Masterstudiengang Architektur Essaysammlung Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2014
Standardisierung: Ökonomischer Zwang oder Mittel zur Gestaltungsfindung
Masterstudiengang Architektur Essaysammlung Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2014
Standardisierung: Ökonomischer Zwang oder Mittel zur Gestaltungsfindung
Titelbild: Konrad Wachsmann, Testproduktion Flugzeughangars der US Air Force, 1955
Vertiefungsarbeit Frühjahrsemester 2013 Luzern, 24.06.2013 Verfasser: Hauri, Daniel Speicherstrasse 24 A 8500 Frauenfeld Masterstudiengang Architektur
Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2014 Dozenten: Dufner, Oliver Technik und Architektur Departement Plagaro Cowee, Natalie Korrektur Orthografie: Dr. Oliver Dufner Modulverantwortung: Stutz, Max
Dozierende: Dr. Oliver Dufner
Abstract Die vorliegende Vertiefungsarbeit befasst sich mit dem Phänomen der Ambiguität in der Architektur der Phillip Exeter Library von Louis Kahn. Literarische Basis bildet die fundierte Auseinandersetzung mit Robert Venturis Manifest „Komplexität und Widerspruch in der Architektur“ und
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Inhalt Vorwort
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Das Phänomen der Monotonie Überlagerung bei industriell gerfertigten Bauteilen Yannik Keller
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Typengrundrisse im Wohnungsbau Frankfurter Typengrundrisse in den Siedlungen Neubühl, Zürich und Eglisee / Schorenmatten, Basel Rahel Niffeler
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Filigrane Herrlichkeit Die hyperbolischen Gittertürme Vladimir Grivor‘evic Šuchov
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Christiane Prieth Honegger frères Typologische und konstruktive Rationalität Marius Rinderknecht
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Themenübersicht der weiteren Arbeiten
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Vorwort Es ist unbestritten, dass das entwerferische Handeln von Architekten und Architektinnen neben der eigenen Intuition hauptsächlich durch die Beschäftigung mit dem bereits Vorhandenen, sei dies der Lektüre der gebauten Realität oder die Auseinandersetzung mit theoretischen Texten genährt wird. Dieser Sachverhalt dient zur Erweiterung des Wissens und vor allem dazu das eigene Handeln als Architekt kritisch zu reflektieren und die eigene Haltung zu verorten. Um die beschriebene Mechanik zu erlernen und das Repertoire an theoretischem Wissen zu erweitern, wird Im Rahmen des Masterstudiengangs Architektur an der Hochschule Luzern neben der Schulung der entwerferischen Kompetenz der Studierenden ein besonderer Wert auf die Vermittlung von Architekturtheorie gelegt. Dieses Wissen in Form eines Textes zu vertiefen und anzuwenden erlernen die Studierenden im Rahmen der in jedem Semester zu verfassenden Vertiefungsarbeit. Dabei widmen sie sich innerhalb eines definierten Themenfeldes in Form eines essayartigen, wissenschaftsähnlichen Textes einem selbst erarbeiteten Thema. Durch die selbstständige Lektüre und Recherche sowie die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schreiben – um den Titel eines Aufsatzes von Heinrich von Kleist zu paraphrasieren – entsteht Schritt für Schritt ein themenrelevanter Beitrag der für die Studierenden ein Mosaikstein auf dem Weg zu einem breiten Wissen über Architektur und dessen theoretischem Hintergrund darstellt. Um die Verbindlichkeit der Beiträge zu erhöhen wurden die Arbeiten dieses Semesters innerhalb des Themenfeldes `Standardisierung: `Ökonomischer Zwang oder Mittel zur Gestaltfindung` situiert. Bereits weit vor der Industrialisierung war die architektonische Produktion geprägt durch die Diskussion, inwieweit sich ein technischer oder funktionaler Parameter dahingehend verallgemeinern lässt, dass daraus ein Standard (nach Duden: etwas, was als mustergültig, modellhaft angesehen wird und wonach sich anderes richtet; Richtschnur, Massstab, Norm) wird. Diese Fragestellung gewann im Zuge der zunehmenden Ökonomisierung und Globalisierung im 20. Jahrhundert eine zusätzliche Bedeutung. Durch die Möglichkeit auf der Basis erprobter und in Serie herstellbarer Entitäten ein architektonisches Ganzes zu schaffen schien die Standardisierung in einem technikgläubigen Umfeld zwischenzeitlich zum beherrschenden Faktor der Bauproduktion zu werden. Dieser Entwicklung waren aus ökonomischen wie kulturellen Gründen immer auch Grenzen gesetzt, das Thema blieb aber bis heute aktuell und offeriert gerade im Hinblick auf künftige Entwicklungen ein Potential. 4
Uns hat, neben den technisch-konstruktiven Aspekten, auch die kulturelle Bedeutung der Standardisierung im Zusammenhang mit der Architekturproduktion interessiert. Was sind die Grenzen des Standards, wo die technische Innovation zur Stereotypie wird? Wie lässt sich ein rational geprägter Fertigungsprozess mit der Intuition des Entwerfenden verbinden? Wir gliederten das Semester in drei Abschnitte: In einem ersten Teil erarbeiteten wir uns durch die Lektüre und gemeinsame Diskussion von Texten verschiedener Autoren einen Überblick sowie ein Vokabular um Aspekte der Standardisierung zu verstehen, einzugrenzen, und für die eigene Argumentation nutzbar zu machen. Im Anschluss daran wurde dieses Wissen als Grundlage für eine eigenständige Auseinandersetzung mit einem selbst gewählten Aspekt zum Thema genutzt und in Form von Vorträgen präsentiert. In einer dritten Phase wurden die formulierten Thesen weiter verfeinert und als Textarbeit in eine verbindliche Form gebracht. Uns interessierte besonders wie die Standardisierung das Entwerfen beeinflusst und welchen Einfluss der Dualismus von ökonomisch perfektionierter Produktion und intuitiver Entscheidungsfindung des Architekten auf das Gebaute hat. Die nun in diesem Reader vorliegenden Textbeiträge – sie stellen aus Platzgründen nur einen Auszug aus den im Kurs erarbeiteten Beiträgen dar – spannen eine Breite an Themen auf und agieren methodisch auf ganz unterschiedliche Weise. Alle Beiträge verbindet ein Interesse daran, die Standardisierung nicht nur als historisches Phänomen zu verstehen, sondern auch im Hinblick auf die Aktualität als entwerferisches Werkzeug zu befragen. Oliver Dufner / Dieter Geissbühler Im Juli 2014
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Studierende Michael Baumann / Urban Blass / Anna Ernstsone / Tobias Haefelin / Daniel Heiler / Yannik Keller / Fabienne Maritz / Rahel Niffeler / Sarah Nussbaumer / Peter Osterwalder / Christiane Prieth / Marius Rinderknecht / Lucas Sager / Valentino Sandri / Daniel Scheuber / Claudio Spielhofer Vorträge Marko Sauer, Architekt MSc, Architekturjournalist `Schreiben als Handwerk` Dr. Andreas Buss, Architekt, Zürich, `Jean Prouvé` Dr. Jürg Graser; Architekt, Zürich, `Fritz Haller` Fabian Furter, lic. phil I, Baden, `Göhner Wohnen` Gastkritiker Schlusskritik Dr. Christoph Wieser, Architekturtheoretiker / dipl. Arch. ETH Seminar 1 Gropius, Walter (1914). Der stillbildende Wert industrieller Bauformen. In: Der Verkehr. Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1914, Jena: Eugen Diedrichs, 1914, (S. 267-270) Steinmann, Martin (1979). CIAM Programm des 1 Kongresses. In: CIAM: Dokumente 1928 - 1939 (Diss.) Birkhäuser, Basel 1979 Steinmann, Martin (1979). Herbert Boehm, Eugen Kaufmann, `Untersuchung der Gesamtbaukosten zwei - bis zwölfgeschossiger Bauweisen` In: CIAM: Dokumente 1928 - 1939 (Diss.) Birkhäuser, Basel 1979 Teut, Anna (1985). Von Typen und Normen, Massregelern und Massregelungen. In: Architektur und technisches Denken, Daidalos Nr. 18, 1985 (S. 52-63) Menz, Sacha (2011). Der Versuch, die Lücke zu schliessen. Über die Vorfertigung im Bauprozess - Von der Teilfertigung zum Ganzen. In: Werk, Bauen + Wohnen, 2011.1/2 (S. 4-11) Seminar 2 Giedeon, Siegfried (1956). Architektur und Industrie. In: (Das) Werk, 1956/10 6
