CMU Revisited Perspektiven für die Neugestaltung von Lehre und Raum Bericht Lehrfondsprojekt «Lehre & Raum»
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CMU Revisited Perspektiven für die Neugestaltung von Lehre und Raum Bericht Lehrfondsprojekt «Lehre & Raum»
Forschungsteam Janine Kern, HABG, Institut Architektur, Dozentin für Kommunikation Jacqueline Maurer, HABG, Institut Architektur, wissenschaftliche Mitarbeiterin Anja Müller, HABG, Institut Architektur, wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Beat Mürner, HSA, Studienzentrum Soziale Arbeit, wissenschaftlicher Mitarbeiter Prof. Christina Schumacher, HABG, Institut Architektur, Dozentin für Sozialwissenschaften, Leiterin Forschung Strategische Leitung Oswald Hari, HABG, Institut Architektur, Studiengangleiter Bachelor Prof. Annette Helle, HABG, Leiterin Institut Architektur Externe Expertise Dr. Bernd Eichinger, Leiter Hochschulentwicklungsprojekte Andreas Hofmann, Sitzleiter Campus Muttenz Prof. Dr. Frank Pude, HSL, Leiter Aus- und Weiterbildung Ricarda T.D. Reimer, PH, Leiterin Fachstelle Digitales Lehren und Lernen in der Hochschule Eveline Steinger, HSA, Leiterin Hochschulzentrum Layout / Collagen Sybil Weishaupt, HABG, Institut Architektur
Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik FHNW Institut Architektur Campus Muttenz Hofackerstrasse 30 4132 Muttenz
Inhalt
1 Einleitung
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2 «Eine richtige Hochschule»: Erwartungen und erste Einschätzungen 2.1 Ein herausragender Solitär: Der Campus Muttenz und sein Umfeld 2.2 Repräsentativ und hochwertig: Der CMU als Gebäude
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3 3.1 3.2 3.3 3.4
Wie und wo lernen wir: Lern- und Lehrformen und ihre Räume Interaktive und flexible Lehre erwünscht: Favorisierte didaktische Settings Nicht determinierende Lehrveranstaltungsräume gesucht: Passung von didaktischen Settings und Räumen Favorisierte Raumtypen: Vielfältige, offene und untereinander vernetzte Lernorte Der Arbeitsplatz als Ort der Kommunikation: Eingeschränkter Austausch
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4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
Distance und Hybrid Learning: Lessons Learned Neue Nähe oder grosse Leere: Interaktion im digitalen Raum Weder hier noch dort: Spezialfall Hybrid Learning Vieles ist möglich: Digitalisierbare Settings und Formen Noch mehr fehlt: Nicht digitalisierbare Settings und Formen Ist die Zukunft digital? Ja, aber ...
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5 Eine Frage der Haltung? Raumverwaltung und Services 5.1 Raumzuteilung als Knackpunkt: Wie komme ich zu einem passenden Raum? 5.2 Services am CMU: Unentbehrlich für gelingende Lehre
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Konkrete Verbesserungsvorschläge und Gestaltungsspielräume
7 Fazit 7.1 Der CMU: Kein Ort des Austausches 7.2 Weniger Standardisierung, mehr Agilität 7.3 Für ein gutes Miteinander 7.4 Chancen für die Neugestaltung von Lehre und Raum
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8 Empfehlungen und Anregungen 8.1 Allgemeine Empfehlungen 8.2 Anregungen Gestaltungsspielräume für eine innovative und zukunftsfähige Lehre eröffnen Organisationale Prozesse weiterentwickeln Räumliche Anpassungen initiieren
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9 Szenarien 9.1 Szenario Gestaltungsspielräume 9.2 Szenario Kulturwandel 9.3 Szenario räumliche Anpassungen
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10 Fussnoten, Bildnachweis
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11 Kontakt
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1 Einleitung
Im heissen Sommer 2018 bezogen vier bislang in unterschiedlichen Gebäuden ansässige Hochschulen der FHNW den neu gebauten Campus Muttenz (CMU), um unter einem Dach zu lehren und zu forschen. Das von weither sichtbare Gebäude mit seinem imposanten Empfang weckte unterschiedlichste Hoffnungen und Erwartungen bei Lehrenden, Studierenden, Forschenden und den Mitarbeitenden der Services. Zum ersten Mal teilten sich die Hochschule für Life Sicences (HSL), die Hochschule für Soziale Arbeit (HSA), die Pädagogische Hochschule (PH) und die Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik (HABG) Lehrveranstaltungsräume und Infrastrukturen wie Bibliothek, Mensa, Cafeteria, Lounge und den Sportbereich, aber auch Services wie den IT-Support und die Raumzuteilung. Zu diesem Zweck wurde auch eine übergeordnete Organisationseinheit, die CMU Services, geschaffen.
FHNW zuständig: Gelingende Lehre und Forschung. Welche Erfahrungen haben sie in den ersten Semestern im neuen Gebäude gesammelt? Erfüllt das Raumangebot ihre Bedürfnisse für die Lehre? Wo besteht Bedarf nach Erweiterung oder Flexibilisierung? Was fehlt, und welche Unterstützung brauchen die Lehrenden? Welche neuen Anforderungen bringen das das Distance und das Hybrid Learning sowie weitere Formen der Lehre mit sich?1 Und welche Bedeutung werden die Lehrveranstaltungsräume haben, wenn wieder vor Ort gelehrt wird? Im Lehrfondsprojekt «Lehre & Raum» suchten wir nach Antworten auf diese Fragen, um die Grundlage für mögliche organisa torische oder bauliche Veränderungen zu schaffen.
Dafür führten wir zwischen Oktober und Dezember 2020 Interviews mit zwölf Hochschullehrenden aus allen vier Hochschulen durch. Die Gespräche dauerten jeweils rund eine Stunde und folgten einem strukDrei Semester dauerte die kurze Phase des Einle- turierenden Leitfaden. Sie fanden nach Möglichkeit bens, in der Studierende, Lehrende und Mitarbeiten- vor Ort statt, teilweise auch online. Im Anschluss de erste Erfahrungen mit dem CMU sammeln konn- wurden die Gespräche im Wortlaut transkribiert und ten. In dieser Zeit wuchsen die Studierendenzahlen, vergleichend ausgewertet. Für die Auswertung hat die Raumreserven waren im Winter 2019 bereits aus- das Forschungsteam aus den Interviews in einem ingeschöpft. Dann kam die Coronapandemie – ein Ereig- duktiven Vorgehen ein Kategoriensystem entwickelt nis, das niemand voraussehen konnte. Die Pandemie und diejenigen Themen herausgearbeitet, die von stellte die Hochschulen vor nie dagewesene Heraus- übergeordnetem Interesse sind. forderungen und eröffnete gleichzeitig neue Perspektiven für ihre räumliche, medienpädagogische und Die Gespräche förderten einen bemerkenswerten didaktische Entwicklung. Innert kürzester Zeit wurde Reichtum und eine grosse Vielfalt an Informationen die Lehre auf digitale und zwischenzeitlich hybride zutage. Die von uns befragten Hochschullehrenden Formen umgestellt. Die meisten Mitarbeitenden und erwiesen sich durchwegs als hoch kompetente und Studierenden folgten der Anordnung, im Homeoffice motivierte Gesprächspartner*innen mit breitem Erzu bleiben. Sie richteten ihre Aufmerksamkeit nun fahrungswissen. Sie berichteten lebendig und nachnicht mehr auf die Räume im CMU, sondern mussten vollziehbar über ihre Lehrpraxis, ihre Experimentiersich auf neue Formate der Zusammenarbeit in Lehre, freude im Ausprobieren und Umsetzen neuer Forschung und Entwicklung konzentrieren. Die be- didaktischer Konzepte. Mit hoher Präzision wussten sonderen Umstände eröffneten auch einen ungeahn- sie auch ihre räumlichen Bedürfnisse für eine gelinten Freiraum für die Reflexion der ersten Erfahrun- gende Lehre zu formulieren. Sie haben klare Vorstelgen mit dem neuen Gebäude und mit Distance lungen davon, wie sie diese gestalten möchten und Learning. Daraus können wertvolle Schlüsse für die versuchen, aus den zur Verfügung stehenden MögWeiterentwicklung von Lehre, Forschung und Zusam- lichkeiten das Optimum herauszuholen. Sie sehen menarbeit gezogen werden – immer mit Blick auf aber auch Potenziale für eine Weiterentwicklung und Anpassung der Räume im Dienste einer innovativen die Lehrveranstaltungsräume im CMU. und zukunftsfähigen Lehre. Dieser Bericht stellt die Sicht der Hochschullehrenden auf die Lehr- und Arbeitsräume des CMU dar. Das erste Ziel dieses Berichts ist es, die räumlichen Denn sie sind für den eigentlichen Kernauftrag der Bedürfnisse der Hochschullehrenden und ihre Ideen 5
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und Vorschläge für deren sinnvolle Weiterentwicklung zu formulieren und einem breiten Kreis von Adressat*innen zugänglich zu machen. Um nah an den Aussagen der Lehrenden zu bleiben, zitieren wir möglichst oft direkt aus den Interviews.
