Georg Bossong, geboren 1948, habilitierte sich 1977 in Heidelberg für Romanistik und Allgemeine Linguistik. Nach Stationen in Paris, München und Mannheim lehrt er seit 1994 als Ordinarius Elk Romanische Philologie an der Universität Zürich und nimmt überdies Gastdozenturen in der europäischen Romania sowie in den USA und Lateinamerika wahr. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sprachtypologie und Universalienforschung, Vergleichende Romanische Sprachwissenschaft, Hispano-Arabistik sowie Sprachkontakt und Soziolinguistik. Für weitere Informationen: www.rose.uzh.ch/seminar/personen/bossong.html; Kontakt: boss@rom.uzh.ch .
Georg Bossong Die romanischen Sprachen Eine vergleichende Einführung Buske
Inhalt
Vorwort
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Einleitung
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1. Die romanische Sprachfamilie: genealogisch und kulturell
13
2. Die romanischen Sprachen: wie viele und welche?
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3. Die 16 Kriterien
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3.1 Externe Merkmale
1. Verbreitung 31 I 2. Sprecherzahl 31 I 3. Status 32 3.2 Interne Merkmale
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4.Vokalsystem 33 I 5. Nasalvokale 35 I 6. Akzentsystem 36 I 7. Geminierung 36 I 8. Palatalisierung 37 I 9. Kasus 39 I 10. Differentielle Objektmarkierung 40 I 11. Artikel 41 I 12. Partitiv 41 I 13. Präteritum 42 14. Auxiliarien 44 I 15. Subjekdditika 44 I 16. Anredeformen 45
Bibliografische Inforination der Deutschen Nationalbibliothek
Einzeldarstellungen
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
1. Portugiesisch
49
Daten sind im Internet über (http://dnb.d-nb.de) abrufbar.
2. Spanisch
75
3. Katalanisch
99
4. Okzitanisch
123
5. Französisch
145
6. Rätoromanisch
173
7. Italienisch
197
8. Sardisch
225
9. Rumänisch
247
ISBN 978-3-87548-518-9
Helmut Buske Verlag GmbH, Hamburg 2008. Alle Rechte vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Pa-
pier, Transparente, Filme, Binder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Umschlaggestaltung: Qart, Hamburg. Satz: JensSören Mann. Druck und Bindung: Druckerei C. H. Beck, Nördlingen. Prin-
ted in Germany
10. Die romanischen Sprachen im Vergleich
273
11. Schlussbetrachtungen
305
Inhalt
5
Anhang
1. Bibliographie
311
2. Karten
321
Europäische Romania 322 I Fokus Iberische Halbinsel 323 I Fokus Frankreich 324 I Fokus Alpenraum 325 I Fokus Sardinien 326 I Fokus Balkan 327 I Amerika 328 I Fokus Karibik 329 I Afrika 330 I und Ostasien 331
Die romanischen Sprachen zählen zu den wichtigsten Sprachen der heutigen
3. Die romanisch-basierten Kreolsprachen im Überblick
332
4. Kurzes Glossar linguistischer Fachbegriffe
335
5. Das Internationale Phonetische Alphabet (IPA)
338
6. Symbole und Abkürzungen
339
7. Textbeispiele: Aus der Universalen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen
(1948)
Vorwort
341
8. Zweisprachige Gedichtanthologie
349
9. Sprachenregister
373
Zur beigefügten CD
377
CD-Inhaltsverzeichnis
378
Welt. 800 Millionen Menschen (12% Prozent der Weltbevölkerung) sprechen sie als Muttersprache, für über i , i Milliarde Menschen (17%) haben sie offizielle Funktion als Nationalsprachen ftir die internationale Kommunikation. Eine der beiden Amtssprachen und zwei der sechs Arbeitssprachen der Vereinten Nationen sind romanische Idiome.' Die politische, soziale und kulturelle Bedeutung der romanischen Sprachen ist unermesslich, ihr Einfluss auf zahllose grundverschiedene Sprachen weltweit unkalkulierbar. Das Englische, dieses moderne Esperanto, das sich zur unangefochtenen Nummer eins in der Welt entwickelt hat, ist zutiefst von romanischen Elementen durchdrungen — es ist keineswegs abwegig, das Englische als eine germanisch-romanische Mischsprache zu charakterisieren. Angesichts der Bedeutung der romanischen Sprachfamilie verwundert es, dass im deutschsprachigen Raum, wo die Vergleichende Romanische Sprachwissenschaft eine ihrer wichtigsten Wurzeln hat, eine knappe einführende Darstellung bislang fehlt. Zwar herrscht an Einführungen in die individuellen romanischen Sprachen kein Mangel; einzelne Aspekte wurden in vielen Werken bearbeitet. Rainer Schlösser hat eine sehr lesenswerte Präsentation der romanischen Sprachen in der Reihe »Beck Wissen« publiziert; er bringt aber nur externe Fakten in Kurzfassung, keine Darstellung interner sprachlicher Eigenschaften. Als Einführung ist auch das Werk des in Gent lebenden Romanisten Eugeen Roegiest (2006) sehr zu empfehlen. Es ist jedoch stark historisch ausgerichtet. In Deutschland wurde das umfassendste Sammelwerk zu unserem Fachgebiet publiziert, das vielbändige und mehrsprachige, in jeder Hinsicht monumentale Lexikon der romanistischen Linguistik, doch ist dies ein Werk flit. Spezialisten. Es gibt auch exzellente Einftihrungen in die Geschichte und Methodik der Romanistik als sprachwissenschaftliches Fach, auf Deutsch und in anderen Sprachen; allein im letzten Jahr sind zwei umfangreiche neue Standardwerke zu diesem Thema erschienen, auf Französisch aus der Feder des Zürcher Roma-
' Die beiden Amtssprachen der UNO sind das Englische und das Französische, die sechs Arbeitssprachen umfassen darüber hinaus noch das Spanische, Russische, Arabische und Chinesische.
6
1 ,•1, 11t
Vorwort ; 7
Gerade diese Differenzierung des Wortschatzes und die damit erschlossenen Ressourcen für die Bildung neuer Begriffswelten haben entscheidend zum Erfolg der im engeren Sinne romanischen und darüber hinaus der europäischen Sprachen insgesamt beigetragen. Ein Beispiel unter Tausenden: Auch wenn das Wort computer im Englischen geprägt wurde, ist doch unverkennbar, dass es letztlich vom lateinischen computare *berechnen« abstammt. Die romanischen Sprachen bilden eine Familie, sie sind mit den indogermanischen Sprachen bis nach Iran und Indien urverwandt; mindestens ebenso wichtig ist aber ihre kulturelle Zugehörigkeit zu dem, was man als *westeuropäischen Sprachbund« bezeichnen kann: Die Sprachen unserer Weltregion sind durch jahrhundertelangen Kontakt und Austausch eng miteinander verbunden, auch über die Grenzen der biologischen Sprachverwandtschaft hinaus. Dieser Sprachbund ist durch den Rückgriff auf das klassische Latein geprägt. Die romanischen Sprachen wurden immer wieder »re-latinisiert«, ihre vom Lateinischen ererbte Substanz mit direkten Entlehnungen aus dem klassischen Latein angereichert. Damit haben sie auf unmittelbar und mittelbar benachbarte indogermanische Sprachen ausgestrahlt, vom Englischen und Deutschen bis zum Schwedischen, Russischen oder Albanischen. Und sie sind zu Trägern und Vermittlern einer weltweiten Indogermanisierung geworden, die in wesentlichen Teilbereichen eine weltweite Latinisierung und Romanisierung war und immer noch ist.
2. Die romanischen Sprachen: wie viele und welche?
Wenn man einen Romanisten in Verlegenheit bringen will, braucht man ihm nur eine einfache Frage zu stellen: Wie viele romanische Sprachen gibt es und welche sind es? Wenn er ehrlich ist, wird er zugeben, dass er unfähig ist, eine klare Antwort zu geben. Wissen also die romanischen Sprachwissenschaftler nicht einmal genau, welchen Gegenstand sie erforschen? Nun, die Antwort auf diese scheinbar einfachen Fragen ist schwierig; man kann und muss sie vereinfachen, aber dies sollte immer in dem Bewusstsein geschehen, dass es sich dabei um die Reduktion einer komplexen und vielschichtigen Realität handelt. Um diese Schwierigkeiten — und Ansätze zu ihrer Lösung — zu illustrieren, möchte ich den Leser zu einer imaginären Kurzreise durch die Romania einladen, von Westen nach Osten. Im Verlauf dieser Reise werden viele Themen kurz angesprochen, die dann im weiteren Verlauf genauer ausgeführt sind. Vorab soll so ein Panorama der Romania vor dem geistigen Auge entstehen, ein Panorama der besonderen Art, in dem es um Identität, Abgrenzung und Bezeichnung von Sprachen geht.
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Einleitung
Beginnen wir im äußersten Westen, in Portugal. Die Grenze zwischen Portugal und Spanien ist die stabilste und älteste in Europa. Sie besteht seit dem frühen 12. Jahrhundert und hat sich seither praktisch nicht verschoben. Portugal ist wohl das einzige Land in Festlandeuropa ohne sprachliche Minderheiten — das einzige andere Land, wo es tatsächlich keine nationalen Minoritäten gibt, ist Island! Portugal ist ja auch eine Art Insel, umgeben vom Atlantik auf der einen, von Spanien auf der anderen Seite. Die beiden iberischen Schwesternationen wollen nicht viel voneinander wissen; man hat sie mit zwei Männern verglichen, die Rücken an Rücken in demselben Raum leben. Die historische Wiege des Portugiesischen liegt nördlich seiner Grenzen, in der Region Galicien, die im frühen Mittelalter zum Königreich Leon gehörte, von da an die Krone von Kastilien gelangte und so schließlich 1476 Teil des vereinigten Königreiches Spanien wurde. Viele Jahrhunderte lang war Galicisch als verachteter Dialekt dem Spanischen unterworfen, erst im demokratischen und regionalisierten Spanisch der Gegenwart erlangte es offiziellen Status. Aber was ist es? Ein spanischer Dialekt? Ganz sicher nicht! Was dann? Eine eigenständige Sprache oder ein Dialekt des Portugiesischen? Die Gemüter haben sich an dieser nur scheinbar akademischen Frage erhitzt, die Zukunft des Galicischen stand auf dem Spiel, weil die einen seine Orthographie am Spanischen, die anderen am Portugiesischen orientieren wollten und sich gegenseitig heftig bekriegten. Heute gilt das Galicische als eigenständige Sprache, es hat in Galicien zusammen mit dem Spanischen kooffiziellen Status; linguistisch betrachtet ist es aber ohne Zweifel eine Varietät des Portugiesischen, so wie das Brasilianische oder die neuen Varietäten, die sich in den afrikanischen Ländern Angola und Mosambik zur Zeit gerade herausbilden. Es ist ein Zwitterwesen zwischen Sprache und Dialekt, wie wir sie noch mehrfach in der Romania finden werden — ein Zwitterwesen, das mittlerweile ein vitales und selbstbewusstes Eigenleben ftihrt. Übrigens gibt es auch ernstzunehmende Autoren, die dem Brasilianischen den Status einer eigenständigen Sprache zuerkennen wollen. Dies scheint übertrieben, aber immerhin sind die Unterschiede zwischen der europäischen und amerikanischen Variante des Portugiesischen tiefgreifender als die zwischen europäischem und amerikanischem Spanisch. Das beeinträchtigt die gegenseitige Verständigung nicht wirklich, aber es schafft eine Distanz, die über das Maß einfacher Dialekte deutlich hinausgeht. Das Spanische erscheint demgegenüber auf den ersten Blick als monolithischer Block. Die Unterschiede zwischen den vielen Nationen, wo Spanisch gesprochen wird, betreffen Details der Aussprache und den Wortschatz, aber keine Basisstrukturen. Dennoch gibt es auch hier Grauzonen. Im Norden der Iberischen Halbinsel wird das Spanische von zwei Varietäten flankiert, die für sich den Status eigenständiger Sprachen in Anspruch nehmen: im Westen das Astu-
Einleitung
17
rische, im Osten das Aragonesische. Während Asturisch (von den Sprechern auch bable genannt) mit etwa einer halben Million Sprechern noch recht vital ist und auch in den großen Städten Oviedo und Gijón zu hören ist, wurde das Aragonesische, trotz seiner großen Bedeutung als Schriftsprache im Mittelalter, auf wenige abgelegene Tiler in den Pyrenäen zurückgedrängt und liegt heute, allen Bemühungen lokaler Vereinigungen zum Trotz, im Sterben. Jedenfalls handelt es sich nicht einfach um »Dialekte« des Spanischen, vielmehr um Varietäten, die sich parallel zum Spanischen am Nordsaum der Halbinsel direkt aus dem dort gesprochenen Latein herausgebildet haben — im Gegensatz dazu ist das Andalusische ein echter Dialekt, denn es entstand aus dem Spanischen, das im Gefolge der christlichen Reconquista vom Norden der Halbinsel nach Süden getragen worden ist. Asturisch und Aragonesisch sind Schwesteridiome, das Andalusische hingegen ein Tochteridiom des Spanischen. Dabei steht das Asturische dem Spanischen näher, das aussterbende Aragonesische hingegen deutlich ferner. Und dennoch beansprucht das Asturische heute den Status einer eigenständigen Sprache, es gibt eine Königliche Asturische Sprachakademie, Obersetzungen von Werken der Weltliteratur ins Asturische und viele Gruppen, die sich aktiv um die Sprachpflege bemühen; das Aragonesische hingegen ist sich selbst überlassen, es stirbt einen leisen Tod. Die Bezeichnung der Nationalsprache ist in diesem Fall ein eher künstliches Problem. In Spanien heißt sie »Spanisch«, obwohl in Spanien auch andere Sprachen gesprochen werden; in Lateinamerika hingegen zieht man die Bezeichnung »Kastilisch« (castellano) vor, obwohl sich dieses Wort eigentlich nur auf eine bestimmte Region in Spanien bezieht — aber für die Lateinamerikaner ist wohl der Begriff »Spanisch« zu sehr auf das Land Spanien, also die ehemalige Kolonialmacht fixiert, und so erscheint »Kastilisch« als die neutralere Variante. Trotz allem sind mit den beiden Bezeichnungen keine wirklich tiefgreifenden ideologischen Kontroversen verbunden. Eine ganz andere Frage ist der Status des Judenspanischen. 1492 aus Spanien vertrieben, nahmen die sephardischen Juden ihre Sprache mit ins Exil. Im Orient, in Nordafrika und im Osmanischen Reich, entwickelten sich daraus eigene Varietäten, die man als haketiya beziehungsweise als diudezmo bezeichnet. Hierbei handelt es sich um Dialekte, die gegenüber dem Standard-Spanischen einerseits konservativer sind, andererseits aber auch zahlreiche Neuerungen aufweisen. Das diudezmo wurde jahrhundertelang mit einer speziellen Form des hebräischen Alphabets geschrieben, es hatte also eine eigenständige schriftsprachliche Norm; dennoch würde es wohl niemand als unabhängige Sprache klassifizieren, trotz seiner ausgeprägten Eigenheiten gilt es als religiös und kulturell geprägte Sonderform des Spanischen.
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Einleitung
Wenn wir auf unserer Reise weiter nach Osten ziehen, gelangen wir zum Katalanischen. Dies ist eine Sprache mit vergleichsweise geringer dialektaler Verschiedenheit, aber immerhin gibt es eine fundamentale Trennung von ost- und westkatalanischen Varietäten. Während im Norden, im eigentlichen Katalonien, das Westkatalanische der Provinz Lérida (Lleida) von seinen Sprechern klaglos als »Dialekt« betrachtet wird, ist dies im Süden, in der Autonomen Region Valencia, ganz anders; das dort gesprochene Westkatalanisch wird als Walenzianisch« bezeichnet, eine Varietät, fir welche die Sprecher den Status einer eigenständigen Sprache beanspruchen. Der Kampf um die Bezeichnung und den Status dieser Varietät wird mit einer Erbitterung geführt, die für den Außenstehenden grotesk wirkt — zuweilen meint man, es gehe um eine quasi-religiöse Kontroverse! Die Valenzianer, die sich von der Bevormundung durch Madrid befreit haben, wollen jetzt auf keinen Fall unter die Vorherrschaft von Barcelona geraten. Ein relativ geringer sprachlicher Unterschied wird so zum Symbol einer Differenzierung, die ihren Ursprung im politisch-sozialen Bereich hat; der Sprachenname wird zum Bannerträger einer mit Eifer verteidigten Eigenständigkeit. Eng mit dem Katalanischen verwandt ist das Okzitanische. Auch in dieser in Südfrankreich beheimateten Gruppe recht unterschiedlicher Dialekte gibt es zwei Bezeichnungen, die mit unterschiedlichen orthographischen Normen und Ideologien verbunden sind. Es gibt eine Fraktion, welche die im 19. Jahrhundert von dem Dichter und Nobelpreisträger Frédéric Mistral geschaffene Orthographie benutzt; sie leitet die Regeln der Sprache aus den Meisterwerken dieses Autors ab, der in seinem an der unteren Rhône gesprochenen Heimatdialekt schrieb, in einer ans Französische angelehnten Orthographie. Die Sprache heißt für diese Fraktion »Provenzalisch«, wobei die Provence als Teil für das Ganze steht, zur Namensgeberin aber auch deshalb wurde, weil es eben ein im engeren Sinne »provenzalischer« Dialekt ist, der für das ganze große Sprachgebiet maßgeblich sein soll. Die »Mistraliens« sind eher konservativ-romantisch ausgerichtet, das traditionelle Leben der guten alten Zeit steht für sie im Mittelpunkt. Auf der anderen Seite steht die Fraktion des Institut d'Études Occitans in Toulouse, die an die Tradition der mittelalterlichen Troubadours anknüpft; ihre Orthographie ist so konzipiert, dass sie allen Einzeldialekten gerecht wird, weil jeder sie auf seine Weise lesen kann. Die Sprache heißt für diese Fraktion »Okzitanisch«, nach der Bejahungspartikel oc, so wie schon im Mittelalter. Die politische Orientierung ist eher links, auf Protest und auf Veränderung der herrschenden Verhältnisse ausgerichtet. Auch hier sind also die Sprachbezeichnung und die Orthographie nicht neutral, vielmehr auf das engste mit der politischen Ideologie verbunden. Ein besonderer Fall ist das Aranesische. Hierbei handelt es sich um einen okzitanischen Dialekt gaskognischer Prägung, der in einem Pyrenäental gespro-
Einleitung
19
chen wird, das staatlich zu Spanien gehört. Da in der spanischen autonomen Region Katalonien, zu der das Aranesische gehört, der Schutz von Minderheiten verbrieftes Recht ist, genießt dieser Dialekt trotz seiner geringen Sprecherzahl besondere Förderung. Im Gegensatz zu den in den italienischen Alpen gesprochenen Dialekten des Okzitanischen, die »okzitanisch« genannt werden, wird das Aranesische in allen offiziellen Dokumenten und im öffentlichen Leben stets nur unter dieser Bezeichnung geführt; es wurde sogar eine eigene Orthographie entwickelt, auch wenn das Schrifttum erwartungsgemäß von bescheidenem Umfang ist. Immerhin kann man, wenn man nicht auf Größe achtet und die Kriterien strikt anwendet, das Aranesische als einen Kulturdialekt des Gaskognischen klassifizieren. In den gängigen Listen der romanischen Sprachen taucht es allerdings nirgendwo als eigenständige Sprachform auf. Das Französische erscheint unter allen romanischen Sprachen auf den ersten Blick am ehesten als monolithischer Block. Die Bezeichnung ist völlig unumstritten: Weder in Belgien noch in der Schweiz oder im kanadischen Québec käme jemand auf den Gedanken, man spräche etwas anderes als *Französisch«. Wohl gibt es nationale Unterschiede, am ausgeprägtesten zweifellos in Kanada, aber insgesamt richtet sich die französischsprachige Welt nach der Norm von Paris. Die Dialekte sind weitgehend verdrängt; nur noch in bäuerlichen Rückzugsgebieten spricht man Burgundisch, Lothringisch oder Gallo, eine Varietät, die im Ostteil der Bretagne beheimatet war. Allenfalls das — im Mittelalter bedeutsame — Pikardische wird zwischen Amiens und Lille von einigen Unentwegten noch als Sprache far Gedichte und Theaterstücke gepflegt. Das belgische Wallonisch ist noch vergleichsweise vital, aber auch dort ist die Herrschaft des Standard-Französischen — mit lokalen Besonderheiten — völlig unumstritten. Probleme mit der Differenzierung von Sprache und Dialekt finden sich im französischen Sprachraum im Südosten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hat der italienische Sprachwissenschaftler Graziaddio Isaia Ascoli Ähnlichkeiten zwischen den *Dialekten« von Lyon, der französischen Schweiz und des italienischen Aosta-Tales festgestellt; diese Dialekte stehen bezüglich ihrer Lautentwicklung zwischen dem Französischen und dem Provenzalischen. Also prägte er für sie die Bezeichnung *Frankoprovenzalisch«, und dieser Begriff fand Eingang in die Handbücher der Romanistik. Vom Standpunkt der historischen Lautlehre aus ist diese Klassifikation untadelig. Aber im Bewusstsein der Sprecher hatte sie nie den geringsten Stellenwert. Die Sprecher des Frankoprovenzalischen sahen ihre Varietäten immer als Dialekte des Französischen, meist abschätzig als rustikales patois. Grenzüberschreitende Gemeinsamkeiten zwischen Frankreich, Italien und der Schweiz hat man nicht als solche wahrgenommen; kein Zentrum hat je die Kräfte gebündelt, es gab nie eine eigenständige
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Einleitung
Schriftsprache, nicht in Genf und nicht in Lyon. So blieb das Frankoprovenzalische ein Konstrukt der Sprachwissenschaft, ohne Relevanz für die Bevölkerung in den drei beteiligten Ländern. Ist nun das Frankoprovenzalische eine eigenständige romanische *Sprache« oder nicht? Wenden wir uns auf unserer imaginären Reise nun weiter nach Osten, wobei wir vorerst noch im Alpenraum verbleiben. Der eben schon erwähnte Sprachforscher Ascoli hat noch einen weiteren klassifikatorischen Begriff geprägt: »Rätoromanisch«. Er bezog sich damit auf historisch-phonetische Gemeinsamkeiten zwischen drei Dialektgruppen, zwischen denen keine direkte geographische Verbindung besteht und die auch im Bewusstsein der Sprecher traditionell nichts miteinander zu tun haben, nämlich Biindnerromanisch in der Schweiz, Ladinisch in den Dolomiten 'Lind Friaulisch in der italienischen Region Friaul-Julisch Venetien. Das Postulat einer *Sprache« namens Rätoromanisch war von Anfang an umstritten, es geriet auch sehr früh in den Sog politischer Ideologien. Während deutsche und österreichische Sprachforscher damit keine Probleme hatten, postulierten die Italiener, dass Ladinisch und Friaulisch integrale Bestandteile des italienischen Dialektkontinuums sein müssten; in der Konsequenz hätte dies allerdings bedeutet, dass dann auch das Bündnerromanische in dieses Kontinuum hineingehört, was wütende Protestreaktionen von Seiten der Schweizer ausgelöst hat. Vor allem in der Periode des Faschismus mit seiner Ideologie des Irredentismus (wonach die *unerlösten« Gebiete heim ins italienische Reich geführt werden sollten) waren solche eigentlich rein linguistischen Erwägungen alles andere als harmlos. Dementsprechend erbittert waren auch die Auseinandersetzungen. Die Frage nach der Abgrenzung von »Sprache« und »Dialekt« stellt sich hier in voller Schärfe, übrigens nicht nur bezüglich des überdachenden Begriffes *Rätoromanisch«, sondern auch innerhalb der bündnerromanischen und ladinischen Idiome selbst; nur die Einheit des Friaulischen ist unumstritten. Hinter der Bezeichnung *Italienisch« verbirgt sich eine unüberschaubare Vielfalt von Varietäten. Die Dialekte sind in diesem Land äußerst vital; bis heute besteht in allen Regionen Zweisprachigkeit von lokalem Dialekt und Hochsprache. Zwei Aspekte verdienen Hervorhebung: die Frage, ob einige der sogenannten »Dialekte« nicht in Wirklichkeit *Sprachen« sind, und die Bezeichnung der Hochsprache selbst. Italien ist nicht nur sehr vielgestaltig, die Dialekte sind auch höchst unterschiedlich. Der Norden, von den Alpen bis zum Apennin-Hauptkamm, der vom Tyrrhenischen zum Adriatischen Meer reicht, ist so verschieden vom Rest Italiens und vom Standard-Italienischen, dass es durchaus angebracht wäre, hier ein gesondertes sprachliches System anzusetzen, das sich in seiner Gesamtheit von den mittel- und süditalienischen Dialekten unterscheidet. Zwar bildet das