Herbert, Gilbert (1984). The Dream of the Factory-Made House, In: Dream of the Factory-Made House: Walter Gropius and Konrad Wachsmann. The MIT Press, Cambridge/Mass 1985 Huber, Benedikt & Steinegger, Jean-Claude (1971). Jean Prouve. Das Metall, Einführung In: Une architecture par l'industrie, Architektur aus der Fabrik, Industrial Architecture. Zürich, Artemis, 1971 (S. 8-26) Bruno Reichlin, Maison du Clichy: ein Meisterwerk des synthetischen Funktionalismus? In: Architektur und technisches Denken, Daidalos Nr. 18, 1985 (S. 88-99) Seminar 3 Roth, Alfred (1948). Rationelles Bauen, In: (Das) Werk, 1948/7 Wachsmann, Konrad (1959). Einfluss der Industrialisierung, In: Wendepunkt im Bauen. Krausskopf Verlag, Wiesbaden 1959 (S. 49-55) Haller, Fritz (1962). Allgemeine Lösungen in der Bautechnik, In: Bauen + Wohnen, Nr.11, 1962, (S.456-475) Graser, Jürg (2011). Keine Angst vor der Regel. Über die Vorfertigung im Bauprozess - Von der Teilfertigung zum Ganzen. In: Werk, Bauen + Wohnen, 2011.1/2 (S. 12-17) Seminar 4 Kühn, Christian (1998). Maschinelle (Ir)rationalität. In: Archithese, 1998/1 (S. 22-27) Knopp, Susanne & Wassmer, Markus (1998). Der Reiz des Rationellen. In: Werk, Bauen + Wohnen, 2011.1/2 (S. 26-56) Furter, Fabian (2013). Wohnraum aus dem Baukasten. In: Göhner wohnen : Wachstumseuphorie und Plattenbau. Hier + Jetzt, Baden (S. 37-43) Paul, Rudolph (1971). The Nature of Prefabricated Design. In: Japan Architect 1971/46 (S. 106-107) Kurokawa, Kisho (1969). Kapsel Erklärung. In: Vittorio Magnago Lampugnani, Ruth Hanisch, Ulrich Maximilian Schumann, Wolfgang Sonne (Hrsg.), Architekturtheorie 20. Jahrhundert Positionen, Programme, Manifeste, 2004 (S 237238). Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Verlag 7
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Das Phänomen der Monotonie
Ăœberlagerungen bei industriell gefertigten Bauteilen Yannik Keller
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemster 2014 Horw, 03.06.2014 Verfasser: Yannik Keller Efeuweg 8 4103 Bottmingen Dozenten: Dieter Geissbühler Oliver Dufner Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik Architektur
Abstract Der vorliegende Essay befasst sich mit dem Phänomen der Monotonie. Die rasante Entwicklung der Bauindustrie in der Nachkriegszeit führte auf der einen Seite zu sozialem und gesellschaftlichem Fortschritt sowie zur Qualitätssteigerung des modernen Alltags. Auf der anderen Seite entwickelten sich jedoch Massenfertigung und Maschinenästhetik. Die Entkoppelung von kulturellen Einflüssen zeitigte Bauteile, welche zwar ökonomisch und effizient gefertigt waren, jedoch keinerlei Charakter und keine kulturelle Verwurzelung aufwiesen. Diese Umstände führten zur Kritik, zuerst bei einigen Architekten, danach bei der breiten Bevölkerung. Im Hauptteil wird das Phänomen der Monotonie zuerst konkretisiert, danach kommen zwei Kritiker mit ihrer Haltung gegenüber der Standardisierung zu Wort, bevor anschliessend deren innovative Lösungen mit dem Umgang des Problems geschildert werden. Dadurch soll aufgezeigt werden, wie in Zukunft die Vorteile der industriellen Vorfertigung mit der Berücksichtigung von kulturellen Werten in einem Bauteil gekoppelt werden können. Diese Arbeit stellt im letzten Abschnitt fest, dass die Rolle des Entwerfers, des Architekten, eng mit der des Produzierenden, der Industrie, verknüpft werden sollte. Arbeiten diese zwei Parteien Hand in Hand, bekommen industriell gefertigte Bauteile plötzlich das Attribut Individualität, was bisher nur handwerklich erzeugten Produkten vorbehalten war.
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Vorwort – Motivation Zweimal in der Woche jogge ich entlang eines idyllischen Flusses in Frankreich, nahe der Grenze zu Basel. Bei einem Puls von ca. 170 Schlägen pro Minute fange ich an, meine Umgebung verzerrt wahrzunehmen. Schilf, Flieder, Haselnusssträucher, Eichenbäume, Trauerweiden, aber auch den Geruch von Erde, das Wechseln des Bodenbelages und die Veränderungen des Wetters wie Hagel oder Sonnenschein – eine so unendliche Vielfältigkeit bietet mir die Natur hier. Mir schiessen Tausende von Gedanken durch den Kopf, die Ideen sprudeln nur so. Doch kaum bin ich wieder in der bebauten Umwelt zurück, vorbeigelaufen an unzähligen Industriehallen und Hochhausquartieren aus der Nachkriegszeit, schwinden meine Gedanken und Ideen allmählich dahin. Doch woher kommt das? Beim genaueren Betrachten der Gebäude fällt mir deren im Vergleich zur inspirierenden Joggingrunde trostlose Gestalt ins Auge. Die Oberflächen der Gebäude sind ungestaltet, kühl, anonym und inspirationslos. Dieser Umstand bewog mich dazu, in meiner Vertiefungsarbeit zum Thema Standardisierung diesen Eindrücken nachzugehen.
Das Phänomen der Monotonie
Yannik Keller
Abb. 1. Joggingrunde in der Petite Camargue (Aufnahme 2013)
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Einleitung
Mit dem Ersten Weltkrieg begann die rasende Moderne. Es gab während des Krieges keinen moderneren Ort als die Westfront. Da ist alles in Massen produziert, da ist alles standardisiert, da sind alle Menschen Nummern und Zahlen, das heisst: Da ist die Individualität eigentlich zerstört. Durch die Industrialisierung wurde der Verlust der Individualität zusätzlich verschärft. Heute wissen wir, dass dieser Industrialisierung des Bauwesens, der Euphorie des Standardisierens, Grenzen gesetzt sind, denn sie stösst in der Gesellschaft nicht nur auf Kritik, sondern auch auf Ablehnung – bis heute. Prinzipiell ist die Standardisierung des Bauwesens jedoch als Fortschritt der Technik zu verstehen. Die Hauptargumente für die schnellen, zeitsparenden und bei genügend grossen Stückzahlen auch ökonomisch vorteilhaften Faktoren liegen auf der Hand.1 Gerade nach dem Zweiten Weltkrieg, als billig und schnell gebaut werden musste, blieben weniger bedeutende Kriterien wie die Bezüge zu dem Kontext, die Überlieferung der Geschichte, der Bautraditionen oder eben der Individualisierung auf der Strecke. Noch heute assoziiert man mit dem Begriff der Standardisierung das Bild der Plattenbauten der 60er und 70er Jahre in ganz Europa. Doch was haben wir aus dieser Kritik, aus diesen trostlosen, toten und ungestalteten Bauelementen, gelernt? Sind aus der Monotonie innovative Lösungen entstanden? Interessant ist dabei, wie sich die Architekten in Bezug auf dieses aufgezwungene Diktat der Bauindustrie, welche durch die ökonomischen Erfolge grossen Einfluss innehatte, verhalten haben. Noch viel spannender ist die Frage, was sie aus dieser Kritik hervorgebracht haben. In den Lektüreseminaren zu den Texten von Siegfried Giedion2 kristallisierte sich am Ende der Präsentation meiner Kommilitonen die Frage heraus, ob es den Architekten, angesichts der Industrialisierung der Architektur, überhaupt noch braucht? Jetzt, wo die Bauindustrie alle Bauteile zur Verfügung stellt und sich der Bauherr aus dem Katalog die einzelnen Produkte aussuchen kann. Diese Frage stimmt einen nachdenklich. Mit Hilfe der Untersuchungen, der Analyse der Siedlung Les Bleuets und der Bibliothek in Eberswalde, wird dieser Frage auf den Grund gegangen.
1
vgl. Rationelles Bauen mit Fertigteilen, Institut für Bauforschung, 1993, S.2
2
vgl. A rchitekt und Industrie, Werk, 1956, S.305
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Um der Vertiefungsarbeit einen Rahmen zu setzen, wird der Schwerpunkt speziell auf zwei Bauteile gesetzt, welche näher untersucht werden. Der Fokus wird dabei auf die äusseren Bauteile, sprich die Betonbänder in der Siedlung Les Bleuets sowie den Beton und Glaselementen der Bibliothek in Eberswalde gelenkt. Das Ziel ist es dabei, aufzuzeigen, dass durch einen ergänzenden Prozess, sei er nun handwerklich, semiindustriell oder indus-
triell, ein Bauteil mit den fehlenden Merkmalen aufgeladen werden kann. Die Bauteile erhalten durch diese Überlagerung erst einen Charakter und vermögen so, zu Architektur zu werden. Mit Hilfe der zwei Beispiele, wird aufgezeigt, welches Potenzial in einem solch transformierten Bauteil steckt und wie man die Sackgasse der Monotonie so umgehen kann. Aus diesem Ansatz folgt: Was bewirken Überlagerungen und Transformationen bei industriell gefertigten Beton- und Glaselementen? Zuerst wird das Phänomen der Monotonie beschrieben, danach zwei verschiedene Haltungen zweier Architekten zur Standardisierung erläutert, um schliesslich auf deren innovative Lösungen zu verweisen. Dabei wird der semiindustrielle Prozess des Siebdrucks näher beschrieben um auf die Frage des heutigen Ornaments einzugehen. Anschliessend wird in einem Schlussteil die dargelegten Fakten erläutert und einen Ausblick auf die aktuelle Position der Bauindustrie gegeben.
