzuzurechnen. Ebenso kann verfahren werden, wenn die Höhe der Erlösbeteiligung in nicht allzu ferner Zeit nach der Bewertung bekannt wird. Gegebenenfalls kann die Zollstelle dem Anmelder eine angemessene Frist zur Beibringung der notwendigen Unterlagen und Informationen setzen und die endgültige Festsetzung des Zollwerts bis dahin aufschieben.55) Nicht auf die eingeführten Waren abgestellte Abführungen aus Geschäften des Käufers dürfen dem tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis nicht hinzugerechnet werden. Danach ist zB der Gewinn oder der Gewinnanteil, den der Verkäufer der Einfuhrware aufgrund einer kapitalmäßigen Beteiligung an dem Unternehmen des Käufers erhält, ohne Einfluss auf den Transaktionswert. Dasselbe gilt für Dividenden und andere Zahlungen des Käufers an den Verkäufer, die sich nicht auf die Einfuhrware beziehen.56) 50

) EuGH 20. 12. 2017, Hamamatsu, C-529/16. ) BFH 17. 5. 2022, VII R 2/19. ) Fallstudie 2.2 des TCCV, Rn 3; abgebildet bei Müller-Eiselt/Vonderbank, EU-Zollrecht/Zollwert, Fach 3350. 53 ) Vonderbank in Müller-Eiselt/Vonderbank, EU-Zollrecht/Zollwert, Fach 4271, Rn 569. 54 ) Fallstudie 2.2 des TCVV, Rn 3. 55 ) Fallstudie 2.2 des TCVV, Rn 6. 56 ) Fallstudie 2.2 des TCVV, Rn 5; Anmerkung 4 zu Art 1 GATT-Zollwert-Kodex. 51 52

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Customs Valuation in the Group Offen bleibt, wie Verrechnungspreisanpassungen in diesen Rahmen einzuordnen sind. UE gilt das zu den in Pkt III.2.1. angesprochenen Bedingungen Gesagte analog. War die Möglichkeit der Erlösbeteiligung vor dem maßgeblichen Zeitpunkt, also dem Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung, zwischen den Kaufvertragsparteien vertraglich vereinbart und erfolgte sie produktbezogen – bezog sie sich also auf die eingeführten Waren –, ist sie dem tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis nach Art 71 Abs 1 lit d UZK hinzuzurechnen. Auch dies korrespondiert wieder mit Art 130 Abs 1 UZK-IA, der Entsprechendes für Preisermäßigungen regelt. 2.3. Preis beeinflusst durch Verbundenheit zwischen Verkäufer und Käufer Der Transaktionswert ist nach Art 70 Abs 3 lit d UZK ein Preis, der zwischen voneinander unabhängigen Verkäufern und Käufern zustande gekommen ist. Sind Käufer und Verkäufer miteinander verbunden, so werden nach Art 134 Abs 1 UZK-IA die Begleitumstände des Kaufgeschäfts, sofern erforderlich, geprüft, um festzustellen, ob die Verbundenheit den Preis beeinflusst hat, und dem Anmelder wird Gelegenheit gegeben, erforderlichenfalls weitergehende Informationen über diese Umstände vorzulegen. Die Fälle der Verbundenheit sind in Art 127 UZK-IA abschließend aufgezählt.57) Unterschieden werden kann allgemein zwischen einer Verbundenheit durch persönliche Beziehungen58) und einer Verbundenheit durch bestehende Kontrollfunktionen.59) Eine bestehende Verbundenheit führt noch nicht automatisch zur Nichtanerkennung des Transaktionswerts. Vielmehr müssen die Preise zwischen den verbundenen Kaufvertragsparteien durch die Verbundenheit auch beeinflusst sein. In welchen Fällen eine Preisbeeinflussung vorliegt, ist im Zollrecht nicht definiert. Sowohl die österreichische als auch die deutsche Zollverwaltung gehen davon aus, dass eine Preisbeeinflussung dann vorliegen kann, wenn der dem verbundenen Käufer berechnete Preis niedriger ist als der Preis, der bei gleichen Umständen einem nicht verbundenen Käufer berechnet worden wäre,60) wenn also zwischen den verbundenen Kaufvertragsparteien Bedingungen vereinbart werden, die von denen abweichen, die zwischen unverbundenen Kaufvertragsparteien vereinbart worden wären, und dadurch Abgaben gemindert werden. Gestützt wird diese Ansicht auf den „Guide to Customs Valuation and Transfer Pricing“ (Edition 2018).61) Dort führt die WCO unter Z 1.2 wie folgt aus: „For Customs valuation purposes, import transactions between two distinct and legally separate entities of the same MNE (= Multinational enterprises group) are treated as ,related party transactions’. Such transactions may be examined by Customs to determine whether the price declared for the imported goods is ,influenced’ by the relationship. In other words, is the price at which the goods have been sold at a lower level than it would have been had the parties not been related and the price had been freely negotiated?“ Eine Untersuchung der Begleitumstände des Kaufgeschäfts ist nur erforderlich, wenn Zweifel daran bestehen, ob der Preis anerkannt werden kann. Haben die Zollbehörden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Preis durch die Verbundenheit beeinflusst ist, so wird er anerkannt, ohne dass weitere Informationen vom Anmelder verlangt werden.62) 57

) EuGH 21. 1. 2016, Stretinskis, C-430/14, Rn 17. ) Vgl Art 127 Abs 1 lit a, b, c und h UZK-IA. ) Vgl Art 127 Abs 1 lit d bis g UZK-IA. 60 ) Arbeitsrichtlinie ZK-0690, Z 1.4.3.4, sowie E-VSF, Z 5101 Abs 30. 61 ) Abrufbar unter https://www.wcoomd.org/en/topics/valuation/instruments-and-tools/guide-to-customsvaluation-and-transfer-pricing.aspx (Zugriff am 11. 6. 2023). 62 ) Erläuternde Anmerkung 2 zu Art 70 Abs 3 UZK und Art 134 UZK-IA im Kompendium der Zollwerttexte (abrufbar unter https://taxation-customs.ec.europa.eu/customs-4/union-customs-code/ucc-guidancedocuments_de; Zugriff am 11. 6. 2023); ebenso Erläuternde Anmerkung 2 zu Art 1 Abs 2 GATT-Zollwert-Kodex; ZK-0690, Z 1.4.3.3. 58 59

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Zollwertermittlung im Konzern In welchen Fällen die Zollbehörde einen Anhaltspunkt für eine Preisbeeinflussung hat, ergibt sich in Österreich aus der Arbeitsrichtlinie Zollwert,63) welche auf die deutsche Dienstvorschrift Zollwertrecht64) verweist. In der deutschen Dienstvorschrift heißt es in Abs 31 unter lit e, dass ein Anhaltspunkt für eine Preisbeeinflussung zB dann vorliegt, wenn periodenweise sogenannte Anpassungs- oder Ausgleichszahlungen zwischen den verbundenen Unternehmen erfolgen, und unter lit f, wenn der Gewinn des Unternehmens auf eine sogenannte „targeted arm’s lengh margin“ (Zielmarge) angepasst wird. Dies bedeutet, dass sich aus Verrechnungspreisanpassungen Anhaltspunkte für eine Preisbeeinflussung ergeben können. Betrachtet man nun die oa Definition der Preisbeeinflussung, die von zu niedrigen Preisen zwischen den verbundenen Kaufvertragsparteien ausgeht, wird klar, dass es sich dabei nur um Nachbelastungen durch den Verkäufer an den verbundenen Käufer handeln kann. In einem solchen Fall können die Zollbehörden den Transaktionswert nicht ohne weitere Nachprüfung anerkennen. Sie geben dem Anmelder dann Gelegenheit zur Beschaffung solcher weitergehenden Informationen, die für die Prüfung der Begleitumstände des Kaufgeschäfts durch sie erforderlich sein können.65) In diesem Zusammenhang müssen die Zollbehörden bereit sein, die maßgebenden Gesichtspunkte des Kaufgeschäfts zu untersuchen, einschließlich der Art und Weise, nach der Käufer und Verkäufer ihre Handelsbeziehungen gestalten und wie der betreffende Preis zustande gekommen ist, um feststellen zu können, ob die Verbundenheit den Preis beeinflusst hat.66) Mit dem Vorliegen von Anhaltspunkten für eine Preisbeeinflussung kehrt sich die Beweislast um. Musste die Zollbehörde bis zu diesem Punkt noch den Beweis antreten, dass der von der Klägerin angemeldete Preis durch die Verbundenheit beeinflusst ist, muss nun die Klägerin nachweisen, dass der Preis trotz des Anhaltspunktes nicht durch die Verbundenheit beeinflusst ist.67) Kann der Anmelder die Anhaltspunkte der Zollbehörde ausräumen, verbleibt es beim angemeldeten Transaktionswert. Gelingt dem Anmelder dieser Nachweis nicht, können die Zollbehörden entscheiden, den Zollwert der Waren nach den nachrangigen Methoden festzustellen. Die Anhaltspunkte für eine Preisbeeinflussung sind ausgeräumt, wenn der Anmelder nachweisen kann, dass Käufer und Verkäufer, obwohl nach Art 127 UZK-IA miteinander verbunden, voneinander kaufen oder aneinander verkaufen, als wenn sie nicht miteinander verbunden wären.68) Dies kann zB dadurch nachgewiesen werden, dass der Preis für die Deckung aller Kosten zuzüglich eines Gewinnes ausreicht, der dem allgemeinen Gewinn des Unternehmens innerhalb eines repräsentativen Zeitraums (zB auf jährlicher Grundlage) bei Verkäufen von Waren der gleichen Gattung oder Art entspricht.69) Außerdem besteht die Möglichkeit, aufzuzeigen, dass der Preis im Einklang mit der üblichen Preispraxis der betreffenden Wirtschaftszweige oder derart festgelegt wurde, wie der Verkäufer die Preise für Verkäufe an Käufer festsetzt, die nicht mit dem Verkäufer 63

) ZK-0690, Z 1.4.3.4. ) E-VSF, Z 5101 Abs 31. ) ZK-0690, Z 1.4.3.8; E-VSF, Z 5101 Abs 33. 66 ) Erläuternde Anmerkung 3 zu Art 70 Abs 3 UZK und Art 134 UZK-IA im Kompendium der Zollwerttexte; ebenso Erläuternde Anmerkung 3 zu Art 1 Abs 2 GATT-Zollwert-Kodex. 67 ) Diese Umkehr der Beweislast findet auch eine Stütze in Art 140 UZK-IA betreffend die Ablehnung angemeldeter Transaktionswerte. Haben danach die Zollbehörden begründete Zweifel daran, dass der angemeldete Transaktionswert dem gezahlten oder zu zahlenden Gesamtbetrag gemäß Art 70 Abs 1 UZK entspricht, können sie vom Anmelder zusätzliche Auskünfte verlangen (Art 140 Abs 1 UZK-IA). Werden ihre Zweifel nicht ausgeräumt, können die Zollbehörden entscheiden, dass der Zollwert der Waren nicht gemäß Art 70 Abs 1 UZK ermittelt werden kann (Art 140 Abs 2 UZK-IA). 68 ) Erläuternde Anmerkung 3 zu Art 70 Abs 3 UZK und Art 134 UZK-IA im Kompendium der Zollwerttexte der EU; ZK-0690, Z 1.4.3.8; E-VSF, Z 5101 Abs 36. 69 ) Erläuternde Anmerkung 3 zu Art 70 Abs 3 UZK und Art 134 UZK-IA im Kompendium der Zollwerttexte der EU; ZK-0690, Z 1.4.3.8; E-VSF, Z 5101 Abs 36. 64 65

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Customs Valuation in the Group verbunden sind.70) Bei dieser Untersuchung ist – wie die Nachfolgeentscheidung des BFH zur Rs Hamamatsu71) deutlich macht – auf den maßgeblichen Zeitpunkt abzustellen, dh auf den Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung. Es ist also zu untersuchen, wie der unterjährig in Rechnung gestellte Preis gebildet bzw festgesetzt wurde und die Frage zu beantworten, ob auch fremde Dritte – also nicht miteinander verbundene Kaufvertragsparteien – den nach Vorliegen eines Anhaltspunktes auf Preisbeeinflussung näher zu untersuchenden Preis im maßgebenden Zeitpunkt so vereinbart hätten, wie es die verbundenen Kaufvertragsparteien gemacht haben. Unabhängig davon kann der Anmelder nach Art 134 Abs 2 bis 4 UZK-IA die Anhaltspunkte der Zollbehörde auf Preisbeeinflussung aber auch durch Vorlage von Vergleichszollwerten zu Einfuhren zwischen unverbundenen Kaufvertragsparteien ausräumen. Kommen solche Vergleichszollwerte den zu untersuchenden Transaktionswerten sehr nahe, gelten die Anhaltspunkte als ausgeräumt und wird der angemeldete Transaktionswert anerkannt.72) In der Praxis scheidet diese Nachweismöglichkeit aber zumeist aus, da der Anmelder regelmäßig nicht in Besitz solcher Vergleichszollwerte ist.73) Kann der Anmelder die Anhaltspunkte der Zollbehörde ausräumen, indem er zB darlegt, dass die nachträgliche Verrechnungspreisanpassung nicht – oder nur zum Teil – die Einfuhrwaren betrifft (sondern zB auch Lieferungen aus der Union oder Dienstleistungen) oder die Verrechnungspreisanpassung vorgenommen wurde, um eine bereits vor der Anpassung innerhalb der Interquartilsbandbreite fremdüblicher Margen vergleichbarer Unternehmen liegende Kennzahl (zB die Nettomarge) auf einen anderen Punkt in dieser Bandbreite anzupassen,74) verbleibt es bei einer Zollwertermittlung nach der Transaktionswertmethode, und der angemeldete Preis kann trotz der Verrechnungspreisanpassung zur Zollwertermittlung herangezogen werden.75) Gelingt dies dem Anmelder nicht, sind die nachrangigen Methoden des Art 74 UZK anzuwenden. Hierbei erfolgt die Zollwertermittlung dann in der Regel nach der Schlussmethode des Art 74 Abs 3 UZK, indem der unterjährig angemeldete Verrechnungspreis um die Höhe der Preisbeeinflussung korrigiert wird.76) IV. Schlussmethode Kann der Zollwert der eingeführten Waren weder nach der Transaktionswertmethode noch nach den (in der Praxis verhältnismäßig selten angewendeten) Methoden des Zollwerts gleicher Waren, des Zollwerts gleichartiger Waren, der deduktiven Methode oder der Methode des errechneten Werts ermittelt werden, verbleibt als letzte Bewertungsmethode nach Art 74 Abs 3 UZK die Schlussmethode. Nach der Schlussmethode ist der Zollwert einer eingeführten Ware auf der Grundlage von im Zollgebiet der Union verfügbaren Daten und unter Einsatz sinnvoller Hilfsmittel entsprechend den Grundsätzen und allgemeinen Bestimmungen des Übereinkommens zur Durchführung von Art VII GATT und des Art VII GATT zu bestimmen.77) Als in der EU verfügbare Daten können für die Ermittlung des Zollwerts zB Preisunterlagen, Katalogpreise oder Wertangaben des Zollwertanmelders berücksichtigt werden.78) Weiters kann auf 70

) Erläuternde Anmerkung 3 zu Art 1 Abs 2 GATT-Zollwert-Kodex; ZK-0690, Z 1.4.3.8; E-VSF, Z 5101 Abs 36. ) BFH 17. 5. 2022, VII R 2/19. 72 ) ZK-0690, Z 1.4.3.6; E-VSF, Z 5101 Abs 34. 73 ) Vonderbank in Müller-Eiselt/Vonderbank, EU-Zollrecht/Zollwert, Fach 4270, Rn 936. 74 ) Einzelheiten und Beispiele siehe Vonderbank in der Juli-Ausgabe der ZfZ 2023. 75 ) ZK-0690, Z 1.4.3.8; E-VSF, Z 5101 Abs 37. 76 ) Die deutsche Zollverwaltung bestimmt dazu einen Korrekturfaktor [Korrekturfaktor = (Summe aller Warenbezüge des betroffenen Zeitraums + Nachbelastung) : Summe aller Warenbezüge des betroffenen Zeitraums]; vgl Vonderbank in Müller-Eiselt/Vonderbank, EU-Zollrecht/Zollwert, Fach 4270, Rn 1064. 77 ) Vgl Art 74 Abs 3 lit a bis c UZK. 78 ) Zoll.de, Schlussmethode (2023), abrufbar unter http://www.zoll.de/DE/Fachthemen/Zoelle/Zollwert/Me thoden-der-Zollwertermittlung/Schlussmethode/schlussmethode_node.html (Zugriff am 11. 6. 2023). 71

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Zollwertermittlung im Konzern den Sachverstand der Zollbeamten oder auf Angaben eines Sachverständigen zurückgegriffen werden.79) Zur Ermittlung des Zollwerts nach der Schlussmethode ist nach Art 144 Abs 1 Satz 1 UZK-IA eine angemessene Flexibilität bei der Anwendung der Art 70 und Art 74 Abs 2 UZK geboten. Der nach der Schlussmethode ermittelte Zollwert soll nach Art 144 Abs 1 Satz 2 UZK-IA möglichst auf bereits früher ermittelten Zollwerten beruhen. Beispiele für eine flexible Anwendung des Art 70 UZK sind Rechnungspreisberichtigungen in der Höhe einer festgestellten Preisbeeinflussung oder die Schätzung von Bestandteilen des Transaktionswerts.80) Eine flexible Anwendung der Transaktionswertmethode gleicher oder ähnlicher Waren (Art 74 Abs 2 lit a und lit b UZK) kann zB darin bestehen, dass auf das Erfordernis desselben Herstellungslandes verzichtet wird oder dass nach der deduktiven Methode oder der Methode des errechneten Werts ermittelte Zollwerte herangezogen werden.81) Kann nach den Grundsätzen des Art 144 Abs 1 UZK-IA kein Zollwert ermittelt werden, sind nach Art 144 Abs 2 UZK-IA andere geeignete Methoden heranzuziehen. Diese anderen Methoden werden nicht aufgezählt, sondern nur durch Art 144 Abs 2 UZK-IA negativ abgegrenzt. Nicht für die Zollwertermittlung herangezogen werden dürfen ein Verkaufspreis in der Union von Waren, die in der Union hergestellt wurden (Art 144 Abs 2 lit a UZK-IA), ein Verfahren, nach dem jeweils der höhere von zwei Alternativwerten für die Zollbewertung heranzuziehen ist (Art 144 Abs 2 lit b UZK-IA), der Inlandsmarktpreis von Waren im Ausfuhrland (Art 144 Abs 2 lit c UZK-IA), andere Herstellungskosten als jene, die als errechnete Werte für gleiche oder ähnliche Waren gemäß Art 74 Abs 2 lit d UZK ermittelt wurden (Art 144 Abs 2 lit d UZK-IA), Preise zur Ausfuhr in ein Drittland (Art 144 Abs 2 lit e UZK-IA), Mindestzollwerte (Art 144 Abs 2 lit f UZK-IA) oder willkürliche oder fiktive Werte (Art 144 Abs 2 lit g UZK-IA). Eine andere geeignete Methode iSd Art 144 Abs 2 UZK-IA ist eine Schätzung iSd § 184 BAO. Eine Schätzung kann uE als Unterform der Schlussmethode qualifiziert werden. Der Anwendungsbereich und die Grenzen des Instruments der Schätzung wurden durch die VwGH-Rechtsprechung82) bereits vielfach beleuchtet. Die Befugnis zur Schätzung allein beruht auf der objektiven Voraussetzung der Unmöglichkeit der Ermittlung oder Berechnung der Besteuerungsgrundlagen.83) Das Ziel jeder Schätzung besteht darin, den wahren Besteuerungsgrundlagen möglichst nahezukommen.84) Die Schätzungsbefugnis erstreckt sich dabei auf den Sachverhalt dem Grunde und der Höhe nach.85) Jede Schätzung ist aber zu einem gewissen Grad ungenau. Derjenige, der zur Schätzung Anlass gibt und bei der Ermittlung der materiellen Wahrheit nicht entsprechend mitwirkt, muss die mit der Schätzung verbundene Ungewissheit hinnehmen.86) In den Fällen, in denen nachträgliche Verrechnungspreisanpassungen zu einer Preisbeeinflussung aufgrund von Verbundenheit führen bzw die Anhaltspunkte der Zollverwaltung für eine solche Preisbeeinflussung vom Anmelder nicht ausgeräumt werden 79

) Vgl aber UFS 10. 12. 2012, ZRV/0182-Z1W/09, wonach ein Gutachten dann unberücksichtigt bleibt, wenn der Gutachter den Zollwert ausgehend von Verkaufspreisen im österreichischen Einzelhandel retrograd ermittelt hat, ohne die konkreten Kalkulationsgrundlagen dieser Unternehmen zu kennen. Ein solcher Rechenvorgang sei nicht mit den Vorgaben der Schlussmethode vereinbar. 80 ) E-VSF, Z 5101 Abs 111. 81 ) E-VSF, Z 5101 Abs 111. 82 ) Vgl RFH 17. 8. 1925, RStBl 1925, S 257; VwGH 19. 6. 1959, 1924/57; 27. 11. 1959, 2450/56; 29. 4. 1966, 1444/65; 22. 2. 1989, 85/13/0114; 17. 1. 1984, 83/14/0236; 7. 2. 1990, 88/13/0055; 2. 6. 1992, 88/14/0080; 15. 5. 1997, 95/15/0093. 83 ) VwGH 20. 11. 2014, 2013/16/0085. 84 ) VwGH 27. 4. 1994, 92/13/0011; BFG 28. 3. 2017, RV/7200068/2016. 85 ) VwGH 10. 11. 1995, 92/17/0177. 86 ) VwGH 30. 9. 1998, 97/13/0033.

