Wo die Wildnis wohnt ...

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wunder der heimat

Wo die Wildnis wohnt Am Kärntner Weißensee, wo das Wasser glasklar ist und Alaska und Karibik farblich aufeinandertreffen, beginnt die unberührte Natur immer gleich ums nächste Eck. Bootsbauer und Netzfischer sind hier daheim, sensible Kühe, sanftmütige Bienen und ausgeprägte Dickschädeligkeit. Text: Julia Kospach  Fotos: Marco Rossi

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Wie ein Spiegel reflektiert die glasklare Oberfläche des Weißensees den ­Himmel und die Berge in Richtung des westlichen Ufers. Wie ein Fjord liegt der Kärntner Alpensee eingebettet in die östlichen Gailtaler Alpen.


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Das Wasser so klar, dass man darin ganz tief unten Baumstämme auf dem Seegrund liegen sehen kann, zwischen denen Hechte stehen.

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Unverfälscht und größtenteils völlig unverbaut. Das Wasser so klar, dass man darin ganz tief unten Baumstämme auf dem Seegrund liegen sehen kann, zwischen denen Hechte stehen. Und mit Farbschattierungen, die von karibischem Türkis und Himmelblau über helles Flaschen- und dunkles Tannengrün bis zu Tiefseeblau und beinah Schwarz reichen. Dazu kleine Buchten, weißgraue Kalksteinfelsen und mildgrüne Schilfgürtel, blühende Feuchtwiesen mit Dutzenden von raren Pflanzenarten, Knabenkraut-Orchideen direkt am Wegesrand und überall ein Summen und Brummen, Zwitschern und Sirren, untermalt vom leisen, woh­ ligen Schlag kleiner Wellen ans Ufer. Am wendigsten ist man hier mit einem Boot – wie die ­vielen Angler, die manchmal gleich zu Dutzenden als lose verteilte Armada den See bevölkern. Ein Gutteil der hölzernen Ruderboote stammt aus der Werkstatt vom Bootsbau Domenig in Neusach. Es ist eine große, helle Werkstatt gleich oberhalb des Sees, in der fünf bis zehn Boote pro Jahr entstehen und viele mehr repariert werden. In der Mitte steht ein halbfertiges, aufgebocktes Ruderboot. Die Kupfernägel, mit denen Michael Winkler die ­Beplankung fixiert hat, glänzen in Rotgold. „Das typische Weißensee-Boot ist ein Flachboot mit komplett geradem Boden. Dadurch liegt es sehr fest im Wasser. Viele Fischer nehmen es“, erzählt Michael Winkler. Der Elektrikermeister aus dem Drautal hat das alte Handwerk der Bootsbauerei als zweiten Beruf gelernt und die Werkstatt von seinem Schwiegervater Christoph Domenig übernommen. „Ich bin schon seit zehn Jahren hier – als Entwicklungshelfer. Die Weißenseer sind ein eigenes Volk“, grinst er. Sein Schwiegervater, ein Einheimischer, der seit 1963 Boote baut, lächelt dazu: „Als ich angefangen hab, hat es noch mehr Arbeitsboote auf dem See gegeben. Die Neusacher Bauern haben ihre Wiesen drüben am anderen Ufer und sind mit ihren Flachbooten hin- und hergefahren, weil das am schnellsten war.“ Die beiden Männer stehen oft gemeinsam in der Werkstatt. Unten bei ihrem Bootshaus am See betreiben sie auch einen Bootsverleih – einen von nur zweien am See. Eine erstaunliche dichte an originalen

An diesem Nachmittag sitzt Christoph Domenig am Tisch beim Bootshaus und hört Peter Sorger zu. „Schau, Christoph“, sagt Sorger und zeigt dem Bootsbauer Fotos von Luchsen, Bären und Greifvögeln, die er im Lauf der Jahre rund um den See vor die Linse gekriegt hat. Peter Sorger ist der, der über die Fauna und Flora und überhaupt über alles am Weißensee am besten Bescheid weiß. Der See produziert bei dünner Besiedlung eine erstaunliche Dichte an Originalen, und Peter Sorger – ein ­bereits vor Jahrzehnten hier hängengebliebener Zugereister – passt da bestens dazu: Den Weg vom Psychologen und Kriegsberichterstatter zum Verhaltensforscher hat er ebenso mühelos wie glaubhaft zurückgelegt. Er hat zwei Jahre mit Indianern am Yukon verbracht und einen Flugzeugabsturz auf Guadeloupe überlebt. Aber nichts hat ➻

Aus heimischem Lärchen- und Eichenholz bauen Michael Winkler und sein Schwiegervater Christoph Domenig in ihrer Neusacher Werkstatt direkt an der Seestraße Ruderboote und Holzkanus. Das typische Weißensee-Boot ist ein Flachboot mit komplett geradem Boden.


Unterwegs am Weißensee

Glasklare Augenblicke Wo die Farben alle Stücke spielen und die Uhren ein bisschen anders gehen.