Abb. 2. Neubaugebiet Halle Neustadt, Siedlungen aus grossen Betonfertigteilen. (Aufnahme 1967)
Das Phänomen der Monotonie
Yannik Keller
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Der Begriff Monotonie
2.1
Begriffserklärung
Das Wort bedeutet nach Duden Gleichförmigkeit oder Eintönigkeit. Synonyme sind Einerlei, Einförmigkeit, Gleichmässigkeit, Langeweile, Langweiligkeit, Mangel an Abwechslung, Stumpfsinnigkeit, Fadheit, Trott, Uniformität. „Schon das Bei-sich-Tragen einer geraden Linie müsste zumindest moralisch verboten werden. Das Lineal ist das Symbol des neuen Analphabetentums ... Vor nicht allzu langer Zeit war der Besitz der geraden Linien ein Privileg der Könige und der Gescheiten. Heute besitzt jeder Depp Millionen von geraden Linien in der Hosentasche.“ 3 Schon 1958 kritisierte der Maler Hundertwasser die industrielle Vorfertigung. Die Maschinenästhetik, das Industrieprodukt, war in seinen Augen zur Monotonie verkommen. Er forderte in seinem Buch VerschimmlungsManifest gegen den Rationalismus in der Architektur, sich zurück auf die Natur zu besinnen. Denn Natur und Handwerkskunst garantieren immer eine leichte Unregelmässigkeit, welche nicht zur Monotonie, zur Stereotypie führen kann. Treffend formulierte Hundertwasser in seinem Werk: „Was die Natur in kleinen Dosen als Ausnahme bereitgehalten hat, haben wir in nur wenigen Jahrzehnten zum Normalfall unserer visuellen Umwelt gemacht.“4 So wurde das Unkonventionelle zum Konventionellen, das faszinierende Unikat zur trostlosen Massenware. 2.2 Das Phänomen der Monotonie
3
vgl. Verschimmelungs-Manifest gegen den Rationalismus in der Architektur, 1958, Hundertwasser
4
vgl. Verschimmelungs-Manifest gegen den Rationalismus in der Architektur, 1958, Hundertwasser
5
vgl. Monotonie und Sentiment, 1977, Stanislaus von Moos, S.5
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Die Monotonie sollte jedoch nicht so wertend, sondern mehr als ein Phänomen betrachtet werden. Zudem ist zu erwähnen, dass in Bezug auf die Monotonie in dieser Arbeit immer von den hochentwickelten westlichen Gebieten der Erde gesprochen wird, da diese auch direkt von der industriellen Massenfertigung betroffen sind. Doch die Monotonie kann auch als sozialer und gesellschaftlicher Fortschritt betrachtet werden, als Verkörperung von Helle, Sauberkeit und Effizienz, also als vermeintliche Qualitätssteigerung des modernen Alltags. Die assoziierten Bauten in unseren Stadtgebieten und Agglomerationsräumen, die wir als architektonisch wertlos einstufen, besitzen erstaunlicherweise trotzdem in vielerlei Hinsicht eine Verbesserung der Wohn-, Aufenthalts- und Lebensqualitäten der Benutzer.5 Doch ist die Kritik des Malers Hundertwasser, welcher eine Bedrohung des Lebendigen durch die Entseelung der Umwelt äussert, auch ver-
ständlich. Eigentlich kann überall, wo technische Eingriffe vorliegen, diese Kritik angebracht werden. Die These, dass die technische und industrielle Fertigung zur Monotonie führt, dass dabei keine Vielfalt, kein Leben, keine Individualität möglich ist, ist als Ausgangslage der Untersuchung sehr interessant und spannend. Wenn wir heute zurückschauen, gab es durchaus eine Gefahr der Industrialisierung der Architektur, und auch heute noch besteht diese Gefahr. Um sich dieser These zu nähern, ist jedoch die Position und Haltung der Architekten zu erläutern. Anhand der Beispiele der Siedlung Les Bleuets aus den 1960er Jahren und der Bibliothek Eberswalde aus dem Jahr 1998 werden diese Haltungen gegenüber der Vorfabrikation besonders deutlich. Zum einen brechen die Architekten aus den üblichen Normierungen aus. Sie sind nicht interessiert an dem Standardprodukt, sondern suchen das Spezifische, Neue und Innovative. Ihre Entwürfe entstammen jedoch nicht dem Tabula-rasa-Prinzip, sondern sind aus der Architekturgeschichte abgeleitet, aus bereits erbrachten Handwerkerleistungen, dem Ort und dem Kontext. Sie versuchen, all dies in ihr Schaffen zu integrieren. Darin liegt denn auch die Herausforderung, welcher sich die Architekten dazumal stellten, als sie den Gegenweg einschlugen und nicht dem von der Bauindustrie diktierten Pfad folgten.
3
Analyse der Siedlung Les Bleuets
3.1
Lebenslauf und Haltung von Paul Bossard
Paul Bossard wurde am 21.Mai 1928 in der Bretagne geboren. Er besuchte 1950 die Kunsthochschule Ecole des Beaux Arts in Paris und fiel schon dort durch seine neuen Ideen im Bereich der Architektur und seine starke Persönlichkeit auf. Die Realisierung der Siedlung Les Bleuets, mit welcher er 1959 als noch unerfahrener Architekt beauftragt wurde, verdeutlicht seine Talente und Fähigkeiten. Mit diesem Projekt brach Bossard aus der Normierung der üblichen Bauensembles aus und nahm eine eigene Haltung ein.6 Paul Bossard sah die Monotonie als Produkt der schnellen und günstigen, durch den Staat diktierten industriellen Herstellung von Bauteilen. Denn Frankreich war während der Industrialisierung einer tiefgreifenden staatlichen Normierung unterzogen. Die Bausysteme konzentrierten sich vorwiegend auf die schwere Vorfabrikation und waren sich weitgehend ähnlich. Bossard sah sich in seinem Betätigungsfeld als Architekt dadurch eingeschränkt und nahm dieses Diktat nicht einfach so hin. Er erkannte schon früh, dass in Zukunft die massengefertigten Bauteile abzulösen und
Das Phänomen der Monotonie
Yannik Keller
Abb. 3. Hundertwassers Heilvorschlag für einen Wohnbau (Aufnahme 1971)
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vgl. Poesie des Rauhen, strapazierte Normen 1998, Bruno Krucker, S.52
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durch eine individualisierte Bauweise, durch ein Bruch der Serie, ersetzt werden müssen. Dies betraf sowohl die äussere Gestalt der Gebäude wie auch die durch sie gebildeten Stadträume. Mit der Siedlung Les Bleuets gelang dies eindrücklich. Paul Bossard sucht auf jeder Ebene statt des Normierten das Spezifische. Diese spezifischen Attribute fand er am Ort, beim Konfigurieren des Bausystems und dessen Detaillierung und schliesslich augenfällig in der Behandlung und Ausgestaltung der Oberflächen. Damit war er seiner Zeit weit voraus, denn noch heute ist die Monotonie in der gesamten westlichen Welt allgegenwertig. Städte wie New York, Berlin, London oder Paris lassen sich kaum noch voneinander unterscheiden. Sogar die Menschen, welche diese verschiedenen Teile der Welt bevölkern, sind sich inzwischen auf erschreckende Art und Weise ähnlich. Tradition, Geschichte oder Diversität sucht man vergeblich. Gerade im Zeitalter von der Billig-Fliegerei, wo die Welt so zusammengewachsen ist, möchte man an einen Ort zurückkehren, mit welchem man sich identifizieren kann, welcher mit Kultur, Tradition und Stil verwurzelt ist, welchen man als seine Heimat bezeichnen kann. Trotz des grossen Erfolges und der positiven Rückmeldungen der Bewohner der Siedlung konzentrierte sich Bossard nach der Fertigstellung der Überbauung auf das Unterrichten und Vermitteln von Architektur. Nach einer relativ kurzen Phase beim Institut d`Urbanisme und bei der Ecole d`Architecture in Paris unterrichtete er in Lille von 1978 bis 1993. Paul Bossard verstarb am 11. August 1998 im Alter von 70 Jahren in einem Vorort von Paris. 3.2
Abb. 4. Verformte Landschaft durch den früheren Abbau von Kalkstein (Aufnahme 1962)
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vgl. Carnets de voyages Cristoliens, Parcours architectural er urbain, 1990, Direction de la Culture, S.12
Siedlung Les Bleuets