Anregungen für Veränderungen, die aus Sicht der Lehre den CMU weiter stärken. Dabei geht es um die Einrichtung der Räume ebenso wie um bauliche Anpassungen oder hochschulübergreifende Prozesse. In drei Szenarien zeigen wir auf, in welche Richtungen die Weiterentwicklungen gehen könnten und welche Als zweites Ziel wollen wir mit dem Bericht den In- konkreten Qualitäten für die Lehre und die Zusamformationsfluss und die Durchlässigkeit zwischen menarbeit am CMU daraus zu gewinnen wären. den einzelnen Hochschulen, Instituten respektive Professuren und den Services anregen. Das Ange- Es ist zu erwarten, dass sich die Hochschullehre durch bot aller Spezialräume wurde in der «SI FHNW Lear- die nunmehr seit einem Jahr anhaltende Ausnahmening Spaces» für die gesamte FHNW erfasst und situation in mancher Hinsicht dauerhaft verändern und auf der Plattform Lehre2 dokumentiert. In Ergänzung erweitern wird. Der CMU steht seither weitgehend zu dieser Arbeit fokussiert das Lehrfondsprojekt leer, es finden kaum Lehre und Forschung vor Ort «Lehre & Raum» auf den Campus Muttenz und fragt statt. Diese Situation, so schwer sie ist, bietet eine insbesondere auch nach den allgemeinen Hörsälen einzigartige Chance: Sie «schafft Raum» für zukunftsund Seminarräumen. Wie können sie optimal genutzt weisende Veränderungen – für einmal nicht nur im werden, und welche Gestaltungsspielräume haben übertragenen, sondern auch im wörtlichen Sinne. die einzelnen Hochschulen? Denn obwohl die Lehrgebiete und -methoden ebenso wie die Fachkulturen der einzelnen Hochschulen sich erheblich voneinander unterscheiden: Es besteht eine überraschend hohe Übereinstimmung darüber, was ein Lehrveranstaltungsraum für gelingende Lehre bieten soll. Deshalb greift der Bericht insbesondere diejenigen Aussagen aus den Interviews auf, die von den Gesprächspartner*innen der verschiedenen Hochschulen übereinstimmend gemacht wurden. Sie sollen unserer Ansicht nach ein besonderes Gewicht für die Weiterentwicklung des CMU erhalten. Zum Einstieg zeigen wir auf, welche Erwartungen die Hochschullehrenden an den neuen Campus hatten, und wie sie das Gebäude als Gesamtes einschätzen. Von dort aus zoomen wir in den Alltag der Lehre am Campus hinein. Auch die Zugänglichkeit und Verfügbarkeit der Räume spielten in den Gesprächen eine zentrale Rolle. Dieses Thema wird in einem eigenen Kapitel abgebildet, das organisationale Bedürfnisse in den Blick nimmt. Weiter gehen wir auf die Erfahrungen mit dem Distance und Hybrid Learning der letzten Semester ein und stellen wesentliche Fragen zu Raumbedarf und -zuteilung am CMU in Zukunft. Zum Schluss fassen wir die Ergebnisse zusammen und formulieren eine Reihe von Empfehlungen und 7
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2 «Eine richtige Hochschule»: Erwartungen und erste Einschätzungen
Die meisten unserer Interviewpartner*innen arbeite- konfrontiert ist»INT.02 ebenso wie die Gelegenheiten ten bereits vor dem Einzug in den Campus Muttenz für informelle Begegnungen zwischen Lehrenden an ihrer Hochschule und waren in irgendeiner Form und Lernenden, die zum Teil am früheren Sitz mögan der Vorbereitung des Umzugs beteiligt. Dement- lich waren. sprechend weckte das neue Gebäude unterschiedlichste Hoffnungen und Erwartungen. Allgemein Kommt hinzu, dass der grosse Solitärbau sämtliche stellten sich die Lehrenden ein technisch hochste- Angebote und Funktionen in einem einzigen Gebäude hendes Gebäude vor, in dem sie sich auf die Lehre vereint. Das fördert weder den Austausch mit der Umkonzentrieren können und sich nicht um Licht, Luft- gebung noch entspricht es der Vorstellung eines Camqualität oder Temperatur kümmern müssen. Es sollte pus: «Für mich ist das gar kein Campus. Es gibt eben «eine richtige Hochschule» sein, ein inspirierender, nicht den Austausch zwischen unterschiedlichen pulsierender Ort der Lehre und Forschung. Gebäuden. Es gibt keine Wege zwischen Gebäuden, auf denen man anderen Menschen begegnen würDamit verbunden war auch der Anspruch auf grosse, de.»INT.02 Vielmehr beklagen nahezu sämtliche Geflexible Lehrveranstaltungsräume, die sich für ganz sprächspartner*innen, dass es im Alltag durch die unterschiedliche Lern- und Lehrformen eignen und Grösse des Gebäudes wenig Anlass gebe, zwischen die auch das Experimentieren ermöglichen. Dadurch den Stockwerken innerhalb des Gebäudes zu zirkuliewürden Studierende und Lehrende sich die Räume an- ren und schon gar nicht, das Haus zu verlassen. Dazu eignen können und mehr Raum für eigene Aktivitäten biete die Umgebung zu wenig Angebote, auch keine Restaurants, die sich für ein Treffen nach Feierabend erhalten. eignen. Der grüne Park vor dem Gebäude wird als BeHohe Erwartungen bestanden in Bezug auf den sozi- reicherung wahrgenommen, bleibt bisher jedoch wealen Austausch, sowohl innerhalb des eigenen Insti- nig genutzt. Hingegen gilt der Platz vor dem Eingang tuts beziehungsweise der eigenen Hochschule als als wenig einladend, heiss, grell und ungestaltet. Er auch hochschulübergreifend. Alle Interviewpartner*in- eigne sich nicht als Begegnungs- und Aufenthaltsort. nen freuten sich darauf, das Gebäude mit Menschen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen zu teilen. Insbesondere diejenigen Hochschulen und Institute, 2.2 Repräsentativ und hochwertig: Der CMU als Gebäude die vorher auf mehrere Gebäude verteilt waren, gin- gen zudem von zukünftig mehr Kontakt und intensiDer architektonische Ausdruck des Gebäudeinnern verer Zusammenarbeit untereinander aus. erntet dagegen fast einheitlich Beifall. Im eindrücklichen Empfangsbereich des Atriums liege viel «architektonisches Potenzial»; der «präsidiale Aufgang» 2.1 Ein herausragender Solitär: und die «Harry-Potter-Treppen» verschafften dem Der Campus Muttenz und sein Umfeld Gebäude eine Einzigartigkeit, die gegen aussen und Der Standort des CMU an der städtischen Periphe- mit den Studierenden kommuniziere: Das Gebäude rie, in einer heute noch als industriell wahrgenom- macht Eindruck, und es vermittelt den Studierenden menen Umgebung, dämpfte indes die Erwartungen die ihnen durch die Gesellschaft entgegengebrachte mancher Hochschullehrender an den neuen Sitz. Wertschätzung. Seine Attraktivität wirke sich auch Kritisiert wird neben den langen Anreisewegen die positiv auf Studieninteressierte aus, so eine Vermumangelnde Einbettung in ein lebendiges Quartier. tung. Ein Gesprächspartner drückt es so aus: «Hier Davon betroffen sind jene Disziplinen, die den Aus- kann man [Studieninteressierten] schon etwas Tolles tausch mit einer sozial und baulich diversen Alltags- zeigen.»INT.03 Eine Fortsetzung findet das imposante welt und soziale Interaktionen generell als Lern Atrium in den hochwertig materialisierten Hörsälen: ressourcen begreifen und nutzen. Ihnen fehlen am Neben der technischen und akustischen Raffinesse CMU Anregung und Inspiration, «ein kleinmasstäb seien sie im Ausdruck «würdevoll» und eigneten sich liches bauliches Umfeld, mit dem man tagtäglich perfekt als Austragungsort von Gastvorträgen. Ge11
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schätzt wird von manchen auch die Transparenz des Gebäudes durch die vielen Glastrennwände: Im Atrium kann man in andere Geschosse hineinsehen und erkennt andere Fach- und Lernkulturen; bei offenen Vorhängen sind von den Korridoren aus Einblicke in fremde Lernstoffe zu gewinnen. «Das ist inspirierend für mich als Dozent, und auch die Studierenden sehen, dass sie nicht die einzigen auf der Welt sind.»INT.03 Technisch und ästhetisch wird der Neubau in vielen Aussagen also als Gewinn zusammengefasst. Die Automatisierung der Gebäudetechnik wird aber auch kritisiert: Storen, die sich bei Tageslicht automatisch schliessen und den Raum verdunkeln (und auch wieder öffnen ohne nachvollziehbaren Grund); zu tiefe Temperaturen in den Büros und Seminarräumen; die zu laute Lüftung in den Büros, die ursprünglich als Labore geplant waren. Hier wünschen sich alle mehr Möglichkeiten, die Bedingungen im Raum selber zu regulieren.
Auch die hochwertige Materialisierung stösst nicht nur auf Gegenliebe. Für ein inspirierendes Lernumfeld wären mehr «Chaostoleranz» gefordert, weniger empfindliche Materialien und in erster Linie unstrukturierter Platz, um sich auszubreiten und sich über Arbeitsprozesse und -ergebnisse auszutauschen. Die stark auf die Ästhetik und wenig auf die (informelle) Gebrauchstauglichkeit fokussierte Gebäudestruktur wirke sich auch auf den Geist aus, der das Haus beseelt: «Ich bin toll!»INT.10, strahle das Gebäude aus, wie ein Gesprächspartner nicht ohne Ironie bemerkt. «Die Mentalität geht nicht hin zu kreativem Chaos, sondern eher in Richtung technische Ordnung»INT.02, bedauert eine andere Hochschullehrende.
Der positiven Wahrnehmung des ästhetischen Ausdrucks stehen unterschiedlich ausformulierte Kritiken an der Gebrauchstauglichkeit des Gebäudes gegenüber. Die repräsentative Geste des Atriums habe einen hohen Preis, so ein Gesprächspartner. Sie gehe auf Kosten von Zwischenräumen und Begegnungsorten, wie beispielsweise überbreiten Korridoren auf den Geschossen. Solche Räume sind wichtig für den Austausch, für stilles Lernen oder für Gruppenarbeiten und könnten von Lehrenden und Studierenden angeeignet werden. Von anderen wird das Atrium als «nutzlos», als «toter» oder schlicht «verschenkter» Raum wahrgenommen. Wichtig wären besser vernetzte Nutzungen, die das Erdgeschoss beleben und den fachlichen und sozialen Austausch fördern. Sonst bleibe die Halle ein reiner «Ort des Transits», ohne durchlässige Gemeinschaftszonen, in denen sich Mitarbeitende und Studierende der verschiedenen Hochschulen über den Weg laufen und ins Gespräch kommen. Ein Gesprächspartner äussert sein Erstaunen darüber, dass die hohe soziale Dichte, die eine Ressource sein könnte, im Hochschulalltag kaum wahrnehmbar sei: «Das Potenzial der 4500 Leuten in dem Gebäude ist nicht spürbar. Irgendwo sind diese Leute, aber greifbar sind sie nicht.»INT.07 13
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3 Wie und wo lernen wir: Lern- und Lehrformen und ihre Räume
3.1 Interaktive und flexible Lehre erwünscht: Favorisierte didaktische Settings Trotz unterschiedlicher Lerninhalte, -ziele und -methoden besteht in den Hochschulen am CMU über die verschiedenen Fachkulturen hinweg ein hoher Konsens in Bezug auf die bevorzugten didaktischen Settings. Unsere Gesprächspartner*innen sind sich einig, dass die ausschliesslich frontale Lehre «nicht mehr zeitgemäss» sei. Für die Wissensvermittlung im engeren Sinne möge diese Form tauglich sein, zukunftsweisende Lehre setze aber auf eine aktive Beteiligung der Studierenden, auf wechselnde Formen, auf eine Lehre «auf Augenhöhe». Diese Einschätzung überrascht nicht, entspricht sie doch dem Lernverständnis und den didaktischen Grundsätzen, die im CAS Hochschullehre der FHNW vermittelt werden.3 Ein Dozent berichtet, dass an seinem Institut programmatisch von der «Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden» gesprochen werde: «Unterrichten – von oben nach unten – das wollen wir nicht mehr. Wir haben das Wort Dozierende, im Sinne von ‹Dozieren›, gestrichen. Dieses Zeitalter ist vorbei.»INT.07
form im Verlauf eines Semesters grundlegend verändern – und damit ändern sich auch die Anforderungen an die Räume. In der Sozialen Arbeit und der Pädagogik sind Rollenspiele, Methodendemonstrationen und das Ausprobieren räumlicher Settings der späteren Berufspraxis unabdingbare Bestandteile der Lehre, während das Labor in den Life Sciences und das Atelier in der Architektur unverhandelbare Lernsettings darstellen. Derartige, im weitesten Sinne als «interaktiv und flexibel» zu bezeichnende didaktische Formen sind für die Weiterbildung längst unverzichtbar. Sie gewinnen aber auch in der Ausbildung auf Bachelor- und Masterstufe an Bedeutung.
