Felix Moos MASTERTHESIS Theoriearbeit
Das Oerlikerhus
Begleitung: Prof. Matthias Ackermann
Fachhochschule Nordwestschweiz Institut Architektur Herbstsemester 2011
Theoriearbeit Masterthesis HS 2011/12
Das Oerlikerhus
Ein Konzept zur urbanen Vedichtung von Gewerbe
FHNW Hochschule f端r Architektur Bau & Geomatik Institut Architektur Masterstudiengang
Professor: Matthias Ackermann Verfasser: Felix Moos Schrift: Rotis Serif & Rotis Sans Serif
Basel, 27. Januar 2012
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Einleitung
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Geschichte
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Struktur und Konzept
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Infrastruktur und Nutzungsverteilung
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Genossenschaft Gewerbehaus Oerlikerhus
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Das Oerlikerhus als Quartiersmotor Anbindung an den Ăśffentlichen Raum
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Gewerbe als Identität stiftender Faktor
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1976 & im heutigen Kontext
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Schlusswort
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Quellenverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
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Abb. 1 Orthofotografie von Leutschbach 2010
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Einleitung
Das ehemalige Industrie- und Gewerbegebiet Leutschenbach am nördlichen Zürcher Stadtrand erfährt in jüngster Zeit eine rasante Transformation zum Wohn- und Dienstleistungsquartier. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) wird es immer schwieriger sich dort gegen die steigende Konkurrenz mit kapitalstarken Großunternehmen und dem stark wachsenden Wohnungsmarkt zu behaupten. 1 So wurde in einer 2008 von der Stadt Zürich durchgeführten Firmenbefragung die Verfügbarkeit von geeigneten Standorten für Gewerbetreibende als unbefriedigend wahrgenommen. Da viele KMU auf einen zentralen und gut frequentierten Standort angewiesen sind, kommt eine Verlegung ihres Standorts aus der Stadt heraus für nur ca. 6% der Firmen in Frage. 2 Eine positive Wechselwirkung zwischen dem Gewerbe und der Stadt wird auch von Seiten der Zürcher Stadtentwicklung beschrieben. In der im Juni 2010 veröffentlichten Studie „Gewerbefreundliche Stadt Zürich“ werden zahlreiche Argumente für den Verbleib von KMU im Stadtgebiet angeführt. Unter anderem der Beitrag der gewerblichen Vielfalt zum positiv empfundenen Stadtbild, die Belebung des öffentlichen Raumes, die Angebots - und Produktvielfalt und damit einhergehend eine nahe und vielfältige
Quartiersversorgung. Auch die Schaffung von Arbeitsplätzen und Lehrstellen und nicht zuletzt die Identität stiftende Wirkung von Gewerbe im städtischen Kontext werden als positive Aspekte genannt. Um trotz steigender Miet- und Bodenpreise und den hohen Anforderungen an die bauliche Dichte, den Verbleib und die Ansiedlung von KMU innerhalb der Stadtgrenzen zu ermöglichen, werden neben zahlreichen anderen Maßnahmen auch genossenschaftlich organisierte Gewerbehäuser vorgeschlagen. 3 Ein solches, bereits 1976 realisiertes Projekt, das Oerlikerhus, steht in Leutschenbach zwischen der neuen Glattalbahn und dem kürzlich fertiggestellten Leutschenpark. Die 1971 gegründete Gewerbehaus-Genossenschaft Oerlikon betreibt diese Projekt seit mehr als 30 Jahren sehr erfolgreich und bietet insgesamt 70 Firmen mit ca. 700 Angestellten geeignete Gewerbeflächen zu günstigen Konditionen an. 4 In der folgenden Arbeit soll die Konzeption und typologische Umsetzung des Oerlikerhus untersucht werden. Dies auch im Hinblick darauf, in wie fern es in seiner heute deutlich veränderten Umgebung den oben aufgeführten Ansprüchen an ein Gewerbehaus im städtischen Kontext gerecht werden kann und in wiefern es als Typolgie Vorbildfunktion haben könnte.