In Creteil, einem Vorort im Süden von Paris, sollte eine Siedlung mit 560 Sozialwohnungen realisiert werden. Das Grundstück dazu lag an einem Hang der Marne, der geprägt war vom Abbau der Kalksteine unter sowie über der Erde. So war die komplette Bauparzelle hügelig und wies grosse Höhenunterschiede auf – für die von Kalkstein geprägte Landschaft rund um Paris, welche als geologisches Einsenkungsbecken bekannt ist, kein untypischer Charakter. Seit der Antike nutzten die Pariser die unterirdisch angelegten Minen und die oberirdischen Steinbrüche zur Gewinnung von Kalkstein. Dieser helle und trockene Kalkstein wurde in ganz Paris und der Umgebung vielfach als Baumaterial genutzt.7 Die Parzelle in dem ehemaligen Steinbruch ist also von vermeintlich schlechter Qualität, dennoch fand Bossard es wichtig, den hügeligen Charakter der Landschaft in seinen Entwurf zu integrieren. Er hat die Landschaft also so modelliert, dass zwischen den zehn Gebäuden perspektivische Spiele entstehen, um so einerseits die
Serie der einzelnen Bauvolumen zu brechen und um andererseits den geschichtlichen Hintergrund der Parzelle zu wahren. Bossard sah dazu zehn Gebäude mit einer Ost-West-Typologie vor, welche sich mit jeweils fünf Geschossen der näheren Umgebung anglichen. Die einzelnen Volumen werden von einem nicht bewohnten Sockelgeschoss getragen und induzieren so einen weiteren Bezug und Verankerung zum Kontext. Die fünf Geschosse, welche sich oberhalb des öffentlichen Sockels befinden, unterscheiden sich stark durch die umlaufenden horizontalen Betonstreifen. Zwischen den rauen Betonbändern befinden sich unterschiedlich grosse, frei angeordnete Fensteröffnungen. Diese treten mit den glatt gestalteten vertikalen Betonfüllungen jedoch zugunsten des Ganzen der Siedlung in den Hintergrund. Die Bänderungen der Siedlung werden somit in den Vordergrund gerückt und stellen so den auffälligsten Aspekt der Anlage dar. 3.3
Abb. 5. Starke Strukturierung der Volumen durch die Betonbänderungen. (Aufnahme 1971)
Transformation der Betonelemente
Die vorfabrizierten Elemente bestechen durch ihre Rauheit in der Ausführung. Sie sind unpräzise und rau statt präzise und glatt, sie haben etwas Menschliches und nichts Maschinelles. So stellen die Bauteile, welche bei anderen Siedlungen Präzision und Rationalität fordern, die hochentwickelte und hochgelobte Technik der Vorfabrikation indirekt in Frage. Mit seiner kritischen Einstellung gegenüber der Vorfabrikation findet Bossard durch die Analyse von einfachen Gegebenheiten und Hinterfragung von gängigen Mustern eine eigene Architektursprache. Er entwickelt auf der Ebene der Erscheinung durch die Oberflächenbehandlung etwas Spezifisches.8 Ganz markant und ein Kennzeichen des Projekts sind dabei die eingelegten Steine in den umlaufenden Bänderungen. Sie ebnen den Begriff des Präzisen zusätzlich. Durch die unregelmässige Anordnung, die unterschiedliche Grösse und Dichte sowie die natürliche Gestalt der Steine schafft es Bossard, durch eine Überlagerung des Bauteils aus dem Standard auszubrechen. Bossard geht sogar noch weiter und überlässt die Platzierung der Steine den Arbeitern. Dadurch wird der Arbeiter, sonst eher mit der sich immer wieder wiederholenden Montage beschäftigt, direkt in einen Gestaltungsprozess miteingebunden. Er induziert damit eine durch die Vorfertigung verloren gegangene handwerkliche Komponente, welche dem Bauteil Individualität verleiht und durch das Gestalten mit den Händen wieder eine persönliche Bindung zum Bauteil selbst entstehen lässt. Jedes Bauteil wird zum Unikat, es handelt sich nicht mehr um ein Massenprodukt, welches unspezifisch überall vorkommen könnte, sondern um spezifische Einzelanfertigungen. Die zusätzliche Behandlung des Bauteils, welche als handwerklicher Prozess beschrieben werden kann, hat also eine kulturelle und identitätsstiftende Bedeutung.
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Abb. 6. Detailansicht der Betonbänderung (Aufnahme 2002)
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Bossards tells the story of how oneday a labourer asked if he could have a go at making one of the sections. Bossard said „ok“, go on, but do it fast: you` ve got to do it in three minutes, you`re doing a Picasso, not a Dürer. The labourer stuffed the stone into the casting box and poured the concret. When it was taken out, Bossard ask him what he thought of the result. „Lousy“, said the labourer. „Well“, said Bossard, it doesn`t matter, we don`t throw anything away. So it was fixed in place, and Bossard again asked the labourer what he thought of it, and the labourer said it wasn`t the same as the others. Bossard replied that none of the pieces where the same, and that if some were beautiful and some were ugly, well that was like the human race.8 Es ist bei der Betrachtung nicht mehr nur eine glatte Wand, sondern es ist Material, nämlich rauer Beton, versehen mit Steinen. Durch die Strukturierung des Bauteils, zum einen durch die Rauheit des Betons, zum anderen durch das Einlegen des Steines, erhält das Bauteil zusätzliche Raumtiefe. Diese hilft dem Betrachter, anhand von dunklen und helleren Stellen im Bauteil einen menschlichen Massstab auszumachen. Dadurch wird dem Bauteil einen weiteren bezeichnenden Charakter verliehen. Doch auch andere Bedeutungen sind relevant. So beziehen sich die eingelegten Steine auch auf die Geschichte des Grundstückes. Diese wird transformiert und in einem Bauteil verankert, sie geht nicht verloren. Das Bauteil verweist auf den spezifischen Ort, auf die spezielle geologische Lage sowie auf die frühere Förderung der „carrières calcaires“, der Kalksteinblöcke. Der Rückgriff auf das Naheliegende, die Integration des Geschichtlichen, die Hinterfragung des Präzisen, das Hinzufügen einer handwerklichen Komponente, dies alles verleiht dem Material beziehungsweise dem Bauteil einen eigenständigen Charakter. Diese individuelle Komponente entspricht dem weit verbreiteten Wunsch nach Individualität. Denn immer mehr Menschen legen Wert auf individuelle Gestaltung, persönliche Kleidung, auf Dinge eben, die nicht massenhaft und überall anzutreffen sind.
Abb. 7. Die Betonfertigteile mit ihrem identitätsstiftenden Charakter. (Aufnahme 2002) 8
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vgl. Concret and Culture, a Material History, 2012, Adrian Forty, S.249
Abb. 8. Die industriell gefertigten Bauteile bekommen durch die Überlagerung der Steine eine menschliche und natürliche Eigenschaft zurück. (Aufnahme 2002)
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Analyse der Bibliothek Eberswalde
4.1
Lebenslauf und Haltung von Herzog & de Meuron
Das Architekturbüro Herzog & de Meuron wurde 1978 von den Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron gegründet. Die beiden studierten zeitgleich an der ETH in Zürich bei den Professoren Aldo Rossi und Dolf Schnebli Architektur. Sie wurden geprägt durch Aldo Rossi, welcher in seinem Buch Die Architektur der Stadt fordert, auf die Strukturen der Stadt und auf den Ort einzugehen sowie die Architekturgeschichte als Material für den Entwurf einzubeziehen. In ihren Werken versuchen sie, das im Studium Gelernte, den Begriff des Ortes, weiterzuentwickeln, ihn nicht nur zu sehen, sondern auch zu spüren und einzubeziehen.9 Sie versuchen, möglichst viele Aspekte eines Ortes wie den topographischen und geologischen Charakter und die benachbarten Gebäude aufzunehmen, mit den Wünschen und Bedürfnissen des Bauherrn zu verbinden und dies alles in ihren Entwurf einzubringen. Sie haben nicht den Anspruch, Neues zu erfinden, sondern wollen vorhandene Ansätze aufnehmen und die Stadt so ergänzen. Auch den Begriff des Materials versuchen sie auszuweiten. Dementsprechend wählen sie ihre Materialien im Hinblick darauf, dem Gebäude einen ganz bestimmten Charakter zu geben.10 Sie versuchen, die Materialien aus den Fesseln der konventionellen Anwendung zu befreien, um sie zu transformieren und in eine neue Logik zu bringen. Dabei zielen sie auf Effekte ab, die gleichzeitig auch bestimmte Materialeigenschaften betonen, die unsere Sinne und unsere Wahrnehmung aktivieren.