Für die Pädagogische Hochschule gehören interaktive und flexible Lern- und Lehrformen nicht nur zur didaktischen Anlage, sie sind auch Inhalt der Ausbildung. Denn auf den obligatorischen Schulstufen werden derartige Konzepte seit Langem diskutiert und umgesetzt. Inzwischen finden sie auch in der Schulhausarchitektur und -gestaltung zunehmend einen räumlichen Widerhall, sei es in Form von Lernlandschaften und -ateliers, Gruppenarbeitsräumen, multifunktional nutzbaren Erschliessungsräumen wie Korridoren, Treppen und Terrassen, «in der Bestuhlung, der RaumnutDie von den Gesprächspartner*innen bevorzugten zung und so weiter und so fort».INT.10 Ein befragter Lern- und Lehrsettings setzen bei einer interaktiven Hochschullehrender identifiziert denn auch einen stosLehre an, die kooperativ, in Zusammenarbeit mit den senden Widerspruch im Umstand, dass die künftigen Studierenden gestaltet wird oder sich zumindest an Lehrpersonen interaktiv gestalteter Schulen am Camderen Lernbedürfnissen orientiert und sich deswe- pus Muttenz in mehrheitlich unflexiblen und traditiogen einer starren Planbarkeit entzieht. Vielmehr setzt nellen räumlichen Settings ausgebildet werden. sie ein hohes Mass an Flexibilität voraus. Dazu gehören Einzelübungen mit Coaching durch die Lehrenden und moderierte oder unmoderierte Gruppenarbeiten, 3.2 Nicht determinierende Lehrveranstaltungsräume gesucht: Passung von didaktischen das gemeinsame Erarbeiten von Lerninhalten mit Be- Settings und Räumen teiligung der Studierenden im Plenum oder hybride Formen, in denen Referierende oder sogar Teilneh- mende über Video zugeschaltet werden. Das didakti- Nicht nur die Lehrenden der Pädagogik, sondern auch sche Setting des «Flipped Classroom», in dem die jene der anderen Hochschulen beanstanden die manStudierenden sich vorab individuell mit Lerninhalten gelnde Passung zwischen den Anforderungen einer auseinandersetzen und sie in den plenaren Lehrver- zeitgemässen Lehre und den am Campus Muttenz anstaltungen vor Ort gemeinsam mit Dozierenden zur Verfügung stehenden Lehrveranstaltungsräumen. anwenden, vertiefen und reflektieren, kehrt das Prin- Insbesondere die Hörsäle sind für Lehrformen jenzip des herkömmlichen Frontalunterrichts geradezu seits der frontalen Lehre ungeeignet. Weil sie die um.4 Unterschiedliche Lern- und Lehrsettings kom- Bewegungsfreiheit sowohl der Dozierenden zu den men auch im modularen Lehren zum Tragen, in dem Studierenden wie auch der Studierenden untereinaneinzelne Einheiten von einem halben Tag bis hin zu der einschränken, erschweren sie die Durchführung mehreren Tagen dauern. Dabei kann sich die Lehr- von Einzelübungen und Gruppenarbeiten: «Es wäre 18
hilfreich, wenn man die Studentinnen und Studenten auch physisch erreicht. Das ist in diesen schrägen Hörsälen einfach nicht möglich. Ich kann nicht zu den Studierenden hingehen, sondern bin darauf angewiesen, dass sie zu mir runterkommen. Dafür müssen sie sich aus den Stuhlreihen quälen.»INT.06 Die Raumstruktur mit ansteigenden Sitztribünen erschwere auch das angestrebte Lehren auf Augenhöhe, «du möchtest den Leuten in die Augen schauen können, mit ihnen arbeiten, sie animieren»INT.07 und das Dozierendenpult errichte eine «Front» zwischen Lehrenden und Lernenden: «Du bist hinter diesem Dozentenpult, und dann kommen noch zwei Meter Abstand und erst dann kommt die erste Reihe der Bänke und dann geht es die Rampe hinauf.»INT.07 Für grosse Lerngruppen ab 40 Studierenden gibt es am CMU jedoch kaum andere Lehrveranstaltungsräume – zumindest erleben es die Gesprächspartner*innen so.
gibt sich eine Dynamik auch unter den Studierenden.»INT.07 Für einen Gesprächspartner ist eine für alle Studierenden gut sichtbare, vor allem aber auch leicht zugängliche Wandtafel – beispielsweise in Form eines wandfüllenden oder mehrerer mobiler Whiteboards – die wichtigste Voraussetzung für eine gelingende Lehre. Er würde dafür sogar auf die Tische im Seminarraum verzichten.
Auch ein Grossteil der Seminarräume ist nicht ideal auf die Lehrbedürfnisse der befragten Hochschullehrenden ausgerichtet. Mit fest installierten Beamern und Wandtafeln und der wenig flexiblen Möblierung bieten sie schlechte Voraussetzungen für interaktive, dynamische und kooperative Lehrformen: «Ich finde das nicht mehr zeitgemäss, als Dozent vorne zu stehen und etwas zu erzählen. Aber die Räume hier sind natürlich extrem darauf ausgelegt.»INT.03 Wie sie sich ein passendes räumliches Setting für eine kommunikative Lehre in ihrem Fach vorstellt, beschreibt eine andere Dozentin anschaulich: «Ich lehre in einem Fachbereich, der durch Kommunikation lebt. Am Liebsten hätten wir eine U-Form, damit sich alle sehen können.»INT.12
3.3 Favorisierte Raumtypen: Vielfältige, offene und untereinander vernetzte Lernorte
Die Tische in den Seminarräumen sind in Reihen angeordnet und fest miteinander verbunden. Sie umzustellen ist deshalb mit viel Aufwand verbunden. Zudem seien die Räume schlicht zu «vollgestellt» – und zwar so voll, dass für die aktive Mitarbeit der Studierenden kaum genügend Platz vorhanden sei. Kurzum: Gewünscht wird nicht nur flexibleres, sondern auch weniger Mobiliar. Denn zu viele Möbel schränkten auch die Bewegungsfreiheit der Dozierenden ein, eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine lebendig gestaltete Lehre: «Ich bewege mich gerne im Raum. Dann kann ich auch mal hinter die Studierenden gehen oder neben sie, daraus er-
Das Unbehagen darüber, dass die räumlichen Voraussetzung es den Dozierenden erschweren, ihre Lehre nach eigenem Gutdünken an zeitgemässe didaktische Settings anzupassen, bringt eine Hochschullehrende stellvertretend auf den Punkt: «Mein didaktisches Arrangement wird leider sehr stark von den Räumlichkeiten und Rahmenbedingungen bestimmt.»INT.12 Dabei sollte es umgekehrt sein.
Aus den Interviews geht eindeutig hervor: Die Hochschullehrenden am Campus Muttenz brauchen Lehrveranstaltungsräume, die möglichst viel Offenheit für unterschiedliche Lern- und Lehrformen gewähren. In den als «Rampenhörsäle» bezeichneten Hörsälen finden sie diese Voraussetzungen nicht vor. Es gibt Ausnahmen, wie etwa jener Dozent, der die hochwertige Akustik und Lichtqualität der Hörsäle nicht nur als Lern- und Lehrumgebung, sondern auch als Lerninhalt zu schätzen weiss und diese positiven Eigenschaften als Vorführeffekte in seine Lehre integriert: «Der Vorlesungsraum ist super. Das Licht stimmt, die Sprachverständlichkeit stimmt, es stimmt eigentlich alles; ausser dass er kein Fenster hat.»INT.01 Die fehlenden Fenster thematisiert auch ein anderer Hochschullehrender in seiner Lehre. Er illustriert daran die Bedeutung der Umgebung für Wohlbefinden und Austausch und äussert sein Unbehagen so: Die fehlenden Fenster machten die Hörsäle für kommunikative Settings zu einem «Unort».INT.05 Dem Lob des Fachexperten für Raumakustik an den Hörsälen steht die vehemente Kritik an den grossen Vorhangräumen im dritten Geschoss entgegen. Dass deren Akustik «katastrophal» sei, die Steuerung der Vorhänge schwerfällig und die Aufmerksamkeit der 19
Studierenden nur mit unangemessenem Aufwand zu gewinnen, wird auch von anderen Interviewpartner*innen beanstandet; zuweilen mit einer gehörigen Portion Sarkasmus: «Ich habe dieses Jahr auch – ich nenn das etwas provokant – auf dem Campingplatz im dritten Stock bei der Bibliothek gelehrt. Diese Zeltstätten sind eine Katastrophe. Ich kenne kaum einen unserer Dozenten, der in diesen Raum eingeteilt wird und dort ein ganzes Semester lang bleibt.»INT.06 Dabei sind diese Räume grosszügig, eben, grundsätzlich frei möblierbar und entsprechen damit just den Raumvorstellung der befragten Hochschullehrenden: «Diese Räume [würden sich] eigentlich ganz gut eignen für Gruppenarbeiten.» INT.06 Und es gibt sie auch, die Räume, die Platz für Gruppenarbeit, eine wechselnde, und auf unterschiedliche didaktische Settings angepasste Möblierung und erst noch Tageslichtverhältnisse anbieten. Hoher Beliebtheit erfreut sich der mit Tageslicht und verschiebbarem Mobiliar ausgestattete «Seminarraum spezial» in der südwestlichen Ecke des ersten Obergeschosses: «Den finde ich ziemlich gut. Weil er eben offener ist. Man könnte auch einen grossen Kreis bilden. Es gibt ja Beamer. Man kann genauso eine Art Vorlesungs-Situation schaffen wie ein Setting für Symposien. Ich finde den Raum gut, weil er weniger determiniert.» INT.02 Mehreren der interviewten Hochschullehrenden fehlen Räume für Gruppenarbeiten in unmittelbarer Nähe zu den Hörsälen oder Seminarräumen. Wenn sich die Studierenden für Gruppenarbeiten weit im Gebäude verteilen müssen, geht viel wertvolle Zeit verloren und die Lehrveranstaltung droht «auseinanderzufallen.»INT.06 Auf die Korridore auszuweichen ist im Unterschied zum Campus Brugg-Windisch, der von mehreren Interviewten als positives Beispiel genannt wird, in Muttenz keine Option: «Das ist in Brugg viel besser, weil da die Gangflächen grösser sind und es viel mehr Sitz- und Arbeitsmöglichkeiten gibt. Die fehlen hier in Muttenz, wo wir enge Gänge haben und die Seminarräume aufgereiht sind, einer nach dem anderen.»INT.12 Ideal für vielfältige und flexible Lehrformen sind dagegen die vielen Spezialräume, die in der Regel zu einer Hochschule oder einem Institut gehören. Die Ateliers im Institut Architektur sind nicht nur Arbeits20
