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Die Nachbarn unseres Drummers tun mir leid…“ Meister Ehder machen das Wohnzimmer zum Proberaum

Ein gutes Jahr ist das aktuelle Album alt, ein Video zum Titelsong „Im Schmerz allein“ wurde gedreht, mit dem Management wurden die ersten langfristigen Zukunftspläne geschmiedet und für den Herbst flatterten die ersten Konzerttermine ins Haus. Dann kam für Meister Ehder die Hiobsbotschaft, die so vielen Musikerkollegen die Stimmung im Proberaum gehörig verhagelte. Der düstere Sound der Band würde sich vielleicht durchaus als Soundtrack für ein dystopisches Filmdrama eignen, doch eigentlich beschäftigt Sänger Immanuel Dittmer sich lieber mit den Abgründen im Inneren des Menschen und seine Zerrissenheit. Im Interview beschreibt der hochgewachsene Kemptener, wie er und seine Band die Zeit ohne Jamsessions und Konzerte erleben.

Wie sehr fehlt Euch das gemeinsame Abhängen und Abrocken im Proberaum?

Das fehlt uns natürlich sehr. Der Austausch in der Gruppe ist wichtig, um die Band voranzubringen. Natürlich kann jeder für sich an Ideen arbeiten, aber ab einem gewissen Punkt ist der Input der anderen extrem wichtig. Man kann diesen Austausch zwar über Skype etwas kompensieren, aber es kommt nicht mal annähernd an ein reales Treffen der Bandmitglieder heran.

Gibt es etwas, das Du gut findest an der Ausgangsbeschränkung?

In Bezug auf die Bandarbeit muss ich sagen: Nein, es gibt nichts Gutes daran. Da wir fünf Jungs alle arbeiten müssen, ist die Zeit für die Band eh schon sehr rar gesät und so können wir nur versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. Wenn man die Ausgangsbegrenzung im Ganzen betrachtet, gibt es Dinge, die man als „gut“ bezeichnen kann. Zum Beispiel, dass das Leben mehr Gewicht hat als die Kaufkraft.

Oder dass wir als sehr konsumorientierte Gesellschaft erleben dürfen, dass Ressourcen auch mal knapp werden und nicht immer alles verfügbar ist. Oder wie kostbar die Freiheit ist, sich mit Menschen in der Gruppe treffen zu dürfen. Das ist nicht überall selbstverständlich.

Jammt Ihr ohne Proberaum alleine im heimischen Wohnzimmer und wie finden das Eure Nachbarn?

Wir haben zum Glück viele aktuelle Aufnahmen aus dem Proberaum parat und können tatsächlich über Kopfhörer daheim mitspielen, um zumindest fit zu bleiben. Die Nachbarn bekommen davon wenig bis nichts mit, zumindest bei den Saiteninstrumenten. Mich als Sänger hört man vielleicht ab und zu etwas brüllen, aber das halten die schon aus. Mein persönliches Mitgefühl gilt den Nachbarn unseres Drummers… (lacht).

Euer aktuelles Album heißt „Im Schmerz allein“. Was könnte das übertragen auf die derzeitige Corona-Krise heißen?

Das Album entstand einige Zeit vor der Corona-Krise, es konnte also nie meine Absicht sein, über dieses Thema zu schreiben. Da das Album aber sehr düster ist und sich viel mit Schmerz, Sterben und Verlassenwerden beschäftigt, spürt man zumindest an einigen Stellen Parallelen. Aber wie gesagt, das war lyrisch nie meine Absicht.

Welches Textzitat von Dir könnte man vielleicht auf die aktuelle Situation übertragen?

Wow- das ist jetzt wirklich serious shit! Ich habe lange überlegt und muss jetzt etwas ausholen. Der Titelsong auf dem Album „Im Schmerz allein“ beschreibt eine Person, die den meist geliebten Menschen verlor und in der Leichenhalle besucht – und was sich dabei in ihr abspielt. Das Video zeigt die Geschichte, wie es zu dem Verlust kam. Dabei ging es ursprünglich um eine Wochenbettdepression, nicht um das Coronavirus. Aber diese Textpassage kann leider Realität werden: „Nun liegst du hier vor mir und nichts erinnert mich an Dich. Ich bleib allein zurück! Dein Antlitz leuchtet nicht.“

In welcher Situation hattest Du zum ersten Mal das Gefühl, selbst Teil der Krise zu sein?

Eines Abends rief mich unser Management an und war am Telefon so aufgebracht, dass ich erst gar nicht wusste, was los ist. Irgendwann verstand ich dann etwas und es wurde klar, dass wir einen Gig in Berlin verloren haben, da der Veranstalter seinen Club schließen musste. Inzwischen haben wir einen Ersatztermin gefunden. Aber neun weitere Verträge für das laufende Jahr wurden auf Eis gelegt, da die Veranstalter für bereits gebuchte Bands Ersatztermine finden mussten. Es ist ein großes Kuddelmuddel und am Ende wird es wohl sehr viele Verlierer geben. Mein Appell an Euch ist: Gebt nicht jede Karte zurück. Große Bands und Veranstalter können das vielleicht kompensieren, aber die kleinen Veranstalter und Künstler kämpfen jetzt um ihre Existenz.

Was passiert mit Euren geplanten Konzerten?

Bevor alles derart eskalierte, hatten wir bereits einige Konzertzusagen. Diese sind zum größten Teil im Oktober und November. Unsere große Hoffnung ist, dass die Lage sich bis dahin soweit beruhigt hat, dass wir ohne weitere Komplikationen unsere Tour spielen können.

Ihr habt gemeinsam einen Song mit Videoclip aufgenommenjeder vom eigenen Wohnzimmer aus. Ich schätze, kein leichtes Unterfangen.

Das Problem war, dass keiner von uns das geeignete Equipment zu Hause hatte. Jeder von uns spielte den Song mit dem, was er daheim hatte und mit Metronom auf dem Ohr ein. Der Mix aus Handyaufnahme und etwas bes- serer Technik musste erst einmal grundlegend auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Zum Glück gibt es unseren Drummer Julian, der in seinem kleinen Homestudio in seiner Wohnung den Mix bearbeiten und zusammenschneiden musste. Die arme Sau (lacht)! Da bist mal `ne Weile lang beschäftigt. Danke Juli!

Hat die Corona-Krise Deinen Blick auf Alltägliches verändert?

Ich bin dankbar, dass uns der jetzige Stand der Technik so viele Möglichkeiten bietet, um sich auszutauschen. Doch obwohl uns das hilft, musikalisch nicht völlig zu stagnieren, werden wir das Privileg einer richtigen Bandprobe wohl nach der Krise noch mehr zu schätzen wissen als wir es bereits getan haben.

Was war Dein bisher eigentümlichstes Erlebnis, seitdem es die bundesweiten Ausgangsbeschränkungen gibt?

Einfach zu sehen, wie Menschen sich in Extremsituationen verhalten, kann schon sehr schräg sein. Dass Menschen sich einmal um eine Packung Klopapier prügeln würden, hätte ich wohl vor zwei Monaten noch nicht geglaubt. Oder dass man Menschen im Jahr 2020 erklären muss, wie man sich die Hände wäscht und dass man sich aus der Öffentlichkeit fernhält, um gefährdete Menschen zu schützen und Klopapier ihre einzige Sorge ist…

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