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vgl. Herzog & de Meuron, das Gesamtwerk, 2000, Gerhard Mack , S. 7 - 25
10 vgl. Naturgeschichte, 2002, Philip Ursprung, S.57 11 vgl. Minimalismus und Ornament, 2010, Kuhnert N. & Schnell A., S20
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Darüber hinaus ist den Architekten aus Basel auch der Bezug zu Künstlern wichtig. Da wäre zum Beispiel Donald Judd, dessen minimalistische Kunst einen besonderen Bezug zum Handwerk und spezielle Techniken der Oberflächengestaltung besitzt. Oder Joseph Beuys, welcher vielfältige Erfahrungen mit der Materialsensibilität gemacht hat.11 Oder Fotografen wie zum Beispiel Thomas Ruff, welcher sich eine spezielle Wahrnehmung für den Ort angeeignet hat. Folglich lassen sich verschiedene Verbindungspunkte zwischen ihrer Architektur und der bildenden Kunst erkennen, auch wenn ein grundsätzlicher Unterschied darin besteht, dass Architektur immer für bestimmte Funktionen entworfen wird, Kunst jedoch funktionsunabhängig ist. „Eine der Auswirkungen der Bruchsituation, in der wir uns heute befinden, ist, dass die ganze handwerkliche Basis, ganze Traditionen verloren gegangen sind und dass wir eigentlich mit jedem Bau in der beschriebenen komplexen
Weise eine neue Sache entstehen lassen müssen. Wir sind viel stärker an einer Neuschöpfung, auch wenn sie sich auf traditionelle Bilder bezieht, beteiligt, als Architekten es je waren. Insofern sind wir tatsächlich in einer sehr ähnlichen Situation wie ein Maler oder ein Bildhauer. Das ist ja auch ein Grund, weshalb noch nie so viel schlechte Architektur entstanden ist, weil eigentlich nichts mehr zur Verfügung steht. Es ist eine völlig desorientierte Situation für einen Architekten.“12 Das Architektenduo lässt sich bei der Recherche nicht wirklich kategorisieren, ständig lenken die unzähligen Bücher und Fachtexte über das Büro die Sichtweisen auf andere Bahnen. Doch die Art und Weise, wie Herzog & de Meuron fortlaufend innovative architektonische Ideen entwickeln, ohne dabei in einen festgefahrenen Stil zu verfallen, fasziniert. Sie erfinden, experimentieren und entwickeln ständig Neues, integrieren dabei jedoch Altes und Überliefertes. Es ist also kaum vorstellbar, jemals ein Standardprodukt in ihren Bauten zu entdecken. Natürlich setzen auch sie sich mit Standardprodukten auseinander, bringen sie aber durch ihren Entwurf zu etwas Neuem, etwas Individualisiertem, etwas Vielfältigem, in ihren Büchern nennen Sie es auch gerne etwas Spezifisches.13 Sie setzen sich nicht unbedingt kritisch mit der Standardisierung auseinander, sondern suchen mit der Industrie zusammen nach innovativen Lösungen und neuen Fertigungstechniken. Die Bibliothek in Eberswalde ist aus diesen Gründen ein gutes Beispiel für ihre Arbeitsweise, weil der Baukörper einerseits eine einfache Kiste darstellt, welche einem geometrischen und rationellen Grundrissraster folgt. Zum anderen wird dadurch die volle Aufmerksamkeit auf das Material beziehungsweise auf die bereits angesprochene Transformation des standardisierten Materials gelenkt. 4.2
Bibliothek Eberswalde
Das Kulturministerium von Brandenburg vergab 1994 den Direktauftrag an die Architekten Herzog & de Meuron. Für die Erweiterung der Fachhochschule Eberswalde waren ein Seminar- und ein Bibliotheksgebäude vorgesehen. Eberswalde ist eine Kleinstadt mit ca. 40.000 Einwohnern im Nordosten des Bundesstaates Brandenburg, ca. 50 Kilometer von Berlin entfernt. Die kleine Stadt ist durch Industrie, Gewerbe und Grossbetriebe geprägt. Um die Stadt herum gibt es ausgedehnte Waldgebiete, weshalb sie auch Waldstadt genannt wird. Als traditionelle Forststadt beheimatet sie auch die Fachhochschule für Forst- und Holzwirtschaft. Die Fachhochschule besitzt eine lange Tradition und wurde 1830 gegründet. Sie stellt Platz für ca. 1500 Studenten bereit und bietet Studiengänge in den Fachbereichen
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Abb. 9. Das Bibliotheksgebäude auf dem Hochschulcampus in Eberswalde. (Aufnahme 2000)
12 vgl. Naturgeschichte, 2002, Philip Ursprung, S.151 13 vgl. Naturgeschichte, 2002, Philip Ursprung, S.56
15 23
Abb. 10. Setzung der beiden Bauvolumen im heterogenen Stadtgefüge (Aufnahme 2000)
Wald und Umwelt, Landschaftsnutzung und Naturschutz, Holztechnik und Wirtschaft an. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kleinstadt Eberswalde stark beschädigt, noch heute weisen die Bebauungen grosse Lücken auf. Da der Campus der Hochschule direkt in der Stadt liegt, ist auch er von der Heterogenität der Bausubstanz gezeichnet. Mit der Setzung der zwei Solitäre beabsichtigten die Architekten, das Hochschulgelände zur Strasse hin abzuschotten. Mit dem Klinkerbau, welcher die Betriebswirtschaftsschule beheimatet, betonen sie die Ecke zum Park hin. Mit der Bibliothek, welche mit ihrem einfach zu lesenden Bauvolumen bis an die Strasse rückt, bewahren sie das Baukollektiv des Campus. Die beiden Neubauten setzen Akzente in der schwach strukturierten Innenstadt, welche durchgängig aus grauen und schmucklosen Häusern besteht. Bei der Ankunft in der Friedrich- Ebert-Strasse fällt einem so auch gleich die Fachhochschulbibliothek ins Auge. Durch die stark variierende Materialisierung der Gebäude rückt das öffentlichste Gebäude, die Bibliothek, in den Vordergrund, das Seminargebäude14 durch die zurückhaltende Oberfläche der Fassade dagegen in den Hintergrund. Das Bibliotheksgebäude mit den Aussenabmessungen 36m x 14m x 14m ist in drei Geschosse aufgeteilt, welche wie Regale übereinandergeschichtet sind. Diese Regale werden durch die Oberlichtbänder voneinander getrennt. Die Bilder reihen sich in den 17 Elementen jeweils vertikal aneinander. Da einige Bilder über zwei oder gar drei Elemente gezogen wurden, wird der regelmässige Rhythmus des Seriellen verwischt und gebrochen. Zudem unterbrechen die angeordneten Lochfenster das serielle Bildmuster ebenfalls. In der einfach konstruierten, standardisierten Kiste steckt also bei näherem Betrachten so einiges. Fensterraster
Abb. 11. In diesem Modell sind die übereinander gestapelten Regale besonders gut erkennbar. (Aufnahme 2000) Abb. 12. Verschleierung der Serialität durch die unterschiedlichen Raster. (Aufnahme 2008)
a b
Bildraster a b c b
c
a b
b
c a
c
14 vgl. Eberswalde Library, 2000, Gerhard Mack & Valeria Liebermann A., S.8
16 24
a
b
c
a
b b b
4.3
Überlagerung der Beton- und Glaselemente
Die Bildfläche der Bibliothek, die dem ankommenden Besucher zunächst unklar und unbestimmt, wie eine gespannte Haut entgegentritt, erscheint bei der Annäherung an das Gebäude in ihren einzelnen Motiven und Abbildungen zunehmend klarer, doch sie drückt die Architektur zunächst völlig in den Hintergrund. Sogar die unterschiedlichen Materialien sind aus der Distanz nur schwer zu unterscheiden. Dadurch verschmilzt das Gebäude beim Betrachten gänzlich zu einem strengen Monolith, der lediglich durch rhythmisch gesetzte Lochfenster perforiert wird. Beim näheren Betrachten löst sich das Bild des monolithischen Volumens sogleich in eine serielle und strukturierte Fassade auf. Die Fassade, welche aus mehr als 1000 vorfabrizierten Glas- und Betonelementen besteht, wurde von den Architekten zweckentfremdet. Vielmehr wurden sie durch die Überlagerung mittels eines speziell entwickelten Siebdruckverfahrens erst aus ihrem gewöhnlichen Kontext herausgelöst oder von den Zwecken, für die sie üblicherweise eingesetzt werden, befreit. „Im engen Rahmen aus Nutzanwendung und Konvention leisten Materialien keinen Widerstand. Erst verändert oder aus dem Bezugsrahmen hergebrachter Beziehungen herausgelöst, vermögen sie spezifisch architektonische Funktion zu übernehmen. Es geschieht genau und ausschliesslich in der Diskrepanz zwischen dem vertrauten Verwendungszweck und einem neu erfundenen, dass Materialien Charakter entwickeln.“15 Jede Platte „trägt“ ein einzelnes, pro Zeile aber stets das gleiche Bild, ausgewählt vom Künstler Thomas Ruff. Dieser befasste sich bereits lange mit der Architekturfotografie. Wieso Herzog und de Meuron gerade Thomas Ruff als Künstler, ja wieso sie überhaupt einen Künstler hinzugezogen haben, ist schwierig nachzuvollziehen. Der Projektleiter der Bibliothek, Philippe Fürstenberger, bestätigte mir, dass Ruff bereits vor dem Bau der Bibliothek eingeladen worden war, Bauten der beiden zu fotografieren. Nach der positiven Zusammenarbeit besann man sich bei der Diskussion der Oberflächengestaltung zurück auf Ruff. Wenn man sich schon an das Ornament wage, so das Argument, könne dies der Intellekt eines Künstlers besser bewältigen als ein Architekt. Zudem begünstigte die Architekturfotografie, mit welcher sich Thomas Ruff beschäftigte, den Umstand, dass dieser über die Jahre eine starke Wahrnehmung für den Ort entwickelt hatte. Was allerdings spannend ist, ist der Fakt, das Thomas Ruff das Bild seinerseits ebenfalls durch einen weiteren Prozess, nämlich durch die Computerbearbeitung, in eine andere Logik bringt. So verleiht er gewissermassen dem Bild ebenfalls einen exemplarischen Charakter.16 Doch die Bilder, welche