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Customs Valuation in the Group können (vgl Pkt III.2.3.), ist die Transaktionswertmethode nicht anwendbar. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die nachträgliche Verrechnungspreisanpassung im Rahmen der Schlussmethode dann ignoriert werden kann. Vielmehr sind die unterjährig angemeldeten Preise im Rahmen von Art 74 Abs 3 UZK iVm Art 70 UZK in flexibler Anwendung der Transaktionswertmethode um die Höhe der Preisbeeinflussung zu erhöhen. Dies erfolgt durch Anwendung eines Korrekturfaktors.87) V. Fallgruppen 1. Zum Zeitpunkt der Einfuhr liegt eine Preisanpassungsklausel vor, und die Anpassung erfolgt produktbezogen Erfolgt die nachträgliche Verrechnungspreiskorrektur aufgrund einer vor den Einfuhren getroffenen eindeutigen Vereinbarung und allein anhand von Rechenvorgängen, ohne dass es noch der Ausübung irgendwelcher Ermessensakte durch die Vertragsparteien bedarf, und wird die Anpassung produktbezogen vorgenommen, kann der Zollwert nach der Transaktionswertmethode des Art 70 UZK auf der Grundlage des endgültigen Gesamtpreises für das jeweilige Produkt unter Berücksichtigung der nachträglichen Verrechnungspreisanpassung ermittelt werden, da die Preisanpassungsklausel eine Bedingung/Leistung darstellt, deren Wert bezogen auf das einzelne Produkt bestimmt werden kann (Art 70 Abs 3 lit b UZK iVm Art 133 UZK-IA; Kommentar Nr 4.1 des Technischen Ausschusses für den Zollwert bei der WCO). Dies gilt gleichermaßen für vom Verkäufer ausgestellte Nachbelastungen als auch Gutschriften.88) Entscheidend sind somit die vertraglichen Absprachen der Kaufvertragsparteien im maßgebenden Zeitpunkt und nicht der zu diesem Zeitpunkt auf der Rechnung aufgeführte Preis. Dies korreliert auch mit Art 130 UZK-IA, demzufolge spätere Preisnachlässe (bei einer Gutschrift des Verkäufers) bei der Zollwertermittlung zu berücksichtigen sind, wenn sie sich auf die eingeführte Ware beziehen und im Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung dem Grunde und der Höhe nach feststehen, also vertraglich vereinbart waren sowie mit Art 70 Abs 3 lit c UZK iVm Art 71 Abs 1 lit d UZK, wonach Erlösbeteiligungen (bei einer Nachbelastung durch den Verkäufer) ebenfalls bei einer Zollwertermittlung nach Art 70 UZK zu berücksichtigen sind, wenn sie im Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung vertraglich vereinbart waren und sich auf die eingeführte Ware beziehen. Im Ergebnis wird der vereinbarte Preis dem Grunde nach anerkannt, aber zum Jahresende (positiv oder negativ) korrigiert. Entscheidend ist – und darauf sei hingewiesen –, dass die Anpassung auf der Grundlage von vertraglich vereinbarten Preiselementen erfolgt, dass sie sich also aus einem zum maßgebenden Zeitpunkt geltenden Vertrag (zB bei Warenbezügen von einer Produktionsgesellschaft aus einem „manufacturing agreement“ oder bei Warenlieferungen an eine Vertriebsgesellschaft aus einem „distribution agreement“) ergibt und die Höhe der Anpassung allein durch Rechenvorgänge ermittelt werden kann, ohne dass es noch der Ausübung irgendwelcher Ermessensakte bedarf.89) Bei Verrechnungspreisanpassungen ist also darauf zu achten, dass die Zielmarge, auf die angepasst wird (zB der Median, das dritte Quartil, ein konkreter Prozentwert), im Vorfeld der Einfuhren vertraglich festgelegt wurde. Eine derartige Vorgehensweise stünde auch im Einklang mit der derzeitigen Ansicht der deutschen und österreichischen Zollverwaltung90) und deckt sich uE mit der Vorgabe 87

) Vonderbank in Müller-Eiselt/Vonderbank, EU-Zollrecht/Zollwert, Fach 4270, Rn 1064. ) Vonderbank in Müller-Eiselt/Vonderbank, EU-Zollrecht/Zollwert, Fach 4270, Rn 1101 ff und 1109 ff. ) Vonderbank in Müller-Eiselt/Vonderbank, EU-Zollrecht/Zollwert, Fach 4270, Rn 1108. 90 ) E-VSF, Z 5101 Abs 16 und ZK-0690, Z 1.3.5. 88 89

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Zollwertermittlung im Konzern des BFH,91) wonach die Zollwertermittlung eine waren- und stichtagsbezogene Wertermittlung sein muss. 2. Zum Zeitpunkt der Einfuhr liegt eine Preisanpassungsklausel vor, aber die Anpassung erfolgt pauschal Auch in diesem Fall erfolgt die Anpassung aufgrund einer vor den Einfuhren getroffenen eindeutigen Vereinbarung und kann allein anhand von Rechenvorgängen vorgenommen werden, ohne dass es noch der Ausübung irgendwelcher Ermessensakte durch die Vertragsparteien bedarf. Allerdings betrifft die Korrektur nicht einzelne Produkte, sondern wird pauschal für alle Produkte des Unternehmens oder für alle Geschäftsaktivitäten (also zB inklusive Dienstleistungen) durchgeführt. Nach den Entscheidungen des EuGH und BFH im Fall Hamamatsu,92) bei dem es um die zollwertrechtliche Behandlung einer pauschalen Gutschrift ging, ist zwischen pauschalen Anpassungen in Form von Gutschriften und Nachbelastungen zu unterscheiden. Hinsichtlich pauschaler Gutschriften haben EuGH und BFH im Fall Hamamatsu entschieden, dass diese keine Auswirkung auf den Zollwert haben. Dies gilt – so der BFH – auch für eine Zollwertermittlung nach der Schlussmethode des Art 74 Abs 3 UZK. Anderes ergibt sich nach Auffassung der österreichischen und deutschen Zollverwaltung aber unter Umständen bei einer pauschalen Anpassung in Form einer Nachbelastung durch den verbundenen Verkäufer.93) In solchen Fällen hat die Zollbehörde wegen der Nachbelastung zunächst einen Anhaltspunkt dafür, dass die unterjährig in Rechnung gestellten Preise zu niedrig und damit aufgrund der Verbundenheit beeinflusst waren. In einem solchen Fall greift das unter Pkt III.2.3. beschriebene Prüfverfahren. Kann der Anmelder nachweisen, dass die unterjährig in Rechnung gestellten Preise trotz der pauschalen Nachbelastung so gebildet wurden, wie dies auch fremde dritte Vertragsparteien gemacht hätten, sind die Anhaltspunkte ausgeräumt und der unterjährig angemeldete Preis wird für Zwecke der Zollwertermittlung nach Art 70 UZK anerkannt, dh nicht korrigiert. Können die Anhaltspunkte für eine Preisbeeinflussung vom Anmelder dagegen nicht ausgeräumt werden bzw ergibt sich bei der Prüfung durch die Zollbehörde, dass die unterjährigen Preise anders gebildet wurden, als dies fremde Dritte unter den gleichen Umständen gemacht hätten, führt dies zum Ausschluss der Transaktionswertmethode.94) Der Zollwert ist dann im Rahmen der Schlussmethode in flexibler Anwendung der Transaktionswertmethode zu ermitteln, indem der unterjährig angemeldete Preis um die Höhe der Preisbeeinflussung erhöht wird (vgl oben Pkt III.2.3.).95) 3. Zum Zeitpunkt der Einfuhr liegt keine Preisanpassungsklausel vor Liegt zum maßgebenden Zeitpunkt keine vertragliche Vereinbarung hinsichtlich einer möglichen späteren Verrechnungspreiskorrektur vor, bleibt die Verrechnungspreisanpassung bei der Zollwertermittlung grundsätzlich unberücksichtigt. Es handelt sich dann um eine Preisänderung, die erst nach dem maßgebenden Zeitpunkt vertraglich zwischen den Kaufvertragsparteien vereinbart wurde und insofern keine Auswirkung auf den angemeldeten Zollwert haben kann. Bei unterjährig zu niedrig angemeldeten Verrechnungspreisen – zB in den Fällen, in denen der verbundene Verkäufer eine Verrechnungspreisanpassung in Form einer Nach91

) BFH 17. 5. 2022, VII R 2/19. ) EuGH 20. 12. 2017, Hamamatsu, C-529/16, und BFH 17. 5. 2022, VII R 2/19. ) E-VSF, Z 5101 Abs 31; ZK-0690, Z 1.4.3.4. 94 ) E-VSF, Z 5101 Abs 37; ZK-0690, Z 1.4.3.8. 95 ) So zumindest die derzeitige Verfahrensweise in Deutschland, E-VSF, Z 5101 Abs 111. 92 93

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Customs Valuation in the Group belastung vornimmt – wird die Zollbehörde aber tendenziell einen Anhaltspunkt für eine Preisbeeinflussung haben (Art 70 Abs 3 lit d UZK iVm Art 134 UZK-IA; E-VSF, Z 5101 Abs 30 und 31). In einem solchen Fall greift das unter Pkt III.2.3. beschriebene Prüfverfahren. Kann der Anhaltspunkt auf Preisbeeinflussung nicht vom Anmelder ausgeräumt werden, erfolgt die Zollwertermittlung dann – wie zuvor in Pkt V.2. ausgeführt – nach der Schlussmethode, indem die Nachbelastung den betroffenen Produkten zugeordnet wird. Handelt es sich um eine pauschale Nachbelastung, wird diese unter Anwendung eines Korrekturfaktors gleichmäßig auf alle bezogenen und davon betroffenen Produkte aufgeteilt.96) 4. Zum Zeitpunkt der Einfuhr liegt eine Preisanpassungsklausel vor, aber Ermessensakte erforderlich Ebenso ist vorzugehen, wenn im maßgebenden Zeitpunkt zwar eine vertragliche Vereinbarung hinsichtlich einer möglichen Verrechnungspreiskorrektur vorliegt, die Korrektur aber nicht allein anhand von Rechenvorgängen vorgenommen werden kann, sondern noch die Ausübung irgendwelcher Ermessensakte nach dem maßgebenden Zeitpunkt zulässt.97) Auch in diesem Fall werden erst nach dem maßgebenden Zeitpunkt Regelungen hinsichtlich der Festlegung bzw Definition des endgültigen Preises getroffen, die grundsätzlich keine Auswirkung auf den Zollwert der eingeführten und zu bewertenden Waren haben können. Liegt jedoch eine Nachbelastung vor, hat die Zollverwaltung einen Anhaltspunkt für eine Beeinflussung der unterjährig angemeldeten Verrechnungspreise. Es ist dann wie zuvor in Pkt V.3. beschrieben zu verfahren. VI. Ergebnisse Vor dem Hintergrund der Ausführungen in Pkt I. bis V. lassen sich folgende Ergebnisse festmachen:

• Obwohl die Zollwertermittlung durch verschiedene Verordnungsbestimmungen geregelt wird, erschließt sich das (auch der Rechtsprechung zugrunde liegende) zollwertrechtliche Verständnis von nachträglichen Verrechnungspreisanpassungen nur durch die ergänzende Heranziehung von „soft law“ (wie insbesondere Kommentare, Fallstudien und Richtlinien der WCO).

• Für die Zollwertermittlung sind die Verhältnisse im Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld (= Annahme der Zollanmeldung) relevant. Somit ist für die Frage der Anerkennung nachträglicher Verrechnungspreisanpassungen (in Form von Nachbelastungen oder Gutschriften) auf die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Verhältnisse und Vereinbarungen abzustellen.

• Preisanpassungsklauseln schließen die Anwendung der Transaktionswertmethode nicht bereits dem Grunde nach aus. Voraussetzung ist allerdings, dass die Preisanpassungsformel bereits im Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld (= Annahme der Zollanmeldung) vereinbart ist und die Anpassung produktbezogen erfolgen kann.

• Fehlen zum Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung vertragliche Vereinbarungen über nachträgliche Preisanpassungen oder lässt die Preisanpassungsklausel nach der Einfuhr noch Ermessensakte durch die Kaufvertragsparteien zu, so haben die nachträglichen Preisanpassungen grundsätzlich keine Auswirkung auf die bereits erfolg96 97

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) Vonderbank in Müller-Eiselt/Vonderbank, EU-Zollrecht/Zollwert, Fach 4270, Rn 1110 und 1064. ) Eine Preisanpassung, die Ermessensakte erfordert, kann sowohl produktbezogene Anpassungen als auch pauschale Anpassungen betreffen. In solchen Fällen wird der endgültige Preis (bei produktbezogenen Anpassungen) bzw die endgültige Summe der Preise aller Waren (bei pauschalen Anpassungen) erst nach dem maßgebenden Zeitpunkt festgelegt bzw vereinbart/verhandelt.

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Zollwertermittlung im Konzern te Zollwertermittlung. Im Falle einer Nachbelastung (produktbezogen oder pauschal) liegt für die Zollverwaltung jedoch ein Anhaltspunkt für eine Preisbeeinflussung vor.

• Erfolgen durch den Verkäufer Nachbelastungen (produktbezogen oder pauschal) gegenüber dem verbundenen Käufer, bestehen nach österreichischer und deutscher Verwaltungspraxis zunächst Anhaltspunkte für eine Preisbeeinflussung (aufgrund unterjährig zu niedrig angemeldeter Preise). Derartige Anhaltspunkte sind dem Anmelder mitzuteilen und durch den Anmelder auszuräumen, um die unterjährig angemeldeten Preise beibehalten zu können (Beweislast des Anmelders). Hierbei ist die Frage zu klären, ob auch fremde Dritte den zu untersuchenden Preis so gebildet hätten, wie es die verbundenen Kaufvertragsparteien gemacht haben.

• Kann der Anmelder die Anhaltspunkte der Zollbehörde ausräumen, verbleibt es beim unterjährig angemeldeten Preis. Gelingt dies dem Anmelder nicht, wird die Zollbehörde regelmäßig eine Zollwertermittlung nach der Schlussmethode vornehmen und den unterjährig angemeldeten Preis um die Höhe der Preisbeeinflussung korrigieren.

• Pauschale Gutschriften (aufgrund unterjährig zu hoch angemeldeter Preise) führen unabhängig von einer vertraglichen Vereinbarung zum Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld (= Annahme der Zollanmeldung) nach der Rechtsprechung des EuGH und BFH nicht zu einer Änderung der unterjährig angemeldeten Zollwerte.

• Nach alledem ist aus zollwertrechtlicher Sicht zu empfehlen, im Vorfeld der Einfuhren eindeutige Preisanpassungsklauseln vertraglich zu vereinbaren und gegebenenfalls notwendige Korrekturen der Preise produktbezogen vorzunehmen.

Reichweite des Rechts auf Auskunft iZm der DSGVO Entscheidung: EuGH 22. 6. 2023, Pankki S, C-579/21. Normen: Art 4 und 15 Verordnung (EU) 2016/679 (DSGVO). 1. Art 15 DSGVO im Licht von Art 99 Abs 2 dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass er auf ein Auskunftsersuchen hinsichtlich der in Art 15 DSGVO genannten Informationen anwendbar ist, wenn die Verarbeitungsvorgänge, auf die sich dieses Ersuchen bezieht, vor dem Anwendungsdatum der Verordnung ausgeführt wurden, das Ersuchen indessen nach diesem Datum vorgebracht wurde. 2. Art 15 Abs 1 DSGVO ist dahin auszulegen, dass Informationen, die Abfragen personenbezogener Daten einer Person betreffen und die sich auf den Zeitpunkt und die Zwecke dieser Vorgänge beziehen, Informationen darstellen, die die genannte Person nach dieser Bestimmung von dem Verantwortlichen verlangen darf. Dagegen sieht diese Bestimmung kein solches Recht in Bezug auf Informationen über die Identität der Arbeitnehmer dieses Verantwortlichen vor, die diese Vorgänge unter seiner Aufsicht und im Einklang mit seinen Weisungen ausgeführt haben, außer wenn diese Informationen unerlässlich sind, um der betroffenen Person es zu ermöglichen, die ihr durch diese Verordnung verliehenen Rechte wirksam wahrzunehmen, und vorausgesetzt, dass die Rechte und Freiheiten dieser Arbeitnehmer berücksichtigt werden. 3. Art 15 Abs 1 DSGVO ist dahin auszulegen, dass der Umstand, dass der Verantwortliche das Bankgeschäft im Rahmen einer reglementierten Tätigkeit ausübt und dass die Person, deren personenbezogene Daten in ihrer Eigenschaft als Kunde des Verantwortlichen verarbeitet wurden, bei diesem Verantwortlichen auch beschäftigt war, sich grundsätzlich nicht auf die Reichweite des Rechts auswirkt, das dieser Person nach dieser Bestimmung gewährt wird. SWI 2023

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Cross-Border Loss Utilization in Corporate Tax Law

Valentin Bendlinger / Martin Klokar*)

„Shifting of Losses“ – Gedanken zur grenzüberschreitenden Verlustverwertung im Körperschaftsteuerrecht “SHIFTING OF LOSSES“ ONinCROSS-BORDER LOSS UTILIZATION IN CORPORATE Grenzüberschreitende Verlustverwertung Körperschaftsteuerrecht Cross-Border Loss– THOUGHTS Utilization CorporateimTax Law TAX LAW Losses and their utilization have always been among the central issues of corporate tax law, both from a national and international perspective. In recent years in particular, the optimal compensation of losses has been the focus of many companies’ tax planning due to the global political environment suffering multiple crises. This raises the question of the extent to which losses can be used at all for tax planning purposes. What regulatory system does Austrian income tax law provide for corporate losses in an international context and is there a necessity for the Austrian legislature to rethink the system for corporate loss utilization? This article is based on the Austrian national report on “Sharing and shifting of corporate losses – The new profit shifting?”, which was written by the authors of this article on the occasion of the 75th Congress of the International Fiscal Association 2023 in Cancún, Mexico. I. Überblick Verluste und deren Verwertung gehören seit jeher zu den zentralen Fragestellungen nicht nur des nationalen, sondern auch des internationalen Steuerrechts.1) Insbesondere in den letzten Jahren stand die optimale Verlustverwertung aufgrund multipler weltweiter Krisensituationen im Mittelpunkt der Steuergestaltung vieler Unternehmen. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit Verluste für Steuerplanungszwecke überhaupt genutzt werden können. Welches Regelungssystem sieht das österreichische Ertragsteuerrecht für Verluste von Körperschaften im internationalen Kontext vor? Dieser Beitrag basiert auf dem Nationalbericht Österreichs zum Thema „Sharing and shifting of corporate losses – The new profit shifting?“ anlässlich des 75. Kongresses der International Fiscal Association in Cancún, Mexiko, den die Autoren verfasst haben.2) Zunächst soll auf die grenzüberschreitende Verlustverwertung von unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtigen Körperschaften eingegangen werden. Im Anschluss widmet sich der Beitrag den abkommensrechtlichen Aspekten von Verlusten. Abschließend sollen etwaige rechtspolitische Optionen für den österreichischen Gesetzgeber aufgezeigt werden. Sodann soll auch noch auf österreichische Abwehrmechanismen zur künstlichen Verschiebung von Verlusten und die Auswirkungen des OECD-BEPS-Projekts auf die Möglichkeiten der steuerplanerischen Verlustverwertung eingegangen werden. II. Grenzüberschreitende Verlustverwertung im österreichischen Außensteuerrecht 1. Verwertung ausländischer Verluste bei unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften Verluste als negative Differenz zwischen Einnahmen und Aufwendungen sind im Rahmen des Verlustausgleichs oder Verlustabzugs durch den Steuerpflichtigen verwertbar.3) Während die Verlustverwertung von inländischen Verlusten im Rechtsrahmen weitgehend *) 1

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Mag. Dr. Valentin Bendlinger, MSc., LL.B. ist Universitätsassistent am Institut für Österreichisches und Internationales Steuerrecht der WU Wien. Dr. Martin Klokar, MSc (WU) LL.B. (WU) BSc (WU) ist Universitätsassistent am Institut für Österreichisches und Internationales Steuerrecht der WU Wien. Vgl dazu zB Hohenwarter, Verlustverwertung im Konzern (2009); Röder, Das System der Verlustverrechnung im deutschen Einkommensteuerrecht (2010); Thiemann, Verluste im Steuerrecht (2020); Kofler, Verlustverwertung und Verfassungsrecht, in Kofler/Lang/Rust/Schuch/Spies/Staringer, Steuerpolitik und Verfassungsrecht (2023) 71 (71 ff). V. Bendlinger/Klokar, Sharing and shifting of corporate losses – The new profit shifting? Austrian Branch Report, in IFA, Cahiers de Droit Fiscal International, No 107a, in Druck. Ausführlich dazu Klokar, Die Zeit im Ertragsteuerrecht (2023) in Druck.

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Grenzüberschreitende Verlustverwertung im Körperschaftsteuerrecht klar ist, führen insbesondere ausländische Verluste von Körperschaften zu Diskussionen. International tätige Unternehmen sind nämlich daran bestrebt, Verluste optimal zu verwerten, um ihre Steuerlast zu minimieren. Die grenzüberschreitende Verlustverwertung führt daher seit jeher zu Fragestellungen sowohl im nationalen und europäischen Recht als auch im DBA-Recht. Zunächst soll auf das nationale Recht näher eingegangen werden. Die Berücksichtigung ausländischer Verluste ist maßgeblich durch § 2 Abs 8 EStG bestimmt.4) Demnach sind im Ausland nicht berücksichtigte Verluste bei der Ermittlung des Einkommens höchstens in Höhe der nach ausländischem Steuerrecht ermittelten Verluste des betreffenden Wirtschaftsjahres anzusetzen.5) Um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden und eine Einmalbesteuerung sicherzustellen, werden Doppelverlustverwertungen durch ein System der Nachversteuerungspflicht ausgeschlossen.6) Mit „ausländischen Verlusten“ iSd § 2 Abs 8 Z 3 EStG sind solche gemeint, die von unbeschränkt Steuerpflichtigen in ausländischen Betriebsstätten oder Betrieben erzielt werden.7) Ausgleichsfähig sind ausländische Verluste dann, wenn sie im Ausland infolge der Verlustsituation nicht berücksichtigt werden oder im Ausland gar nicht ausgleichsfähig sind.8) Die negativen Einkünfte sind durch Umrechnung auf das inländische Recht anhand der inländischen Regelungen für die Gewinnermittlung zu adaptieren, was zu betragsmäßigen Abweichungen führen kann.9) Der im Inland anzusetzende ausländische Verlust darf allerdings der Höhe nach nicht über den nach ausländischem Recht ermittelten Verlust hinausgehen.10) Dieser doppelte „Verlustdeckel“ soll die nach § 2 Abs 8 Z 4 EStG vorgeschriebene Nachversteuerung absichern. Der ausländische Verlust ist zwingend11) in der Verlustentstehungsperiode anzusetzen (Nachholverbot).12) Inländische wie ausländische Verluste dürfen nur einmal steuerlich verwertet werden. Um eine Mehrfachverwertung derselben ausländischen Verluste auszuschließen, erhöhen die nach § 2 Abs 8 Z 3 EStG angesetzten ausländischen Verluste in jenem Kalenderjahr ganz oder teilweise den Gesamtbetrag der Einkünfte, in dem sie im Ausland ganz oder teilweise berücksichtigt werden oder berücksichtigt werden könnten (zB durch einen Verlustvortrag).13) Angesetzte Verluste aus einem Staat, mit dem keine umfassende Amtshilfe besteht, erhöhen jedoch spätestens im dritten Jahr nach deren Ansatz den Gesamtbetrag der Einkünfte.14) Es kommt also zu einer Nachversteuerung in jenem Ausmaß, in dem der ausländische Verlust zuvor die inländische Bemessungsgrundlage gemindert hat.15) Die Nachversteuerung von ausländischen, im Inland angesetzten Verlusten kommt nur im Fall der Befreiungsmethode nach einem DBA, der Doppelbesteuerungs-VO16) oder einer Einzelmaßnahme nach § 48 BAO zur Anwendung.17) Wird in einem 4

§ 2 Abs 8 EStG gilt nicht nur für natürliche Personen iSd § 1 EStG, sondern über die Regelung des § 7 Abs 2 letzter Satz KStG auch für unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaften iSd § 1 Abs 2 KStG. Die Rechtsprechung des VwGH (insbesondere 25. 9. 2001, 99/14/0217) bildete die Grundlage für die Regelung. 5 ) § 2 Abs 8 Z 3 EStG. 6 ) Ausführlich Hohenwarter, Verlustverwertung im Konzern, 355 ff. 7 ) Vgl ErlRV 451 BlgNR 22. GP, 11. Von der Regelung sind nicht nur betriebliche Verluste umfasst, sondern auch außerbetriebliche Verluste (zB aus Vermietung und Verpachtung). 8 ) Siehe Toifl in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG (20. Lfg, 2018) § 2 Tz 197. 9 ) Vgl für Details zB Jakom/Ehgartner, EStG16 (2023) § 2 Rz 190 ff. 10 ) Damit sind ausländische Betriebsstätten und Gruppenmitglieder gleichgestellt. Siehe Mayr, Gruppenbesteuerung: Ausländische Verluste mit ausländischem Ergebnis gedeckelt, RdW 2012, 308 (308 ff). 11 ) Nach der Regelung des § 2 Abs 8 EStG herrscht eine Verwertungspflicht der ausländischen Verluste. 12 ) Vgl Toifl in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG (20. Lfg, 2018) § 2 Tz 199. 13 ) Vgl § 2 Abs 8 Z 4 Satz 1 EStG. Zur Regelung siehe zB Kofler/Marschner, Änderungen im Außensteuerrecht, SWK 9/2014, 455 (456 ff). 14 ) § 2 Abs 8 Z 4 Satz 2 EStG. Vgl dazu zB S. Bendlinger/Kofler, RuSt 2014: Highlights aus dem Workshop „Internationales Steuerrecht“, RdW 2014, 607 (607 f). 15 ) Zur Nachversteuerung im internationalen Kontext siehe zB Hohenwarter-Mayr, Die Nachversteuerung ausländischer Verluste im Lichte des DBA-Rechts, RdW 2014, 295 (295 ff). 16 ) BGBl II 2002/474. 17 ) ErlRV 24 BlgNR 25. GP, 1.