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Venezianische einen vermittelnden Übergang; dennoch kann man sagen, dass die Hauptdialekte des Nordens, Piemontesisch, Lombardisch, Ligurisch und Emilianisch, strukturell einen eigenen Typus des Romanischen bilden. Man kann diesen Typus unter dem Etikett »Gallo-Italienisch« zusammenfassen. Demnach zerfällt Italien in einen norditalienischen, nämlich gallo-italienischen, und einen zentral- und süditalienischen Bereich. Die tiefgreifenden typologischen Unterschiede sowohl im Lautlichen als auch in der Morphosyntax werden unten noch genauer behandelt. Im Bewusstsein der Sprecher besteht aber kein grundsätzlicher Unterschied zwischen diesen beiden Systemen; vom Piemont bis Kalabrien und Sizilien stehen lingua und dialetto nebeneinander. Die Sprachbezeichnung war lange Zeit Gegenstand von Kontroversen. Die berühmte »questione della lingua« hat die Gemüter seit Beginn des 16. Jahrhunderts bewegt. Soll man die italienische Hochsprache, so wie sie die großen florentinischen Autoren Dante, Boccaccio und Petrarca geprägt haben, als »Italienisch«, »Toskanisch» oder »Florentinisch« bezeichnen? Der letztgenannte Name hat keine weite Geltung erlangt, aber »Toskanisch» ist bis heute ein Synonym fur »Italienisch« geblieben. Ein gesondert zu behandelndes Problem ist das Korsische. Der Dialekt dieser Insel gehört zum zentralitalienischen System und steht dem Toskanischen im engeren Sinn vergleichsweise nahe, jedenfalls wesentlich näher als viele Dialekte des Südens, vom Gallo-Italienischen ganz zu schweigen. Gleich, ob die Insel zu einer der Seerepubliken gehörte (Genua, Pisa) oder selbständig war, die Sprachsituation unterschied sich nicht grundsätzlich vom übrigen Italien: Der Dialekt diente der mündlichen Alltagskommunikation, als Schriftsprache benutzte man das Hochitalienische. Dies änderte sich 1768, als Korsika aufgrund der damals üblichen Kabinettsdiplomatie an Frankreich fiel — gerade rechtzeitig, dass Napoleone Buonaparte als Franzose zur Welt kam! Mit einem Mal verlor das Italienische seine Funktion als überdachende Hochsprache: Was zuvor als dialetto mit der Schriftsprache eng verbunden war, stand nun isoliert im Raum, von der französischen Hochsprache unüberbrückbar getrennt. Die korsischen Dialekte hatten, bildlich gesprochen, ihre Überdachung verloren. So begann man im 19. Jahrhundert, das Korsische zu einer eigenständigen Schriftsprache auszubauen. Eigene orthographische Normen wurden eingeführt, in Wortschatz und Grammatik die Unterschiede zum Italienischen akzentuiert. Die korsische Selbständigkeit gegenüber dem Italienischen wurde politisch virulent, als der Faschismus seine Hände nach Korsika als »unerlöstem« Teil von Italien ausstreckte und die Korsen im Eid von Bastia (1938) feierlich ihre ewige Zugehörigkeit zu Frankreich beschworen. Heute ist die Bezeichnung lingua corsa weit verbreitet, obgleich es sich rein linguistisch betrachtet nicht um eine eigenständige Sprache
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handelt und dies den meisten Sprechern auch bewusst ist. Wenn die Klassifikation als »Sprache« Sinn macht, dann weitaus eher in Fällen wie dem Piemontesischen oder Apulischen als beim Korsischen; doch auch hier beobachten wir die Dominanz politischer gegenüber linguistischen Faktoren. Umgekehrt ist der Fall des Sardischen gelagert. Aufgrund seines Abstands vom Italienischen kann an seinem Status als eigenständige Sprache keinerlei Zweifel bestehen; da aber die Insel zu Italien gehört, wird das Verhältnis der beiden Sprachen von vielen Sprechern so empfunden wie die Situation auf dem Festland, nämlich als Nebeneinander von lingua und dialetto. Allerdings gibt es daneben auch ein Bewusstsein von der sardischen Eigenständigkeit. Das Sardische zerfällt in zwei Hauptdialekte, die so weit auseinander liegen, dass die Schaffung einer einheitlichen Hochsprache kaum möglich scheint. Dennoch wird die Einheit der sardischen Sprache von niemandem in Zweifel gezogen. Das Sassaresische, die Sprache der Einwohner der nordsardischen Stadt Sassari und mehrerer umliegender Kommunen, stellt ein besonderes Problem dar. Hierbei handelt es sich um ein im Mittelalter unter pisanischem Einfluss italianisiertes Nord-Sardisch (Logudoresisch), das heute nicht mehr dem sardischen Dialektkontinuum zuzurechnen ist, ohne deswegen wirklich zum zentralitalienischen Diasystem zu gehören. Streng genommen müsste man das Sassaresische als eigenständige romanische Sprache klassifizieren — eine Sprache fur eine Stadt und drei Dörfer! Trotz seiner ausgeprägten Besonderheiten findet das Sassaresische in den meisten Handbüchern der Romanistik nicht einmal Erwähnung, geschweige denn, dass es als eigene Sprache klassifiziert würde, obgleich es von mehr Menschen gesprochen wird als Ladinisch oder Bündnerromanisch in den Alpen. Auch hier verdeckt die in Italien übliche Zweiteilung von lingua und dialetto die linguistischen Unterschiede. Wir beschließen unsere Reise ganz im Osten, im Bereich des Rumänischen. Auch dort existieren mehrere eigenständige Varianten, und auch dort stellt sich die Frage des Sprachnamens, wenn auch in einem ganz anderen historischen Kontext als in allen bisher behandelten Fällen. Neben dem Rumänischen im engeren Sinn, das man auch als Dako-Rumänisch bezeichnet, existieren drei zerstreute Minderheiten, das Aromunische, das Megleno-Rumänische und das Istro-Rumänische. Bei allen ist die Frage angebracht, ob es sich einfach um dialektale Varianten oder doch schon eher um eigenständige Sprachen handelt. Für die in Griechenland lebenden und auch im westeuropäischen Exil sehr aktiven Aromunen beantwortet sich die Frage von selbst; sie empfinden ihr Idiom als selbständige Sprache, da sie keine Überdachung durch das Standard-Rumänische kennen.
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Der Sprachen name ist im ehemals kommunistischen Südosteuropa ein besonderes Politikum. Rumänisch wird nicht nur in Rumänien gesprochen, sondern auch im benachbarten Moldavien. Die Dialektgrenzen verlaufen unabhängig von Staatsgrenzen, die von den Politikern willkürlich gezogen wurden. Ohne Zweifel ist Moldavien integraler Bestandteil des gesamtrumänischen Dialektkontinuums. Nur war Moldavien 70 Jahre lang eine sozialistische Sowjetrepublik. Zur Sprachpolitik Stalins gehörte es, Minderheiten dadurch zu schwächen, dass man sie aufteilte und jede noch so kleine Varietät zur »Sprache« erhob. Die angeblich emanzipatorische Aufwertung von *Dialekten« zur *Sprache« war in Wahrheit ein Instrument zur Festigung der Sowjetmacht und ihres Trägers, des Russischen, denn Stalin verfuhr nach dem Prinzip divide et impera »teile und herrsche!«. Im Falle des Moldauischen hatte dies besondere Brisanz, da es galt, Wiedervereinigungsgelüsten von Moldaviern und Rumänen von vornherein einen Riegel vorzuschieben. So wurde das Moldauische zur »Sprache« erklärt, Unterschiede zwischen Rumänisch und Moldavisch wurden künstlich akzentuiert oder gar geschaffen und dem Moldauischen das Gewand der kyrillischen Schrift verpasst — alles, um das Rumänische diesseits und jenseits der Grenze auseinanderzudividieren. Nirgendwo trat der profund politische Charakter der Einteilung sprachlicher Varietäten in »Sprachen« und »Dialekte« klarer zutage als in der ehemaligen Sowjetunion. Die kleine Reise durch Raum und Zeit, die wir soeben durch die Romania unternommen haben, zeigt deutlich, dass die umgangssprachlichen Begriffe »Sprache« und »Dialekt« nicht annähernd ausreichen, um der Komplexität realer Sprachsituationen gerecht zu werden. Oberflächlich sieht alles so einfach aus: hier ist Frankreich, on parle français, da ist Italien, si parla italiano, und dort drüben Spanien, se habla español. Die Staatsgrenzen, in Jahrhunderten gewachsen, umkämpft und verteidigt, scheinen uns heute für die Ewigkeit gezogen, und das Modell des neuzeitlichen europäischen Nationalstaates — ein Land, ein Volk, eine Sprache! — erweckt geradezu den Eindruck naturgesetzlicher Notwendigkeit. Aber bei näherer Betrachtung zerbröckelt dieses klare Bild in zahllose kleine Splitter. Brüche und Widersprüche werden sichtbar, Identitätskonflikte, Sprachenkriege und Gelehrtenstreit. Ich maße mir nicht an, definitive Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Im Folgenden will ich lediglich ein paar begriffliche Unterscheidungen diskutieren, die es erlauben, etwas differenzierter — wenn auch nicht mit letzter Präzision, die unerreichbar ist — das reale Leben der Sprachen zu erfissen. Vor allem ist es entscheidend, dass man interne und externe Kriterien klar auseinanderhält. Im Alltag werden diese beiden Dimensionen meist durcheinan-
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der gebracht, woraus viele Missverständnisse erwachsen; manchmal wird diese Konfusion für die Erreichung politischer Ziele bewusst instrumentalisiert. Betrachten wir, in aller Kürze, diese beiden Typen von Kriterien bei der Bestimmung des Unterschiedes von »Sprache« und *Dialekt«. Das wichtigste interne Kriterium ist der Abstand zwischen einer gegebenen sprachlichen Varietät und einer Referenzgröße, in der Regel also zwischen dem jeweiligen »Dialekt« und der ihm zugeordneten Standardsprache. So kann man dann fragen: ist der Abstand so groß, dass der scheinbare Dialekt in Wahrheit eine Sprache ist? Oder umgekehrt, ist der Abstand so gering, dass es sich nicht um eine unabhängige Sprache, sondern lediglich um einen Dialekt handelt? Das Problem dabei ist, wie man sprachlichen Abstand genau messen kann und wo die Schwellenwerte liegen; beides ist bis heute nicht eindeutig geklärt, die Linguisten gehen die Frage intuitiv und fallbezogen an. Es bleibt auch fraglich, ob man solche Werte mit mathematischer Genauigkeit ermitteln kann, denn daftir müsste man sprachliche Struktureigenschaften nicht nur quantifizieren, sondern auch hinsichtlich ihres Wertes gewichten, wodurch zwangsläufig ein subjektives Element hineinkommt. Es erheben sich dann Fragen wie diese: Was ist wichtiger für die Bestimmung des Abstands: der Wortschatz, die Phonetik oder die Morphosyntax? Und wenn man sich für die Morphosyntax als das fundamentalste Kriterium entscheidet, wofür Einiges spricht, welcher Teilbereich ist dann maßgeblich? Das Verbalsystem, das Nominalsystem, die syntaktische Konfiguration? Man sieht, dass jede eindeutige Festlegung letztlich auf willkürlichen Entscheidungen beruht. Allerdings kommt der Linguist in der Praxis ohne solche willkürlichen Entscheidungen nicht aus! Bei den externen Kriterien hat der Ausbau in der Diskussion eine entscheidende Rolle gespielt. Dabei geht es um die Frage, ob eine sprachliche Varietät mit eigener orthographischer Norm verschriftet ist, ob in ihr nur über Alltagsgegenstände kommuniziert werden kann oder auch fiber anspruchsvollere Themen, und ob eine selbständige, mehr als nur sporadische Produktion von Literatur existiert. Der Vorteil dieses Kriteriums ist, dass es objektiv nachprüfbar ist: Ober Orthographien wird immer wieder gestritten, dies ist ein nach außen deutlich sichtbarer Punkt; und auch die Anzahl und Thematik von Büchern und sonstigen Druckerzeugnissen in einer gegebenen Sprache lässt sich ziemlich gut überprüfen. *Ausbau« ist natürlich ein gradueller, kein absoluter Begriff Es gibt auf der einen Seite voll ausgebaute, universale Kultursprachen, wie Deutsch, Englisch, Französisch, und auf der anderen Seite Idiome, die ausschließlich in der familiären Alltagskommunikation mündlich benutzt werden, wie bäuerliche Dialekte in alpinen Rückzugsgebieten oder die Sprachen nicht akkulturierter Stämme in Amazonien. Dazwischen jedoch gibt es zahllose Übergangsformen
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und abgestuften Teilausbau. Für eine Untergliederung dieses Kontinuums gibt es Anhaltspunkte, insbesondere die literarischen Gattungen und die Themenbereiche von Sachprosa. Poesie ist schon bei sehr geringem Ausbau präsent, es folgt Theater und erst ganz am Ende narrative Prosa: Wenn in einem Idiom moderne Romane geschrieben werden, hat es das Stadium von »Sprache« erreicht, nicht jedoch, wenn Lokalpoeten ihre Herzensergüsse einer Provinzzeitung anvertrauen. Nachrichten über dörfliche Ereignisse machen ein Idiom noch nicht zur »Sprache«, auch nicht Abhandlungen Ober lokale Folklore, wohl aber Traktate über allgemein interessierende Themen aus verschiedenen Wissensgebieten; wenn es Lehrbücher der theoretischen Physik in dem betreffenden Idiom gibt, kann man getrost davon ausgehen, dass es kein »Dialekt« mehr ist, sondern Anrecht darauf hat, als »Sprache« anerkannt zu werden. Neben dem objektiv feststellbaren Ausbaukriterium muss man auch die subjektive Einstellung der Sprecher berücksichtigen: Haben sie ein Empfinden dafür, etwas Eigenständiges zu sein, oder betrachten sie ihre Sprachform als einer Nationalsprache untergeordnet? Solche Sprechereinstellungen sind naturgemäß schwer ermittelbar, weil viele Menschen gar keine dezidierte Auffassung haben oder, auch wenn sie sie haben, diese einem fragenden Forscher nicht auf die Nase binden wollen. Politische Faktoren spielen oft eine entscheidende Rolle in der Eigenwahrnehmung und der Wahrnehmung des Fremden: Wenn ich mich problemlos mit der nationalen Kultur identifiziere, bin ich eher geneigt, meine Sprache als untergeordneten »Dialekt« zu akzeptieren, als wenn ich gegen den Zentralismus der Kapitale protestiere. Die Pikarden in Nordfrankreich mögen ihren Dialekt im kleinen Kreis kultivieren, aber als Waffe in einem — dort inexistenten — Kampf gegen Paris haben sie ihn nie gesehen, weswegen sie ihn auch nicht zur *Sprache« machen wollen. Hingegen konnte die Aufwertung des Asturischen zur »Sprache« durchaus als politisches Symbol im Kampf der asturischen Bergarbeiter gegen die aus Madrid stammenden kapitalistischen Ausbeuter gesehen werden. Auch das oft herangezogene Kriterium der wechselseitigen Verständlichkeit (Interkommunikation) ist subjektiv geprägt und graduell. Nehmen wir einen Dialektsprecher A und einen Dialektsprecher B. Je nach sprachlichem Abstand kann die gegenseitige Verständlichkeitsrate zwischen nahezu i00% bis zu einem Prozentsatz X reichen, wobei dieses X nicht ein für allemal fixiert ist. Wenn A sich Mühe gibt und sein Ohr ein paar Tage an den Dialekt von B gewöhnt, steigt die Rate dramatisch an; wenn er sich aber keine Mahe geben will, weil er die Gruppe B innerlich ablehnt, wird sich seine Verstehensrate niemals erhöhen. Außer solchen psychologischen Faktoren spielen auch objektive sprachliche Gegebenheiten eine wichtige Rolle. Der Abstand zwischen zwei Dialekten kann
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minimal sein und doch zu nahezu totaler Unverständlichkeit führen. Im äußersten Südosten von Sardinien, in der Landschaft Sarrabus, liegt ein Dorf mit Namen Muravera; dort ist jedes intervokalische /1/ und /n/ ausgefallen, auch zwischen Wörtern im Satz. /1/ wird durch einen Kehlkopf-Knacklaut ersetzt, bei /n/ wird zusätzlich der vorangehende Vokal nasalisiert. Das Ergebnis dieser beiden scheinbar harmlosen Lautveränderungen bewirkt, dass der Dialekt von Muravera schon im Nachbardorf, dessen Dialekt in Wortschatz und Grammatik praktisch identisch ist, nicht verstehbar ist, sondern fast wie eine Sprache von einem anderen Stern klingt. Man bedenke, dass so alltägliche Wörter wie su vínu »der Wein« und sa luna »der Mond« folgendermaßen ausgesprochen werden: [sui?u] und [sefiTa]. Wenn man das Kriterium der Interkommunikation zugrunde legt, müsste man konsequenterweise das Muraverische als eigene Sprache klassifizieren — was absurd wire! Zu beachten ist auch, dass in diesem wie auch in vielen anderen Fällen die Verstehbarkeit nicht symmetrisch ist: A versteht B (hier also Muravera die Nachbarn), aber B versteht nicht A (die Nachbarn Muravera). Ein asymmetrisches Verhältnis besteht auch zwischen den großen Nationalsprachen Spanisch und Portugiesisch, denn für einen Durchschnittsspanier ist es ohne Übung und Vorbereitung nahezu unmöglich, gesprochenes Portugiesisch zu verstehen, während umgekehrt das Spanische auch für einen unvorbereiteten Portugiesen keine größere Mühe macht. Ähnlich ist es in Skandinavien: Schweden und Norweger haben größte Schwierigkeiten mit dem gesprochenen Dänisch, während Dänen die anderen gut verstehen können. Für solche Relationen gibt es Gründe, welche die Linguistik analysieren kann. Aber die häufige Asymmetrie der Interkommunikation macht die Anwendung dieses Kriteriums für die Unterscheidung von Sprache und Dialekt oft unmöglich. Begnügen wir uns also mit den Kriterien Abstand (intern) und Ausbau (extern). Weil 2 X 2 = 4 ist, erhält man genau vier Möglichkeiten: Abstand
ja
ja
nein
nein
Ausbau
ja
nein
ja
nein
»Sprache«
»Dialekt«
Mit anderen Worten: Wenn Abstand und Ausbau zusammenfallen, ergibt das die prototypischen Vertreter von Sprache (Deutsch oder Spanisch) bzw. Dialekt (Bairisch oder Andalusisch). Wie aber soll man Idiome klassifizieren, wo die Kriterien nicht zusammenfallen? Der Germanist Heinz Kloss und nach ihm der Sprachforscher Harald Haarmann haben hierfür praktische Begriffe geprägt: *Abstandsprache« für den Fall einer nicht überdachten Varietät, die vom jewei-
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,
1 1 1
ligen Referenzidiom hinreichend verschieden ist; und »Kulturdialekt« ftir den Fall eines Idioms, das nach internen Kriterien Dialekt wäre, aber infolge eigenständigen Ausbaus den Status einer Sprache hat. Das vervollständigte Viererschema sieht demnach so aus:
rt
Abstand
ja
ja
nein
nein
Ausbau
ja
nein
ja
nein
Abstand-
Kultur-
Dialekt
sprache
dialekt
Sprache
Auch dies ist immer noch ein grobes Raster, in dem feinere Differenzierungen unberücksichtigt bleiben. Aber es hat den entscheidenden Vorteil, dass ausdrücklich die Trennung zwischen externen und internen Kriterien vollzogen wird, wodurch die Wissenschaft in die Lage versetzt wird, der politisch-ideologischen Instrumentalisierung linguistischer Begriffe einen Riegel vorzuschieben. In der Romania können wir für die Zwischenkategorien, bei denen Abstand und Ausbau nicht übereinstimmen, Folgendes sagen: Das Frankoprovenzalische ist eine typische Abstandsprache; wie oben ausgeführt, hat es nie einen einheitlichen, eigenständigen Ausbau gekannt, obwohl sein Abstand sowohl vom Französischen als auch vorn Okzitanischen klar gegeben ist. Als Kulturdialekte können wir das Galicische, das Judenspanische und das Korsische klassifizieren. In all diesen Fällen kam es, aus ganz unterschiedlichen historischen Konstellationen heraus, zur Entwicklung einer eigenständigen Norm und zur Produktion eines separaten Schrifttums, obgleich all diese Idiome intern betrachtet Dialekte mit Bezug auf ihre Referenzsprachen Portugiesisch, Spanisch und Italienisch sind. Kommen wir zum Abschluss unserer imaginären Reise durch die Romania nochmals auf die am Anfang dieses Kapitels gestellte Frage zurück: Wie viele romanische Sprachen gibt es und welche sind es? Es dürfte deutlich geworden sein, dass es eine wissenschaftlich nach allen Seiten abgesicherte Antwort auf diese Fragen nicht gibt. Wir müssen aber eine praktische Lösung finden, die einem einführenden Buch wie diesem zugrunde gelegt werden kann. Dies geht nicht ohne Vereinfachungen, Auslassungen und manchmal auch nicht ohne willkürliche Entscheidungen. Im vollen Bewusstsein dieser Problematik lege ich fest, dass in dem vorliegenden Werk neun »Sprachen« behandelt werden sollen. Es sind dies: Portugiesisch, Spanisch, Katalanisch, Okzitanisch, Französisch, Rätoromanisch, Italienisch, Sardisch, Rumänisch. Die Einteilung der Romania in genau diese neun Sprachen hat eine lange Tradition, sie kann als be-
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währt gelten, auch wenn sie nicht allen Verästelungen innerhalb der Sprachfamilie gerecht wird. Nicht berücksichtigt wird in diesem Buch die dachlose Abstandsprache Frankoprovenzalisch. Das Rätoromanische wird als Einheit behandelt, ebenso das Italienische. Aromunisch, Megleno- und Istro-Rumänisch werden unter dem Dachbegriff »Rumänisch« behandelt, obgleich es gute Grande gibe, diese drei weit außerhalb von Rumänien gesprochenen Idiome als eigene Sprachen zu klassifizieren. Die Kulturdialekte Galicisch, Judenspanisch und Korsisch werden erwähnt, sie erscheinen aber hier nicht als eigenständige Sprachen. Gänzlich unberücksichtigt bleiben ausgestorbene Sprachen. Davon gibt es in der Romania zwei: das Mozarabische auf der Iberischen Halbinsel und das Dalmatische im heutigen Kroatien. Dazu gebe ich hier kurze Erläuterungen. Das Mozarabische war die autochthone romanische Sprache, die im Süden und Osten von Spanien in den Gebieten unter muslimischer Herrschaft gesprochen wurde. Es wies genügend Eigenständigkeit auf, um gegenüber dem Spanischen und den anderen iberoromanischen Sprachen als eigenständig klassifiziert zu werden. Das Mozarabische, das nur bruchstückhaft in Dokumenten aus dem u. und 12. Jahrhundert überliefert ist, starb nach der Eroberung der muslimischen Gebiete durch die Christen (1248) aus und ging im Spanischen bzw. Katalanischen und Portugiesischen auf und hat dort nur marginale Spuren hinterlassen. Das Dalmatische war der Nachfolger des an der kroatischen Adria-Küste autochthon gesprochenen Lateinischen. Zwei Dialekte sind bekannt: das Ragusanische, das bis Ende des is. Jahrhunderts in Dubrovnik gebräuchlich war, und das Vegliotische, gesprochen auf Krk nahe Istrien (italienisch Veglia). Weitere Varietäten gab es unter anderem in Split, Zadar, Kotor und anderen Orten an der dalmatischen Küste. Das Vegliotische kennen wir relativ gut, da es bis Ende des 19. Jahrhunderts gesprochen wurde und von den Pionieren der Romanistik noch direkt untersucht werden konnte. Es war eine Sprache des italo-romanischen Typus; der Abstand zum Italienischen war aber hinreichend groß, um es als eigene Sprache klassifizieren zu können. Der letzte Sprecher des Dalmatischen starb im Jahre 1898 in Krk. Diese Sprache wurde vollständig vom Kroatischen verdrängt (vgl. unten 9.). Noch ein weiterer Punkt muss vorab diskutiert werden: die Stellung der romanisch basierten Kreolsprachen. Aus den romanischen Sprachen Portugiesisch, Spanisch und Französisch haben sich im Zeitalter des Kolonialismus zahlreiche Kreolsprachen entwickelt, von denen manche ausgestorben sind, andere aber noch bis heute gesprochen werden und sogar offizielle oder zumindest kooffizielle Landessprachen geworden sind (so auf Haiti, den Kapverdischen Inseln
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und den Seychellen). Ober die genetische Klassifikation der Kreolsprachen wird kontrovers diskutiert: Gehören sie in die Familie ihrer europäischen Gebersprachen oder zu den Familien der afrikanischen Sprachen, welche ihre Struktur tief beeinflusst haben? Oder bilden sie eine eigene Klasse? All diese Lösungen sind unbefriedigend. Im ersten Fall müsste man die Liste der germanischen Sprachen beispielsweise um das Jamaikanische, das Srnanan oder das Beach-la-Mar erweitern, die Liste der romanischen Sprachen um das Gouadeloupéen, das Principensische oder das Papia Kristang. Angesichts des strukturellen Abstands der Kreolsprachen von den entsprechenden europäischen Idiomen und angesichts der Ähnlichkeiten, die sie untereinander aufweisen, bleibt dies problematisch. Andererseits wire es faktisch unmöglich, die Kreolsprachen einer bestimmten westafrikanischen Sprachfamilie zuzuordnen; dafür sind die Einflüsse aus dieser linguistisch äußerst differenzierten Weltregion zu vielfiltig und zu diffus. Außerdem bliebe bei einer solchen Klassifikation unberücksichtigt, dass der Kernwortschatz der Kreolsprachen eben gerade nicht westafrikanischen Ursprungs ist, sondern aus dem Englischen, Französischen oder Portugiesischen stammt. So behelfen sich die meisten genealogischen Sprachenkataloge2 damit, ihnen am Ende eine eigene Gruppe zuzuordnen, sozusagen den Korb ftir »varia et curiosa«. Das ist aus praktischen Gründen akzeptabel; eine Notlösung bleibt es aber allemal. Ich persönlich tendiere eher dazu, die Kreolsprachen ihrer jeweiligen Ursprungsfamilie zuzuordnen und so beispielsweise die romanischen Sprachen um eine Gruppe »Kreol-Romanisch« zu erweitern. Wir hätten dann einen Stammbaum in drei Etagen: als ältestes »Stockwerk« das antike Italisch mit dem Lateinischen und seinen Nachbaridiomen; sodann die romanischen Sprachen im engeren Sinn, also Französisch, Spanisch, Italienisch usw.; und schließlich als (bisher) letztes Stockwerk das Kreol-Romanische, wo dann vom Louisiana-Französischen bis zum Macao-Portugiesischen alles seinen Platz finde. Im vorliegenden Werk werden die romanisch basierten Kreolsprachen nicht im Einzelnen dargestellt, dies würde ein eigenes Buch erfordern; wohl aber werden sie im Rahmen ihrer jeweiligen Ursprungsidiome Portugiesisch, Spanisch und Französisch aufgezählt und in einem Anhang summarisch klassifiziert.
