L Bunkern
«Alles oder nichts.» Dramaturg Nikolai Ulbricht im Gespräch mit der Regisseurin Corinne Maier
negativen Seiten des Schweizer Si cherheitsdenkens unter die Lupe zu nehmen.
Nikolai Ulbricht — «Bunkern» ist
NU — Könntest du dir vorstellen, diese
eine «theatrale Recherche». Deine Arbeiten basieren grundsätzlich immer auf Recherchen – warum? Corinne Maier — Mich interessiert eine bestimmte Form des gemeinsamen Nachdenkens über Themen, die mit unserem heutigen Leben zu tun haben. Die findet man vielleicht auch in einem antiken Klassiker, aber warum nicht gleich selber denken? NU — Was meinst du mit «gemein
samem Nachdenken»?
CM — Ich versuche, das ganze Team mit ins Boot zu holen. Auch wenn die Aufgaben und Funktionen klar verteilt sind, soll die Entstehung gemeinsam und auf Augenhöhe stattfinden. Weil ich sehr daran glaube, dass mehrere Köpfe mehr sehen oder mehr Ideen haben als einer allein. NU — Wie gehst du vor, wenn du so
ein Rechercheprojekt startest?
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Ein Stück zur Sicherheit von Corinne Maier & Team Premiere: 5. Juni 2019 Dauer: 1 Stunde 20 Minuten ohne Pause GEFÖRDERT DURCH DIE LANDIS & GYR STIFTUNG UND DIE ERNST GÖHNER STIFTUNG DANKE UNSEREM HAUPTSPONSOR BUCHERER AG
MIT Sofia Elena Borsani, Adrian Furrer, Julian-Nico Tzschentke INSZENIERUNG Corinne Maier BÜHNE UND KOSTÜME Nicole Henning SOUNDDESIGN Rupert Jaud DRAMATURGIE Nikolai Ulbricht TEXT Team, Expertinnen und Experten REGIEASSISTENZ UND ABENDSPIELLEITUNG Julia Herrgesell LICHT David Clormann, Ronnie Hermann TON Stanley Hügi KOSTÜMHOSPITANZ Rebecca Ehl LEITER PROBENBÜHNEN Thomas Künzel
Die Ausstattung wurde in den Ateliers und Werkstätten des Luzerner Theaters angefertigt.
T IMPRESSUM
Herausgeber: Luzerner Theater Theaterstrasse 2 6003 Luzern www.luzernertheater.ch
CM — Ich führe eigentlich immer Gespräche mit Expertinnen und Experten, mache viele Improvisationen zu dem Thema und setze mich zusammen mit dem Team ausgiebig mit dem Thema auseinander. Wenn ich aber zum Beispiel theatrale Porträts von Menschen oder Orten mache, waren es in anderen Aspekten dann ganz andere Herangehensweisen als bei einem abstrakteren Thema wie «Sicherheit», das wir hier behandeln.
Spielzeit 18/19
NU — Was interessiert dich am
Intendant: Benedikt von Peter Verwaltungsdirektor: Adrian Balmer Künstlerische Leitung Schauspiel: Sandra Küpper Redaktion: Nikolai Ulbricht Foto: Mischa Christen Gestaltung: Studio Feixen Druck: Engelberger Druck AG
CM — Definitiv seine Ambivalenz. Dass es einerseits ein grundlegendes Bedürfnis von uns Menschen ist, sicher zu sein. Dass es auch fantastisch ist, sehr sicher zu leben – wie in der Schweiz zum Beispiel. Dass es aber gleichzeitig eben auch einengend sein kann und diese Sicherheiten einem auch die Luft zum Atmen nehmen können.
Diese Drucksache ist nachhaltig und klimaneutral produziert nach den Richtlinien von FSC und ClimatePartner.
Thema «Sicherheit»?
NU — Was ist für dich die Verbindung
von Schweiz und Sicherheit?
CM — Die steht ja schon im Titel: «Bunkern». Das war der Ausgangspunkt des Stücks. Ein ganz konkreter Bunker hier in Luzern, im Sonnenberg. Die Schweiz ist das Land auf der Welt mit den meisten Bunkern. Das ist schon eine Besonderheit, die untersuchenswert ist. Davon ausgehend haben wir angefangen, offener und weiter über das Thema nachzudenken. NU — Würdest du sagen, dass es ei-
nen Einfluss auf die Recherche hat, Schweizerin zu sein?
CM — Ja. Ich denke, es fällt mir als Schweizerin vielleicht ein bisschen leichter, kritisch zu sein. Auch die
Inszenierung auch in einem anderen Land zu machen als in der Schweiz?
CM — Auf jeden Fall! In Deutschland ginge das ebenso. Oder in Indien. Und ich denke, es würde überall etwas Anderes herauskommen! Weil Sicherheit – das denke ich zumindest nach dieser Arbeit – letztlich immer eine Art soziales Konstrukt ist. NU — Du hast zum ersten Mal in Lu-
zern gearbeitet. Was war dein Eindruck, gerade in Bezug auf Sicherheit? CM — Luzern scheint so absurd sicher. Es gibt diese Schweizer Schokolädchen, die es zum Kaffee gibt. Da ist immer ein Schweizer Bergpanorama drauf. Und Luzern ist für mich ein solches Panorama. Das hat schon fast etwas Surreales. Was mir persönlich aber nicht unbedingt ein Gefühl von Sicherheit gibt. NU — Im eigentlich sicheren Luzern
fühlst du dich unsicher? Warum?
CM — Ich bin Schweizerin, aber in Basel aufgewachsen und habe die Berge nie gesehen! Mit diesem See und den Bergen entspricht Luzern einfach dem absoluten Klischeebild der Schweiz, das ich persönlich aber gar nicht so aus meinem Alltag kenne. Und deshalb kommt es mir fremd vor. NU — Und das Fremde macht unsicher? CM — Das Fremde macht unsicher. NU — Gab es auch Unsicherheiten
bei dieser Recherche?
CM — Das Thema ist so gross und hat so viele Unterthemen … Man könnte beispielsweise ein Stück nur über Cyberkriminalität machen. Oder über Stimmungsmache für oder gegen Parteien im Internet, die demokratische Prozesse bedroht. Das war eine Art Schwierigkeit: Einerseits dem Thema und dem Anspruch, es umfassend abzubilden, gerecht zu werden; und andererseits zu sagen: So, darum geht es jetzt bei uns. NU — Nicht mehr bunkern und
sammeln …
CM — … genau. Sondern entscheiden und machen. NU — Zu Sicherheit gehört immer
die Gefahr und die Bedrohung …
CM — …ja. Letztlich könnte man sagen: Bei Sicherheit geht es letztlich um das ganze Leben. Weil wir dadurch, dass wir leben, auch immer bedroht sind, nicht zu leben. Insofern geht es um alles oder nichts.