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Cross-Border Loss Utilization in Corporate Tax Law DBA die Anrechnungsmethode vorgeschrieben, ist eine Nachversteuerung obsolet, weil der nochmals im Ausland verwertete Verlust notwendigerweise dann auch die anzurechnende Steuer im Ansässigkeitsstaat in den Folgejahren vermindert. 2. Verwertung inländischer Verluste bei beschränkt steuerpflichtigen Körperschaften Beschränkt steuerpflichtige Körperschaften iSd § 1 Abs 3 Z 1 KStG unterliegen gemäß § 21 Abs 1 KStG mit den in § 98 EStG aufgezählten Einkünften der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht in Österreich. Inländische Verluste einer beschränkt steuerpflichtigen Körperschaft können also von vornherein nur dann in Österreich verwertet werden, wenn die entsprechenden Aufwendungen zum Ersten (i) im Rahmen der nach § 98 EStG steuerbaren Einkünfte anfallen und zum Zweiten (ii) nach den nationalen Vorgaben der Einkünfteermittlung tatsächlich zum Abzug zugelassen sind. Erzielt eine beschränkt steuerpflichtige Körperschaft in Österreich nun einen Verlust, stellt sich die Frage, ob und vor allem wo diese Verluste verwertet werden können. Sofern Österreich nach dem DBA mit dem Ansässigkeitsstaat der beschränkt steuerpflichtigen Körperschaft tatsächlich ein Besteuerungsrecht zukommt, obliegt es kraft dem DBAMethodenartikel dem Ansässigkeitsstaat der Körperschaft, diese zu entlasten und den Verlustausgleich zuzulassen. Bei Anwendung der Anrechnungsmethode wird dies in der Regel unproblematisch sein, da der Ansässigkeitsstaat die im Quellenstaat Österreich erlittenen Verluste ohnehin in die Welteinkünfte der Körperschaft einbeziehen wird. Nur wenn das Welteinkommen der Körperschaft insgesamt negativ ist, ist eine Verwertung der Verluste unsicher, weil die Verluste aus österreichischen Quellen nur dann verwertet werden können, wenn das nationale Recht des Ansässigkeitsstaates einen Verlustvortrag zulässt. Wendet der Ansässigkeitsstaat hingegen die Befreiungsmethode an, ist eine Verwertung der inländischen Verluste generell unsicher, weil der Ansässigkeitsstaat dann die Verluste befreit und zumindest abkommensrechtlich nicht zum Abzug zulassen muss. Die Verwertbarkeit inländischer Verluste im Ansässigkeitsstaat ist sohin, unabhängig von der in einem DBA vorgesehenen Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, unsicher. Dadurch ergeben sich Risiken der Schlechterstellung von beschränkt steuerpflichtigen Körperschaften im Vergleich zu unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften, die erlittene Verluste in Österreich jedenfalls vortragen können. Als Mitgliedstaat der OECD und der EU sind Österreichs Abkommenspolitik und das österreichische Außensteuerrecht traditionellerweise stark auf die Vermeidung von Diskriminierungen ausgerichtet, hat sich doch Österreich völkerrechtlich an umfassende Verpflichtungen zur Beseitigung von diskriminierenden Rechtsvorschriften gebunden. Für die Quellenbesteuerung beschränkt steuerpflichtiger Kapitalgesellschaften sind vor allem die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit18) und das abkommensrechtliche Betriebsstättendiskriminierungsverbot19) relevant. Gerade aus Letzterem ergibt sich ausdrücklich, dass nichtansässige Körperschaften hinsichtlich ihrer Betriebsstätten einer in Österreich ansässigen Körperschaft steuerlich gleichgestellt werden müssen. Aufgrund dieser unionsund völkerrechtlichen Vorgaben ist das Besteuerungsregime für beschränkt steuerpflichtige Körperschaften in § 21 Abs 1 KStG stark auf die Vermeidung etwaiger Diskriminierungen ausgerichtet. Die grenzüberschreitende Verlustverwertung birgt für den Fiskus allerdings auch das Risiko, dass die Verluste doppelt verwertet werden können. Da primär der Ansässigkeitsstaat für die Entlastung zuständig ist,20) soll der Verlustabzug in Österreich nur sub18 19 20

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) Art 49 AEUV. ) Art 24 Abs 3 OECD-MA. ) Zu diesem Argument siehe auch Kofler, Der Verlustvortrag für beschränkt Steuerpflichtige nach § 102 Abs 2 Z 2 EStG, SWI 2009, 477 (477 ff).

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Grenzüberschreitende Verlustverwertung im Körperschaftsteuerrecht sidiär21) zur Entlastung im Ansässigkeitsstaat gewährt werden. Kraft Verweises in § 21 Abs 1 Z 1 letzter Satz KStG ist für den Verlustvortrag beschränkt steuerpflichtiger Körperschaften § 102 Abs 2 Z 2 EStG einschlägig, der den Verlustabzug für beschränkt Steuerpflichtige in zweifacher Hinsicht beschränkt: 1. Nur Verluste, die in inländischen Betriebsstätten entstanden sind, Verluste iSd § 2 Abs 3 Z 1 bis 3 EStG und Verluste, die aus unbeweglichem Vermögen iSd ersten Satzes von § 98 Abs 1 Z 3 EStG stammen, sind vortragsfähig (§ 102 Abs 2 Z 2 Satz 2 EStG) und müssen auch sobald als möglich abgezogen werden. 2. Der Verlust wird nur zum Vortrag zugelassen, wenn der inländische Verlust die nicht der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Einkünfte – das ist das Welteinkommen ohne die Verluste aus österreichischen Quellen – überstiegen hat (sogenanntes Erfordernis eines negativen Welteinkommens – § 102 Abs 2 Z 2 letzter Satz EStG). Vor allem bezüglich letzterer Beschränkung bestehen beträchtliche unions- und völkerrechtliche Bedenken, besonders dann, wenn im Inland eine Betriebsstätte besteht:22) Eine inländische Körperschaft kann Verluste unbeschränkt vortragen, während der Betriebsstätte ein Vortrag nur gewährt wird, wenn die weltweiten Einkünfte der Hauptniederlassung negativ sind. Bereits im Jahr 2006 hat der VwGH entschieden, dass § 102 Abs 2 Z 2 letzter Satz EStG zumindest dann nicht zur Anwendung gelangen kann, wenn Österreich mit dem Ansässigkeitsstaat der beschränkt steuerpflichtigen Körperschaft ein DBA mit einem Betriebsstättendiskriminierungsverbot nach Vorbild von Art 24 Abs 3 OECD-MA abgeschlossen hat.23) Auch im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit muss selbiges gelten.24) Die Rechtswirkungen von § 102 Abs 2 Z 2 letzter Satz EStG können sich demgemäß nur noch in Nicht-DBA-Fällen oder bei DBA ohne Betriebsstättendiskriminierungsverbot (zB DBA Australien)25) entfalten. Bei der Vortragsbeschränkung des zweiten Satzes von § 102 Abs 2 Z 2 EStG sind Spannungen mit Unions- und Völkerrecht zwar weniger offensichtlich, aber dennoch nicht ausgeschlossen. So legt die österreichische Finanzverwaltung26) den zweiten Satz von § 102 Abs 2 Z 2 EStG so aus, dass ein verschiedene Betriebsstätten übergreifender Verlustabzug zwischen zwei in Österreich belegenen Betriebsstätten derselben beschränkt steuerpflichtigen Körperschaft nicht zulässig sein soll.27) Zudem ist in der Literatur hervorgehoben worden, dass die Beschränkung auf „inländische“ Verluste auch dann gegen das Betriebsstättendiskriminierungsverbot verstoßen kann, wenn zwar eine abkommensrechtliche Betriebsstätte besteht, jedoch nicht auch eine Betriebsstätte nach § 29 BAO 21

) Siehe etwa Jakom/Marschner, EStG16, § 102 Rz 14. ) Zur unionsrechtlichen Kritik insbesondere Klokar, Die Zeit im Ertragsteuerrecht, in Druck. Kritisch auch zB Zöchling, Die Verlustverrechnung für beschränkt Steuerpflichtige – Österreich auf dem Weg zur „Unitary Taxation“? ÖStZ 1990, 50 (50 f); Zöchling, Zur Verrechnung von Verlusten ausländischer Betriebsstätten, FJ 1990, 127 (127 f); Konezny, Die Sonderregelung für in österreichischen Betriebsstätten erlittene Verluste nach dem neuen DBA Österreich-Deutschland, in Gassner/Lang/Lechner, Das neue Doppelbesteuerungsabkommen Österreich-Deutschland (1999) 293 (297); Staringer, Besteuerung doppelt ansässiger Kapitalgesellschaften (1999) 334 f; Lang/Loukota, Die Veranlagung beschränkt Steuerpflichtiger, in Gassner/Lang/Lechner/Schuch/Staringer, Die beschränkte Steuerpflicht im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht (2004) 303 (316). 23 ) VwGH 16. 2. 2006, 2005/14/0036; ebenso VwGH 28. 11. 2007, 2007/14/0048. Siehe auch Rz 8059 EStR. 24 ) Siehe auch mwN Kofler, SWI 2009, 477 (477 ff). 25 ) BGBl 1988/480. Das Fehlen eines Diskriminierungsverbots im DBA Australien geht auf eine mittlerweile aufgegebene DBA-Politik Australiens zurück, wonach generell keine DBA mit Diskriminierungsverboten abgeschlossen worden sind. 26 ) Siehe etwa EAS 1397 vom 18. 2. 1999 betreffend eine Schweizer AG, die Verluste aus einer Schweizer Kommanditbeteiligung nach Einbringung in eine österreichische Tochter vortragen wollte; aber auch EAS 2460 vom 17. 5. 2004, wo eine deutsche Baufirma einen Verlust aus einer Bau- und Montagebetriebsstätte mit einem vier Jahre später erzielten Gewinn in einer anderen Betriebsstätte verrechnen wollte. Umfassend zur Position der Finanzverwaltung Oberrader, Der Verlustabzug und das Betriebsstättendiskriminierungsverbot, SWI 2021, 73 (73 ff). 27 ) Zu Recht kritisch Oberrader, SWI 2021, 73 (73 ff). 22

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Cross-Border Loss Utilization in Corporate Tax Law vorliegt (etwa weil österreichisches Recht das Vorliegen einer Betriebsstätte überhaupt negiert, zB § 30 BAO).28) 3. Verwertung ausländischer Verluste bei beschränkt steuerpflichtigen Körperschaften Die Bestimmung des § 2 Abs 8 Z 3 EStG lässt bei beschränkt steuerpflichtigen Körperschaften die Berücksichtigung von Auslandsverlusten grundsätzlich zu.29) Aufgrund der Einschränkung der beschränkten Steuerpflicht auf die in § 98 EStG aufgezählten Einkunftsquellen ist dies allerdings nur in Ausnahmefällen denkbar.30) Die beschränkt steuerpflichtige Körperschaft müsste im Rahmen ihrer beschränkten Steuerpflicht zunächst ausländische Einkünfte erzielen, die der sachlichen Steuerpflicht iSd § 98 EStG unterliegen.31) Denkbar wäre dies etwa, wenn einer österreichischen Betriebsstätte Verluste aus einem ausländischen Grundstück zugerechnet werden können. Auch diesfalls wäre ein Abzug der ausländischen Verluste auf Ebene der österreichischen Betriebsstätte also grundsätzlich zulässig. Fraglich wäre dann auch, ob dieser Verlust vorgetragen werden könnte. Da der Verlust dann in einer „inländischen Betriebsstätte“ nach § 102 Abs 2 Z 2 Satz 2 EStG entstanden wäre, wäre auch der ausländische Verlust auf Ebene der Betriebsstätte vortragsfähig. Eine gegenteilige Auslegung wäre auch im Lichte des Betriebsstättendiskriminierungsverbots problematisch, als eine inländische Körperschaft den ausländischen Verlust jedenfalls auch vortragen könnte. Da der Katalog der beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte in § 98 EStG hauptsächlich Einkünfte mit starkem territorialem Bezug zum Inland erfasst, kommt der Frage der Einbeziehung „ausländischer“ Verluste in die inländische beschränkte Steuerpflicht außerhalb von Betriebsstättensituationen allerdings kaum Bedeutung zu. 4. Grenzüberschreitende Verlustverwertung in der Unternehmensgruppe Das österreichische Steuerrecht ermöglicht es nicht nur, Verluste ausländischer, abkommensrechtlich befreiter Betriebsstätten (§ 2 Abs 8 EStG) gewinnmindernd zu verwerten, sondern auch Verluste ausländischer Tochtergesellschaften können im Rahmen der Gruppenbesteuerung ausgeglichen und abgezogen werden (§ 9 Abs 6 Z 6 KStG). Die fakultative Gruppenbesteuerungsregelung nach § 9 KStG gewährt den Mitgliedern einer Unternehmensgruppe, Gewinne und Verluste auf der Ebene des Gruppenträgers zu konsolidieren.32) Dies hat zur Folge, dass nur der Gruppenträger die Steuer auf das Gesamteinkommen der Gruppe zu entrichten hat. Dementsprechend können in einer Situation, in der insgesamt Verluste erwirtschaftet werden, die Verluste auch nur auf der Ebene des Gruppenträgers auf nachfolgende Steuerjahre vorgetragen werden. Der Hauptvorteil der Gruppenbesteuerung ist der Liquiditätsvorteil, der sich aus der sofortigen Verrechnung von Gewinnen und Verlusten zwischen mehreren Körperschaften ergibt, die ansonsten isoliert besteuert würden. Bei inländischen Gruppenmitgliedern werden Gewinne und Verluste im Rahmen der Gruppenbesteuerung in der Regel – unabhängig von der Höhe der Beteiligung – in vollem Umfang zugerechnet. Hinsichtlich der Verluste gibt es zwei Einschränkungen: Erstens können Verluste, die einem Gruppenmitglied entstanden sind, bevor es Teil der Gruppe wurde („Vorgruppenverluste“), oder die außerhalb der Gruppe entstanden sind und im Zuge einer Umstrukturierung auf ein Gruppenmitglied übertragen wurden („Außergruppenverluste“), nur mit den individuellen Gewinnen verrechnet werden, die das be28

) Siehe Haslehner, Betriebsstättendiskriminierungsverbot (2009) 325. ) Ausführlich dazu Klokar, Die Zeit im Ertragsteuerrecht, in Druck. ) § 1 Abs 3 Z 1 KStG iVm § 21 Abs 1 KStG iVm § 98 EStG. 31 ) Vgl dazu Hohenwarter, Verlustverwertung im Konzern, 356. 32 ) Siehe zuletzt Hohenwarter-Mayr/Zolles, Austrian Branch Report – Subject 1 – Group approach and separate entity approach in domestic and international tax law, in IFA, Cahiers de Droit Fiscal International, No 106 (2022). 29 30

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Grenzüberschreitende Verlustverwertung im Körperschaftsteuerrecht treffende Gruppenmitglied auf eigenständiger Basis erzielt.33) Um einen doppelten Abzug von Verlusten innerhalb einer Gruppe zu vermeiden, sind zweitens Abschreibungen von Beteiligungen an Gruppenmitgliedern und Verluste aus der Veräußerung solcher Beteiligungen steuerneutral.34) Für die Ermittlung und Zurechnung der Einkünfte eines ausländischen Gruppenmitglieds gelten mehrere Einschränkungen:35) Im Allgemeinen sind dem inländischen Gruppenträger nur Verluste zuzurechnen. Diese Verluste werden sowohl nach den österreichischen Einkünfteermittlungsregeln als auch nach den Regeln des Staates, in dem das ausländische Gruppenmitglied ansässig ist, berechnet. Im Verhältnis zur Beteiligung am ausländischen Gruppenmitglied ist nur der niedrigere der beiden Beträge zuzurechnen. Darüber hinaus ist der Abzug von Verlusten ausländischer Gruppenmitglieder auf 75 % des Gesamteinkommens aller gebietsansässigen Gruppenmitglieder und des Gruppenträgers beschränkt, wobei der Restbetrag auf Ebene des Gruppenträgers vorgetragen wird. Die doppelte Nutzung solcher ausländischen Verluste wird durch ein Nachversteuerungssystem verhindert: Wenn die (zuvor abgezogenen) Verluste des ausländischen Gruppenmitglieds mit ausländischen Gewinnen im Ausland verrechnet werden können, wird der zuvor abgezogene Betrag dem Gruppeneinkommen hinzugerechnet. Dieses Nachversteuerungssystem wird durch eine „finale“ Nachversteuerung für den Fall ergänzt, dass das ausländische Gruppenmitglied (wirtschaftlich) aus dem Gruppenbesteuerungssystem ausscheidet oder die Gruppe als solche aufgelöst wird.36) Das österreichische Gruppenbesteuerungssystem wurde auch durch die Rechtsprechung des EuGH beeinflusst. Von besonderer Bedeutung für Österreich ist die Rs Papillon, in der der Gerichtshof festgestellt hat, dass eine inländische Tochtergesellschaft nicht allein deshalb aus der steuerlichen Gruppe ausgeschlossen werden darf, weil sie von einem ausländischen Gruppenmitglied gehalten wird (sogenannte „Sandwich-Situation“).37) Obwohl der österreichische Gesetzgeber den Wortlaut von § 9 KStG noch nicht überarbeitet hat, ist ständige Übung, dass die Bestimmung im Einklang mit dieser Rechtsprechung ausgelegt werden muss. Darüber hinaus ist derzeit höchstgerichtlich38) noch nicht geklärt, ob die Rechtsprechung des EuGH die Bildung von horizontalen Gruppen in Fällen verlangt, in denen zwei oder mehr inländische Unternehmen nur durch ausländische Mutterunternehmen verbunden sind.39) Neben dem letztgenannten Fall der horizontalen Gruppenbildung geht das österreichische Gruppenbesteuerungssystem über die Anforderungen des Unionsrechts hinaus, indem es den sofortigen Abzug ausländischer Verluste ermöglicht. III. Verluste und DBA-Recht 1. Abkommensrechtlicher Einkommensbegriff und seine Implikationen für Verluste Der Begriff „Einkommen“ wird im OECD-MA nicht gesondert definiert. Ganz allgemein wird im OECD-MA nicht auf die steuerliche Bemessungsgrundlage eingegangen. Dies 33

) § 9 Abs 6 Z 4 KStG. ) § 9 Abs 7 KStG. ) § 9 Abs 6 Z 6 KStG. Eine Gruppenzugehörigkeit einer ausländischen Körperschaft setzt voraus, dass diese zu mehr als 50 % von einem unbeschränkt steuerpflichtigen Gruppenmitglied oder dem Gruppenträger gehalten wird (§ 9 Abs 2 TS 4 KStG). Verluste von Tochtergesellschaften ausländischer Tochtergesellschaften können daher im Rahmen der österreichischen Gruppenbesteuerung nicht abgezogen werden, es sei denn, dass nur in Österreich ansässige Körperschaften direkt oder indirekt zu mehr als 50 % an den jeweiligen Enkelgesellschaften beteiligt sind. 36 ) Vgl im Detail Knotzer/Pinetz in Kofler/Lang/Rust/Schuch/Spies/Staringer, KStG3 (2022) § 9 Rz 247 ff und 280 ff. 37 ) EuGH 17. 11. 2008, Société Papillon, C-418/07. 38 ) Das BFG hat die horizontale Gruppenbildung in einem Erkenntnis vom 31. 3. 2022, RV/7104573/2020, bejaht. Das Erkenntnis wurde aber mittlerweile wegen eines Verfahrensfehlers vom VwGH aufgehoben, siehe VwGH 1. 3. 2023, Ro 2022/13/0015. 39 ) Vgl Knotzer/Lawson, Die horizontale Unternehmensgruppe im Spannungsverhältnis zwischen nationaler Rechtsgrundlage und Niederlassungsfreiheit, ecolex 2022, 650 (650 ff). 34 35

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Cross-Border Loss Utilization in Corporate Tax Law obliegt somit einzig und allein dem jeweiligen nationalen Recht beider Vertragsstaaten. Daraus lässt sich aber gerade nicht schließen, dass es nicht auch einen abkommensrechtlichen Einkommensbegriff gibt: Zunächst knüpft schon der sachliche Anwendungsbereich in Art 2 OECD-MA unmittelbar an den Begriff der „Steuern vom Einkommen“ an. Der genaue Umfang des Begriffs „Einkommen“ wird also durch den im nationalen Steuerrecht festgeschriebenen Steuergegenstand einer nach Art 2 OECD-MA erfassten Steuer definiert. Der abkommensrechtliche Einkommensbegriff ergibt sich dann aus der Summe aller Verteilungsnormen. Da Art 21 OECD-MA (Andere Einkünfte) klarstellt, dass alle Einkünfte vom Abkommen erfasst werden,40) lässt sich daraus auch ableiten, dass das OECD-MA als „Einkommen“ sämtliche Steuergegenstände aller erfassten „Steuern vom Einkommen“ iSd Art 2 OECD-MA erfassen möchte. Das OECD-MA kommt daher auf sämtliche Einkünfte zur Anwendung, die im Steuergegenstand einer erfassten Steuer in zumindest einem der Vertragsstaaten umfasst werden.41) Im Ergebnis leitet sich der abkommensrechtliche Einkommensbegriff sohin von Art 2 OECD-MA und der Summe aller Verteilungsnormen ab.42) Wie sich also zeigt, lässt sich schon der Begriff „Einkommen“ nur indirekt aus der Systematik des OECD-MA ableiten. Der Begriff „Verlust“ kommt in DBA überhaupt nicht vor. Vereinzelt wurde in den Anfängen des DBA-Rechts daraus sogar geschlossen, dass DBA auf Verluste überhaupt keine Anwendung fänden.43) Freilich erwies sich diese Position als nicht haltbar: Verluste sind lediglich der Überhang von nach nationalem Recht zulässigen Abzügen über die Einnahmen. Wenn also eine erfasste Steuer nach Art 2 OECD-MA Abzüge zulässt und diese Abzüge die Einnahmen übersteigen, ergibt sich nach nationalem Recht ein „negatives“ Einkommen, das gleichermaßen durch die Summe der Verteilungsnormen des Abkommens erfasst wird. 2. Abzüge von der Bemessungsgrundlage und die Verteilungsnormen Wie auch Einkunftsquellen sind sohin auch Abzüge einzelnen Verteilungsnormen zuzuordnen.44) Das bedeutet aber gerade nicht, dass das DBA dem nationalen Recht vorschreiben könnte, welche Ausgaben zum Abzug zugelassen werden. Es obliegt einzig und allein dem nationalen Recht, welche Abzüge die nationale Bemessungsgrundlage zulässt oder ob überhaupt Abzüge zugelassen werden.45) Auch bedeutet ein generelles Abzugsverbot sämtlicher Ausgaben nicht, dass es sich dann um keine „Steuer vom Einkommen“ iSd Art 2 OECD-MA handeln kann.46) Nun stellt sich die Frage, warum dann die Verteilung von „Besteuerungsrechten“ an Abzügen überhaupt relevant sein kann, wenn Abzüge ja nicht „besteuert“ werden und ohnehin beide Vertragsstaaten frei entscheiden können, ob sie einen Abzug überhaupt zulassen. Die abkommensrechtliche Verteilung von Abzügen ist vor allem für die Anwendung des Methodenartikels relevant. Wendet ein Staat etwa die Befreiungsmethode an und tätigt die steuerpflichtige Körperschaft in einer ausländischen Betriebsstätte eine nach dem nationalen Recht dieses Staates grundsätzlich abzugsfähige Ausgabe, so ist die Aus40

