Belgrads Parasiten . Eine Analyse informeller Dachaufstockungen in Belgrad

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Belgrads Parasiten

Eine Analyse informeller Dachaufstockungen in Belgrad

Masterthesis von Anella Agic Sommersemester 2019

LSA Lehrstuhl fßr Städtische Architektur



Belgrads Parasiten Eine Analyse informeller Dachaufstockungen in Belgrad

Anella Agić



Belgrads Parasiten Eine Analyse informeller Dachaufstockungen in Belgrad von Anella Agić



Ovom prilikom želim se zahvaliti svojim roditeljima koji su za mene bili tu od samom početka mog školovanja pa do objavljivanja ove knjige.


PROLOG

Von fast jedem Standpunkt der Stadt Belgrad aus ist man mit informellen, teils wilden Dachaufbauten konfrontiert. Mit einer gewissen, eigenen Ästhetik und teilweise starkem Kontrast zu den bestehenden Gebäuden erstrecken sie sich durch die ganze Stadt und führen so zu einer Form des informellen Urbanismus. Die Bandbreite dieser Konstruktionen reicht von kleinen Aufbauten bis hin zu mehrgeschossigen Aufstockungen in unterschiedlichster Ausführung. Die Relevanz dieser informellen Strukturen darf nicht unterschätzt werden, da sie neben der gezielten Schwächung des Staates, auch weltweit eine treibende Kraft in der städtebaulichen Entwicklung darstellen. Als Betrachter dieser Bauten stellt sich schnell die Frage, wie es denn zu solch einer hohen Zahl informeller Strukturen kommen konnte. Zusätzlich werden sie meist nur oberflächlich betrachtet, als illegal bezeichnet und mit ärmlichen Verhältnissen in Verbindung gesetzt, doch so einfach ist es nicht. Genau an diesem Punkt setzt diese Arbeit an. Durch eine präzise Analyse der Entstehung soll das Phänomen besser verstanden werden.


Der in diesem Buch verwendete Begriff Parasit hat sich schon seit einigen Jahren für Dachaufbauten, die sich an vorhandene Bauten andocken und deren Infrastruktur nutzen, in der Architektur- und Kunstszene eingebürgert. Da die informelle Bautätigkeit stark im Zusammenhang mit dem Zerfall Jugoslawiens und dessen sozialistischer Wohnpolitik steht, werden in Kapitel eins die geschichtlichen Rahmenbedingungen für ein einfacheres Verständnis erläutert und die Entwicklung der informellen Bauten beschrieben. Anhand mehrfach gescheiterter Versuche des Staates, diese Vorgänge zu unterbinden, zeigt sich weiter, wie komplex die Geschichte der Parasiten ist. Als Ausblick wird aufgezeigt, wie der Staat aktuell versucht, der illegalen Bautätigkeit ein endgültiges Ende zu setzen. Kapitel zwei analysiert fünfzehn dieser Aufbauten genauer. Die nähere Betrachtung unterschiedlichster Beispiele soll einen Einblick in die Vielfalt von Belgrads Parasiten ermöglichen. Kapitel drei befasst sich mit der Fallstudie Karaburma, einem östlichen Viertel in Belgrad, bei dem das Ausmaß der Aufstockungen ihren Höhepunkt erreicht hat. Kapitel vier widmet sich zwei in Belgrad geführten Gesprächen mit Architektin Marija Cvetinović und dem Forscher und Aktivist Nebošja Milikić. Desweiteren wird das Thema zusammenfassend aufgearbeitet und versucht, neben den negativen Auswirkungen informeller Bauprozesse auch mögliche Potenziale herauszuarbeiten. Abschließend sind meine persönlichen Eindrücke der Stadt und eine Vielzahl von unterschiedlichsten Formen der Aufstockungen in Kapitel fünf, in einer Fotostrecke, zusammengefasst.



Pa·ra·sit /Parasít/ Substantiv, maskulin [der]

(Biologie) tierischer oder pflanzlicher Schmarotzer; Lebewesen, das aus dem Zusammenleben mit anderen Lebewesen einseitig Nutzen zieht, die es oft auch schädigt und bei denen es Krankheiten hervorrufen kann

(Literaturwissenschaft) (in der antiken Komödie) Figur des gefräßigen, komisch-sympathischen Schmarotzers, der sich durch kleine Dienste in reiche Häuser einschmeichelt (duden.de)


Inhaltsverzeichnis Seite

12 Kapitel eins 1.1 Vom VielvĂślkerstaat Jugoslawien und seiner Wohnpolitik

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1.2 Der Zerfall Jugoslawiens 22 1.3 Die Privatisierung von Wohnraum 28 1.4 Informelle Aufstockungen und der Versuch diese zu unterbinden

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Seite

40 Kapitel zwei 2.1 Parasit ist nicht gleich Parasit 42 2.2 FĂźnfzehn Parasiten 44


Seite

110 Kapitel drei 3.1 Fallstudie Karaburma 112 3.2 Der Russische Pavillon 114 3.3 Aufstockung des Russischen Pavillons 124 3.4 Patrisa Lumumbe 19 im Detail

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3.5 Patrisa Lumumbe 32, Wohnung 5 142 3.6 Weitere Aufstockungen in Karaburma

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Seite

178 Kapitel vier 4.1 Gespräch mit Marija Cvetinović 180 4.2 Gespräch mit Nebojsa Milikić 186 4.3 Lernen von Belgrads Parasiten 190

Seite

204 Kapitel fünf 5.1 Fotostrecke 206


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Kapitel eins


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1.1 Vom Vielvรถlkerstaat Jugoslawien und seiner Wohnpolitik

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1.2 Der Zerfall Jugoslawiens 22 1.3 Die Privatisierung von Wohnraum 28 1.4 Informelle Aufstockungen und der Versuch diese zu unterbinden

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1.1 VOM VIELVÖLKERSTAAT JUGOSLAWIEN UND SEINER WOHNPOLITIK 29. November 1945 Dies war der Tag an dem die Monarchie, also das Königreich Jugoslawien (von 1918-1929 das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen), und die ab dem 7. März 1945 verwendete Bezeichnung Demokratisches Föderatives Jugoslawien verabschiedet und die Föderative Volksrepublik Jugoslawien mit der Hauptstadt Belgrad offiziell ausgerufen wurde. Das Datum markiert den Beginn eines goldenen Zeitalters für die Entwicklung einiger Republiken des Balkans. Gegründet würde Jugoslawien aus den sechs Teilrepubliken Serbien (und den zwei dazugehörigen Autonomen Provinzen Kosovo und Vojvodina), Kroatien, Slowenien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Montenegro. Obwohl Jugoslawien als Föderation gegründet worden war, wurde es nach dem nicht unumstrittenen Ausgang der Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung am 29. November 1945, bei denen die Kommunistischen Partei Jugoslawiens (KPJ) mit über 90 % (Calic, Marie-Janine, 2010: S. 176) der Stimmen gewonnen hatte, zentral von der KPJ und deren Oberhaupt und Ministerpräsidenten Josip Broz Tito regiert. Das Leitmotiv des jugoslawischen Systems war „Brüderlichkeit und Einheit“: Das brüderliche Verhältnis zwischen allen Völkern und Nationalitäten in Jugoslawien sowie die Gleichheit aller Bürger im Sozialismus wurde damit beschrieben. Diskussionen über die Einführung eines Mehrparteiensystems wurden von Tito untersagt, denn er stellte die ideologische Einheit und soziale Gerechtigkeit über den politischen Pluralismus. Er war davon überzeugt, dass die Einführung einer Demokratie nach westlichem Muster zu Konflikten untereinander und daher zum Staatszerfall führen würde.


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Ö S T E R R EI C H

U N G A R N Lju blja n a

SLO W E NIE N

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K R O ATIE N

VO J VO DIN A R U M Ä N IE N

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J U G O S L A W IE N

SE R BIE N

S arajevo B O S NIE N H E R ZE G O W IN A

M O N TE N E G R O

B U L G A RI E N Prištin a

Po d g oric a KOS SO O VVO O KO Sko pj e

IT A LIE N

M A ZE D O NIE N

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Der Vielvölkerstaat Jugoslawien

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1.1 VOM VIELVÖLKERSTAAT JUGOSLAWIEN UND SEINER WOHNPOLITIK

Arbeiterselbstverwaltung In den kommenden Jahren erlebte Jugoslawien eine bedeutende Phase des Wiederaufbaus des im Krieg stark zerstörten Staates. Hunderte Arbeitsbrigaden aus meist freiwilligen Jugendlichen formierten sich zum Bau von Straßen, Eisenbahnen und Fabriken. Dies führte zu einer enormen infrastrukturellen und industriellen Entwicklung des Landes. Außerdem wurde ab 1945 ein starker Fokus auf die Bildung des Volkes gelegt. Der Bruch mit der Sowjetunion und die Trennung von Stalin 1948 hatte zur Folge, dass Jugoslawien begann ein eigenes, von der Sowjetunion unabhängiges Modell der sozialen Marktwirtschaft zu entwickeln. Im Juni 1950 wurde die Arbeiterselbstverwaltung eingeführt. Die grundlegende Idee dazu war, die Führung von Unternehmen auf kleinere Verwaltungsebenen aufzuteilen, also in die Hände der Arbeiter zu legen. Im Fokus dieses Prinzips stand ein Individuum, das frei war sich auszudrücken, sich zu verbinden und seine Interessen mit denen der Gesellschaft zu harmonisieren. Nicht anonyme Staatsorgane wie im Ostblock, sondern demokratische Arbeiterräte sollten die Unternehmen und andere gesellschaftliche Organisationen lenken. Das soziale Eigentum tritt anstelle des in der UdSSR und anderen kommunistischen Ländern proklamierten staatlichen Eigentums. Keine anonymen Staatsorgane sollten zuständig für Unternehmen und andere gesellschaftlichen Organisationen sein, sondern demokratische Arbeiterräte, die durch eine soziale Selbstverwaltung organisiert sind. Die Umbenennung des Landes 1963 von Föderative Volksrepublik Jugoslawien in Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien bestärkte diese neue Richtung zusätzlich auf symbolische Weise.


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Wohnpolitik Jugoslawiens Ein weiterer wichtiger Fokus der Entwicklungspolitik Jugoslawiens lag auf der Wohnpolitik. Eine intensive urbane Industrialisierung führte zu einer Massenmigration der Bevölkerung aus ländlichen Gebieten in die Städte und einem daraus folgenden ständigen Mangel an Wohnraum. In der Nachkriegszeit wurde Priorität darauf gesetzt zerstörtes Land wiederaufzubauen, vor allem die Infrastruktur, Straßen, Eisenbahnen und die Industrie. Die Schaffung neuen Wohnraumes war nicht inbegriffen. Dies begann sich aber in den 1950er Jahren zu ändern. Neben der Arbeiterselbstverwaltung wurden in der Zeit mehrere Menschenrechte neu definiert. Unter anderem wurden die Rechte der Frauen gestärkt und mit denen der Männer gleichgestellt, wie beispielsweise durch die Einführung des Wahlrechts für Frauen im Jahr 1945. Doch zu einem der wichtigsten Menschenrechte gehörte das Recht auf Wohnraum, was in diesem Kontext bedeutete, dass die Gesellschaft als Ganzes für die Schaffung von Unterkünften zuständig war. Es galt, einerseits durch große Wohnbauprojekte, anderseits durch eine Umverteilung des Wohnraumbestandes, angemessenen Wohnraum für alle bereitzustellen. Bereits in einer der ersten Verfassungen Jugoslawiens wird beschrieben, dass der Staat im Lohnarbeitsverhältnis stehende Personen unter anderem durch eine Wohnführsorge zu schützen hat. Ein wichtiger Schritt zur Veränderung der Entwicklung der Wohnraumschaffung machte das 1958 eingeführte Gesetz über die Verstaatlichung von Wohnbauten und Baugrundstücken (Zakon o nacionalizaciji najamnih zgrada i građevinskog zemljišta 1958). Dies ermöglichte die Übertragung eines Teiles des Wohnungsbaubestandes in soziales Eigentum und schreibt auch die Grenze des privaten Eigentums vor.