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Abb. 13. Monolitische Darstellung des Gebäudes durch Thomas Ruff. (Aufnahme 1999) Abb. 14. Serielle und strukturierte Fassade (Aufnahme 2005) Abb. 15. Motive und Abbildungen werden ersichtlich. (Aufnahme 2005) 15 vgl. Naturgeschichte, 2002, Philip Ursprung, S.55 16 vgl. Eberswalde Library, 2000, Gerhard Mack & Valeria Liebermann A., S.28
17 25
Abb. 16. Studenten in der Bibliothek am International Atlantic College (Aufnahme 2000) Abb. 17. Bernauerstrasse in Berlin, kombiniert mit einem Bild vom Tag der deutschen Einheit. (Aufnahme 2000)
auf die Elemente der Bibliothek gedruckt wurden, stammten nicht von ihm selbst, sondern aus einem seit 1981 angelegten Zeitungsarchiv. Dies fiel dem Künstler aus subjektiven Gründen auf, worauf er die Bilder in chronologischer Reihenfolge archivierte. Die Idee, die Bilder auf Beton zu drucken und sie seriell zu ordnen, kam von den Architekten. Die Bildermotive wählte der Künstler aus. Ruff wählte die Motive Deutsche Nachkriegsgeschichte, Studenten, Forstwirtschaft, Architektur und ganz generell der Umgang des Menschen mit der Natur. Die Fotografien stellen also trotz subjektiver Auswahl von Ruff einen direkten Bezug zum Ort und zur Funktion des Gebäudes her. Es geht nicht nur um das Gestalten einer dekorativen, inhaltslosen Fassade oder das Verschönern eines monolithischen Volumens. Durch die Auswahl von Ruff ist einerseits die Überlieferung von geschichtlichen Inhalten, sie zeigen eine Art Tagebuch der Deutschen, im Bauwerk verankert. Andererseits wird durch die Fotos ein Verweis auf die Funktion des Gebäudes kommuniziert. Symbolisch stehen die Fotos dementsprechend für die Lagerung von Wissen sowie für die Lehre der Fachhochschule. Durch diese Auswahl und das Überlagern der Bildmotive auf das Standardbauteil erfährt es eine Individualisierung. Die Bedruckung beider Materialien, der äusseren Betonflächen und des Glases, ist vielschichtig und interessant konzipiert. Zum einen erreicht man durch das Bedrucken der ganzen Hülle über die Eigenschaften der Materialien hinweg ein scheinbares Ineinandergreifen der Materialien. Auf der anderen Seite entsteht der Effekt, dass die Materialien durch Hinzufügen von Licht sich plötzlich gänzlich voneinander unterscheiden, also die Fähigkeit zur Wandlung besitzen. Das Gebäude wechselt also Tag und Nacht sein Erscheinungsbild, von einer tagsüber zusammengehörigen einheitlichen Fassade zurück in eine durch Oberlichter strukturierte Fassade. Zusätzlich beschreibt Philip Ursprung in seinem Buch Naturgeschichten, dass die Glasplatten im Gegensatz zu den Fotos auf den Betonelementen Malerei abbilden und so nochmals eine Unterscheidung der Materialien zulassen: „Was die Glas- und Betonflächen zusammenhält, ist im Grunde die gegensätzliche Materialität ihrer Bilder … Das Auge des Betrachters streift über diese Oberflächen und bleibt, während es Blickwinkel und Einstellung wechselt, an dem wesentlichen Unterschied haften.“17
Abb. 18. Materialität kommt je nach Tageszeit unterschiedlich zum Ausdruck. (Aufnahme 2000)
17 vgl. Naturgeschichte, 2002, Philip Ursprung, S.212
18 26
Abb. 19. Durch die Überlagerung der Bauteile erhält das Standardprodukt erst seinen spezifischen Charakter. (Aufnahme 2000)
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19 27
4.4
Abb. 20. Dieser baukünstlerische, von Hand gemachter, Schmuck demonstriert, wie sich Architektur und Oberflächenbehandlungen gegenseitig beeinflussen. So kann das Sgraffito die Architektur unterstützen oder sie in einen anderen Kontext transformieren. (Aufnahme unbekannt)
18 vgl. Die Funktion des Ornaments, 2008, Farshid Moussavi & Michael Kubo, S.6
20 28
Zeitgenössisches Ornament
In den vorfabrizierten Bauteilen der Aussenfassade der Bibliothek steckt allerdings noch eine andere Besonderheit, nämlich die technische und handwerkliche Umsetzung. Wie bereits angesprochen, gehen einerseits beim industriellen Fertigungsprozess durch Maschinen über Jahrzehnte entwickelte handwerkliche Überlieferungen verloren, andererseits tendieren maschinell gefertigte Bauteile dazu, zu präzise und exakt gleich zu sein. Der Mensch benötigt jedoch gewisse Störstellen, um eine Spannung zwischen Ordnung und Unordnung, zwischen einer Regel und einer Unregelmässigkeit aufzubauen. Bietet man seiner Wahrnehmung perfekte Geometrie und Gleichheit im Übermass, langweilt er sich. Das Hirn und das Auge entziehen sich der Herausforderung, die uns schon eine leichte Unregelmässigkeit bietet. Natürlich gib es auch hier Unterschiede. So gibt es die, welche vom strengen und regelmässigen Charakter überzeugt sind, und andere, welche am unregelmässigen Charakter Interesse finden. Demzufolge weigern sich die Architekten Herzog & de Meuron, die sterilen und regelmässigen industriellen Produkte anstelle von Handwerkerleistungen zu akzeptieren. Andererseits greifen sie so ein architektonisches Thema wieder auf, das die Moderne um Adolf Loos‘ Kritik in seinem Buch Ornament und Verbrechen verschüttet und teilweise kriminalisiert hatte. Schon Gottfried Semper führte unter Bezug auf die von Laugier im 17.Jahrhundert beschriebene „Urhütte“ die Unterscheidung zwischen der Konstruktion, die auf die Schutzfunktion und den Innenraum gerichtet ist, und der Verkleidung als eine Art Medium des kulturellen Austauschs der Öffentlichkeit ein.18 Die Beschäftigung mit der Aussenhülle, mit der Oberfläche, deren Bearbeitung und deren kulturellen Bedeutung, gewinnt mit dieser Bibliothek nun wieder an Bedeutung. Die Architekten schaffen damit ein zeitgenössisches Ornament, welches durch die Überlagerung zu einem untrennbaren Materialgefüge wird. Dementsprechend inspirieren sich die Architekten durch die Kratztechnik des Sgraffito und transformieren diese Handwerkstechnik in eine modernere Siebdrucktechnik. Die Transformation lässt Erinnerungen an die frühere Sgraffito-Technik zu und stellt deswegen einen weiteren Mechanismus für die Verankerung von Kultur dar. Das Ornament ist also nicht funktionslos, sondern wird durch die Überlagerung von Geschichte und Handwerkstradition zum spezifischen und architektonischen Bauteil. 4.5
Siebdruckverfahren
Die ausgewählten Bilder von Thomas Ruff werden zuerst am Computer in eine gerasterte Schwarz-Weiss-Vorlage umgewandelt. Damit wird bereits
eine erste Abstraktion vorgenommen, das einzelne Bild erhält dabei eine gewisse Unschärfe. Danach wird diese Vorlage mit einer UV-Licht undurchlässigen Tinte auf eine Kunststofffolie gedruckt. Gleichzeitig wird auf das Gewebe des Siebes, welches je nach Anwendung und Anspruch auf die Detaillierung gewählt werden muss, zunächst eine Chemikalie aufgebracht. Das Sieb selbst hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht gross verändert. Die Rahmen der Siebe bestehen meist aus Aluminium und lösen den früher oftmals verwendeten instabileren Holzrahmen ab. Die aufgebrachte Chemikalie härtet zuerst an der Luft, wodurch sie eine gewisse Grifffestigkeit erhält. Durch den Lichteinfall wird sie anschliessend richtig ausgehärtet. Nun muss die vorbereitete gerasterte Vorlage in das Sieb hineingebracht werden, indem das Sieb belichtet wird. Die Kunststofffolie besitzt transparente Teilbereiche, durch die das Licht hindurchfällt. Somit kann die Chemikalie, welche auf dem Sieb aufgebracht wurde, aushärten. Des Weiteren gibt es die schwarzen Bereiche, durch die das Licht nicht durchdringt, diese Bereiche bleiben also leicht weich. Mit einem Hochdruckreiniger wird nach dem Aushärten das Sieb mit Wasser ausgespült. Die mit Licht gehärteten Bereiche bleiben bestehen, die vom Licht abgedeckten Bereiche werden ausgespült, so dass man anschliessend die Fotovorlage im Sieb hat. In einem nächsten Schritt wird eine Farbschicht mit dem jeweiligen Sieb auf das Glas aufgebracht und getrocknet. Danach wird das Glas thermisch behandelt, um so die Farben auf dem Glas zu fixieren. Anstelle von Farbe wird bei dem Aufbringen der Fotografien auf den Betonelementen ein Abbindeverzögerer in unterschiedlich dicken Schichten aufgetragen.19 Dabei handelt es sich um eine besondere Form von Wasch und Sichtbeton. Die Fotobetonfolie wird als Boden in die Betonschalung eingelegt und mit dem Material übergossen. Durch das Aufbringen des Abbindeverzögerers härtet der Beton an den unterschiedlichen Stellen schneller aus. Dadurch entstehen raue und glatte Flächen sowie Hell- und Dunkelverläufe. Die hellen Bereiche der Motive bleiben glatt, die Dunklen werden anschliessend ebenfalls mit einem Hochdruckreiniger ausgewaschen. Beim Siebdruck handelt es sich somit um eine Art repetitiven Prozess. Besteht die Trägerfolie, kann diese wie eine Schablone mehrmals eingesetzt werden; man kann also von einem industriellen Prozess sprechen. Dennoch unterscheiden sich die Bauteile durch diesen zusätzlichen Prozess leicht voneinander. Durch die traditionell handwerkliche Schablonentechnik besteht in der heutigen technischen Übersetzung immer noch ein kleiner Teil an Handwerkskunst. Deswegen kann der Siebdruck als semiindustrieller Prozess betrachtet werden, da die kleinen Unterschiede im Druckbild einer Menschlichen und Handwerklichen und nicht einer maschinellen Komponente unterliegen.