) Bosman, Other Income under Tax Treaties (2015) 78. ) Siehe etwa Schuch, Der Anrechnungshöchstbetrag, in Gassner/Lang/Lechner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung – Anrechnungs- und Freistellungsmethode (1995) 22; und V. Bendlinger, Credit Method and Maximum Tax Credit, in Kofler/Lang/Pistone/Rust/Schuch/Spies/Staringer, Exemption Method and Credit Method (2022) 148. 42 ) Umfassend zur Herleitung des abkommensrechtlichen Einkommensbegriffs siehe V. Bendlinger in Kofler/ Lang/Pistone/Rust/Schuch/Spies/Staringer, Exemption Method and Credit Method, 143 ff. 43 ) Siehe nur Knauer, Verlustausgleich und Doppelbesteuerungsabkommen, StuW 1964, 155 (155 ff). 44 ) Grundlegend auch Lang, Die Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen im DBA-Recht, SWI 1995, 289 (289 ff). 45 ) V. Bendlinger in Kofler/Lang/Pistone/Rust/Schuch/Spies/Staringer, Exemption Method and Credit Method, 168. 46 ) V. Bendlinger in Kofler/Lang/Pistone/Rust/Schuch/Spies/Staringer, Exemption Method and Credit Method, 166 ff. 41

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Grenzüberschreitende Verlustverwertung im Körperschaftsteuerrecht gabe nach Art 7 OECD-MA dem Betriebsstättenstaat zuzuordnen. Der Ansässigkeitsstaat könnte den Abzug der Ausgabe dann verweigern, weil er sie dem anderen Staat zuordnet. Umgekehrt würden der Betriebsstätte nicht zurechenbare Abzüge nach Art 7 OECD-MA ausschließlich dem Ansässigkeitsstaat zuzuordnen sein, und der Ansässigkeitsstaat müsste den Abzug, sofern in seinem nationalen Recht zugelassen, sehr wohl gewähren. Aber auch bei der Anrechnungsmethode ist die abkommensrechtliche Zuordnung von Abzügen für die Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags von entscheidender Bedeutung. Der Ansässigkeitsstaat muss nämlich in der Regel nur jenen Betrag anrechnen, der auf jene Einkünfte entfällt, die im anderen Staat „besteuert werden können“.47) Je geringer das ausländische Einkommen im Verhältnis zum weltweiten Einkommen, desto geringer der Anrechnungshöchstbetrag und vice versa. Für den anzurechnenden Betrag macht es daher einen Unterschied, ob eine bestimmte Aufwendung etwa einer im anderen Vertragsstaat belegenen Betriebsstätte oder einem im Ansässigkeitsstaat gelegenen Betrieb zugeordnet werden kann. Ist die Aufwendung der Betriebsstätte nämlich nicht zurechenbar, ordnet Art 7 OECD-MA den Aufwand dem Ansässigkeitsstaat zu. Der Aufwand kürzt damit zwar das Welteinkommen, nicht aber das ausländische Einkommen, und der Anrechnungshöchstbetrag erhöht sich.48) Demgegenüber verringert sich der anzurechnende Betrag, je mehr Abzüge das im Ausland steuerbare Einkommen vermindern.49) 3. Verluste und Methodenartikel Wie sich also zeigt, ist die Zuordnung von Aufwendungen für die Anwendung der Methodenartikel schon für sich genommen von entscheidender Bedeutung. Wenn aber insgesamt in einem der beiden Vertragsstaaten aufgrund des Überhangs von Abzügen aus der Sicht des Ansässigkeitsstaates ein Verlust entsteht, werden vor allem auch die Gegensätze von Befreiungs- und Anrechnungsmethode deutlich, führen doch beide Methoden zu diametral gegensätzlichen Ergebnissen, je nachdem, in welchem der beiden Vertragsstaaten ein Verlust erzielt wird: Erzielt eine steuerpflichtige Körperschaft Verluste im Quellenstaat, so wäre der Verlust nach der Befreiungsmethode im Ansässigkeitsstaat befreit und damit nicht verwertbar, während der Verlust bei der Anrechnungsmethode vollständig in das Welteinkommen fließen würde und damit auch in voller Höhe verwertbar wäre. Wenn umgekehrt im Ansässigkeitsstaat ein Verlust entsteht, wäre dies bei der Befreiungsmethode unproblematisch, da etwaige im Quellenstaat erzielte Gewinne ohnehin befreit und damit entlastet wären. Demgegenüber könnte die Körperschaft bei Anwendung der Anrechnungsmethode überhaupt keine Entlastung von etwaigen im Quellenstaat erhobenen Gewinnsteuern begehren, weil eine Anrechnung mangels anfallender Steuer im Ansässigkeitsstaat überhaupt nicht möglich ist. Bereits Mitte der 1960er-Jahre hat diese Diskrepanz Alfred Philipp zu folgendem Schluss bewogen: „Beim Befreiungssystem sind es ausländische Verluste, beim Anrechnungsverfahren die inländischen Verluste, die das System stören und ungleichmäßige Ergebnisse bringen.“ 50) Mehr als ein halbes Jahrhundert später ist dem nichts hinzuzufügen.51) 47

) Siehe letzter Satz von Art 23B Abs 1 OECD-MA und Art 23A Abs 2 OECD-MA. ) Erst kürzlich befasste sich auch der BFH mit der Frage der wirtschaftlichen Zuordnung von Entwicklungskosten für die Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags iZm einer von einer deutschen Körperschaft vereinnahmten chinesischen Lizenzgebühr (BFH 17. 8. 2022, I R 14/19); umfassend zu dieser Entscheidung, V. Bendlinger/Klokar/Knotzer, BFH-Update – Steuerrecht, ecolex 2023, 529 (530 f). 49 ) Mit umfassenden Berechnungsbeispielen zu Auswirkungen von Abzügen von der Bemessungsgrundlage auf den Anrechnungshöchstbetrag, siehe V. Bendlinger in Kofler/Lang/Pistone/Rust/Schuch/ Spies/Staringer, Exemption Method and Credit Method, 168 ff. 50 ) Philipp, Probleme der Doppelbesteuerung auf Grund der Verschiedenheit der Steuersysteme der Vertragstaaten und der Verschiedenheit von Vertragstypen, DStZ 1967, 245 (249). 51 ) Siehe zu diesem Vergleich der beiden Methoden V. Bendlinger in Kofler/Lang/Pistone/Rust/Schuch/ Spies/Staringer, Exemption Method and Credit Method, 173. 48

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Cross-Border Loss Utilization in Corporate Tax Law Der österreichische Gesetzgeber hat die von Alfred Philipp erkannte – durch die Befreiungsmethode bewirkte – „Störung“ identifiziert und lässt daher in § 2 Abs 8 Z 3 EStG auch den Abzug im Quellenstaat erzielter und damit befreiter Verluste grundsätzlich zu. Demgegenüber wird eine in Österreich ansässige verlustträchtige Körperschaft bei Anwendung der Anrechnungsmethode nicht entlastet, obwohl dadurch eine intertemporale Doppelbesteuerung bewirkt sein kann: Wird nämlich in folgenden Geschäftsjahren wieder ein Gewinn erzielt, kann eine in den Vorjahren im Quellenstaat angefallene Steuer – nach derzeitiger Rechtslage – nämlich nicht auf die österreichische Körperschaftsteuer späterer Veranlagungsjahre angerechnet werden. Entgegen überzeugenden rechtlichen wie auch steuerpolitischen Argumenten wird ein Vortrag von nicht nutzbarem Anrechnungssubstrat in Österreich von der Rechtsprechung52) und der Finanzverwaltung53) ausdrücklich nicht zugelassen.54) IV. Rechtspolitische Erwägungen zur bestehenden Rechtslage hinsichtlich grenzüberschreitender Verluste Obwohl das österreichische Regime zur Verwertung grenzüberschreitender Verluste gesamthaft sehr ausgewogen erscheint, ist vor allem das Fehlen eines Anrechnungsvortrags zu bedauern. Ist das Welteinkommen insgesamt negativ, geht eine Anrechnung ausländischer Steuern immer ins Leere, und die Anwendung der Anrechnungsmethode bewirkt intertemporale Doppelbesteuerung: Denn selbst wenn die Körperschaft in den Folgejahren wieder Gewinne erzielt, kann sie etwaige im Quellenstaat erhobene Steuern nicht mehr anrechnen. In der Literatur wurde bereits umfassend diskutiert, ob sich eine Verpflichtung zur Gewährung eines Anrechnungsvortrags schon aus Art 23B OECD-MA selbst ergeben könnte. Die Anrechnungsverpflichtung des Ansässigkeitsstaates ist nämlich nur hinsichtlich der Höhe, nicht aber zeitlich beschränkt. Es lässt sich uE daher schon aus dem Methodenartikel ableiten, dass zeitliche Aspekte der Steuererhebung den Ansässigkeitsstaat nicht von seiner grundsätzlich bestehenden Anrechnungsverpflichtung befreien können.55) Doch selbst wenn man den Methodenartikel nicht als ausreichende Rechtsgrundlage für einen solchen Anrechnungsvortrag anerkennen möchte, wäre die Gewährung eines solchen aus steuerpolitischen Gesichtspunkten höchst wünschenswert: Ein Anrechnungsvortrag ermöglicht eine Entlastung von intertemporal entstehender Doppelbesteuerung von in Österreich ansässigen Körperschaften und käme somit vor allem in Österreich ansässigen Unternehmen zum Vorteil. Die Schaffung eines Anrechnungsvortrags würde somit zu einem attraktiveren Wirtschaftsstandort Österreich beitragen. Zudem würde ein solcher Steuervorteil gerade jenen Unternehmern zukommen, die sich wieder aus der Verlustzone manövriert haben und künftig wieder ein Mehr an Steueraufkommen erwarten lassen. Zudem wäre wünschenswert, das Verlustausgleichs- und -vortragsregime für beschränkt Steuerpflichtige – nach mittlerweile jahrzehntelangen Forderungen56) – endlich an die Vorgaben von Unions- und Abkommensrecht anzugleichen. In Bezug auf den Verlustabzug erscheint es merkwürdig, dass dieser zwischen mehreren im Inland gelegenen 52

) Siehe zuletzt etwa VwGH 27. 11. 2014, 2012/15/0002; grundlegend allerdings VwGH 20. 4. 1999, 99/14/ 0012, kritisch und grundlegend zu dieser Entscheidung siehe Schuch, VwGH verneint Anrechnungsvortrag, SWI 1999, 469 (469 ff). 53 ) Siehe etwa Loukota, Gebietet EU-Recht einen DBA-Anrechnungsvortrag? SWI 2006, 250 (253). 54 ) Umfassend zu Rechtsprechung wie auch zur Position der Finanzverwaltung und der zwischenzeitlichen Gewährung von Anrechnungsvorträgen auf Grundlage von § 48 BAO siehe S. Bendlinger, DBA als Rechtsgrundlage für den Anrechnungsvortrag, SWI 2015, 168 (168 ff). 55 ) Siehe auch Schuch, Verluste im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen (1998) 166 f; S. Bendlinger, SWI 2015, 168 (168 ff); wie in jüngerer Zeit auch V. Bendlinger in Kofler/Lang/Pistone/Rust/Schuch/ Spies/Staringer, Exemption Method and Credit Method, 168. 56 ) So etwa Zöchling, DBA-Auslandsverluste: Handlungsbedarf für den Gesetzgeber, ÖStZ 2002, 14 (15); ebenfalls kritisch Kofler, SWI 2009, 477 (477 ff).

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Grenzüberschreitende Verlustverwertung im Körperschaftsteuerrecht Betriebsstätten – wie vom BMF in mehreren EAS vertreten57) – nicht zulässig sein soll. Diese Ansicht ist uE mit der Systematik der beschränkten Steuerpflicht für Körperschaften nicht vereinbar. Aus § 21 Abs 1 Z 2 und Z 3 KStG ergibt sich, dass die Gewinnermittlung von beschränkt steuerpflichtigen Körperschaften in Bezug auf ihre Betriebsstätten im Gleichlauf mit jener von unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften zu erfolgen hat. Auch wenn ein Verlust in einer anderen Betriebsstätte erzielt wird als die Gewinne, mit denen sie in Folgejahren verrechnet werden, ändert dies nichts daran, dass die Verluste innerhalb desselben Steuersubjekts – das ist nach § 1 Abs 3 Z 1 KStG die beschränkt steuerpflichtige Körperschaft58) – anfallen. Auch inländische Körperschaften können daher Verluste unbegrenzt zwischen ihren Betrieben ausgleichen und – entgegen der Position der Finanzverwaltung – auch vortragen. Ganz generell steht aber fest, dass der aktuelle Wortlaut von § 102 Abs 2 Z 2 EStG nicht mit unions- und völkerrechtlichen Verpflichtungen vereinbar ist. Vor allem die in § 102 Abs 2 Z 2 letzter Satz EStG verankerte Voraussetzung, dass der Verlustabzug ein negatives Welteinkommen erfordert, ist durch die Grundfreiheiten und umfassende DBA-Diskriminierungsverbote längst obsolet geworden und sollte – entsprechend der von Zöchling59) vehement verbreiteten Forderung – ersatzlos aus dem Gesetz gestrichen werden. V. „Shifting of Losses“ – grenzüberschreitende Verlustverwertung aus steuerplanerischen Gesichtspunkten Wenn von Verlustverwertung aus steuerplanerischen Gesichtspunkten die Rede ist, dann führt im österreichischen Körperschaftsteuerrecht an dem in § 8 Abs 4 Z 2 lit c KStG verankerten Mantelkauftatbestand kein Weg vorbei. Diese Regelung schränkt den körperschaftsteuerlichen Verlustvortrag – der im Körperschaftsteuerrecht generell nur im Ausmaß von 75 % des Gesamtbetrags der Einkünfte möglich ist60) – in Hinblick auf verschiedene Tatbestandselemente ein, indem sie den Verlustvortrag an die wirtschaftliche Identität des verlusterleidenden Steuersubjekts bindet.61) Obwohl es sich beim Mantelkauftatbestand um eine rein innerstaatliche Rechtsvorschrift handelt, ist diese Beschränkung des Verlustvortrags auch im grenzüberschreitenden Kontext höchst relevant: Die Bestimmung findet kraft Verweises in § 21 Abs 1 Z 1 letzter Satz KStG auf den Sonderausgabenkatalog des § 8 Abs 4 KStG nämlich auch auf beschränkt steuerpflichtige Körperschaften Anwendung.62) Konkret steht der Verlustabzug der Körperschaft, ob beschränkt oder unbeschränkt steuerpflichtig, ab jenem Zeitpunkt nicht mehr zu, ab dem die Identität des Steuerpflichtigen infolge einer wesentlichen Änderung der organisatorischen und wirtschaftlichen Struktur iZm einer wesentlichen Änderung der Gesellschafterstruktur auf entgeltlicher Grundlage nach dem Gesamtbild der Verhältnisse wirtschaftlich nicht mehr gegeben ist.63) Die Änderungen dieser drei Kriterien müssen kumulativ erfüllt und miteinander verknüpft sein.64) Indirekte Änderungen der Eigentumsverhältnisse (in einer mehrstufigen Struktur) sind davon nicht erfasst, weil die Vorschrift 57

) So etwa EAS 1397 vom 18. 2. 1999; EAS 1880 vom 23. 7. 2001; EAS 2460 vom 17. 5. 2004. Umfassend kritisch und überzeugend Oberrader, SWI 2021, 73 (73 ff). In anderen Stellungnahmen hat sich das BMF wieder etwas von diesen EAS distanziert, siehe etwa EAS 1690 vom 17. 7. 2000. In EAS 1880 vom 13. 7. 2001 heißt es überdies: „das BM für Finanzen [wäre] bereit, Artikel 24 in einem weitergehenderen Sinn auszulegen, soweit eine solche Auslegung nur dem Ziele dient, eine doppelte Besteuerung (die auch in einer doppelten Nichtabzugsfähigkeit von Verlusten bestehen kann) zu vermeiden“. 58 ) Moldaschl in Kofler/Lang/Rust/Schuch/Spies/Staringer, KStG3, § 21 Rz 37. 59 ) Zöchling, ÖStZ 2002, 14 (15). 60 ) § 8 Abs 4 Z 2 lit a KStG. 61 ) Zum Mantelkauf im Detail Massoner, Der Mantelkauf im Abgabenrecht (2007); vgl auch Ressler/Rohm in Kofler/Lang/Rust/Schuch/Spies/Staringer, KStG3, § 8 Rz 242 ff. 62 ) Siehe auch Moldaschl in Kofler/Lang/Rust/Schuch/Spies/Staringer, KStG3, § 21 Rz 55. 63 ) § 8 Abs 4 Z 2 lit c Satz 1 KStG. 64 ) Vgl VwGH 26. 7. 2005, 2001/14/0135.

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Cross-Border Loss Utilization in Corporate Tax Law keine unternehmensübergreifende Perspektive vorsieht.65) Bei Unternehmensumstrukturierungen, die darauf abzielen, einen wesentlichen Teil der bestehenden Arbeitsplätze des jeweiligen Unternehmens zu sichern (Sanierung), gelten die Rechtsfolgen der Mantelkaufbestimmung, nämlich die Versagung des Verlustvortrags, hingegen nicht („Escape-Klausel“).66) Der Zweck der Mantelkaufregelung besteht also darin, rechtsgeschäftliche Verlustverwertungen außerhalb wirtschaftlich begründbarer Fälle zu unterbinden.67) In anderen Worten soll ein Zusammenführen von Verlusten mit dem Gewinnpotenzial aus anderen wirtschaftlichen Aktivitäten, die neue Gesellschafter in die Mantelgesellschaft verlagern, unterbunden werden.68) Das UmgrStG verweist ebenfalls auf die körperschaftsteuerliche Mantelkaufbestimmung und erweitert diese im Sinne einer sowohl die übertragende als auch die übernehmende Körperschaft umfassenden Gesamtbetrachtung.69) Aus diesem Grund liegt ein schädlicher Mantelkauf auch dann vor, wenn die wesentlichen Änderungen der Struktur zu einem Teil bei der übertragenden und zum anderen Teil bei der übernehmenden Körperschaft erfolgen.70) Ziel dieser Vorschriften ist es, zu verhindern, dass ein Mantelkauf iSd § 8 Abs 4 Z 2 lit c KStG nur deshalb nicht wirksam wird, weil er mit einer Umgründung kombiniert wird.71) Darüber hinaus sieht das UmgrStG mit der Verankerung der objektverknüpften Verlustverwertung in § 4 Z 1 lit a bis c UmgrStG sowie durch eine Bestimmung zur Verhinderung von Doppelverlustverwertungen weitere Sondervorschriften für die Verlustverwertung vor, die auch im grenzüberschreitenden Kontext relevant sein können.72) Neben diesen Regelungen stellen § 22 BAO und § 44 UmgrStG als generelle Anti-Missbrauchsbestimmungen (GAAR) weitere Möglichkeiten für die Finanzverwaltung dar, einer missbräuchlichen grenzüberschreitenden Verlustverwertung entgegenzutreten.73) Der Anwendungsbereich der GAARs ist jedoch sehr unbestimmt. In der Literatur wird daher aus überzeugenden Gründen befürchtet, dass die österreichischen GAARs in einem Spannungsverhältnis zur verfassungsmäßigen Rechtsstaatlichkeit stehen.74) Seit der Änderung des § 22 BAO durch das JStG 201875) liegt die finale Deutungshoheit über die Bestimmung – zumindest in körperschaftsteuerlichen Belangen im Anwendungsbereich der ATAD76) – aber ohnehin beim EuGH.77) Neben diesen GAARs und SAARs kennt das österreichische Steuerrecht auch den Grundsatz „substance over form“, der in den §§ 21 ff BAO vage formuliert ist.78) Bei der 65

) Vgl VwGH 13. 9. 2017, Ro 2015/13/0007; 15. 12. 2021, Ro 2019/13/0008. ) § 8 Abs 4 Z 2 lit c Satz 2 KStG. ) ErlRV 622 BlgNR 17. GP. 68 ) Siehe Hügel, Verlustvortrag bei Verschmelzungen in- und außerhalb von Unternehmensgruppen – Zugleich eine steuersystematische und rechtspolitische Kritik der Antiverlustverwertungs-Gesetzgebung, in König/Wallentin/Wiesner, Privatstiftungen und Umgründungen, GS Helbich (2014) 189 (204). 69 ) Dazu ausführlich Hohenwarter-Mayr, Verlustnutzung und Missbrauchsabwehr bei Umgründungen aus österreichischer Sicht, in Hennrichs, Umstrukturierungen im Steuerrecht, DStJG 43 (2020) 421 (449 ff). 70 ) Vgl § 4 Z 2 UmgrStG. Die Bestimmung des § 4 Z 2 Satz 2 UmgrStG erweitert auch die Escape-Klausel des körperschaftsteuerlichen Mantelkauftatbestands auf Änderungen zum Zwecke der Verbesserung oder Rationalisierung der betrieblichen Struktur im Unternehmenskonzept der übernehmenden Körperschaft. 71 ) Siehe Peyerl, Die Verlagerung von Einkünften: Einkünftezurechnung im nationalen und internationalen Steuerrecht (2015) 662 f. 72 ) § 4 Z 1 lit a bis d sowie Z 2 UmgrStG. 73 ) Zur Auslegung des § 22 BAO siehe Lang, Die Neuregelung des Missbrauchs in § 22 BAO, ÖStZ 2018, 419 (419 ff). 74 ) Siehe grundlegend Gassner, Der Gestaltungsmißbrauch im Steuerrecht – Änderung der Rechtsprechung? ÖStZ 1981, 262 (262 ff). 75 ) BGBl I 2018/62. 76 ) Art 1 iVm Art 6 ATAD. 77 ) Vgl nur Lang, ÖStZ 2018, 419 (434). 78 ) Zur wirtschaftlichen Betrachtungsweise ausführlich Lang, Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Steuerrecht, in WiR – Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht, Die wirtschaftliche Betrachtungsweise (2020) 33 (33 ff). 66 67

