Ralph Anderl „ic! berlin“

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„Wir sind immer eine AntiExpertenFirma gewesen“ Ralph Anderl, Chef der Erfolgs-Brillenmarke „ic! berlin“


Hรถhenflieger. Ralph Anderl auf dem Dach seiner Blechbrillen-Zentrale in der Mitte Berlins.

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Promis lieben die Brillen made in Berlin. Madonna trägt eine. Und der KÜnig von Marokko hat schon 42 Stßck.


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Ralph Anderl ist ein Chef, den man nur ausgeprägt lieben oder hassen kann. So wie Berlin, in der seine Brillenschmiede sitzt. In zwei loftig-leichten Etagen der Backfabrik im Prenzlauer Berg hat „ic! Berlin“ sein Hauptquartier. Und der Chef ist überall. Auf Plakaten an den Wänden, in den Prospekten, in den Köpfen und gerade neben uns auf einer schlichten Holzbank. Wer ist dieser Ralph Anderl? „Es gibt drei Gerüchte über mich. Ich kokse. Ich bin schwul. Und ich bin Scientologe. Keines davon stimmt.“

von Paul Heilig (Text) und Martin Kath (Fotos)

Der mit Auszeichnungen überhäufte „Blechbrillenverkäufer“ – so steht es auf seiner Visitenkarte - kommt aus Oldenburg in der norddeutschen Provinz, ist Familienvater, spricht extrem offen mit jedem über fast alles und hat sich und die Firma zu einer eigenen Religion verwoben: „Unternehmer haben nie wirklich Geld. Die Firma ist der Reichtum.“ Etwa zehn Millionen Euro Umsatz im Jahr erzielt „ic“ berlin“. 1999 wurde das Unternehmen offiziell gegründet, doch schon ein paar Jahre davor entstanden die Brillen und die Idee zur Firma. Gemeinsam mit den heutigen „mykita“-Chefs Philipp Haffmans und Harald Gottschling unternahm Anderl den wahnwitzigen Versuch, den großen etablierten Brillenherstellern ein Stück Marktanteil abzujagen. Kein Geld, viel Improvisation, alles ganz klein. Zu klein für die Macher renommierter Messen wie der „mido“ in Mailand. Die „ic! berlin“-Gründer gingen 1997 trotzdem hin. Eine eigene Fläche konnten sie sich nicht leisten, sie brachten ihren

illegalen Showroom einfach mit. In den Innenseiten ihrer Jacken hatten die jungen Gründer Halterungen für ihre Brillen eingenäht und präsentierten sie im Vorbeigehen auf Schwarzmarktart. Alles flog auf. Sie durften dennoch auf der Messe bleiben und wurden schlagartig bekannt. Aber ein Unternehmen braucht auch Glück. Am Anfang hatte „ic! berlin“ noch weniger Geld als einen Namen. Banker schüttelten die Köpfe, fanden die Idee mit den sonderbaren Brillen riskant bis verrückt. Anderl schrieb Künstler an, ob sie nicht eine Brille tragen möchten. Corinna Harfouch und Peter Lohmeyer sagten ja. Und als wieder ein Bankkredit abgelehnt wurde, steckten die beiden Schauspieler sogar eigenes Geld in die Firma. Das Investment hat sich gelohnt. In Europa, den USA oder Asien sind die Brillen, die in Berlin nicht nur designt sondern auch hergestellt werden, ein wichtiges Accessoire moderner Großstädter. 7


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Schรถn ohne Schraube. Die rund 130 Modelle haben alle ein spezielles Stecksystem und werden in Berlin hergestellt.


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„Ich habe das Prinzip, dass man nicht schwitzen sollte.“

Aus Ideen können Sachen werden. So hat man von Beginn an, bei „ic! berlin“ gedacht. Auch zehn Jahre später noch. „Bei uns ist alles und nichts möglich. Wir sind eine große Spaß-Fabrik“, sagt Anderl, der wie so oft nur sich selbst und puristisches Schwarz trägt. Klingt nach geschliffenem Führungskräfte-Slogan eines Firmenbosses, dessen Unternehmen weltweit jährlich rund 150 000 Brillen verkauft. Aber Anderl meint das wirklich so. Bei „ic! Berlin“ beginnt für die Mitarbeiter die Woche mit kollektivem Singen, jeder ist an der Namensgebung für die millimeterdünnen Modelle beteiligt und im Wechsel wird in der offenen Küche für die 70-köpfige Belegschaft der Berliner Zentrale gekocht.

