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ENERGIE DER ZUKUNFT

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CYBER SECURITY

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ENERGIEPREISE EXPLODIEREN UND RESSOURCEN VERKNAPPEN. DOCH DAS HANDWERK KANN DIESE KRISE MEISTERN: MIT NEUEN TECHNOLOGIEN, MIT UN� TERSTÜTZUNG DER WISSENSCHAFT UND DURCH INTENSIVE VORBEREITUNG.

Mineralien, Metalle und fossile Rohstoffe stehen nur in einem begrenzten Ausmaß zur Verfügung und erneuern sich nicht selbst. Das weltweite Bevölkerungswachstum und die steigende Nachfrage nach Gütern führen zu einer Ressourcenknappheit, die sich auch auf Südtirol auswirkt.

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Roland Benedikter ist Politikwissenschaftler, Soziologe und Co-Leiter des Center for Advanced Studies bei Eurac Research. Die Verteuerung geschah in vier Schüben, sagt der Forscher. Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2007 und 2008 haben sich weltweit die Lebensmittelpreise verteuert. Das löste unter anderem den „Arabischen Frühling“ aus, der mit ein Grund für große Fluchtbewegungen war, die Europa seit 2015 spürbar verändern. 2020 folgte die Covid-Pandemie, die sich zwar in ihren Ausläufen befindet, aber die Grenzen und Schwächen der Globalisierung scharf aufzeigt: Liefer- und Verbindungswege wurden gekappt, der Schiffs- und Flugverkehr eingebremst und die Produktion von Gütern reduziert. Die Preise stiegen an. Der Krieg in der Ukraine macht seit 24. Februar 2022 erneut die Schwachstellen rund um internationale Verflechtungen und Abhängigkeiten sichtbar. Die Ukraine und Russland gehören zu den acht größten Getreideproduzenten der Welt. Das fehlende Getreide als Schlüsselrohstoff, die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas lassen die Preise erneut in die Höhe schnellen.

Bei einer Inflation legen nicht nur die Preise zu, sondern auch das nominale Bruttoinlandsprodukt. Das lässt den nationalen Schuldenstand im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt weniger hoch aussehen und die staatliche Schuldenquote sinkt. Die allgemeine Teuerung führt gleichzeitig dazu, dass mehr Menschen mehr Steuern bezahlen, denn das Steuersystem basiert auf nominalen Größen.

SPARERINNEN UND SPARER ALS VERLIERER

Die Geldentwertung zehrt ihr Vermögen schleichend auf. Sie tendieren in diesen Zeiten dazu, ihre Ersparnisse und liquiden Mittel in Gold, seltene Erze, Immobilien und Kryptowährungen zu investieren. Auch das treibt die Preiskurve nach oben.

Der Co-Leiter des Center for Advanced Studies bei Eurac Research Roland Benedikter sieht in der aktuellen Situation dennoch große Chancen für Südtirols Handwerksbetriebe: indem sie ihre Effizienz steigern, die Digitalisierung weiter vorantreiben, Künstliche Intelligenz und Blockchain-Technologien vermehrt einsetzen und die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft verstärken. Roland Benedikter betont, dass die Energiewende jetzt schneller komme als gedacht. Die EU setze alles daran, um von russischem Gas und Öl unabhängig zu werden.

Die im Wissenschafts- und Technologiepark NOI Techpark Südtirol vernetzten Unternehmen, Startups, Forschungseinrichtungen und Institute der Eurac Bozen bieten nicht nur Dienstleistungen für Technologieunternehmen an. Sie bringen die wissenschaftlichen Ergebnisse auch zu den Betrieben. Geplant ist unter anderem ein mobiles Labor, das Handwerksbetriebe in ihren Orten besucht, berät und sie auf neue Technologien aufmerksam macht.

Zukunft in unserer Hand

Effizienzsteigerung

ROLAND BENEDIKTER Co-Leiter des Center for Advanced Studies von Eurac Research in Bozen

Zuversichtlich durch die aktuelle Krise

SÜDTIROLS HANDWERKERINNEN UND HANDWERKER BENÖTIGEN MUT, INNOVATIONSKRAFT UND WIS� SENSGEWINN, UM DIE ZUKUNFT ZU MEISTERN.

Was brauchen Handwerksbetriebe, um sich auf die Zukunft vorzubereiten?