3. Die 16 Kriterien
Für jede der soeben abgegrenzten und aufgezählten neun romanischen Sprachen wird ein Fragenkatalog mit 16 Punkten abgearbeitet. Zunächst erfolgen jeweils eine kurze Präsentation sowie ein Abriss der essentiellen Daten zur externen Sprachgeschichte. Sodann folgen die nachstehend näher erläuterten 16 Einzelpunkte, wobei die aktuellen Gegebenheiten im Vordergrund stehen — dieses Buch will eine synchrone Momentaufnahme liefern, keine sprachhistorische Präsentation, woran kein Mangel herrscht. Dennoch ist es oft unerlässlich, zum besseren Verständnis der Zusammenhänge historische Rückblenden einzuftigen. Die hier gewählten 16 Punkte sind weder erschöpfend noch sonst in irgendeiner Form kanonisch. Man könnte selbstverständlich sehr viel mehr Punkte anführen oder manche Punkte durch andere ersetzen. Mir scheint jedoch, aus langer Erfahrung mit Sprachen weltweit, dass genau diese Merkmale für die romanische Sprachfamilie in besonderem Maße aussagekräftig sind. Die Merkmale werden nicht einfach schematisch aufgezählt, sondern im Detail kommentiert. Am Ende liefern die Antworten auf 9 x 16 = 144 Fragen das Material für einen Vergleich der romanischen Sprachen in Bezug auf ihre externen Merkmale und in Bezug auf ihren internen grammatischen Bau, wobei auch Sprachen und Sprachfamilien außerhalb der Romania zum Vergleich herangezogen werden. Am Anfang stehen drei Punkte zur externen Charakterisierung.
3.1 Externe Merkmale
Hier werden, nach neuestem Stand, alle Linder aufgeführt, in denen die Sprache vorkommt. Dabei bleibt die Emigration, beispielsweise von Gastarbeitern, weitgehend außer Betracht, da hierfür verlässliche und weltumspannende Daten kaum zu erhalten sind. Autochthone Präsenz in einem Land wird jedoch immer erwähnt, auch wenn sie marginal erscheint. Basis sind die 192 Linder der Vereinten Nationen; dazu kommen besondere Territorien, wie etwa die französischen »Territoires d'Outre-Mer«. 1. Verbreitung.
2. Sprecherzahl. Jeder
Der wichtigste und aktuellste dieser Sprachenkataloge ist »Ethnologue“ (www.ethnologue.com).
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weiß, wie schwierig, ja unmöglich es ist, die Sprecher einer Sprache verlässlich zu zählen. Dies hat vielfiltige Gründe: Fehlen oder Unzuverlässigkeit von Volkszählungen in einem Land; fehlende Angaben zur Sprache in Volkszählungen; Unwilligkeit der Menschen, ihre Muttersprache anzugeben; Schwierigkeit der Definition von Muttersprache; unterschiedliche Grade der Sprachbeherrschung; mangelnde Aktualität der verfügbaren Daten;
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und den Seychellen). Ober die genetische Klassifikation der Kreolsprachen wird kontrovers diskutiert: Gehören sie in die Familie ihrer europäischen Gebersprachen oder zu den Familien der afrikanischen Sprachen, welche ihre Struktur tief beeinflusst haben? Oder bilden sie eine eigene Klasse? All diese Lösungen sind unbefriedigend. Im ersten Fall müsste man die Liste der germanischen Sprachen beispielsweise um das Jamaikanische, das Srnanan oder das Beach-la-Mar erweitern, die Liste der romanischen Sprachen um das Gouadeloupéen, das Principensische oder das Papia Kristang. Angesichts des strukturellen Abstands der Kreolsprachen von den entsprechenden europäischen Idiomen und angesichts der Ähnlichkeiten, die sie untereinander aufweisen, bleibt dies problematisch. Andererseits wäre es faktisch unmöglich, die Kreolsprachen einer bestimmten westafrikanischen Sprachfamilie zuzuordnen; daftir sind die Einflüsse aus dieser linguistisch äußerst differenzierten Weltregion zu vielfiltig und zu diffus. Außerdem bliebe bei einer solchen Klassifikation unberücksichtigt, dass der Kernwortschatz der Kreolsprachen eben gerade nicht westafrikanischen Ursprungs ist, sondern aus dem Englischen, Französischen oder Portugiesischen stammt. So behelfen sich die meisten genealogischen Sprachenkataloge damit, ihnen am Ende eine eigene Gruppe zuzuordnen, sozusagen den Korb für «varia et curiosa«. Das ist aus praktischen Gründen akzeptabel; eine Notlösung bleibt es aber allemal. Ich persönlich tendiere eher dazu, die Kreolsprachen ihrer jeweiligen Ursprungsfamilie zuzuordnen und so beispielsweise die romanischen Sprachen um eine Gruppe »Kreol-Romanisch« zu erweitern. Wir hätten dann einen Stammbaum in drei Etagen: als ältestes »Stockwerk« das antike Italisch mit dem Lateinischen und seinen Nachbaridiomen; sodann die romanischen Sprachen im engeren Sinn, also Französisch, Spanisch, Italienisch usw.; und schließlich als (bisher) letztes Stockwerk das Kreol-Romanische, wo dann vom Louisiana-Französischen bis zum Macao-Portugiesischen alles seinen Platz finde. Im vorliegenden Werk werden die romanisch basierten Kreolsprachen nicht im Einzelnen dargestellt, dies würde ein eigenes Buch erfordern; wohl aber werden sie im Rahmen ihrer jeweiligen Ursprungsidiome Portugiesisch, Spanisch und Französisch aufgezählt und in einem Anhang summarisch klassifiziert.
3. Die 16 Kriterien
Für jede der soeben abgegrenzten und aufgezählten neun romanischen Sprachen wird ein Fragenkatalog mit 16 Punkten abgearbeitet. Zunächst erfolgen jeweils eine kurze Präsentation sowie ein Abriss der essentiellen Daten zur externen Sprachgeschichte. Sodann folgen die nachstehend näher erläuterten 16 Einzelpunkte, wobei die aktuellen Gegebenheiten im Vordergrund stehen — dieses Buch will eine synchrone Momentaufnahme liefern, keine sprachhistorische Präsentation, woran kein Mangel herrscht. Dennoch ist es oft unerlässlich, zum besseren Verständnis der Zusammenhänge historische Rückblenden einzufügen. Die hier gewählten 16 Punkte sind weder erschöpfend noch sonst in irgendeiner Form kanonisch. Man könnte selbstverständlich sehr viel mehr Punkte anftihren oder manche Punkte durch andere ersetzen. Mir scheint jedoch, aus langer Erfahrung mit Sprachen weltweit, dass genau diese Merkmale für die romanische Sprachfamilie in besonderem Maße aussagekräftig sind. Die Merkmale werden nicht einfach schematisch aufgezählt, sondern im Detail kommentiert. Am Ende liefern die Antworten auf 9 x 16 = 144 Fragen das Material rtir einen Vergleich der romanischen Sprachen in Bezug auf ihre externen Merkmale und in Bezug auf ihren internen grammatischen Bau, wobei auch Sprachen und Sprachfamilien außerhalb der Romania zum Vergleich herangezogen werden. Am Anfang stehen drei Punkte zur externen Charakterisierung.
3.1
Externe Merkmale
1. Verbreitung. Hier werden, nach neuestem Stand, alle Länder aufgeführt, in denen die Sprache vorkommt. Dabei bleibt die Emigration, beispielsweise von Gastarbeitern, weitgehend außer Betracht, da hierfür verlässliche und weltumspannende Daten kaum zu erhalten sind. Autochthone Präsenz in einem Land wird jedoch immer erwähnt, auch wenn sie marginal erscheint. Basis sind die 192 Länder der Vereinten Nationen; dazu kommen besondere Territorien, wie etwa die französischen «Territoires d'Outre-Mero. jeder weiß, wie schwierig, ja unmöglich es ist, die Sprecher einer Sprache verlässlich zu zählen. Dies hat vielfältige Grande: Fehlen oder Unzuverlässigkeit von Volkszählungen in einem Land; fehlende Angaben zur Sprache in Volkszählungen; Unwilligkeit der Menschen, ihre Muttersprache anzugeben; Schwierigkeit der Definition von Muttersprache; unterschiedliche Grade der Sprachbeherrschung; mangelnde Aktualität der verfügbaren Daten;
2. Sprecherzahl.
Der wichtigste und aktuellste dieser Sprachenkataloge ist »Ethnologue“ (www.ethnologue.com).
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und vieles andere mehr. Um zwei weit auseinanderliegende, und gerade darum vielleicht überraschende Beispiele zu nennen: In Belgien ist es bei Strafe verboten, bei Volkszählungen nach der Sprache (Französisch, Flämisch oder Deutsch) zu fragen; in Bolivien werden extrem genaue — vielleicht trügerisch genaue — Angaben über die Beherrschung nicht nur der Erst-, sondern auch diverser Zweit- und Drittsprachen erhoben (vor allem indianischer Sprachen wie Quechua und Aymara). Vermutlich wissen wir trotzdem genauer über die sprachliche Zusammensetzung von Belgien Bescheid als über die von Bolivien! Insgesamt sind Sprachstatistiken immer mit Vorsicht zu genießen, das ist jedem Kenner der Materie klar. Mit all diesen Vorbehalten und Einschränkungen bleibt trotzdem zu hoffen, dass die hier vorgelegten Zahlen ein relativ getreues Spiegelbild der Realität liefern. Die Zahlen werden nicht einfach nur präsentiert, sondern nach Möglichkeit kommentiert; sie werden auch vergleichend miteinander und mit den Zahlen weiterer Sprachen in Beziehung gesetzt. Zur Erlangung uniformer Ergebnisse war es wichtig, die Zahlen einheitlich aus einer primären Quelle zu schöpfen, was die Berücksichtigung weiterer Quellen nicht ausschließt. Meine wichtigste Quelle war das Jahrbuch der Encyclopedia Britannica (Britannica Book of the Year) von 2007, das die Daten von 2006 enthält. Seit Langem führe ich anhand dieses international renommiertesten und zuverlässigsten Almanachs der laufenden Weltereignisse eine Statistik über die großen Sprachen der Welt und kann so auch Trends und Entwicklungen über die letzten to— is Jahre aufzeigen. Die hier vorgelegten Zahlen sind aufjeden Fall eigenständig aus dieser primären Quelle kompiliert, nicht aus sekundären, oft dubiosen Zusammenstellungen übernommen. Sie mögen die Wirklichkeit nicht vollständig erfassen, aber es wird der Anspruch erhoben, dass sie zuverlässiger sind als das Meiste, was man in gängigen Nachschlagewerken zu diesem Thema findet. Zusätzlich zu den Angaben über Muttersprachler werden bei den größeren Sprachen auch die Einwohnerzahlen der Länder angegeben, in denen sie offizielle Geltung haben. Daraus ergeben sich zwei Zahlen, eine der Primärsprecher und eine der Menschen im Geltungsbereich. Vor allem in Afrika, aber auch in anderen Ländern gibt es viele Menschen, welche die offizielle Sprache ihres Landes nur rudimentär oder überhaupt nicht beherrschen; dennoch sind sie dem Geltungsbereich dieser Sprache zugeordnet. 3. Status. Hier werden drei mögliche Kategorien unterschieden: offiziell / ko-
offiziell / minoritär. Eine Sprache kann in einem Land offiziellen Status haben; sie kann gesetzlich als (mehr oder weniger) gleichberechtigt mit der Nationalsprache anerkannt sein; oder sie kann autochthone Sprecher haben, ohne einen juristisch anerkannten Status zu haben. Es genügt nicht, dies einfach nur zu
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konstatieren, vielmehr muss es jeweils im Einzelnen erläutert werden, wobei die Angaben bei den großen, international verbreiteten Sprachen nicht bis ins Detail vollständig sein können — dies würde den gesteckten Rahmen bei Weitem sprengen. Manchmal ergeben sich überraschende Zusammenhänge, zum Beispiel wenn deutlich wird, dass das Okzitanische, das geographisch das ganze südliche Drittel von Frankreich einnimmt, in Italien und Spanien einen besseren Status genießt als in Frankreich selbst, obwohl es in diesen beiden Ländern nur winzige Minderheiten bildet. Die Angaben hierzu sind Momentaufnahmen, in denen die sich rasch verändernde sprachliche Weltsituation von heute punktgenau festgehalten ist.
3.2 Interne Merkmale
Es folgen die internen Beschreibungskriterien. Zunächst werden phonetische Merkmale behandelt. Ausgewählt wurden solche Kriterien, die mir besonders markant und aussagekräftig erscheinen (wobei man sich über so etwas wie »Aussagekraft« natürlich immer streiten kann). Zwei Punkte betreffen die Vokale, zwei Punkte die Konsonanten und einer zwischen den beiden die suprasegmentale Phonetik, nämlich den Akzenttypus. Die Beschreibung dieser Merkmale erfolgt im Hinblick auf die Sprachtypologie: Die Erforschung sprachlicher Universalien und deren je unterschiedlicher typologischer Ausprägung bildet den Hintergrund aller Darstellung von einzelsprachlichen Merkmalen.
Lautsystem
4. Vokalsystem. Unter diesem Punkt werden nur die Oralvokale behandelt; die
Nasalvokale folgen unter Ziffer 5. Dabei geht es nicht einfach nur um die Aufzählung der in einer Sprache vorhandenen Vokalphoneme, es wird vielmehr auch nach der typologischen Einordnung und deren Hintergrund gefragt. Gemäß den Ergebnissen der typologischen Forschung lassen sich unmarkierte Basisvokale und markierte Vokale unterscheiden. Das Vokaldreieck — oder, selten relevant, das Vokaltrapez — ist physiologisch durch den Bau unserer Artikulationsorgane vorgegeben. Die Zunge bewegt sich, einfach gesprochen, in zwei Dimensionen, von oben nach unten (Öffnungsgrad) und von vorne nach hinten (Vorderzungen- und Hinterzungenast). Dementsprechend gibt es drei bzw. vier Kardinalpunkte: den maximal geschlossenen Vorderzungenvokal Iii; den maximal geschlossenen Hinterzungenvokal lui; den maximal geöffneten Vokal
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/a/ 3. Als sekundäres, begleitendes Element kommt die Rundung bzw. Nicht Rundung der Lippen hinzu. Außerdem gibt es zwischen dem Vorder- und dem Hinterzungenast einen Mittelzungenast, der in manchen Sprachen ebenfalls ausgeprägt ist. Vorderzungenvokale sind üblicherweise ungerundet, Hinterzungenvokale hingegen gerundet. Der umgekehrte Fall, also Rundung von Vorderzungenvokalen bzw. Ungerundetheit von Hinterzungenvokalen, ist selten; wir sagen, er ist »typologisch markiert«. Das bedeutet, dass er zwar vorkommt, aber in synchronischer Perspektive minoritär bleibt und in diachronischer Perspektive instabil ist. Synchrone Seltenheit und diachrone Instabilität sind zwei Seiten derselben Medaille — es ist, wie eingangs gesagt, das Standbild in Verhältnis zum Film: Das typologisch Markierte ist genau deswegen selten, weil es instabil ist und die Sprachen dazu tendieren, es zu eliminieren. Zur typologischen Markiertheit gehört auch, dass es keine Sprachen gibt, in denen die Vorderzungenvokale alle gerundet wären: /ii/ setzt /i/ voraus, aber nicht umgekehrt. Ein — vereinfachtes — Schema der Vokale, dargestellt als ein Trapez, das durch den Zusammenfall von [a] und [a] normalerweise als Dreieck darstellbar ist, soll diese Zusammenhänge auch dem linguistisch nicht vorgebildeten Leser verdeutlichen: u o
(m)
u
o o
a Vorderzungenast
Mittelzungenast
Hinterzungenast
In einem groß angelegten Forschungsprojekt der Stanford University über sprachliche Universalien (Crothers 1978) wurde anhand der Daten aus 209 Sprachen festgestellt, dass Systeme mit fünf Vokalen die relative Mehrheit bilden, das sind Systeme mit drei Öffnungsgraden, nämlich geschlossen/mittel/offen, und mit ungerundeten Vorderzungen- sowie gerundeten Hinterzungenvokalen — also /a/, /e/, /i/, /o/, /u/. Das Lateinische, das uns sein Alphabet vererbt hat (die Entwicklungslinie des Alphabets reicht von den Phöniziern über die Griechen und Etrusker bis nach Rom), besitzt genau diese fünf Vokale, für die wir im Alphabet einfache Buchstaben haben. Latein entspricht also dem typologischen
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Dabei wird nur selten — etwa im Französischen — zwischen einer Vorderzungen- und Hinterzungenrealisation des /a/ differenziert.