1 Vgl., Keller, 2010, Vorwort 2 Vgl., Reiman, 2008, S. 10 3 Vgl., Keller, 2010, S. 8f 4 Vgl., Gespräch mit Jörg Luder, 17.10.2011
Einleitung | 45
Geschichte 5 Vgl., Saxer, 1975, Eröffnungsrede anlässlich der Aufrichte des Oerlikerhus 6 Vgl., B. N.N., 28.11.1975 7 Vgl., Gespräch mit Jörg Luder, 17.10.2011 8 Vgl., A. N.N., 24.09.1996
Abb. 2 Modellfoto, 1970 Abb. 3 Schemagrundriss der Architekten Walter Haug und Martin Unger, 1970
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1970 schlossen sich 11 Oerliker Gewerbetreibende zusammen, um im damals eher schlecht erschlossenen Stadtteil Leutschenbach ein genossenschaftlich organisiertes Gewerbehaus zu bauen. Ziel war es, sich langfristig gegen schwankende Standortbedingungen abzusichern und zu günstigen Preisen ausreichend Platz für Geschäfte und Produktionen zu schaffen. Nachdem die Stadt Zürich auf eine erste Anfrage für entsprechendes Bauland positiv reagiert hatte, wurden die Architekten Walter Haug und Martin Unger für ein Exposé beauftragt und ein erstes Vorprojekt im Juli 1970 bei der Stadt eingereicht. 5 Drei Monate später entschied der Stadtrat, der noch zu gründenden Genossenschaft ca. 10 000qm Bauland zwischen der Thurgauer- und Leutschenbachstrasse abzutreten. Im damals als Industriezone ausgeschriebenen Stadtteil Leutschenbach Gewerbe anzusiedeln stellte für alle Beteiligten ein erhebliches Risiko dar. Trotzdem wurden im folgenden Jahr die
Statuten von 11 Mitgliedern verabschiedet und die Gewerbehaus-Genossenschaft Oerlikon gegründet. 6 Ende 1971 reichten die Architekten das endgültige Projekt ein und ein Jahr später konnte mit dem Bau begonnen werden. Als 1973 die internationale Ölkrise einsetzte zogen zahlreiche Banken ihre Kreditzusagen zurück und das Projekt geriet ins Stocken. Erst als die Stadt Zürich der Genossenschaft einen Kredit bewilligte, konnte weiter gebaut werden. Auch der schlechte Baugrund und der hohe Grundwasserspiegel in Leutschenbach erschwerten die Bauarbeiten erheblich und erforderten eine aufwendige Sicherung der Baugruben und die Absenkung des Grundwassers. Während der 4 jährigen Bauphase konnten jedoch 14 weitere Genossenschaftsmitglieder gefunden werden, und als im Januar 1976 das Projekt mit ca. 15000qm Produktions- und 8000qm Park- und Lagerflächen fertiggestellt wurde, konnte es von insgesamt 25 Firmen bezogen werden. 78
Abb. 4 Luftbild des Oerlikerhus kurz nach der Fertigstellung 1976
Geschichte | 47
Das Projekt Konzept & Struktur Abb. 5 Lichthof und Dachaufbauten im Rohbau 1975 Abb. 6 Aufbau der Ostfassade Abb. 7 Arbeiter beim Betonieren der Erdgeschoss Bodenplatte Abb. 8 Querschnitt1:600 Abb. 9 Erdgeschossgrundriss mit Umfahrungsstrasse 1:600
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Vgl., Gespräch mit Jörg Luder, 17.10.2011
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Schon früh in der Planungsphase entschied man sich dazu, nicht im Sinne einer Baugruppe spezifische Flächen und Räume für die entsprechenden Mitglieder zu projektieren, sondern das Gebäude als gut erschlossene Infrastruktur anzubieten, die anschließend je nach Nutzer und Bedürfnissen eingeteilt und ausgebaut werden kann. 9 Die ursprünglich rechteckige, ca. 87m lange und 65m breite Grundfläche des Gebäudes ist nach Süden hin abgestuft, da in 3m Tiefe ein Regenwasserkanal durch das Grundstück verläuft, dessen Verlegung beim Bau des Gebäudes zu aufwendig gewesen wäre. Das 7 geschossige Gebäude ist in einem regelmäßigen Stützenplattensystem aus Stahlbeton konstruiert. Die 45cm starken quadratischen Stützen sind in einem ungerichteten 7,2m Raster angeordnet. Diese und 5 Treppenkerne tragen die 30cm Stahlbetonflachdecken, die eine Nutzlast von 1000kg/m² tragen und auch bei schweren Lasten eine freie Einteilung gewährleisten. Das abschließende Attika Geschoss und die auf dem Dachgeschoss plazierten Haustechnikräume sind auf der letzten Betondecke aufgemauert. Die serielle Fassade ist nicht tragend ausgeführt, wobei eine dünne, hinter der Fassade verlaufende Stützenreihe, die über das primäre Raster auslaufenden Bodenplatten trägt.