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1.1 VOM VIELVÖLKERSTAAT JUGOSLAWIEN UND SEINER WOHNPOLITIK

Bis Mitte der 1960er Jahre befand sich die Wirtschaft des Landes im ständigen Aufschwung. Die Arbeitslosenquote war relativ gering und der Bildungsstatus von Arbeitnehmern und Bevölkerung verbesserte sich kontinuierlich. In allen regionalen und überregionalen Zentren entstanden bauliche Symbole von Modernität und Staatlichkeit: es wurden Krankenhäuser, Universitäten, Bibliotheken, Hotels, Rundfunkstationen und Sportstadien errichtet. Ganz besonders fand dies in der Hauptstadt, der Metropole Belgrad statt, die als Symbol des neuen Jugoslawien fungierte. Die sozialistische Urbanistik kreierte eine völlig neue Form von gesellschaftlicher Öffentlichkeit. Besonders geschätzt aber wurde die Reisefreiheit der Jugoslawen. Ebenso stand Jugoslawien allen Ausländern offen. Vor allem die fast 200 km lange Adriaküste Kroatiens entwickelte sich in den 1960er Jahren zu einem großen Wirtschaftsfaktor. Im Wohnverhältnisrecht von 1973 (Zakon o stambenim odnosima 1973) wird das Wohnrecht als „das Recht auf eine dauerhafte und ungestörte Nutzung der Wohnung zur Befriedigung der persönlichen und familiären Wohnbedürfnissen“ beschrieben, wobei die Dauer der Nutzung als unbefristet bestimmt wurde. Das soziale Eigentum wurde also über das private Eigentum gestellt und somit erhielten die Mieter in Bezug auf die Nutzung der Wohnung dieselben Rechte wie die Eigentümer selbst. Mit der Zeit sollte die Selbstverwaltung über die Verwaltung der Unternehmen hinausgehen, das gesamte soziale Miteinander der Gesellschaft sollte mitbestimmt werden. Das komplexe System der Unternehmen wurde in kleinere Arbeiterräte aufgeteilt, die sogenannten BOALs (Basic Organizations of Associated Labor), welche das Ziel hatten der Wohnungsnot entgegenzuwirken. Ihr Fokus lag auf einer gemeinsamen Investition in den Wohnungsbau. Es wurde festgesetzt, dass jeder Arbeitnehmer einen gewissen


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Prozentsatz seines Gehalts für die Errichtung neuen Wohnraumes abgeben musste, unabhängig davon ob er schon mit einer Unterkunft versorgt war oder nicht. In dieser Zeit wurden neue Hochhauswohnsiedlungen zum vorherrschenden Modell des Wohnungsbaus. Das Problem der Quantität an Wohnungen wurde durch den Bau einer großen Anzahl kleiner, beengter und typisierter Wohnungen gelöst. Nun wurde die Qualität ein Problem, da die Wohnverhältnisse in diesen kleinen Wohnungen oft weit unter dem Standard lagen und die Grundrissaufteilungen nicht anpassungsfähig waren. Trotz massiver Investitionen in die Wohnbebauung konnte der Staat das Wohnungsdefizit nie decken. Bis zum Zerfall Jugoslawiens herrschte in allen großen Städten, insbesondere in den Hauptstädten der Föderation, enorme Wohnungsnot, da durch die Industrialisierung immer mehr Menschen in die Städte zogen und der Staat mit der Schaffung neuen Wohnraumes nicht hinterherkam.


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1.1 VOM VIELVÖLKERSTAAT JUGOSLAWIEN UND SEINER WOHNPOLITIK

Wohnrecht für Alle? Auch wenn das Prinzip der Verteilung von Wohnraum für einen Großteil der Bevölkerung gut funktionierte, entstanden in diesem Zusammenhang auch viele Komplikationen, da diese Praxis hauptsächlich dem arbeitenden Volk vorbehalten war. Durch die nun stark wachsende Arbeitslosenrate und die enorme Geschwindigkeit des Wachstums der Städte, vor allem in den 1960er Jahren, gab es jedoch auch Teile der Bevölkerung, die von dieser Methode nicht profitieren konnten und deshalb zu illegalen, selbstgestalteten Lösungen an den Stadträndern griffen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass damals eine große Anzahl von Jugoslawen als Gastarbeiter ins Ausland ging und dort im Baubereich beschäftigt war. Daher verfügten viele Personen bereits über Grundkenntnisse in der Konstruktion von Häusern. Die Errichtung solcher Bauten begann oft über Nacht. Die Menschen zogen in selbst erbaute Strukturen, selbst wenn diese noch nicht fertig waren, sodass ganze Familien in unfertigen Gebäuden mit Nylonplanen in den Rohbau-Fensteröffnungen und ohne Wasser und Strom lebten. Anfänglich wurde dieses Phänomen von den bereits überlasteten Behörden ignoriert. Gerade dadurch entfachte sich jedoch ein unkontrolliert wuchernder Prozess der Entstehung informeller Bauten. Ein Problem, das bereits seit den 1960er Jahren besteht und für das bis heute noch keine endgültige Lösung gefunden wurde.


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Informelle Siedlungen an den Stadträndern von Belgrad

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1.2 DER ZERFALL JUGOSLAWIENS Bereits Ende der Sechziger begann Titos Sozialismus zu bröckeln. Die Schwachstelle bei der entwickelten Arbeiterselbstverwaltung bestand darin, dass Arbeiter auch über das Budget eines Unternehmens entscheiden konnten und sich daher ständig selbst ihre Löhne erhöhten. Viele Fehlinvestitionen wurden getätigt und dem System mangelte es an Flexibilität. Ein Großteil der Unternehmen wurde insolvent und musste schließen. Eine steigende Arbeitslosenquote war die Folge. Viele Jugoslawen verließen das Land, um unter anderem in Deutschland als Gastarbeiter zu arbeiten. 1975 waren es bereits eine halbe Million (zdf.de, 2019). Die Entwicklung Jugoslawiens verlief nicht für alle Republiken gleich, es kam zu einem Wohlstandsgefälle innerhalb des Staates. Selbst wenn die Kommunisten anstrebten, dass die Entwicklungsund Einkommensunterschiede so gering wie möglich gehalten werden sollten, wurde die Differenz zwischen den Republiken immer größer. Unter anderem trug die Ölkrise der Siebziger Jahre auch in Jugoslawien zu massiven Produktionsausfällen und Absatzproblemen bei, was die Republiken noch mehr auseinanderdriften ließ. Der Wohlstand der Slowenen, Mitte der 1970er Jahre, wurde auf das Siebenfache das der Kosovaren geschätzt (Calic, Marie-Janine, 2010: S. 256). Als Kroatien und Slowenien den Großteil ihrer Einnahmen aus dem florierenden Tourismus an ärmere Regionen wie BosnienHerzegowina, Mazedonien und Kosovo abgeben mussten, trieb diese erzwungene Umverteilung einen weiteren Keil zwischen die Bewohner der unterschiedlichen Republiken. Bereits Ende der 1960er Jahre protestiere Kosovo für mehr Autonomie und 1971 förderte Kroatien mit Aufständen eine größere Selbstbestimmung über seine Einnahmen. Tito jedoch tolerierte den angestrebten Nationalismus einzelner Republiken nicht, er beschrieb dies als Befeindung gegen den


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Föderativen Staat Jugoslawien. Die von Tito erhoffte Beruhigung der Situation durch die Verabschiedung einer neuen Verfassung im Jahr 1974, die den Republiken und Provinzen mehr Eigenverantwortung zuschrieb, blieb aus. Tito Josip Broz verstarb am 4. Mai 1980. Mit ihm verlor der Staat seine Identifikationsfigur und auch die verbindende Ideologie von Brüderlichkeit und Einheit verschwand. Dieses Datum markiert den Beginn eines politischen Wandels innerhalb des Landes, der letztendlich zum Zerfall Jugoslawiens führte. Ausländische Kreditgeber drehten dem Staat den Geldhahn zu und forderten Jugoslawiens Schulden ein. Die Folge war eine komplette Staatsverschuldung und Hyperinflation. Da Tito vor seinem Tod keinen Nachfolger bestimmt hatte, regierte ab diesem Zeitpunkt ein Präsidium aus je einem Mitglied der Republiken und Provinzen, das jedoch wegen großer Unstimmigkeiten und der fehlenden neutralen Oberhand von Beginn an zum Scheitern verurteilt war. Spätestens als mit den Mehrparteienwahlen der jeweiligen Republiken von 1990/ 1991 neue, zu keinerlei Kompromissen bereite Führer der Republiken eingesetzt wurden, wurde die jugoslawische Bundespolitik handlungsunfähig, da eine Einstimmigkeit in der Regierung nicht mehr erzielt werden konnte.


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1.2 DER ZERFALL JUGOSLAWIENS

Elf Jahre nach Titos Tod erklärten die Republiken Kroatien und Slowenien am 25. Juni 1991 ihre Unabhängigkeit. Daraufhin begann ein Krieg, in dem die Zentralregierung in Belgrad versuchte, die Unabhängigkeitsbestrebungen militärisch mit der jugoslawischen Volksarmee zu unterdrücken. Da ein Drittel aller Serben außerhalb von Serbien in den anderen Teilrepubliken Jugoslawiens lebten, fürchteten diese nach der Unabhängigkeitserklärung vertrieben zu werden. Der Krieg in Slowenien war bereits nach zehn Tagen beendet, da dort kaum Serben beheimatet waren und sie so auch keinen territorialen Anspruch hatten. Die Unabhängigkeit Kroatiens und auch die von Bosnien-Herzegowina am 1. März 1992, resultierte jedoch in einem mehrjährigem Krieg. Ziel der serbischen Regierung war es, einen „großserbischen“ Staat zu errichten. In den Teilen Bosniens und Kroatiens, in denen viele Serben lebten, sollten daher alle Bosniaken und Kroaten vertrieben werden. Durch Massenvertreibung und Massaker aller Art eroberten die Serben große Gebiete in Kroatien (ca. 30% der Fläche des Landes) und Bosnien (ca. 70% des Territoriums). (Sarović, Alexander, 2016) Die bosnische Hauptstadt Sarajevo wurde fast vier Jahre von den Serben belagert. Der Massenmord in der ostbosnischen Stadt Srebrenica gilt als das größte Massaker in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs, bei dem serbische Truppen mehr als 8000 muslimische Jungen und Männer töteten. Durch den Zusammenschluss der kroatischen und bosnischen Armee wurden Rückeroberungen durchgeführt. International reagierte die NATO mit Luftangriffen auf das Blutbad von Srebrenica, gegen das bosnisch-serbische Militär. Nach langen Verhandlungen wurde im Dezember 1995 das Dayton Abkommen von den Staatsoberhäuptern Alija Izetbegović (Bosnien-Herzegowina), Franjo Tuđman (Kroatien) und Slobodan Milosević (Serbien-Montenegro) unterzeichnet, das den Krieg in Bosnien beendete.


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Ö S T E R R EI C H

U N G A R N Lju blja n a

SLO W E NIE N 25. J u ni 19 91

Za gre b

K R O ATIE N

VO J VO DIN A

25.J u ni 199 1 R U M Ä N IE N

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SE R BIE N S arajevo

B O S NIE N H E R ZE G O W IN A 1. M ärz 19 9 2

M O N TE N E G R O 3. J u ni 20 0 6 Po d g oric a

B U L G A RI E N Prištin a 17. F e br u ar 20 0 8

KO S O VO Sko pj e

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M A ZE D O NIE N 8. S e pte m b er 19 91

A L B A N I E N

G R IE C H E N L A N D

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Der Zerfall Jugoslawiens

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1.2 DER ZERFALL JUGOSLAWIENS

Insgesamt fielen den Jugoslawienkriegen mehr als 100.000 Menschen zum Opfer. Am 27. April 1992 einigten sich die übrig gebliebenen Republiken Serbien und Montenegro auf die Erhaltung Jugoslawiens und gründete zusammen den Staat Bundesrepublik Jugoslawien. Schließlich wurde die Bezeichnung am 4. Februar 2003 in Staatenunion Serbien-Montenegro geändert. Der Begriff Jugoslawien existiert seitdem in keinem Staatsnamen mehr. Beim Referendum vom 3. Juni 2006 erklärte auch Montenegro die Unabhängigkeit von Serbien, welches seit dem 5. Juni desselben Jahres als Republik Serbien bezeichnet wird. Auch wenn die NATO bereits im Frühjahr 1999 Luftangriffe gegen die Serben im Kosovo flog, welche gegen die nach Unabhängigkeit strebende albanische Bevölkerung vorgingen, erklärte sich Kosovo erst am 17. Februar 2008 als unabhängig. Bis heute haben jedoch nicht alle Staaten der internationalen Staatengemeinschaft Kosovo als eigenständigen Staat anerkannt. Der schrittweise Zerfall Jugoslawiens endete somit in der Entstehung von sieben Nachfolgestaaten. Zwei der Staaten, Slowenien und Kroatien, sind bereits Mitglieder der Europäischen Union. Serbien, Montenegro und Mazedonien besitzen einen offiziellen, aber BosnienHerzegowina und Kosovo nur einen potenziellen Kandidatenstatus.


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1.3 DIE PRIVATISIERUNG VON WOHNRAUM Jugoslawiens Wohnpolitik mit dem Recht auf Wohnraum begann schon in den 1980er Jahren zu bröckeln. Der Staat konnte dem steigenden Wohnraumbedarf nicht entgegenwirken und wies keine Flexibilität auf, um speziellen Bedürfnissen gerecht zu werden. Außerdem wurden zu viele Menschen von dem System gar nicht gedeckt und begannen so auf informelle Bautätigkeiten außerhalb der Stadt zurückzugreifen. Hinzu kommt, dass sich das Land in einer Ausnahmesituation von Zerfall und Krieg befand und versucht hat mit allen Mitteln den Kapitalismus einzuführen. Als eines dieser Mittel diente die Privatisierung des Wohnraums, welches den Privatkauf von Wohnungen ermöglichte und so direkt Geld in die Staatskasse spülte. Die Privatisierung des Wohnraumbestandes begann mit dem verabschiedeten Gesetz von Wohnverhältnissen 1990 (Zakon o stambenim odnosima 1990). Der Staat hob die verpflichtenden Beiträge für den sozialen Wohnungsbau von Arbeitnehmern auf und erklärte den Wohnraumbedarf, entweder durch Erwerb von Wohneigentum oder durch Vermietung zu decken. Das Gesetz beschrieb in Artikel 2, dass „Berufstätige und Bürger ihre persönlichen und familiären Wohnbedürfnisse mit eigenen Mitteln durch den Bau, den Kauf oder das Mieten einer Wohnung decken“. Dadurch wurde bestimmt, dass Bewohner mit speziellem Nutzungsrecht nun das Recht auf Privateigentum hatten, also die Wohnung in der sie lebten zum Teil oder ganz kaufen konnten. Besondere Bedingungen, unter anderem der Kaufpreis, wurden in diesem Gesetz festgelegt. Dieser ermittelte sich auf der Grundlage des durchschnittlichen Nettoeinkommens des Käufers, der zu erwerbenden Fläche, des allgemeinen Zustands und der Lage der Wohnung.