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ausgestorbene — nordwestkaukasische Ubychische hatte sogar lediglich zwei Vokalphoneme — dafür aber 79 Konsonanten, was in jeder Hinsicht Weltrekord war. Obernormal sind Systeme mit mehr Vokalen; das Französische mit seinen insgesamt 16 Vokalen bewegt sich am oberen Ende der Skala. Mögliche Quelle far übernormale Werte sind einerseits Vokale mit typologisch markierter Rundung, andererseits Mittelzungenvokale. Beides finden wir in der Romania. Gerundete Vorderzungenvokale — also /ii/ und /6/ — sind typisch für das Französische sowie beispielsweise für das Deutsche, die skandinavischen Sprachen, die Tiirksprachen, das Chinesische und einige andere Sprachen, die aber weltweit in der Minderzahl sind.' Die andere Quelle für übernormale Vokalsysteme ist der Mittelzungenast. Der neutrale Mittelzungenvokal wird oft »Schwa-Laut« genannt, nach dem entsprechenden Vokal des Hebräischen. Aus der französischen Grammatik ist er als »e instable / e muet / e caduc« bekannt. Seine konkrete phonetische Realisierung schwankt von Sprache zu Sprache und oft auch innerhalb einer einzigen Sprache: so wird das unbetonte /e/ in einem Wort wie habe im Bairischen palataler gesprochen als im Standard-Deutschen. In manchen Sprachen gibt es mehrere Mittelzungenvokale mit unterschiedlichen Öffnungsgraden; dazu gehört in der Romania das Portugiesische und, in einer anderen
(Klammer: gerundet)
3
Durchschnitt. Fast alle romanischen Sprachen4 haben mehr Vokale als ihre Ursprungssprache; dementsprechend hatten sie im Augenblick ihrer ersten Verschriftung Probleme bei deren graphischer Wiedergabe. Systeme mit fünf Vokalen bilden sozusagen die Achse der Normalität; es gibt übernormale und unternormale Systeme. Unternormal sind beispielsweise Sprachen mit vier (Nahuatl) oder gar nur drei Vokalphonemen (Arabisch, Quechua); das — inzwischen
Gesamtkonstellation, das Rumänische. Für jede Sprache wird als Antwort auf diesen Fragepunkt ein Schema mit drei Zahlen erstellt: zuerst die Zahl der typologisch unmarkierten Vokale, dann die Zahl der gerundeten Vorderzungenvokale und schließlich die Zahl der Mittelzungenvokale (vgl. Crothers 1978). Dies ergibt dann beispielsweise fill- das Spanische den Wert 5: 0:0, für das Französische 8:3:I, für das Rumänische
5 : 0 : 2. Schon aus diesen Zahlenwerten ergibt sich ein Bild, das dann im Text genauer ausgeführt wird. 5. Nasalvokale. Im soeben beschriebenen Fragepunkt werden nur Vokale ohne Nasalresonanz berücksichtigt, also Oralvokale. Wenn das Gaumensegel geöffnet
° Einzige Ausnahme ist das Spanische. Ungerundete Hinterzungenvokale sind noch seltener; sie kommen beispielsweise im Vietnamesischen vor; in der Romania sind sie unbekannt.
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wird, sodass zusätzlich zur Mundhöhle die Nasenhöhle mitschwingt, sprechen wir von Nasalvokalen. Nasalität bei Vokalen ist grundsätzlich typologisch markiert, das heißt, sie ist im Sinne des oben Gesagten synchronisch minoritär und diachronisch instabil; es gibt keine Sprache, die nur Nasalvokale enthielte, und die Zahl der Nasalvokale in einer Sprache ist der Zahl der Oralvokale höchstens gleich, nie überlegen — meist liegt sie darunter (Hajek, in WALS 2008, ch. to.). Phonologische Nasalität kommt in der Romania nur im Französischen und im Portugiesischen vor; in mehreren romanischen Sprachen lässt sich aber nachweisen, dass es früher Nasalität gegeben hat, die im Verlauf der Entwicklung eliminiert wurde. Entnasalisierung ist ein natürlicher Vorgang, der aus der Mar-. kiertheit von Nasalität unmittelbar folgt. 6. Akzentsystem.
In den meisten romanischen Sprachen (Ausnahme: Französisch) ist der Wortakzent bedeutungsunterscheidend. Im Lateinischen konnte der Akzent auf verschiedene Silben im Wort fallen, aber er war vorhersagbar, denn er hing von der Quantität ab: War die vorletzte Silbe lang, fiel der Akzent auf diese Silbe; war sie kurz, fiel er auf die drittletzte Silbe. Da die Platzierung des Akzents mechanisch geregelt war, konnte man damit keine Wörter unterscheiden. Im spätantiken Latein kam es zum Zusammenbruch des Quantitätensystems; lange und kurze Vokale wurden nicht mehr differenziert. Der Akzent jedoch blieb dort, wo er einmal gewesen war. Die mechanische Quelle seiner Positionierung war weggefallen, der Platz war daher nicht mehr automatisch vorgegeben. Somit war der Weg frei, den Akzent zur Bedeutungsunterscheidung zu nutzen. Infolge weiterer innerromanischer Entwicklungen kam es zur Herausbildung weiterer Akzentplätze. Die Skala reicht vom Rumänischen mit seinen mindestens ftinf Akzentplätzen bis hin zum Französischen, das die Endbetonung vollständig verallgemeinert hat und so wieder einen einheitlichen Akzent besitzt, der nicht mehr zur Bedeutungsdifferenzierung eingesetzt werden kann. Dazwischen liegen alle Zwischenstufen, von vier Akzentplätzen im Italienischen über drei im Spanischen und Portugiesischen sowie marginal im Katalanischen und Rätoromanischen, bis zu zwei im Okzitanischen; man kann dieses Merkmal also far die Erstellung einer chronologisch-typologischen Reihung nutzen. Für die Klanggestalt der einzelnen romanischen Sprachen ist es von zentraler Bedeutung. 7. Geminierung.
Der Begriff ist seit den antiken Grammatikern üblich, wörtlich bedeutet er »Verdoppelung« (eigentlich »Verzwillingung«). Tatsächlich geht es nicht um Verdoppelung, sondern um Längung von Konsonanten. Die Bezeichnung rührt daher, dass gelangte Konsonanten im Lateinischen durch die Ver-
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doppelung der betreffenden Buchstaben ausgedrückt wurden. Im Lateinischen konnten beliebige Konsonanten überall im Wort gelängt werden, die konsonantische Quantität war bedeutungsunterscheidend. In den romanischen Sprachen ist die Quantität der Konsonanten ebenso verschwunden wie diejenige der Vokale, allerdings mit dem Unterschied, dass dieses Verschwinden nicht vollständig war: Zum einen lebt die quantitative Differenzierung im Sardischen und Italienischen fort, wenn auch unter anderen Bedingungen und in anderen Kontexten als im Lateinischen; zum anderen finden sich auch in anderen romanischen Sprachen, vom Portugiesischen bis zum Französischen, Ansätze zur Weiterentwicklung der konsonantischen Quantität. Auch dieses Kriterium ist wichtig fir die Lautgestalt der einzelnen romanischen Sprachen. Bei der Behandlung der westromanischen Sprachen wird dem Schicksal des /r/ in diesem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Hierbei beschränken wir uns auf die Palatalisierung der velaren Verschlusslaute, also die Entwicklungen von lateinischem /k/ und /g/ vor /e/ und /i/, teilweise auch vor /a/. Der Konsonant /k/ wird sehr variabel realisiert, je nachdem, welcher Vokal folgt. Jeder Leser kann sich selbst davon überzeugen, wenn er die Bewegung seiner eigenen Zunge bei der Artikulation der deutschen Wörter Kuh und Kiel beobachtet; /k/ wird vor /i/ viel »palataler«, also viel weiter vorne am Gaumen (lat. palatum) artikuliert als vor /u/. Trotzdem
8. Palatalisierung.
nehmen wir diesen Unterschied normalerweise nicht wahr, weil diese unterschiedlichen Laute mental demselben Phonem als kleinster bedeutungsunterscheidender Einheit zugeordnet werden: Es ist nicht möglich, Wörter mit den unterschiedlichen Artikulationen von /k/ zu differenzieren. Ebenso war auch im Lateinischen die Aussprache von /k/ vor /i/ wesentlich palataler als in anderen Kontexten, denn die Römer hatten keine anderen Artikulationsorgane als wir heutigen Menschen. Anfangs wurde der Unterschied nicht beachtet, nicht einmal wahrgenommen; allmählich aber wuchs der Abstand zwischen den beiden Realisierungen, die Artikulation verschob sich immer weiter nach vorne, bis schließlich zwei Einheiten entstanden, die sich auch im Bewusstsein der Sprecher unterschieden. Man nennt diesen Prozess »Phonologisierung«: Aus unterschiedlichen Lauten, die einem einzigen Phonem zugeordnet werden, entstehen zwei differenzierte Phoneme. Das palatalisierte /k/, einmal in Bewegung nach vorne, ist in den romanischen Sprachen unterschiedlich weit vorgerückt. Im Norden Sardiniens ist /k/ erhalten geblieben. Die konservativste Stufe des Wandels ist die präpalatale Affrikate /ti/ (wie /tsch/ in deutsch), die wir im SOden Sardiniens, im Italienischen und Rumänischen — sowie im ausgestorbenen Mozarabischen — vorfinden. Die nächste Stufe ist die alveolare Affrikate Its!
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(wie /z/ in Zahl), sie ist erreicht im Französischen und Portugiesischen, wo sie
sich zu einfachem /s/ weiterentwickelt hat. Schließlich kommt es zur Entwicklung eines interdentalen /0/ (wie /th/ im englischen Thatcher), so im Spanischen und in norditalienischen Mundarten. Die Zunge ist vom Gaumensegel bis zwischen die Zähne gewandert — weiter nach vorne kann sie sich nicht schieben, damit ist der Endpunkt erreicht! Auch dieses Merkmal erlaubt die Aufstellung einer chronologisch-typologischen Reihe. Palatalisierungsphänomene sind sehr häufig in den Sprachen der Welt. Auch unterschiedliches Entwicklungstempo und Entwicklungstiefe kann man in vielen Sprachfamilien beobachten.
Morphosyntax
Schließlich folgen acht ausgewählte Fragepunkte zur Morphosyntax, vier zum Nominalsystem, zwei zum Verbalsystem und zwei zu den Pronomina (wobei man einen dieser beiden Punkte auch dem Verbalsystem zuordnen kann). Viele grundlegende Merkmale sind allen romanischen Sprachen gemeinsam; sie sind also nicht fur eine interne Klassifikation geeignet. So haben praktisch alle ro-
mentalrelation aus? 9. Kasus. Das lateinische Kasussystem entstammt der indogermanischen Ursprache. Gegenüber dem ursprünglichen System, wie es noch im altindischen Sanskrit oder im heutigen Litauisch weitestgehend erhalten blieb, sind bereits im Lateinischen Vereinfachungen zu beobachten; aus drei Numeri wurden zwei (der Dual wurde eliminiert, es blieben nur noch Singular und Plural), aus acht Kasus fünf. Die Endungen und Deklinationsklassen blieben aber noch großenteils bewahrt. Beim Übergang vom Lateinischen zum Romanischen fand ein tiefgreifender Umbau des Nominalsystems statt; nur an zwei Stellen blieb
manischen Sprachen Objektklitika (was das ist, wird weiter unten erläutert), Subjektklitika aber nur einige wenige; daher wird hier nur das Kriterium der Subjektklitika behandelt, nicht das der Objektklitika. In alien romanischen Sprachen wird die Steigerungsform des Adjektivs durch ein vorangestelltes Wort ausgedrückt, das »mehr« bedeutet; der einzige Unterschied liegt darin, ob es, wie das spanische más, auf lateinisch magis oder aber, wie das italienische pit), auf lateinisch plus zurückgeht. Dieser Unterschied ist nicht ohne Relevanz, aber
überhaupt etwas von den lateinischen Kasus übrig, und auch dort wurden sie umstrukturiert. Im Altfranzösischen und Altokzitanischen einerseits, im Rumänischen andererseits hat sich ein System von zwei Kasus entwickelt, allerdings in ganz unterschiedlicher Weise. Während im Rumänischen der eine Kasus für den Nominativ und Akkusativ steht, der andere für den Genitiv und Dativ, wird im älteren Gallo-Romanischen differenziert zwischen einem Kasus fur den Nominativ und einem zweiten für den ganzen . Rest, einschließlich Akkusativ.
doch weniger bedeutsam als andere Kriterien, sodass hier darauf— und auf vieles
Die strukturellen Probleme und Lösungen, die aus diesen beiden Grundkonstellationen erwachsen, sind jeweils ganz unterschiedlich. Außer in Frankreich und Rumänien finden sich Spuren des alten Kasussystems noch in bestimmten Dialekten des Rätoromanischen. Die totale Reduktion des Kasussystems liegt auf der Linie vieler, aber bei Weitem nicht aller Familien innerhalb des indogermanischen Sprachstamms; diese Vereinfachung ist ein natürlicher »Pfad« des
Andere — verzichtet wurde. Die Reihe von Beispielen lässt sich fortsetzen. So habe ich mich entschlossen, auf die Einbeziehung des Demonstrativpronomens zu verzichten; dieses System ist in manchen Sprachen zweigliedrig (so im Französischen, wo ce -ci und ce differenziert wird), in anderen dreigliedrig (wie im Spanischen este / ese / aquel). Beim Verbum wurden nur die Tempora der Vergangenheit, nicht diejenigen der Zukunft berücksichtigt. Auch diese Kriterien sind von Interesse, aber sie wurden weggelassen, da hier nicht die ganze Breite der grammatischen Phänomene zur Sprache kommen kann. Die ersten beiden berücksichtigten Kriterien betreffen den Ausdruck dessen, was ich »Fundamentalrelation« nenne, also die Markierung der primären Funktionen im Satz: Subjekt und Objekt. Wie können diese beiden grundlegenden syntaktischen Funktionen auseinandergehalten werden? Jede Sprache muss Mittel zur Verfügung stellen, mithilfe derer unterschieden werden kann, wer wen
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schlägt / liebt / beleidigt / um Verzeihung bittet und so weiter. In den romanischen Sprachen wird hierfür vielfach die Wortstellung in Anspruch genommen: Wenn ein nominales Satzglied vor dem Verb steht, ist es wahrscheinlich eher Subjekt, wenn es nachfolgt, wohl eher Objekt. Diese Regel hat allerdings in allen romanischen Sprachen zahlreiche Ausnahmen.6 Es muss also noch andere Methoden zur Differenzierung von Täter- und Opferrolle geben. Im Lateinischen gab es ein gut funktionierendes Kasussystem; dieses wurde jedoch großenteils abgebaut. Wie also drücken die romanischen Sprachen die Funda-
Einleitung
Sprachwandels, es besteht aber keine Notwendigkeit, dass er beschritten wird: In den germanischen Sprachen (Ausnahme: Isländisch) wurde das Kasussystem ebenfalls reduziert, während die slavischen Sprachen (Ausnahme: BulgarischMazedonisch) die Fülle der indogermanischen Kasus fast unvermindert beibehalten haben. 6 Auf die Wortstellungsproblematik kann hier auch nicht ansatzweise eingegangen werden, das würde den Rahmen bei Weitem sprengen.
Einleitung
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10. Differentielle Objektmarkierung (DOM). Nach dem weitgehenden Abbau des Kasussystems hat sich in weiten Teilen der Romania eine neues System zur Differenzierung von Subjekt und Objekt herausgebildet: die präpositionale Markierung solcher Objekte, die von ihrer Semantik her eher zur Subjektfunktion tendieren. Es geht dabei um die Markierung von belebten / menschlichen / persönlichen oder auch einfach nur definiten Objekten mithilfe der Präposition des Dativs a (im Rumänischen mit der Präposition pe). Da hierbei nur manche Akkusativobjekte markiert werden, andere aber nicht, habe ich für diese Erscheinung den Terminus DOM geprägt: Die Markierung ist differenObjekte werden differenziert nach bestimmten semantischen Kriterien, die auf der universalen Belebtheitsskala einerseits, der Definitheit andererseits beruhen. Im Spanischen muss es heißen: veo a Juan eich sehe Hans«, denn der Eigenname Juan ist belebt, menschlich und automatisch definit; hingegen heißt es veo una casa »ich sehe ein Haus«, denn »ein Haus« ist unbelebt und indefinit. DOM ist in den Sprachen der Welt sehr weit verbreitet. Sie kann verschiedene Formen und semantische Ausprägungen annehmen, immer gleich bleibt jedoch das Grundprinzip: Objekte, die höher in der Belebtheitsskala stehen bzw. definit sind, werden markiert, niedriger stehende bzw. indefinite Objekte bleiben unmarkiert. Ich nenne die Dimension der Belebtheit (englisch animacy hierarchy) »Inhärenzskala«, weil es dabei um inhärente semantische Merkmale geht: Juan ist inhärent [+menschlich], casa inhärent [-belebt]. Die Definitheit lässt sich beschreiben als »Referenzskala«, denn es geht um im jeweiligen Kontext wechselnde Referenz: Je nach Kontext setzt der Sprecher den bestimmten, unbestimmten oder gar keinen Artikel la / una / 0 casa. DOM in der Romania wurde traditionell unter dem oberflächlich beschreibenden Etikett »präpositionaler Akkusativ« abgehandelt. Der Begriff »Differentielle Objektmarkierung« zielt auf die zugrunde liegende Basisstruktur, nämlich die Differentialität. Nur mithilfe eines solchen allgemeinen Begriffs wird sichtbar, dass die romanische DOM die partikulare Ausprägung einer weltweit verbreiteten Gesetzlichkeit ist, welche die verschiedensten Formen annehmen kann; die Markierung muss nicht mit einer Präposition, sie kann auch mittels Kasusmorphemen oder verbalen Konjugationsmorphemen erfolgen. Stets aber weist die Markierung bestimmte Basiseigenschaften auf. Dies ist ein klassisches Beispiel für die Überlegenheit des typologischen Ansatzes: Der Vergleich mit vielen Sprachen weltweit ermöglicht ein vertieftes Verständnis und damit eine wirkliche Erklärung einzelsprachlicher Phänomene, die bei Beschränkung auf eine einzige Sprachfamilie isoliert erscheinen und für die man dort nichts weiter als eine Beschreibung liefern kann.
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Es folgen zwei Kriterien zur internen Determination des Nomens: bestimmter Artikel und Partitiv. In beiden Fällen handelt es sich um Systeme, die im Lateinischen unbekannt waren und sich in der Romania neu gebildet haben. 11.Artikel. Das Lateinische kannte keinen Artikel. Im Verlauf des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung hat sich ein System von bestimmten und unbestimmten Artikeln herausgebildet, das seine Wurzeln im Sprechlatein der Spätantike hat und sich in alien romanischen Sprachen findet. Hier geht es um den definiten Artikel und seine Form, gemäß zwei Kriterien: Form und Position; zusätzlich wird der Gebrauch des Artikels in der Possessivkonstruktion summarisch behandelt. Der definite Artikel der romanischen Sprachen ist aus einem Demonstrativpronomen entstanden, was universalen Tendenzen entspricht: Der Artikel ist oft eine abgeschwächte und grammatikalisierte Form der Pronomina »dieser« oder «jener«. Im Deutschen können wir dies noch nachvollziehen: der Mánn enthält den Artikel, dir Mann hingegen das ursprünglich dem Artikel zugrunde liegende Demonstrativpronomen; ein und dasselbe Wort kann je nach Betonung zwei Funktionen haben, der Zusammenhang zwischen Demonstrativum und Artikel ist noch nicht abgerissen. Im Romanischen ist dies anders, Artikel und Demonstrativa haben sich auseinanderentwickelt und sind heute völlig unabhängig voneinander. Im Spätlatein standen zwei Demonstrativa in Konkurrenz miteinander: ipse und ille, wobei ipse anfangs eher häufiger war. In den romanischen Sprachen hat sich jedoch ille auf breiter Front durchgesetzt; Abkömmlinge von ipse finden sich nur noch auf den Inseln und an den Kasten des westlichen Mittelmeers. Entsprechend der Wortstellungsfreiheit des Lateinischen konnte das Demonstrativum voran- oder nachgestellt werden. In der Romania dominiert die Voranstellung des Artikels, mit der bemerkenswerten Ausnahme des Rumänischen. Form und Stellung des Artikels sind ein morphologisches Merkmal ohne syntaktische Implikationen; dies ist charakteristisch fir das Erscheinungsbild der jeweiligen Sprache, daher wurde es hier in die Kriterienliste mit aufgenommen. Zusätzlich ist das syntaktische Merkmal des Artikels beim Possessivum von Interesse; so stimmen beispielsweise Portugiesisch, Italienisch und Rumänisch durch den Artikelgebrauch in diesem Kontext überein und unterscheiden sich vom Spanischen und Französischen. Man vergleiche die Ausdrücke für »mein Freund« in den genannten Sprachen: o meu amigo / il mio amico / prietenul meu steht gegen mi amigo / mon ami. 12.Partitiv. Hierbei geht es um das, was man landläufig als «Teilungsartikel« bezeichnet. Dieses Phänomen ist jedem Leser aus dem Französischen bekannt: Unbestimmte Mengen werden mithilfe einer Verbindung der Präposition de und
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dem bestimmten Artikel ausgedrückt (du pain, des pommes). Die Verbreitung des Teilungsartikels in der Romania ist im Großen und Ganzen komplementär zur Verbreitung der Differentiellen Objektmarkierung, was zu der These geführt hat, die beiden Erscheinungen seien alternative Lösungen desselben Problems: Der präpositionale Akkusativ markiert Objekte mit prototypischen Subjekteigenschaften, der Teilungsartikel hingegen Objekte mit prototypischen Objekteigenschaften. Diese These (vertreten von Körner) hat wohl einiges für sich, auch wenn sie nicht für jeden Teilbereich der Romania exakt anwendbar ist. Jedenfalls ist das Vorhandensein oder Fehlen des Partitivs ein wichtiges typologisches Kriterium zur Kennzeichnung der einzelnen romanischen Sprachen. Von besonderem Interesse ist die Tatsache, dass man im Zentrum der Romania ein Kontinuum beobachten kann, das von einer rudimentären Präsenz des Partitivs, wie im Katalanischen, über verschiedene Zwischenstufen in den okzitanischen Dialekten, bis hin zu seiner vollen Ausprägung im Französischen führt. Auch im Italienischen ist der Partitiv präsent, er fehlt jedoch in den Randgebieten. Es folgen zwei Kriterien, die sich beide auf die Bildung der Vergangenheitsformen des Verbums beziehen; hier hat es gegenüber dem Lateinischen sowohl formal als auch funktional tiefgreifende Veränderungen gegeben, durch welche sich die einzelnen romanischen Sprachen voneinander unterscheiden. 13. Präteritum. In den Tempora der Vergangenheit spielt nicht nur der zeitliche Bezug eine Rolle, sondern auch der Aspekt; eine Handlung kann als vollendet, unvollendet, punktuell usw. angesehen werden, was sich in den morphologischen Kategorien des Verbums niederschlägt. Man hat in der typologischen Forschung den Begriff *Gram« geprägt; ein Gram ist das kleinste Bedeutungsmerkmal, welches ein Grammem konstituiert, so wie in der Phonologie ein Phonem aus Phonen (kleinsten lautlichen Merkmalen) konstituiert wird. Nehmen wir ein Beispiel zur Verdeutlichung: das Phonem /b/ enthält die Phone [okklusiv] & [bilabial] & [stimmhaft] und unterscheidet sich dadurch beispielsweise von /p/, das auch ein mit beiden Lippen gebildeter Verschlusslaut ist, aber das Merkmal [stimmlos] aufweist. Entsprechend kann man sagen, dass das verbale Paradigma des französischen Imperfekts (je chant-ais / tu chant-ais / il chant-ait / nous chanti-ons usw.) ein Grammem darstellt, das als Verbindung der Grams [Präteritum] & [imperfektiv] beschrieben werden kann; das Paradigma des passé simple (je chant-ai! tu chant-as! il chant-a! nous chant-âmes usw.) ist hingegen als Grammem beschreibbar, das aus der Verbindung der Grams [Präteritum] & [Aorist] besteht. Man kann das System der primären Vergangenheitstempora der romanischen Sprachen mithilfe von wenigen Grams beschreiben: Das Gram [praet] ist all
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diesen Tempora gemeinsam, damit unterscheiden sie sich von der Gegenwart und Zukunft; untereinander unterscheiden sie sich durch die Grams [impf], [perf], [aor] sowie [plus] fur das Plusquamperfekt. Imperfekt und Plusquamperfekt sind in der Romania kategorial stabil geblieben. Variabel sind die Verhältnisse hingegen im Bereich [impf] und [pert]; da es hier unterschiedliche Terminologien gibt, stelle ich im Folgenden die Bezeichnungen in den geläufigsten romanischen Nationalsprachen zusammen: tam)
[pert]
passé compose
Italienisch
passé simple e passato rimoto
Spanisch
pretérito indefinido
pretérito perfecto compuesto
Französisch
passato prossimo
Da allen Lesern das Französische vertraut sein dürfte, benutze ich hier die Abkürzungen PS für die aoristischen, PC für die perfektivischen Tempora der romanischen Einzelsprachen. Das PS ist aus dem Lateinischen ererbt, das PC hingegen ist eine Neuerung der romanischen Sprachen. Schon im klassischen Latein gab es Wendungen wie litteras scriptas habeo »ich habe den Brief geschrieben«, belegt bei Cicero (10643 v. Chr.), wobei habeo hier noch den konkreten Sinn des »Habens« aufweist: Ich habe den Brief fertig geschrieben und halte ihn jetzt in der Hand. Im Laufe der Jahrhunderte verblasste die ursprüngliche Bedeutung, es entwickelte sich ein zusammengesetztes Perfekt mit rein temporal-aspektueller Bedeutung; so schreibt Gregor von Tours (538-594) Ober den Besuch bei einem Kollegen: episcopum visitatum habeo »ich habe den Bischof besucht«; hier kann natürlich keine Rede mehr davon sein, dass er seinen Kollegen konkret in den Händen hilt, so wie Cicero seinen Brief? Damit ist ein Vorgang abgeschlossen, den wir Linguisten als »Grammatikalisierung« bezeichnen: Eine ursprünglich konkrete Wendung wird morphologisch regularisiert und standardisiert, ihre konkrete Bedeutung verblasst (englisch nennt man das semantic bleaching, ein »Ausbleichen« der Bedeutung). Wie schon gesagt: Das PC findet sich in allen romanischen Sprachen, weil es bereits im Spätlatein entwickelt wurde und daher allen späteren Sprachformen gemeinsam ist. Die weitere Entwicklung der Vergangenheitstempora verlief dann aber in den Einzelsprachen unterschiedlich. Die wichtigste Tendenz ist die Verdrängung des PS durch das PC, wie wir sie beispielsweise im gesprochenen Französisch der Gegenwart, aber auch im Rätoromanischen, Sardischen und Rumänischen beobachten. Daneben gibt es Sonderentwicklungen, etwa im Katalanischen und in süditalienischen Dialekten.