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Abb. 21. Die Fotobetonfolie wird in die Schalung eingelegt. (Aufnahme 1998)
Abb. 22. Nicht abgebundene Flächen werden entfernt. (Aufnahme 1998)
19 vgl. Architektonische Gestaltung mit Fotobeton, 2005, Frauenhofer IRB
21 29
4.6
Abb. 23. Detailansicht einer Überlagerung bei einem Bauteil. (Aufnahme 2005)
Abb. 24. Das Bauteil wird durch die kleinen Abweichungen der Herstellung zum Unikat. (Aufnahme 2008)
22 30
Regelmässigkeit - Unregelmässigkeit
Beim Aufbringen der Farbe auf das Glas, also auf ein Material mit einer relativ glatten und sauberen Oberfläche, unterscheiden sich die einzelnen Motive leicht. Eine gewisse Regelmässigkeit ist dennoch gegeben. Doch sind es diese kleinen Störstellen, welche im Bauteil eine reizvolle Herausforderung darstellen. Zudem bekräftigen die Motive der Malerei diese Herausforderung zusätzlich. Um dies jedoch weiter zu analysieren, müsste man meines Erachtens nach Eberswalde fahren und die einzelnen Glaselemente näher untersuchen um sie direkt miteinander zu vergleichen. Bei der Fotobetonfolie dagegen, welche zwar bei jedem Element neu erstellt werden musste, waren nach Aussagen von Philippe Fürstenberger vor allem die unterschiedliche Zusammensetzung des Zementes sowie die Lufttemperatur in der Werkhalle ausschlaggebend. Durch diese Schwankungen unterscheiden sich die Elemente voneinander. Kleine Nuancen, welche ein wenig hellere oder eben ein wenig dunklere Teilbereiche ausgestalten. Durch das Experimentieren, das Ausprobieren einer neuen, noch unbekannten Technik entsteht also eine gewisse Ungenauigkeit. Diese Ungenauigkeit macht den Unterschied zur maschinellen Produktion aus. Denn im Experimentieren steckt schon etwas Vielfältiges an sich, etwas Menschliches. Demnach bezeichne ich diesen Prozess als handwerklichen Prozess, da er auf einer experimentellen und handwerklichen Basis beruht. Es ist faszinierend, auf wie vielen Wahrnehmungsebenen das Material anfängt zu kommunizieren. Die eigentlichen repetitiven Elemente unterscheiden sich trotz gleicher Vorlage durch den Prozess der Verarbeitung voneinander, sie werden zu Unikaten.
5
Resümee
Durch die Hinterfragung der Vorfabrikation, ihrer Vor- und Nachteile, haben sich in dieser Arbeit einige Fragen beantwortet. Trotz der grossen Euphorie und des Stolzes auf technische Errungenschaften beginnen schon während der Nachkriegszeit diverse Architekten, unter anderem Paul Bossard, die technische und industrielle Massenfertigung von Bauteilen zu bemängeln. Die rasende Entwicklung der Bauindustrie in der Nachkriegszeit führte durch Massenfertigung und Maschinenästhetik zu einer Entkoppelung von den kulturellen Einflüssen auf Bauteile, welche zwar ökonomisch und effizient gefertigt wurden, jedoch keinerlei Charakter und keine kulturelle Verwurzelung mehr aufwiesen. Doch genau aus dieser Kritik heraus entstanden in den letzten Jahrzehnten vielfältige innovative Ansätze, wie mit dieser gleich machenden und gleich gemachten Monotonie umzugehen ist. Durch die Analyse der beiden Objekte, der Siedlung Les Bleuets sowie der Bibliothek in Eberswalde, hat sich auch die Frage nach der Rolle des Architekten beantwortet. Prinzipiell stehen einem natürlich alle industriellen Bauteile, welche man zum Bauen eines Gebäudes benötigt, zur Verfügung. Dennoch sind diese standardisierten Bauteile nicht spezifisch, es fehlt ihnen die Individualität. Diese Individualisierung ist stark von topografischen und geologischen Gegebenheiten, aber auch den Wünschen und Bedürfnissen eines Bauherrn abhängig. Doch genau dort liegt die eigentliche Aufgabe im Schaffen von Architektur: eine Wahrnehmung für diese erwähnten Faktoren zu entwickeln, sie zu interpretieren, sie zu hinterfragen und zu ergänzen, um sie anschliessend zu begreifen und einbringen zu können. Die Bedrohung des Architektenberufes durch die Industrialisierung ist also gebannt. Dennoch ist die Monotonie prinzipiell nicht nur schlecht, sie sollte deswegen mehr als ein Phänomen betrachtet werden. Denn dieser rasende und schnelle Industrialisierungsprozess nach dem Zweiten Weltkrieg stellt auch eine erhebliche Entwicklung der Wohn-, Lebens- und Aufenthaltsqualität dar. Doch in der Nachkriegszeit vertritt die Bauindustrie in einer gewissen Weise eine modernistische Haltung. Sie verzichtet auf die Aneignung von Individualität, auf Kultureinflüsse und auf Traditionen. Sie steht nach dem Krieg gewissermassen für Fortschritt, für Neues, für Besseres und blendet dabei aber gezielt Altes und Traditionelles aus, die Individualität wird stark unterdrückt. Zudem kriminalisieren Architekten wie Adolf Loos mit ihren Schriften das Ornament. Für Loos waren die Ornamente ein Mittel der traditionellen Gesellschaft, welche sie als Mittel zur Differenzierung nutzte. Die moderne Gesellschaft, so forderte Loos, soll jedoch die Individualität unterdrücken, das Ornament wurde also nutzlos. Diese Auffassung ist heu-
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te nur noch schwer nachzuvollziehen. Das Ornament fängt genau dann an, interessant zu werden, wenn es einen Sinn hat, wenn es durch eine Überlagerung von Geschichte, Tradition oder anderem angereichert wird. So gingen jene Mechanismen verloren, welche Kultur verankern. Davon abgesehen ist durch die maschinelle Serienfertigung die Individualität nicht gewährleistet, sie führt zu Gleichheit, Glattheit, zu technischer Sterilität und somit schlussendlich zu monotonen Bauteilen. Führt man jedoch einen zusätzlichen Prozess in die Kette der Produktion eines Bauteils ein, sei dies ein handwerklicher, semiindustrieller oder gar industrieller, und überlagert das Bauteil damit, kreiert man so einen ganz spezifischen und identitätsstiftenden Charakter. Versteht man nun die Zusammenhänge des vermeintlichen Problemes, kann man durchaus auch von den Vorzügen der schnellen und ökonomischen industriellen Fertigung profitieren. Denn industriell gefertigten Bauteile, welche vermeintlich keine Vielfalt, kein Leben und keine Individualität zulassen, kann durch das Anreichern mit kulturellen und geschichtlichen Komponenten ein spezifischer Charakter gegeben werden. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass die Überlagerung eines industriellen Standardproduktes die Kraft besitzt, die Monotonie zu brechen. 5.1
Ausblick in die Architektur von morgen
Die Bauindustrie hat sich in den letzten Jahren ebenfalls weiterentwickelt. Der Begriff des „Mass Customised Product“, des kundenindividuellen Massenprodukts, ist allgegenwertig. Denn die heutigen digitalen Daten, die die Architekten produzieren, können weitaus mehr, als bloss einen Drucker oder Plotter ansteuern. Mit diesen Daten lassen sich heute Produktionsmaschinen, wie beispielsweise eine CNC, Computerized Numerical Control, einen Lasercutter oder gar einen futuristischen 3D-Drucker dirigieren. Diese Maschinen erlauben es Planern, direkt in den Produktionsprozess einzugreifen und individuelle Formen in einem ähnlichen Kostenrahmen wie Massenprodukte herzustellen. Der Architekt kann also wieder vertieft in die Produktion eingreifen und sie direkt beeinflussen, was ihm in der Nachkriegszeit noch nicht gelungen war. Dazumal war es in der Bauindustrie nicht möglich, individuelle Anpassungen von Bauteilen beziehungsweise das Modifizieren von Bauteilen vorzunehmen. So wurde häufig mit Standardbausteinen gearbeitet, die dazu tendierten, zu einem monotonen Standardprodukt zu verkommen. Arbeiten diese zwei Parteien jedoch Hand in Hand, bekommen industriell gefertigte Bauteile plötzlich das Attribut Individualität, was bisher nur handwerklich erzeugten Produkten vorbehalten war. Dem vielfältigen, inspirierenden, individualisierten Bauteil steht also nichts mehr im Wege, oder?