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Vollständig in Kraft tritt die Privatisierung mit dem Wohnungsgesetz von 1992 (Zakon o stanovanju 1992). Dieses baut auf dem Gesetz von 1990 auf und ermöglichte nun die Privatisierung des zuvor im sozialen Eigentum befindenden Wohnraumbestandes. Damit verschwand das gesellschaftliche Eigentum, das einst im Zentrum der Selbstverwaltung des sozialistischen Jugoslawiens stand. Selbst wenn das Gesetz neben Festsetzungen für den Kauf einer Eigentumswohnung auch die Nutzung, Verwaltung und Instandhaltung von Gebäuden regelte, blieben viele Punkte noch ungeklärt. Daraus resultierten zahlreiche Probleme. Zu den wirtschaftlichen Herausforderungen der 1990er Jahre kam der massive Zustrom von Flüchtlingen durch den Zerfall Jugoslawiens. Hauptsächlich aus Kroatien und Bosnien flüchteten die Menschen vor den Jugoslawienkriegen. Es entwickelte sich eine ungleiche Verteilung von Wohnraum. Mehr als die Hälfte der Bewohner Serbiens lebten unter extremen Bedingungen, wie beispielsweise bis zu drei Personen pro Zimmer. Die Verfassung der Unterkünfte befand sich in einem weitaus schlechteren Zustand als der Durchschnitt in West-Europa. Durch die Privatisierung von sozialem Eigentum entstanden unklare Besitzverhältnisse. Auch wenn im Wohnungsgesetz von 1992 die Instandhaltung mitbedacht wurde, sind gemeinschaftlich genutzte Bereiche stark vernachlässigt worden. Die Gebäude wurden rasch sanierungsbedürftig, da viele der neuen Eigentümer den Pflichten der Instandhaltung nicht nachkommen konnten oder wollten. Externe Betriebe mussten zusätzlich eingesetzt werden, um die Sanierung von Gebäuden in großem, wie in kleinem Maßstab zu koordinieren.


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1.3 DIE PRIVATISIERUNG VON WOHNRAUM

Neben den fehlenden klaren Regeln zur Instandhaltung von Gebäuden entwickelte sich ein hoher Prozentsatz an Privateigentum, im Jahr 2002 waren es 98 % (Mojovic, Djordje, 2009, S. 212). Folglich kam es zu einem nahezu kompletten Ausfall des sozialen Wohnbaus. Mit der Privatisierung wurde ein System - das Recht auf Wohnen - komplett abgeschafft, jedoch kein Neues eingeführt. Weder bestimmte Regelungen, noch Unterstützungen wurden geschaffen. Immer mehr informelle Siedlungen, an den Stadträndern, aber auch unkontrollierte Slums, welche hauptsächlich von der Bevölkerung der Roma bewohnt wurden, entwickelten sich. In der bisher größten Wohnungsnot Belgrads, verursacht durch die vielen zugezogenen Migranten, war es schwierig, an bezahlbaren und sicheren Wohnraum zu kommen. Immer mehr illegale bauliche Konstruktionen traten nicht nur in den Außenbereichen der Stadt auf, sondern auch im Stadtzentrum entwickelten sich mehr und mehr informelle Dachaufstockungen unterschiedlichster Art.


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1.4 INFORMELLE AUFSTOCKUNGEN UND DER VERSUCH DIESE ZU UNTERBINDEN Neben der unkontrollierten Stadterweiterung Belgrads seit den 1960er Jahren entwickelten sich, besonders seit der Privatisierung mit dem Wohnungsgesetz von 1992, unterschiedlichste Arten von informeller Bautätigkeit, auch innerhalb des Stadtzentrums. Der herkömmliche Weg an eine Baugenehmigung zu kommen war immer noch sehr zeitaufwendig und teuer. Die Bandbreite reichte von Kiosken über kleinere Dachaufbauten bis hin zu großen Gebäuden. Im Vergleich zu anderen Städten und Ländern ist die illegale Bautätigkeit nicht ausschließlich den ärmeren Bevölkerungsschichten zuzuschreiben. Von den Geflüchteten bis hin zu den Akademikern, alle leisteten ihren Beitrag zur drastischen Veränderung der Stadt. Da sich immer mehr privatisierte Wohngebäude in einem desolaten Zustand befanden, weil unklare Besitzverhältnisse herrschten und die Instandhaltung nicht ausreichend geregelt worden war, wurde 1995 das Gesetz zur Instandhaltung von Wohngebäuden eingeführt (Zakon o održavanju stambenih zgrada, 1995). Dieses legte die Rechte und Pflichten der Eigentümer insbesondere im Zusammenhang der Nutzung und Instandhaltung von Wohngebäuden fest. Von kleinen Maßnahmen wie der Reinigung des Hauses bis hin zur Sanierung der Konstruktion oder den Aufzügen wurde nun alles geregelt. Außerdem ermöglichte das Gesetz die Gründung von Mietergemeinschaften, die unter anderem gemeinsam entscheiden konnten das Flachdach eines Gebäudes für einen Aufbau zur Erweiterung des Wohnraumes zu nutzen. Des Weiteren führte das Gesetz in Artikel 18 ein, dass neben den Besitzern der Wohnungen und deren Angehörigen auch eine dritte Partei, externe Investoren, eine Dachaufstockung mit der Zustimmung von 51 % der Bestandseigentümer durchführen können.


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Informelle Aufstockungen im Stadtzentrum

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1.4 INFORMELLE AUFSTOCKUNGEN UND DER VERSUCH DIESE ZU UNTERBINDEN

Im Gegenzug sollten diese Sanierungsmaßnahmen am bestehenden Gebäude vornehmen, was in der Praxis jedoch in den meisten Fällen ausblieb. Die Beziehung zwischen den Geldanlegern und den Eigentümern wurde rechtlich geklärt und sollte in einem Vertrag festgehalten werden. Die Verpflichtungen, die ein Investor vor, während und nach der Bauphase zu erfüllen hatte, wurden in Artikel 19 festgelegt. Außerdem konnten von nun an auch Gemeinschaftsbereiche in neuen Wohnraum umgewandelt werden. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wurden Dachaufstockungen nicht mehr ausschließlich von den Bewohnern und Eigentümern mangels Wohnraum durchgeführt, sondern Investoren sahen in der Baubranche ein lukratives Geschäft mit viel Profit. Zunehmend wurde bald jedes Dach für eine neue Konstruktion beansprucht. Nicht nur die Anzahl der Dachaufstockungen in Belgrad stieg an, auch deren Dimension wuchs kontinuierlich. Zum Höhepunkt brachte es jedoch das 1997 eingeführte Gesetz für Besondere Bedingungen für die Erteilung von Bau- und Nutzungsgenehmigungen (Zakon o posebnim uslovima za izdavanje građevinske, odnosno upotrebne dozvole za određene objekte , 1997). Nachträglich führte dieses Gesetz eine vorübergehende oder vollständige Zulassung für illegal fertig gestellte bauliche Strukturen ein. Als Stichtag wurde der 4. November 1995 gesetzt, alle Konstruktionen, die vor diesem Datum fertiggestellt worden waren, sollten eine Genehmigung bekommen. Dies führte jedoch dazu, dass noch mehr ohne Befugnis gebaut wurde, da diese nun nachträglich eingeholt werden können. Da der Staat in den 1990er Jahren mit dem starken Zustrom an Flüchtlingen, besonders aus Kroatien und Bosnien, zu kämpfen hatte, konnten sich jene auf diesem Weg erstmals selbst mit einer Unterkunft versorgen. Der Staat wollte sich nachträglich um die daraus resultierenden Probleme kümmern. Die Bewohner illegaler Strukturen beruhigte dies, da sie nun keine Zwangsräumungen über


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Nacht mehr fürchten mussten. Statistiken zeigen, dass diese beiden eingeführten Gesetze genau das Gegenteil dessen bewirkt haben, wofür sie geschaffen worden waren: Die Zahl der illegalen Einheiten stieg von 33,594 Einheiten im Jahr 1995 hin zu 95,914 Einheiten im Jahr 2001 (Sekulić, 2010, S. 86). Auch wenn der Begriff „Legalisierung“ im sprachlichen Gebrauch längst verwendet wurde, kam er weder im Gesetz von 1997, noch in dem von 2003 vor. Das Planungs- und Baugesetz (Zakon o planiranju i izgradnji , 2003) von 2003 war das Erste, nach dem Untergang Miloševičs und der Demokratisierung des Landes, das sich mit informellen Strukturen beschäftigte. Man hatte Hoffnung, dass dieses alle bisherigen Probleme lösen würde. Ohne die Legalisierung direkt anzusprechen wird beschrieben, dass Gebäude, die ohne Genehmigung entstanden sind und den Antrag zur nachträglichen Genehmigung abgegeben haben, einen temporären Anschluss zur Wasser-, Abwasser- und Stromversorgung und zur Telekommunikation bekommen können. Als finalen Stichtag zum Antrag auf der Genehmigung wurde der 13. Mai 2003 festgesetzt, alles danach Entstandene sollte abgerissen werden. Dieses Gesetz vereinfachte jedoch nicht den komplizierten und kostspieligen Prozess des herkömmlichen Genehmigungsverfahrens und schränkte daher die Zahl der illegalen Bautätigkeiten nicht ein.


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1.4 INFORMELLE AUFSTOCKUNGEN UND DER VERSUCH DIESE ZU UNTERBINDEN

Offiziell diskutiert wurde das Thema der Legalisierung erstmals im Planungs- und Baugesetz von 2009 (Zakon o planiranju i izgradnji, 2009). Legalisierung meint laut diesem Gesetz die nachträgliche Erteilung einer Bau- und Nutzungserlaubnis für ein Objekt oder einen Teil davon, das ohne eine Baugenehmigung gebaut, umgebaut oder aufgewertet wurde oder dessen Nutzung nicht genehmigt wurde. Neben dem Versuch die informelle Bautätigkeit durch die Vereinfachung des Genehmigungsverfahrens einzuschränken, wird ein ganzes Kapitel im Gesetz dem Legalisierungsverfahren gewidmet. Die neue Frist für die Abgabe eines Antrages wurde auf den 11. März 2010 gesetzt; 700,000 illegale Objekte wurden zu diesem Zeitpunkt in Serbien registriert (Sekulić, 2010, S. 98). Daraufhin wurde eine eigene Behörde gegründet, welche ausschließlich die Legalisierung zu regeln hatte.


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„Letzte“ Möglichkeit der Legalisierung Auch das 2013 speziell eingeführte Gesetz zur Legalisierung von Objekten (Zakon o legalizaciji objekata, 2013) konnte diese Bautätigkeiten, trotz weiteren Fristen zur Legalisierung und Abrissdrohungen, nicht eindämmen. Daher wurde 2015 ein neues Gesetz zur rechtmäßigen Anerkennung von Objekten (Zakon o ozakonjenju objekata, 2015) erlassen, auf dem das heutig gültige Gesetz von 2018 aufbaut. Dies soll die Legalisierung deutlich vereinfachen und günstiger machen. Alle, die bereits einen Antrag auf Legalisierung inklusive der technischen Dokumentation gestellt hatten, mussten nun nur noch die Steuern für die Verarbeitung zahlen. Bei einem Objekt bis zu 100 Quadratmetern betragen diese 5.000 Dinar, was einem Wert von ca. 42€ entspricht (novosti.rs, 2015). Die aktuell gültige Frist für die Legalisierung, der 6. November 2023, soll nun das endgültige Ende von Häusern ohne Zulassung sein. Legalisiert werden Gebäude, die bis zum 29. Januar 2014 einen Antrag gemäß dem zuvor geltenden Gesetz zur Legalisierung von Objekten gestellt hatten und welche vor 2015 fertiggestellt wurden, also auf den Satellitenbildern von 2015 zu sehen sind. Grundsätzlich ausgenommen sind Bauwerke, die entweder auf baulich ungünstigen Grundstücken oder aus nicht stand-fähigem Material errichtet wurden. Allerdings wurde noch nicht geklärt was mit den Konstruktionen geschieht, die bis zu dem Zeitpunkt zwar eingetragen, jedoch von den Behörden noch nicht bearbeitet wurden. Falls ein Antrag auf Legalisierung abgewiesen wird, kann das Objekt direkt abgerissen werden. Wenn eine Einspruchsklage dennoch vor Gericht bestätigt werden sollte, zahlt der Staat Schadenersatz. Wie hoch die Zahl der abzureißenden Häuser sein wird ist noch unklar. Mit dem Abriss von Gebäuden, die auf öffentlichen Plätzen oder Grundstücken der geplanten U-Bahn erbaut sind, wird begonnen.