1. Feine frische Fische Mit fangfrischen Wildfischen, die der studierte Fischökologe Martin Müller frühmorgens aus dem Netz holt, und mit Zuchtfischen aus seinen Naturteichen beliefert er die örtliche Gastronomie und Hotellerie. Man kann sich von ihm auch Frischfisch auf Eis schicken lassen. In seinem „Fischhaus“ direkt am Seeufer gibt es auch kalt und warm geräucherte Seefische zum Verkosten. Müllers Spezialität: mit Zwiebelringen in Apfelessig sauer eingelegte Filets von Karpfen, Rotauge, Seeforelle und Reinanke sowie in Olivenöl eingelegte, heiß g ­ eräucherte Fischwangen. Fischereibetrieb Martin Müller, Neusach 106, 9762 Weißensee. www.weissenseefisch.at 2. Boote bauen In der Werkstatt von Michael Winkler, Inhaber vom Bootsbau Domenig, entstehen Holzruderboote in traditioneller Handwerksarbeit. Neben Flachbooten, Spitzflachbooten, Kielbooten und Kanus werden Spezialanfertigungen gebaut, Ruderboote repariert und gewartet. Bootsbau Domenig, Neusach 30, 9762 Weißensee, Tel.: +43/4713/21 14. www.bootsbaudomenig.at

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3. Boote mieten Egal ob zum Angeln oder zum Gemütlich-überden-See-Schippern inklusive Buchtenstopps – am besten mietet man ein Boot bei einem der beiden Verleiher. Neben klassischen Ruderbooten gibt es auch Elektro- und Tretboote. Vor allem im Sommer ist eine telefonische Vorreservierung angeraten. Der Stockenboier Bootsvermieter betreibt zugleich die Linienschifffahrt am See, eine Seerundfahrt per Ausflugsschiff ist in jedem Fall eine gute Sache. Bootsverleih Domenig, Neusach 30, 9762 Weißensee, Tel.: +43/4713/21 14. Bootsvermietung und Weißensee-Schifffahrt, Familie Müller, Mösel 2, 9714 Stockenboi, Tel.: +43/4761/242. www.weissensee-schifffahrt.at 4. Genuss mit Perspektive Das Hotel-Restaurant „Die Forelle“ ist weit über die Grenzen Kärntens für seine feine Fischküche bekannt. Küchenchef Hannes Müller wurde für seine einfallsreiche, auf naturbelassenen Geschmack und heimische Produkte ausgerichtete Küche von den österreichischen Restaurant-Guides mehrfach ausgezeichnet. Von der Terrasse sieht man über einen Wiesenhang hinunter auf den flachen westlichsten Teil des Weißensees, während man einen von Müllers Klassikern wie Saibling auf Zitronen-Ritschert mit Speck-Thymian-Schaum und Marshmallows aus Topfen vom Jakoberbauern genießt. Unbedingt rechtzeitig reservieren. Genießer-Landhotel und Restaurant „Die Forelle“, ­Techendorf 80, 9762 Weißensee, Tel.: +43/4713/23 56. www.forellemueller.at 5. Der schönste Platz weit und breit Der Ronacherfels liegt am Nordufer weitab von

a­ llem und gilt als schönster (Hotel-)Platz am See. Das Haus selbst schmiegt sich auf einem winzigen Fleckerl direkt an den Berg. Auf der anderen Seite des öffentlichen Uferwanderwegs, der mitten durch die Hotelanlage führt, liegt direkt überm Wasser die Seeterrasse, die mit herrlichster Abendsonne gesegnet ist. Früher war’s auch eine Jausenstation, inzwischen dürfen hier leider nur mehr die Hotelgäste essen, aber schon allein dafür zahlt es sich aus, hier einzuchecken. Gleich hinterm Hotel beginnt der komplett unverbaute, wahrscheinlich schönste Teil des Sees. Ronacherfels, Neusach 40, 9762 Weißensee, Tel.: +43/4713/21 72. www.ronacherfels.at 6. Ein Zelt am See Die, die bedauern, dass man sonst im Naturpark Weißensee kein Zelt aufstellen darf, sind auf dem terrassierten Campingplatz direkt am einsamen Stockenboier Ostufer bestens aufgehoben. Ein schöner Seestrand schließt direkt ans Gelände an. Mehr mitten in der Natur geht wirklich nicht. Terrassencamping Ronacher, Mösel 6, 9714 Stockenboi, Tel.: +43/4761/256. www.campingronacher.at 7. Lernen im Naturpark Das Gebiet um den Weißensee wurde 2006 auf ­einer Fläche von 76 Quadratkilometern zum Naturpark erklärt. Wer Genaueres über die vielfältige Fauna und Flora sowie die alte bäuerliche Kultur wissen will, nimmt an einer der Führungen des Naturparks teil: „Lebensraumbegehungen von Bär, Luchs, Bart- und Gänsegeier“ oder „3.000 Jahre Weißen-

illustration: andreas posselt

Mit 930 Meter Seehöhe ist der Weißensee in K ­ ärnten der höchstgelegene Badesee Österreichs. Das sagt allerdings noch nicht das Geringste über seine sagenhafte Schönheit aus. Ähnlich einem langgezogenen Fjord ist er eingebettet in die östlichen Gailtaler Alpen, sein glasklares Wasser spielt sämtliche Farbnuancen von Türkis bis Schwarz. Dass dies auch so bleibt, dafür haben die Einheimischen recht eigensinnig gekämpft und dabei sämt­liche Irrwege ausgelassen, die anderswo gern beim Tanz um das goldene Kalb „Fremdenverkehr“ gemacht wurden. Die Uhren gehen hier anders; und auf erstaunliche Weise ist alles zugleich traditionsbewusst und auf der Höhe der Zeit. Dass das gesamte Gebiet auch ein Naturpark ist, ist da nur folgerichtig.


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