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DACHGESCHOSS
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5. OBERGESCHOSS
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4. OBERGESCHOSS
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3. OBERGESCHOSS
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2. OBERGESCHOSS
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1. OBERGESCHOSS
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ERDGESCHOSS C+D
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Infrastruktur & Nutzungsverteilung Ein schlichtes Nutzungsschema prägt die Organisation des Oerlikerhus. Drei Untergeschosse bieten Raum für ca. 400 Parkplätze, Möglichkeiten zur Waren An- und Ablieferung, sowie zusätzliche Lagerflächen. Im Erdgeschoss befinden sich verschiedene Läden und ein zur nördlichen Thurgauerstrasse gelegenes Cafe. Die fünf regelmäßig verteilten Erschließungskerne sind allseitig ca. 13m von der Fassade nach innen versetzt und bündeln die Aufzüge und Treppen für den Waren- und Personenverkehr. Für die Warenanlieferung werden diese über eine allseitige Umfahrung erschlossen und über Laderampen erreicht. Die Eingänge für Kunden und Personal liegen parallel zu diesen Rampen und werden teils über separate Wege oder über die Umfahrung erschlossen. In den fünf Gewerbegeschossen sind die verAbb. 10 Gemeinschaftliche Dachterrasse im 6.Obergeschoss Abb. 11 Lichthof mit den umgebenden Dachaufbauten für die Haustechnik Abb. 12 Grundriss 6.Obergeschoss 1:600 Abb. 13 Längsschnitt 1:600
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schiedenen Treppenhäuser meist über ein innen liegendes Wegsystem verbunden, was eine bessere Erschließung und kleinteilige Parzellierung des tiefen Volumens ermöglicht. Häufig unterteilen diese Korridore die Grundfläche von ca. 5000qm in die an der Fassade liegenden Büroflächen und die im Zentrum liegenden Lager- und Produktionsflächen. Ab dem 5. Geschoss wird das kompakte Volumen von einem zentralen Lichthof durchdrungen, der im Innern zusätzliche Büro und Arbeitsflächen ermöglicht. Auch das Dachgeschoss ist durch diesen Hof geprägt, um den sich gemeinschaftliche Nasszellen, Aufenthaltsräume, eine kleine Cafeteria, ein Sitzungszimmer und eine gemeinschaftliche Terrasse gruppieren. Am äußeren Rand des Volumen befinden sich 4 großzügige Dachwohnungen, die über einen inneren Korridor erschlossen werden.