38

1.4 INFORMELLE AUFSTOCKUNGEN UND DER VERSUCH DIESE ZU UNTERBINDEN

Geschätzt wird, dass der Abriss eines Hauses den Staat ca. 50€/ m2 Fläche kostet (Tanjug, 2018). Außerdem muss innerhalb von drei Tagen, nachdem der Antrag abgelehnt wurde, die Kommunalverwaltung benachrichtigt werden, um das Objekt von Versorgungsleitungen aller Art zu trennen. Die vorübergehenden Anschlüsse für die Versorgung während der Phase der Legalisierung, welche laut den vorherigen Gesetzen noch erlaubt waren, wurden endgültig abgeschafft. Seit der ersten Version des Gesetzes von 2015 wurden 183.000 Objekte genehmigt und 500 abgelehnt und daher abgerissen (novosti.rs, 2018). Das neue Gesetz hat außerdem den Kauf und Verkauf von nicht genehmigten Objekten verboten. Die Nutzung für Geschäftszwecke wie Cafés oder Restaurants wurde auch untersagt, was zu vielen leerstehenden Flächen führte. Da es laut den zuständigen Behörden nun sehr günstig und einfach ist an eine Baugenehmigung oder Legalisierung zu kommen, dürfte es nach ihren Angaben nun keinen Grund mehr für illegale Bautätigkeiten geben. Ob das neue Gesetz mit seinen strikten Regeln gegen die rund 2,2 Millionen illegal gebauten Objekte unterschiedlichster Art in Serbien vorgehen kann, wird die Zukunft zeigen (Tanjug, 2018).


39


40

Kapitel zwei


41

2.1 Parasit ist nicht gleich Parasit 42 2.2 FĂźnfzehn Parasiten 44


42

2.1 PARASIT IST NICHT GLEICH PARASIT Informelle Dachaufstockungen kommen in Belgrad in den unterschiedlichsten Ausführungen vor. Von kleinen Aufbauten, die der persönlichen Erweiterung des Wohnraumes dienen und vermutlich von den Eigentümern selbst durchgeführt worden sind, bis hin zu überdimensionalen, mehrgeschossigen Aufstockungen, die rein aus profitablen Gründen gebaut wurden. Einige davon haben ein fast unscheinbares Auftreten und versuchen sich bestmöglich an den Bestand anzupassen und in die Umgebung einzugliedern. Andere wiederum verbergen zusätzlich wuchernde Dachlandschaften, die erst durch einen Perspektivenwechsel sichtbar werden. Wiederum andere Aufstockungen fallen auf, da sie im starken Kontrast zu den bestehenden Gebäuden stehen oder gar hässlich sind. Das nachfolgende Kapitel analysiert fünfzehn dieser Aufbauten genauer. Neben ausführlichen Fotografien der Gebäude, einem Lageplan, der die städtebaulichen Rahmenbedingungen aufzeigt, und einer Beschreibung wird auch jedes dieser Beispiele mit einer Ansichtszeichnung zeichnerisch dokumentiert. Eine Axonometrie verdeutlicht die Komplexität der Aufbauten. Im Gegensatz zur Fußgängerperspektive eines Fotos wird so eine genauere Betrachtung der teilweise wilden Dachkonstruktionen ermöglicht. Zusätzlich wird berechnet und angegeben, um wie viel Prozent sich der Bestand erweitert hat. Dies bietet einen Wert, durch den das Ausmaß der städtebaulichen Veränderungen der unterschiedlichen Beispiele vergleichbar ist. Nachstehend wird mit der kleinsten Maßnahme begonnen und mit der größten dieser Strukturen das Kapitel abgeschlossen.


43


44

2.2 FÜNFZEHN PARASITEN


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09 14 12

01 04

13

03

05 06 07

11 08


15

10

02


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN


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LEGENDE

#

Adresse

Aufstockung in %

Seite

01

Brankova 30

2,75 %

50

02

Cvijićeva 123

10,71 %

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03

Bulevar Kralja Aleksandra 24

12,59 %

58

04

Crnogorska 5

14,58 %

62

05

Krunska 18

18,75 %

66

06

Hadjuk – Veljkov venac 14

23,75 %

70

07

Sarajevska 12

26,67 %

74

08

Sarajevska 76

28,57 %

78

09

Braće Baruh 11

38,46 %

82

10

Cvijićeva 93

41,67 %

86

11

Sarajevska 46

42,31 %

90

12

Skender Begova 39

77,50 %

94

13

Svetogorska 25

83,33 %

98

14

Dubrovačka 8

87,50 %

102

15

Patrisa Lumumbe 19

252,50 %

106


50

Brankova 30 01 Die Dachterrasse

2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

des rückspringenden Attikageschosses wird zugunsten einer Wohnraumerweiterung auf etwa einem Drittel der Fassadenbreite unterbrochen. Dabei wurde zumindest versucht, die gleichmäßige Fassadengliederung der darunterliegenden Geschosse aufzugreifen. Dennoch korrespondiert dieses Dachgeschoss mehr mit dem Sockelgeschoss und bildet mit diesem einen Rahmen für die sechs dazwischenliegenden repetitiven Stockwerke.

+ 2,75 %


51


52

2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

0

50

0

50

100

100

70%


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Brankova 30


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

Cvijićeva 123 02 Während die ursprüngliche Fassade über die Jahre trotz einiger

Modifikationen ihren gleichmäßigen Gliederungscharakter erhalten hat, versucht die Aufstockung nicht annähernd ihren parasitären Charakter zu verbergen. Ein über knapp die Hälfte der Grundfläche errichtete, einfamilienhausartige Struktur ohne erkennbaren Bezug zur bestehenden Fassadengliederung sticht selbst dem ungeübten Betrachter sofort ins Auge.

+ 10,71 %


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

0

50

0

50

100

100

70%


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Cvijićeva 123


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

Bulevar Kralja Aleksandra 24 03 Sieht man von dem eher befremdlichen Steildach ab, fügt sich die Erweiterung formal gut auf dem Bestand ein. Materialität und Farbigkeit lehnen sich an die Basis an und vermitteln ein weitestgehend stimmiges Gesamtbild. Einzig die Tatsache, dass die Aufstockung nicht durchgehend über die gesamte Gebäudefront errichtet wurde, bricht diesen Eindruck.

+ 12,59 %


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60

2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

0

50

0

50

100

100

70%


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Bulevar Kralja Aleksandra 24


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

Crnogorska 5 04 Auch wenn auf den ersten Blick der Eindruck entstehen mag, dass

die Bauherren dieser Aufstockung es den beiden Nachbarn recht machen wollten, so scheint doch klar, dass die wohl ursprünglich existierenden Gauben zugunsten der Wohnraumgewinnung weichen mussten. Die Fenster der nunmehr halbseitig verlängerten Fassade orientieren sich dabei in Format und Größe mehr am Nachbarn als an der bestehenden Fassade. Immerhin wurde das Satteldach nicht ganz aufgegeben.

+ 14,58 %


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

0

50

0

50

100

100

70%


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Crnogorska 5


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05

2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

Krunska 18 Die Aufstockung dieses Rückgebäudes macht sich die Lage in zweiter Reihe zu eigen. Abseits der Öffentlichkeit, versteckt vor allen Augen wurden hier gleich zwei zusätzliche Geschosse über die gesamte Grundfläche errichtet. Dabei nahmen die Bauherren auf die Fassadengestaltung der bestehenden Substanz nur wenig Rücksicht und auch die neu entstandene Dachlandschaft erweckt den Eindruck, dass der Erbauer ein romantisch verklärtes Idealbild einer ländlichen Datscha im Sinn hatte.

+ 18,75 %


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

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50

0

50

100

100

70%


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Krunska 18


70

06

2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

Hadjuk – Veljkov venac 14 Pragmatisch. So lässt sich diese zweigeschossige Aufstockung zusammenfassen. Die vorhandenen Aussenwände des bis dahin achtgeschossigen Baus wurden einfach um zwei Stockwerke erhöht, die Fassadenöffnungen nach den innenräumlichen Erfordernissen ohne Rücksicht auf Bestehendes eingefügt. Gerade dieser konstruktive Pragmatismus vermittelt dem Betrachter einen (fast) homogenen Gesamteindruck.

+ 23,75 %


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

06

0

50

0

50

100

100

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Hadjuk – Veljkov venac 14


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07

2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

Sarajevska 12 Bei einem flüchtigen Blick könnte man meinen, dieser Apartmentblock wäre immer schon so geplant und gebaut worden. Doch was hier als so gefällig daher kommt ist eine informelle Wohnraumerweiterung über 2 Geschosse. Aus dem Straßenraum nicht erkennbar sind die unzähligen Dachgauben, die selbst dem Spitzboden noch einige Quadratmeter Wohnraum abtrotzen.

+ 26,67 %


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

0

50

0

50

100

100

70%


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Sarajevska 12


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

Sarajevska 76 Diese Aufstockung besticht schon durch die Farbigkeit. Das im Kontrast zur grauen Fassade mit roten Dachziegeln eingedeckte Mansardendach aus Stahlbeton beherbergt zwei zusätzliche Stockwerke. Selbstbewusst setzt es sich auf den „Wirt“ und unterstreicht das auch durch den oberhalb der ehemaligen Attika umlaufenden Überstand.

+ 28,57 %


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

0

50

0

50

100

100

70%


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Sarajevska 76


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

Braće Baruh 11 Hier handelt es sich wieder um einen unauffälligen Parasiten. Die bestehende Struktur und Fassadengestaltung wurde logisch fortgeführt, das letzte Geschoss zurückgesetzt. Einzig an kleinen Details und bei genauerer Betrachtung lässt sich die zeitliche Baufolge ablesen: anders gestaltete Geländer der Loggien, Putzkanten und „frischere Farben“ sind kleine Hinweise.

+ 38,46 %


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

R

0

50

0

50

100

100

70%


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Braće Baruh 11


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

Cvijićeva 93 Dieses Beispiel zeigt wieder eine Aufstockung für eine selbstbewusste, informelle Wohnraumerweiterung. Das kupfergrüne, ziegelgedeckte Mansardendach inklusive mehrerer Zwerchgiebel bietet ein großartiges Potpourri an Stilelementen. Völlig losgelöst von seinem Sockel wurde hier der Traum vom Eigenheim auf zwei Etagen realisiert.

+ 41,67 %


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

0

50

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50

100

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Cvijićeva 93


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11

2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

Sarajevska 46 Der Versuch, die hier vorgestellte Dachlandschaft zu kategorisieren, ist beinahe unmöglich. Basis bildet ein zum Teil aufgeständertes Mansardendach über zwei Geschosse, in der ersten Ebene nahezu vollständig aufgelöst in Zwerchgiebel und Giebelgauben in der zweiten Ebene. Ein Rückschluss auf die räumliche Aufteilung im Inneren ist von Außen fast unmöglich.

+ 42,31 %


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

0

50

0

50

100

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93

Sarajevska 46


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

Skender Begova 39 Der zweigeschossige Wohnbau im Stil der Neorenaissance wurde um ein Voll- und ein Dachgeschoss erweitert. Die Fassadengliederung hinsichtlich der Öffnungen wurde übernommen, im Dachgeschoss wurden die Dachgauben jedoch frei platziert. Die Aufstockung setzt sich ansonsten durch die Materialität und einfache Detaillierung deutlich von der Basis ab.

+ 77,50 %


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

0

50

0

50

100

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Skender Begova 39


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

Svetogorska 25 Die im Stil des Historismus erbaute, dreigeschossige Substanz wurde auch hier um zwei Stockwerke erweitert. Die Fassadenöffnungen folgen der gleichmäßigen, achssymmetrischen Rasterung der Grundstruktur aber nur bei den Wandnischen der Mittelachse wurden die Lisenen und Gesimse kopiert und ein Traufsims ausgeführt, bei den Fenstern fehlen diese.

+ 83,33 %


99

пекара аца


100

2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

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Svetogorska 25


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

Dubrovačka 8 Die bis zu viergeschossige Aufstockung bildet bis auf wenige kleine Details ein absolutes Kontrastprogramm zur Bestandssubstanz. Wurde straßenseitig noch im Ansatz die Fenstergliederung aufgegriffen, so folgt der restliche Baukörper nur der maximalen Raumgewinnung einzig durch konstruktive Grenzen begrenzt.

+ 87,50 %


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

0

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DubrovaÄ?ka 8


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2.2 FÜNFZEHN PARASITEN

Patrisa Lumumbe 19 Um ein zweigeschossiges Gebäude wird eine eigenständige Konstruktion aus Stützen und Balken angebracht, die als Basis für den Aufbau dient. Die ersten drei Geschosse der Aufstockung kragen deutlich über den Bestand hinaus und nehmen keinerlei Rücksicht auf die Fassadengliederung des bestehenden Gebäudes. Die obersten zwei Geschosse zusammen mit dem Dachgeschoss sind im starken Kontrast zu den darunterliegenden Stockwerken. Mit roten Dachziegeln eingekleidet bilden sie ein Mansardendach aus und versuchen so ihr tatsächliches Volumen zu kaschieren.