„Geschmacksverfeinerung“. Das bei dieser Sicht Zeit ein wertvoller Faktor im Leben ist, versteht sich von selbst: „Ich habe das Prinzip, dass man nicht schwitzen sollte – und alles ganz ruhig machen darf.“ Wie beispielsweise das Anderl-Ritual, sich jedes Jahr im Oktober, zwei Monate vor der Präsentation neuer Modelle, alle Haare ab zu rasieren. Danach darf alles wachsen und nichts wird beschnitten. Jeden Folgetag bis Mitte Dezember lässt er sich fotografieren und nimmt sich selbst auf Video auf. Natürlich trägt er dabei Brillen. 49 Jahre lang will er das noch so machen. Zu sehen ist dieser Verlauf auf einer eigenen Website für die High-End-Brillen-Sonderserie „Onono“. Und eine weltweite Fangemeinde schaut zu.

Heute ist Iku an der Reihe, sie macht japanisches Essen. Es gibt Misu-Suppe. Konzentration und eine ruhige Hand sind von Vorteil, wenn man Gemüse mit einem der skalpellscharfen Messer schneidet. Anderl redet dabei über das Fasten, die Erfahrung von „Radikalerlebnis“ und

Vor allem Japaner lieben so etwas. Das weiß auch der Chef des Berliner Brillen-Labels: „Die Japaner sind sehr detailverliebt und goutieren gute Qualität.“ Das seine Produkte diesen hohen Anforderungen gerecht werden, kriegt Anderl sogar schriftlich. „ic! Berlin“ erhält fast 17


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In der Ex-Backfabrik gibt es auch Gnadenbrot f端r Zimmerpflanzen.


Zum Bekochen der Kollegen hat Iku (re.) Freunde mitgebracht.

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„Ob man eine Suppe macht oder eine Brille. Im Grunde ist das dasselbe. Es funktioniert oder nicht.“

jedes Jahr auf der Optik-Messe IOFT in Tokyo den Preis „Brille des Jahres“. Dazu kommen Design-Preise wie der „Red Dot Award“ und der „Golden Silmo“, der in Paris verliehene Oscar der augenoptischen Industrie. Die Japaner leben Anderl und der liebt die Japaner. „Die Gegensätze unserer beiden Länder sind spannend. Japaner lieben eher kleine Dinge. Wir gehen dagegen lieber auf die großen.“ Vor allem das asiatische bewusste Handeln mag er: „Indem Japaner sehr rückwärtsgewandt sind, sind sie sehr weit vorne.“ Offenheit, Kreativdrang und Lernbereitschaft sind Eigenschaften, die er schätzt und lebt. Im Café oder auf der Straße, im Urlaub oder in der Firma – wenn Anderl etwas auffällt, fragt er nach dem Warum und Wieso. So kann es auch passieren, dass plötzlich ein Bankangestellter, mit dem Anderl in einem Club über Design spricht, spontan eine eigene Brille erfinden darf. Design-Demokratisierung nennt Anderl, der studierte

Kulturpädagoge, das: „Das Spannende ist die Beschränkung. Es ist nun einmal eine Brille. Und innerhalb dieser Möglichkeiten zu spielen ist die Herausforderung.“ Auch bei der Namensgebung für die Brillenmodelle darf jeder Mitarbeiter Pate spielen. Das ist eine Art Familiensache. Entsprechend sind die Namen: Der Urvater aller „ic“ berlin“-Brillen heißt Jack. Dann kam Peggy. Und es folgten viele viele Kinder: Charlotte, Max, Tom, Peggy, Amir, John, Juri, Yuki. Derzeit gibt es 130 verschiedene Modelle, erklärt der Mann mit der auffälligen Silberhalskette lächelnd: „Darunter ist auch eine Kollektion mit den Namen gescheiterter Wirtschaftsbosse. Silvio B., Leo K. oder Franjo P. heißen sie.“ Die Suppe ist fertig. Anderl hat sich zeigen lassen, wie man sie in Japan traditionell macht, Gemüse richtig schneidet. Sorge, sich dabei als Chef zu blamieren, hat 23


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High-Tech und Handwerk. Die Brillen entstehen alle in Berlin-Mitte.