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Infrastruktur & Nutzungsverteilung | 51
Organisation der Genossenschaft
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Vgl., Gespräch mit Martin Unger,
14.11.2011 11
Vgl., Gespräch mit Jörg Luder, 17.10.2011
Abb. 14 Das Oerlikerhus von der Thurgauerstrasse aus Abb. 15 5.Obergeschoss 1:600 Abb. 16 2.Obergeschoss 1:600
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Das Gebäude ist nach einem komplexen Schlüssel in unterschiedlich bewertete Flächen aufgeteilt, denen je nach Lage, Belichtung, Anbindung und Nutzungsmöglichkeit ein entsprechender Wert zugeordnet wird. Daraus setzten sich die entsprechenden Mieten für die Mitglieder zusammen. 1976 zahlten die einzelnen Genossenschaftler 100% der entsprechenden Miete, wobei darin die Tilgung des Kredits sowie der anfallenden Zinsen bereits enthalten waren. Auf Grund der sinkenden Belastung durch den immer weiter abbezahlten Kredit können die Genossenschaftsmitglieder trotz rasant steigender Miet- und Bodenpreise in Leutschenbach heute mit ca.75% der Miete von 1976 ihre Flächen anmieten. Die freien Flächen werden als Manövriermasse zu niedrigen Marktpreisen an externe Firmen vermietet, was der Genossenschaft zusätzliche Einnahmen bringt und die Mieten der Mitglieder
weiter senkt. Um diesen eine langfristige Planungssicherheit zu bieten sind sie von Seiten der Genossenschaft nicht kündbar, wohingegen die Mitglieder selbst binnen 6 Monaten kündigen können. Um den Bestand der Genossenschaft zu sichern besteht der Anteil einer Mitgliedschaft nicht aus einem prozentualen Anteil am Wert der Genossenschaft, der bei Austritt ausbezahlt werden müsste, sondern lediglich in dem bei Mitgliedsantritt selbst eingebrachten Kapital. Der tatsächliche Wert des Objektes wird erst bei einem auslaufendem Baurechtsvetrag (wenn dieser nicht von der Stadt verlängert wird, läuft er 2030 ab) ermittelt, von der Stadt zu 50% ausbezahlt und auf die Mitglieder verteilt. Dieses Konzept sichert ein langfristiges Engagement aller Mitglieder für die positive Entwicklung des Projekts und kommt einer abschließenden Gewinnbeteiligung gleich. 10 11
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Organisation der Genossenschaft | 53
Das Oerlikerhus als Quartiersmotor Anbindung an den öffentlichen Raum 12
Vgl., Wiedemeier, 2011
Heute sind 70 Firmen mit ca. 700 Angestellten im Oerlikerhus untergebracht. Zur Waren An- und Ablieferung können an 4 verschiedenen Laderampen 6 LKW zeitgleich be- und entladen werden. 12 Während die Infrastruktur für den Warentransport gut funktioniert, hat der Personenverkehr eine deutlich untergeordnete Stellung in der Organisation des Hauses. Die fünf Treppenhäuser sind teils nur über die umlaufende Stra-
ße und den im Süden gelegenen Parkplatz erreichbar. Zwar zeichnen sich die Eingänge durch tiefe Einschnitte im Gebäudevolumen ab, sind aber in ihrer empfangenden und leitenden Bedeutung vom öffentlichen Raum aus kaum wahrnehmbar. Die nach Süden hin zurückgesetzte Kubatur des Gebäudes und die umlaufenden Parkplätze erschweren zusätzlich die Anbindung der Eingänge an den öffentlichen Raum.
Gewerbe als Identität stiftender Faktor
Abb. 17 Westseite des Oerlikerhus mit dem zurückversetzten Eingang im Hintergrund Abb. 18 Südlicher Zugang des Oerlikerhus vom Parkplatz aus
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In seiner kompakten großmaßstäblichen Volumetrie prägt das Oerlikerhus seine direkte Umgebung bei der gleichnamigen Tramhaltestelle der Glatttalbahn. Kaum erkennbar sind jedoch die vielfältigen Nutzungen, die unterschiedlichsten Gewerbebetriebe und Läden, die im Gebäude untergebracht sind. Alle Fassaden und Eingangssituationen sind nahezu einheitlich ausgebildet, wodurch sich das Gebäude gleichwertig zu allen Seiten ausrichtet. Eine Signaletik, die das vielfältige Angebot an Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben kennzeichnet und eine Orientierung in und um das Gebäude herum möglich macht, ist kaum vorhanden. Wer nicht genau weiß, wo er hin möchte hat es schwierig das Angebot des Hauses zu erfassen und sich zu orientieren. Diese Umstände machen es schwierig, das Potenzial des Oerlikerhus für das umliegende Quartier voll auszuschöpfen. Zahlreiche auch publikumsorientierte Nutzungen, die von einer besseren
Anbindung an den öffentlichen Raum profitieren würden, sind für Passanten und Anwohner nicht erkennbar im Haus untergebracht. Auch da sich das Gebäude in der Ausformulierung der Fassaden kaum von den umliegenden Bürogebäuden abhebt und sich seine unterschiedlichen Nutzungen im Straßenraum nicht abzeichnen, ist seine identitätsstiftende Wirkung für das umliegende Quartier eher gering einzuschätzen. Trotz allem stellt das Oerlikerhus eine Konstante in der jüngeren Quartiersentwicklung und Nutzungsgeschichte von Leutschenbach dar und kann alleine dadurch zur spezifischen Identität des Quartiers beitragen. Während auf den umliegenden Parzellen Ersatzneubauten ohne Bezug auf die gewerbliche und industrielle Vergangenheit des Gebiets entstehen, konnte sich das Oerlikerhus als identitätsstiftender Fixpunkt im Quartier verankern.