+ 252,50 %


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Patrisa Lumumbe 19


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Kapitel drei


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3.1 Fallstudie Karaburma 112 3.2 Der Russische Pavillon 114 3.3 Aufstockung des Russischen Pavillons 124 3.4 Patrisa Lumumbe 19 im Detail 136 3.5 Patrisa Lumumbe 32, Wohnung 5 142 3.6 Weitere Aufstockungen in Karaburma 150


112

3.1 FALLSTUDIE KARABURMA Bedeutend für die Entwicklung informeller Aufstockungen in Belgrad ist der Zeitpunkt, an dem kleine Aufbauten, die aus dem reinen Bedürfnis nach mehr Wohnraum entstanden sind und meist von den Bewohnern selbst durchgeführt wurden, abgelöst wurden und sich die Größe der Aufstockungen drastisch erhöht hat, als Investoren begannen maximalen Profit mit solchen Konstruktionen zu erzielen. Wie bereits im ersten Kapitel dieses Buches beschrieben, gaben zwei in den neunziger Jahren eingeführte Gesetze den Anstoß für solche großen baulichen Maßnahmen: Einerseits das 1995 eingeführte Gesetz zur Instandhaltung von Gebäuden, welches klärte, welche Anforderungen Investoren, die nun erstmals als dritte Partei hinzugefügt worden waren, für die Genehmigung einer Aufstockung erfüllen mussten. Andererseits wurde im Gesetz von 1997, das besondere Bedingungen für die Erteilung von Bau- oder Nutzungsgenehmigungen regelte, erstmalig das Thema der Erteilung von nachträglichen Genehmigungen behandelt. Dadurch ergab sich die Möglichkeit, ohne bau- oder nutzungsrechtliche Zulassung zu bauen, allerdings verbunden mit der Hoffnung, dass eben diese später folgen würden. Das Phänomen der überdimensionalen Aufstockungen hatte in Karaburma ab 2000 seinen Höhepunkt erreicht. Hauptsächlich errichtet von den Investoren Delta Legal und Građevinar Kocić wurden 45 von 82 Russischen Pavillons um teilweise bis auf das 2,5-fache aufgestockt. Somit wurde das Bild des Stadtraumes von Karaburma drastisch verändert. (Sekulić, 2012, S. 125)



114

3.2 DER RUSSISCHE PAVILLON Als Russische Pavillons werden Wohnhäuser bezeichnet, die zwischen 1947 und 1957 in Karaburma, einem östlichen Stadtteil von Belgrad, entstanden sind und deren Namensgebung sich vom Entwurfsursprungsland Russland ableitet. Der typische Russische Pavillon erstreckt sich über zwei Geschosse, enthält vier Wohneinheiten und kann, je nach bebauter Grundstücksgröße, etwas in der Dimension variieren. Als eines der ersten Wohnbauprojekte in Jugoslawien nach dem zweiten Weltkrieg wurden 82 nahezu gleiche Gebäude in diesem Viertel errichtet. Die Rahmenbedingungen für das Projekt wurden 1947 durch das Gesetz des Fünf-Jahres-Planes gesteckt. Unter anderem wurde darin festgesetzt, dass innerhalb von fünf Jahren die vom Krieg beschädigten Wohnbauten in Dörfern wiederaufgebaut werden, die Wiederherstellung von Gebäuden in Städten fortgesetzt und 15 Millionen Quadratmeter neuen Wohnraumes errichtet werden sollen. Insgesamt wurden dafür 30 Milliarden Dinar (entspricht einer heutigen Summe von ca. 255.168.615 €) eingeplant (Sekulić, 2012, S. 124). Des Weiteren sollte eine Massenproduktion zur Errichtung von Wohngebäuden mit vorgefertigten Bauteilen entwickelt werden. Doch schon zwei Jahre vor dem endgültigen Beschluss 1949 wurde mit der Konstruktion der Gebäude begonnen. Daher entstanden die Russischen Pavillons selbst bereits in einer Grauzone der Legalität. Als Investoren beteiligten sich das Städtische Werk für Brot, der Städtischer Betrieb des Verkehrs Sutjeska und das Bauunternehmen Gradina. Hauptsächlich bewohnt wurden die Häuser von den Arbeitern dieser und anderer Unternehmen, die durch das Prinzip des Rechtes auf Wohnraum Anspruch auf eine Wohnung hatten.


115

1

Axonometrie des Grundtypus des Russischen Pavillons

1


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3.2 DER RUSSISCHE PAVILLON

Der Grundtypus des Russischen Pavillons ist ein unterkellerter, zweigeschossiger Bau mit einem um ein halbes Geschoss erhöhtem Erdgeschoss und Satteldach. Er wird zentral über einen Eingang betreten und erschließt über eine zentrale Treppe jeweils vier Wohneinheiten. Diese Einheiten sind je nach Gebäudegröße einfache Zwei- bis Dreizimmerwohnungen mit separatem Bad und Küche, mittig gespiegelt und in beiden Geschossen gleich. Je nach Möglichkeit der Erschließung des bebauten Grundstücks und der Typografie des Geländes wird der Russische Pavillon als Alternative von der Rückseite über eine externe Treppe betreten. Dies führt zu leichten Veränderungen des Grundrisses im Erdgeschoss. Die Konstruktion der Häuser, welche teilweise aus vorgefertigten Elementen bestand und typisch für die der Sowjetunion waren, wurden vom serbischen Architekten Jovan Bijelović an lokale Bedürfnisse und Mittel angepasst (Sekulić, 2012, S. 125).


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4

3

2

0

5

10

Grundriss Kellergeschoss 2 Grundriss Erdgeschoss 3 Grundriss Obergeschoss 4


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3.2 DER RUSSISCHE PAVILLON

An zwei weiteren Orten in Belgrad wurde die Typologie des Russischen Pavillons für Wohnbauten verwendet, jedoch wurde dort mehr Wert auf qualitativ hochwertige Materialien gelegt als in Karaburma. Die Gebäude dieser Standorte sind daher besser erhalten. Zusätzlich entwickelten sich vor allem ab den 1960er Jahren neue Wohnbauprojekte mit höherer Wohnqualität in anderen Teilen der Stadt, die dazu beitrugen, dass Karaburma den Charakter eines Arbeiterviertels behielt. Nachdem die Entwicklung des Baus der Russischen Pavillons ab 1951 stagnierte, wurde 1956-1965 die Konstruktion durch viergeschossige Gebäude in Karaburma fortgesetzt. Außerdem folgte dem Beschluss des Masterplanes von 1967 ein neuer Prozess: Konstruktionen öffentlicher Einrichtungen wie eine Grundschule, ein Kindergarten, eine Poststelle und ähnlichen Institutionen wurden errichtet. Die bestehenden Russischen Pavillons blieben jedoch unverändert, da die Bewohner nicht als Eigentümer der Einheiten galten und so auch kein Recht hatten, diese ihren individuellen Bedürfnissen anzupassen. Ab 1992 änderte sich dies kaum, obwohl mit dem Prozess der Privatisierung die Wohnungen nun in den Besitz der Bewohner gelangten. Bis auf eine kleine Erweiterung, der ein langjähriges Genehmigungsverfahren zugrunde lag, blieben die Pavillons bis ins Jahr 2000 unverändert. Grund dafür ist, dass durch die wirtschaftliche Krise in den Neunzigern, ausgelöst durch den Zerfall Jugoslawiens, besonders in der Arbeiterklasse nicht genügend finanzielle Mittel zur Verfügung standen. (Sekulić, 2012, S. 125-127)


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Querschnitt

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3.2 DER RUSSISCHE PAVILLON

Srnetička 11


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Ansicht

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3.2 DER RUSSISCHE PAVILLON

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100

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Lage der Russischen Pavillons

7


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3.3 AUFSTOCKUNG DES RUSSISCHEN PAVILLONS Auch wenn die Aufstockungen in Karaburma zeitlich verzögert zu den Aufstockungen in der Innenstadt Belgrads begannen, führte der Wandel zur Demokratie in Serbien dazu, dass ab dem Jahr 2000 immer mehr Investoren das Potenzial einer Erweiterung der Russischen Pavillons entdeckten. Die Aufstockung bestehender Bauten wurde zu einer der attraktivsten Methoden für neue Projekte: Es mussten keine neuen Grundstücke gekauft werden, die Infrastruktur war bereits vorhanden und die Genehmigungsverhandlungen waren einfacher als bei Neubauten. Außerdem kam dazu, dass die Bewohner des bestehenden Gebäudes während der Bauphase nicht ausziehen mussten und somit weitere Kosten vermieden werden konnten. Da man laut dem Gesetz von 1995 unabhängig von der Größe des Vorhabens die Zustimmung von 51 % der Bewohner des zu erweiternden Gebäudes für eine Aufstockung benötigt, waren die Verhandlungen in Karaburma leichter als im Stadtzentrum, da jeder Pavillon nur jeweils vier Eigentümer hatte. In der Regel hatten sie als Entschädigung die Wahl zwischen zusätzlichem Wohnraum in der Erweiterung, der Vergrößerung des eigenen Wohnraums auf Kosten des Investors oder der Sanierungen des Bestandes. Das Ausmaß der Entschädigung hing jeweils vom Verhandlungsgeschick der Bestandsbewohner ab. Inoffizielle Abmachungen mit der Stadtverwaltung führten jedoch zu noch größeren Projekten. Unabhängig von jeglichen Aspekten guter Architektur, Regeln der Stadtplaner und funktionierender Infrastruktur, war das Leitmotiv aller Aufstockungen der Russischen Pavillons für die Investoren die Maximierung des Profits. Alle Erweiterungen folgten dem selben konstruktiven Prinzip: Um das Bestandsgebäude legt sich eine Art Käfig aus einer unabhängigen Stützen-/Balkenkonstruktion mit verstärktem Fundament im Untergrund, die zusammen mit der aufliegenden Deckenplatte das Grundgerüst der Erweiterung bildet. Die Position der Stützen im Bezug zum Bestandshaus wurde


125

von der Lage des Gebäudes auf dem Grundstück bestimmt. Der Zwischenraum zwischen den neuen Stützen und der bestehenden Wand, der dadurch oft entstand, wurde häufig genutzt, um den bestehenden Wohnraum zu erweitern. Das wuchtige Mansarddach, umgangssprachlich auch Pilzdach genannt, diente als klassische Camouflage für die obersten Geschosse, da sie nur als Dachgeschosse mit potenziellen Ausbau wirken sollten. Im Jahr 2003 wurden Stadtplaner im Zusammenhang des neuen Masterplans von Belgrad 2021 beauftragt, einen neuen Bebauungsplan für die Gegend zu erstellen. Sie waren jedoch mit einer sich täglich ändernden Ausgangslage konfrontiert. Immer mehr Gebäude wurden von „wilden Konstruktionen befallen“ (Sekulić, 2012, S. 128) und immer mehr Bewohner waren involviert. Die Zuständigen stellten klare Regeln für den Umgang mit dem Phänomen der Wohnraumerweiterungen auf, wie z.B. die Entfernung der Aufstockungen in der Patrisa Lumumbe Straße oder die Reduktion von illegal entstanden Strukturen auf maximal vier Stockwerke. Dies galt unabhängig davon ob die Strukturen bereits bewohnt waren oder nicht. Die Bemühungen blieben jedoch ohne Erfolg. Weder der neue Masterplan, noch neue Gesetze konnten das Wuchern der Erweiterungen stoppen. Erst durch einen Machtwechsel in der Stadtverwaltung bei den lokalen Wahlen 2004 konnten die Konstruktionen gestoppt werden, um erst Monate später mit neuen Regeln wieder aufgenommen zu werden. Das omnipräsente Pilzdach musste weichen und keine einzige neue Erweiterung durfte angefangen werden. Dies führte zu einer Beruhigung der Entwicklung. (Sekulić, 2012, S. 127-137)


126

3.3 AUFSTOCKUNG DER RUSSISCHEN PAVILLONS

BESTAND

Als Grundlage aller gigantischen Aufstockungen in Karaburma dient der Grundtypus des Russischen Pavillons.

SCHRITT 1

Um den Baukörper herum wird eine unabhängige Stützen-/ Balkenkonstruktion angebracht, deren Lasten durch ein verstärktes Fundament abgetragen werden. Die Position der Stützen ist abhängig von der Lage des Russischen Pavillons auf dem Grundstück. Die Stützen können entweder direkt an der bestehenden Außenwand liegen oder, um eine größere Fläche generieren zu können, mit Abstand zur Außenwand des Bestandes angebracht werden.


127


128

3.3 AUFSTOCKUNG DER RUSSISCHEN PAVILLONS

SCHRITT 2

Das Dach wird abgenommen und von einer Betonplatte ersetzt, die auf den auskragenden Balken aufliegt. Zusammen mit der darunterliegenden Konstruktion bildet sie das Fundament für das Volumen, das darauf aufgebaut werden soll. Durch die Auskragung der Balken in mehrere Richtungen wird eine größere Grundfläche für die Aufstockung generiert.

SCHRITT 3

Auf der Bodenplatte werden nun, je nach städtebaulicher Situation und Nachfrage, ein bis vier Geschosse in herkömmlicher Ziegelbauweise erbaut.


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130

3.3 AUFSTOCKUNG DER RUSSISCHEN PAVILLONS

SCHRITT 4

Typisch für informelle Aufstockungen in Belgrad ist das stark ausgeprägte Mansarddach, das sich über die letzten ein bis zwei Geschosse zieht. Es dient dazu, auf verschleierte Weise noch mehr Wohnfläche erzielen zu können, ohne sie als Vollgeschosse deklarieren zu müssen. Um noch mehr Wohnraum zu gewinnen wird dafür eine Unterkonstruktion angebracht, die ebenfalls über die untere Konstruktion herausragt.


131


132

3.3 AUFSTOCKUNG DER RUSSISCHEN PAVILLONS

SCHRITT 5

Zum Abschluss wird die angebrachte Konstruktion verkleidet und das Gebäude ist zum Einzug bereit.