platz für die Studierenden, sie werden auch für unterschiedliche Lehrformen genutzt. Ihre permanente Verfügbarkeit macht sie flexibel für verschiedene, teilweise sogar gleichzeit stattfindende Veranstaltungen. Die Lehre in einer der zahlreichen Werkstätten am CMU erlaubt es den Studierenden, ihr Erfahrungswissen zu erweitern. Hier wird mit Material gearbeitet, dessen Haptik und Gewicht eine wichtige Rolle spielen, um es in all seinen Komponenten durchdringen zu können. Sehr geschätzt werden auch die Labors der Hochschule für Life Sciences, die technisch auf dem neusten Stand sind und ideale Lernumgebungen bieten. Im weitesten Sinn zu den «Spezialräumen» gezählt werden kann auch der «Multispace» des Freiform-Lehrgangs an der Hochschule für Soziale Arbeit im siebten Geschoss. Wie die Architekturateliers ist er permanent verfügbar, vielseitig nutzbar für Lehre und Selbststudium und fördert den Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden. Dieser informelle Austausch, verstanden als eine «Learning Community», gehört zu den erwünschten didaktischen Settings. Die Möglichkeiten, die der CMU dafür bietet, werden sehr unterschiedlich eingeschätzt – je nachdem, wie stark die Hochschulen ihre Räume in Eigenregie gestaltet haben. Die Trennung zwischen Arbeitsbereichen der Mitarbeitenden und den für die Studierenden zugänglichen Bereichen erschweren in den Augen eines Interviewpartners das Coaching: «Kommunikation mit Studierenden ist nicht vorgesehen. Definitiv nicht. Du musst dir dafür immer erst einen Raum mieten. Denn hier kommen die Studierenden hinein und dürfen fünf Meter nach rechts zur Kanzlei gehen, aber zu uns sollen sie nicht kommen, das ist durch die Gittertür gut repräsentiert.»INT.10 Ein anderer Dozent sieht in der räumlichen Trennung zwischen Arbeits- und Lehrräumen dagegen einen Vorteil. Dieses Setting fördere nicht nur das konzentrierte Arbeiten, sondern stärke auch den Kontakt mit den Studierenden, denn an seinen Lehrtagen gehöre seine Zeit ganz ihnen: «Während den Pausen bleibe ich unten im Hörsaal und stehe zur Verfügung. Dafür konzentriere ich mich im Büro auf andere Arbeiten.»INT.03 Nicht nur für den informellen Austausch, sondern auch für die Lehre selbst wird das Angebot an halb-
öffentlichen Räumen geschätzt; und zwar innerhalb der Hochschulen und Institute wie auch im gesamten Gebäude. Eine Dozentin schwärmt von den fliessenden Übergängen zwischen Lehrveranstaltungsräumen und halböffentlichen Bereichen, die es erlaubten, Produkte aus den Lehrveranstaltungen auszustellen und damit den Austausch auch unter den Hochschullehrenden anzuregen. Eine andere berichtet von ihrem Lektürekurs, den sie am frühen Morgen mit einer überschaubaren Studierendengruppe jeweils in der Lounge im zwölften Geschoss mit Blick in die aufsteigende Sonne abhält. So eignen sich Lehrende und Studierende das Gebäude an, was nach dem Geschmack der Befragten in Zukunft noch öfter und an mehr Orten stattfinden dürfte: «Dieses Bespielen des öffentlichen Raums, dass man zeigt, was man in der Lehre macht, das finde ich super toll. Wie zum Beispiel im Windfang beim Haupteingang, wo ich von der HABG schon Modellausstellungen gesehen habe. Diese Räume müsste man noch viel mehr bespielen. Man müsste mehr aus der Lehre hinaus in die Öffentlichkeit tragen können und zeigen: Schaut, mit diesen Themen beschäftigen wir uns gerade.»INT.12
3.4 Der Arbeitsplatz als Ort der Kommunikation: Eingeschränkter Austausch Alle Hochschullehrenden haben auch über ihren Arbeitsplatz gesprochen, weshalb diesem Thema hier ebenfalls ein kurzes Kapitel gewidmet wird. Unsere Gesprächspartner*innen hatten auf produktiven fachlichen und informellen Austausch zwischen Hochschulen, Instituten und Mitarbeitenden in Lehre und Forschung gehofft. Das war insbesondere dann der Fall, wenn ihre Hochschule zuvor auf mehrere Standorte verteilt war, oder wenn Lehre und Forschung räumlich getrennt waren. Diese Hoffnung hat sich nur teilweise erfüllt. Das Gebäude ist so gross, und so viele Arbeitsräume sind ohne Berechtigung nicht zugänglich, dass zufällige Begegnungen selten sind, insbesondere in den einzelnen Hochschulen: «Es hat irgendwie keine Begegnungsorte. Die Interaktion kann nicht stattfinden. In Olten sehe ich viel mehr Leute. Ehrlich gesagt empfinde ich es als angenehm, ab und zu jemanden zu sehen. In Muttenz ist dies viel weniger möglich.»INT.05 Der hochschul- und institutsübergreifende Austausch findet deshalb eher in
Gremien und organisierten Gefässen statt. Allgemein geschätzt wird die Tatsache, dass die IT-Services nun am Standort präsent sind. Innerhalb der Institute erschwert eine Reihe von Gründen die informelle Kommunikation im Arbeitsalltag: Platzmangel, eine unbefriedigende Raumaufteilung und eine unangemessene oder unpersönliche Möblierung am Arbeitsplatz. Eine interviewte Person beschreibt dies eindrücklich: «Es besteht bereits ein architektonischer Grundfehler hier drin, dass ich hier nicht laut reden darf, weil ich die Leute bei der Arbeit störe. Du darfst hier nicht lustig sein.»INT.10 Gewünscht wird mehr Freiheit bei der Einrichtung der Arbeitsräume, um Orte für sozialen Austausch zu schaffen und so die am CMU allgemein vorherrschende «cleane Atmosphäre» und «Anonymität» zu durchbrechen. Damit verbunden ist auch der Wunsch nach spezifischem Charakter: «Es fehlt so ein bisschen die Identität, also die des Instituts, der Hochschule. Das ist halt alles FHNW und deshalb austauschbar.»INT.08 An Instituten, in denen die Planung der Arbeitsräume partizipativ mit den Mitarbeitenden entwickelt wurde, sind diese offenbar zufriedener. Diesen Schluss legen die Interviews nahe. Die Gestaltung der Arbeitsräume hat einen grossen Einfluss auf die Interaktion. «Das nahe Sitzen, das Vis-à-vis-Sitzen, im Blickkontakt zu sein, das fördert natürlich den Austausch sehr. Ohne den Blickkontakt infolge räumlicher Trennung – und sei es nur durch ein hohes Möbel – wird der Austausch unterbunden. Der Kopierapparat ist auch eine gute Begegnungszone. Da weiss man ja nicht, ob jemand da ist; man trifft sich dort per Zufall.»INT.02 Offenbar besteht auch ein Informationsdefizit in Bezug auf die Regeln für die individuelle Ausstattung der Arbeitsräume. Dies verdeutlicht folgende Aussage: «Es ist unklar, ob man das Büro auch irgendwie gestalten kann. Darf man überhaupt irgendetwas an die Wände hängen?»INT.04
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4 Distance und Hybrid Learning: Lessons Learned
Nach zwei Semestern Distance Learning5 ziehen die Interviewpartner*innen eine gemischte Bilanz: Während die einen ernüchtert sind und grosse Leistungseinbussen bei den Studierenden feststellen, entwerfen andere Szenarien für das Studium der Zukunft: Mit der Erweiterung der Lehre durch digitale Lernund Lehrräume und -formen entstehe mehr Gestaltungsspielraum, um die physischen Räume am CMU anders und flexibler zu nutzen. Rückmeldungen an verschiedenen Hochschulen zeigen, dass Lehrende und Studierende grundsätzlich offen sind für das Distance Learning: Sie schätzen es, ohne den Arbeitsweg mehr Zeit für konzentriertes und flexibles Arbeiten zu Hause zu haben. Gleichzeitig fehlen jedoch allen der persönliche Kontakt und die spontanen Begegnungen und Ideen, die sich im Alltag am CMU ergeben. Es gibt jedoch auch Studierende, die sich im Hörsaal oder Seminarraum besser konzentrieren können. In einer Umfrage der Pädagogischen Hochschule beziffern Dozierende den idealen Anteil des Distance Learning mit 30%, bei Studierenden liegt er bei 50%.INT12 Grundsätzlich machen die Einschränkungen in Zusammenhang mit Covid-19 die Lehrenden erfinderisch, sowohl in der Präsenzlehre als auch im Distance Learning: Sie verlegen die Präsenzlehre nach draussen oder in den Windfang und suchen nach Alternativen zu den engen Lehrveranstaltungsräumen. Sie erproben neue Tools und Methoden, lernen, Präsentationen aufzuzeichnen, digitale Lerneinheiten zu erstellen und alternative Prüfungsverfahren zu testen. Einige sehen das Distance Learning als Chance, mit neuen Lern- und Lehrsettings zu experimentieren.