Das Oerlikerhus als Quartiersmotor | 55
1976 & im heutigen Kontext Zwischen Leutschenpark und Glatttalbahn
Abb. 19 Gleichnahmige Tramhaltestelle der Glattalbahn Abb. 20 Ausblick vom Dachgeschoss des Oerlikerhus auf den vorgelagerten Leutschenpark Abb. 21-24 Historische Karten von 1942 bis 2008 mit Leutschenbach im Zentrum
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Als sich 1970 die Gewerbehaus-Genossenschaft Oerlikon gründete, um im damaligen Industriegebiet Leutschenbach ein Gewerbehaus zu bauen, konnte keiner der Beteiligten die Entwicklung des Quartiers zu einem sehr gut erschlossenen und strategisch wichtigen Knotenpunkt zwischen der Zürcher Kernstadt und der heute entstehenden Glattalstadt voraus ahnen. Als der Bau 1976 fertiggestellt wurde, prägten neben einigen kleinen Gewerbebetrieben, hauptsächlich große städtische Infrastrukturnutzungen das Quartier. Ca. 2/3 der Parzellen waren unbebaut. Heute befindet sich das Oerlikerhus zwischen der gleichnahmigen Tramhaltestelle der Glatttalbahn und dem 2008 fertiggestellten Leutschenpark, im Zentrum eines sich rasant verdichtenden Entwicklungsgebietes. Dieser veränderte Kontext bietet die Möglichkeit, die Bedeutung des Oerlikerhus für das umliegende Quartier neu zu definieren. Während das Haus 1976 schlicht ausreichend bezahlbare Flächen für verschiedenste Gewerbebetriebe anbieten sollte,
könnten seine Funktionen heute spezifischer auf das entstehende Quartier ausgerichtet werden. Die bereits gebaute Infrastruktur kann genutzt werden, um für das Quartier notwendige Nutzungen zu bündeln und kurze Wege, durch einen zentralen Verteiler im Quartier, zu ermöglichen. Auch öffentliche Gemeinschaftsbereiche könnten einen erheblichen Mehrwert für das Projekt und das umliegende Quartier generieren. Während im Erdgeschoss eine Umfahrung und Anlieferrampen einen funktionierenden Warentransport gewährleisten, bietet das von der Infrastruktur für Produktion und Lager freigespielte Dachgeschoss Möglichkeiten das Programm des Hauses zu erweitern. Die in der ursprünglichen Planung vorgesehene Gemeinschaftskantine konnte letztendlich aus Kostengründen nicht realisiert werden. Für ein zukünftiges Entwicklungsszenario wäre eine öffentliche Kantine denkbar, die sowohl dem umliegende Quartier mit seinen zahlreichen Büro- und Wohnnutzungen zur Verfügung steht, als auch dem Haus selbst zu Gute kommt.
