Verglichen mit Deutschland führt Biogas in Italien fast noch ein SchattenDasein. Diese Anlage steht in der Lombardei, wo die Viehhaltung ein bedeutender Teil der Landwirtschaft ist. Foto: Envitec Biogas Italia
Wo geht die Reise hin?
Der Biogasmarkt in Italien bietet Potential, das auch deutsche Firmen nutzen wollen
Grafik unten: Durchschnittliche Betriebsgröße (ha) in den Regionen Italiens. Quelle: Istat
Spätestens seit die Einspeisevergütung für Biogas-Strom bei 28 Cent pro Kilowattstunde liegt, gilt Italien vielen als Traumland. Diese guten wirtschaftlichen Bedingungen treffen auf ein großes Potential an möglichen Substraten aus der Landwirtschaft und Viehhaltung. Das zunehmende Interesse von deutschen Firmen wurde kürzlich auf einer Tagung in Norditalien deutlich.
Es waren überraschende 300 Teilnehmer, die sich Mitte September in der Nähe von Mantua trafen, um sich über die Entwicklungen des italienischen Biogassektors zu informieren. Keine bessere Lage hätte gewählt werden können! Zwar schwierig mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, aber mitten in einer der an Biogasanlagen reichsten Regionen Italiens: In der Lombardei liegen gut 150 der über 600 Biogasanlagen des Landes. Vertreter nationaler Verbände und Firmen – darunter viele von deutschen Mutterfirmen – stellten nicht nur neue Technik vor, sondern zeigten auch, welche Möglichkeiten der Sektor noch zu bieten hat. Denn darüber sind sich alle einig: Biogas ist für Italien sehr wichtig und das Land bietet gute Bedingungen für die weitere Entwicklung. Woher kommt dieses große Potential? Erstens aus der Struktur der italienischen
Landwirtschaft, die reichlich Substrate für die Biogasproduktion anbieten kann – und das nicht nur aus Energiepflanzen, sondern immer mehr auch aus Reststoffen. Nach der letzten statistischen Erhebung vom Oktober 2010, deren Daten noch in der Auswertung sind, die aber schon ein klares und aktuelles Bild des Sektors zeigen, gibt es in Italien rund 1,6 Millionen landwirtschaftliche Betriebe, von denen 210.000 Viehzuchtbetriebe sind. Diese konzentrieren sich besonders im Norden: den Regionen Piemont, Veneto, Lombardei und Emilia Romagna. Bedeutend ist, daß fast 60 Prozent der Viehzuchtbetriebe auf Rinderhaltung spezialisiert sind, mit etwa 5,7 Millionen Tieren. Für die Biogasproduktion ist deren Gülle ein wertvolles Substrat. Diese Regionen sind auch Spitzenreiter bei der Schweine- und Geflügelhaltung mit rund 85 Prozent der Schweine
und 61 Prozent des Geflügels. In dieser Hinsicht hat der Süden Italiens weniger Gewicht, denn nur weniger als zehn Prozent der Betriebe hier betreiben Viehhaltung. Auch die Größe der Betriebe könnte ein Potential bergen. Seit dem Jahr 2000 sind viele Betriebe mit weniger als einem Hektar Fläche verschwunden, dafür entstehen immer mehr mittelgroße Betriebe, sowohl in Bezug auf die Größe des Tierbestandes als auch die Fläche. Im Vergleich zum Jahr 2000 gibt es jetzt fast ein Drittel (32 Prozent) weniger Betriebe, die aber eine gestiegene durchschnittliche
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BIOGAS GrĂśĂ&#x;e aufweisen. So ist zum Beispiel bei der Rinderhaltung der Durchschnitt von 35,2 Tieren pro Betrieb auf 45,7 im Jahr 2010 gestiegen. Was den Ackerbau betrifft, ist die gleiche Tendenz zu beobachten: In zehn Jahren ist die durchschnittliche Anbaufläche pro Betrieb von 5,5 auf 7,9 Hektar gestiegen. Derzeit nutzt der Ackerbau zirka 54 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche – 12,9 Millionen Hektar – und dabei ist auch der SĂźden Italiens ein wichtiger Akteur, insbesondere die Regionen Sizilien und Apulien. Das gilt nicht unbedingt fĂźr die Mais-Produktion, sondern eher fĂźr andere Getreidearten, die besser mit Wassermangel zurechtkommen.