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All diese Phänomene werden im Hauptteil dieses Buches im Einzelnen dargestellt und am Ende zusammenfassend diskutiert. 14. Auxiliarien. Auch dieses Kriterium hat mit der spezifisch romanischen Neuentwicklung des zusammengesetzten Perfekts (PC) zu tun. Die gemeinsame spätlateinisch-frühromanische Basis kennt zwei Hilfsverben für die Bildung des PC: esse »sein« und habere *haben«. Wie im Deutschen werden in diesem System die meisten intransitiven Verben mit dem Auxiliar sein konjugiert (ich bin gegangen), während alle transitiven Verben das Auxiliar haben verwenden (ich habe den Stein gewodin). In einigen romanischen Sprachen hat sich dieses System bis heute erhalten, so im Italienischen und Französischen, während andere Sprachen das Auxiliar *haben« verallgemeinert haben, beispielsweise Spanisch und Rumänisch. Im Portugiesischen wird statt des Abkömmlings von lateinisch habere das aus lateinisch tenere entstandene Auxiliar ter benutzt. Mit der Verallgemeinerung des Auxiliars hängt auch die Frage der Veränderlichkeit des Partizips zusammen: Bei vollständiger Generalisierung von habere pflegt das Partizip unveränderlich zu werden; so sagte im Altspanischen eine Frauengruppe somos idas, während sie heute sagen muss hemos ido »wir sind gegangen«. Diese Problematik ist im Einzelnen sehr komplex; im Französischen sind die schwierigen Regeln für den *accord du participe« berüchtigt, und im Italienischen finden wir eine verwirrende Vielfalt von Normen nebeneinander. 15. Subjektklitika. Klitika sind, dem Wortsinn nach, Elemente, die sich an etwas
»anlehnen«; der Terminus ist vom griechischen klinein *sich neigen« abgeleitet. Was sich hier »neigt« bzw. *anlehnt«, sind Pronomina. Ursprünglich freie und autonome Pronominalformen verlieren ihren Akzent und damit ihre Eigenständigkeit, indem sie sich phonetisch an etwas anderes anlehnen, sich mit ihm verbinden, und auf diese Weise sozusagen nicht mehr *auf eigenen Füßen stehen« können. Diesen Vorgang nennt man »Klitisierung«; auch dies ist eine Form von Grammatikalisierung. Wie ich andernorts im Detail gezeigt habe, ist Klitisierung ein graduelles Phänomen, das sich über Jahrhunderte, sogar Jahrtausende erstrecken kann: Von der völligen Autonomie des Pronomens bis zur völligen Verschmelzung mit dem Element, an das es sich angelehnt hat, wird eine ganze Reihe von Zwischenstufen durchlaufen. Die Entwicklung kann aufjeder dieser Stufen zum Stillstand kommen, sie muss nicht bis zum Endpunkt gelangen. In den romanischen Sprachen hat sich eine mittlere Stufe verfestigt. Die Pronomina haben sich konkret an das Verbum *angelehnt«, haben ihre Akzentuierbarkeit und ihre syntaktische Autonomie verloren, sie sind jedoch mit dem Verb noch nicht unauflösbar verschmolzen (von sporadischen Einzelformen etwa im ge-
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sprochenen Französisch abgesehen). Hierbei muss man unterscheiden zwischen Objektklitika und Subjektklitika, also zwischen klitischen Pronomina in Objekt- bzw. Subjektfunktion. Objektklitika finden sich in allen romanischen Sprachen, dieses Kriterium eignet sich also nicht für eine interne Klassifikation, es ist vielmehr ein Merkmal der romanischen Sprachfamilie insgesamt. Subjektklitika hingegen sind auf eine zusammenhängende Zone im Zentrum der Romania beschränkt; sie finden sich im Französischen und im Gallo-Italienischen, daneben partiell-dialektal auch im Rätoromanischen sowie in einem bestimmten Kontext im Korsischen. Überall sonst in der Romania sind sie unbekannt. Sie sind übrigens auch in den romanischen Kreolsprachen weit verbreitet, was hier aber nicht berücksichtigt werden kann. Als Beispiel für Objektklitika kann Folgendes dienen: In einem Satz wie spanisch lo veo a él *ich sehe IHN« finden wir zwei verschiedene, aus derselben lateinischen Form ilium abgeleitete Wörter: lo und él. Das erste hat einen Klitisierungsprozess durchlaufen, das zweite nicht: lo ist immer unbetont, es kann niemals alleine stehen, él hingegen ist betont und autonom; als Antwort auf die Frage quién has visto? *Wen hast du gesehen?« kann man nur antworten A él »Ihn« nicht aber *Lo. Die Verbindung zwischen diesen beiden Abkömmlingen der lateinischen Pronominalform ist abgerissen, sie gehören ganz unterschiedlichen grammatischen Kategorien an. Auch im Deutschen finden wir Klitisierung: neben ihn habe ich gesehen kann man auch ich hab'n gesehn sagen. Im Unterschied zum Romanischen ist aber die Verbindung zwischen autonomem ihn und klitisiertem 'n im Deutschen niemals abgerissen, man kann sich frei zwischen den beiden Formen bewegen und es gibt auch phonetische Zwischenstufen, von der Kürzung und Abschwächung des Vokals bis zu seinem völligen Verschwinden. Das Nebeneinander von klitisiertem und autonomem Pronomen besteht im Deutschen seit über einem Jahrtausend, es ist seit Beginn der schriftlichen Überlieferung nachweisbar; das Abreißen der Verbindung zwischen autonomen Ursprungsformen und ihren klitisierten Abkömmlingen, wie wir es in der Romania beobachten, ist also keine Notwendigkeit. Klitisierungsprozesse sind in den Sprachen der Welt nahezu universal; es dürfte schwer sein, Sprachen zu finden, in denen es keinerlei Form von phonetischer »Anlehnung« und funktionalem Autonomieverlust bestimmter Wörter gäbe. Insofern ist auch diese für die romanischen Sprachen so charakteristische Erscheinung kein isoliertes Einzelphänomen, sondern partikulare Ausprägung einer universalen Gesetzmäßigkeit. 16. Anredeformen. Damit kommen wir in einen Bereich, wo Sprach- und Sozialgeschichte ineinandergreifen. Die Formen der Anrede stehen in unauflös-
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licher Wechselwirkung mit dem sozialen Geftige, dem Werden und Vergehen gesellschaftlicher Klassen und der Werte, die in einem gegebenen historischen Moment Geltung haben. Ursprünglich sind Differenzierungen der Anrede nach Höflichkeit unbekannt: Im Indogermanischen gab es nur ein »du«, und so war es auch noch im klassischen Latein. In der Spätantike bildeten sich besondere Anredeformen ftir den Kaiser heraus. Man benutzte der Plural »Ihr« als Ausdruck der Ehrerbietung. Ob dieser pluralis maiestatis etwas damit zu tun hatte, dass nach der Teilung des Römischen Reiches im Jahre 395 immer auch der oströmische Kaiser von Byzanz mitgemeint war, wenn man sich an den Kaiser in Rom wandte, sei dahingestellt, es ist jedenfalls ein möglicher Faktor bei der Herausbildung des Plurals als Indiz von Höflichkeit. Im mittelalterlichen Feudalstaat war diese Form in der ganzen Romania und darüber hinaus gebräuchlich: Wenn sich ein Vasall oder Untertan an seinen Feudalherren wandte, musste er ihn mit »Ihr« anreden. In der Renaissance mit ihrem raschen Wandel gesellschaftlicher Normen und Werte entwickelten sich auch die Anredeformen weiter. Während in einigen Ländern, etwa in Frankreich, das mittelalterliche System fortlebte, bildeten sich anderswo neue Anredekonventionen heraus. Typologisch kann man Systeme mit zwei oder mehr Höflichkeitsstufen unterscheiden; letztere sind — in ganz unterschiedlicher Form — im äußersten Westen und äußersten Osten ausgeprägt, im Portugiesischen und Rumänischen, darüber hinaus auch in Sprachen, die stark von fremden Einflüssen geprägt waren, wie Sardisch. In der übrigen Romania herrschen zweistufige Systeme vor. Die Höflichkeit wird auf unterschiedliche Art ausgedrückt, meist mit einem Pronomen der dritten Person, das auf ein Substantiv zurückgeht, welches »Gnade / Herrschaft / Ehre« oder dergleichen bedeutet. Man kann die Anredeformen in zweierlei Hinsicht charakterisieren: strukturell-typologisch nach ihrer Form, was zu einer eindeutigen und objektiven Klassifikation fart; und nach ihrem konkreten Gebrauch in einem bestimmten historischen Moment, was nur mithilfe von Eindrücken und Beobachtungen möglich ist, denen stets etwas Subjektives anhaftet. Form und Gebrauch sind strikt zu trennen. In der Form haben sich Sozialstrukturen vergangener Epochen verfestigt, diese wirken also auch dann noch fort, wenn sich die Normen längst gewandelt haben; der konkrete Gebrauch hingegen passt sich unmittelbar den sozialen Verhältnissen an. Um ein Beispiel zu nennen: Die spanische Höflichkeitsform usted hat sich im PS. Jahrhundert in einer Zeit sozialer Umbrüche gebildet, in ihr lebt etymologisch die feudale Anrede »Euer Gnaden« bis heute fort, ohne dass sich die Sprecher dessen bewusst wären. Der Gebrauch indessen folgt dem Zeitgeist: Während der spanischen »movida«, des Aufbruchs nach Jahrzehnten franquistischer Erstarrung, wurde das Duzen in einem Maße ver-
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allgemeinert, wie dies in keiner früheren Periode jemals denkbar gewesen wäre. Solche Beobachtungen zu Form und Gebrauch in der gesamten Romania zu vergleichen, ist ein äußerst lohnendes Unterfangen, bietet es doch vertiefte Einblicke in die Sozial- und Kulturgeschichte. Mit Fragestellungen wie dieser eröffnen sich der Vergleichenden Romanischen Sprachwissenschaft neue Perspektiven, bei denen der Zusammenhang von Sprachstrukturen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Mittelpunkt steht.
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Portugiesisch
Präsentation und externe Sprachgeschichte Das Portugiesische ist eine der großen Weltsprachen. Nach dem Spanischen ist es die romanische Sprache mit der größten Sprecherzahl. Unter den Sprachen europäischer Herkunft steht es an dritter, weltweit an siebter Stelle. Es ist nicht nur in Europa und Lateinamerika vertreten, sondern auch in Afrika und — wenngleich marginal — in Asien. In den deutschsprachigen Ländern steht es im Schatten des Französischen und Spanischen. Mit seinen über zoo Millionen Sprechern hätte es weitaus stärkere Berücksichtigung in den schulischen und universitären Curricula und allgemein eine höhere öffentliche Aufmerksamkeit verdient. Portugiesisch ist das Ausdrucksmittel einer reichen Literatur. In Portugal selbst ist unumstritten Luis de Camões (1524-1580) der nationale Klassiker, einer der großen Dichter der Menschheit, Schöpfer der Lusiaden, dem Seefahrerepos Europas, in dem die noch morgenfrische Entdeckung neuer Welten jenseits des Horizonts unmittelbar ihren Ausdruck fand. In neuerer Zeit haben sich ausdifferenzierte Literaturen nicht nur in Brasilien, sondern auch in den lusophonen Ländern Afrikas entfaltet. Wie die anderen romanischen Sprachen ist das Portugiesische aus dem Lateinischen entstanden, das die römischen Eroberer und Kolonisatoren ins Land gebracht haben. Die Iberische Halbinsel fiel als Folge des 2. Punischen Krieges (218-202 v. Chr.) an die Römer. Der Westen der Halbinsel wurde später romanisiert als die Mittelmeerküste. Das Lateinische verdrängte in dem Gebiet des späteren Portugal keltische Idiome sowie nicht-indogermanische Sprachen wie das »Lusitanische« ganz im Südwesten, der heutigen Algarve. Von dieser Sprache kennen wir den Namen aus den Berichten antiker Historiker und Geographen, es wurden auch Inschriften in einer Variante des iberischen Alphabets gefunden, die wir gut lesen können, aber ein Durchbruch zum Verständnis dieser Sprache ist bislang nicht gelungen. In der Völkerwanderungszeit war der Nordwesten der Iberischen Halbinsel in der Hand der germanischen Sueben — zumindest etymologisch mit unseren »Schwaben« verwandt —, die ein relativ dauerhaftes Reich errichten konnten, ehe sie von den Westgoten überwunden wurden. Die arabisch-islamische Eroberung der Halbinsel erfasste auch das gesamte Gebiet des späteren Portugal; nur
Portugiesisch
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Galicien wurde nie von den Arabern erobert — es war zu abgelegen und infolge seines feuchten Klimas für die Wüstensöhne nicht attraktiv. In diesem äußersten Nordwesten, dem finis terrae, dem »Ende der Welt«, wo »das Land endet und das Meer beginnt«, entstand ein Wallfahrtsort, der eine Art christliches Gegenstück zum muslimischen Mekka bilden sollte: Santiago de Compostela. Die Wanderung in diese entlegene Weltgegend wurde eine Attraktion für Pilger aus ganz Europa. Längs des Pilgerweges quer durch Nordspanien schossen die Herbergen und Tavernen wie Pilze aus dem Boden. In jüngster Zeit wurde dieser Pilgerweg von geistlichen und weltlichen Sinnsuchern aus aller Welt wiederentdeckt. Im Mittelalter wurde Santiago mit seinem Schutzpatron, dem Apostel Jakob, der auch den Beinamen matamoros »Maurentöter« trägt, zum Bollwerk gegen den Islam auf der lberischen Halbinsel, ein Symbol, das man dem scheinbar unaufhaltsamen Vordringen dieser Religion entgegensetzte. Von hier aus wurde die christliche Wiedereroberung (Reconquista) organisiert, die Portugal bereits 1248 vollständig abgeschlossen hatte. Das Portugiesische hat sich früh als eigenständige Sprache konstituiert, und zwar mehr infolge politischer Entwicklungen als infolge sprachlicher Faktoren. Sein Abstand zum Spanischen ist geringer als derjenige des Katalanischen, das staatlich zu Spanien gehört; vom rein linguistischen Standpunkt aus wire es nicht unangebracht, Spanisch und Portugiesisch als die zwei Hauptvarietäten eines zentro-west-iberoromanischen Diasystems zu klassifizieren und diesem Diasystem das Katalanische als eigenständiges System mit größerem Abstand entgegenzustellen. Vom historisch-politischen Standpunkt aus ist es allerdings so, dass die Grenze zwischen Portugal und Spanien die älteste und stabilste in ganz Europa ist; die Trennung wurde sehr früh vollzogen und über all die Jahrhunderte hinweg, abgesehen von der kurzen dynastischen Union zwischen den beiden Reichen (1580-1640), konsequent beibehalten. Das Portugiesische erscheint so als eine der am festesten gefügten sprachlichen Entitäten in der Romania, mit klar gezogenen individuellen Konturen. Die Wiege des Portugiesischen liegt im äußersten Nordwesten der Iberischen Halbinsel, in der zu Spanien gehörigen Region Galicien und in den nördlichen Provinzen von Portugal. Die dort im Mittelalter gesprochene und literarisch kultivierte Sprache nennt man Galicisch-Portugiesisch (galego-português). In Nachahmung der provenzalischen Troubadours hat sich dort im 12. und 13. Jahrhundert eine Dichtersprache herausgebildet, die überall, auch in Kastilien, als Ausdrucksmittel der Lyrik gepflegt wurde; der kastilische König Alfons X., genannt el Sabio »der Weise« (regierte 1252-1284), schrieb seine berühmten Marienlieder in galicischer Sprache. In dieser Zeit war noch keine sprachliche Differenzierung zwischen Galicisch und Portugiesisch erkennbar.
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Portugiesisch
Die politische Trennung zwischen Galicien und Portugal geht auf die Reconquista zurück, sie hat ihre Ursache im mittelalterlichen Feudalsystem. 1085 eroberte eine christliche Allianz von Rittern aus ganz Europa unter kastilischer Führung Toledo, die alte Hauptstadt des Westgotenreiches, von den Arabern zurück. Dabei taten sich zwei burgundische Edelleute hervor, Raimund und Heinrich. Zum Lohn belehnte König Alfons VI. diese beiden mit den Gebieten nördlich und südlich des Minho. Damit wurde dieser Fluss zu einer politischen Grenze: Während das nördlich gelegene Galicien bei der Krone von Kastilien verblieb und so zu einem integralen Bestandteil von Spanien wurde, entwickelte sich das südlich gelegene Gebiet zwischen dem Minho und dem Mondego zur Keimzelle des unabhängigen Königreiches Portugal. 1140 erkannte Kastilien die portugiesische Unabhängigkeit definitiv an. Seitdem ist die Grenze stabil geblieben. Nach dem Ende der Blütezeit der galicisch-portugiesischen TroubadourLyrik begannen sich die Schicksale der Sprachen nördlich und südlich des Minho auseinanderzuentwickeln. Während das Galicische zu einem unbedeutenden, bald nur noch mündlich gebrauchten Dialekt am Rande des expandierenden spanischen Weltreiches herabsank, wurde das Portugiesische zum Träger eines eigenständigen Weltreiches, das sich mit Spanien die Herrschaft über die Welt aufteilen konnte. Der literarische Gebrauch des Galicischen hörte vollständig auf, es wurde nicht einmal mehr im Alltag schriftlich gebraucht. Von den Portugiesen wurde es seit dem frühen 16. Jahrhundert als bäuerlich-rückständige Sprachform verachtet und in Komödien lächerlich gemacht. Erst im 19. Jahrhundert begann man sich wieder für das Galicische zu interessieren; eine von der Romantik geprägte, von den parallelen Strömungen in Südfrankreich und in Katalonien beeinflusste Bewegung zur literarischen Wiederbelebung der Sprache setzte ein, das sogenannte rexurdimento (»Auferstehung«), mit der großen Dichterin Rosalia de Castro (1837-1885) als Galionsfigur. Die ersten Ansätze zur Offizialisierung des Galicischen während der spanischen Republik wurden durch den Bürgerkrieg brutal unterbrochen. Nach dem Ende der jahrzehntelangen Diktatur von Francisco Franco (einem Galicier!) im Jahre 1975 reklamierten die minoritären Sprachen Spaniens ihre Rechte. Galicien schloss sich den Forderungen der Basken und Katalanen an, und so kam es 1981 zu der Anerkennung des Galicischen als kooffizieller Sprache. Heute genießt es weitgehende Rechte im öffentlichen Leben; mündlich war es ohnehin vital geblieben, vor allem im ländlichen Bereich. Mit der Kooffizialisierung wurde eine Schriftsprache mit eigener Norm entwickelt, die sich nach intensiven Auseinandersetzungen heute auf breiter Front durchgesetzt hat (s. u. 1.3). So bildet das Galicische heute eine eigenständige Varietät des portugiesischen Diasystems, die naturgemäß stark
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durch den jahrhundertelangen intensiven Kontakt mit dem Spanischen geprägt ist und sich entsprechend weit vom Portugiesischen entfernt hat. Man kann es als einen Kulturdialekt des Portugiesischen klassifizieren. Ganz anders verlief die Entwicklung des Schwesterdialekts Portugiesisch. Die Zentralregion zwischen Coimbra und Lissabon wurde zur Wiege der portugiesischen Nationalsprache. Die Dialekte des Nordens, die dem Galicischen nahestehen und den Übergang zwischen diesem und dem portugiesischen Standard herstellen, verloren an Bedeutung. Das Schwergewicht der Nation verschob sich definitiv nach Süden. Um 1250 war das Reich nach außen und innen gefestigt. Zweieinhalb Jahrhunderte früher als im benachbarten Spanien war die christliche Rückeroberung der muslimisch beherrschten Gebiete mit der Besetzung der Algarve vollendet. Lissabon wurde definitiv zur Hauptstadt von Portugal, rund 300 Jahre früher als Madrid in Spanien. Die Standardsprache erhielt ein südliches Gepräge, auf der Basis der mozarabischen Dialekte der rückeroberten Gebiete. Damit unterscheidet sich das Standard-Portugiesische vom StandardSpanischen, das seine Ausprägung unter dem Einfluss der nördlichen Dialekte von Alt-Kastilien gefunden hat. Die Portugiesen waren die Pioniere des Entdeckungszeitalters. Sie erkundeten als erste die Wege über die Ozeane. Um 1420 gründete Prinz Heinrich der Seefahrer eine nautische Akademie, an der die besten Astronomen und Mathematiker der Zeit zusammenkamen; damit legte er die wissenschaftliche und praktische Grundlage für das Befahren der Weltmeere. Die Portugiesen erkundeten den Atlantik (1419 Madeira, 1427 Azoren, 1444 Kapverdische Inseln), die afrikanische Küste (1482 Kongo-Mündung, 1488 Kap der Guten Hoffnung) und eröffneten so den ersehnten Seeweg nach Indien (15 io Goa), Südostasien (1511 Malacca, 1557 Timor), China (1557 Macau) und Japan (1543 Tanegashima). Nur zwei Jahre nach der Entdeckung des Columbus hatten Portugal und Spanien die Welt unter sich aufgeteilt: Der Vertrag von Tordesillas (1494) legte als Grenze zwischen den beiden Reichen eine imaginäre Linie 370 Seemeilen westlich der Kapverdischen Inseln fest; damit gelangten nicht nur ganz Afrika und Asien, sondern auch die Ostspitze von Südamerika an Portugal, die Keimzelle von Brasilien, wo die Portugiesen im Jahre 1500 Fuß fassten. Mit den portugiesischen Entdeckern, Eroberern, Kaufleuten und Missionaren breitete sich auch die portugiesische Sprache aus. Sie wurde zur internationalen Verkehrssprache an den Kasten von Afrika, Indien und Südostasien. Im Umgang mit den einheimischen Völkern sowie mit den auf die Plantagen deportierten Sklaven entstanden Kreolsprachen, die nicht nur für das Portugiesische selbst bedeutsam waren, sondern auch als Modell flit. die Herausbildung weiterer Kreols auf englischer, holländischer und französischer Basis dienten.