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1976 & im heutigen Kontext | 57
Schlusswort & Fazit Betrachtet man rückblickend die Entwicklung des Oerlikerhus zeigen sich viele positive Aspekte, die für die weitere Entwicklung der Stadt Zürich als Referenz dienen könnten. Flächenintensive Gewerbenutzungen in einem Gebäude zu verdichten bietet die Möglichkeit, in den städtischen Entwicklungsgebieten neue Freiräume und Bauland zu generieren ohne bereits angesiedeltes Gewerbe auszulagern. Entsprechend des städtischen Umgangs mit Freiflächen, die für eine zu erwartende Quartiersentwicklung vorweg gesichert und projektiert werden, könnten auch Parzellen für Gewerbehäuser im Voraus festgelegt werden. Das Gewerbehaus als Pioniernutzung bietet die Möglichkeit, eine städtische Infrastruktur konzentriert anzubieten. Statt großflächige Gewerbezonen zu sichern, bietet sich die Chance eine Vielzahl von Betrieben konzentriert und langfristig im städtischen Gebiet zu verankern. Als Motor für die weitere Entwicklung des Quartiers beleben diese den öffentlichen Raum und stellen eine gute Versorgungsqualität sicher.
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Auch in der Kernstadt könnten Gewerbehäuser als feste Typologie entwickelt werden, um ein flächendeckendes städtisches Netz anzustreben. Die Finanzierung durch Genossenschaften ist im Zürcher Wohnungsbau weit verbreitet. Bei Gewerbenutzungen stellt sie eine Ausnahme dar. Das Beispiel des Oerlikerhus zeigt jedoch wie wichtig es ist, dass sich das Gebäude der Spekulation entziehen kann und den oft weniger kapitalintensiven Nutzungen langfristige Perspektiven bietet. Orientiert man sich am Beispiel des Oerlikerhus bedarf diese Freiheit aber der Unterstützung der Stadt, die der Genossenschaft Bauland zur Verfügung stellte und die sie damit von der Preisentwicklung des Quartiers abkoppelte. Während beim Oerlikerhus die 4 Dachwohnungen wenig Mehrgewinn für das Haus bedeuten, zeigt sich bei dem in Zürich Nord 2011 fertiggestellte Gewerbehaus „NOERD“, wie im Haus untergebrachte Büronutzungen das kapitalschwächere Gewerbe mit finanzieren können. Dieses Konzept wäre auch in der Kombination mit Wohnungsbau denk-
bar. Im Oerlikerhus scheint die Belegung unspezifisch auf dessen Möglichkeiten ausgelegt zu sein. Die vorhandene Infrastruktur ermöglicht es, produzierendes Gewerbe vertikal zu verdichten und Nutzungen, die auf diese angewiesen sind, in einem Haus zu bündeln. Für reine Büro- und Dienstleistungsnutzungen scheint das Gebäude, mit seiner Warenanlieferung und Verteilung, größtenteils übererschlossen. Dennoch werden große Teile des Gebäudes von eher klassischen Dienstleistungsbetrieben besetzt. Eine spezifischere Belegung, die auf die Möglichkeiten des Hauses ausgerichtet ist, könnte helfen das Potential dieser Typologie besser auszuschöpfen. Auch die aktuelle Entwicklung in Zürich zeigt das vielfältige Potential von Gewerbehäusern auf.Das oben bereits
erwähnte Projekt „NOERD“ stellt neben einer zentralen überhohen Fertigungshalle im Erdgeschoss hauptsächlich Flächen für das Kreativgewerbe und Büronutzungen bereit. Das Projekt Tatort am Rande von Zürich Affoltern, das 2013 fertiggestellt werden soll, richtet sich auf das produzierende Gewerbe aus, und ist auf allen Geschossen mit Kleintransportern befahrbar. Das Ziel der Zürcher Stadtentwicklung, bessere Bedingungen für KMU zu schaffen, scheint in der Typologie des Gewerbehauses eine vielversprechende Umsetzungsmöglichkeit gefunden zu haben. Das Oerlikerhus könnte dabei sowohl in seiner genossenschaftlichen Organisation als auch in seiner typologischen Umsetzung als Referenz für weitere Projekte dienen.