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Grenzüberschreitende Verlustverwertung im Körperschaftsteuerrecht in § 21 BAO verankerten „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“ handelt es sich jedoch – wie von Lang überzeugend argumentiert – um einen bloßen Interpretationshinweis, „der in Erinnerung ruft, dass zahlreiche steuerrechtliche Vorschriften wirtschaftlich anknüpfen und dass dies bei deren Interpretation zu berücksichtigen ist“.79) Jedenfalls hat dieser Interpretationshinweis zur Folge, dass die nationalen Bestimmungen betreffend den Verlustausgleich oder Verlustabzug bei Fehlen wirtschaftlicher Substanz häufig nicht zugunsten des Steuerpflichtigen ausgelegt werden können: So können etwa durch konstruierte Finanzinstrumente entstandene Verluste nicht absichtlich auf andere Steuerpflichtige verlagert und dort ausgeglichen oder vorgetragen werden. Zu betonen ist in diesem Zusammenhang, dass der Grundsatz „substance over form“ sehr unbestimmt ist und daher keine noch so weit entwickelte Steuergesetzgebung die Steuerplanung vollständig ausschalten kann. Vielmehr ist es ein legitimes Interesse von Kapitalgesellschaften, den ihnen durch die Steuergesetze eingeräumten Spielraum zu nutzen, solange das Gesetz nicht verletzt wird. Dennoch sind derartige Gestaltungen in Österreich aufgrund umfassender Abzugsbeschränkungen und umfangreicher Missbrauchsbekämpfungsvorschriften ein seltenes Phänomen. Daran haben auch die COVID-19-spezifischen Steuerregelungen nichts geändert. Es zeigt sich, dass etliche Bestimmungen zur Verhinderung der „missbräuchlichen“ Nutzung von Verlusten für Steuerplanungszwecke in Österreich bereits vor dem BEPS-Projekt in Kraft waren. Generell standen aus Sicht der Autoren mögliche Regelungen, die die Verlagerung von Verlusten im grenzüberschreitenden Kontext begünstigen, nach den BEPS-Empfehlungen weder auf der Agenda des europäischen noch auf jener des österreichischen Gesetzgebers. Die Umsetzung der BEPS-Empfehlungen in Österreich erfolgte in erster Linie durch die Umsetzung der Europäischen Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken (ATAD) und der Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden (DAC), die allerdings beide keinen unmittelbaren Einfluss auf die grenzüberschreitende Verwertung von Verlusten genommen haben, sondern vielmehr die künstliche Verlagerung von Gewinnen im Fokus hatten. In Österreich gab es bereits vor der Implementierung der BEPS-Maßnahmen diverse Bestimmungen zur Verhinderung der missbräuchlichen Nutzung von Verlusten für Steuerplanungszwecke. Österreich hat als OECD- und EU-Mitgliedstaat die internationalen Steuertrends sowohl beeinflusst als auch mitgetragen. Aus all diesen Gründen hatte BEPS nur sehr begrenzte Auswirkungen auf die österreichischen Vorschriften zur Verlustnutzung von Körperschaften. VI. Fazit Das österreichische Körperschaftsteuerrecht hat ein ausbalanciertes System zur grenzüberschreitenden Verlustverwertung geschaffen. § 2 Abs 8 Z 3 EStG ermöglicht es unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften, im Ausland nicht verwertbare Verluste unabhängig davon, ob die Anrechnungs- oder Befreiungsmethode zur Anwendung zu bringen ist, großzügig zu verrechnen und diese nach Maßgabe von § 18 Abs 6 EStG auch vorzutragen. Auch beschränkt steuerpflichtigen Körperschaften iSd § 1 Abs 3 Z 1 KStG steht im Regime des § 21 KStG iVm § 102 Abs 2 Z 2 EStG ein gleichlaufendes System zur Verfügung. Nichtsdestoweniger hat sich gezeigt, dass es für den Gesetzgeber durchaus Anlass gäbe, das Regime zur grenzüberschreitenden Verlustverwertung zu überarbeiten. Wünschenswert ist vor allem die Gewährung eines Anrechnungsvortrags von im Quellenstaat erhobenen Steuern, wenn eine Anrechnung in Österreich scheitert, weil sich die ansässige Körperschaft in einer Verlustsituation befindet. Ebenso bedarf es gesetzlicher Anpassungen in § 102 Abs 2 Z 2 EStG, um den Wortlaut des Gesetzes mit unions- und völkerrechtlichen Vorgaben in Einklang zu bringen und überschießende Verlustverwertungsschranken zu beseitigen. 79

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) So Lang in WiR, Die wirtschaftliche Betrachtungsweise, 33 (51).

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Cross-Border Loss Utilization in Corporate Tax Law Im internationalen Vergleich sind die österreichischen Regelungen zur grenzüberschreitenden Verlustverwertung jedenfalls sehr entwickelt. Die grenzüberschreitende Verlustverwertung steht einem fortschrittlichen und missbrauchssicheren Rechtsrahmen gegenüber, der steuerneutrale Umgründungen ermöglicht, aber gleichzeitig künstliche Verlustverschiebungen weitgehend verhindert. Verschiedene Adaptierungen des EStG, KStG und des UmgrStG sowie eine umfangreiche Rechtsprechung zu gesellschaftsund umgründungssteuerlichen Fragen haben in den letzten Jahrzehnten dazu beigetragen, dass massenfähige Verlustverlagerungsmodelle – anders als in vielen anderen Staaten – in Österreich kaum umsetzbar sind. Sowohl EStG und KStG als auch das UmgrStG sehen zahlreiche Bestimmungen vor, die sich mit Verlusten befassen. Darüber hinaus sieht die österreichische Steuerrechtsordnung mit § 22 BAO eine Anti-Missbrauchsbestimmung vor, die notwendigerweise auch Verlustverrechnungsmodelle abdeckt und von der Finanzverwaltung in Steuerverfahren gerne als Ultima-ratio-Argument herangezogen wird. Aus all diesen Gründen sind Verlustverwertungsmodelle in Österreich ein seltenes Phänomen. Auch die COVID-19-spezifischen Rechtsvorschriften haben in dieser Hinsicht nichts geändert.

Erlass betreffend Zinsanpassung bei Stundungs-, Anspruchs-, Aussetzungs- Beschwerde- und Umsatzsteuerzinsen Erlass des BMF vom 16. 6. 2023, 2023-0.433.685, BMF-AV 2023/72. Die Höhe der Stundungs-, Aussetzungs-, Anspruchs- Beschwerde- und Umsatzsteuerzinsen ist vom jeweils geltenden Basiszinssatz abhängig (§§ 212 Abs 2, 212a Abs 9, 205 Abs 2, 205a Abs 4, 205c Abs 5 BAO). Der Basiszinssatz vom 1. 1. 1999 (= Diskontsatz vom 31. 12. 1998) betrug 2,5 %. Mit BGBl II 2002/309 (Änderung der Basis- und ReferenzzinssatzVO) wurde die Bezugsgröße für den Basiszinssatz (bisher: Einlagenfazilität) auf die Veränderungen des Zinssatzes der Hauptrefinanzierungsoperationen umgestellt. Der Basiszinssatz verändert sich gemäß § 1 Basis- und Referenzzinssatzverordnung idF BGBl II 2002/309, entsprechend dem von der Europäischen Zentralbank auf ihre Hauptrefinanzierungsoperationen angewendeten Zinssatz. Veränderungen von insgesamt weniger als 0,5 Prozentpunkten seit der jeweils letzten Änderung des Basiszinssatzes bleiben dabei außer Betracht (§ 1 Bundesgesetz, mit dem im Zivilrecht begleitende Maßnahmen für die Einführung des Euro getroffen werden, BGBl I 1998/125). Seither ergaben sich aufgrund der vom EZB-Rat beschlossenen Zinssatzänderungen folgende Änderungen des Basiszinssatzes: Wirksamkeit ab

Basiszinssatz

Stundungszinsen

Aussetzungszinsen

Anspruchszinsen

Beschwerdezinsen

Umsatzsteuerzinsen

14. 9. 2022

0,63 %

2,63 %

2,63 %

2,63 %

2,63 %

2,63 %

2. 11. 2022

1,38 %

3,38 %

3,38 %

3,38 %

3,38 %

3,38 %

21. 12. 2022

1,88 %

3,88 %

3,88 %

3,88 %

3,88 %

3,88 % 4,38 %

8. 2. 2023

2,38 %

4,38 %

4,38 %

4,38 %

4,38 %

22. 3. 2023

2,88 %

4,88 %

4,88 %

4,88 %

4,88 %

4,88 %

21. 6. 2023

3,38 %

5,38 %

5,38 %

5,38 %

5,38 %

5,38 %

Dieser Erlass ersetzt den Erlass des BMF vom 13. 3. 2023, 2023-0.192.676. 380

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Die neue deutsche Wegzugsbesteuerung

Till Moser*)

Die neue deutsche Wegzugsbesteuerung nach § 6 dAStG idF ATADUmsG – Übersicht und kritische Würdigung THE NEW EXITExit TAXATION UNDER SECTION 6 GERMAN FOREIGN TAX ACT IN THE Die neue deutsche Wegzugsbesteuerung The NewGERMAN German Taxation VERSION OF THE ANTI-TAX AVOIDANCE DIRECTIVE IMPLEMENTATION ACT – OVERVIEW AND AREAS OF CONCERN The German Anti-Tax Avoidance Directive Implementation Act fundamentally reformed the German exit taxation under Section 6 German Foreign Tax Act. In particular, the unlimited deferral provision for EU/EEA cases has been abolished without replacement, causing substantial problems from a tax practitioner’s perspective. This article gives an overview of the reformed provision and critically evaluates core problem areas. I. Überblick Mit dem „Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtline“ (ATAD-Umsetzungsgesetz – nachfolgend ATADUmsG)1) hat der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung der EU-Anti-Steuervermeidungsrichtlinie bzw Anti-Tax Avoidance Directive2) (nachfolgend ATAD) eine ganze Reihe außensteuerlicher Vorschriften reformiert, insbesondere die Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 ff dAStG. Auch die Wegzugsbesteuerung nach § 6 dAStG, welche als Teil der deutschen Entstrickungsbesteuerungsregeln im Fall eines Wegzugs unbeschränkt Steuerpflichtiger und anderer gleichgestellter Fallkonstellationen bei im Privatvermögen gehaltenen Kapitalgesellschaftsanteilen iSd § 17 dEStG eine Besteuerung der stillen Reserven auslöst,3) wurde einer grundlegenden Reform unterzogen. Erstmals anzuwenden ist der reformierte § 6 dAStG gemäß § 21 Abs 1 und Abs 3 dAStG für nach dem 31. 12. 2021 verwirklichte Sachverhalte.4) Im Rahmen des Jahressteuergesetzes 20225) vom 16. 12. 2022 erfolgten weitere kleinere Anpassungen in § 6 dAStG und den entsprechenden Anwendungsvorschriften. In der Gesetzesbegründung zum ATADUmsG6) wird die Reform mit unionsrechtlichen Notwendigkeiten durch Art 5 ATAD gerechtfertigt,7) was allerdings evident unzutreffend ist, da die ATAD dem Grunde nach nur für Körperschaften greift,8) § 6 dAStG jedoch auf natürliche Personen bezogen ist. Als wahrer Grund der Reform darf vermutet werden, dass der deutschen Finanzverwaltung die bisher bestehenden, weitreichenden Ausnahmeregelungen für EU-/EWR-Fälle in § 6 Abs 5 dAStG aF mit den damit einhergehenden *) 1

) )

2

3

)

4

)

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) ) ) 8 ) 6 7

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StB Prof. Dr. Till Moser ist Inhaber der Professur für Betriebliche Steuerlehre an der FH Kiel University of Applied Sciences. DBGBl I 2021, S 2035. Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12. 7. 2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts, ABl L 193 vom 19. 7. 2016, S 1, geändert durch Richtlinie (EU) 2017/952 des Rates vom 29. 5. 2017 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/1164 bezüglich hybrider Gestaltungen mit Drittländern, ABl L 144 vom 7. 6. 2017, S 1. Für eine Übersicht vgl Offerhaus in Fuhrman/Geurts/Nientimp/Wilmanns, Außensteuergesetz Kommentar4 (2023) § 6 dAStG Rn 1 f. So auch explizit BT-Drs 19/28652 vom 19. 4. 2021, 67; zu Zweifelsfragen der Erstanwendung vgl Salzmann, Verschärfte Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG nF – Rückwirkung auf vor dem 1.1.22 verwirklichte Sachverhalte? IStR 2021, 759; Häck, Änderungen bei der Wegzugsbesteuerung natürlicher Personen durch das JStG 2022, IStR 2023, 274. DBGBl I 2022, S 2294. DBGBl I 2021, S 2035. Vgl FN 2. Vgl Kahlenberg, Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) – Zugleich Anmerkungen zu dem Referentenentwurf des ATADUmsG, IStR 2020, 378 (381).

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The New German Exit Taxation steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten ein Dorn im Auge waren9) und sich der Gesetzgeber zudem auf Basis der jüngeren EuGH-Rechtsprechung10) in der Position wähnte, § 6 Abs 5 dAStG aF abschaffen und durch eine „One-fits-all-Lösung“11) ohne spezifische EU-/EWR-Ausnahmen ersetzen zu können. Im Folgenden sollen vor diesem Hintergrund Tatbestandsvoraussetzungen, Rechtsfolgen und die nunmehr geltenden Rückausnahmen und Stundungsregeln bezüglich § 6 dAStG vorgestellt und mit Blick auf ihre in der Gesetzesbegründung12) formulierte Zielsetzung kritisch gewürdigt werden. Eine kurze unionsrechtliche Einordnung der Neuregelung soll die Analyse ergänzen. II. Reform der Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 dAStG § 6 Abs 1 Satz 1 dAStG idF ATADUmsG legt fest, dass vorbehaltlich der Vorschriften des dEStG, dKStG und dUmwStG bei unbeschränkt Steuerpflichtigen die folgenden Tatbestände einer Veräußerung von Anteilen iSd § 17 Abs 1 Satz 1 dEStG zum gemeinen Wert gleichstehen:

• die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht infolge der Aufgabe des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts,

• die unentgeltliche Übertragung auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person sowie,

• gegenüber den beiden genannten Tatbeständen nachrangig, der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile. Verglichen mit dem für bis zum 31. 12. 2021 verwirklichte Sachverhalte geltenden § 6 dAStG aF fällt hierbei auf, dass die bisher bestehenden Tatbestandsmerkmale „Einlage in einen ausländischen Betrieb oder eine ausländische Betriebsstätte“ (§ 6 Abs 1 Satz 2 Nr 3 dAStG aF) und der „Ansässigkeitswechsel“ (§ 6 Abs 1 Satz 2 Nr 2 dAStG aF) nun nicht mehr explizit genannt werden. Dies ist jedoch materiell nur von begrenzter Bedeutung, da diese Fallkonstellationen typischerweise ohnehin auch unter § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 3 dAStG subsumiert werden können.13) Änderungen ergeben sich jedoch mit Blick auf die Frage, wer als „unbeschränkt Steuerpflichtiger“ iSd § 6 Abs 1 dAStG anzusehen ist. Als solche gelten nunmehr natürliche Personen, die innerhalb der letzten zwölf Jahre vor den in § 6 Abs 1 Satz 1 dAStG genannten Ereignissen insgesamt mindestens sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig iSd § 1 Abs 1 dEStG waren. Im Vergleich zur bis zum 31. 12. 2021 geltenden Rechtslage, die Personen betraf, die insgesamt mindestens zehn Jahre (allerdings ohne eine zeitliche Einschränkung dahingehend, wann diese unbeschränkte Steuerpflicht vorlag) nach § 1 Abs 1 dEStG unbeschränkt steuerpflichtig waren (§ 6 Abs 1 Satz 1 dAStG aF), kann die Neureglung sowohl verschärfend als auch entschärfend wirken:

• Beispiel 1 Die natürliche Person A war vom 1. 1. 1999 bis 31. 12. 2009 und dann wieder von 1. 1. 2020 bis zum 1. 5. 2023 in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Am 1. 5. 2023 verzog sie dauerhaft nach Barbados. A hält seit 2010 einen Kapitalgesellschaftsanteil gemäß § 17 Abs 1 dEStG. 9

)

Vgl Kraft, Wer ausreisen will, muss zahlen – Gedanken zur reformierten Wegzugsbesteuerung, TLE 0102022. ) Insbesondere EuGH 23. 1. 2014, DMC, C-164/12; 21. 5. 2015, Verder LabTec, C-657/13; 29. 11. 2011, National Grid Indus, C-371/10. 11 ) So explizit die Gesetzesbegründung, vgl BT-Drs 19/28652 vom 19. 4. 2021, 47. 12 ) BT-Drs 19/28652 vom 19. 4. 2021, 47 ff. 13 ) Vgl Kahlenberg, IStR 2020, 378 (381). 10

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Die neue deutsche Wegzugsbesteuerung Lösung: Nach § 6 dAStG aF wäre die Wegzugsbesteuerung ausgelöst worden. A war insgesamt mehr als zehn Jahre unbeschränkt steuerpflichtig. § 6 dAStG nF wird jedoch nicht ausgelöst, da A nicht speziell innerhalb der letzten zwölf Jahre sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war.

• Beispiel 2 Die natürliche Person B war in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig vom 1. 5. 2015 bis zum 1. 5. 2023. Am 1. 5. 2023 verzog B dauerhaft nach Barbados. B hält seit 2010 einen Kapitalgesellschaftsanteil gemäß § 17 Abs 1 dEStG. Lösung: Nach § 6 dAStG aF wäre keine Wegzugsbesteuerung ausgelöst worden, da B insgesamt nicht mehr als zehn Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war. § 6 dAStG nF wird jedoch ausgelöst, da B innerhalb der letzten zwölf Jahre mindestens sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war. Eine Übergangsregelung speziell für derartige Fälle wurde nicht implementiert.14)

Bezüglich des Siebenjahreszeitraums des § 6 Abs 2 Satz 1 dAStG ist zu berücksichtigen, dass bei unentgeltlicher Übertragung auch Zeiten der unbeschränkten Steuerpflicht des Rechtsvorgängers (bzw gegebenenfalls der Rechtsvorgänger) „mitgezählt“ werden (§ 6 Abs 2 Satz 2 dAStG). Eine „Doppelzählung“ von Perioden gleichzeitiger unbeschränkter Steuerpflicht in diesem Personenkreis wird dabei jedoch ausgeschlossen (§ 6 Abs 2 Satz 3 dAStG). Schenkt man der Gesetzesbegründung Glauben, so war es das Ziel der Reform der Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 dAStG, dass „die Anwendung der Vorschrift vereinfacht und die Administrierbarkeit verbessert“ 15) wird. Diesem Ziel sind die Anpassungen in den Tatbestandsvoraussetzungen in der Tat zuträglich. Besonders die vor der Reform geltende „lebenslange“ Spanne zur Kalkulation der Phasen unbeschränkter Steuerpflicht war, etwa bei Fällen unentgeltlicher Übertragungen, in Erbfällen oder schlichtweg bei sehr lange zurückliegenden Zeiträumen unbeschränkter Steuerpflicht, nicht unproblematisch. Die Begrenzung auf einen zwölfjährigen „Beobachtungszeitraum“ scheint insoweit klar vorzugswürdig, auch wenn die parallel eingeführte Verkürzung der qualifizierenden Phase unbeschränkter Steuerpflicht auf lediglich sieben statt zehn Jahre für den Steuerpflichtigen eine Verschärfung darstellt. III. Rechtsfolgen des § 6 dAStG Im Kern sieht § 6 dAStG sowohl in seiner „neuen“ als auch in der „alten“ Fassung für die in § 6 Abs 1 dAStG definierten Ereignisse eine Anwendung des § 17 dEStG vor, obwohl die zur originären Anwendung der Vorschrift des § 17 dEStG notwendige „reale“ Anteilveräußerung gerade nicht gegeben ist. Analog zu einer originären Anwendung des § 17 dEStG werden dabei gewerbliche Einkünfte erzielt.16) Es kommt daher das Teileinkünfteverfahren nach § 3 Nr 40c dEStG iVm § 3c Abs 2 dEStG zur Anwendung, dh, 60 % des einem Veräußerungsgewinn nach § 17 dEStG gleichgestellten Entstrickungsgewinns sind steuerpflichtig, 40 % steuerfrei.17) Auch wenn sich die grundsätzliche Funktionsweise des § 6 dAStG auf der Rechtsfolgenseite nicht verändert hat, ergaben sich dennoch erwähnenswerte Änderungen im Wortlaut. So sieht der reformierte § 6 dAStG vor, dass die in § 6 Abs 1 dAStG definierten Ereignisse bei „unbeschränkt Steuerpflichtigen der Veräußerung von Anteilen im Sinne des § 17 Absatz 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes zum gemeinen Wert“ 18) 14

) Kritisch Kahlenberg, IStR 2020, 378 (382). ) BT-Drs 19/28652 vom 19. 4. 2021, 47. ) § 17 dEStG setzt zudem eine Beteiligungshöhe iHv mindestens 1 % an der veräußerten Kapitalgesellschaft innerhalb der letzten fünf Jahre voraus, andernfalls liegen Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs 2 Nr 1 dEStG vor und der Anwendungsbereich des § 17 dEStG (gegebenenfalls iVm § 6 dAStG) ist nicht eröffnet. 17 ) Zudem wird in Abhängigkeit von der Fallkonstellation gegebenenfalls nach § 17 Abs 3 dEStG ein, in der Regel materiell unbedeutender, Freibetrag gewährt. 18 ) § 6 Abs 1 Satz 1 dAStG. 15 16

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The New German Exit Taxation gleichstehen. Der bis zum 31. 12. 2021 geltende § 6 dAStG aF sah hingegen vor, dass „auf Anteile im Sinne des § 17 Abs 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht § 17 des Einkommensteuergesetzes auch ohne Veräußerung anzuwenden ist, wenn im Übrigen für die Anteile zu diesem die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind“.19) In der Literatur wird die Änderung des Wortlauts – zutreffend – überwiegend so verstanden, dass insoweit weiterhin ein Rechtsfolgenverweis angeordnet werden soll, also keine grundsätzliche Änderung der Funktionsweise des § 6 dAStG beabsichtigt war.20) Würde stattdessen nun explizit eine fiktive Veräußerung normiert (eine Interpretation, die jedenfalls der Wortlaut des § 6 Abs 1 dAStG nF durchaus zulässt), so hätte dies etwa für den Fall des Wegzugs beim Halten sperrfristbehafteter Anteile gemäß § 22 Abs 1 UmwStG oder § 15 Abs 2 Satz 4 UmwStG Bedeutung.21) Mit Blick auf die Anpassungen auf der Rechtsfolgenseite des § 6 dAStG lässt sich festhalten, dass durchaus fraglich ist, ob der Gesetzgeber mit den Anpassungen im Wortlaut überhaupt materielle Änderungen bezweckte. Die Tatsache, dass die Gesetzesbegründung das Thema kaum aufgreift,22) spricht eher dagegen. Die deutsche Finanzverwaltung sollte sich jedoch angesichts der insoweit entstandenen Rechtsunsicherheiten im Rahmen des längst überfälligen neuen dAStG-Anwendungserlasses auch zu ihrem Verständnis der Rechtsfolgenseite des § 6 dAStG äußern. IV. Rückausnahmen und Stundungsregelungen 1. Rückausnahme bei nur vorübergehender Abwesenheit In § 6 Abs 3 dAStG ist eine Rückausnahme für den Fall einer nur vorübergehenden Abwesenheit vorgesehen. § 6 Abs 3 Satz 1 dAStG ist seit dem ATADUmsG wie folgt gefasst: „Beruht die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 auf einer nur vorübergehenden Abwesenheit des Steuerpflichtigen und wird der Steuerpflichtige innerhalb von sieben Jahren seit Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht wieder unbeschränkt steuerpflichtig, entfällt der Steueranspruch nach Absatz 1, soweit 1. die Anteile in der Zwischenzeit weder veräußert, übertragen noch in ein Betriebsvermögen eingelegt wurden, 2. keine Gewinnausschüttungen oder keine Einlagenrückgewähr erfolgt sind, deren gemeiner Wert insgesamt mehr als ein Viertel des Werts im Sinne des Absatzes 1 beträgt, und 3. das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile mindestens in dem Umfang wieder begründet wird, wie es im Zeitpunkt der Beendigung der Steuerpflicht bestand.“