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Viele Handgriffe und Ruhe bestimmen die Produktion bei „ic! berlin“.

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Die millimeterd端nnen Brillen sind aus Blech oder Acetat.

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Zur Kollektion der Berliner gehรถren Korrektur- und Sonnenbrillen.

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Firmen-Geschichte Ă la Anderl. Vater-Sohn-Fotos. Und die einzige Schraube der Brille ist das Kunststoff-Etui.

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Das Anderl-Unternehmen ist gerne anders. Da werden beispielsweise kleine Brillen-Modelle in Muffins eingebacken.

er nicht: „Über Angst muss man sich hinweg setzen. Das ist wichtig. Ob man eine Suppe macht oder eine Brille. Im Grunde ist das dasselbe. Es funktioniert oder nicht.“ Eine Brille von „ic! berlin“ hat keine Schraube. Die Firma hat das Patent auf ein Federscharnier-Steck-System. Dadurch sind die millimeterdünnen Brillen noch robuster - und vielseitig. Das verblüffend einfache Stecksystem ermöglicht es dem Kunden, Bügel in einer anderen Farbe einfach selbst auszutauschen. Blech-Origami made in Berlin. Und das Imperium der design-demokratischen Brillen-Kaderschmiede wächst. Modemacher wie Unrath und Strano, Arik Levi, Joop, Markus Lupfer oder Superfine arbeiten mit „ic“ berlin“ zusammen. Seit neuestem verkauft Anderl, der unruhige Ideenstöberer, auch Jeanshosen made in Germany. „Es ist die Firma der Familie meiner Nachbarn. Die Produktion ist in Süddeutschland, der Gedanke entstand hier. Wir setzten uns

zusammen und entwarfen Hosen mit hoher Qualität und Funktion. German engineering zu einem guten Preis.“ Wie es weiter geht, weiß Anderl nicht: „Ich gebe keine Prognosen ab. Mir ist das auch egal. Ich möchte Menschen einfach anbieten können, was sie wollen.“ Das Unternehmen gedeiht, Anderl gilt als Erfolgsmacher, wird gerne eingeladen, vorgezeigt und angehört. Dabei ist das Geheimnis des Erfolgs gar kein Strategiebudenzauber - sondern sehr menschlich. Anderl: ‚ic! berlin ist stets ‚Mach es selbst!’. So arbeiten wir. Bei allem. Wir sind immer eine Anti-Experten-Firma gewesen.“ Sieht er irgendeinen Trend? Da lächelt er: „Die Brillen sind größer geworden.“ Dann muss er weiter. Vor die Videokamera. Wo sich Anderl selbst filmt. Täglich eine Minute. Und dabei eine Brille trägt. Und das sagt, was er sagen möchte. Oder schweigt. Das kann er auch. 37


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MK2 Paul Heilig Journalist Paul.Heilig@me.com Mobil 0171 – 5304477 Martin Kath Fotografie Mobil 0171 - 642 17 17 mk@martinkath.de www.martinkath.de

Die Reportage in dieser Form ist ein reines Angebot – also vollkommen variabel in Länge, Layout und Aufbau. Fotos und Text gibt es auch jeweils einzeln und unabhängig voneinander. Weitere Fotos sind vorhanden, Homepage des Fotografen: www.martinkath.de Andere Aufträge zu anderen Themen auch gern, auch auf Anfrage!

Seilerstraße 20 20359 Hamburg Telefon 040 - 69 64 39 50 Fax o40 - 69 64 64 18

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