Abb. 25 Luftbild des Oerlikerhus 1977 mit dem zugehörigen Parkplatz, wo heute der 2008 eröffnete Leutschenpark liegt.
Schlusswort & Fazit | 59
Bibliografie A. N.N.: „Geburtstagskind“, in: Die Vorstadt vom 24.09.1996 (Nr.77), Zürich Oerlikon B. N.N.: „Reportage zum Oerlikerhus“, in: Die Vorstadt vom 28.11.1975, Zürich Oerlikon Keller, Simon & Wendland, Daniela: Gewerbefreundliche Stadt Zürich, Möglichkeiten zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für das Gewerbe in der Stadt Zürich, Zürich: Stadtentwicklung Zürich, Präsidialdepartement 2010 Luder, Jürg: Interview mit dem Genossenschaftspräsidenten Jürg Luder am 17.10.2011, Zürich Leutschenbach Reimann, Werner & Wendland, Daniela: Firmenbefragung Stadt Zürich 2008, Zürich: Stadtentwicklung Zürich, Präsidialdepartement 2008 Saxer, Victor: „Nun, wie kam es zur GGO?“, Eröffnungsrede anlässlich der Aufrichte des Oerlikerhus 1975, Zürich Leutschenbach Unger, Martin: Interview mit dem Architekten des Oerlikerhus Martin Unger am 14.11.2011, Zürich Leutschenbach Wiedemeier, Felix: http://www.oerlikerhus.ch Zugriff am 23.01.2012
Abbildungen Abb. 1
Orthofotographie von Leutschenbach, 2010 http://maps.google.de, Suchbegriff:Zürich Leutschenbach, Zugriff am 21.10.2011
Abb. 2
Modellfoto der Architekten Martin Unger und Walther Haug http://www.oerlikerhus.ch/wDeutsch/ueber_uns/geschichte/geschichte2.php?navid=7, Zugriff am 10.11.2011
Abb. 2
Grundrissschema der Architekten Martin Unger und Walther Haug http://www.oerlikerhus.ch/wDeutsch/ueber_uns/geschichte/geschichte2.php?navid=7, Zugriff am 10.11.2011
Abb. 4
Luftbild des Oerlikerhus kurz nach seiner Fertigstellung 1976, Fotograf unbekannt, ausgestellt in der gemeinschaftlichen Kantine des Oerlikerhus abfotographiert am 17.10.2011
Abb. 5, 6, 7
Baustellenfotos des Oerlikerhus, Fotograf unbekannt, http://www.oerlikerhus.ch/wDeutsch/ueber_uns/geschichte/geschichte2.php?navid=7 Zugriff am 10.11.2011
Abb. 8, 9, 12, 13, 15,16
Grundrisse und Schnitte des Oerlikerhus, verfasst von Unger & Treina Architekten, Zürich, überarbeitet vom Verfasser
Abb.10, 11, 14, 17, 18, 20
Fotographien des Verfassers
Abb. 19
Das Oerlikerhus von der gleichnahmigen Tramhaltestelle aus, Fotograph unbekannt, http://www.oerlikerhus.ch/wDeutsch/index.php, Zugriff am 23.01.2012
Abb. 21, 22, 23, 24 Abb. 25
Historische Karten von Leutschenbach und den umliegenden Quartieren, Scan aus dem Archiv für Baugeschichte, Zürich am 17.10.2011
Zugriff am 10.11.2011
Luftbild des Oerlikerhus, Fotograf unbekannt, http://www.oerlikerhus.ch/wDeutsch/ueber_uns/geschichte/geschichte2.php?navid=7
Bibliografie | 61
Impressum
Fachhochschule Nordwestschweiz Hochschule für Architektur Bau & Geomatik Institut Architektur Masterarbeit Herbstsemester 2011/2012
Diplomant: Felix Moos
Begleitende Professoren: Prof. Matthias Ackermann | Theoriearbeit Prof. Dominique Salathé | Projekt
Titelblatt: Fotografie Felix Moos Studienreise im Ruhrpott FS 2010 Elektroschaltkästen in der Zeche Zollverein
Basel, 29. Januar 2012
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