4.1 Neue Nähe oder grosse Leere: Interaktion im digitalen Raum Die Qualität der Beziehungen und der Interaktion im digitalen Raum wird von den Interviewpartner*innen unterschiedlich beurteilt. Gerade in Beratungsgesprächen in kleinen Gruppen oder mit einzelnen Studierenden könne online eine neue Nähe entstehen. Besprechungen laufen konzentriert ab, eher unauffällige oder zurückhaltende Studierende können sichtbarer
werden. Das empfinden aber nicht alle Lehrenden so. Viele halten die Interaktion vor Ort für unersetzlich. In grossen Gruppen sei es viel aufwendiger, die Studierenden an der Lehre zu beteiligen: «Online sind die Diskussionen sehr zögerlich.»INT.05 Die Studierenden müssen immer wieder aktiv und mit geeigneten Formen zur Teilnahme motiviert werden. Die Verbindlichkeit sei online schwerer zu erreichen, werde aber wichtiger, um Leistungseinbussen zu vermeiden. Verloren geht im digitalen Raum das Erleben der physischen Präsenz eines Gegenübers. Die Lehrenden können online kein Gefühl dafür entwickeln, «was gerade abgeht»INT.05, ob die Studierenden präsent und aufmerksam sind oder sich ausklinken. Eine Person kommt zu folgendem Schluss: «Etwa 30 bis 50 % einer bestimmten Qualität geht verloren. Vielleicht kommen andere Qualitäten dazu, aber mir selber fehlt etwas: die Interaktion.»INT.10 Wahrscheinlich, so vermutet eine Lehrende, «braucht es andere Moderationsskills.»INT.05
4.2 Weder hier noch dort: Spezialfall Hybrid Learning Die hybride Lehre in der Form, wie sie im Herbstsemester 2020 an einigen Hochschulen durchgeführt wurde, bedeutete für die Lehrenden eine erhebliche Mehrbelastung. Zum einen mussten sie sich um die (nicht einheitlich geregelte) technische Ausstattung im Hörsaal oder Seminarraum kümmern, die nicht fest installiert war. Insbesondere der Ton erwies sich als störungsanfällig. Zum anderen war es nahezu unmöglich, die Aufmerksamkeit gleichzeitig auf die Studierenden vor Ort und jene im digitalen Raum zu richten. Das war unbefriedigend: «Entweder sind wir physisch da füreinander, oder wir sind digital, aber dann machen wir es gut digital.»INT.07 Und doch bietet auch Hybrid Learning Chancen. Zum Beispiel in der Weiterbildung, die ihren Teilnehmenden auf diese Weise mehr Flexibilität oder die Teilnahme ohne Präsenzpflicht vor Ort anbieten kann. Auch Gastreferate können ein viel grösseres Publi25
kum erreichen, wenn sie vor Ort stattfinden und live übertragen werden. Umgekehrt können externe Gäste eingeladen werden und ihre Referate online halten, ohne anreisen zu müssen. Sinnvoll ist es hingegen, digitale Lern- und Lehrformen in die Präsenzlehre zu integrieren (z.B. gemeinsames Arbeiten an digitalen Pinnwänden oder am selben Dokument). Oder digitale und analoge Lerheinheiten miteinander zu kombinieren – Blended Learning. «Die Kombination von analog und digital ist eine grosse Chance, glaube ich. Nicht im Sinne von: Ich mache eine Veranstaltung in Präsenz, und andere können sich zuschalten. Sondern, dass ich bestimmte Themen in der Präsenzlehre vermittle, und andere mache ich ergänzend, vertiefend, begleitend, online. Ich glaube, diese Mischung ist für alle interessant.»INT.08
4.3 Vieles ist möglich: Digitalisierbare Settings und Formen Die meisten Lehrenden halten die reine Wissensvermittlung oder die Vermittlung von formalisiertem Grundlagenwissen grundsätzlich für digitalisierbar. Einige halten sich an die regulären Zeiten und führen ihre Vorlesungen live, synchron online durch. Andere haben dafür neue Formen wie vertonte PowerpointFolien, Lernvideos oder Podcasts entwickelt und stellen sie auf Moodle oder SWITCHtube zur Verfügung. Auch Textdiskussionen in Kleingruppen, Tischkritiken oder Beratungsgespräche lassen sich in den meisten Fällen ohne Verlust digitalisieren. Einzelne Lehrende sind jedoch der Ansicht, dass Distance Learning in jedem Fall eine Qualitätseinbusse bedeutet.
Das Lernen am Material, also das synthetisierende Erfahrungswissen, ist digital nicht vermittelbar (im Gegensatz zum formalisierten Grundlagenwissen). Es braucht die Möglichkeit, Gegenstände anzufassen, ihre Beschaffenheit und ihr Gewicht zu spüren: «Sobald man eben objektspezifisch, standortspezifisch lehrt, muss man an dem Standort und an dem Objekt arbeiten.»INT.01 Auch das handelnde Lernen lässt sich nicht oder nur bedingt in den digitalen Raum verschieben: Dazu gehören das Arbeiten mit Materialien am Tisch oder im Raum, Gesprächstrainings, Rollenspiele oder bewusst inszenierte Gesprächsformate. Fächer wie Sport, Bildnerisches Gestalten, Musik oder Hauswirtschaft lassen sich nicht digitalisieren, ebensowenig wie Praktika in den Labors und Werkstätten oder Messungen vor Ort. Gruppenarbeiten und alle Formen der Lehre, die ein hohes Mass an Interaktion benötigen, sind im digitalen Raum nur mit Einbussen durchführbar. Dasselbe gilt für eine dynamische Lehre, die spontan auftauchende Fragen und Themen der Studierenden einbezieht. Vor Ort können die Antworten auf diese Fragen wieder ins Plenum zurückfliessen. «In der Gruppe kriegt man Kontakt zu den Studierenden, den man online einfach nicht bekommt.»INT.09 Zusammenarbeit erfordert Kopräsenz vor Ort: «Einander zu treffen, sich auszutauschen, das ist ein Mehrwert, und dafür brauchst du einfach flexible Situationen, in denen du dich bewegen und etwas machen kannst.»INT.07 Und schliesslich ist es im digitalen Raum unmöglich, eine feierliche Atmosphäre zu schaffen, die sich für einen starken Semesterauftakt oder eine würdige Abschlussveranstaltung eignet.
4.4 Noch mehr fehlt: Nicht digitalisierbare Settings und Formen 4.5 Ist die Zukunft digital? Ja, aber ... Im digitalen Raum fehle fast alles, was mit Interaktion, Haptik, Spontaneität oder einer besonderen Atmosphäre zu tun hat, so die Wahrnehmung der Interviewpartner*innen. Im Einzelnen wurden folgende Settings und Formen genannt, die sich nicht digitalisieren lassen. 26
Die Zukunft liegt wohl weder ausschliesslich im Blended Learning, also der Präsenzlehre noch im Distance Learning, sondern in der didaktisch begründeten Kombination neuartiger, analoger und digitaler Lernund Lehrräume – dem Blended Learning. Die Beto-
nung liegt auf «neu»: Es wird nicht ausreichen, die bisherige Präsenzlehre in digitale Kanäle zu verlegen6. Sowohl die digitale als auch die analoge Lehre werden weiterhin neue Formen hervorbringen. In den zwei Semestern Distance Learning ist in der Onlinelehre einiges geschehen: Lehrende haben sich neue Formen und technisches Wissen angeeignet, um Lernstoff digital zu vermitteln. Diese Form der Vermittlung werde weiter bestehen, «weil sie den Dozierenden und Studierenden eine gewisse Unabhängigkeit gibt.»INT.12 Allerdings erfordere das Distance Learning gemäss der Erfahrung der Gesprächspartner*innen eine optimale technische Infrastruktur, die oftmals noch fehle. Es brauche beispielsweise mehr Räume, die für synchrones Hybrid Learning ausgestattet sind, will heissen mit fest installierten Kameras, die sich mit den Dozierenden bewegen, guten Mikrofonen, WebexVorinstallation und so weiter. Zudem werden Investitionen in funktionierende Technologie als zwingend erachtet. Dafür müssen allenfalls auch die Studierenden ihre persönliche Ausstattung aufrüsten. An der PH FHNW ist ab dem FS 2022 ein Notebook-Obligatorium für Studierende geplant. In diesem Zusammenhang wird auch mehr und besserer technischer Support gewünscht. Die Idealvorstellung ist ein «technischer Support vor Ort, der einfach erreichbar ist»INT.04, der niederschwellig und umgehend auf Anfragen reagiert, und die erwünschte Kultur der Innovation in der Lehre verkörpert.
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5 Eine Frage der Haltung? Raumverwaltung und Services
Organisationale Komponenten waren in den Interviews wiederholt ein Thema. Denn hier zeigen sich die Auswirkungen eines grösseren Veränderungsprozesses: Zum ersten Mal sind die Hochschulen am CMU in eine grössere Organisation innerhalb eines Sitzes eingebettet und können manche Dinge nicht mehr autonom entscheiden. Das nehmen auch die Hochschullehrenden wahr.
5.1 Raumzuteilung als Knackpunkt: Wie komme ich zu einem passenden Raum? Am CMU werden die meisten Lehrveranstaltungsräume von den Hochschulen im Gebäude geteilt. Nur ein kleiner Teil der Räume gehört fest zu einer Professur, einem Institut oder einer Hochschule und kann frei gestaltet und belegt werden. Die Lehrveranstaltungsräume werden den Lehrenden zentral oder in manchen Fällen von den Hochschulen zugewiesen. Genau diese Raumzuteilung erweist sich in den Interviews immer wieder als Knackpunkt: Viele Lehrende wissen zu wenig Bescheid über Abläufe und Zuständigkeiten, je nach Hochschule sind sie anders geregelt: «Ja, das ist gerade das Problem, wer ist für was zuständig? Das ist nicht klar. Gibt es Räume, die man vielleicht noch selber buchen kann? Sehen Sie, ich weiss das schon gar nicht mehr so genau.»INT.06 Wer den Raum wechseln will, wendet sich in der Regel an die zentrale Raumverwaltung. Dort werde dem Anliegen entsprochen, wenn man sich lange im Voraus melde, so der Tenor der Aussagen. Kurzfristige Raumwechsel seien kompliziert bis unmöglich. So entsteht bei den Lehrenden der Eindruck, die Raumzuteilung sei unflexibel und nehme wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse der Lehre. Es sei nicht vorgesehen, dass man den Lehrveranstaltungsraum im Lauf des Semesters wechsle, und anstelle der Lehrform sei die Gruppengrösse das Hauptkriterium für die Raumzuteilung. Das aktuelle Prozedere läuft flexibler Lehre entgegen. Manche Lehrende reservieren deshalb vorsorglich mehrere Räume und blockieren sie damit das ganze Semester, auch wenn sie dann nicht oder nur an bestimmten Tagen benötigt werden. Es ist den Dozierenden bewusst, dass sie damit ein Problem schaffen. Sie finden aber keinen anderen Weg. Ein Gesprächspartner erzählt:
«Das Nachbestellen von Räumen, da bist du wieder in der Campus-Logik drin: Es dauert lange, du weisst nicht, wer zuständig ist, oder es erklären sich eher alle für unzuständig. Das ist ein bisschen mühsam und auch ein bisschen gefährlich, da man dadurch dazu neigt, Räume auf Vorrat zu bestellen: Denn ich weiss genau, dass alles, was ich nachbestellen muss, kompliziert wird, da bestelle ich lieber gleich mehr. Das ist ja auch das Problem des Campus Muttenz, dass viele reservierte Räume leer stehen. Ich glaube, ich weiss auch warum, weil inzwischen jeder eher auf Vorrat bestellt.»INT.04 Einige Hochschullehrende haben gute persönliche Kontakte zur Raumzuteilung aufgebaut und können im Dialog mit den zuständigen Personen ihre Raumwünsche flexibler anbringen. Oder sie werden darin unterstützt, auch die offenen Korridore im dritten Stock oder die Umgebung des CMU in einen Ort der Lehre zu verwandeln. Das erleben jedoch nicht alle so positiv: «Man kriegt ständig Ärger, wenn man etwas macht, was über dieses reine Gehen in den Gängen hinausgeht. […] Da ist dann plötzlich alles ein Fluchtweg.»INT04 Die Lehrenden machen unterschiedliche Erfahrungen mit der Raumverwaltung, die Abläufe erscheinen bisweilen zufällig, Auskünfte inkonsistent. Es scheint, als prallen zwei Kulturen gegeneinander: «Ich nenne das mal eine grosse Institution mit eher starren oder festen Verwaltungsstrukturen gegenüber einer Vorstellung von Lehre, bei der zu Lernendes flexibel gestaltet werden soll. Es sind einfach unterschiedliche Denkweisen, die da aufeinandertreffen.»INT.10 Hilfreich wären eine bessere Information der Lehrenden und eine engere Kooperation zwischen Lehrenden und Raumverwaltung. Ein Interviewpartner schätzt besonders das digitale Raumtool in der FHNW App des CMU, mit dem er den Überblick über verfügbare Räume hat und Reservationen vornehmen kann. Das Raumtool ist jedoch den meisten anderen Lehrenden nicht bekannt. Auch hier zeigt sich eine Informationslücke. Grundsätzlich würden es alle Interviewpartner*innen begrüssen, wenn jede Hochschule über ein Kontingent an Räumen verfügen könnte, das sie flexibel und ihren Bedürfnissen entsprechend einrichten und 29
belegen kann. Denn die Vorgaben für die Möblierung und Einrichtung der Räume werden als zu starr und unflexibel wahrgenommen. Eine Hochschullehrperson drückt es pointiert aus: «Das Denken ist so: Ich stelle einen Raum voll mit Bänken und schaue, wie viele Leute darin sitzen können.»INT.10 Das sei aber nicht die Basis für Lernen und Lehren. Die Raumzuteilung und -einrichtung müsse transparent, flexibel und fair ablaufen, auch bei Tagungen und Weiterbildungen, so die allgemeine Meinung unter den Befragten.
