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Prolog
from Das tiefe Wohnhaus
by TUM_LSA
„Augenblicklich zeigt sich in der Architektur eine gewisse Verwirrung“.1 Wie schon Architekturtheoretiker Siegfried Giedeon im ersten Satz seines Hauptwerks „Raum, Zeit und Architektur“ (1941) so treffend beschrieb, war eine architektonische Haltung noch nie einfach zu entwickeln, geschweige denn zu begründen. Äußere Einflüsse, globale und lokale gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Entwicklungen sowie persönliche Geschmäcker beeinflussen Strömungen, die in einer Art Tradition an Folgegenerationen weitergeben werden. Auf diesem Weg erlernt jede Generation ihre eigenen Zugänge zum Bauen.
Bis heute fällt es schwer sich einem eindeutigen Ausdruck der Architektur zu widmen und die eigene Position zu festigen. Innovationen der Technik ermöglichen fast jede Form, jeden Charakter, alles scheint schon einmal so oder ähnlich gebaut worden zu sein. Beschränkt wird der Entwurf zeitgemäßer Architekturen in erster Linie von Geldbeutel und Wünschen der Bauherr*Innen, sowie geltenden Regeln und Bauvorschriften. Reflektiert man die gegenwärtige Architektur unter tagesaktuellen Themen kritisch, scheint sie häufig unreflektiert und ignorant zu agieren. Aktuelle, dringende Herausforderungen, wie die Auswirkungen der Klimakrise oder die wachsende soziale Ungleichheit, werden meist nur berücksichtigt, wenn sie in geltenden Vorschriften festgehalten sind. Und dass, obwohl die aktuelle Baupraxis bereits zum jetzigen Zeitpunkt negative Folgen auf unser Zusammenleben und unsere Umwelt haben. Von der Rohstoffproduktion, über den Bau, bis hin zum Beheizen und Betreiben der Gebäude ist der Bausektor für etwa die Hälfte der globalen CO2-Emmisionen verantwortlich und somit maßgeblich an der Klimakrise beteiligt.2 Gleichzeitig wächst der Druck auf den Immobilienmarkt der Städte. Während der Quadratmeterverbrauch pro Kopf immer weiter steigt, werden immer mehr Menschen, auch mit mittelständischem Einkommen, an die Ränder der Großstädte verdrängt. Landflucht und Bevölkerungswachstum verstärken diese Entwicklungen.
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In der Folge bedarf es klimaschädliche Neubautätigkeit, um dem Marktdruck der Großstädte zu kontrollieren. Es entsteht so das Dilemma zeitgenössischer Architektur – wie soll die der Nachfrage entsprechen und gleichzeitig Neubautätigkeit auf den minimalen Bedarf zurückfahren?
Einen Weg heraus aus dieser Verwirrung zu finden, bedeutet sich auf die Suche zu begeben, den Umgang mit Geschehnissen und Herausforderungen der Zeit zu lernen. Selbst wenn die Komplexität der Sache auf den ersten Blick erdrückend wirkt, ist die Forschung der erste Schritt zur Bewältigung der Lage. Auch aufgrund der Rolle der Architektur als bedeutende Emissionsverursacherin, könnten Paradigmenwechsel der Baubranche einen großen Beitrag zum Umgang mit der Klimakrise leisten und sind daher als große Chance zu begreifen.2 Es sind die kleinen und gemeinschaftlichen Schritte hin zu einer anderen Architektur, die versucht Ökologie, Soziales und auch die Ökonomie unter einen Hut zu bringen.
In der vorliegenden Arbeit wird folgend eine mögliche Lösung für den Umgang zeitgenössischer Architektur mit beschriebenem Dilemma moderner Architektur untersucht - das tiefe, also breite, Wohnhaus. Eine gleichermaßen einfache, wie unscheinbare Strategie, die große Potentiale für eine nachhaltigere Architektur beinhalten könnte, aber auch ihre Schwierigkeiten und Hindernisse mit sich bringt.
Es existieren bereits zahlreiche Strategien für mehr Nachhaltigkeit in der Baubranche. So zum Beispiel die Reduzierung von Emissions- und Ressourcenverbrauch im Bau, genauso wie im Betrieb, weniger Neuversiegelung von Flächen, smarter baulicher anstatt smarter technischer Lösungen, weniger Abbruch und die Integration von mehr Kreislaufwirtschaft. Mit der Planung von Neubauten als tiefe Häuser, wird es möglich auf erstaunlich viele dieser Punkte einzugehen. Aufgrund des Verhältnisses von Hüllfäche (A) zum beheizten Volumen (V) weisen tiefere Gebäude einen geringeren spezifischen Energiebedarf pro m³ auf und sind somit im Betrieb energiesparender als vergleichbar schmalere Gebäude.3*
30m*40m*20m A/V - Verhältnis: 0,18 *
30m*40m*20m A/V - Verhältnis: 0,21
15m*40m*20m A/V - Verhältnis: 0,28 15m*100m*20m A/V - Verhältnis: 0,25
GSEducationalVersion
*Abb. 2: Studie zur Vergleichbarkeit von A/V- Verhältnissen Je geringer das A/V- Verhältnis ausfällt, desto geringer ist der natürlich spezifische Energiebedarf eines Gebäudes. Es gilt demnach: Je tiefer, desto energieeffizienter.
Im Bau benötigen sie bei vergleichbarem Volumen weniger aufwendige Ressourcen. Es werden weniger Fassadenflächen, weniger Treppenräume und weniger Haustechnik verbaut. Die oftmals effiziente Ausnützung der Parzelle fasst mehr Volumen an einem Ort zusammen und kann so die Flächenneuversiegelung reduzieren. Das Wissen über Funktionsweise tiefer Häuser vereinfacht zudem die Umnutzung von Bestandsgebäuden, die aufgrund ihrer Tiefe aktuell häufig noch als unbewohnbar deklariert werden. So kann beispielsweise die Lebenszeit von Kauf-, Büro-, Park- und Lagerhäusern, deren Nutzungen häufig obsolet geworden sind, verlängert werden. Dieser Erhalt von Bestandsgebäuden gestaltet sich als einer der wichtigsten Punkte, für nachhaltigere Architektur, da so viel Energie und Ressource gespart werden kann.