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Portugiesisch
Die Portugiesen hatten es nicht nur mit prähistorischen Völkern ohne Schriftkultur zu tun, sie sahen sich auch mit den hochentwickelten Zivilisationen Asiens mit ihrer jahrtausendelang dokumentierten Geschichte konfrontiert. Missionare, meist Jesuiten, strebten danach, die einheimischen Sprachen zu erlernen, um den christlichen Glauben zu verkünden. Sie publizierten Grammatiken, Wörterbücher und Übersetzungen des Katechismus. So entstand eine blühende Missionarslinguistik, die erste großangelegte Erforschung »exotischer« Sprachen in der Menschheitsgeschichte. Jesuitische Missionare beschrieben als erste die großen Kultursprachen Asiens. 1554 erschien in Lissabon ein zweisprachiger Katechismus im südindischen Tamil und Portugiesisch. Die erste Grammatik des Japanischen ist portugiesisch geschrieben; unter dem Titel Arte da Lingoa doJapão wurde sie 1604 in Nagasaki von dem Jesuiten Joao de Rodrigues publiziert, der den japanischen Beinamen Tfuzu »Dolmetscher» trug. Dieses Werk genießt bis heute in Japan höchstes Ansehen; es wurde mehrfach neu ediert und ins moderne Japanisch übersetzt. Am anderen Ende der Welt bemühten sich die Missionare um die erstmalige Beschreibung von bis dahin unerschlossenen, schriftlosen Sprachen völlig fremder Bauart. Der auf den spanischen Kanaren geborene, aber in Portugal erzogene und portugiesisch schreibende Jesuit José de Anchieta publizierte 1595 in Coimbra die erste Grammatik des Tupi, das an den Kasten Brasiliens als Verkehrssprache fungierte. So diente die weltweite Expansion der Portugiesen einerseits der Verbreitung der portugiesischen Sprache, andererseits aber auch der erstmaligen Erfassung zahlreicher nicht-europäischer Sprachen. In Brasilien sprach man bis Mitte des 18. Jahrhunderts überwiegend das indianische Tupi, auch unter Weißen und Mischlingen; in weiten Teilen des Landes herrschte eine ähnliche Diglossie-Situation, wie wir sie heute noch in Paraguay zwischen Spanisch und dem mit dem Tupi eng verwandten Guarani beobachten können. Erst der aufklärerisch gesonnene Marquês de Pombal, der 1759 den Jesuitenorden verbot und die Jesuiten aus alien Ländern der portugiesischen Krone auswies, setzte per Dekret den Gebrauch des Portugiesischen auf breiter Front durch. 1807 emigrierte der gesamte portugiesische Hofstaat auf der Flucht vor der napoleonischen Invasion nach Rio de Janeiro, wo er 14 Jahre lang blieb; dies hat deutliche Spuren in der Sprache der brasilianischen Kapitale hinterlassen; die Aussprache von Rio hat bis heute ein europäisches Gepräge bewahrt. Nach Erlangung der politischen Unabhängigkeit (1822) entbrannte Mitte des 19. Jahrhunderts ein Streit über die sprachliche Eigenständigkeit Brasiliens. Obwohl sich das amerikanische Portugiesisch tiefgreifend vom europäischen unterscheidet, nicht nur phonetisch, sondern auch in einigen Aspekten der Grammatik, schrieb man bis dahin ausschließlich nach der prestigeträchtigen Norm von Lissabon. Gegen das sprachliche Übergewicht der ehemaligen Kolonial-
Portugiesisch
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macht begehrten einige Autoren auf, allen voran José de Alencar, der mit seinem Roman Iracema (1865) ein Fanal fiir die Eigenständigkeit der *brasilianischen Sprache* setzte und damit eine heftige Polemik entfachte; spätere Generationen, etwa Mário de Andrade, Autor des Romans Macunatma, propagierten explizit die »brasilidade*, also die Anerkennung des Brasilianischen als eigenständiger Literatursprache. Die Entwicklung einer selbständigen und einheitlichen Norm rtir Brasilien war ein langwieriger und komplexer Prozess, der bis heute nicht abgeschlossen ist. Es ist instruktiv, das Verhältnis der beiden Hauptvarietäten des Portugiesischen mit denen des Englischen zu vergleichen. Wie beim Britischen und Amerikanischen bestehen auch zwischen europäischem und brasilianischem Portugiesisch tiefgreifende Unterschiede. In beiden Fällen haben sich zwei gleichwertige orthographische Normen herausgebildet, die sich vor allem bei der Schreibweise von Kultismen charakteristisch unterscheiden (engl. labour — labor, port. acção ação). Hier wie dort stehen sich eine demographisch wie wirtschaftlich dominante amerikanische Norm und eine traditionelle, aber prestigereiche europäische Norm gegenüber, wobei mit den modernen Massenmedien die amerikanische Variante immer mehr Gewicht erhält — den US-amerikanischen soap operas korrespondieren die brasilianischen telenovelas mit ihrem Einfluss auf die Sprachgewohnheiten auch im Mutterland. Im Unterschied zum Englischen hat man allerdings in der lusophonen Welt das Ideal einer vereinheitlichten Orthographie niemals ganz aufgegeben. Nach vielen Anläufen und Vorarbeiten kam es 1990 zum Abschluss einer »orthographischen Vereinbarung* (Acordo Ortográfico), mit dem Ziel eines einheitlichen Standards für alle portugiesischsprachigen Linder. Die Normen für eine Einheitssprache liegen seither fest; wegen der allgemein bekannten Trägheit von Orthographiereformen, wegen des Widerstandes einflussreicher Kräfte, vor allem in Portugal, und wegen diverser juristischer Hemmnisse ist diese Vereinbarung jedoch noch nicht offiziell in Kraft getreten. Es bleibt abzuwarten, ob die von Vielen ungeduldig erwartete offizielle Einführung dieser Einheitsnorm die Stellung des Portugiesischen in der Welt stärken wird. In Amerika hat sich Brasilien, die ftinftgrößte Nation der Erde, zum bedeutendsten lusophonen Land der Welt entwickelt. Aber auch in Afrika nimmt das Portugiesische eine bedeutende Stellung ein. Prekär ist seine Lage in Asien. Das portugiesische Kolonialreich ist in einem langen, schmerzlichen Prozess untergegangen. 1961 wurden Goa sowie Diu & Damão von Indien annektiert; 1975 wurden die afrikanischen »Überseeprovinzen« nach langen blutigen Kriegen in die Unabhängigkeit entlassen; im selben Jahr marschierte Indonesien in Timor ein. Bei der Wahl der Staatssprache optierten die neuen afrikanischen Nationen
•
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I
Portugiesisch
für das Portugiesische. Hierbei müssen zwei ganz verschiedene Konstellationen unterschieden werden. Auf den Kapverdischen Inseln, in Guinea-Bissau sowie in São Tomé & Principe werden portugiesisch basierte Kreols gesprochen, die Einführung des Portugiesischen als Landessprache zementierte also lediglich die bereits existierende Diglossie zwischen der Standardsprache und den daraus entwickelten Kreol-Idiomen. Anders war die Situation in den beiden volkreichen Staaten Angola und Mosambik. Dort herrschte, wie überall in Afrika, eine enorme sprachliche Vielfalt. In dieser Situation hatte die Sprache der ehemaligen Kolonialmacht einerseits den Vorteil, gleichsam neutral zu sein, denn keines der zahlreichen einheimischen Idiome wurde gegenüber den anderen begünstigt. Andererseits wurde mit der Offizialisierung des Portugiesischen die koloniale Situation verewigt, in der die große Mehrheit der Bevölkerung dadurch vom nationalen Leben ausgeschlossen war, dass sie der Landessprache nicht mächtig war. Bis heute beherrscht in den genannten beiden Ländern nur ein kleiner Teil der Bevölkerung die Staatssprache, in der die für alle gültigen Gesetze erlassen und Gerichtsverhandlungen geführt werden. Nur die städtischen, gut ausgebildeten Eliten sprechen die Landessprache, allerdings, dies muss man hinzuftigen, mit in letzter Zeit stark wachsender Tendenz. In dieser Hinsicht gleicht die Situation der lusophonen derjenigen der frankophonen und anglophonen Linder in Afrika. Das lusophone Afrika hat sich in einem Dachverband mit dem Akronym PALOP organisiert (Paises Africanos de Lingua Oficial Portuguesa). Einheitliches Auftreten und koordinierte Fördermaßnahmen haben das Gewicht des Portugiesischen in diesem Teil der Welt deutlich gestärkt. In Indien endete der offizielle Gebrauch des Portugiesischen, als die Kolonien von der Indischen Union übernommen wurden. Seither dominieren das einheimische Konkani sowie die internationale Verkehrssprache Englisch; das Portugiesische genießt aber noch ein gewisses kulturelles Prestige. An verschiedenen Orten der südindischen Kasten sowie in Sri Lanka werden vereinzelt noch portugiesische Kreols gesprochen. In Malaysia ist das Papia Kristang »Christensprache« heute noch bei etwa 3.000 Menschen in der Fischersiedlung Kampung Portugis am südöstlichen Rand der Stadt Malacca im Alltagsleben im Gebrauch und wird an die junge Generation weitergegeben. Die Malaio-Portugiesen oder, wie sie sich selbst sehen, die »Luso-Malaien« sind in Malaysia rechtlich den »orang asli*, den Stämmen der Urbevölkerung, gleichgesetzt, im Gegensatz zu den im 19. Jahrhundert eingewanderten Indern und Chinesen — alle sind irgendwie Einwanderer, es kommt nur darauf an, wer früher da war! Auch in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur sowie in Singapur gibt es noch einige hundert Sprecher des Papia Kristang. Das mit dieser Sprache eng verwandte Kreol von Macau, Patua Macaense genannt (von franz. patois), ist heute vorn Aussterben
Portugiesisch
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bedroht; in der 1997 an China zurückgegebenen Wirtschaftlichen Sonderzone Macau herrscht das Kantonesische absolut vor, Englisch dient als internationale Verkehrssprache. Das Patua wird von Vereinen und Theatergruppen gepflegt, aber der reale Gebrauch geht immer mehr zurück. Auch das Standard-Portugiesische ist auf dem Rückzug. Zwar ist die Beschilderung von Straßen und Geschäften in Macau durchweg zweisprachig chinesisch-portugiesisch, aber im täglichen Leben spielt das Portugiesische kaum mehr eine Rolle. Immerhin gibt es noch ein Gymnasium, eine Universität, mehrere Periodika sowie TV-Sender in portugiesischer Sprache. Einen besonderen Erfolg konnte das Portugiesische in Timor Leste feiern, wenngleich vor dem Hintergrund blutiger Konflikte und Auseinandersetzungen. Seit 1975 kämpfte die Insel gegen die indonesische Zentralregierung; 1999 beschloss das Volk von Ost-Timor in einem UNO-Referendum die Abspaltung von Indonesien, 2002 erlangte es die volle Unabhängigkeit. Nach heftigen Auseinandersetzungen wurde das Portugiesische zur Nationalsprache erhoben. Daneben ist die meistgesprochene einheimische Sprache, das austronesische Tetum, kooffiziell; bei der Interpretation von Gesetzen gilt im Zweifelsfall aber der portugiesische Wortlaut als maßgeblich. So hat sich dieser jüngste der von der UNO anerkannten souveränen Staaten in die Liga der lusophonen Linder eingereiht. Wie in Afrika beherrscht allerdings nur eine Minderheit des Volkes die Landessprache. In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass das kleine Äquatorial-Guinea, das einzige afrikanische Land mit Spanisch als offizieller Sprache, im Jahr 2007 das Portugiesische zur kooffiziellen Landessprache erklärt hat. Die kleine Nation verspricht sich mit dem Beitritt zur Organisation der PALOP Unterstützung in Wirtschaft und Bildungswesen. Das Portugiesische hat seinen Wortschatz, ebenso wie das Spanische, mit amerindischem Sprachgut bereichert; durch seine vielfältigen afrikanischen und asiatischen Kontakte sind aber auch zahlreiche Wörter aus den dortigen Sprachen eingedrungen, vor allem in Indien. Umgekehrt hat das Portugiesische mehr oder minder tiefe Spuren in einigen asiatischen Sprachen hinterlassen, z. B. im Malaiischen. Die Präsenz portugiesischer Missionare und Händler in Japan war zwar kurz (i543-1641), dennoch wurden Dutzende Lusismen ins Japanische integriert und gehören dort bis heute zum Alltagswortschatz, von pan »Brot« bis zum Nationalgericht tempura. Seine asiatische Präsenz, die bis heute fortwirkt, ist eine herausragende Besonderheit des Portugiesischen gegenüber der übrigen Romania. Für die Belange der Lusophonie in der Welt setzt sich die 1996 gegründete Comunidade dos Países de Lingua Portuguesa, kurz CPLP, ein, der alle acht lusophonen Staaten angehören. Die spanische autonome Region Galicien prüft derzeit,
56
Portugiesisch
4
ob sie als Vollmitglied in die Organisation eintreten will. Die CPLP ist an Bedeutung bislang nicht mit Organisationen wie dem Commonwealth oder der Frankophonie vergleichbar, dennoch wird dieser Zusammenschluss dazu beitragen, dass das Portugiesische in der Welt etwas von dem Gewicht bekommt, das ihm aufgrund seiner internationalen Verbreitung und seiner Sprecherzahl zweifellos zukommt.
1.1
Verbreitung
[9 (11)1
Das Portugiesische ist Staatssprache in den folgenden Ländern: Portugal, Brasilien, Mosambik, Angola, Kapverdische Inseln, Guinea-Bissau, Sio Tomé & Principe, Timor Leste und seit Neuestem auch in Äquatorial-Guinea, wo Spanisch die Nationalsprache ist. Darüber hinaus hat das Portugiesische eine semioffizielle Stellung in der Sonderverwaltungszone Macau. In der spanischen autonomen Region Galicien ist das Galicische, das als Kulturdialekt des Portugiesischen gelten kann, kooffiziell. Damit zählt das Portugiesische zu den am weitesten verbreiteten Sprachen der Welt. Nach der Anzahl der Länder, in denen es gesprochen wird, kommt es an fünfter Stelle, nach Englisch, Französisch, Spanisch und Arabisch.
1.2
Sprecherzahl [Primärsprecher: 200 Mio.; Geltungsbereich: 240 Mio.]
Nach dem Jahrbuch der Encyclopedia Britannica von 2007 ergibt sich folgende Statistik (geordnet nach der Einwohnerzahl der Linder des Geltungsbereichs). Links steht jeweils die Zahl der Einwohner des Geltungsbereiches, rechts die Zahl der Primärsprecher. Dabei wurden die Kreolsprecher mit den Sprechern des Standard-Portugiesischen gleichgestellt, obgleich dies linguistisch fragwürdig ist; es ist aber kaum sinnvoll, zwischen primären Kreolsprechern und echten Muttersprachlern der Standardsprache zu unterscheiden, da man davon ausgehen kann, dass in den betreffenden Ländern (Guinea-Bissau, Kapverdische Inseln und São Tomé & Principe) die überwältigende Mehrzahl der Bevölkerung das jeweilige Kreol als Primärsprache spricht. Bei Mosambik und Angola werden die Zahlen für die Menschen übernommen, für die das Portugiesische lingua franca ist, also eine mehr oder weniger gut beherrschte Verkehrssprache; es handelt sich also nicht oder nur bedingt um echte Primärsprecher. Diese Statistiken mögen hier — und bei allen folgenden Sprachen — problematisch sein, sie vermitteln aber doch, so steht zu hoffen, ein realistisches Bild der tatsächlichen Proportionen.
Portugiesisch
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Hier und im Folgenden sind die Zahlen stets in Millionen angegeben. Einwohner
Primärsprecher
Rang. Ähnliches gilt für Kanada. Die Summe von 1.552 Millionen ist der Gesamtzahl der Sprecher aufjeden Fall hinzuzufügen; vermutlich liegt man jedoch
186.771
1
174.226
1
Mosambik
19.687
2
7.363
3
Angola
12.127
3
3.822
4
nicht falsch, wenn man die Gesamtzahl der portugiesischen und galicischen Emigranten weltweit mit dem Faktor 3 multipliziert. Die Gesamtzahl der Sprecher liegt somit bei ca. 201.50 Millionen. Die groben Proportionen lassen sich mit etwas über 200 Millionen Sprechern und knapp 240 Millionen Einwohnern
Portugal
10.605
4
10.079
2
im Geltungsbereich beziffern.
Guinea-Bissau
1.442
5
0.749
5
Timor Leste
1.032
6
0.080
8
Kapverdische Inseln
0.485
7
0.438
6
São Torrid: & Principe
0.152
8
0.124
7
Brasilien
1.3 Status 18 Staaten offiziell, 2 Staaten + kooffiziell, 1 Zone privilegiert]
Die Verteilung gebt aus dem soeben Gesagten schon hervor; zur Verdeutlichung
Hinzu kommen seit Neuestem Äquatorial-Guinea ohne Muttersprachler, aber mit Portugiesisch als kooffizieller Sprache sowie die Sonderverwaltungszone Macau und die spanische Region Galicien:
Brasilien
offiziell (amerindische Sprachen, Immigranten)
Portugal
offiziell
Einwohner
Primärsprecher
Aquatorial-Guinea
0.515
0.000
Mosambik
offiziell (Bantu-Sprachen)
Macau
0.505
0.010
Angola
offiziell (Bantu-Sprachen)
Galicien
2.762
2.604
Kapverdische Inseln
offiziell (1 Kreol)
Guinea-Bissau
offiziell (1 Kreol, minoritär westafrikanische Sprachen)
São Tome & Principe
offiziell (4 Kreols, minoritär Bantu-Sprachen)
Äquatorial-Guinea
kooffiziell (+ Spanisch als Hauptsprache, + Französisch)
Timor Leste
kooffiziell (+ Tetum; weitere austronesische Sprachen)
Das entspricht einer Gesamtzahl von 236.083 Millionen Einwohnern ftir den (ko)offiziellen Geltungsbereich und einer Sprecherzahl von 196.881 Millionen Menschen. Bei den Sprechern muss man noch die Emigranten hinzurechnen, wobei nur für die Portugiesen halbwegs verlässliche Zahlen erhältlich sind — sehr viele »Spanier«, die in Ländern wie Frankreich, Deutschland oder der Schweiz leben, sind in Wahrheit Galicier, aber über sie wird keine Statistik geftihrt, ihre Zahl lässt sich auch nicht annähernd schätzen. Mit diesem Vorbehalt kann man den bisher gegebenen Zahlen noch die folgenden hinzufügen, wobei nur die drei Länder mit der größten portugiesischen Immigration berücksichtigt sind: Einwohner Frankreich
Primärsprecher 0.691
USA
0.627
Kanada
0.234
In Frankreich stellen die Portugiesen nach den Arabern die größte Einwanderergruppe; in den USA rangiert das Portugiesische sehr weit hinter dem Spanischen, unter den Immigrationssprachen belegt es hier lediglich einen mittleren
58
folgt hier nochmals eine Tabelle, bei der auch die in den jeweiligen Regionen gesprochenen Zweit- oder Mehrheitssprachen angefügt sind.