Die Rückausnahme bei nur vorübergehender Abwesenheit gemäß § 6 Abs 3 dAStG bestand bereits vor der Reform durch das ATADUmsG. Wesentliche Neuerung ist die Erhöhung der maximalen Zeitspanne für die vorübergehende Abwesenheit von fünf auf sieben Jahre. Dies gilt nun jedoch auch für EU-/EWR-Fälle, da der bisherige in § 6 Abs 3 Satz 4 dAStG aF vorgesehene Dispens von der Frist in qualifizierenden EU-/EWR Fällen entfallen ist.23) Es besteht jedoch auch weiterhin die Möglichkeit einer Verlängerung der Frist um einmalig maximal fünf weitere Jahre, falls die Rückkehrabsicht24) weiterhin fortbesteht (§ 6 Abs 3 Satz 3 dAStG). 19

) § 6 Abs 1 Satz 1 dAStG aF. ) Vgl Pohl in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht (161. Lfg, 2022) § 6 dAStG Rn 7; Kahlenberg, IStR 2020, 378 (383). 21 ) Vgl ausführlicher Kahlenberg, IStR 2020, 378 (383). 22 ) BT-Drs 19/28652 vom 19. 4. 2021, 47. 23 ) Vgl Offerhaus in Fuhrman/Geurts/Nientimp/Wilmanns, Außensteuergesetz4, § 6 dAStG Rn 140. 24 ) Vgl hierzu jüngst BFH 21. 12. 2022, I R 55/19. 20

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Die neue deutsche Wegzugsbesteuerung Die Ausweitung der Rückkehrfrist auf sieben Jahre ist in diesem Zusammenhang positiv zu sehen. Dem in der Gesetzesbegründung postulierten Ziel, insoweit einer erhöhten Mobilität der Bevölkerung Rechnung zu tragen, wird hierdurch durchaus gedient.25) Andererseits führt der Wegfall der EU-/EWR-Sonderregelungen jedoch – ungeachtet der Frage seiner Unionsrechtskonformität (siehe hierzu Pkt V.) – zu einer erheblichen Verschärfung in EU-/EWR-Sachverhalten und dürfte diesem Anliegen eher entgegenstehen. 2. Stundungsregelung Die wesentlichen Änderungen in § 6 dAStG im Rahmen des ATADUmsG betreffen die Stundungsregelungen. § 6 Abs 4 dAStG sieht nun vor, dass die festgesetzte Steuer auf Antrag des Steuerpflichtigen in sieben gleichen unverzinslichen Jahresraten26) entrichtet werden kann. Diesem Antrag ist in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung stattzugeben. Gleichzeitig werden Ereignisse festgelegt, die zu einer Fälligkeit der Steuer innerhalb eines Monats führen, also die Stundung beenden (§ 6 Abs 4 Satz 5 dAStG). Dies ist der Fall, wenn die Jahresrate nicht fristgemäß entrichtet wird, der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nicht erfüllt, der Steuerpflichtige Insolvenz anmeldet, soweit die Anteile veräußert oder übertragen werden oder soweit Gewinnausschüttungen oder eine Einlagenrückgewähr erfolgen und soweit deren gemeiner Wert insgesamt mehr als ein Viertel des Werts iSd § 6 Abs 1 dAStG beträgt. Diese neue „One-fits-all“-Lösung ersetzt die bisherige Konzeption, welche für EU-/EWRFälle eine gegenüber Drittstaatenfällen privilegierte Behandlung vorsah. Für EU/EWR sah § 6 Abs 5 dAStG aF eine zeitlich unbegrenzte Stundung vor, zudem war hier eine Sicherheitsleistung nicht vorgesehen. Für Drittstaatenfälle war bislang gemäß § 6 Abs 4 dAStG aF dagegen nur eine Stundung über fünf Jahre vorgesehen. IZm dem Stundungskonzept ist auch der neue § 6 Abs 1 Satz 3 dAStG zu sehen, welcher festlegt, dass mit Entrichtung der Wegzugssteuer die Anteile als zum gemeinen Wert erworben gelten, während andernfalls die historischen Anschaffungskosten anzusetzen sind. Somit ergibt sich bei Stundung über sieben Jahre regelmäßig eine Aufstockung der Anschaffungskosten um ein Siebtel.27) Mit Blick auf das neue Stundungskonzept des § 6 dAStG darf zusammenfassend konstatiert werden, dass für EU-/EWR-Fälle eine dramatische Verschärfung, für Drittstaatenfälle eine moderate Entschärfung eingetreten ist. Insgesamt begrüßenswert ist zumindest, dass mit der nunmehr einheitlichen Regelung eine erhebliche Vereinfachung einhergeht. Dies hätte allerdings ebenso gut erreicht werden können, indem man die neue „One-fitsall“-Lösung stärker an die bisherigen Bestimmungen im EU-/EWR-Fall angelehnt hätte, der vorgenommenen Verschärfung hätte es hierfür also nicht zwingend bedurft. V. Anwendungsregeln Grundsätzlich gilt der neugefasste § 6 dAStG für nach dem 31. 12. 2021 verwirklichte Sachverhalte.28) Gemeint ist damit das jeweils für § 6 dAStG auslösende Ereignis, dh der Wegzug oder ein einem Wegzug gleichgestellter Vorgang.29) Fraglich war jedoch, wie mit 25

) BT-Drs 19/28652 vom 19. 4. 2021, 47. ) Detailliert zum neuen Ratenzahlungskonzept Kraft, Das ratenzahlungsbasierte Entrichtungskonzept der neuen Wegzugsbesteuerung – illustriert anhand von 10 Fällen, Ubg 2021, 585; Kraft, Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG – Veranschaulichung der Grundlagen und Problemfelder anhand eines umfassenden Fallbeispiels, SteuerStud 2022, 515. 27 ) Vgl Kahlenberg, IStR 2020, 378 (383). 28 ) § 21 Abs 1 und 3 dAStG idF ATADUmsG. 29 ) BT-Drs 19/28652 vom 19. 4. 2021, 67. 26

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The New German Exit Taxation noch laufenden Stundungen gemäß § 6 Abs 4 und 5 dAStG aF für vor dem 31. 12. 2021 verwirklichte Ereignisse zu verfahren sei. Hier sieht § 21 Abs 3 dAStG idF ADADUmsG eine Anwendung des „alten“ § 6 dAStG auf noch laufende Stundungen und noch laufende Fristen gemäß § 6 Abs 3 dAStG aF vor, dh, entsprechende Fristen und Stundungen sind insoweit fortzuführen.30) Jedoch setzt eine Stundung verfahrensrechtlich eine durch Steuerbescheid festgesetzte Steuer voraus. Für Wegzugsfälle im Jahr 2021 konnte eine solche zum 31. 12. 2021 noch nicht vorliegen, sodass die Frage im Raum stand, wie mit derartigen Fällen umzugehen sei.31) Erst das Jahressteuergesetz 202232) hat insoweit endgültig für Klarheit gesorgt. § 21 Abs 3 Satz 1 dAStG wurde nun eindeutig auf die materielle Tatbestandserfüllung nach § 6 Abs 1 dAStG hin ausgerichtet: „Wurde ein Tatbestand des § 6 Absatz 1 in einer bis zum 30. Juni 2021 geltenden Fassung vor dem 1. Januar 2022 verwirklicht, ist § 6 in der am 30. Juni 2021 geltenden Fassung für die Abwicklung dieses Falles über den 31. Dezember 2021 hinaus anzuwenden.“

Damit wurde jedenfalls für die zeitliche Abgrenzung zwischen § 6 dAStG aF und § 6 dAStG nF eine klare und praktikable Lösung gefunden. VI. Unionsrechtliche Diskussion Die unbegrenzte Stundungsmöglichkeit in EU-/EWR-Fällen wurde im Rahmen des SEStEG33) mit Wirkung zum 31. 12. 2006 eingeführt und ist klar vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils Hughes de Lasteyrie du Saillant 34) zu sehen, bei dem eine mit § 6 dAStG vergleichbare französische Regelung als unverhältnismäßige Einschränkung der Niederlassungsfreiheit eingestuft wurde.35) Mit der durch das SEStEG36) in § 6 Abs 5 dAStG aF eingefügten zinslosen dauerhaften Stundungsmöglichkeit für EU-/EWR-Fälle glaubte der deutsche Gesetzgeber, die Vorschrift des § 6 dAStG auf ein unionsrechtlich „sicheres“ Fundament gestellt zu haben. Gleichzeitig erwies sich die dauerhafte Stundungsmöglichkeit aus fiskalischer Perspektive als ernstes Problem und zudem kompliziert in der Handhabung und Überwachung.37) Es darf daher konstatiert werden, dass der mit dem ATADUmsG38) erfolgte Wegfall dieser Regelung vor allem fiskalisch motiviert ist. Als spezifisch auf natürliche Personen bezogene Regelung bewegt sich § 6 dAStG nämlich durchwegs außerhalb des Anwendungsbereichs der ATAD, sodass eine Anpassungsnotwendigkeit aufgrund von Art 5 ATAD („Übertragung von Vermögenswerten und Wegzugsbesteuerung“) nicht bestand.39) Wenn also in der Gesetzesbegründung postuliert wird, „[w]egen der auf Grund von Artikel 5 ATAD erforderlichen Änderungen“ sehe „der Gesetzentwurf eine Vereinheitlichung der Stundungsregelungen sowie Erleichterungen bei der Anwendung der Rückkehrerregelung bei der Wegzugsbesteuerung natürlicher Personen im Rahmen des § 6 AStG vor“, 40) so wird eine Kausalität suggeriert, die schlichtweg unzutreffend ist. Vielmehr sah der deutsche Gesetzgeber offensichtlich auf Basis der jüngeren EuGHRechtsprechung, insbesondere den in der Gesetzesbegründung explizit genannten Ent30

) Vgl Häck, IStR 2023, 274 (274 ff). ) Vgl Häck, IStR 2023, 274 (274 ff). ) DBGBl I 2022, S 2294. 33 ) DBGBl I 2006, S 2782. 34 ) EuGH 11. 3. 2004, Hughes de Lasteyrie du Saillant, C-9/02. 35 ) Jesic/Leucht, Der § 6 AStG idF des ATAD-Umsetzungsgesetzes – Unionsrechtskonform trotz Wegfall des bisherigen § 6 Abs 5 bzw. 6 AStG? DStR 2021, 1913 (1913). 36 ) DBGBl I 2006, S 2782. 37 ) Vgl Kraft, TLE 010-2022. 38 ) DBGBl I 2021, S 2035. 39 ) Salzmann, IStR 2021, 759 (759). 40 ) BT-Drs 19/28652 vom 19. 4. 2021, 25. 31 32

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Die neue deutsche Wegzugsbesteuerung scheidungen National Grid Indus 41), Verder LabTec 42) und DMC 43), keine unionsrechtliche Notwendigkeit mehr, eine unbegrenzte Stundung in EU-/EWR-Fällen zu gewähren, da insoweit jeweils auch Ratenstundungsregelungen als unionsrechtlich unbedenklich einzustufen seien. Diese Entscheidungen waren zwar auf Entstrickungsbesteuerungsregeln bezogen, nicht aber speziell auf natürliche Personen und damit insbesondere nicht auf explizit mit § 6 dAStG vergleichbare Regelungen. Das EuGH-Urteil Wächtler 44) betrifft dagegen explizit § 6 dAStG aF. Es war in diesem Urteil zu klären, ob eine sofortige Steuererhebung dem Freizügigkeitsabkommen (FZA) mit der Schweiz entgegenstehe. Hier konstatierte der EuGH, lediglich eine mit § 6 Abs 5 dAStG aF vergleichbare unbegrenzte Stundungsregelung könne den Liquiditätsnachteil beseitigen, nicht aber eine ratierliche Stundung. Hierzu heißt es im Regierungsentwurf zum ATADUmsG: „Die Aussage des EuGH in seinem jüngsten Urteil zum Freizügigkeitsabkommen mit der Schweiz vom 26. Februar 2019, Rs. C-581/17 (Wächtler), Tz. 68, wonach die ratierliche Stundung ,kostspieliger‘ als eine Stundung bis zur Veräußerung der Gesellschaftsanteile sei, scheint hierzu in Widerspruch zu stehen.“ 45)

Gleichwohl sei die Reform des § 6 dAStG bei Hinzuziehung der übrigen EuGH-Rechtsprechung insgesamt unionsrechtskonform.46) Man wird die Aussagen im Regierungsentwurf also so verstehen müssen, dass zum Schutz deutscher fiskalischer Interessen die unbegrenzte Stundung nach § 6 Abs 5 dAStG aF trotz bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens deutlich werdender erheblicher unionsrechtlicher Bedenken abgeschafft wurde. Um es einmal ganz deutlich zu sagen: Man will es hier offensichtlich einfach „darauf ankommen lassen“ und die Frage der Unionsrechtskonformität dann ex post der Rechtsprechung überlassen. Aus rechtsstaatlicher Perspektive ist dies ein bedenklicher Vorgang. Die Neuregelung des § 6 dAStG durch das ATADUmsG hat im deutschen steuerwissenschaftlichen Schrifttum daher eine sehr umfangreiche Diskussion um die Unionsrechtskonformität des neuen § 6 dAStG entfacht, bei der die Stimmen, welche die Unionsrechtskonformität des neuen § 6 dAStG in Zweifel ziehen, klar überwiegen.47) Die Diskussion kreist dabei wenig überraschend wesentlich um die Frage, ob der Wegfall der Stundung der Wegzugssteuer für EU-/EWR-Wegzüge bis zu einer tatsächlichen Realisierung (§ 6 Abs 5 dAStG aF) unionrechtskonform ist.48) Zutreffend wird vorgebracht, dass insoweit ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in die Niederlassungsfreiheit vorliegt.49) Es seien insoweit mittlerweile spätestens seit der Wächtler-Entscheidung des EuGH50) bezüglich des Themenkom41

) EuGH 29. 11. 2011, National Grid Indus, C-371/10. ) EuGH 21. 5. 2015, Verder LabTec, C-657/13. ) EuGH 23. 1. 2014, DMC, C-164/12. 44 ) EuGH 26. 2. 2019, Wächtler, C-581/17; vgl hierzu dBMF-Schreiben vom 13. 11. 2019, IV B 5 - S 1325/18/ 10001:001 – DOK 2019/0995000, BStBl I 2019, 1212. 45 ) BT-Drs 19/28652 vom 19. 4. 2021, 47. 46 ) BT-Drs 19/28652 vom 19. 4. 2021, 47. 47 ) Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht (99. Lfg, 2021) § 6 dAStG Rn 169; Pohl in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht (161. Lfg, 2022) § 6 dAStG Rn 15; Schönfeld/Erdem, Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG n.F. und EU-Recht, StuW 2022, 70 (98); Jesic/Leucht, DStR 2021, 1913 (1913); Desens, Paradigmenwechsel in der Entstrickungsbesteuerung? DStR 2022, 1588 (1598); Kraft, TLE 010-2022; für eine Unionsrechtskonformität des reformierten § 6 dAStG allerdings Bösken, Die Unionsrechtskonformität der Wegzugsbesteuerung in § 6 AStG nach der Reform durch das ATADUmsetzungsgesetz, Ubg 2021, 589; Zelger/Bilic, Zur unionsrechtlichen Vereinbarkeit von § 6 AStG nach der Novelle des deutschen Gesetzgebers durch das Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie – eine unendliche Geschichte? ISR 2022, 134. 48 ) Vgl Bösken, Ubg 2021, 589 (589). 49 ) Kraft, TLE 010-2022; Jesic/Leucht, DStR 2021, 1913 (1917). 50 ) EuGH 26. 2. 2019, Wächtler, C-581/17. 42 43

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The New German Exit Taxation plexes der Entstrickungs- und Wegzugsbesteuerung zwei Rechtsprechungslinien des EuGH klar zu unterscheiden, wobei eine speziell auf den Wegzug natürlicher Personen bezogen sei.51) Deshalb sei eine direkte Übertragung der Erwägungen des EuGH in den Rs DMC 52) und Verder LabTec 53) auf die unionsrechtliche Würdigung des speziell auf natürliche Personen bezogenen § 6 dAStG unmöglich. Vielmehr liege insoweit, bedingt durch den erhebliche Liquiditätsnachteil im Vergleich mit dem Inlandsfall, ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Freizügigkeit innerhalb der EU/EWR vor, der durch das neue einheitliche Ratenzahlungskonzept des § 6 Abs 4 dAStG nicht geheilt werden könne.54) Als wohl umfassendste unionsrechtliche Analyse zum neuen § 6 dAStG sei auf Schönfeld/Erdem 55) verwiesen. Bemerkenswert ist zudem, dass selbst Vertreter der deutschen Finanzverwaltung – in privater Eigenschaft – hier ernste unionsrechtliche Bedenken äußern.56) VII. Fazit Mit dem ATADUmsG, ergänzt um kleinere Folgeanpassungen im Jahressteuergesetz 2022, wurde § 6 dAStG für EU-/EWR-Fälle deutlich verschärft. Besonders der Wegfall der unbegrenzten Stundung in qualifizierenden EU-/EWR-Fällen ist unionsrechtlich höchst umstritten, selbst in der Gesetzesbegründung wurden insoweit unionsrechtliche Zweifel geäußert. Insgesamt ist die Reform – ohne eine konkrete Anpassungsnotwendigkeit durch Art 5 ATAD – durch fiskalische Interessen und das Bemühen um eine Vereinfachung und Vereinheitlichung getrieben. Diese Ziele werden zwar im Wesentlichen erreicht, die Frage einer möglichen Unionsrechtswidrigkeit des reformierten § 6 dAStG steht jedoch im Raum und dürfte perspektivisch die einschlägige Rechtsprechung beschäftigen. 51

) Vgl Schönfeld/Erdem, StuW 2022, 70 (98). ) EuGH 23. 1. 2014, DMC, C-164/12. ) EuGH 21. 5. 2015, Verder LabTec, C-657/13. 54 ) Jesic/Leucht, DStR 2021, 1913 (1913 ff). 55 ) Schönfeld/Erdem, StuW 2022, 70. 56 ) Jesic/Leucht, DStR 2021, 1913 (1917). 52 53

Konsultationsvereinbarung mit Belgien betreffend Ansässigkeitsbestätigungen Erlass des BMF vom 21. 6. 2023, 2023-0.451.130, BMF-AV 2023/75. Die Konsultationsvereinbarung betrifft die Beweisführung für die Ansässigkeit von Personen in Belgien und Österreich iSd Art 4 Abkommen zwischen Österreich und Belgien. Sie gilt im Verfahren zur Entlastung an der Quelle bzw zur Rückerstattung von belgischen und österreichischen Quellensteuern nach innerstaatlichem Recht.

Aufhebung eines Erlasses betreffend Auslegungsfragen zum DBA Deutschland Erlass des BMF vom 14. 6. 2023, 2023-0.418.865, BMF-AV 2023/71. Der Erlass des BMF vom 17. 2. 1999, Auslegungsfragen zum DBA Deutschland, Ergebnisprotokoll vom 29. 1. 1999, 04 1482/13-IV/4/99, AÖF 1999/62, wird aufgehoben. 388

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EU News

Peter Haunold / Christian Stangl / Michael Tumpel*)

News aus der EU EU EUNEWS News EuGH: Eigenständige Beurteilung von fiktiven Umsätzen entsprechend den Grundsätzen des Unionsrechts für Zwecke der Mehrwertsteuer Im Urteil vom 25. 5. 2023, W. sp. Z o.o., C-114/22, beantwortete der EuGH Fragen des polnischen Obersten Verwaltungsgerichts betreffend den Vorsteuerabzug im Lichte der Grundsätze der Steuerneutralität und der Verhältnismäßigkeit. Dem Vorabentscheidungsersuchen des polnischen Gerichts lag folgender Sachverhalt zugrunde. Die M. sp. Z o.o. S.K.A. stellte eine Rechnung über einen der Mehrwertsteuer unterliegenden Markenverkauf an W. aus, die die Mehrwertsteuer erklärte und entrichtete. Die Finanzverwaltung stellte das Recht auf Vorsteuerabzug, das W. hinsichtlich dieser Rechnung in Anspruch genommen hatte, mit der Begründung in Frage, dass der in Rede stehende Markenverkauf wegen Verletzung der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens iSd Bestimmung nichtig sei. Dieser Bescheid wurde vom Direktor der Finanzverwaltung bestätigt, der allerdings der Auffassung war, dass der in Rede stehende Markenverkauf zum Schein erfolgt sei. W. erhob gegen diesen letztgenannten Bescheid Klage beim Polnischen Woiwodschaftsverwaltungsgericht Warschau, das diesen Bescheid mit der Begründung aufhob, dass die Finanzverwaltung nicht den Beweis erbracht habe, dass das in Rede stehende Geschäft zum Schein erfolgt sei. Der Direktor der Finanzverwaltung legte gegen dieses Urteil beim Obersten Verwaltungsgericht, dem vorlegenden Gericht, Kassationsbeschwerde ein. Dieses legte dem EuGH eine Frage zur Vorabentscheidung vor: Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art 167, Art 168 lit a, Art 178 lit a und Art 273 MwStSyst-RL iVm den Grundsätzen der Steuerneutralität und der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, nach denen dem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug allein deshalb versagt wird, weil das betreffende Geschäft in Anwendung der Bestimmungen des nationalen Zivilrechts als Scheingeschäft eingestuft wird und nichtig ist, ohne dass dargetan werden muss, dass es auf einer Mehrwertsteuerhinterziehung oder einem Rechtsmissbrauch beruht. Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, wird diese Frage im Kontext eines Rechtsstreits gestellt, in dem der Direktor der Finanzverwaltung den Einspruch des Steuerpflichtigen gegen einen Bescheid zurückgewiesen hat, mit dem das Recht auf Vorsteuerabzug wegen des fiktiven Charakters der auf der Eingangsstufe erfolgten Markenübertragung versagt wurde, und sich dabei auf eine Bestimmung des Mehrwertsteuergesetzes gestützt hat, nach der das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen ist, wenn auf den in Rede stehenden steuerbaren Umsatz eine Vorschrift des Zivilgesetzbuchs anwendbar ist, nach der die Willenserklärung, die gegenüber der anderen Partei mit deren Einverständnis zum Schein abgegeben wurde, nichtig ist. In diesem Zusammenhang weist der EuGH darauf hin, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung das Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die für die Gegenstände und Dienstleistungen, die sie für eine steuerbare Tätigkeit erworben oder empfangen haben, als Vorsteuer ge*)

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Dr. Peter Haunold ist Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Partner bei Deloitte in Wien. Dr. Christian Stangl ist Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in Wien. Univ.-Prof. Dr. Michael Tumpel ist Vorstand des Instituts für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre der Universität Linz und Dean der JKU Business School.