5.2 Services am CMU: Unentbehrlich für gelingende Lehre Die Interviewpartner*innen wünschen sich einen Service mit einer Dienstleistungsmentalität oder kleinere Organisationseinheiten, die enger mit den Lehrenden kooperieren: «Ich habe das Gefühl, man ist nicht Kunde im eigenen Gebäude, sondern ein Störfaktor.»INT.07 Eine andere Person fasst ihr Empfinden lapidar zusammen: «Im Prinzip sollst du als Lehrender keine besonderen Raumbedürfnisse haben. Das ist so ungefähr die Botschaft, die rüber kommt.»INT.10 Dabei richtet sich die Kritik nicht an einzelne Personen, sondern an das System, das bedürfnisgerechte Unterstützung eher erschwere als ermögliche. Zum Teil zeigen sich auch hier Informationslücken oder unklare Kommunikationswege innerhalb des CMU: «Man muss gewissermassen genau wissen, was man will, und wer dafür zuständig ist, dann kann man die richtige Hardware erhalten.»INT.06 Gerade während des Herbstsemesters 2020, das mit Hybrid Learning begann, war es vielen Lehrenden unklar, wo sie technische Materialien oder Unterstützung erhalten konnten. Als schwerfällig wird auch der Umgang mit Gebrauchsmaterial in den Seminarräumen wahrgenommen. Es gibt zwar einen Fundus an Flipcharts, Stellwänden und Moderationsmaterial, doch die lange Reservationsfrist macht das Angebot für die Lehre nutzlos, so die Erfahrung einer Interviewpartnerin. Wünsche nach besserer Ausstattung der Seminarräume seien nicht erhört worden. Ausdrücklich wird auf den Campus Brugg-Windisch verwiesen, wo es auf jedem Stockwerk Materialräume gebe. Dort kön30
nen Lehrende unkompliziert Stellwände, Flipcharts usw. ausleihen und nach der Lehrveranstaltung wieder zurückbringen. Allgemein nehmen die Lehrenden wenig Empfänglichkeit für besondere Aktivitäten in den öffentlichen Räumen, an den Wänden der Korridore oder in der Eingangshalle wahr. Ein Beispiel illustriert dies: «Die Studenten haben eine Kleidersammlung für Obdachlose gemacht, die sie im grossen Windfang aufstellen wollten. Sie durften das nicht, weil man vielleicht am Schluss hätte putzen müssen.»INT.04 Die Enttäuschung der Lehrenden ist in den Interviews spürbar: «Die Kultur am Campus Muttenz ist nicht unbedingt förderlich dafür, Neues auszuprobieren, weil das ja auch immer wieder mit einem Risiko verbunden ist.»INT.04 Zur Anschauung die Anekdote aus dem Lehralltag eines Dozierenden: «Ich wollte einmal einen Film zeigen im 2. Stock, da hat die Technik nicht funktioniert. In meiner Verzweiflung – also in Stresssituationen greift man auf alte Muster zurück: Ich bin zum Empfang gerannt. Die Kollegin dort meinte: ‹Lieber Mann, ich bin nicht mehr zuständig, und ich werde eher nichts machen, wofür ich nicht zuständig bin. Im Hörsaal findest du eine Telefonnummer, da kannst du anrufen.› Dann bin ich hoch gerannt. Die Telefonnummer habe ich gefunden, bin aber damit lediglich auf dem zentralen Anrufbeantworter der FHNW gelandet. Also, es sassen 60 Studenten da und haben sich dann tendenziell lustig gemacht. Das halte ich alles aus. Aber, dass es sich bei dieser Telefonnummer um jene der Zentrale handelt und erst noch das Band läuft, ist fragwürdig. Dann zeigst du kein zweites Mal einen Film. Das lässt du dann einfach bleiben und das ist schlichtweg schade.»INT.04
6 Konkrete Verbesserungsvorschläge und Gestaltungsspielräume
Allen Gesprächspartner*innen ist es ein Anliegen, konstruktiv an der Weiterentwicklung des CMU mitzuarbeiten. Viele machten sich Gedanken darüber, wie die Situation für gelingende Lehre verbessert werden kann. Die Vorschläge reichen von relativ einfachen Eingriffen bis zu umfassenderen Veränderungsprozessen. Im Folgenden werden diese Vorschläge zusammengefasst. Sie geben ausdrücklich die Sicht der Lehrenden wieder. Es geht uns nicht darum, Partikularinteressen aufzuzählen, sondern Erfahrungen zu teilen sowie Gestaltungsspielräume und Flexibilität für eine innovative und zukunftsfähige Hochschullehre zu ermöglichen.
Arbeitsorte • Mehr Arbeitsorte und Gruppenräume für Studierende schaffen, vor allem in der Nähe der Seminarräume • Zwischenräume im Gebäude zu informellen Treffpunkten umgestalten • Offene Lernbereiche gestalten • weniger starre Standards bei der Möblierung von Büros und Aufenthaltsräumen; nicht alles durchdesignen; alte Möbel und eigene Ideen der Studierenden zulassen
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Austausch • Geschlossene Türen zwischen Geschossen, Hochschulen und Instituten, zwischen Arbeitsräumen der Lehrenden und der Studierenden öffnen und Räume durchlässiger machen • Mehr hochschulübergreifende Anlässe wie Apéros organisieren • Möglichkeiten schaffen, um Arbeiten aus den Lehrveranstaltungen auszustellen, etwa in Korridoren, Cafeterias, im Windfang oder in der Eingangshalle • Übergänge zwischen Lehrveranstaltungsräumen und (halb)öffentlichen Zonen fliessender gestalten • Die Lounge im 12. Stock, die Dachterrasse, die Eingangshalle und den Vorplatz einladender gestalten und kuratieren, um diese Räume als Austauschorte zu stärken • Flexiblere und kurzfristigere Raumreservationen ermöglichen, um Reservationen auf Vorrat zu verhindern • Transparenz und durchgängige Information über organisatorische Abläufe und Möglichkeiten der flexiblen Raumzuteilung • Reaktivierung des Raumtools in der FHNW Campus Muttenz App
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Hörsäle
Seminarräume
Die technische Ausstattung am CMU wird grundsätzlich positiv bewertet. Im Gebrauch zeigen sich jedoch Möglichkeiten der Optimierung, insbesondere in den Hörsälen durch: • zusätzliche Adapter und Kabel • ein mobiles Stehpult für die Dozierenden, damit sie nicht hinter den Monitoren verschwinden • die Möglichkeit, anstelle von zwei Projektionen nur ein mittiges Bild zu projizieren • bessere Informationen über die technischen Möglichkeiten im Hörsaal • Vorinstallation für Hybrid Learning (fix installierte bewegliche Kamera, Mikrofon, Videokonferenztool)
• Seminarräume weniger dicht möblieren • mehr bewegliches Mobiliar wie Tische, Monitore, Stellwände, Flipcharts usw. für interaktive Lehre • zusätzliche Steckerleisten in den Seminarräumen, bessere Markierung der verdeckten Stromleisten im Boden • pro Institut zwei Räume, die in eigener Verantwortung für spezielle Bedürfnisse in der Lehre gestaltet und zugeteilt werden können • weniger Vorgaben für die Tischordnung in den Unterrichtsräumen • lokale Materialdepots oder -räume für Moderationsmaterial usw. in der Nähe der Lehrveranstaltungsräume
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7 Fazit
Insgesamt zeigt sich in den Gesprächen Ernüchterung über die mangelnde Gebrauchstauglichkeit eines Gebäudes, das architektonisch überzeugt und technisch viel bietet. So wurden etwa die Erwartungen nach grossen, flexiblen Lehrveranstaltungsräumen im CMU enttäuscht (wie auch in Kap. 3 ausführlich dargestellt). Eine andere Auskunftsperson drückt es folgendermassen aus: «Ich hätte mir gewünscht, dass die Studierenden mehr Daseinsberechtigung erhalten.»INT.04 In den Gesprächen wird ein Unbehagen im Umgang mit dem Gebäude deutlich, das ernstzunehmen ist. Im Fazit versuchen wir, dieses Unbehagen einzuordnen.