133


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3.3 AUFSTOCKUNG DER RUSSISCHEN PAVILLONS

0

50

0

50

100

100

70%


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8

Lage der Russischen Pavillons Aufgestockte Russische Pavillons

3 8


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3.4 PATRISA LUMUMBE 19 IM DETAIL Die Erweiterung des Russischen Pavillons in der Patrisa Lumumbe Straße 19 ist eines der wenigen Beispiele, bei welchem es eine fast vollständige technische Dokumentation gibt. Die meisten Projekte wurden zwar von Architekten geplant, die Pläne sind jedoch mit den Investoren zusammen verschwunden. Vieles wurde auch gar nicht dokumentiert, sondern mündlich direkt vor Ort geklärt. Der bestehende zweigeschossige Pavillon wurde mit kaschierten fünf Vollgeschossen und einem Dachgeschoss aufgestockt. Zu den bestehenden vier Wohnungen kamen noch weitere 24 hinzu. Die Wohnungsgrößen in der Erweiterung variieren zwischen Ein-und Zweizimmerwohnungen, ca. 19m2 – 32m2. Obwohl der Wohnraum in den Russischen Pavillons bereits knapp war, wurden noch kleinere Wohnungen entworfen, da die daraus resultierende größere Anzahl von Wohnungen sich als lukrativer für die Investoren darstellte. Außerdem ist in den Plänen deutlich der große Aufwand zu erkennen, der für die neu angebrachte, vom Bestand unabhängige Konstruktion betrieben werden musste. Auf den nachfolgenden Seiten wird das Projekt in Grundriss, Schnitt und Ansicht dokumentiert. Dabei beschreiben blaue Linien die bestehenden Elemente und rote Linien welche im Zuge der Aufstockung hinzugekommen sind.


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1. ObergeschoĂ&#x; des Russischen Pavillons 1 : 50

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1:1251. Obergeschoss Grundriss

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3.4 PATRISA LUMUMBE 19 IM DETAIL

Patrisa Lumumbe 19

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RegelgeschoĂ&#x; der Aufstockung 1 : 50

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3.4 PATRISA LUMUMBE 19 IM DETAIL

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1:125 Grundriss 4. Obergeschoss

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3.5 PATRISA LUMUMBE 32, WOHNUNG 5 Während des Gesprächs mit der serbischen Architektin Marija Cvetinović über meine Publikation und Belgrads informelle Dachaufstockungen stellte sich heraus, dass ihre Familie eine der Wohnungen in einer Aufstockung des Russischen Pavillons besitzt und ihre Schwester Nataša dort noch wohnt. Ich hatte die Gelegenheit, Nataša zu besuchen und einen Blick in die Innenräume zu werfen. Sie erzählte mir, dass man sich zu der Zeit nach der Jahrhundertwende kaum eine andere Wohnung leisten konnte und daher das Angebot eines relativ günstigen Apartments in Karaburma nicht auszuschlagen war. Die Tatsache, dass Karaburma damals schon eine gute infrastrukturelle Anbindung zum Stadtzentrum hatte und man nur ca. 15 Minuten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in die Innenstadt brauchte, machte das Angebot noch attraktiver. Ein weiterer Vorteil in ihren Augen war, dass die Wohnungen nicht schlüsselfertig übergeben wurden, sondern die künftigen Bewohner am Ausbau beteiligt waren und so Anpassungen nach eigenen Wünschen durchgeführt werden konnten. Die Wohnung befindet sich im fünften Stockwerk, also im dritten Geschoss der Aufstockung. Sie ist ca. 33m2 groß, aufgeteilt in einen Wohnraum, ein abgetrenntes Schlafzimmer, Bad, Loggia und einen offenen Küchenbereich. Letzterer war ursprünglich als Raum für einen potenziellen Aufzug freigehalten worden, wurde dann aber dennoch von den Investoren verkauft. Auch wenn sich die zwei Schwestern der Tatsache bewusst sind, dass die enormen Aufstockungen der Russischen Pavillons sehr viele negative Einflüsse, wie eine überforderte Infrastruktur oder erschwerte Belichtungsbedingungen der Bestandshäuser, auf das Viertel hatten, finden sie, dass Karaburma von den Erweiterungen profitieren konnte. Eine Großzahl der Häuser war vor den Aufstockungsmaßnahmen stark heruntergekommen gewesen und bot einen noch ärmlicheren Ausdruck als heute. Durch die Aufstockungen wurden zumindest Sanierungen durchgeführt und das Viertel erhielt einen städtischeren Charakter.


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Wohnraum


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3.5 PATRISA LUMUMBE 32, WOHNUNG 5

Wohnraum


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Grundriss der Wohnung, ca. 33m2

13


Küche


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Bad


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Eingangsbereich


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3.6 WEITERE AUFSTOCKUNGEN IN KARABURMA

Patrisa Lumumbe 33


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Pana Đukića 3


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SrnetiÄ?ka 11, Diljska 8-10


Vlašićka 4-10


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SrnetiÄ?ka 15-21


Vlašićka 1-3


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Vlašićka 5


vorne: Patrisa Lumumbe 40,42, hinten: Diljska 6,8


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nächste Seite, von links nach rechts: Patrisa Lumumbe 72, Stevana Hristića 1, Vlašićka 5




SrnetiÄ?ka 9


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SrnetiÄ?ka 7


Stevana Dukića 19


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Patrisa Lumumbe 82


Stevana Dukića 5


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Stevana Dukića 5


Pana Đukića 6-8


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Vlašićka 18


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Blick auf die Häuser in der Patrisa Lumumbe StraĂ&#x;e







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Patrisa Lumumbe StraĂ&#x;e



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Kapitel vier


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4.1 Gespräch mit Marija Cvetinović 180 4.2 Gespräch mit Nebojsa Milikić 186 4.3 Lernen von Belgrads Parasiten 190


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4.1 GESPRÄCH MIT MARIJA CVETINOVIĆ Ein Gespräch mit der Architektin Marija Cvetinović. Vor zwei Jahren promovierte sie in der Schweiz, danach kehrte sie nach Belgrad zurück und arbeitet derzeit freiberuflich. Momentan beschäftigt sie sich hauptsächlich mit theoretischen Untersuchungen über Architektur und Städtebau. A (Anella Agić): Wie ist es Ihrer Meinung nach zu der Entwicklung von illegalen Dachkonstruktionen in so großem Ausmaß gekommen und wer ist hauptsächlich dafür verantwortlich? M (Marija Cvetinović): Der Hauptgrund dafür, dass so viel illegal gebaut wurde ist, dass der Staat nicht im Stande war den großen Bedarf nach Wohnungen zu decken. Die größte illegale Bauaktivität war im zentralen Stadtkern in den 1990er Jahren, aber auch schon in den 1970er Jahren wurde sehr viel gebaut. Auch damals war die Nachfrage nach Wohnraum schon viel größer als das Angebot, aber in den 1990er Jahren war der Wohnraummangel durch den Zufluss von Flüchtlingen am stärksten spürbar. Die Bevölkerung hat Wohnraum auf jede erdenkliche Weise geschaffen, der illegale Bau hat Überhand genommen und eine Kontrolle wurde unmöglich. Trotz politischer Veränderung und der Demokratisierung ab 2000 schafften es weder der Staat, noch die zuständigen Behörden eine Übereinstimmung der städtebaulichen Vorschriften und dem illegalen Bauen zu erzielen. A: Hätte man alle illegalen Bauten direkt abreißen können? M: Ich denke es wäre unmöglich gewesen die ganzen illegal gebauten Gebäude und Wohnungen niederzureißen, da dies eine unglaublich große Anzahl von Gebäuden ist. Es wäre möglich gewesen dafür zu sorgen, dass es nicht zu weiterer illegaler Bautätigkeit kommt, sie also von vornherein zu unterbinden und strikter zu verbieten.


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A: Wenn nicht abgerissen, wie hätte man dann gegen die informellen Strukturen vorgehen können? M: Meiner Meinung nach wächst Belgrad unkontrolliert, weil alles in Serbien zentralisiert ist und Belgrad hierbei der Dreh- und Angelpunkt ist. Mit diesem Problem sollte man wie mit einer ansteckenden Krankheit umgehen, zuerst die Ursachen des Problems erkennen und dann den Menschen eine neue Orientierung geben, sie neu zu erziehen. Dafür braucht man sehr viel Zeit und Disziplin, damit die Leute verstehen, dass eine Metropole wie Belgrad eine gut funktionierende Verwaltung und viele Fachleute benötigt, um gemeinsam neue Projekte zu schaffen, die auch einen Sinn ergeben. A: Denken Sie, dass die nachträgliche Legalisierung von Gebäuden der richtige Weg ist, wie zum Beispiel bei der Siedlung Karaburma? M: Mit Sicherheit nicht, ich glaube nicht, dass damit irgendetwas erreicht wurde. Im Gegenteil, zwischenzeitlich stieg die illegale Bautätigkeit an. Das Wichtigste wäre eine Analyse über die Sicherheit dieser Strukturen, denn nur für wenige dieser Projekte gibt es Baupläne. Ich denke, die Legalisierung ist ein zweischneidiges Schwert. Ein Großteil der Investoren ist gar nicht vor Ort und die Mieter sind nicht im Stande ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Das Schlimmste dabei ist, dass die Stadt mit diesen Anbauten wie verschmolzen und verwachsen wirkt. Neue Gebäude werden mittlerweile auch in diesem Stil gebaut und ähneln den Mischformen immer mehr. A: Wie ist es möglich, dass obwohl manche Aufstockungen von Architekten geplant worden sind und eine Genehmigung haben, sie sich dennoch nicht in die Umgebung und an den Bestand anpassen, teilweise einen unästhetischen Ausdruck haben ? M: Meine persönliche Meinung ist, dass unsere Bevölkerung keine architektonische Vorbildung hat und den Wert guter Architektur


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4.1 GESPRÄCH MIT MARIJA CVETINOVIĆ

nicht kennt. Es gibt auch keine ausgiebige architektonische Tradition. Belgrad hatte während dem Sozialismus gute Architekten, die von der damaligen politischen Elite erstickt wurden. Wir haben einfach sehr wenig fähige Architekten. Jedoch ist die Bevölkerung genauso unfähig, architektonische Qualität zu erkennen. Außerdem lag der Fokus der Zuständigen sehr lange nicht auf der Qualität, sondern nur auf der Masse. Die Balkone der Wohnungen sind meistens mit irgendwelchen alten Möbel und Sperrmüll vollgestopft und die Leute nutzen ihre Wohnungen aus rein funktionalen Zwecken. Die Architekturfakultät in Belgrad ist sehr politisch orientiert, die wenigsten guten Architekturabsolventen leben und arbeiten später in Belgrad. A: Welchen Status haben heute Architekten in Belgrad, dienen sie nur als Werkzeug und folgen bestimmten Anweisungen? M: Als erstes will ich auf die Problematik eingehen, dass Architektur in Belgrad eine Art politische Tätigkeit ist. Das hat natürlich auch sehr viel mit den Investoren zu tun. Dazu kommt, dass der Sozialismus tiefe Spuren hinterlassen hat. Die Architekten und die Urbanisten wurden entzweit - und das gruselt mich. Professoren an den Universitäten beschäftigen sich nur mit der Ästhetik ohne die Funktion zu betrachten und das alleine macht aber Architektur nicht aus. Und das andere Problem ist, dass Architekten nur als ausführendes Werkzeug dienen, stimmt leider, da es der einfachste Weg ist, hier in Belgrad als Architekt gutes Geld zu verdienen. Man muss seine persönlichen Meinungen nach hinten stellen und das entwerfen, was von einem verlangt wird. A: Das heißt also, dass hauptsächlich die Profit-Maximierung zählt?
 M: Jedes Projekt scheint, als ob man es in drei unterschiedliche Plansätze aufteilt: der erste Plan ist für die Inspektion und für die


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Stadt, damit man die Genehmigung bekommt; der zweite Plan ist für den Investor, damit er weiß, was gebaut werden könnte; der letzte Plan ist das Projekt der tatsächlichen Ausführung und das ist dann eine Mischung aus dem was tatsächlich gebaut wurde und dem was sich die Investoren wünschten.
 A: Gibt es für so etwas keine Behörde, die das überwacht?
 M: Doch, aber die ist korrupt, so wie in allen anderen Bereichen der Verwaltung, aber in der Baubranche ist die Korruption besonderes stark vertreten. A: Gibt es öffentliche Wettbewerbe, bei denen freie Architekten eine Chance haben, ein größeres Projekt zu bekommen? 
 M : Nein! A: Ist es üblich, dass bei größeren öffentlichen Projekten ein Wettbewerbsverfahren eingeleitet wird oder steht den Investoren die Wahl des Architekten frei? M: Bei manchen Projekten schon ja, wie zum Beispiel einem Marktplatz oder einem Stadtplatz. Wobei sich auch da die Frage nach Neutralität und Korruption stellt. 
 A: Gibt es in Belgrad eine Art Unterstützung für junge Architekten am Anfang ihrer Karriere? M: Nein, die gibt es nicht. Oft kommen junge Architekten aus der Elite der Gesellschaft aus sehr gut situierten Elternhäusern. Alle anderen sind sich selbst überlassen und suchen hauptsächlich außerhalb Serbiens nach Arbeit. A: Wie wird Belgrad Ihrer Meinung nach in 25 Jahren aussehen?
 M: Grauenvoll!


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4.1 GESPRÄCH MIT MARIJA CVETINOVIĆ

A: Ist das Projekt Belgrade Waterfront erst der Beginn von drastischen städtebaulichen Veränderungen der Stadt ? M: Wenn es so weitergeht wird Belgrad afrikanischen Metropolen immer ähnlicher, aber das soll bitte keine Beleidigung Afrikas sein. Wir haben keine U-Bahn, alles ist von Straßenverkehr abhängig. Es wird gebaut ohne Rücksicht auf öffentlichen Raum, alles wird privatisiert, die Qualität wird immer schlechter, es geht nur noch um schnelles Geld. Ästhetik wird kopiert und man kann nichts Originelles mehr sehen. Wenn man ein Bild von einem Gebäude sieht kann man unmöglich erkennen wer es gebaut hat und wo es sich befindet. Wenn es so weitergeht, wird Belgrad die hässlichste Stadt der Welt werden. Niemand macht sich Gedanken über Ökologie, Natur, Abfall und Nachhaltigkeit. A: Wird es denn so weitergehen?
 M: Die großen Baufirmen haben momentan enorme Kapazitäten und die jetzige Regierung zieht seinen eigenen Profit daraus. Wenn nach dieser Regierung wieder eine Ähnliche kommt, wird dieser Trend fortgesetzt werden. Der Kapitalismus entwickelt sich als globales System weiter und je nachdem wie das von Statten geht, frisst er alles auf.