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EU News schuldet wird oder entrichtet wurde, einen fundamentalen Grundsatz des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstellt. Das in den Art 167 ff MwStSyst-RL vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug ist somit integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden, sofern die materiellen wie auch formalen Anforderungen oder Bedingungen, denen dieses Recht unterliegt, von den Steuerpflichtigen, die es ausüben wollen, eingehalten werden (EuGH 28. 7. 2011, Kommission/Ungarn, C-274/10, Rn 42 und 43; 24. 11. 2022, Finanzamt M [Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug], C-596/21, Rn 21 mwN). Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet folglich die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (EuGH 14. 2. 1985, Rompelman, C-268/83, Rn 19; 21. 6. 2012, Mahagében und Dávid, C-80/11 und C-142/11, Rn 39; 24. 11. 2022, Finanzamt M [Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug], C-596/21, Rn 22). Das Recht auf Vorsteuerabzug unterliegt jedoch der Einhaltung sowohl materieller als auch formaler Anforderungen oder Bedingungen. Die für die Entstehung dieses Rechts erforderlichen materiellen Anforderungen oder Bedingungen werden in Art 168 MwStSyst-RL aufgezählt. Um das Recht auf Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen zu können, ist es danach zum einen erforderlich, dass der Betreffende „Steuerpflichtiger“ im Sinne dieser Richtlinie ist, und zum anderen, dass die zur Begründung dieses Rechts angeführten Gegenstände oder Dienstleistungen von ihm auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden und, wie in lit a dieses Artikels bestimmt wird, auf einer vorausgehenden Umsatzstufe von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht worden sind. Des Weiteren entsteht gemäß Art 167 MwStSyst-RL das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht, wobei der Steueranspruch nach Art 63 dieser Richtlinie zu dem Zeitpunkt eintritt, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Daraus folgt, dass das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich vom Nachweis der tatsächlichen Bewirkung des Umsatzes abhängt (EuGH 26. 5. 2005, António Jorge, C-536/03, Rn 24 und 25; 27. 6. 2018, SGI und Valériane, C-459/17 und C-460/17, Rn 34 und 35; 29. 9. 2022, Raiffeisen Leasing, C-235/21, Rn 40). Ohne tatsächliche Bewirkung der Lieferung des Gegenstands oder der Dienstleistung kann somit kein Recht auf Vorsteuerabzug entstehen. Der EuGH hat im Übrigen bereits entschieden, dass es dem Mechanismus der Mehrwertsteuer immanent ist, dass ein fiktiver Umsatz nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen kann, da er in keinerlei Verbindung zu den auf der Ausgangsstufe versteuerten Umsätzen stehen kann (EuGH 8. 5. 2019, EN.SA., C-712/17, Rn 24 und 25 mwN). Somit kann erstens die Weigerung, einem Steuerpflichtigen unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ein Recht auf Vorsteuerabzug einzuräumen, mit der Feststellung gerechtfertigt werden, dass der Nachweis der tatsächlichen Bewirkung des Umsatzes, der zur Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug geltend gemacht wird, nicht erbracht ist. Um das Recht auf Vorsteuerabzug unter solchen Umständen grundsätzlich bejahen zu können, muss nämlich geprüft werden, ob die Markenübertragung, die zur Stützung dieses Rechts geltend gemacht wird, tatsächlich durchgeführt wurde und ob die betreffenden Marken vom Steuerpflichtigen für seine besteuerten Umsätze benutzt wurden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Beweislast beim Steuerpflichtigen liegt, der durch objektive Nachweise belegen muss, dass ihm ein Steuerpflichtiger 390

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EU News auf einer vorausgehenden Umsatzstufe tatsächlich Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht hat, die seinen der Mehrwertsteuer unterliegenden Umsätzen dienten und für die er tatsächlich Mehrwertsteuer entrichtet hat (EuGH 21. 11. 2018, Vădan, C-664/16, Rn 44, 11. 11. 2021, Ferimet, C-281/20, Rn 39; 16. 2. 2023, DGRFP Cluj, C-519/21, Rn 100). Was die Würdigung der zum Nachweis des Vorliegens des steuerpflichtigen Umsatzes vorgelegten Beweise betrifft, so ist sie vom nationalen Gericht gemäß den Beweisregeln des nationalen Rechts anhand einer umfassenden Beurteilung aller Gesichtspunkte und tatsächlichen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (EuGH 6. 9. 2012, Mecsek-Gabona, C-273/11, Rn 53; 9. 1. 2023, A.T.S. 2003, C-289/22, Rn 46 mwN). Wenn sich im Ausgangsverfahren aus dieser Würdigung, die das vorlegende Gericht vorzunehmen hat, ergibt, dass die geltend gemachte Markenübertragung nicht tatsächlich durchgeführt wurde, kann kein Recht auf Vorsteuerabzug entstehen. In diesem Kontext kann, wie die polnische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen geltend macht, das vorlegende Gericht den Umstand – sein Vorliegen unterstellt – berücksichtigen, dass sich die Parteien trotz des scheinbaren Abschlusses eines Kaufvertrags in Wirklichkeit weiterhin so verhielten, als wäre der Veräußerer immer noch Inhaber der in Rede stehenden Marken und W. nur ihr Fremdbesitzer. Wenn hingegen aus dieser Gesamtwürdigung hervorgeht, dass die Übertragung tatsächlich durchgeführt wurde und die übertragenen Marken vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für seine besteuerten Umsätze benutzt wurden, kann ihm das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich nicht versagt werden. Allerdings kann zweitens dem Steuerpflichtigen dieses Recht versagt werden, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass dieses Recht in einer Weise geltend gemacht wird, die eine Steuerhinterziehung oder einen Rechtsmissbrauch darstellt. Der EuGH weist darauf hin, dass die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen ein Ziel ist, das von MwStSyst-RL anerkannt und gefördert wird, und dass der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, dass eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht erlaubt ist. Auch wenn die materiellen Voraussetzungen für das Recht auf Vorsteuerabzug erfüllt sind, haben die nationalen Behörden und Gerichte dieses Recht daher zu versagen, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass es in einer Weise geltend gemacht wird, die eine Steuerhinterziehung oder einen Rechtsmissbrauch darstellt (EuGH 3. 3. 2005, Fini H, C-32/03, Rn 34 und 35; 19. 10. 2017, Paper Consult, C-101/16, Rn 43; 1. 12. 2022, Aquila Part Prod Com, C-512/21, Rn 26). In Bezug auf Steuerhinterziehung ist das Recht auf Vorsteuerabzug nach ständiger Rechtsprechung nicht nur dann zu versagen, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Hinterziehung begeht, sondern auch dann, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige, dem die Gegenstände geliefert oder die Dienstleistungen erbracht wurden, die als Grundlage für die Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug dienen, wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt hat, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (EuGH 6. 12. 2012, Bonik, C-285/11, Rn 40; 11. 11. 2021, Ferimet, C-281/20, Rn 48; 1. 12. 2022, Aquila Part Prod Com, C-512/21, Rn 27). Da die Versagung des Vorsteuerabzugsrechts eine Ausnahme von dem Grundprinzip ist, das dieses Recht darstellt, obliegt es den Steuerbehörden, die objektiven Umstände rechtlich hinreichend nachzuweisen, die den Schluss zulassen, dass der Steuerpflichtige eine Mehrwertsteuerhinterziehung begangen hat oder wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung dieses Rechts geltend gemachte Umsatz in eine Steuerhinterziehung einbezogen war. Es obliegt sodann den nationalen Gerichten, zu prüfen, ob die betreffenden Steuerbehörden diese objektiven Umstände nachgewiesen haben (EuGH 9. 1. 2023, A.T.S. 2003, C-289/22, Rn 53 mwN). SWI 2023

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EU News In Bezug auf Rechtsmissbrauch setzt nach ständiger Rechtsprechung die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer zum einen voraus, dass die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen MwStSyst-RL und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe, und zum anderen, dass aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich ist, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen lediglich ein Steuervorteil bezweckt wird (EuGH 21. 2. 2006, Halifax ua, C-255/02, Rn 74 und 75; 17. 12. 2015, WebMindLicenses, C-419/14, Rn 36; 15. 9. 2022, HA.EN., C-227/21, Rn 35). Was die Frage anbelangt, ob das wesentliche Ziel eines Umsatzes nur in der Erlangung des Steuervorteils besteht, ist darauf hinzuweisen, dass der EuGH im Bereich der Mehrwertsteuer bereits entschieden hat, dass der Steuerpflichtige bei einer Wahlmöglichkeit zwischen zwei Umsätzen nicht verpflichtet ist, den Umsatz zu wählen, der die höhere Mehrwertsteuerzahlung nach sich zieht, sondern vielmehr das Recht hat, seine Tätigkeit so zu gestalten, dass er seine Steuerschuld in Grenzen hält. Somit können die Steuerpflichtigen die Organisationsstrukturen und die Geschäftsmodelle, die sie als für ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten und zur Begrenzung ihrer Steuerlast am besten geeignet erachten, im Allgemeinen frei wählen (EuGH 17. 12. 2015, WebMindLicenses, C-419/14, Rn 42; 9. 1. 2023, A.T.S. 2003, C-289/22, Rn 40). Der im Bereich der Mehrwertsteuer geltende Grundsatz des Verbots missbräuchlicher Praktiken verbietet somit rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen, die allein zu dem Zweck erfolgen, einen Steuervorteil zu erlangen, dessen Gewährung den Zielen MwStSyst-RL zuwiderliefe (EuGH 16. 7. 1998, ICI, C-264/96, Rn 26; 27. 10. 2011, Tanoarch, C-504/10, Rn 51; 9. 1. 2023, A.T.S. 2003, C-289/22, Rn 41). Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten nach Art 273 MwStSyst-RL erlassen dürfen, um eine genaue Erhebung der Mehrwertsteuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinausgehen dürfen. Sie dürfen daher nicht so eingesetzt werden, dass sie systematisch das Recht auf Vorsteuerabzug und damit die Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage stellen (EuGH 9. 12. 2021, Kemwater ProChemie, C-154/20, Rn 28 mwN). Im vorliegenden Fall ist zum einen festzustellen, dass aus den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts nicht hervorgeht, dass die Gesichtspunkte, anhand deren ein Rechtsgeschäft, das einen mehrwertsteuerpflichtigen Umsatz betrifft, nach den Vorschriften des nationalen Zivilrechts als Scheingeschäft und damit nichtig eingestuft werden kann, mit den Gesichtspunkten zusammenfallen, die es ermöglichen, einen mehrwertsteuerpflichtigen wirtschaftlichen Vorgang nach Maßgabe des Unionsrechts als fiktiv einzustufen und somit die Weigerung, dem Steuerpflichtigen ein Recht auf Vorsteuerabzug einzuräumen, zu rechtfertigen. Eine solche Nichtigkeit kann daher diese Weigerung grundsätzlich nicht rechtfertigen. Zum anderen geht aus den Feststellungen des vorlegenden Gerichts hervor, dass die in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften allgemein jede Situation erfassen, in der der Steuerpflichtige ein nach dem Zivilgesetzbuch als Scheingeschäft eingestuftes und damit nichtiges Rechtsgeschäft abgeschlossen hat, ohne dass es erforderlich wäre, unabhängig von den anwendbaren Vorschriften des Zivilrechts und anhand objektiver Umstände nachzuweisen, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wurde. Zwar kann der nach den Bestimmungen des nationalen Zivilrechts fiktive Charakter des zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Aussteller der Rechnung geschlossenen Vertrags ein Indiz für eine betrügerische oder missbräuchliche 392

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EU News Praxis im Sinne und für die Anwendung MwStSyst-RL darstellen, eine solche Praxis kann jedoch nicht allein aus diesem Umstand abgeleitet werden. Unter diesen Umständen ist nach alledem festzustellen, dass nationale Rechtsvorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden dadurch, dass sie vorsehen, dass die in einer zivilrechtlichen Vorschrift vorgesehene Nichtigkeit eines als Scheingeschäft eingestuften Rechtsgeschäfts die Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug nach sich zieht, ohne dass dargetan werden muss, dass die Voraussetzungen dafür, einen steuerbaren wirtschaftlichen Vorgang nach Maßgabe des Unionsrechts als fiktiven Umsatz einzustufen, erfüllt sind oder dass, wenn dieser Umsatz tatsächlich bewirkt wurde, dieses Recht auf Vorsteuerabzug in betrügerischer Weise oder missbräuchlich ausgeübt wurde, über das hinausgehen, was zur Erreichung der Ziele der MwStSyst-RL, die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer sicherzustellen und Steuerhinterziehung zu vermeiden, notwendig ist. Auf die Vorlagefrage antwortet der EuGH daher, dass Art 167, Art 168 lit a, Art 178 lit a und Art 273 MwStSyst-RL im Licht der Grundsätze der Steuerneutralität und der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, nach denen dem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug allein deshalb versagt wird, weil ein steuerbarer wirtschaftlicher Vorgang in Anwendung der Bestimmungen des nationalen Zivilrechts als Scheingeschäft eingestuft wird und nichtig ist, ohne dass dargetan werden muss, dass die Voraussetzungen dafür, diesen Vorgang nach Maßgabe des Unionsrechts als fiktiven Umsatz einzustufen, erfüllt sind oder dass, wenn dieser Umsatz tatsächlich bewirkt wurde, er auf einer Mehrwertsteuerhinterziehung oder einem Rechtsmissbrauch beruht. Anmerkung: Der EuGH bringt im vorliegenden Urteil zum Ausdruck, dass die Vorschriften des nationalen Zivilrechts zwar Indizwirkung für das Vorliegen eines Scheingeschäfts haben können, aber das Recht auf Vorsteuerabzug nur versagt werden kann, wenn ein Vorgang auch nach Maßgabe des Unionsrechts als fiktiver Umsatz einzustufen ist oder er auf einer Mehrwertsteuerhinterziehung oder einem Rechtsmissbrauch beruht. Wenn aber der Umsatz tatsächlich bewirkt wurde und auch das Recht auf Vorsteuerabzug nicht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich ausgeübt wurde, kann von einem Mitgliedstaat der Vorsteuerabzug nicht ausgeschlossen werden. Auch schon die bisherige Judikatur des VwGH sah Scheingeschäfte außerhalb des Anwendungsbereichs der Umsatzsteuer, wenn diese nicht von der ernsthaften Absicht eines wechselseitigen Leistungsaustausches getragen sind (VwGH 4. 6. 2008, 2005/13/0129). EuGH: Autos zur Verschrottung fallen nicht unter die Differenzbesteuerung Im Urteil vom 17. 5. 2023, IT, C-365/22, befasste sich der EuGH mit einem Vorabentscheidungsersuchen des belgischen Kassationshofs iZm einem Rechtsstreit zwischen IT und dem belgischen Staat über die Weigerung der belgischen Steuerverwaltung, die Regelung über die Differenzbesteuerung auf bestimmte, von IT getätigte Verkäufe von Fahrzeugen anzuwenden. IT ist für eine im Verkauf von Gebrauchtfahrzeugen und Autowracks bestehende gewerbliche Tätigkeit zu Mehrwertsteuerzwecken erfasst. Im Rahmen dieser Tätigkeit erwirbt er insbesondere Fahrzeuge mit Totalschaden von Versicherungsunternehmen und verkauft sie als Autowracks oder „zum Ausschlachten“ an Dritte weiter. IT wurde einer Prüfung durch die Steuerbehörden unterzogen, die aufgrund von Verstößen gegen die Vorschriften über den Vorsteuerabzug und die Differenzbesteuerung zu einem Berichtigungsbescheid führte. Auf der Grundlage der nationalen Bestimmungen, mit denen die Art 311 und 313 MwStSyst-RL umgesetzt werden, entschied die Steuerverwaltung, Rechnungen, die den Ausdruck „Zum Ausschlachten verkaufte Fahrzeuge“ enthielten, bzw Rechnungen, die Autowracks betrafen, von der Differenzbesteuerung auszuschließen. SWI 2023

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EU News IT erhob gegen diese Entscheidung Klage und machte ua – unter Verweis auf EuGH 18. 1. 2017, Sjelle Autogenbrug, C-471/15 – geltend, dass Fahrzeuge, die „zum Ausschlachten“ verkauft würden, „Gebrauchtgegenstände“ iSd Art 311 Abs 1 Nr 1 MwStSyst-RL seien. Der Appellationshof Lüttich wies die Klage von IT ab. Er stellte fest, dass das Urteil vom 18. 1. 2017, Sjelle Autogenbrug, C-471/15, nicht wie im vorliegenden Fall Fahrzeuge betreffe, die „zum Ausschlachten“ verkauft würden, ohne dass die verwertbaren Teile in irgendeiner Weise individualisiert würden, sondern Teile, die vom Steuerpflichtigen selbst aus Altfahrzeugen entnommen und von ihm als (Ersatz-)Teile weiterverkauft worden seien. Es müsse geprüft werden, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Fahrzeuge die Funktionen behalten hätten, die sie im Neuzustand gehabt hätten, sodass sie im derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendet werden könnten, und ob sie infolgedessen als „Gebrauchtgegenstände“ iSd Art 311 Abs 1 Nr 1 MwStSyst-RL eingestuft werden könnten. Das Gericht war zum einen der Ansicht, dass dies bei den von IT „zum Ausschlachten“ verkauften Fahrzeugen offensichtlich nicht der Fall sei, da der Vermerk „zum Ausschlachten“ objektiv belege, dass diese Fahrzeuge in ihrem derzeitigen Zustand grundsätzlich nicht mehr erneut verwendbar seien, und dass die objektiven Umstände zu berücksichtigen seien, unter denen der Wiederverkauf erfolgt sei. Zum anderen war es hinsichtlich der zu Autowracks gewordenen Fahrzeuge der Ansicht, dass sie nicht mehr als „Gebrauchtgegenstände“ eingestuft werden könnten, da sie nicht mehr mit den Eigenschaften, die sie im Neuzustand gehabt hätten, erneut verwendet werden könnten, da sich ihre Verwendung nur noch auf die Verwertung einiger Teile und der Materialien, aus denen sie bestünden, beschränken könne. IT legte gegen das Urteil des Appellationshofs beim belgischen Kassationshof, dem vorlegenden Gericht, Kassationsbeschwerde ein. Dieser fragt sich, ob die vom Appellationshof zugrunde gelegte Auslegung von Art 311 Abs 1 Nr 1 MwStSyst-RL zutreffend ist und legte daher dem EuGH eine Frage zur Vorabentscheidung vor: Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art 311 Abs 1 Nr 1 MwStSyst-RL dahin auszulegen ist, dass endgültig stillgelegte Kraftfahrzeuge, die ein Unternehmen von in Art 314 MwStSyst-RL genannten Personen erworben hat und die „zum Ausschlachten“ verkauft werden sollen, ohne dass die verwertbaren Teile aus den Fahrzeugen entnommen wurden, Gebrauchtgegenstände iSd erstgenannten dieser Bestimmungen darstellen. Einleitend weist der EuGH darauf hin, dass sowohl aus der Sachverhaltsdarstellung als auch aus der Vorlagefrage hervorgeht, dass IT Fahrzeuge mit Totalschaden erwirbt, die deshalb endgültig stillgelegt sind. Wie ebenfalls aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, können diese Fahrzeuge daher nur als Wracks oder für eine weitere Verwendung der Teile, aus denen sie bestehen („Weiterverkauf zum Ausschlachten“), weiterverkauft werden und nicht, um in ihrem derzeitigen Zustand wiederverwendet oder instandgesetzt zu werden, wobei sich die Frage des vorlegenden Gerichts nur auf den Fall des Weiterverkaufs „zum Ausschlachten“ bezieht. Nach dieser einleitenden Erwägung weist der EuGH weiters darauf hin, dass „Gebrauchtgegenstände“ nach Art 311 Abs 1 Nr 1 MwStSyst-RL „bewegliche körperliche Gegenstände [sind], […] die in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar sind“. In diesem Zusammenhang hat der EuGH entschieden, dass dieser Begriff bewegliche körperliche Gegenstände, die in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar sind, einschließt, wenn sie von einem anderen Gegenstand stammen, dessen Bestandteile sie waren, und dass für die Einordnung als „Gebrauchtgegenstand“ nur erforderlich ist, dass dem gebrauchten Gegenstand weiterhin die Funktionen zukommen, die er im Neuzustand hatte, und dass er daher in seinem derzeitigen 394

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EU News Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar ist (EuGH 18. 1. 2017, Sjelle Autogenbrug, C-471/15, Rn 31 und 32). Außerdem hat der EuGH festgestellt, dass die Anwendung der Regelung der Differenzbesteuerung nicht zwangsläufig eine Identität zwischen dem angekauften und dem verkauften Gegenstand voraussetzt. Insbesondere hat der EuGH bestätigt, dass diese Regelung auf den Wiederverkauf von Teilen, die vom Steuerpflichtigen selbst aus einem von ihm erworbenen Altfahrzeug entnommen wurden, anwendbar ist, da ein Kraftfahrzeug aus einzelnen Teilen besteht, die zusammengefügt wurden und die wieder voneinander getrennt und in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung wiederverkauft werden können (EuGH 18. 1. 2017, Sjelle Autogenbrug, C-471/15, Rn 36 und 37). Es trifft zu, dass sich das Ausgangsverfahren im Unterschied zu der Rechtssache, in der das genannte Urteil ergangen ist, durch die Tatsache auszeichnet, dass der steuerpflichtige Wiederverkäufer die Teile nicht aus dem endgültig stillgelegten Fahrzeug entnommen hat, das er erworben hat, um seinerseits die Teile wiederzuverkaufen, sondern das Fahrzeug in seinem derzeitigen Zustand „zum Ausschlachten“ wiederverkauft hat, dh für eine weitere Verwendung der Teile dieses Fahrzeugs als Ersatzteile. Allerdings kann dieser Unterschied, wie die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen im Wesentlichen ausführt, nicht zu der Annahme führen, dass die Argumentation des EuGH im Urteil vom 18. 1. 2017, Sjelle Autogenbrug, C-471/15, nicht auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende übertragen werden könnte. Es ist nämlich die Tatsache zu berücksichtigen, dass die von einem steuerpflichtigen Wiederverkäufer wie IT erworbenen Fahrzeuge endgültig stillgelegt sind und daher nicht wiederverkauft werden können, um in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung wiederverwendet zu werden. Da das Fahrzeug als solches als beweglicher körperlicher Gegenstand per definitionem in seinem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung nicht erneut verwendbar iSd Art 311 Abs 1 Nr 1 MwStSyst-RL ist, sind für die Prüfung, ob es als Gebrauchtgegenstand angesehen und ob demnach darauf die Differenzbesteuerung angewandt werden kann, nur die Bestandteile des Fahrzeugs zu berücksichtigen, die im Rahmen eines Wiederverkaufs durch den steuerpflichtigen Wiederverkäufer an andere Personen erneut verwendbar sind. Eine Auslegung, nach der ein endgültig stillgelegtes Fahrzeug als Gebrauchtgegenstand unter die Regelung der Differenzbesteuerung fallen kann, weil manche seiner Bestandteile erneut verwendbar sind, steht mit dem Ziel dieser Regelung in Einklang, das nach dem 51. Erwägungsgrund MwStSyst-RL darin besteht, ua Doppelbesteuerungen zu vermeiden, die sich aus dem Umstand ergeben können, dass zum einen im Verkaufspreis dieser Bestandteile schon zwangsläufig die Mehrwertsteuer berücksichtigt wurde, die im Vorfeld durch eine Person, die unter Art 314 MwStSyst-RL fällt, beim Kauf des Fahrzeugs entrichtet wurde, und zum anderen dieser Betrag weder von dieser Person noch vom steuerpflichtigen Wiederverkäufer abgezogen werden kann (EuGH 18. 1. 2017, Sjelle Autogenbrug, C-471/15, Rn 39 und 40 mwN). Im vorliegenden Fall muss das vorlegende Gericht für die Prüfung, ob die von IT wiederverkauften Fahrzeuge unter die Regelung der Differenzbesteuerung fallen können, prüfen, ob diese Fahrzeuge noch Bestandteile enthielten, die die Funktionen behalten haben, die sie im Neuzustand hatten, und die daher in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar sind. Des Weiteren muss das vorlegende Gericht prüfen, ob diese Fahrzeuge nicht in Wirklichkeit verkauft wurden, um einfach verschrottet oder in einen anderen Gegenstand umgewandelt zu werden. Ein Fahrzeug, aus dem die Bestandteile, die die Funktionen behalten haben, die sie im Neuzustand hatten, vom Käufer nicht entnommen werden, um in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendet zu werden, bleibt nämlich nicht in seinem Wirtschaftszyklus und kann daher nicht in den Genuss der Differenzbesteuerung kommen (EuGH 11. 7. 2018, E LATS, C-154/17, Rn 34). SWI 2023