Biogas als (Ăœberlebens-)Chance der italienischen Landwirtschaft
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Dieser Reichtum an landwirtschaftlichen Produkten sowie an Reststoffen der Agrarproduktion und Viehzucht macht die Biogas-Produktion – zusammen mit den jĂźngsten Entwicklungen der Technik in Italien und mit den groĂ&#x;zĂźgigen staatlichen FĂśrderungen – zu einem hĂśchst interessanten Wirtschaftsfaktor fĂźr die italienische Landwirtschaft. Die Tagung in Mantua hat eines klar gezeigt: Italien orientiert sich immer stärker in Richtung der Nutzung von Agrarrestoffen jeglicher Art fĂźr die Biogas-Produktion. Die italienischen Biogasanlagen wechselten in den vergangenen Jahren von der Mono-Vergärung (Mais und andere Energie-/Nahrungsmittelpflanzen) zu der CoVergärung (jegliche Reststoffe in einem Substratmix mit GĂźlle) und sind mittlerweile imstande, eine breite Palette an Substraten zu nutzen. Die meisten Firmen in Mantua betonten, daĂ&#x; sie aktuell daran arbeiten, die Effizienz zu verbessern: Optimierung der Vorbereitungsprozesse der Substrate, um die Biogasproduktion zu maximieren; Optimierung der Beschickungssysteme und der AnlagengrĂśĂ&#x;e; Erweiterung des verwendbaren Substratspektrums (HĂźhnermist, ZuckerrĂźbenreste, Reststoffe aus der Agrar- und Ernährungswirtschaft) und – nicht zuletzt – Optimierung kleinerer AnlagengrĂśĂ&#x;en zwischen 50 und 400 Kilowatt Leistung. Als Vorteil dieser kleinen Anlagen gilt, daĂ&#x; sie besser in landwirtschaftliche Betriebe und die ländliche Entwicklung integriert werden kĂśnnen. Diese Trends sowie die vorhandene, ausgereifte Technik veranlaĂ&#x;te manchen Teilnehmer zu sagen, daĂ&#x; Italien nun endlich dem deutschen Markt etwas zu bieten habe. Die Verwendung von Reststoffen bedeutet nicht nur die Verwertung eines Materials, das der italienische Agrarsektor reichlich produziert, und ist nicht nur eine elegante Form der Entsorgung, sondern bietet fĂźr einige Betriebe im Lande schlicht eine Ăœberlebenschance. Dies ist zum Beispiel der Fall beim ZuckerrĂźbenanbau, der ohne die MĂśglichkeit, die Produktionsreste zu verwerten, buchstäblich aus dem Lande verschwunden wäre, so die Aussage des italienischen Konsortiums der ZuckerrĂźbenanbauer CNB. Dies wäre die Konsequenz der im Jahr 2006 in Kraft getretenen EU-Zuckermarktreform, die Italien von einem Zuckerproduzenten zu einem Zucker-Netto-Importeur gemacht hat. Weitere Folgen dieser Neuordnung waren, daĂ&#x; 15 der 19 Zuckerfabriken schlieĂ&#x;en muĂ&#x;ten und die Anbaufläche fĂźr ZuckerrĂźben um 200.000 Hektar zurĂźckging. Nur die MĂśglichkeit, Energie aus den Reststoffen der Zuckerproduktion zu gewinnen (Wurzelhals und Blätter oder PreĂ&#x;schnitzel) hat den Sektor gerettet und die Preise fĂźr ZuckerrĂźben wieder nachhaltig stabilisiert. Und letztendlich ist fĂźr die Entwicklungen im Biogas-Sektor die groĂ&#x;zĂźgige staatliche FĂśrderung entscheidend: Rund 28 Cent pro Kilowattstunde gibt es fĂźr eingespeisten Strom aus AnlagengrĂśĂ&#x;en bis ein Megawatt, garantiert fĂźr 15 Jahre. DarĂźber hinaus ist ein Quotensystem fĂźr den Handel mit grĂźnen Zertifikaten entwickelt worden. Dieses ist jedoch fĂźr grĂśĂ&#x;ere Industrieanlagen gedacht und stellt somit keine attraktive Alternati-
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BIOGAS ve für die Landwirtschaft dar. Das obengenannte Fördermodell hat sicher bei der Entwicklung des Sektors maßgeblich geholfen, um in wenigen Jahren konkurrenzfähig zu werden. Andererseits hat die Förderstruktur auch Spekulanten auf den Plan gerufen, was zu Spannungen zwischen Viehhaltung und Biogasproduktion geführt hat: Viehzüchter sehen die Biogasanlagen eher als Konkurrenten – zum Beispiel auf dem Markt für Mais oder bei Pachtpreisen – und nicht als eine Chance, die eigene Wirtschaftlichkeit aufzupeppen. Außerdem kann eine überhöhte Förderung ein Ausfallsrisiko mit sich bringen, denn es stellt sich die Frage: Wie lange kann diese Förderung aus öffentlichen