Südtirols Klein- und Mittelbetriebe sind mehr denn je gefordert, sich mit neuen Technologien zu befassen. Die verknappten Rohstoffe und die wachsende Inflation führen dazu, dass Unternehmen effizienter werden müssen. Alle suchen fieberhaft nach Möglichkeiten, um Unnötiges wegzulassen, Digitalisierung voranzutreiben und günstiger zu produzieren.

Warum spielen neue Technologien dabei eine Rolle?

Jeder Betrieb, ist er noch so klein, braucht ab nun einen Zuständigen, der oder die sich um technologische Neuerungen kümmert und sich mit Zukünften auskennt. Das ist unausweichlich. Klein- und Mittelbetriebe haben nicht die Ressourcen, um eigene Forschung zu betreiben. Der NOI-Techpark ist für sie da. Zusammenschluss, Austausch und gegenseitiges Lernen von „besten Praktiken“ – das sind die Schlagworte.

Welche Technologien werden Südtirols Betriebe verändern?

Ich bin überzeugt, dass die Blockchain-Technologie für viele Klein- und Mittelbetriebe ein unglaublicher Vorteil sein wird. Vielen Menschen ist Blockchain als Technik hinter der Kryptowährung Bitcoin ein Begriff. Doch Blockchain hat das Potenzial, die Art und Weise künftiger Geschäfte neu zu definieren und Strukturen neu zu denken. Eine Blockchain ermöglicht es, Informationen mittels einer dezentralen, von vielen Teilnehmern gemeinsam genutzten Datenbank fälschungssicher zu übermitteln. Blockchain-Technologie gibt uns beispielsweise in Echtzeit die Möglichkeit, Energie im günstigsten Moment zu nutzen. Ein Betrieb kann so seine Verbrauchszeiten regeln und Energie sparen. Das legt sich direkt auf die Preise um. Ich glaube nicht, dass die Energiepreise jemals wieder auf das Vorjahresniveau zurückkehren. Dank neuer Technologien – vor allem in Kombination von Blockchain und Künstlicher Intelligenz – wird es möglich sein, ein Drittel und mehr an Energie einzusparen und die heutigen Preissteigerungen bis zu einem gewissen Grad zu kompensieren.

Die hohe Inflation macht den Menschen Sorgen.

Inflation hat immer zwei Seiten. Sie ist gut für Gemeinschaftsschulden, die mittel- und langfristig indirekt kleiner werden. Aber für Betriebe und private Sparerinnen und Sparer ist Inflation Gift. Deshalb investieren derzeit so viele Menschen in Kryptowährungen, Immobilien oder Gold. Die Menschen wollen ihren monetären Wert sichern. Das heizt die Inflation weiter an. Die mehrjährige Nullzinspolitik, meines Erachtens inzwischen zu lange praktiziert, hat das zuletzt zusätzlich befeuert. Amerika hat diesen Fehler korrigiert und den Leitzinssatz angehoben. Auch wir sollten zu einer vernünftigen Sparpolitik mit Zinsen zurückkehren, um Sparerinnen und Sparer nicht weiter zu enteignen.

Wie können Betriebe zu Investitionen bewegt werden?

Südtirols Betriebe investieren unterdurchschnittlich in Innovation, weil die Belastungen sehr hoch sind. Eine Modernisierungsoffensive, angeregt und unterstützt von Seiten des Landes, wäre notwendig. Betriebe sollten motiviert werden, ihre liquiden Mittel in sinnvolle Investitionen im eigenen Betrieb anzulegen.

Warum wurde das Thema Energie jetzt so akut?

Das Problem der zu hohen Energieabhängigkeit Europas von Russland war allgemein bekannt. Der Ukraine-Krieg hat es verschärft. Wir müssen weg von den großen Abhängigkeiten und hin zu autochtoner Versorgung. Wir sollten uns Ressourcen im Voraus strategisch sichern und kluge Strategien fahren. Das Gesicht der morgigen Globalisierung wird anders aussehen. Es wird das magische Wort „Autonomie“ enthalten: Ich kann mich selbst erhalten, mich auf mich selbst beziehen, bin nicht mehr von anderen Gesellschaftssystemen abhängig.