7.1 Der CMU: Kein Ort des Austausches Grundsätzlich wird dem Gebäude ein grosses Potenzial für den Austausch und die interdisziplinäre Zusammenarbeit attestiert: Die Glastrennwände zwischen den Seminarräuen und den Korridoren und die raumhohen Fenster zum Innenhof bieten Einblicke in andere Fachkulturen und Studienräume. Auch die Flexibilität der Studierenden habe sich im Vergleich zu den vorherigen Standorten vergrössert. Sie müssen sich in verschiedenen Räume bewegen und so «beweglich im Kopf»INT.03 bleiben. Dennoch hat sich die Hoffnung auf mehr Austausch nur teilweise erfüllt, sowohl innerhalb der Hochschulen als auch über die Hochschulgrenzen hinaus. Das Gebäude ist sehr gross, und die meisten Nutzer*innen zieht es nach dem Betreten direkt zu einem der vier Lifte. So wirkt es, als würde das Gebäude die Menschen verschlucken. Deshalb bauen manche Lehrenden bewusst längere Wege in ihren Arbeitsalltag ein, um Kolleg*innen aus ihrer Hochschule in anderen Gebäudeteilen oder auf anderen Stockwerken anzutreffen. Es gibt zwar etliche Begegnungszonen – in den ersten drei Stockwerken, im zwölften Stock und auch in den Instituten – aber dort passiert wenig. Das Gebäude ist so hochwertig und durchgestaltet, dass niemand es wagt, sich die Räume anzueignen. Auch mehr Begegnungen mit den Studierenden, «eine Community, ein Campus-Leben»INT.08 sind in den ersten drei Semestern nicht entstanden. Allerdings zeigt sich in den Interviews auch, dass die Institute und Professuren einen grossen Spielraum für die Ge34
staltung der Beziehung zwischen Lehrenden und Studierenden haben. In dieser Frage stellen sich die Institutskulturen in vielfältigen Ausprägungen dar. Ein Austausch über diese unterschiedlichen Kulturen würde die Lehrenden dabei unterstützen, die Möglichkeiten des Gebäudes auszuschöpfen.
7.2 Weniger Standardisierung, mehr Agilität Besonders deutlich wird das Bedürfnis nach flexiblen Räumen, die unterschiedliche Lern- und Lehrformen innerhalb derselben Veranstaltung zulassen. Dies erstaunt nicht, denn der Wechsel von geführten Inputs, Einzel- und Gruppenarbeiten sowie Diskussionen im Plenum gehört zur zeitgemässen Hochschullehre an der FHNW. Ebenso dringlich wird der Bedarf nach mehr Gruppenräumen und informellen Arbeitsorten für Studierende formuliert. Die Studierenden sollen nicht nur für Lehrveranstaltungen an den CMU kommen, sondern auch um zu lernen und zusammenzuarbeiten. Sehr deutlich ist der Wunsch nach mehr Autonomie in der Raumorganisation und Raumgestaltung. Besonders geschätzt werden Räume, die in der Verantwortung der einzelnen Institute, Professuren oder Hochschulen liegen. Beispiele dafür sind etwa die Werkstätten und Spezialräume der PH, die Ateliers des Instituts Architektur, der iRoom der HABG, ein Seminarraum des Instituts Geomatik, der «Multi space» der HSA oder die Labors der HLS. Es braucht mehr solche Räume und mehr Austausch unter den Hochschulen darüber, wie sie genutzt und verwaltet werden.
7.3 Für ein gutes Miteinander Eine wichtige Rolle für die gelingende innovative und zukunftsfähige Lehre spielt die enge Zusammenarbeit mit den CMU-Services und der Corporate IT mit dem technischen Support. Lehrende sind auf Services angewiesen, welche die Anforderungen der Lehre kennen und darauf eingehen können. Sie müssen über Ansprechpersonen, Prozesse und Rahmenbedingungen informiert und sich bewusst sein, dass nicht jeder Wunsch jederzeit erfüllt werden kann.
Sinnvoll wäre es, Servicemitarbeitende und Hochschulen / Institute respektive Professuren organisatorisch näher zueinander zu bringen, so dass gute Arbeitsbeziehungen und eine Teamkultur entwickelt werden können. Dasselbe gilt für den technischen Support vor Ort in den Lehrveranstaltungsräumen. Insgesamt zeigt sich bei den Lehrenden ein hoher Informations- und Kommunikationsbedarf: Wer ist wofür zuständig? Wie sind Abläufe und Prozesse geregelt? Was können Hochschulen und Institute selber organisieren? Welche Gestaltungsspielräume hat die Campus-Organisation in Muttenz, und was wird von der FHNW vorgegeben? Hier sind auch die Hochschulen und Institute respektive Professuren aufgefordert, ihre Informations- und Kommunikationswege zu überprüfen.
digitalen Lehre. Wie kann das Lernen in dieser Form räumlich abgebildet werden? Ein gutes Beispiel dafür sind die Ateliers des Instituts Architektur: Hier haben alle Studierenden einen eigenen festen Arbeitsplatz, der rund um die Uhr verfügbar ist. Die Ateliers sind gleichzeitig Lern-, Arbeits- und Begegungsort, sie ermöglichen den formellen ebenso wie den informellen Austausch und fördern die Selbstorganisation der Studierenden. In der Lounge im 12. Stock wurden im Sommer 2020 zusätzliche flexible Arbeitsplätze für Studierende geschaffen und rege genutzt. Solche Arbeitsmöglichkeiten nahe bei den Lehrveranstaltungsräumen, die für die Studierenden jederzeit zugänglich sind, werden in Zukunft wichtiger denn je. Bei der Suche nach weiteren Möglichkeiten für derartige Arbeitsplätze – und für alle weiteren Entwicklungen – sollten das Wissen und die Erfahrungen der Lehrenden unbedingt einbezogen werden.
7.4 Chancen für die Neugestaltung von Lehre und Raum Weitere Fragen tauchen in Zusammenhang mit dem Distance Learning und weiteren digitalen Formaten auf. Die Lehrenden sind sich einig, dass sich die Lehre nach der Pandemie weiter verändern wird. Das bietet viele Chancen, gerade für den CMU, dessen Raumreserven schon nach zwei Jahren ausgeschöpft sind. In den Interviews tauchen verschiedene Fragen für die Zukunft auf: Wann und wofür sollen die Studierenden künftig an die Hochschule kommen? Wenn die Wissensvermittlung vermehrt auf digitalen Kanälen stattfindet, werden die Studierenden eher für die Lernbegleitung, für Gruppenarbeiten oder den Peer-Austausch vor Ort sein. Dafür sind geeignete physische Räume notwendig. Daraus leitet sich auch die Frage ab, was mit den Hörsälen geschehen soll, wenn Vorlesungen häufiger in digitaler Form stattfinden. Wie können diese grossen Räume umgenutzt werden? Als hilfreich für das digitale Arbeiten haben sich in einigen Hochschulen und Fächern konstante kleine Lerngruppen erwiesen. Sie ermöglichen auch im digitalen Raum Vertrautheit und fördern die Interaktion. Gleichzeitig müssen die Hochschulen die Begleitung aller Studierenden sicherstellen – auch in Zeiten der 35
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8 Empfehlungen und Anregungen
Aus den Interviews, den Vorschlägen der Lehrenden und unserem Fazit lassen sich auf verschiedenen Ebenen Empfehlungen und Anregungen ableiten, welche die Lehre und die Zusammenarbeit am CMU stärken. Sie zeigen mögliche Wege und nächste Pro-
jekte auf, die am CMU oder in den einzelnen Hochschulen aufgegriffen und angepasst werden könnten. Sie formulieren, was geschehen könnte, geben jedoch kein Wie vor.
8.1 Allgemeine Empfehlungen • Hier wird die Sicht der Lehrenden dargestellt. Als nächster Schritt muss die Sicht der anderen Beteiligten im CMU, das heisst der Services und Studierenden, in den Blick genommen werden. • Jede Weiterentwicklung der Räume, Angebote oder Organisationsprozesse sollte partizipativ gestaltet werden und alle Beteiligten in ihrer Professionalität einbeziehen. • Die Hochschulen und alle Lehrenden müssen über Rahmenbedingungen, Prozesse und eigene Gestaltungsspielräume informiert sein. Es besteht ein hoher Klärungs- und Informationsbedarf. • Es braucht eine Antwort auf die Forderung, flexibel möblierte und nutzbare Räume zur Verfügung zu stellen. Dafür gibt es bereits verschiedene Vorschläge und Ideen. • Mit Pilotprojekten können Veränderungen unkompliziert initiiert und erprobt werden. • Eine Anlaufstelle für Veränderungswünsche könnte die Motivation der Lehrenden stärken und die Verbindung von CMU und Lehre sicherstellen. • Veränderungen müssen jetzt initiiert werden, da der CMU noch weitgehend leersteht.
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8.2 Anregungen, ...
… die Gestaltungsspielräume für eine innovative und zukunftsfähige Lehre eröffnen • Hörsäle angemessener für Präsenzlehre, Hybrid Learning und weitere digitale Formate ausstatten (s. Kap. 6) • Anzahl Tische und Stühle in den Seminarräumen reduzieren, um Bewegungsräume für Lehrende, Studierende und Mobiliar zu schaffen • Fixe Vorgaben und Standards für die Möblierung der Seminarräume reduzieren • Korridore nutzbar machen für Lernen und Lehren (Gruppenräume und Arbeitsplätze für Studierende) • Digitalisierung nutzen, um Räume am CMU freizuspielen und flexibler zu nutzen • Die Angebote der Fachstelle Digitales Lehren und Lernen der FHNW bekannt machen (s. www.digitallernen.ch) • Breiter über die «Plattform Lehre» informieren, die eine Liste flexibler Räume an allen Standorten der FHNW zur Verfügung stellt. Weitere Räume am CMU in die Liste aufnehmen (vgl. https://welcome.inside.fhnw.ch/ hsle2025/Seiten/Raeume.aspx)
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… die organisationale Prozesse weiterentwickeln
… die räumliche Anpassungen initiieren
• «Ermöglichen» und «Zusammenarbeit» als übergeordnete Devise etablieren • Austausch zwischen Hochschulen und mit dem CMU über räumliche Fragen stärken, um sich gegenseitig zu unterstützen, das heisst Räume teilen, sich gegenseitig beraten usw. • Austausch zwischen Mitarbeitenden der Services und Lehrenden stärken, Zusammenarbeit fördern, Zufriedenheit auf beiden Seiten verbessern • Services näher an Hochschulen und Institute respektive Professuren anbinden und überschaubare Organisationseinheiten schaffen • Den Hochschulen über die Spezialräume hinaus ein Kontingent an frei gestaltbaren Lehrveranstaltungsräumen zur Verfügung stellen • ein Austauschforum aufbauen, in dem die Hochschulen ihre Erfahrungen mit diesen Räume teilen können
• Vorhangkojen im 3. Stock besser nutzbar machen bezüglich Akustik und Bedienbarkeit und gelungene Nutzungen aufzeigen • Anzahl Hörsäle reduzieren und Anpassungen für neue Nutzungen überlegen • Korridore und Zwischenräume für Lehre und Lernen nutzbar machen • Ausstattung und Gebrauchsmaterial näher zu den Seminarräumen bringen, beispielsweise durch die Schaffung von Materialdepots • Durchlässigkeit auf und zwischen den Geschossen erhöhen
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9 Szenarien
Mit drei Szenarien zeigen wir auf, wie die Anregungen aus Kapitel 8 sich ganz konkret auf die Lehre und auf den Arbeitsalltag der Lehrenden auswirken. Das erste Szenario kommt mit wenigen Eingriffen in das bestehende Raumangebot aus und zeigt eindrücklich, dass kleine Veränderungen viel
bewirken. Das zweite Szenario beschreibt eine veränderte Kultur der Zusammenarbeit. Das dritte Szenario wagt bauliche Eingriffe. Die drei Szenarien schliessen einander nicht aus, im Gegenteil: Sie lassen sich auf vielfältige Weise kombinieren und ergänzen einander.