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A: Nur noch eine letzte Frage, haben Sie irgendeinen Rat für junge diplomierte Architekten und die Bevölkerung Belgrads?

 M: Was gut für die Stadt ist, ist oft schlecht für die Bevölkerung und umgekehrt. Architektur sollte sich nicht nur auf die eine Seite konzentrieren, sondern sollte einen Kompromiss finden, der für alle tragbar ist. Der Profit sollte dabei auf keinen Fall an erster Stelle stehen, darüber sollte mehr nachgedacht werden. Belgrad, 24. Juli 2019


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4.2 GESPRÄCH MIT NEBOŠJA MILIKIĆ Ein Gespräch mit Nebošja Milikić, einem Kulturarbeiter, Forscher und Aktivisten, der in Belgrad lebt und arbeitet. Er beteiligt sich an unterschiedlichen Projekten aus dem Bereich der Kunst, Forschung und öffentlichen Kampagnen. Als Initiator und Koordinator des Kulturzentrums REX in Belgrad ist er unter anderem bei Debattenprogrammen und Programmen zu Demokratisierung involviert. A (Anella Agić): Wie ist es Ihrer Meinung nach zu der Entwicklung von illegalen Dachkonstruktionen in so großem Ausmaß gekommen und wer ist hauptsächlich dafür verantwortlich? N (Nebošja Milikić): Einerseits ist der Zusammenbruch des gesamten Wirtschafts- und Verwaltungssystems verantwortlich, der zu Regelverstößen und zur Anpassung an neue politische und wirtschaftliche Einheiten führte. Andererseits gab es eine massive Verbreitung von Kiosken, die den öffentlichen Raum eingenommen haben. Das war ein sehr charakteristisches Merkmal dieser Zeit, welches es aber heute nicht mehr gibt. A: Gab es keine Vorschriften, welche Aufstockungen regelten? N: Nach dem Gesetz musste man die Zustimmung der Mieter haben, damit man die Gemeinschaftsfläche für eine Erweiterung nutzen konnte. Oft wurden sie übergangen. Ihnen wurde ein Lift, eine Freisprecheinrichtung, ein neues Dach oder auch Geld versprochen. In den Neunzigern war es für Investoren nicht schwierig, die Zustimmung der Eigentümer zu erhalten. Besonders in dem Zeitraum, in dem die Inflation sehr hoch war. Die Menschen waren froh, wenn sie 300 Mark Entschädigung (entspricht dem Wert von ca. 150€) bekamen. Irgendwie fühlte es sich so an, als würde jeder in irgendeiner Art und


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Weise daran beteiligt sein, und deswegen sage ich Ihnen, dass es zwar Gesetze gab, aber diese vollkommen vernachlässigt wurden. Wenn es z.B. im Gesetz hieß, dass man auf ein vierstöckiges Haus das Dach nur um einen Meter erhöhen darf, wurde es auf der Straßenseite um einen Meter als eine Art Mansarde erhöht und auf der Hinterseite um zehn Meter, wo dann noch zwei Wohnungen ihren Platz gefunden haben. A: Auch in anderen Ländern und Städten herrscht seit Langem große Wohnungsnot, warum kam es da nicht zu solch einer Entwicklung? N: Das kann man natürlich nicht vergleichen. Das worüber wir reden ist die Folge eines Systems, das zerbrochen ist. Der ganze Staat ist zerfallen und das kann man nicht mit Ländern vergleichen, die so etwas nicht durchgemacht haben. A: Aber, wenn die Praxis des informellen Bauens hauptsächlich durch den Zerfall des Staates hervorgerufen wurde, warum konnte das Problem bis jetzt fast 30 Jahre nach dem Staatszerfall nicht gelöst werden? Herrscht immer noch Korruption? N: Ich würde sogar weitergehen und den ganzen Prozess als kriminell bezeichnen. Das größte Problem ist, dass alle, also nicht nur die Investoren und der Staat, ihren Teil dazu beitragen. Wer sich eine Wohnung kauft, die tatsächlich mindestens das 10-fache Wert ist, kann sich doch denken, dass etwas nicht stimmt. Es wird nur auf sich selbst geachtet und nicht auf die Gemeinschaft. A: Wurde bei den Aufbauten improvisiert und gibt es dadurch nicht massenhafte Probleme mit der Standsicherheit? N: Soweit ich weiß ist es nie vorgekommen, dass ein Gebäude eingestürzt ist. Wahrscheinlich wurden die Bestandsgebäude massiver gebaut als notwendig. Dennoch wurde die Gebäude- und Infrastruktur


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4.2 GESPRÄCH MIT NEBOŠJA MILIKIĆ

immer stark überlastet. Das Paradoxe an der Tatsache ist, dass manche der Aufbauten wirklich von Architekten geplant worden sind und eine Genehmigung haben. Das ist die größte Katastrophe, also dass nicht alle illegal sind. A: Finden Sie, dass sich die Lage in den letzten 20 Jahren verändert hat? N: Nein, das hat sie nicht. Wer Geld hat, kann in dieser Stadt alles in Gang setzen. Es werden alte Häuser gekauft und noch vier Geschosse draufgesetzt, jeder freie Quadratmeter wird ausgenutzt. A: Ist das Projekt Belgrade Waterfront erst der Beginn von drastischen städtebaulichen Veränderungen der Stadt? N: Das ist offensichtlich eine Katastrophe. Man ändert die gesamte Infrastruktur der Stadt ohne einen besonderen Grund – außer Profit! Das ist einfach eine Generation von Architekten, die schlecht ist. Aber ich bin da nicht so sehr involviert, auch wenn ich Diskussionen dagegen immer wieder unterstütze. A: Können solche informellen Konstruktionen nicht auch positiv, also als Ausdruck persönlicher Bedürfnisse gesehen werden? N: Sie sprechen da eine Gesellschaft von Individuen an, in der jeder frei ist das zu tun, was er möchte. Eine solche Gesellschaft ist jedoch sehr chaotisch. Nicht alle hatten dieselben Möglichkeiten und Chancen sich auszudrücken, auch für eine informelle Aufstockung wird Geld benötigt, das nicht jeder zur Verfügung hatte. Die Bevölkerung nutzte die schwierige Lage des Staates aus. Ich weiß nicht, was daran positiv sein soll. Ich habe mich noch immer nicht an diese Aufbauten gewöhnt, weil ich genau weiß, wie viel Kriminalität dahintersteckt. Ich glaube, Sie können die Wirklichkeit nicht sehen. Sie haben es geschafft, die Bauten in ihrem Buch so darzustellen, dass sie gut, fast sympathisch aussehen. So sollte das nicht sein. Als ich noch in der


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Politik tätig war, war es ein großer Wunsch, das alles in Ordnung zu bringen. Die bestehenden Gebäude sollten zwar nicht abgerissen werden, aber saniert und so umgebaut werden, dass sie sich besser in die Umgebung eingliedern. Jedoch ohne den Sozialismus sehe ich da keine Hoffnung. A: Doch was hätten die Menschen sonst tun können, die in Not waren und nicht ausreichenden Wohnraum zur Verfügung hatten? N: Ich möchte niemanden etwas vorschreiben. Ich selbst bin in einer großen Wohnung aufgewachsen und hatte daher keine derartigen Probleme, dennoch kann ich die Gründe dafür nachvollziehen. Man hat eine Möglichkeit zum Überleben gefunden und diese genutzt. Da muss aber ein bisschen tiefer gegraben werden. Nicht alle konnten sich diesen „Luxus“ leisten aufzustocken. Die Menschen in den Neunzigern hatten kein Geld und mit dem Zerfall Jugoslawiens ist alles schlechter geworden. Als das Land noch in Ordnung war, wurde der Fokus nicht nur auf Profit gelegt. Sogar sehr schöne helle Wohnungen mit guten Charaktereigenschaften wurden gebaut; nicht nur Sozialwohnungen, in denen man kaum Platz hatte. Dennoch sollte man nicht nur auf sich selbst achten. Investoren mussten für eine Zustimmung einer Aufstockung den Bewohnern teilweise nur eine Gegensprechanlage versprechen. Für mich ist das barbarisch. Ein Gebäude wird für eine bestimmte Anzahl von Wohnungen und Leuten entworfen, auch die Infrastruktur wird daran angepasst. Aber dann kommt jemand und entwickelt etwas Wildes auf dem Dach. Dass jemand aus dem Ausland diese Konstruktionen als schön bezeichnet finde ich falsch. Derjenige hat nämlich nicht mit ansehen müssen, wie sich die gesamte Stadt im Laufe der Jahre zum Schlechteren entwickelt hat. Belgrad, 23. Juli 2019


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4.3 LERNEN VON BELGRADS PARASITEN Das Gesicht der Stadt Belgrad prägen heute neben den großen sozialistischen Wohnbauprojekten hauptsächlich zwei komplementäre Formen des wilden Bauens. Bereits in den 1960er und 1970er Jahren zeichneten sich Tendenzen zum selbst gebauten Eigenheim an den Stadträndern ab. Die massenhafte Errichtung von Einfamilienhäusern, die hauptsächlich als Notlösung von denen erbaut wurden, die aus dem sozialistischen System der Wohnungsverteilung ausgeschlossen waren, kann im Nachhinein als Vorläufer für die Vielzahl architektonischer Manipulationen am urbanem Bestand gesehen werden. Denn ab den 1990er Jahren führte der Übergang vom Sozialismus zum Kapitalismus, die daraus resultierende fehlende administrative Funktionsfähigkeit durch die Unübersichtlichkeit des staatlichen Zerfalls zusammen mit einigen neu eingeführten Gesetzen, zu zahlreichen informellen Dachaufstockungen innerhalb des Stadtzentrums. Auch wenn ein großer Teil des Drucks auf den Wohnungsmarkt durch den Zufluss von Flüchtlingen aus den Bürgerkriegsgebieten Kroatien, Bosnien und Kosovo entstanden ist, können die Geflüchteten nicht als treibende Kraft der informellen Urbanisierung der Stadt Belgrad gesehen werden, selbst wenn sie sicherlich daran beteiligt waren. Hauptsächlich ortsansässige Eigentümer nutzten die Lage des sich in einer existenziellen Krise befindenden Staates aus. Ausschlaggebend für das Phänomen jedoch ist ein Gesetz, auf Grund dessen Investoren als externe Beteiligte ab 1995 Erweiterungen aus reinen Profitgründen durchführen konnten, überdimensionale Aufstockungen entwickelten und dadurch erhebliche städtebauliche Veränderungen vorgenommen haben. Im Städtebau vollzog sich eine Art Demokratisierung, nicht nur Architekten und Stadtplaner waren von nun an am Prozess beteiligt, sondern auch die herkömmliche Bevölkerung und unabhängige Investoren begannen immer mehr die Kontrolle zu übernehmen.


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„Während und nach einem Krieg ist nichts wirklich illegal, obskur oder kulturell und legal unmöglich.“

– Vedran Mimica


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4.3 LERNEN VON BELGRADS PARASITEN

Der Staat und die Öffentlichkeit haben so schnell ihren Einfluss an der Entwicklung verloren wie in kaum einer anderen europäischen Stadt. Außerdem beschränkte sich das Wachstum Belgrads im Wesentlichen auf Wohnbauten, was zu einem nahezu bedrohlichen Stillstand der Errichtung von öffentlichen Einrichtungen führte. Die Eigenheit des informellen Belgrads im Vergleich zu anderen Städten besteht darin, dass es nicht möglich war, diese ungeplante Stadtentwicklung einer spezifischen Schicht zuzuschreiben. Für die teilweise formlosen Strukturen ist also nicht nur, wie meist angenommen, die arme Bevölkerung verantwortlich. Noch komplizierter ist der offizielle Status solcher Bauten, da es falsch wäre alle als illegal zu bezeichnen, denn Informalität ist nicht der Illegalität gleichgestellt. Manche der Häuser sind zwar auf Grundlage einer Baugenehmigung entstanden, dann aber über die maximal genehmigte Kapazität hinausgewachsen. Andere wiederum haben, auch wenn komplett auf illegale Weise entstanden, durch bestimmte Gesetze die Zulassung zu einem offiziellen „temporären“ Anschluss an Versorgungssysteme wie Wasser, Abwasser und Strom bekommen. Mehrere auch heute gültige Legalisierungsprozesse machten es möglich, eine nachträgliche Genehmigung zu bekommen. Somit haben viele der Bauten offiziell einen legalen Status. Die Gesetze der rückwirkenden Legalisierung von Objekten haben bisher noch kaum eine Beruhigung in den Trend der wuchernden parasitären Bebauung gebracht. Sie können eher als Versuch des Staates gesehen werden eine teilweise Rückgewinnung der Kontrolle über informelle Bauprozesse zu erlangen. Auch wenn Aufstockungen teilweise ohne Rücksicht auf urbane Räume oder öffentliche Einrichtungen errichtet wurden, zählt am Ende bei der Legalisierung hauptsächlich die Standsicherheit der Struktur. Das nachträgliche Legalisierungsverfahren wurde oft direkt als Alternative


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zum langwierigen und teuren konventionellen Genehmigungsprozess genutzt. Neben den missachteten städtebaulichen Regeln ergeben sich bei informellen Bauten meist gravierende Sicherheitsmängel durch eine überlastete Gebäudestatik, durch die Verbauung von Rettungswegen oder durch die Nichteinhaltung von Maßnahmen für den Brandschutz. Die Infrastruktur wird oft überlastet. Die Aneignung von öffentlichen Verkehrswegen und Freiflächen ist ein weiteres Problem. Hinzu kommt, dass sich kaum jemand an vorgeschriebene Abstandsflächen hält, teils wird gar das benachbarte Grundstück für die eigene Erweiterung mitbeansprucht. Dies führte zu einigen ungelösten nachbarschaftlichen Konflikten. Außerdem sollte betont werden, dass selbst wenn aus rein persönlichen Gründen eine Aufstockung durchgeführt wird, es dennoch als gesellschaftliches Anliegen gesehen werden muss, da nicht nur der Innenraum, sondern auch der Städtebau verändert wird. Neben der Entstehung der illegalen Erweiterungen von bestehenden Gebäuden erfährt Belgrad aber zusätzlich eine negative Entwicklung des (il)legalen Profit-Maximierens bei Neubauten. In der Praxis werden teils zwei unterschiedliche Plansätze gefertigt. Einer, der seinen Zweck für die Genehmigung erfüllt und ein anderer, welcher der tatsächlichen Ausführung dient. Bei Letzterem wird dann für gewöhnlich das Bauvolumen vergrößert, um noch mehr lukrative Wohnflächen heraus holen zu können.