Blockchain Chance für die Zukunft

Auch China wird kritischer gesehen werden. Wir haben diese autoritäre Gesellschaft, die auf nationale Ausbeutung ausgelegt ist, mit der „neuen Seidenstraße“, die auch durch Südtirol führt, kritiklos in unsere Ressourcenwege aufgenommen. Wir sollten hier weniger naiv sein: China ist ein „systemischer Rivale“, wie die EU seit 2019 sagt.

Welche Energie hat Ihrer Meinung nach Zukunft?

Auch wenn Wasserstoff noch eine Nischentechnologie ist, hat er großes Potential und Südtirol ein gutes Grundnetzwerk. Dieser Energieträger wird derzeit eher billiger als teurer. Die EU fördert die Entwicklung dieser Technologie mit beachtlichen Investitionen. Wasserstoff ist in der Stromerzeugung, im Mobilitätssektor, für die Herstellung alternativer Kraftstoffe, im Wärme- und Industriesektor und als Rohstoff für industrielle Prozesse vielseitig einsetzbar, auch wenn seine Effizienz in Einzelanwendungen noch gesteigert werden muss. Mit Wasserstoff kann auch Energie gespeichert und transportiert werden. Daher kommt ihm bei der Stromspeicherung ebenfalls eine wichtige Rolle zu. Der größte Teil der derzeitigen Wasserstoffproduktion entsteht als Nebenprodukt in Prozessen der chemischen Industrie.

Sie nennen Multiresilienz als Stichwort. Was meinen Sie damit?

Resilienz heißt, gegen Krisen widerstandsfähig zu werden. Das hat zwei Dimensionen. Einerseits geht es darum, nach der Krise wieder das zu sein, was ich vor der Krise war; ich kann wieder denselben Zustand herstellen. Auf der anderen Seite bedeutet das, dass ich mich durch die Krise weiterentwickle, dass ich mich verändere und neu aufrichte. Jeder Betrieb befasst sich mit sektoraler, also spezifischer Resilienz – beispielsweise bei der Finanzierung oder in bestimmten Wissensbereichen. Multiresilienz hingegen meint ein Widerstandsfähigkeits-Bündel, das Betriebe auf vielen Ebenen zugleich – und zwischen ihnen abgestimmt – wetterfest durch künftige Krisen führt. Dafür gilt es, ein Zertifizierungssystem zu entwickeln, das dem einzelnen Betrieb ganz konkret herauszufinden hilft, wie resilient er sind. Dabei geht es um Mitarbeitende, um Finanzierung, um die Sicherung von Ressourcen. Wenn das Land Südtirol die Handwerksbetriebe dabei finanziell begleitet und zertifizierte Resilienz belohnt, sind wir auf dem richtigen Weg.

Sie betonen für die kommenden Jahre den Begriff „Zukunftsbildung“. Was hat es damit auf sich?

Wir dürfen junge Generationen von Handwerkern, Fachkräften und Arbeitern nicht unvorbereitet in eine ungewisse Zukunft schicken. Betriebe und Verbände sollten sich nach UNESCO-Vorbild um Zukunftsbildung kümmern. Dabei wird nicht die Zukunft vorweggenommen, sondern Gegenwart besser verstanden, indem ich mich über ihre möglichen Entwicklungen austausche. Veränderungen machen häufig Angst. Viele Menschen fordern deshalb eine Reduktion von Komplexität. Das ist richtig, reicht aber nicht. Nur im gemeinsamen Visualisieren der Zukunft können wir Gegenwart gestalten. Dafür braucht es Kreativität und Vorstellungskraft. An der Eurac entwickeln wir für Betriebe Programme in UNESCO-Zukunftsbildung, die wir breit anbieten wollen.

Wasserstoff

Neue Speicherungsmöglichkeiten

Was ist für eine gute Zukunft im Handwerk notwendig?

Eine gute Zukunft hängt vom Wissen und Können unserer Klein- und Mittelbetriebe ab. Es braucht Forschung, Wissenschaft, Zukunftsbildung und neue Technologien, um Effizienzstrategien zu entwickeln. Unsere Chance liegt in der Effizienz-Steigerung und Knowhow-Anreicherung. Südtirol hat dafür die Voraussetzungen – wir haben die besten Handwerker und Facharbeiterinnen der Welt. Wenn es uns gelingt, mit neuen Technologien Energie zu sparen und Ressourcen besser einzusetzen, könnten wir bald besser dastehen als vor der Krise.

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