Portugiesisch
Galicien
kooffiziell (+ Spanisch)
Macau
privilegiert (Kantonesisch als Hauptsprache, Englisch)
1.4 Vokalsystem [7:0:2]
Eine Vorbemerkung an den geneigten Leserist hier angebracht. Die portugiesische Phonetik ist äußerst komplex, man kann sie auch in einer solchen Übersichtsdarstellung nicht wirklich vereinfachen. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf einige wesentliche Punkte. Soweit erforderlich, wird zwischen europäischem (EP) und brasilianischem Portugiesisch (BP) differenziert. Die Aussprache wird im Internationalen Phonetischen Alphabet beigefügt; dabei werden aber nicht alle Details akribisch genau wiedergegeben (z. B. fehlt die Frikativierung der intervokalisch frikativierten stimmhaften Okklusive lb!, /d/, /g/). Der Leser, dem die folgenden Abschnitte zu technisch sind, kann sie über-
Portugiesisch
' 59
springen — und sich anhand der beigegebenen CD am Klang der portugiesischen Dichtung erfreuen! Das Portugiesische kennt vier Öffnungsgrade bei den Vorderzungen- und Hinterzungenvokalen; wie die meisten anderen romanischen Sprachen (Katalanisch, Italienisch, Sardisch, Französisch usw.) differenziert es zwischen geschlossenem und offenem [e] (ê) [e] (6) und [o] (6) [o] (6). Man beachte die in Spitzklammern angegebene orthographische Wiedergabe: Geschlossene Vokale werden oft mit Zirkumflex, offene hingegen meist mit Akut geschrieben, wobei besonders diese letzte Schreibweise fur einen Kenner des Französischen Verwirrung stiften kann. Es folgen Minimalpaare (wenn nicht anders vermerkt, wird die Aussprache hier und im Folgenden für EP gegeben): colher »ernten« [ku'Xer]
CIT
- colher »Löffel« [ku'Ser]
pê »Buchstabe p» [pe]
- pé »Fuß« [pc]
podemos »wir
- pudemos *wir
können« [pu'demuf] avô »Großvater« [e'vo] pôde »er konnte« ['poda] sois »ihr seid« [soif]
-
-
konnten« [pu'dcmuf] avó »Großmutter« [u'vo] pode *er kann« ['poda] sóis »Sonnen« [soif]
Wie das Sardische (s. u. 8.4) kennt auch das Portugiesische die Metaphonie (Umlaut): Vor -a wird der Vokal geöffnet:
ref ta] aquele »jener« [elela]
— esta *diesel*
este »dieser«
—
['rite] aquela »jenef« [ekele]
Eine Besonderheit des Portugiesischen ist es, dass auch bei den Mittelzungenvokalen mehrere Öffnungsgrade unterschieden werden: offenes [a] steht in Opposition zum sogenannten geschlossenen [e] und dieses zum Schwa-Laut [a], wobei dieses Schwa im europäischen Portugiesisch sehr geschlossen artikuliert wird, fast wie [i], also zu dem geschlossenen Mittelzungenvokal, den wir in der Romania ansonsten nur im Rumänischen finden (s. u. 9.4); im Brasilianischen hat sich der Schwa-Laut hingegen klar zu [i] weiterentwickelt. Übersichtlich lässt sich das Verhältnis der sieben Grundvokale und der zwei Mittelzungenvokale in einem Vokaldreieck wie folgt darstellen:
u e c
Dabei gilt: /o/ tendenziell
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Portugiesisch
a e a
o
Die Opposition zwischen offenem und geschlossenem /a/ — /e/ gilt nur eingeschränkt, denn /a/ wird in unbetonter Silbe und in der Umgebung von Nasalkonsonanten meist automatisch zu /g/; nasalisiertes /I/ wird ohnehin immer geschlossen als [g] realisiert. Zur Illustration: a casa grande *das große Haus« lautet in EP [e'kaznigrida], in BP [alaze'gricl3i]. Aber diese Regeln gelten nicht immer. In EP ist der Vokal [e] keineswegs eine bloße kombinatorische Variante von [a] in unbetonter Stellung bzw. vor Nasal, er ist dort vielmehr ein vollwertiges Phonem. In BP hingegen gilt dies nicht, hier besteht zwischen [a] und [u] zwar ein phonetischer Kontrast, aber keine phonologische Opposition. Hier folgen ein paar Beispiele, bei denen die beiden Typen von /a/ in unbetonter Silbe in EP differenziert werden, in BP hingegen nicht:
EP: aquele )tjener« [e'kela] (4— Kontraktion mit der Präposition a) BP: beides [a'keli]
àquele »jenem« [a'kela]
EP:fazer »machen« [fe'zer]
acção »Handlung«
[a'stu]
(4— Kultismus mit dem stummem Konsonanten -c- nach lat. actio) BP: beides mit [a] afazerNa'sOup (daher lässt man in BP orthographisch das -c- in solchen Fällen weg — es hat keine Funktion, man schreibt ação) EP: padeiro »Bäcker« [pa'cluiru] — madeira »Holz« [rne'deire] (<— lat. panatarius, mit Ausfall von intervokalischem -n-) BP: beides mit [a] ([paideru]/[ma'dere]) In betonter Stellung wird zwischen den beiden Typen von /a/ nur in wenigen Fällen differenziert; da es aber um grammatische Unterscheidungen geht, die für Tausende von Verben gelten, ist die Opposition von besonderer Bedeutung. Nach der Regel, wonach vor Nasal immer geschlossenes [e] steht, müsste die 1. Person Plural der a-Konjugation -amos eigentlich immer [emiti] realisiert werden; dies gilt auch tatsächlich für das Präsens, nicht aber für das Präteritum, wo es [amuf] lautet, weil es vom lateinischen -avimus stammt:
EP: cantamos [cên'ternuf] »wir singen« — cantámos [kin'tamuf J »wir sangen« (E— lat. cant amus cantavimus) BP: beides mit [e] ([kin'temus])
a
(EP) — klar --÷ [i] (BP)
In BP wird zwischen diesen beiden Formen ebenso wenig differenziert wie im Spanischen, wo die Nicht-Unterscheidbarkeit von cantamos *wir singen/sangen« durchaus störend sein kann.
Portugiesisch
61
Noch in einem weiteren Fall ergibt sich eine phonematische Unterscheidung zwischen den beiden Typen von /a/, in diesem Fall nicht wegen der Bewahrung einer aus dem Lateinischen ererbten Differenzierung, sondern wegen einer Neuerung innerhalb des Standard-Portugiesischen von Lissabon in jüngerer Zeit. In EP (zumindest in der lingua padrão) wird heute der Diphthong ei nicht mehr als [4] realisiert, sondern als [si]; diese Aussprache hat sich von Lissabon aus in Portugal verbreitet. In Brasilien ist sie unbekannt, dort wurde [ei] meist zu [e] monophthongiert. Während sich also in EP die beiden Bestandteile des Diphthongs auseinanderentwickelt haben, sind sie in BP zu einer Einheit verschmolzen. Durch diese Entwicklung entstand in EP ein neuer Kontrast zwischen den beiden Typen von /a/ im Verbalsystem:
EP: cantei *ich sang« [ktretei] (4— lat. cantavi cantate) BP: [1cLin'tej]
cantai
»singt!« [Ictn'tai]
[kin'tai]
Sehr charakteristisch ftir das Portugiesische ist die Reduktion der Vokale /e/ und /o/ in unbetonter Stellung; sie steht in einer Linie mit der Reduktion von /a/, die wir soeben behandelt haben. Diese Reduktion trägt entscheidend zu dem Eindruck eines »weichen«, nuancierten und gleichsam gedämpften Klanges bei, der für das Portugiesische so typisch ist, gerade auch im Vergleich zum Spanischen. Generell gilt in nachtoniger Silbe Folgendes:
[a] —> [e] [o] [u] [e] —> [a, (EP) bzw. —> [i] (BP)
e, E — 8
»Holz« [e]):
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EP: pregar [pra'gar] »nageln« BP: beides [pregar]
pregar [pregar]
EP: decorar [dakterar] »schmücken« BP: beides [(de)larar]
corar [kerar]
Portugiesisch
Portugiesisch und Französisch sind die beiden einzigen romanischen Sprachen mit einem klar ausgeprägten System von Nasalvokalen. Ober den phonologischen Status dieser Vokale wird im Folgenden noch genauer zu sprechen sein; phonetisch jedenfalls sind sie sehr markant, was wesentlich zu dem eben schon geschilderten »weichen« Klang des Portugiesischen beiträgt. Nach den Erkenntnissen der typologischen Forschung sind Nasalvokale gegenüber Oralvokalen markiert. Das bedeutet dreierlei. Erstens kommen sie nur in einer Minderheit von Sprachen vor; das gilt auch innerhalb der Romania, wo nur zwei von neun Sprachen Nasalvokale haben. Zweitens sind Nasalvokale diachronisch instabil, was auch in der Romania zu beobachten ist, denn an mehreren Orten beobachten wir ihr Verschwinden. Drittens sind sie an Zahl geringer oder maximal gleich mit den Oralvokalen; auch diesbezüglich liegen die romanischen Sprachen typologisch im Trend, denn im Französischen ist ihre Zahl erheblich geringer, und auch im Portugiesischen mit seiner reicheren Palette immer noch deutlich geringer als die Zahl der Oralvokale. Die geringere Zahl im Portugiesischen resultiert daraus, dass bei den Nasalvokalen die Öffnungsunterschiede neutralisiert sind. Statt vier werden nur drei Öffnungsgrade unterschieden; als Effekt der Nasalisierung werden die Vokale geschlossen (im Französischen hingegen werden sie geöffnet, s. u. 5.5). Es gelten folgende Entsprechungen:
u
Komplizierter sind die Verhältnisse in vortoniger Silbe. Hier gibt es in BP keine Reduktion; hingegen wird in EP reduziert, aber gleichsam nicht »wahllos«: Wenn im Lateinischen Kontraktion oder Konsonantenausfall vorliegt, dann bleibt der volle Vokal stehen, die Reduktion unterbleibt. In EP entstehen dadurch Differenzierungen, die in BP fehlen. Ein paar Beispiele (man vergleiche auch den oben bereits zitierten Kontrast zwischen padeiro »Bäcker« [a] und madeira
EP: provar [pru'var] »beweisen«
1.5 Nasalvokale [5]
»predigen« (<— lat. praedicare)
»färben« (4— lat. colorare)
— poupar [po'par] »sparen« (4— lat. palpare)
o, o — a, u
Man erkennt einen Portugiesen, wenn er Französisch spricht, sofort daran, dass er en / an als [t] und nicht als [ii] realisiert; für einen Franzosen klingt das wie in VP Über den phonologischen Status der portugiesischen Nasalvokale ist viel diskutiert worden: Handelt es sich um monophonematische Einheiten oder um die Verbindung des Oralvokals mit einem abstrakten Archiphonem [Nasalität]? Mit der biphonematischen Interpretation reduziert man das Inventar der Vokalphoneme, aber man kompliziert deren Kombinatorik. Es gibt durchaus Argumente, welche die biphonematische These stützen. Eines davon sei hier kurz skizziert. Nach Nasalvokal steht die »starke« Form von /r/ (s. u.), so wie generell nach Konsonanten: bi/ro »Ballschläger« wird [bilRu] realisiert, nicht [bilru], eben weil
Portugiesisch
63
Ir! nach dem Konsonanten /1/ steht; Wörter wie genro »Schwiegersohn« oder honra »Ehre« werden [36xu / erne] realisiert, als ob ein Konsonant vor ihnen stünde — für die Vertreter der biphonematischen These ein Beweis dafür, dass ein solcher Konsonant virtuell vorhanden ist, nämlich das oben genannte abstrakte Archiphonem [Nasalität], das wie ein Konsonant wirkt. Auf der anderen Seite sprechen Minimalpaare wie diese vi
»ich sah« [vii
»ich kam« [vi] «Pfad« rsdcle] là »Wolle« [It] rombu »Raute« ['Rau] mundo »Welt« rmildu]
- senda
»dort« [la] roubo »Raub« ['Rolm] mudo »stumm« ['mudu]
-
fir die monophonematische Interpretation. Mir scheint es sinnvoll, diesen Konflikt auf andere Weise zu lösen. Statt theoretische Interpretationen im Rahmen eines rigiden Beschreibungsmodells gegeneinanderzustellen, sollte man das reale Ineinandergreifen von Diachronie und Synchronie beachten. Natürlich sind Nasalvokale diachron aus der Verbindung Oralvokal + Nasalkonsonant entstanden, der Nasalkonsonant wandelt sich allmählich über bestimmte Übergangsstufen zu rein vokalischer Nasalität, bei der er mit dem Vokal untrennbar verschmilzt (vgl. die Skala der Nasalisierung in norditalienischen Dialekten, 7.5). Dabei entsteht phonetisch ein einheitlicher Laut, eben der Nasalvokal. Im Verhalten des Nasalvokals kann der in ihm aufgegangene ehemalige Konsonant noch mit seinen früheren konsonantischen Eigenschaften nachwirken; dies ändert aber nichts daran, dass der Nasalvokal als solcher ein einheitlicher Laut ist. Nasalisierung ist ein langer Prozess, der sich über Jahrhunderte erstreckt. Die ehemaligen konsonantischen Eigenschaften verschwinden mehr und mehr. Im heutigen Französisch sind sie völlig untergegangen, im Alt- und im Mittelfranzösischen noch nicht; im Portugiesischen leben sie marginal bis heute fort. Die portugiesischen Nasalvokale sind vokalische Phoneme mit bestimmten konsonantischen Verhaltenseigenschaften, die als Fortleben der Diachronie in der Synchronie erklärbar sind. Das Portugiesische befindet sich auf demselben Entwicklungspfad wie das Französische, es ist dort aber weniger vorangeschritten und steht etwa auf der Stufe des Mittelfranzösischen. Es ist bemerkenswert, dass das Galicische, das im Mittelalter vom Portugiesischen noch nicht geschieden war, im Verlauf der neuzeitlichen Entwicklung seine Vokale denasalisiert hat. Die Denasalisierung kann darin bestehen, dass die Nasalität ganz und gar verschwindet, oder darin, dass ein velarer Nasalkonsonant angefügt wird. Beides finden wir im Galicischen:
64
Portugiesisch
un
»eins« [ui]
irmá »Schwester«
— PG um [5] [irima] — PG irmã
Die hiermit zusammenhängenden Komplexitäten der historischen Lautlehre, der Dialektgeographie und der orthographischen Normierung können hier nicht einmal angedeutet werden.
- vint
seda »Seide« ['sede] lá
GL
1.6
Akzentsystem [drei] >>>
321
Das Portugiesische steht bezüglich der Entwicklung des Akzentsystems auf derselben Stufe wie das Spanische. Der Akzent kann aufjede der drei letzten Silben fallen. Betonung auf der vorletzten Silbe ist am häufigsten, etwas häufiger als im Spanischen, weil in Wörtern des Typus cidade das auslautende -e erhalten ist (vgl. span. ciudad). Betonung auf der drittletzten Silbe ist seltener als im Italienischen, aber sehr viel häufiger als im Katalanischen. Betonung auf der viertletzten Silbe kommt nicht vor; bei Anfiigung zweier Objektklitika entstehen im Portugiesischen einsilbige Verbindungen (m-o »mir es«, 1h-o »ihm es«, nicht me-lo, se lo wie im Spanischen). Der Akzent ist distinktiv. Beispiele für Minimalpaare 2 — cantara
»er hatte gesungen« »sie fühlten« [setirtu]
sentiram
cantará sentirão
»er wird singen« »sie werden ftihlen« [seti'rtu]
Beispiele fur Minimalpaare '3 — animo »Geist«
renimul
vário »verschieden« vacua
rvariu]
«leeri« ['vakue]
animo »ich
belebe« [enimu]
- vario »ich variiere« [ve'riu] — vacua
»er leert« [va'kue]
Man beachte die Regeln zur Setzung des graphischen Akzents. Wenn -i- oder -u- vor Vokal die zweitletzte Silbe bilden, erhält diese automatisch den phonetischen Akzent; wenn in solchen Wörtern die drittletzte Silbe betont werden soll, muss dort ein graphischer Akzent gesetzt werden. Im Spanischen ist es genau umgekehrt, dort schreibt man SP
vario »verschieden« ['bario] vacua
»lee'1« ['bakua]
varío »ich variiere« [ba'rio] vactia
»er leert« [ba'kua]
Portugiesisch
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Hierauf muss man besonders achten, wenn man beide Sprachen kontrastiv erlernt.
1.7 Geminierung Inein, auBer /r/ /WI In der gesamten Westromania (Iberische Halbinsel, Frankreich, Norditalien) ist die konsonantische Quantität des Lateinischen verschwunden; lediglich der Gegensatz zwischen einfach und mehrfach gerolltem /r/ hat sich dort vielerorts erhalten. Diese quantitative Opposition ist innerhalb des Konsonantensystems isoliert, weil es sonst keine andere Unterscheidung dieser Art gibt. Daher besteht in manchen westromanischen Idiomen die Tendenz, diese quantitative durch eine qualitative Opposition zu ersetzen, wodurch das Phoneminventar als System einheitlicher wird. Die Unterscheidung von »schwachem» und »starkem« /r/ bleibt erhalten, wird aber mit anderen Mitteln realisiert, die besser zum übrigen System passen. Die Eliminierung der isolierten Längenopposition erfolgt auf verschiedenen Wegen. Im Portugiesischen finden wir vier verschiedene Resultate': — Im Norden Portugals und in einer mittlerweile etwas antiquiert wirkenden Variante der Standardaussprache wird die Opposition als solche beibehalten, »starkes» /rr/ wird mehrfach gerollt: Irr! [r]. — In Lissabon und von dort ausstrahlend auf die lingua padrão in ganz Portugal wird starkes /rr/ uvular artikuliert, wie das Zäpfchen-r des Französischen oder Deutschen: Irr! [R]. Dieser Sprachwandel ist relativ neu; er ist seit dem 19. Jahrhundert nachweisbar und hat sich heute auf breiter Front durchgesetzt. — In Brasilien überwiegt eine Variante, die der zuvor genannten auf den ersten Blick gleicht. Bei näherer Betrachtung erweist sie sich allerdings als phonetisch verschieden und historisch getrennt. Das starke /rr/ wird nicht als uvularer Vibrant, sondern als velarer/postvelarer Frikativ realisiert, der eine starke Tendenz zur Stimmlosigkeit aufweist, er klingt oft wie ein tief in der Kehle artikulierter deutscher ach-Laut: Irr! —> [x/x]. In Brasilien ist das Phänomen schon im 16. Jahrhundert nachweisbar, es handelt sich also diesseits und jenseits des Atlantiks um unabhängige Entwicklungen. — Daneben gibt es in Brasilien Zonen (besonders im Nordwesten), wo das starke
/rr/ als leicht retroflexer Reibelaut ausgesprochen wird, so wie das englische /r/: Irr! [i]. Das klingt dann so, als würde ein nordamerikanischer Gringo das Portugiesische radebrechen, ist aber authentisches Brasilianisch! Auch die Verteilungsregeln sind in EP etwas anders als in BP. »Stark« ist jedes /r/ im Anlaut und nach Konsonant, und zwar sowohl in EP als auch in BP. Im Auslaut jedoch ist jedes /r/ in EP schwach, in BP hingegen stark (sofern es im absoluten Auslaut nicht ganz ausfallt). Daraus ergeben sich markante Klangunterschiede zwischen den beiden Nationalsprachen; ein Wort wie norte »Nord« wird in EP [nafta], in BP hingegen [naxtfi] realisiert.
1.8 Palatalisierung [PG: /1(eq
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Portugiesisch
/st, GL:
/0/; /V•le)/ —./t_17 in BP]
Im Altportugiesischen hat sich die Affrikate /ts/ über eine Zwischenstufe AR, die im Mozarabischen belegt ist, herausgebildet. Im neuzeitlichen Portugiesisch wurde die Affrikate zum entsprechenden Reibelaut /s/ vereinfacht, der vom ursprünglichen etymologischen /s/ nicht mehr unterschieden werden kann.' Im Galicischen wurde /ts/ zum interdentalen Reibelaut /0/ weiterentwickelt und bleibt so vom etymologischen /s/ geschieden. Das Galicische gleicht in diesem Punkt dem Kastilischen im engeren Sinn, also der Norm von Alt- und Neukastilien, während das Standard-Portugiesische dem Andalusischen gleicht. In Spanien nennt man die Aussprache /s/ ftir älteres /ts/ und die damit verbundene phonologische Neutralisierung »seseo»; in diesem Sinne ist Portugiesisch, und übrigens auch Katalanisch, Okzitanisch und Französisch, eine Sprache mit seseo. Wir haben es mit zwei spiegelsymmetrischen Konstellationen zu tun: Beim Portugiesischen ist die Standardsprache südlich geprägt, das nördlich geprägte Galicisch war jahrhundertelang ein oraler Dialekt; beim Spanischen hingegen ist die Standardsprache nördlich geprägt, das südlich geprägte Andalusisch hat innerhalb Spaniens Dialektstatus." Ein paar Beispiele: cem »hundert« = sem »ohne»
passo »Schritt» = paço »Palast« paso »Schritt«
pazo »Palast»
(EP [si], BP [se]) (EP und BP [past* (GL [pasa] [pal)*
Die komplexen Verhältnisse in den nordportugiesischen Dialekten können hier nicht behandelt werden. 9
Dabei wird einfaches /r/ immer als Ea also als einfach gerolltes oder »geschlagenes« Zungen-/r/ ausgesprochen.
its/
Da sich dann aber die andalusische Aussprache in der neuen Welt verbreitet hat, ähneln sich amerikanisches Spanisch und brasilianisches Portugiesisch hinsichtlich ihrer südlichen Prägung!
Portugiesisch
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Ein sehr auffälliger Zug der Phonetik des Brasilianischen ist die Palatalisierung von /t/ und /d/ vor Ii/, wobei dieses /i/ oft auf unbetontes /e/ zurückgeht:
BP
tinha »er hatte« Wine],
dizer »sagen« [d3ize(g)];
noite »Nacht«
cidade »Stadt« [sidad3i]
1.9 Kasus [nein] Es findet sich keine Spur eines Kasussystems.
1.10 DOM [ja] Differentielle Objektmarkierung ist vorhanden, sie ist aber heute nur noch relativ gering ausgeprägt. Wie auch sonst in der westlichen Romania wird sie mit der Präposition a gebildet. Die Anfinge in der mittelalterlichen Sprache waren mit dem Spanischen vergleichbar; ähnlich wie dort nahmen Zahl und Art der positiv markierten Objekte in der frühen Neuzeit zu. Der Höhepunkt wurde in Portugal in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts erreicht; vermutlich wurden dabei interne Entwicklungstendenzen durch spanischen Einfluss verstärkt, denn die beiden Linder bildeten damals eine dynastische Union. Seitdem ging der Gebrauch der Präposition stetig zurück. Heute ist sie nur noch beim Personalpronomen obligatorisch; bei Eigennamen und Personenbezeichungen ist sie möglich, aber selten. Sie wird in erster Linie zur Verdeutlichung der Subjekt-Objekt-Relation in bestimmten syntaktischen Zusammenhängen verwendet. Ein Fortleben älterer Sprachstufen ist der — von dem deutschen Romanisten Harri Meier sogenannte — acusativo prepositional da divinidade, der »präpositionale Akkusativ der Gottheit«: Das Substantiv Deus muss immer die Präposition haben, wenn es Objekt ist. Es folgen Beispiele: ACC+ obligatorisch beim Pronomen: EP: vejo-te a ti / BP: te vejo a ti »ich sehe dich« em geral, só o molestavam a ele »im Allgemeinen belästigten sie nur ihn« ACC+ fakultativ bei »niemand«: nunca odiei (a) ninguém »ich habe nie jemanden gehasst«
ACC* in der älteren Sprachstufe / »ACC' der Gottheit«: os soldados crucificaram a Cristo »die Soldaten kreuzigten Christus« o homem deve temer a Deus »der Mensch muss Gott fürchten«
DOM ist im System des Portugiesischen fest verwurzelt. Expansion und Reduktion von ACC" folgen in der Sprachgeschichte aufeinander. In der heutigen Sprache weist nur noch die Zone am oberen Ende der Belebtheitsskala obligatorische Markierung auf, alles Andere bleibt üblicherweise markierungslos; allerdings ist syntaktische Verdeutlichung immer noch ein wichtiges Anwendungsfeld für die Präposition. Die meisten portugiesischen Kreolsprachen kennen keine DOM, außer dem Papia Kristang von Malacca, wo die Präposition kung (i— port. com »mit«) für die Markierung belebter und definiter Objekte benutzt wird.