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EU News Im Rahmen dieser Prüfung muss das vorlegende Gericht alle objektiven Umstände berücksichtigen, unter denen der Wiederverkauf erfolgt ist. Wie aus der Rechtsprechung des EuGH hervorgeht, haben die in MwStSyst-RL verwendeten Begriffe nämlich objektiven Charakter und sind unabhängig von Zweck und Ergebnis der betreffenden Umsätze anwendbar (EuGH 11. 7. 2018, E LATS, C-154/17, Rn 35 mwN). Während die Berücksichtigung der Absicht eines an einem Geschäft beteiligten Steuerpflichtigen, abgesehen von Ausnahmefällen, mit den Zielen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems unvereinbar ist, kann das vorlegende Gericht hingegen objektive Faktoren wie die Präsentation und den Zustand der Fahrzeuge, den Gegenstand des Vertrags, den Wert, zu dem die Fahrzeuge verkauft wurden, die Abrechnungsmethode oder auch die wirtschaftliche Tätigkeit der Person, die die Fahrzeuge erworben hat, berücksichtigen (EuGH 11. 7. 2018, E LATS, C-154/17, Rn 36 und 37 mwN). Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art 311 Abs 1 Nr 1 MwStSyst-RL dahin auszulegen ist, dass endgültig stillgelegte Kraftfahrzeuge, die ein Unternehmen von in Art 314 MwStSyst-RL genannten Personen erworben hat und die „zum Ausschlachten“ verkauft werden sollen, ohne dass die verwertbaren Teile aus den Fahrzeugen entnommen wurden, Gebrauchtgegenstände iSd Art 311 Abs 1 Nr 1 MwStSyst-RL darstellen, wenn sie zum einen noch Teile enthalten, die die Funktionen behalten haben, die sie im Neuzustand hatten, sodass sie in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendet werden können, und zum anderen feststeht, dass diese Fahrzeuge aufgrund einer solchen Wiederverwendung der Teile in ihrem Wirtschaftszyklus geblieben sind. Anmerkung: In Rz 3257 UStR wird ausgeführt, dass ein Gegenstand, der grundsätzlich die Voraussetzungen für die Differenzbesteuerung erfüllt, dieser nicht unterliegt, wenn aus dem Gegenstand ein anderer Gegenstand hergestellt wurde. Mit Hinweis auf das EuGH-Urteil vom 18. 1. 2017, Sjelle Autogenbrug, C-471/15, wird weiter klargestellt, dass die Differenzbesteuerung hingegen anwendbar bleibt, wenn von einem erworbenen Gebrauchtgegenstand anschließend lediglich einzelne Teile geliefert oder entnommen werden. Nach dem vorliegenden Urteil wird anzufügen sein, dass bei Gegenständen, die in Wirklichkeit verkauft wurden, um einfach verschrottet oder in einen anderen Gegenstand umgewandelt zu werden, die Differenzbesteuerung nicht anwendbar ist.

Impressum Periodisches Medienwerk: SWI – Steuer & Wirtschaft International – Tax And Business Review. Grundlegende Richtung: Beiträge zum internationalen Steuer- und Wirtschaftsrecht. Erscheint monatlich, Jahresabonnement (Print) 2023 EUR 358,00, (Print inkl. Online) 2023 EUR 412,00 jeweils inkl. MwSt. zzgl. Versandspesen. Auslandsversandspesen werden separat verrechnet. Unterbleibt die Abbestellung, so läuft das Abonnement automatisch zu den jeweils gültigen Konditionen auf ein Jahr weiter. Abbestellungen sind nur zum Ende eines Jahrganges möglich und müssen bis jeweils spätestens 30. November schriftlich erfolgen. Nachdruck – auch auszugsweise – ist nur mit ausdrücklicher Bewilligung des Verlages gestattet. Es wird darauf verwiesen, dass alle Angaben in dieser Fachzeitschrift trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr erfolgen und eine Haftung des Verlages oder Autors ausgeschlossen ist. Für Publikationen in den Fachzeitschriften des Linde Verlags gelten die AGB für Autorinnen und Autoren (abrufbar unter https://www.lindeverlag.at/agb) sowie die Datenschutzerklärung (abrufbar unter https://www.lindeverlag.at/datenschutz). Medieninhaber, Herausgeber, Medienunternehmen: LINDE VERLAG Ges.m.b.H., 1211 Wien, Scheydgasse 24, PF 351 Telefon: +43 1 24 630 Serie, Telefax: +43 1 24 630-723 DW E-Mail: office@lindeverlag.at; www.lindeverlag.at DVR 0002356. Rechtsform der Gesellschaft: Ges.m.b.H., Sitz: Wien Firmenbuchnummer: 102235x ISSN: 1025-806X

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Literaturrundschau

Gerald Toifl*)

Literaturrundschau LITERATURE SURVEY Literaturrundschau Literature Survey Anfangsphasenerleichterung nach Pillar II Sowohl die Regelungen der OECD als auch der EU zu Pillar II sehen eine sogenannte Anfangsphasenerleichterung für einen Zeitraum von fünf Jahren vor, welche die Anwendung der UTPR verhindert, um sicherzustellen, dass die Entwicklung grenzüberschreitender Tätigkeiten durch ursprünglich rein inländische Unternehmen, die von der niedrigen Besteuerung in ihrem Heimatland profitieren, nicht behindert wird. Die EU-Richtlinie verfolgt dabei aufgrund der Anwendung der IIR auf inländische Kapitalgesellschaften, einschließlich der UPE selbst, einen indirekteren Ansatz, indem sie einen obligatorischen Ausschluss von der IIR in bestimmten inländischen Situationen vorsieht. Kofler/Schnitger (https://dx.doi.org/10.2139/ssrn.4392892 und ET 5/2023) untersuchen, ob durch die Nichtanwendung der IIR auf inländische Unternehmen in der Anfangsphase der internationalen Tätigkeit eines MNE die Grundfreiheiten verletzt werden. Passive Steuerentstrickung aus unions- und verfassungsrechtlicher Sicht Dapprich (StuW 2023, 123 ff) legt dar, dass mehrere finanzgerichtliche Entscheidungen zur passiven Entstrickung (ua FG Köln 17. 6. 2021, 15 K 888/18; FG Saarland 30. 3. 2021, 1 V 1374/20; FG Münster 10. 8. 2022, 13 K 559/19 G,F), die beim BFH anhängigen Revisionen (I R 32/21; I B 41/22) sowie die Erweiterung einzelner DBA-Anwendungsbereiche durch die Einführung des Art 9 Abs 4 MLI die Diskussion rund um die Entnahmefiktion des § 4 Abs 1 Satz 3 dEStG und vergleichbarer Vorschriften wieder angeheizt haben. Dies betrifft auch den mit dem ATADUmsG neu gefassten § 4g Abs 1 dEStG, wonach in Fällen der Entnahmefiktion ein Ausgleichsposten gebildet werden kann, der über fünf Jahre gewinnerhöhend aufzulösen ist. Darauf aufbauend geht Dapprich der Frage nach, ob und inwiefern die passive Entstrickung gegen unions- und verfassungsrechtliche Besteuerungsprinzipien verstößt. Es werde in mehrere Schutzbereiche der einschlägigen Grundfreiheiten und Grundrechte eingegriffen, sodass eine Rechtfertigung erforderlich sei, um ihre Rechtmäßigkeit anzuerkennen. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH sowie des BVerfG kommt er zum Ergebnis, dass die passive Entstrickungsbesteuerung unions- und verfassungswidrig ist. Maßnahmen gegen Treaty Shopping nach § 50d Abs 3 dEStG Oppermann (PIStB 2023, 158 ff) analysiert die Vorschrift des § 50d Abs 3 dEStG, die darauf abzielt, die missbräuchliche Inanspruchnahme von Quellensteuervergünstigungen durch DBA sowie EU-Richtlinien durch die gezielte Zwischenschaltung substanzschwacher Gesellschaften zu verhindern. Trotz zahlreicher Rechtsunklarheiten haben sich nach Oppermann Leitlinien herausgebildet, die in typischen Praxisfällen einen sicheren Umgang mit dieser deutschen Anti-Treaty-Shopping-Regelung ermöglichen. Nach einer Darstellung des Prüfungsschemas in Konzernstrukturen geht der Autor auf Detailregelungen zu § 50d Abs 3 dEStG ein. Trotz einiger Rechtsunklarheiten können in Konzernstrukturen viele Fälle rechtssicher gestaltet werden, sodass keine zusätzlichen Quellensteuern drohen. Für den Fall, dass ausnahmsweise eine teilweise oder – wegen des (angeblich) unionsrechtlich gebotenen Steuerstrafeffekts – eine vollständige Quellensteuerentlastung versagt wird, verbleibe zudem immer noch der Rückgriff auf typische Abwehrmaßnahmen und Gestaltungsmöglichkeiten. *)

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WP/StB Dr. Gerald Toifl ist Geschäftsführer der Toifl Steuerberatung GmbH in Salzburg.

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Court Decisions

Sabine Schmidjell-Dommes*)

Rechtsprechung zum Internationalen Steuerrecht COURT Rechtsprechung Court DECISIONS Decisions

• BFG: Keine Anrechnung einer abkommenswidrig erhobenen japanischer Quellensteuer, die den Steuerpflichtigen selbst nicht belastet – Die Anrechnung einer japanischen Quellensteuer setzt voraus, dass der inländische Abgabepflichtige tatsächlich mit dieser belastet wurde und die Besteuerung in Japan nach dem DBA auch zulässig ist. Sachverhalt: Die in Österreich unbeschränkt steuerpflichtige und ansässige Beschwerdeführerin erbrachte in den Streitjahren 2016 bis 2018 technische Leistungen für einen japanischen Kunden. Dafür wurden österreichische Mitarbeiter nach Japan entsandt, die vor Ort in den Anlagen des Kunden die vereinbarten Leistungen erbrachten. Zwischen der Beschwerdeführerin und dem japanischen Kunden war vertraglich vereinbart, dass die vereinbarte Vergütung netto zu begleichen sei, zusätzlich anfallende Umsatz- bzw Einkommensteuern sind vom „Rechnungsempfänger“, somit also vom japanischen Kunden, zu tragen. Kurz nach Begleichung der Rechnung leistete der Leistungsempfänger eine 10%ige Abzugsteuer „für Lizenzgebühren“ an die japanische Steuerverwaltung, wobei die Beschwerdeführerin diesen Betrag dem Leistungsempfänger nicht erstattete. In der Folge begehrte die Beschwerdeführerin für die Jahre 2016 bis 2018 die Anrechnung japanischer Abzugsteuer auf Lizenzeinkünfte. Das Finanzamt wies mit der Begründung ab, dass die Beschwerdeführerin durch eigene Mitarbeiter Tätigkeiten in Japan ausgeübt habe, die nicht der Bestimmung des anzuwendenden DBA zu Lizenzgebühren, sondern jener zu Unternehmensgewinnen unterlägen. Österreich habe das alleinige Besteuerungsrecht an diesen Einkünften und dementsprechend sei die Anrechnung der von Japan zu Unrecht einbehaltenen Steuer nicht zulässig. Dagegen wandte die Beschwerdeführerin ein, die japanischen Steuerbehörden seien der Ansicht, dass ihre Leistung zu Lizenzeinkünften führe. In diesem Fall bestünde kein Wahlrecht, die in Japan einbehaltene Quellensteuer anzurechnen. Das BFG folgte der Argumentation der Beschwerdeführerin nicht und ließ darüber hinaus keine Revision zu. (BFG 24. 2. 2023, RV/3100350/2020) Das BFG führt aus: „[…] Zur Anrechenbarkeit der gegenständlichen japanischen Steuer: Auf den vorliegenden Sachverhalt ist das Doppelbesteuerungsabkommen Österreich – Japan (Einkommensteuer) vom 20. 12. 1961, BGBl 1963/127, in der Folge: DBA Japan, anzuwenden, da das Nachfolgeabkommen gemäß Art 30 Abs 2 BGBl III 2018/167 erst auf Veranlagungszeiträume ab 2019 anzuwenden ist. Gemäß Art XIX Abs 2 DBA Japan rechnet Österreich den ,Betrag der japanischen Steuer, die von der in Österreich ansässigen Person nach den japanischen Gesetzen und in Übereinstimmung mit diesem Abkommen entweder unmittelbar oder im Abzugsweg von Einkünften, die ihre Quelle in Japan haben und in beiden Vertragstaaten der Besteuerung unterliegen, erhoben wird‘, auf die österreichische Steuer an. Die Anrechnung durch Österreich setzt somit nach dem Wortlaut dieser Bestimmung voraus, 1. dass die japanische Steuer unmittelbar oder im Abzugsweg von der in Österreich ansässigen Person erhoben wird und 2. dass die japanische Steuer in Übereinstimmung mit dem Abkommen erhoben wird. *)

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Dr. Sabine Schmidjell-Dommes ist Leiterin der Abteilung für Internationales Steuerrecht im BMF.

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Rechtsprechung Im vorliegenden Fall sind beide Voraussetzungen nicht erfüllt. Eine unmittelbare Erhebung der gegenständlichen japanischen Steuer liegt nicht vor, da die Beschwerdeführerin von der japanischen Steuerverwaltung offenkundig nicht selbst in Anspruch genommen wurde. Es liegt aber auch keine Erhebung im Abzugsweg vor. Dem Wesen einer Abzugsteuer entspräche es nämlich, dass ein Teil des vom Zahlenden an den Zahlungsempfänger zu leistenden Betrags vom Zahlenden einbehalten und unmittelbar an die Steuerverwaltung abgeführt wird. Im vorliegenden Fall ist der vom Leistungsempfänger zu zahlende Betrag der Beschwerdeführerin jedoch ungeschmälert zugeflossen. Die nachträgliche Inanspruchnahme des Leistungsempfängers durch die japanische Steuerverwaltung nach Art einer mit § 100 Abs 2 EStG vergleichbaren Haftung begründet keine Erhebung dieser Steuer im Abzugsweg von der Beschwerdeführerin, zumal die Beschwerdeführerin nicht zur Erstattung der Steuer an den Leistungsempfänger verpflichtet war und eine solche auch tatsächlich bislang nicht vornahm. Würde Österreich die gegenständliche japanische Steuer anrechnen, obwohl sie von der Beschwerdeführerin nicht entrichtet wurde, wäre die Beschwerdeführerin zudem ungerechtfertigt bereichert. Die gegenständliche japanische Steuer kann daher nicht angerechnet werden, weil eine der im Art XIX Abs 2 DBA Japan angeführten Voraussetzungen für die Anrechnung – die Erhebung einer japanischen Steuer von der Beschwerdeführerin – nicht vorliegt. […] Art XI DBA Japan lautet auszugsweise: ,(1) Der Satz der Steuer, die von einem der Vertragstaaten von Lizenzgebühren erhoben wird, die aus Quellen innerhalb dieses Vertragstaates von einer im anderen Vertragstaat ansässigen Person bezogen werden, darf 10 v. H. dieser Lizenzgebühren nicht übersteigen. (2) In diesem Artikel bedeutet der Ausdruck ,Lizenzgebühren‘ alle Lizenzgebühren und andere Beträge, die als Entgelt für die Benutzung oder das Recht auf Nutzung von Urheberrechten, Patenten, Gebrauchsmustern, geheimen Herstellungsverfahren und Formeln, Handelsmarken oder anderen ähnlichen Rechten gezahlt werden; er schließt auch Lizenzgebühren und ähnliche Zahlungen für kinematographische Filme (einschließlich der für das Fernsehen verwendeten Filme) oder für die Benutzung industrieller oder wissenschaftlicher Ausrüstungen, nicht aber Lizenzgebühren und andere Beträge ein, die für den Betrieb eines Bergwerks, Steinbruchs oder für eine andere Ausbeutung von Bodenschätzen gezahlt werden. […]‘ Die japanische Steuerverwaltung vertritt offenbar die Ansicht, die Zahlungen des Leistungsempfängers seien als Lizenzgebühren iSd Art XI Abs 2 DBA Japan anzusehen und unterwarf sie deshalb einer Steuer in Höhe von 10 %. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Nach dem festgestellten Sachverhalt bestand die Leistung der Beschwerdeführerin in der Erbringung konkreter Dienstleistungen für den Leistungsempfänger unter Zuhilfenahme ihrer eigenen Software und technischen Ausstattung. Keinesfalls kann darin eine Rechteüberlassung (an der Software) erblickt werden, verwendete die Beschwerdeführerin die gegenständliche Software doch unmittelbar selbst zur Erbringung der vereinbarten Dienstleistungen. Eine Betriebsstätte iSd Art IV DBA Japan besaß die Beschwerdeführerin in Japan im gegenständlichen Zeitraum nicht. Die gegenständliche Tätigkeit ist daher mangels japanischer Betriebsstätte der Beschwerdeführerin gemäß Art VI Abs 1 DBA Japan allein von Österreich zu besteuern. Selbst wenn man also die Ansicht verträte, dass im gegenständlichen Fall tatsächlich eine japanische Steuer von der Beschwerdeführerin erhoben worden sei, wäre diese von Österreich gemäß Art XIX Abs 2 DBA Japan nicht anzurechnen, da die Erhebung der japanischen Steuer jedenfalls entgegen dem Abkommen erfolgt ist. […]“ Anmerkung: Wenngleich das Erkenntnis zu Rechtsvorschriften des DBA Japan 1961, BGBl 1963/127, ergangen ist und dieses bereits seit 2019 durch das neue DBA 2017, BGBl III 2018/167, abgelöst wurde, so können die Überlegungen wohl auch auf andere DBA, die die Anrechnungsmethode enthalten, übertragen werden. Das Erkenntnis des SWI 2023

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swi_2023_h07.fm Seite 400 Mittwoch, 5. Juli 2023 7:22 07

Court Decisions BFG stellt klar, dass eine abkommenswidrig erhobene Steuer nicht zur Anrechnung gelangen kann.1) So wird zutreffend ausgeführt, dass primär ein Rückerstattungsverfahren in Japan anzustreben oder ein Verständigungsverfahren darüber zu führen wäre, ob tatsächlich Lizenzgebühren vorliegen oder ob es sich bei den Leistungen um Einkünfte iSd Art 7 DBA Japan 1961 handelt. Darüber hinaus verweigert das Gericht die Anrechnung mit der Begründung, dass die Steuer nicht von der Beschwerdeführerin getragen wurde, da sie sie nicht belastet hat.2) Denn die von der Beschwerdeführerin in Rechnung gestellten Beträge basierten einerseits auf einer „echten“ Nettovereinbarung („zusätzlich anfallende lokale Umsatz- bzw Einkommensteuern sind vom Rechnungsempfänger zusätzlich zum Nettobetrag an die lokalen Steuerbehörden zu zahlen.“) und entsprachen andererseits vollumfänglich dem zuvor gelegten Angebot. Somit ist das BFG offenbar im Rahmen der Sachverhaltswürdigung davon ausgegangen, dass die Steuer nicht Bestandteil der Vergütung war, folglich auch keine Betriebseinnahme darstellt und dementsprechend nicht vom österreichischen Auftragnehmer, sondern dem japanischen Kunden getragen wurde. In der Praxis wäre mE im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu klären, wer eine Steuer wirtschaftlich trägt. Im Fall einer Bruttovereinbarung trägt der Vergütungsempfänger die Steuer. Hierbei wird die Steuer vom Entgelt berechnet, etwa 10 % von einem Entgelt iHv 100 ergibt eine Abzugsteuer iHv 10. Im vorliegenden Fall ist aber aufgrund des Vertrags nicht von einer Bruttovereinbarung auszugehen, da der Vergütungsschuldner die Steuer zu tragen hatte. Im Gegensatz zur Bruttovereinbarung übernimmt bei einer „echten“ Nettovereinbarung der Vergütungsschuldner die Steuer.3) Die Steuer ist aber Teil des Entgelts, und die Bemessungsgrundlage für den Steuerabzug erhöht sich im Wege einer Hochrechnung. Beträgt der Nettobetrag etwa 100, dann würde das Entgelt bei einer 10%igen Quellensteuer hochgerechnet 111,11 betragen (100 : 0,9). Liegt jedoch eine „unechte“ Nettovereinbarung vor, dann trägt der Vergütungsschuldner die Steuer, ohne dass diese das Entgelt erhöht. Dementsprechend kommt es auch zu keiner Hochrechnung, und die Steuer wird auf gleiche Weise wie im Fall einer Bruttovereinbarung berechnet. Da im vorliegenden Fall das Angebot und die Rechnung das Entgelt ausgewiesen haben („unechte“ Nettovereinbarung), von diesem Betrag auch die Abzugsteuer iHv 10 % ohne Hochrechnung berechnet wurde und dieser Betrag auch als Betriebsausgabe zum Abzug gelangen kann, dürfte das BFG davon ausgegangen sein, dass die Steuer nicht anrechnungsfähig ist. 1 2

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Vgl dazu Loukota/Jirousek/Schmidjell-Dommes/Daurer, Internationales Steuerrecht, Z 23 Rz 86. Vgl dazu Hell, Rechtmäßigkeit der Einhebung und Anrechenbarkeit einer japanischen Quellensteuer, BFGjournal 2023, 105. Die Begriffe der „echten“ und „unechten“ Nettolohnvereinbarung (auch „originiäre“ und „abgeleitete“ Nettolohnvereinbarung) stammen aus dem Arbeitsrecht.

Sonderregelung für Reisebüros Entscheidung: EuGH 29. 6. 2023, C. sp. z o.o., C-108/22. Norm: Art 306 MwStSyst-RL. Art 306 MwStSyst-RL ist dahin auszulegen, dass die Leistung eines Steuerpflichtigen, die darin besteht, Beherbergungsdienstleistungen bei anderen Steuerpflichtigen zu kaufen und sie an andere Wirtschaftsteilnehmer weiterzuverkaufen, auch dann unter die für Reisebüros geltende Sonderregelung der Mehrwertsteuer fällt, wenn diese Dienstleistungen nicht mit zusätzlichen Leistungen verbunden sind. 400

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