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Mit freundlichen Grüßen aus China!

Für Andreas Schütz sind Konzerte ohne Live-Publikum nur ein schwacher Trost

Der studierte Jazz-Pianist Andreas Schütz ist hauptberuflicher Musiker und dem jüngeren Publikum vermutlich vor allem bekannt durch zahlreiche Auftritte mit den Bands Pianistixx, Losamol, Housewife Productions oder wenn er die Schauspieler vom AllgäuEnsemble beim Improtheater virtuos begleitet. Neben zahlreichen Konzerten die er jedes Jahr von Deutschland bis China zu absolvieren hat, ist er einer von drei Köpfen, die verantwortlich zeichnen für das abwechslungsreiche und hochkarätige Booking beim Kemptener Jazzfrühling. Durch den Ausbruch des Coronavirus musste er nicht nur das komplette Konzertprogramm beim diesjährigen Jazzfrühling absagen, sondern wahrscheinlich auch seine Engagements in Asien. Mit der Umsetzung der Rettungsmaßnahmen der bayerischen Regierung zur Unterstützung selbstständiger Musiker ist er bisher unzufrieden und hofft, dass Livekonzerte auf analogen Bühnen nach der Krise wieder die angemessene Wertschätzung erhalten.

Wann dachtest Du zum ersten Mal, „Jetzt betrifft mich die Geschichte selbst direkt“?

Dass mich die Situation selbst direkt betrifft, war schon Anfang Februar klar, als die Infektionszahlen in China regelrecht explodiert sind. Ich habe direkt mit den wichtigsten Veranstaltern für meine jährliche China Tournee telefoniert, um mehr über die Situation vor Ort zu erfahren. Inzwischen hatte ich unzählige interessante und teilweise auch sehr emotionale Gespräche mit Freunden und Geschäftspartnern aus China.

Was waren Deine stärksten Eindrücke aus China?

Bei so vielen verschiedenen Eindrücken ist das schwer zu sagen. Nach und nach haben ja viele Länder eine ähnliche Situation mit Ausgangsbeschränkungen, geschlossenen Läden, Restaurants und vielem mehr. Was das für den Einzelnen privat und teilweise beruflich bedeutet, spüren wir auch hier in Deutschland. Natürlich war der Shutdown in China noch viel extremer und so sind auch die Folgen für viele Menschen gravierender als bei uns. Was mich deshalb in China besonders beeindruckt, ist die enorme Hilfsbereitschaft; nicht nur untereinander, sondern auch mir gegenüber. Als die Zahlen in Deutschland immer bedrohlicher wurden, habe ich unglaublich viele Nachrichten und Anrufe bekommen. Eine Freundin aus Shenzhen bestand sogar darauf, mir ein Paket mit 200 Gesichtsmasken zu schicken! Leider ist es nie angekommen - ich bin mir aber sicher, irgendwer freut sich jetzt über die Masken…

Was fehlt Dir persönlich am meisten?

Die persönlichen Kontakte! Die Treffen, das Musik machen und Feiern mit Freunden. Und die Ausflüge und Unternehmungen mit der Familie!

Was hat sich durch die Krise für Dich schon jetzt dauerhaft verändert?

Bis jetzt kann ich noch nicht sagen, ob sich für mich dauerhaft etwas ändert. Dafür ist die Situation einfach noch zu neu. Allerdings macht mir die berufliche Situation aktuell schon Sorgen mit Blick auf die Zukunft. Wenn neben den bisherigen Absagen auch noch die China-Tour ins Wasser fällt, muss ich mich darauf einstellen, dass mein Jahresumsatz um knapp 90 % einbricht und durch die dennoch hohen Kosten am Ende des Jahres ein satter Verlust entsteht. Ich hoffe aber schwer, dass es nicht so kommt - und ich mich weiterhin zu jung fühlen darf, um meine Altersvorsorge jetzt schon zu plündern.

Glaubst Du, dass Du nach der Krise manche Dinge mehr zu schätzen weißt als bisher?

Ich gehe schwer davon aus, dass ich vieles noch bewusster wahrnehmen werde als zuvor. Das erste Konzert, auf das ich wieder gehen kann, wird sicher ein Highlight! Und auch der erste Besuch bei meiner Oma wird sich sicher ein ganz besonderer sein.

Was war Dein bisher bizarrstes, seltsamstes Erlebnis seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen?

Letzten Samstag habe ich mit Leonie Leuchtenmüller ein „Online-Konzert“ zum 100-jährigen Jubiläum fürs AÜW gespielt. Die ersten Sekunden nach jedem Song waren wirklich skurril. Da steht man wie gewohnt im Künstlerhaus auf der Bühne und spielt ein Konzert; aber nach jedem Lied herrscht absolute Totenstille. Als hätte es niemandem gefallen! Ein ganz komisches Gefühl und auch ein Zeichen, dass Livemusik ein Publikum braucht!

Wie soll der wirtschaftliche Schaden für den Kemptener Jazzfrühling/Kulturverein Klecks kompensiert werden?

Dem Kleinkunstverein Klecks e.V. bleibt trotz der Jazzfrühling-Absage ein hoher fünfstelliger Betrag an Ausgaben. Zusammen mit unserer Kassiererin Ursula Speiser und dem Vereinsvorstand haben wir jedoch einen guten Plan erarbeitet. Wir hoffen, dass wir letztendlich mit einer Mischung aus Fördergeldern und Spenden den Großteil des Defizits decken können. Viele unserer Sponsoren haben schon mitgeteilt, dass sie uns unterstützen werden. Und vielleicht verzichtet darüber hinaus der ein oder andere Jazzfan auf die Erstattung bisher gekaufter Karten. Auch das ist für uns eine direkte finanzielle Unterstützung. Allen, die mithelfen, den Verein ins nächste Jahr zu retten, bin ich auf jeden Fall äußerst dankbar!

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