9.1 Szenario Gestaltungsspielräume Aylin lehrt ein technisches Grundlagenfach am CMU. Ihre Lehrveranstaltung findet wöchentlich mit allen Studierenden eines Jahrgangs statt. Im ersten Jahr verbringt sie jeweils einen ganzen Tag von 9 bis 18 Uhr mit dem ganzen Jahrgang in ihrem Seminarraum. Wenn sie ihn am Morgen betritt, weiss sie nicht, was sie genau vorfinden wird: Wer immer vor ihr im Raum war, hat ihn nach eigenen Bedürfnissen eingerichtet. Für Aylin ist das kein Problem, im Gegenteil! Immer wieder ist sie angeregt, mit den neuen Formen zu experimentieren, die sie vorfindet. Manchmal nimmt sie die Spuren der vorherigen Gruppe zum Anlass, mit ihren Studierenden zu diskutieren: Was ist in diesem Raum passiert? Welche Fragen tauchen für uns auf? Es kam auch schon vor, dass sie die Person ausfindig gemacht hat, die vor ihr im Seminarraum war, um sich über didaktische Fragen auszutauschen. Diese Gespräche schätzt Aylin sehr. In der Regel richten die Studierenden den Raum gleich selber ein, wenn sie am Morgen eintreffen. Das funktioniert auch mit einer grossen Gruppe von 50 Personen reibungslos, denn die Studierenden wissen inzwischen, wie es bei Aylin läuft: Die Tische sind schnell zusammengestellt, der grosse Bildschirm lässt sich an den Ort ziehen, wo die Dozentin ihn braucht. Meist steigt Aylin mit einer einführenden Frage ein und sammelt mit den Studierenden erste Antworten. Danach folgt ein längerer Input,
der durch Übungen ergänzt wird. Manchmal sind es Einzelarbeiten, manchmal arbeiten die Studierenden in Zweiergruppen. Alle haben ihr Laptop dabei und können ihre Ergebnisse auf dem grossen Bildschirm teilen. Für längere Gruppenarbeiten kann es sein, dass die Studierenden den Raum wieder umstellen. Manchmal arbeiten sie stehend an den mobilen Whiteboards. Manche Gruppen benötigen mehr Rückzugsraum und suchen sich einen Platz auf dem Korridor, auf den Bänken vor den Schliessfächern oder in einem benachbarten Seminarraum. Die stehen öfter leer, weil seit Corona viel mehr Lernstoff online vermittelt wird als früher. Im 12. Stock verschwinden die Gruppen manchmal in der Lounge. Aylin hat mit den Studierenden klare Vereinbarungen, wie weit sie sich vom Seminarraum entfernen sollen. Mit solchen Vereinbarungen hat sie gute Erfahrungen gemacht. Zurück im Plenum präsentieren die Studierenden ihre Resultate, entweder am Whiteboard oder immer häufiger auf der digitalen Pinnwand, mit der Aylin im Distance Learning oft gearbeitet hat. Inzwischen schätzt sie das Blended Learning in der Präsenzlehre: Warum auch nicht? Es haben ja sowieso alle ihren Laptop dabei!
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9.2 Szenario Kulturwandel Nikola lehrt ein naturwissenschaftliches Fach. Er ist es gewohnt, in den grossen Hörsälen mit fast 100 Studierenden zu lehren. Dort ist technisch vieles möglich, und die Akustik ist gut. Aber inzwischen baut Nikola häufiger interaktive Formen und Gruppenarbeiten in seiner Lehre ein. Deshalb wendet er sich in der Vorbereitung seiner Lehrveranstaltungen gerne an Barbara, die zuständige Mitarbeiterin bei den Services. Sie kennt Nikolas Situation in der Lehre und hat eine gute Vorstellung davon, welche Räume für ihn in Frage kommen. Weil sie selber gerne im Gebäude unterwegs ist, kennt sie jeden Raum aus persönlicher Erfahrung und freut sich, wenn sie den Lehrenden das Passende organisieren kann. Auf der anderen Seite weiss Nikola, wie komplex Barbaras Alltag mit den vielen Raumanfragen ist. Deshalb meldet er sich möglichst früh, wenn er einen zweiten Raum benötigt. Meist ist das unkompliziert, auch wenn Barbara nur zwei Wochen Vorlaufzeit hat. Es kommt vor, dass Nikola seine Veranstaltung hybrid durchführt. Dann ist er oft dankbar für den technischen Support und die komptetente Beratung, die er erhält; nicht nur wie eine Kamera funktioniert, sondern auch, welche Ausstattung oder Einstellung am besten zu dem passt, was Nikola machen will.
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Wenn externe Referent*innen zugeschaltet werden, muss alles funktionieren. Nikola hat schon einige Pannen erlebt. Der technische Support war jedesmal sofort zur Stelle und konnte das Problem beheben. In den regelmässigen Austauschtreffen, an denen Lehrende aus allen Hochschulen und Mitarbeitende der Services teilnehmen, teilt Nikola seine Erfahrungen und bringt die Anliegen seiner Hochschule ein. An diesen Treffen hat er schon viel Interessantes erfahren, zum Beispiel von Spezialräumen an anderen Hochschulen, die er hin und wieder nutzen kann. Die neuen Informationen gibt er an die Kolleg*innen seiner Hochschule weiter. So ist ein starkes Netz inner halb des CMU entstanden. Nikola schätzt diese Treffen, weil er dort viel über die Praxis in anderen Fachbereichen und im Gebäude erfährt. Er realisiert jetzt viel deutlicher als früher, dass er an einem Campus mit vielen verschiedenen Disziplinen arbeitet.
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9.3 Szenario räumliche Anpassungen Ana und Tim organisieren jedes Frühlingssemester ein zweiwöchiges interdisziplinäres Blockseminar. Es sind intensive Wochen, in denen in ganz unterschiedlichen Lehrformen gearbeitet wird. Zum Einstieg laden die beiden jeweils eine Forumstheatergruppe ein, die stark mit dem Publikum interagiert. Dafür ist der ehemalige Hörsaal, der zum Theaterraum mit Bühne umgebaut wurde, ideal: Er schafft eine festliche Atmosphäre, die gut zu einer Kulturveranstaltung passt. An den folgenden Tagen finden im Wechsel Inputs und Gruppenarbeiten in verschiedensten Konstellationen und Gruppengrössen statt. Dafür haben Ana und Tim drei Räume reserviert, die sich einfach umbauen lassen, und in denen verschiedene Formen Platz finden. Im Theatersaal arbeiten Gruppen, die bestimmte Themen oder Arbeitsergebnisse inszenieren. An manchen Abenden schauen alle Teilnehmenden des Blockseminars gemeinsam einen Film, der am Folgetag analysiert und reflektiert wird. Auch Keynote-Referate werden im Theatersaal gehalten. In einem grossen Seminarraum finden Diskussionen im Plenum statt, und auch die Phasen stillen Arbeitens erhalten dort einen angemessenen Rahmen.
Das Blockseminar mündet am Ende in ein kleines Symposium, an dem die Ergebnisse aller Gruppen aus den zwei Wochen zusammengetragen, präsentiert und diskutiert werden. Dieses Symposium findet in einem der grossen Vorhangräume statt, deren Akustik verbessert wurde, ohne ihre Grösse einzuschränken. Vorträge und Podiumsgespräch, Open Space und Workshop, Ausstellungen und unterschiedliche Gesprächsformate sind hier möglich. In den Pausen und für längere Arbeitsphasen in kleineren Gruppen bewegen sich die Teilnehmenden frei im Gebäude: Auf allen Geschossen gibt es informelle und einladende Begegnungszonen. Der Platz vor dem Gebäude bietet lauschige Schattenplätze und Verpflegung an zwei Foodtrucks; man hält sich gerne draussen auf und dreht noch eine Runde im Park. Ana und Tim sind begeistert von den tollen Möglichkeiten, die Ergebnisse des Blockseminars im Atrium oder in der Eingangshalle zu zeigen. So sind schon viele Gespräche mit anderen Lehrenden entstanden. Nächstes Jahr planen die beiden eine Kooperation mit einer anderen Hochschule.
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10 Fussnoten, Bildnachweis
Fussnoten 1 vgl. www.digitallernen.ch/methoden/lehr-lernszenarien 2 https://welcome.inside.fhnw.ch/hsle2025/Seiten/Raeume.aspx (aufgerufen am 24.2.2021) 3 https://www.fhnw.ch/de/weiterbildung/paedagogik/nach-format/programme/angebote/cas-hochschullehre (aufgerufen am 24.2.2021) 4 Der Begriff – auch «inverted classroom» – kann entsprechend übersetzt werden als «umgekehrter Unterricht», in dem Stoffvermittlung, die herkömmlich vor Ort an der Hochschule erfolgt und Stoffaneignung, die bislang zu Hause geschah, vertauscht werden. 5 Für die Klärung der im Bericht verwendeten Begriffe Distance Learning, Hybrid Learning und Blended Learning s. www.digitallernen.ch/methoden/lehr-lernszenarien 6 Die medienpädagogische Forschung lehnt dies sogar ausdrücklich ab.
Bildnachweis Umschlag Vorderseite: Julian Salinas Rückseite: Zeljko Gataric Inhalt Tom Bisig: Seiten 8, 9, 14, 15, 16, 17 oben, 31, 37 Zeljko Gataric: Seiten 4, 6, 10, 12, 32, 33 links Anja Müller: Seiten 22, 23 Sybil Weishaupt (Collagen): Seiten 40, 43, 44
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Kontakt Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik FHNW Institut Architektur Prof. Christina Schumacher Campus Muttenz Hofackerstrasse 30 4132 Muttenz T +41 61 228 54 73 christina.schumacher@fhnw.ch www.fhnw.ch © März 2021 48
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