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Das tiefe Haus

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Venedig

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Auf den ersten Blick scheint die Definition des Wortes „tief“ eindeutig zu sein: eine Dimensionsangabe, welche die Entfernung zweier Punkte angibt.

Im Gespräch mit Nicht-Architekt*Innen und dem Hinterfragen von Bekanntem stößt man weiter auf Begriffe wie eine tiefe Erkenntnis, tiefgreifende Erschütterung oder tiefes Mitgefühl. „Tief“ wird dann metaphorisch verwendet, beschreibt die Intensität der Auseinandersetzung mit beschriebenen Dingen. Im Rahmen der folgenden Untersuchung soll versucht werden möglichst intensiv in die architektonische Bedeutung des Wortes „Tief“ einzutauchen. Doch auch in diesem Feld ist das Wort divers verwendbar und schafft, bei ausbleibender Definition, potenziellen Stoff für Missverständnisse. Von der Angabe der Form des architektonischen Körpers selbst, über die Entfernung der Gründung zum Straßenniveau bis zur Bestimmung der lichten Raumhöhe – die Tiefe ist architektonisch präsent.

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Um also einen solchen Irrtum zu vermeiden, soll zum Beginn der Arbeit genau festgelegt werden, welche Dimensionsangabe der Architektur beschrieben wird – definiert wird der Abstand zweier gegenüberliegender Außenwände desselben Gebäudes. Gemeint ist die „räumliche Tiefe“ eines Hauses.

Ist die erste Hürde der Definition der Dimension genommen, fällt es dennoch nicht leicht, festzulegen, ab welchem Abstand zweier Außenwände das Haus ein tiefes ist. Wann ist es schmal, wann normal und ab wann tief?

Die Tiefe ist ein relativer Faktor, von persönlicher Wahrnehmung beeinflusst, und nur schwer präzise festzulegen. Der/die Betrachter*In nimmt erst durch die eigene Präsenz im Raum, der eigenen Relation zu den Objekten innerhalb des Sehfeldes, die Tiefe wahr. Faktoren wie Raumhöhe, Materialität, natürliche und unnatürliche

“A ‘deep’ plan suggests a condition where the distance between core and facade is considerable...”

– Rem Koolhaas4

Lichtquellen beeinflussen das Urteil über die Distanz zwischen sich selbst und der Fassade. Ob diese Entfernung nach Koolhaas beachtlich, also außerordentlich tief ist also nicht eindeutig.5

Dennoch haben sich über die Jahre Richtwerte etabliert, die versuchen je nach Nutzung und Typologie Hilfestellung zur Planung von Gebäudekubaturen zu bieten. Planungshilfen und Normen, beispielsweise zur Belichtung und Belüftung, beschränken ein Anschwellen der Gebäude auf ein Maß, in dem die hygienischen, sicherheitsbedenklichen und technischen Standards noch eingehalten werden können. In Bauordnungen, Bauvorschriften und Regelwerken werden Handlungsempfehlungen und verbindliche Zahlen für den Entwurf festgelegt. Auf diese Weise manifestieren sich Gesetze in der materiellen Form der Gebäude und bestimmen maßgeblich deren Erscheinung.6

Die wesentlichen Vorschriften, die heute Architekturen zum Teil mitgestalten, entwickelten sich über die Jahre vor allem durch die Erfahrung, also den Austausch von Architekt*Innen und dem städteplanerischen Anspruch die Entwicklungen der Stadt mit zu beeinflussen. Die Schaffung eines Handlungsrahmens vereinfachte die Architektur, machte sie systematischer und effektiver. Etwa seit dem 19. Jahrhundert ist diese Rationalisierung merklich in den architektonischen Ergebnissen spürbar.

Der US-amerikanische Architekt und Mitbegründer der School of Chicago John Welborn Root (1850-1891) legte zu dieser Zeit die Tiefe von Bürogebäuden wie folgt fest; „Experience has demonstrated that all spaces within the enclosure of four walls which are not well lighted by sunshine or at least direct daylight, are in office buildings non-productive.“ 5 Er definiert die optimale Gebäudetiefe eines Bürogebäudes von der Mitte des Gebäudes bis zur Fassade mit 24 Fuß (8m). Mit einer zweiseitigen Belichtung würde das eine Gebäudetiefe von 16 Metern ergeben. Eine Tiefe, wie sie auch bis heute gerne im Bürobau angewendet wird und aktuellen Planungsempfehlungen entspricht.7

John Welborn Root benennt neben konkreten Zahlen, kritische und begrenzende Faktoren der tiefen Häuser: Das direkte Tageslicht. Ein Faktor, der schlüssig und bis heute gültig ist. Dennoch wird in der aktuellen Architektur versucht die räumliche Tiefe weiter auszureizen. In der Folge findet man vermehrt in Stadtplanungen zeitgenössischer Wohnungsbauten Bautiefen von über 20m. Dank technischer Entwicklungen, wie mechanischer Lüftung und Belichtung, ist es möglich Räume wie Bäder, Abstellräume, Küchen und Erschließungsräume ohne direkte Belüftung oder Belichtung zu planen. Durch die Anordnung von Räumen im unbelichteten Zentrum können zu den 16 Metern belichteten Raum noch zusätzliche dunkle Bereiche geplant werden. Auf welche Tiefen man mit diesen Hilfsmitteln kommt, ist unterschiedlich und soll im Rahmen der folgenden Arbeit dargestellt werden. Insgesamt kann von einem tiefen Gebäude gesprochen werden, wenn dies über 20 Meter breit ist.

Häufig sind die ökonomischen Aspekte der Planung hierfür ausschlaggebend – optimale Flächenausnutzung der Baufelder, maximiertes Bauvolumen, mehr Rendite, mehr vermietete und verkaufte Flächen. Um die angestrebten Ausnützungsziffern der Bauherren zu erreichen, muss aufgrund von begrenzten Bauhöhen, auch in der Horizontalen die maximal vertretbare Dimension angestrebt werden. Gerade unter den Gesichtspunkten der finanziellen Maximierung ist es von großer Bedeutung, die Qualitäten guten Wohnungsbaus nicht zu vernachlässigen. Häufig werden städtebauliche Volumen im Nachhinein mit grenzwertigen Grundrissen gefüllt. Es drängt sich die Frage auf: Welche Entwurfsstrategien machen das tiefe Haus wohnlich gut? Was sind die Möglichkeiten und was die Herausforderungen im Umgang mit dieser Typologie?

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