1.11 Artikel [prae; ¡Ile; POSS] Der portugiesische Artikel ist präponiert wie überall im Westen der Romania. Er stammt vom lateinischen ille ab. Man muss davon ausgehen, dass die Doppelkonsonanz von -Il- schon sehr früh, wohl schon in klassisch-lateinischer Zeit vereinfacht worden ist. Intervokalisches -I- ist im Portugiesischen ausgefallen. So blieben nur die Vokale zurück. Der bestimmte Artikel im Portugiesischen lautet: o, a; os, as. Beim Possessivum steht der bestimmte Artikel, außer bei Verwandtschaftsbezeichnungen (ähnlich wie im Standard-Italienischen, s. u. 7.11): meu pai »mein Vater«, seu filho »sein Sohn« — os meus amigos »meine Freunde«, a minha casa »mein Haus«
Diese Regeln gelten auch fur das Galicische, nicht hingegen fir das Brasilianische, wo der Artikel beim Possessivum üblicherweise fehlt.
1.12 Partitiv [nein]
Es findet sich keine Spur eines Partitivs.
ACC zur Verdeutlichung: EP: tratava-os como a amigos »er behandelte sie wie FreundeAcc« nem João ama Maria nem Maria a João »weder liebt Hans Maria noch Maria Hans«
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Portugiesisch
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1.13 Präteritum [PS"' erhalteril
Das Portugiesische hat die synthetischen Tempora des Lateinischen besser bewahrt als alle anderen romanischen Sprachen. Der aoristische Aspekt wird mithilfe des synthetischen Präteritums (*Passé Simple«) ausgedrückt, und zwar in wesentlich höherem Umfang als im Spanischen oder gar Italienischen. Das zusammengesetzte Perfekt ist vorhanden (s. u.), aber es wird seltener gebraucht als anderswo. Die Verwendung des PC ist beschränkt auf Kontexte, in denen wirklich eine perfektivische Bedeutung im engen Sinne vorliegt, also eine in der Vergangenheit abgeschlossene Handlung, die direkt bis in die Gegenwart nachwirkt. Als Erzähltempus kommt das PC im Portugiesischen nicht vor. Dasselbe gilt auch fir das Galicische und für das vom galicischen Substrat beeinflusste Spanisch des Nordwestens, was von den Sprechern des Standard-Spanischen als auffällige Besonderheit empfunden wird. Es handelt sich also nicht um einen Unterschied im System, sondern in der Gebrauchsfrequenz. Spanisch und Portugiesisch besitzen die gleichen mentalen und morphologischen Kategorien: [imperfekt] —> IMP
[aorist] --> PS — [perfekt] --> PC
Unterschiedlich ist lediglich der Gebrauch, den beide Sprachen von diesem System machen. In Spanien sieht man mehr vergangene Ereignisse in der Perspektive des Perfekts, in Portugal mehr in derjenigen des Aorists. Zwei Beispiele mögen dies belegen: perdeu o seu chapéu »er hat seinen Hut verloren (vor Kurzem), [Standard-Spanisch: ha perdido su sombrero] nunca encontrei esse senhor *ich bin diesem Herrn niemals begegnet (bis heute» [Standard-Spanisch: nunca he encontrado a ese señor] •
Die Anwendung des portugiesischen Systems geht aus Minimalpaaren wie dem folgenden hervor: este ano tem sido find em acontecimentos — aquele ano foi find em acontecimentos
»dieses /jenes Jahr war ereignisreich« Der erste Satz bezieht sich auf das laufende Jahr, das gerade zu Ende geht und über das man Bilanz zieht; der zweite Satz ist Bestandteil einer Erzählung, die sich auf eine lang zurückliegende Vergangenheit ohne Relevanz fir die Gegen-
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Portugiesisch
wart bezieht. (Im Deutschen kann man das gar nicht differenzieren —jedenfalls nicht in meinem süddeutsch geprägten Idiolekt!) Noch in einem weiteren Punkt bewahrt das Portugiesische die synthetischen Tempora des Lateinischen besser als alle anderen romanischen Sprachen: im Plusquamperfekt. Die Form cantara (<— lat. cantaverat) hat bis heute die Bedeutung des Plusquamperfekts bewahrt; zumindest in der Schriftsprache Portugals wird sie noch im Sinne von »er hatte gesungen« gebraucht. Die in der ganzen Romania verbreitete neuere analytische Form ist auch im Portugiesischen vorhanden (tinha cantado), und sie gewinnt dort immer mehr an Boden; insbesondere in Brasilien ist sie mittlerweile dominant. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die ursprüngliche Form in ihrer ursprünglichen Funktion bis heute bewahrt blieb; dies ist eine Parallele zum Rumänischen (s. u. 9.13).
1.14
Auxiliarien [habere
tenere; PPP variabel
invariabel]
Wie das Spanische und das Rumänische hat das Portugiesische das Verbum *haben« als Auxiliar für das PC verallgemeinert. Das ursprüngliche Nebeinander von esse fir intransitive und habere für transitive Verben machte dem einheitlichen Auxiliar habere Platz, wodurch auch das Partizip unveränderlich wurde. Die Besonderheit des Portugiesischen gegenüber allen anderen romanischen Sprachen besteht in der Form des Auxiliars. Hier hat sich der Abkömmling des lateinischen tenere durchgesetzt. Generell ist in allen iberoromanischen Sprachen fur das Vollverbum *haben« das lateinische habere durch tenere ersetzt worden. Das gilt aber nur für die Vollverbfunktion, in Auxiliarfunktion konnte sich habere halten. Das Portugiesische geht hier konsequent einen Schritt weiter und benutzt auch für die Auxiliarfunktion die Formen von tenere. Auch im heutigen Spanisch gibt es eine Perfektform mit diesem Auxiliar. Tengo escrito la carta ist ähnlich zu übersetzen wie der oben zitierte Satz von Cicero habeo litteras scriptas: Ich habe den Brief geschrieben und er liegt jetzt materiell vor mir; im Spanischen ist dies bislang aber eine markierte und insgesamt noch relativ seltene Form. Im Portugiesischen hingegen haben sich die temporal-aspektuellen Bedeutungen des Abkömmlings von tenere soweit grammatikalisiert, dass ursprüngliches habere verdrängt wurde. Das daraus resultierende System zeichnet sich durch einen hohen Grad an interner Kohärenz und struktureller Regelmäßigkeit aus. ser beim Intransitivum: Im mittelalterlichen Portugiesisch stand noch esse e é apareodo *er ist erschienen«. Das Partizip war noch veränderlich: tenho vystos ouvydos muitos enxempros *ich habe viele Beispiele gesehen und gehört«. Beides ist seit der frühen Neuzeit verschwunden.
Portugiesisch
71
111101191
1.15 Subjektklitika fneinl
Wie überall in der Romania gibt es auch im Portugiesischen Objektklitik Klitika in Subjektfunktion sind jedoch inexistent. An dieser Stelle sind ein paar Zwischenbemerkungen zu den Objektklitika angebracht: — Im Portugiesischen finden wir besonders archaische neben besonders progressiven Elementen. Einerseits hat das europäische Portugiesisch die Enklise bewahrt, also die Nachstellung des verbundenen Objektpronomens, die es ursprünglich auch in den anderen romanischen Sprachen gab; im brasilianischen Portugiesisch hingegen wurde, wie im Spanischen und anderswo, in der Neuzeit die Proklise verallgemeinert. So wurde EP vejo-te *ich sehe dich« zu BP te vejo. — Das gesprochene Brasilianisch geht noch weiter; es ist, zusammen mit dem Surselvischen (s. u. 6.15), die einzige romanische Varietät, in der es Entklitisierung gibt, also die gegenläufige Bewegung zur Klitisierung. Die verbundenen Personalpronomina der dritten Person werden durch die betonten Formen ersetzt. Aus EP vejo-o *ich sehe ihn« wird so in BP vejo ele. Die nichtklitischen Objektpronomina haben mehr lautliche Substanz und sind einfacher zu erkennen und auseinanderzuhalten als die klitischen Formen, die im EP phonetisch stark reduziert sind. — Die Objektklitika des EP sind infolge der verschiedenen Assimilationen, denen sie ausgesetzt sind, besonders vielgestaltig. Das Pronomen der 3. Person lautet -o, nach -s / -z / -r der Verbalform bleibt ursprüngliches /- erhalten, und nach auslautendem Nasal werden die Formen an diesen assimiliert. Es heißt also: canta-o *er singt es«, aber cantá-lo *es singen« und cantam-no *sie singen es«. Solche Unregelmäßigkeiten sind in BP infolge von Proklise oder Entklitisierung verloren gegangen.
1.16 Anredeformen [EP: 3: tu / 3sgl""m/3sg"m; BP: 2: 3sgP"'"m/3sg"°1
Die portugiesischen Anredeformen sind besonders komplex; sie können hier nur in Grundzügen behandelt werden. Das europäische Portugiesisch hat ein dreistufiges System. Für die familiärvertraute Anrede steht das traditionelle tu mit der 2. Person Singular des Verbums. Für die distanziert-höfliche Anrede steht die 3. Person des Verbums; als Anredeform dient eine Fülle verschiedenster Nomina, vom Vornamen mit Artikel (o João / a Maria) über neutrales o senhor / a senhora bis hin zu Berufsbezeich-
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Portugiesisch
nungen und Ehrentiteln, die im realen Leben zutreffen mögen oder nicht; so wird jemand, der einen technischen Beruf gleich welcher Art ausübt, als o senhor Engenheiro angesprochen, auch wenn er kein Ingenieurs-Diplom besitzt; ein Akademiker heißt auch ohne formellen Doktortitel o senhor Doutor. Die Abstufungen, die man hier ausdrücken kann, sind schier unbegrenzt; eine Serie von Anredeformen an einen Herrn João Moreira sieht etwa folgendermaßen aus — mit aufsteigender Höflichkeit: o João / o senhor / o senhor Dom João / o senhor Doutor / o senhor Doutor Mo-
reira / Vossa Excelencia Zwischen den Polen von Intimität und Distanz steht das eigenständig entwickelte Anredepronomen você. Es ist, parallel zum spanischen usted, im 16. Jahrhundert aus vostra merced *Euer Gnaden« entstanden und dient heute zum Ausdruck einer mittleren Höflichkeit. Es ist nicht plump-vertraulich, aber auch nicht übertrieben ehrerbietig. Unter dem Einfluss des BP verbreitet sich você als neutrale Anredeform heute auch zunehmend in Portugal. Zu den Subtilitäten der europäisch-portugiesischen Anredeformen gehört Folgendes: Als pronominale Substitutionsform für den Dativ bei einer Anrede in der 3. Person fungiert das Reflexivpronomen si, obgleich von Reflexivität in diesem Fall keine Rede sein kann. *Das ist für Sie« lautet in voller nominaler Form isto é para o senhor; mit pronominaler Substitution wird dies zu isto é para si. So ergeben sich unerwartete Formulierungen wie die folgenden: quería falar consigo *ich möchte mit Ihnen sprechen«; a minha felicidade depende de si »mein Glück hängt von Ihnen ab«. In BP ist das traditionelle tu verschwunden. Es gibt zwei Höflichkeitsstufen, wie im Spanischen, Französischen und Italienischen, nur mit dem Unterschied, dass die familiäre Anrede nunmehr mit você gebildet wird, also mit einer ursprünglich besonders höflichen Form. Die Anrede mit você ist universell verbreitet. Für den Ausdruck distanzierter oder ehrerbietiger Höflichkeit wird die 3. Person in Verbindung mit einfachem o senhor / a senhora verwendet; die Fülle der europäisch-portugiesischen Anredeformen ist nicht mehr gebräuchlich. So wurde in der multikulturellen und rassisch vielfältigen Gesellschaft von Brasilien die Nuanciertheit der sozialen Abstufungen, wie sie das alte Europa in Portugal bis in unsere Gegenwart bewahrt hat, zugunsten eines übersichtlichen, universal anwendbaren Systems mit zwei morphologisch einfachen Kategorien aufgegeben. Noch anders ist das System des mit dem Portugiesischen eng verwandten Galicischen strukturiert. Hier hat sich im Umgang mit der älteren Generation die Höflichkeitsform der 2. Plural vós noch marginal gehalten, ist aber im Ver-
Portugiesisch
73
schwinden begriffen. Stattdessen benutzt man das aus dem Spanischen entlehnte bostede als generelle Höflichkeitsform gegenüber Unbekannten und Respekts-
personen. Zum Ausdruck einer weniger formellen, aber dennoch nicht ganz vertraut-familiären Anrede wird das Pronomen der 3. Singular verwendet, das dann nach Genus und Numerus differenziert wird (El / Ela etc.). Ein — zwecks Übersichtlichkeit stark vereinfachtes — Schema soll die Variationen dieses Themas in der lusophonen Welt abschließend nochmals verdeutlichen: EP
tu
—
você —
o senhor
GL
tu
—
El
bostede
você —
o senhor
BP
2.
Spanisch
Präsentation und externe Sprachgeschichte
Das Spanische ist hinsichtlich der Sprecherzahl die mit Abstand größte romanische Sprache. Unter den europäischen Sprachen wird es nur vom Englischen, weltweit nur vom Hindi-Urdu und vom Chinesischen übertroffen. Nach seiner Verbreitung ist es das dritte Mitglied in der Spitzengruppe der Weltsprachen, zu der außerdem nur noch das Englische und Französische gehören. Spanisch ist die Sprache einer unermesslich reichen und vielfältigen Kultur. Spanien selbst weist, neben dem nationalen Klassiker Miguel de Cervantes (1547-1616) und seinem unsterblichen Don Quijote, einem der meistgelesenen und meistübersetzten Werke der Weltliteratur, eine Fülle weiterer Gestalten auf, die zu universalen Archetypen geworden sind: vom mittelalterlichen Recken El Cid (1207) über die Kupplerin Celestina (1499) und den »picaro« Lazarillo (1554) bis zu dem Frauenhelden Don Juan (1624) und all den anderen Gestalten, welche die Dramen von Lope de Vega (1562-1635), Tirso de Molina (1579-1648) und Calderón de la Barca (1600-1681) bevölkern. Das Dreigestirn der spanischen Mystik, Santa Teresa de Avila (1515-1582), Fray Luis de León (1528-1591) und San Juan de la Cruz (1542-1591), hat die spanische Sprache zu ungeahnten Höhen von Expressivität und Klangfülle geführt. Wenn wir fur das 20. Jahrhundert nur einen einzigen Namen nennen könnten, dann wäre es Federico Garcia Lorca (1898-1936), ein universaler Andalusier, der den Leser und Hörer ebenso mit der Wucht seiner Dramen wie mit der Suggestivität seiner Lyrik in Bann zieht. Man muss die Hispanität immer im Plural sehen, denn das Spanische ist das Ausdrucksmittel zahlreicher eigenständiger Nationen, von Kuba und Mexiko über Peru und Paraguay bis Chile und Argentinien. Die Namen des Argentiniers Jorge Luis Borges (1899-1986) und des Kolumbianers Gabriel Garcia Márquez (*1927) mögen hier stellvertretend fur all die vielen Autoren stehen, welche die spanischsprachigen Literaturen der Moderne zu Weltruhm geführt haben. Nicht nur mit seiner Sprecherzahl, auch mit der Fülle und Qualität seiner literarischen Hervorbringungen gehört das Spanische zur Spitzengruppe der Weltsprachen. Das Spanische basiert auf dem hispanischen Latein. Die Römer eroberten die Iberische Halbinsel im 2. Punischen Krieg (218-202 v. Chr.), in dem sie, nach
Portugiesisch
Spanisch
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Graphem: Einheit in einem orthographischen System; ein Graphem kann aus mehreren Buchstaben oder aus der Verbindung eines Buchstabens mit einem diakritischen Zeichen bestehen; Beispiele: deutsch s, ch, sch; französisisch Hinterzungenvokale: Vokale, die mit zurückgezogener Zunge gesprochen werden; Beispiele: o, u Homophone: gleichlautende Wörter mit unterschiedlicher Bedeutung; Beispiel: deutsch der Mast vs. die Mast Inhiirenz: Belebtheit als Kriterium für die Differentielle Objektmarkierung (s. dies; Gegenbegriff Referenz) Interdental: mit der Zunge zwischen den Zähnen gebildeter Laut; Beispiel: englisch the thief Interkommunikation: wechselseitige Verständlichkeit zwischen zwei Varietäten IPA: Internationales Phonetisches Alphabet (auch API Alphabet Phonétique International) Italisch: prähistorische indogermanische Sprachen in Italien, also Latein und seine Nachbarsprachen (a Italienisch) Klitika: enklitische und proklitische Elemente (s. dies) Knacklaut: Verschlusslaut der Stimmlippen; Beispiel: deutsch 'auf 'einer 'alten 'Eiche Kreolsprache: im Kontakt zwischen europäischen Plantagenbesitzern und ihren eingeborenen Sklaven bildeten sich zunächst rudimentäre Verkehrssprachen heraus (Pidgin-Sprachen), die sich dann zu vollwertigen Muttersprachen entwickelt haben, nämlich Kreolsprachen; es gibt solche Kreols auf englischer, französischer, holländischer, portugiesischer und spanischer Basis Kultismus: direkt aus dem klassischen Latein in eine romanische Sprache entlehntes Wort; Beispiel: französisch nocturne neben dem Erbwort nuit Kulturdialekt: Varietät, die nach internen Kriterien als Dialekt zu klassifizieren ist,
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Anhang
die aber einen eigenen Ausbau hat; Beispiele: Letzeburgisch (Luxemburgisch), Galicisch, Korsisch leísmo: span.; Gebrauch des Dativpronomens statt des Akkusativprpnomens (le veo statt lo veo »ich sehe ihn«) llano: span.; auf der vorletzten Silbe betontes Wort Metaphonie: Umlaut, Veränderung eines Vokals durch den Einfluss der folgenden Silbe; Beispiel: deutsch du fdllst aus fallist (Wandel /a/ -4 /e/ wegen des nachfolgenden /i/) Minimalpaar: zwei Wörter, die sich nur durch einen Laut unterscheiden; Beispiel: deutsch Beeren vs. Bären Mittelzungenvokale: Vokale, die mit der Zunge in mittlerer Position gebildet werden; Beispiel: a Monophthongierung: Wandel eines Diphthongs (Verbindung zweier Vokale) zu einem einheitlichen Vokal; Beispiel: deutsch dialektal keiner wird zu keener Morphem: kleinste bedeutungstragende Einheit; Beispiele: deutsch ein-em , ge-mach-t Morphologie: Formenlehre Morphosyntax: Sammelbegriff für Formenlehre und Satzbau Nasalisierung: Aussprache von Vokalen mit Öffnung des Gaumensegels, wodurch die Nase als Resonanzraum aktiviert wird; Beispiel: französisch chance Nasalvokal: nasalisierter Vokal Objektklitika: klitische Pronomina in Objektfunktion Obliquus: Kasus, der alle Funktionen außer der Subjektfunktion ausdrückt (GegenbegriffReaus) Öffnungsgrad: Grad der Öffnung von Vokalen bei der Bewegung der Zunge von oben (geschlossen) nach unten (offen) Okklusiv: Verschlusslaut; Beispiele: deutsch p, t, k Opposition: Gegensatz zwischen zwei Phonemen (bedeutungsunterscheidenden Lauten)
Oralvokal: Vokal, der nur im Mundraum, also ohne Nasalisierung gebildet wird oxyton: auf der letzten Silbe betont Palatalisierung: Veränderung der Aussprache eines Lautes durch Hebung der Zunge an den Gaumen (lat. palatum) paroxyton: auf der vorletzten Silbe betont Partitiv: grammatische Form, die eine Teilmenge ausdrückt, z.B. der Teilungsartikel des Französischen (du pain, des hommes) Phonem: bedeutungsunterscheidender Laut innerhalb einer bestimmten Sprache; Phoneme bilden Oppositionen; Beispiel: deutsch /a/ — /a:/ in kann — Kahn Phonetik: Wissenschaft von den Lauten der Sprache in artikulatorischer und akustischer Hinsicht Phonologie: Wissenschaft von den Lauten der Sprache in funktionaler Hinsicht, als bedeutungsdifferenzierende Elemente innerhalb einer Einzelsprache; auch Phonematik postvelar: am hinteren Gaumensegel artikuliert pripalatal: Zischlaut (sch); auch postalveolar Proklise: vorangestellte Anetigung eines unbetonten an ein betontes Wort; Beispiel: deutsch umgangssprachlich 'n Kleiner (Gegenbegriff Proklise) proparoxyton: auf der drittletzten Silbe betont Quantität: Länge — Kürze von Konsonanten oder Vokalen Rectus: Kasus, der die Subjektfunktion ausdrückt (Gegenbegriff Obliquus) Referenz: Definitheit als Kriterium für die Différentielle Objektmarkierung (s. dies; Gegenbegriff Inhärenz) retroflex: mit zurückgebogener Zungenspitze artikuliert salat: katalanische Dialekte mit dem Artikel es/sa statt el/la
Schwa: unbestimmter Mittelzungenvokal [a], Beispiel: deutsch Zunge seseo: Aussprache des Spanischen, bei der (z) sowie (c) vor (e, i) gleich (s) ausgesprochen wird Sibilant: Zischlaut; Beispiele: deutsch (s, ss, sch, z, tz) Sprachtypologie: allgemeine vergleichende Sprachwissenschaft; die Typologie beschäftigt sich mit der Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus unabhängig von Sprachverwandtschaft oder Sprachkontakt; vgl. Universalienforschung Subjektklitika: klitische Pronomina in Subjektfunktion Suprasegmentalia: sprachliche Phänomene »oberhalb« der Kette der Einzellaute, also Akzent und Intonation Synchronie: Betrachtung der Sprache ohne Berücksichtigung der Geschichte (Gegenbegriff Diachronie) Universalienforschung: beschäftigt sich mit allgemeinen Regeln und Gesetzmäßigkeiten von Sprachen, jenseits der Verschiedenheit der Einzelsprachen; vgl. Sprachtypologie uvular: am Zäpfchen (uvula) artikulierter Laut, insbesondere das »Zäpfchen-r» des Deutschen und Französischen velar: am Gaumensegel (velum) artikulierter Laut; Beispiel: deutsch k, g, (ch) nach a, o, u Vibrant: Artikulation durch Vibration eines Organs, /r/; die Vibration kann mit der Zungenspitze oder dem Zäpfchen realisiert werden Vorderzungenvokale: Vokale, die mit vorgeschobener Zunge artikuliert werden; Beispiele: e, i, voseo: spanische Anrede mit dem Pronomen vos statt tu, besonders in Argentinien verbreitet
Glossar linguistischer Fachbegriffe
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