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4.3 LERNEN VON BELGRADS PARASITEN

Belgrade Waterfront Zusätzlich zu dieser umstrittenen Baupraxis bei Neubauten werden neue Wohnbauprojekte geplant, die komplette Viertel ersetzen sollen und hauptsächlich aus Wohntürmen mit Luxuswohnungen bestehen, die sich kaum jemand leisten kann. Das umstrittene Projekt Belgrade Waterfront wurde 2014 von der Regierung Serbiens gemeinsam mit Eagle Hills, einem führenden privaten Investmentunternehmen aus Abu Dhabi entwickelt und soll die Zukunft des modernen Wohnens darstellen. Um für das 1,8 Millionen Quadratmeter große und ca. 2,7 Milliarden Euro teure, umgangssprachlich bezeichnete Mini Dubai, Platz zu schaffen, mussten zunächst die im Stadtteil Savamala stehenden Gebäude abgerissen und dessen Eigentümer entschädigt werden. Nur durch die schnelle Verabschiedung eines neuen, extra dafür angelegten Gesetzes, konnte eine Genehmigung erfolgen. Neben Büro-und Hoteltürmen sollen 6,000 neue Wohnungen 14,000 Bewohner beherbergen. Dass diese Apartments rein für die Zielgruppe der Oberschicht entworfen wurden, scheint für die Zuständigen kein Problem darzustellen. Daher wird das Vorhaben seitens der Bevölkerung verachtet und musste viel Kritik einstecken. Neben der Tatsache, dass das komplette Projekt ohne Einbeziehung der Öffentlichkeit beschlossen wurde, wird es eine klare Trennung der Mittel- und Oberschicht hervorrufen. Mehrere Proteste mit tausenden Beteiligten konnten das Projekt nicht verhindern. Obwohl bei diesen Maßnahmen der Staat die Kontrolle über die Geschehnisse hat, führen solche Projekte zu einer starken Gentrifizierung der Bevölkerung. Damit lässt sich die Frage stellen, ob derart überambitionierte, hochpreisige Projekte die richtige Antwort auf die informellen Konstruktionen zur Wohnraumbeschaffung für den gesamten Querschnitt der Bevölkerung sind. (belgradewaterfront.com)


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Die Entstehung von Belgrade Waterfront, Stand: Juni 2019

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4.3 LERNEN VON BELGRADS PARASITEN

Positive Aspekte Auch wenn illegale Bautätigkeiten zwar gezielt den Staat geschwächt haben und zu weiteren Problem geführt haben, konnten sie dazu beitragen, die extrem angespannte Wohnungsmarktsituation vor dem vollständigen Zusammenbruch zu bewahren. Darüber hinaus könnte man aber auch, abgesehen von den profitbezogenen Projekten der Investoren, das private Bauen als Ausdruck unmittelbarer, individueller Bedürfnisse betrachten. Könnte daher diese improvisierte Planung nicht ein Anstoß zur Veränderung des sehr stark geregelten urbanen Klimas im übrigen Europa sein? Der Architekt Srdjan Jovanović Weiss beschreibt solche Bauten als „charakterliche Mischformen“ und unter anderem als „positive Kraft der Verschmelzung alter und neuer Identitäten“. Ein Vorteil dieser Konstruktionen ist, dass das Verdichten von bereits versiegelten, städtischen Flächen die Zersiedelung der Landschaft reduziert und daher als das Gegenkonzept zum Bauen in Stadtrandgebieten dienen könnten.


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Dachaufstockungen als urbane Strategie der Nachverdichtung Im Städtebau wird der Begriff der Nachverdichtung als die Nutzung von freien Flächen im Bereich bereits bestehender Bebauung verstanden. In diesem Zusammenhang sollte stärker über die Funktion der Dächer nachgedacht werden, da sie nicht nur als fünfte Fassade, sondern auch als potenzielles Grundstück für eine weitere Nutzung dienen können. Im Sinne der Nachhaltigkeit einer zukunftsweisenden Form des Bauens, wird in diesem Zuge eine bereits vorhandene städtebauliche Infrastruktur und Erschließung genutzt. Außerdem können auch institutionelle Infrastrukturen, wie Schulen, Supermärkte etc., einbezogen werden. Bei beidem sollte jedoch eine genaue Studie der Kapazität vorausgesetzt sein. Zusätzlich fallen geringere Kosten zum Grundstückserwerb an. Das Einbeziehen von bestehenden Brandwänden spart Baumaterial, -zeit und -kosten und eine Aufstockung kann im selben Zug den Bestand optisch und energetisch aufwerten. Um eine städtebauliche Relevanz erzielen zu können, muss aber die Größenordnung von Aufstockungen über den Maßstab einzelner Wohnungen hinausgehen. Auf eine Nutzungsmischung innerhalb der Stadtquartiere sollte geachtet werden, um eine sinnvolle Dichte erzeugen zu können. Es sollten also neben Wohngebäuden auch öffentliche Einrichtungen geplant werden.


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4.3 LERNEN VON BELGRADS PARASITEN

Auch wenn klar ist, dass die Nachverdichtung durch Dachaufstockungen nicht einfach ist und unter anderem auch Ängste aufgrund ungeklärter Risiken bei der Bevölkerung auslöst, sollte das Beispiel der Stadt Belgrad zeigen, dass Aufstockungen über die klassische Form, also eine eingeschossige, etwas zurückgesetzte Erweiterung, hinausgehen könnte. Der spezielle, ungewöhnliche, teils hässlich und dennoch sympathische Charakter von Belgrads Parasiten entstand jedoch auf einer intuitiven Basis. Die Mischung aus Notlösungen der Bevölkerung, sowie der Dreistigkeit und Raffinesse von Investoren machen diese, vermutlich gerade deshalb so besonders. Eine eindrucksvolle Eigenheit, welche unter anderem aus der Illegalität resultiert und durch eine herkömmliche Planung sicherlich nicht erzielt werden kann.


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KOMMENTAR

Durch meine bosnischen Wurzeln und meine regelmäßigen Aufenthalte in Bosnien bin ich bereits mit der Eigenheit der Architektur in den Städten des ehemaligen Jugoslawiens vertraut. Unzählige Formen des wilden Bauens prägen auch das Stadtbild meiner Heimatstadt Brčko. Auch ich wurde im näheren Umfeld meiner Familie Zeuge einiger improvisierter baulicher Notlösungen. In Belgrad jedoch haben selbst mich die Vielzahl und die Dimensionen der Dachaufstockungen überwältigt. Mit großer Motivation machte ich mich auf die Suche nach den skurrilsten Aufbauten und wurde immer wieder aufs Neue überrascht. In diesem Zuge habe ich auch eine besondere Vorliebe für diese unterschiedlichen, improvisierten Bauten entwickelt. Ich sehe diese als Chance für Bewohner, in Planungsprozessen beteiligt zu werden und ihren persönlichen Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen. Dennoch bin ich mir der Tatsache bewusst, dass man meine Begeisterung für diese Strukturen streng kritisieren kann, vor allem, da ich die Stadt nur punktuell besucht habe. Der Städtebau kann nicht dauerhaft dadurch geregelt werden, dass wild gebaut wird und sich deutlich über alle Normen eines geregelten Städtebaus hinweggesetzt wird. Die daraus resultierenden negativen Konsequenzen können nicht ignoriert werden.


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Informelle Dachaufstockung in BrÄ?ko, Bosnien-Herzegowina

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KOMMENTAR

Meiner Meinung nach hat der Staat bei der Problemlösung nicht an der Wurzel angesetzt, denn solche Erweiterungen sind hauptsächlich als Reaktion der Bewohner auf den offensichtlichen Wohnraummangel entstanden. Die nachträgliche Legalisierung von auf illegaler Basis entstandener Bauten, zusammen mit Fristen und Abrissdrohungen konnten kaum eine Beruhigung der Situation hervorrufen. Zusätzlich nehmen private und ausländische Investoren immer mehr Einfluss auf die aktuelle Stadtentwicklung. Ganze Nachbarschaften werden verdrängt, um Platz für neue Luxuswohnungen zu schaffen. Neben der daraus resultierenden Gentrifizierung verliert Belgrad immer mehr sein charakteristisches Stadtbild. Der Staat sollte sich stattdessen um die Etablierung eines funktionierenden sozialen Wohnungsbaus kümmern. Hätte es einen ausreichenden Zugang zu innerstädtischem und erschwinglichem Wohnraum gegeben, wäre es vermutlich nie zu einer so hohen Anzahl an illegalen Strukturen gekommen. Dennoch lasse ich es mir nicht nehmen, die Meinung zu vertreten, dass solche Bauten einen gewissen Charme haben und einen, die Neugierde weckenden, Kontrast zur geplanten Stadt ausdrücken. Ich glaube, dass vielen Städten der ein oder andere Parasit zu Gute kommen würde.


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Kapitel fĂźnf


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5.1 Fotostrecke 206


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5.1 FOTOSTRECKE Im Zusammenhang mit der Recherche für dieses Buch bin ich drei Mal nach Belgrad gereist. Neben Behördengängen und Gesprächen mit Einheimischen versuchte ich hauptsächlich, durch das Erkunden der Stadt zu Fuß das Ausmaß der informellen Dachaufstockungen zu begreifen. Fast von jedem Standpunkt aus erregte eine teilweise komisch wirkende Erweiterung meine Aufmerksamkeit. Um die bei genauerer Betrachtung selbst für mich überraschend große Bandbreite von unterschiedlichsten Formen der Aufstockungen zeigen zu können, habe ich diese fotografiert und sie auf den folgenden Seiten zu einer Fotostrecke zusammengefasst.


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„Above anything, the building of a roof extension is all about negotiations.“

– Dubravka Sekulić


Anhang



LITERATUR

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DANKSAGUNG

an meine Familie, meinen Freund und meine Freunde, die mich motiviert und bei der Ausarbeitung dieses Buches, unter anderem durch Übersetzungen und Transkriptionen unterstützt haben, mental, vor Ort in Belgrad oder als finanzielle Stütze. Jede noch so kleine Hilfestellung hat mir sehr viel bedeutet. an Marija Cvetinović und Nebošja Milikić, die als Gesprächspartner vor Ort sich die Zeit genommen, mir tiefere Einblicke gewährt und so zum Thema des vorliegenden Buches einen wertvollen Beitrag geleistet haben. der Baubehörde Belgrads, die mir Planmaterial und Informationen, zu den erarbeiteten Bebauungen zur Verfügung gestellt haben. dem Lehrstuhl für Städtische Architektur an der Technischen Universität München unter Prof. Dietrich Fink und dessen wissenschaftliche Mitarbeitern, für die Möglichkeit informelle Dachaufstockungen Belgrads im Rahmen meiner Masterarbeit näher erforschen und erarbeiten zu dürfen. Außerdem bedanke ich mich für jegliche Hilfestellung bei Fragen, inspirierende Gesprächskritiken und Anregungen zur Erarbeitung meines vorliegenden Buches. meinen Freunden Annette und Rudi Heinz, die mich nicht nur finanziell unterstützt haben, sondern auch von Tag eins an motivierten dieses Buch zu verfassen und die Thematik genauer zu erforschen. Ihnen gilt ein besonderer Dank.



IMPRESSUM

@ Anella Agić 2019, München, 2. Auflage Bildnachweis Alle Bilder und Grafiken: Anella Agić Seite 15, 21: Anella Agić, basierend auf Calic, Marie-Janine (2017): S. 24 Seite 21, 33: Anella Agić, basierend auf ETH Studio Basel (2006): S. 21, S. 35 Seite 115, 127, 129, 131, 133: Anella Agić, basierend auf Sekulić, Dubravka (2012): S. 148-155 Konzeption | Design | Illustration | Text Anella Agić anella.agic@yahoo.com Projekt | Lehrstuhl Arbeit im Rahmen der Masterthesis an der Technischen Universität München Lehrstuhl für Städtische Architektur Univ. Prof. Dietrich Fink Änderungen und Druckfehler vorbehalten.






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