Mitteln finanziert werden? Dieser Umstand wird wahrscheinlich in den nächsten Monaten den Biogassektor etwas bremsen, denn das Parlament muß über neue Tarife entscheiden. Wie, welche und wann war im Herbst 2011 noch nicht bekannt. Ein Wechsel des Fördersystems wäre aber wünschenswert, meinen viele Interessenverbände, um bestimmten Entwicklungen entgegenzusteuern. So könnte mit einer gezielten Förderung kleinerer Anlagen (zum Beispiel bis 200 Kilowatt elektrischer Leistung) eine Art „Demokratisierung“ des Biogassektors – eine größere Anzahl kleinerer Anlagen – erreicht werden. Die kleineren Anlagen wären in die landwirtschaftliche Struktur Italiens – mit vielen Betrieben unter 20 Hektar – besser integrierbar, sind einfacher zu bewirtschaften und zu verwalten, ohne die Struktur der Betriebe selbst zu verändern. Dies wäre für Italien ein guter Lösungsansatz, da die jetzige Erfahrung zeigt, wie schwierig Großanlagen mit konsortialer Beteiligung von Bauern in Italien umzusetzen sind. Weiterhin könnte ein solcher Wechsel einen wichtigen Beitrag für Versorgungssicherheit und Energieeffizienz leisten, eben durch die Nutzung von Reststoffen statt Energiepflanzen und durch die Abwärmenutzung. Die Energieeffizienz ist möglicherweise die Achillesferse der Bio-
Substrate, die Biogasanlagen in Italien verwenden. Quelle: CRPA
Zum „Biogas Day“ in der Nähe von Mantua kamen rund 300 Teilnehmer aus Landwirtschaft, Industrie und von Universitäten. Foto: Doldi gasnutzung „made in Italy“ – abgesehen von der Bürokratie – da ein Großteil der Abwärme derzeit nicht genutzt wird. Die wenigen Anlagen, die ihre Wärme vollständig auf dem eigenen Betrieb nutzen können oder zum Beispiel Gärrest trocknen, sind Ausnahmen. Leider gibt es derzeit weder Förderungen noch Strukturen für eine Nutzung der Abwärme, aber die anfallende Wärmeenergie einfach ungenutzt zu lassen, kann heutzutage eigentlich nicht mehr akzeptiert werden. Ein Wechsel in dem Tarifsystem wäre deshalb eine große Hilfe, um Anlagen mit hohem Gesamtwirkungsgrad zu forcieren.
Biomethan spielt (noch) keine Rolle
Die Aufbereitung zu Biomethan wird derzeit in der Praxis noch nicht umgesetzt, obwohl die Voraussetzungen für die Nutzung gut sind: Für dieses Produkt bietet Italien einerseits das größte Gasnetz Europas, insbesonders im nördlichen Teil des Landes, andererseits eine große Flotte an Pkw. Die Produktion von Biomethan würde auch das Problem der nicht genutzten Abwärme elegant lösen. Einige
Substrat
Menge pro Jahr
Gülle
130 Mio. t
Reststoffe der Agrofood-Industrie
5 Mio. t
Klärschlamm
3,5 Mio. t
Biomüll (aus Gemeinden)
10 Mio. t
Landwirtschaftliche Abfälle
8,5 Mio. t
Energiepflanzen
200.000 ha
Das Forschungszentrum für Tierproduktion (CRPA) schätzte im Jahr 2009 die Substratmengen, die in Italien für die Biogasproduktion genutzt werden können. Zusammengenommen reicht dieses Potential jedes Jahr für 20 Terawattstunden Strom und 6,5 Milliarden Kubikmeter Methan. Schatten fallen also noch auf den Biogassektor in Italien, der sich aber vielversprechend entwickelt. Dieser Ansicht sind offenbar auch etliche deutsche Biogasfirmen, ihrer regen Marktteilnahme nach zu urteilen. Den italienischen Markt machen unter anderem die folgenden Faktoreninteressant: (noch) hohe Förderungen, die Vielfalt an Substraten und Nebenprodukten, so daß auch mit anderen Substraten als Maissilage Biogas produziert werden kann, und das dafür erforderliche technische Know-how, das in Italien vorhanden ist. Einige der in Italien eingestzten Substrate werden auch in Deutschland interessant, so daß bestimmte Verfahren aus Italien importiert werden könnten. Somit könnte Italien nicht mehr nur „Eroberungsland“ sein, sondern auch ein interessanter und konkurrenzfähiger Austauschpartner werden. Maria Luisa Doldi
So verteilte sich die landwirtschaftliche Betriebsgröße in Italien im Jahr 2010: Der überwiegende Teil bewirtschaftet Größen unter zehn Hektar.
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