24 32
6
Literatur- und Quellenverzeichnis
6.1
Literaturverzeichnis
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25 33
6.2 Internetquellen - Baunetzwissen, Chemische Bearbeitung von Beton, http://www.baunetzwissen.de/standardartikel/Beton_Chemische-Bearbeitung_151048.html [Stand 30.04.2012] - Ecole National, Beschreibung der Siedlung Les Bleuets,h http://pfe.paris-lavillette.archi. fr/13/8709.pdf, [Stand 30.04.2012] - Mass Customization, Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 21. 01.2014 http://de.wikipedia.org/wiki/Mass_Customization - Bernd Lötsch, Der Streit um das Schöne, Ästhetik zwischen Natur und Architektur, http://www.biotope-city.net/article/der-streit-um-das-sch-ne-sthetik-zwischen-naturund-architektur-0, [Stand 04.10.2012] - Fotobeton, Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 23.03.2014 http:// de.wikipedia.org/wiki/Fotobeton - Roman Hollenstein, Nextroom, Bibliothek der Fachhochschule Eberswalde, http://www. nextroom.at/building.php?id=1887, [Stand 01.06.1999] - Prof. Dr.-Ing. Dauberschmidt, Was ist Sichtbeton, Klagemauer oder Marmor des 21.Jahrhunderts, http://w3-mediapool.hm.edu/mediapool/media/fk02/fk02_lokal/baurechtszirkel/2011_9/02_Dauberschmidt_Sicht_BETON.pdf, [Stand 27.10.2011] - Miriam Elgner, Fotobeton, http://www.beton.org/inspiration/material/fotobeton [Stand unbekannt] - Baunetzwissen, Fenster und Türen, Fachhochschul Bibliothek, http://www.baunetzwissen.de/objektartikel/Fenster-und-Tueren_Fachhochschul-Bibliothek-Eberswalde_70698.html, [Stand unbekannt] - Baunetzwissen, Glas, Siebdruck, http://www.baunetzwissen.de/glossarbegriffe/GlasSiebdruck_51521.html, [Stand unbekannt] - Herzog & de Meuron, Jacques Herzog und Theodora Vischer, https://www.herzogdemeuron.com/index/practice/writings/conversations/vischer-2-de.html, [Stand 02.05.1988] - Ulrich Binder, Zur Semantik von Materialoberflächen in der Architektur, http://www. ulrichbinder.ch/fileadmin/user_upload/texte_pdf/Zur_Semantik_von_Materialoberflaechen_red.pdf, [Stand 2010]
6.3 Gespräche - Projektleiter der Bibliothek Eberswalde, Herr Philippe Fürstenberger, philippe.fuerstenberger@baloise.com - Ehemaliges Architekturbüro, Wyss-Santos Architekten, wyss-santos@studio.com
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7 Tb: Abb.1: Abb.2: Abb.3: Abb.4: Abb.5: Abb.6: Abb.7: Abb.8: Abb.9: Abb.10: Abb.11: Abb.12: Abb.13: Abb.14: Abb.15: Abb.16: Abb.17: Abb.18: Abb.19: Abb.20: Abb.21: Abb.22: Abb.23: Abb.24:
Abbildungsverzeichnis Mensch und Maschine, Künstler Benjamin Burkard http://blog.staffeleien-shop.de/page/24/ La Petite Camargue Alsacienn http://www.foto-werkstatt.ch/pixelpost/index.php?showimage=1910 Halle Neustadt https://warosu.org/biz/thread/330 Hundertwassers Heilvorschlag für einen Wohnbau http://www.hundertwasser.at/showpic.php Poesie des Rauhen, strapazierte Normen. Archithese 1998, Standard - Typus - Konvention Bleuets Exterieur 02 http://www.30so.fr/bleuets-exterieurs-02/ Architekturfotografie der Siedlung Les Bleuets http://architecturephotographie.viewbook.com/album Architekturfotografie der Siedlung Les Bleuets http://architecturephotographie.viewbook.com/album Architekturfotografie der Siedlung Les Bleuets http://architecturephotographie.viewbook.com/album Eberswalde Library, 1.Aufl., Architecture Landscape Urbanism 3, AA Publications 2000, S. 11 Eberswalde Library, 1.Aufl., Architecture Landscape Urbanism 3, AA Publications 2000, S. 9 Herzog & de Meuron, das Gesamtwerk 3, Basel Birkhäuser 2000, S. 70 Die Funktion des Ornaments, Barcelona Actar 2008, S. 42 Naturgeschichte, Canadian Centre for Architecture Lars Müller Pub lishers 2002 S. 32 - Architekturfotografie von Thomas Ruff Eberswalde Bibliothek, Flickr Bild http://www.flickriver.com/photos/evandagan/tags/switzerland Herzog & de Meuron, das Gesamtwerk 3, Basel Birkhäuser 2000, S. 76 Eberswalde Library, 1.Aufl., Architecture Landscape Urbanism 3, AA Publications 2000, S. 37 Eberswalde Library, 1.Aufl., Architecture Landscape Urbanism 3, AA Publications 2000, S. 38 Eberswalde Library, 1.Aufl., Architecture Landscape Urbanism 3, AA Publications 2000, S. 18 Eberswalde Library, 1.Aufl., Architecture Landscape Urbanism 3, AA Publications 2000, S. 6 Hans Wulz bei der Arbeit an einem Sgraffito in Brunn am Gebirge http://www.wulz-art.net/Dateien/Leben%205.html Herzog & de Meuron, das Gesamtwerk 3, Basel Birkhäuser 2000, S. 71 Herzog & de Meuron, das Gesamtwerk 3, Basel Birkhäuser 2000, S. 71 Bildersammlung Eberswalde http://afasiaarq.blogspot.com/2013/07/herzog-de-meuron.html Bildersammlung Eberswalde http://afasiaarq.blogspot.com/2013/07/herzog-de-meuron.html
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TYPENGRUNDRISSE IM WOHNUNGSBAU Frankfurter Typengrundrisse in den Siedlungen Neubühl, Zürich und Eglisee / Schorenmatten, Basel
Niffeler Rahel
Abb. 1. Typengrundrisse nach Ernst May. Von Oben nach Unten; Efate 7.115, Zwofa 3.40/3.42, Zwofadolei 3.63/4.75. Aus: Barr (2011). S. 63
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Vertiefungsarbeit FrĂźhlingssemester 2014 Horw, 17.06.2014 Verfasserin: Rahel Niffeler Ulmenstrasse 6 6003 Luzern Dozenten: Oliver Dufner Dieter GeissbĂźhler Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik & Architektur
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ABSTRACT In der vorliegenden Arbeit werden Resultate eines unter ökonomischem, wirtschaftlichem und sozialem Druck stehenden Bauens aufgezeigt. Als Beispiele werden drei gelungene Siedlungen der Zwischenkriegszeit von 1920 bis 1940 aus Deutschland und der Schweiz bezüglich ihres Umgangs mit der Wohnungsnot, der hohen Arbeitslosigkeit, der schlechten finanziellen Lage und dem vermehrten Aufkommen von standardisierten und rationalisierten Elementen genauer betrachtet. Jede der Überbauungen ist ein Beitrag zur Milderung der Missstände der Epoche. Grundlage der Untersuchungen bildet der CIAM-Kongress von 1929 mit dem dort behandelten Thema der Wohnung für das Existenzminimum unter der Leitung von Ernst May. Anhand der aus dem Kongress und den bereits gebauten Quartieren des Neuen Frankfurts entwickelten Gestaltungsgrundsätze werden die führenden Schweizer Siedlungen Eglisee / Schorenmatten in Basel und Neubühl in Zürich untersucht. Alle genannten Siedlungen sind mustergültig und werden als Zeitzeugen der damaligen Problematik verstanden. Ziel der Untersuchung ist es gegenseitige Beeinflussungen, individuelle Handhabungen, sowie den Einfluss des ökonomischen Drucks zu analysieren und in einem kurzen Ausblick auf die Chancen und Probleme des heutigen Wohnens im Umgang mit damaligen Forderungen hinzuweisen.
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ARCHITEKTEN Ernst May, 1886 - 1970: Deutscher Architekt und Stadtplaner. Als Praktikant arbeitet May bei Raymond Unwin in Grossbritannien und lernt dort während der Arbeit an der Siedlung Hampstead das Prinzip der Gartenstadtbewegung kennen. Dieses übersetzt er in den deutschen Siedlungsbau. Um 1921 entwickelt May den Begriff der Trabantenstadt. Darunter versteht er eine von der Kernstadt losgelöste Stadterweiterung, die über die Eisenbahn schnell zu erreichen ist und ein hohes Mass an Eigenständigkeit erlangen kann. Das Konzept der dezentralen Siedlung verhilft ihm 1925 zum Auftrag der Planung seiner Heimatstadt Frankfurt am Main. Insgesamt entstehen unter der Leitung des Frankfurter Architekten 15 000 neue Wohnungen. Die Erfolge in der Kostensenkung und dem ästhetischen Anspruch finden weltweite Anerkennung. Johannes „Hans“ Schmidt, 1893 - 1972: Schweizer Architekt, Stadtplaner, Architekturtheoretiker und Grafiker. Schmidt absolviert sein Studium an der ETH Zürich bei Hans Bernoulli1. Nach seinem Studium lernt er in den Niederlanden bei Peter Oud und entwickelt ein Faible für die Niederländische Hausarchitektur. In der Zeit seiner Zusammenarbeit mit Paul Artaria wandelt Schmidt sich zu einem führenden Schweizer Architekten in der Bewegung des Neuen Bauens2. In gemeinsamer Arbeit mit anderen Architekten betätigt er sich unter anderem an den Siedlungen Neubühl in Zürich und Schorenmatten in Basel. Paul Artaria, 1892 - 1959: Schweizer Architekt und Ausbildner von Gestaltern. Er arbeitet nach seinem Studium bei Hans Bernoulli und macht dort die Bekanntschaft mit Hans Schmidt. In dieser Zeit erwirbt er seine Kenntnisse zum Städtebau und die Grundlagen des Siedlungsbaus. Zusammen mit Hans Schmidt gründet Artaria ein eigenes Büro, das allerdings schon vier Jahre später, 1930 Konkurs geht. Darauf arbeitet Artaria als freischaffender Architekt und beteiligt sich an zahlreichen Büchern. Auch Artaria ist in der Zeit seines Schaffens an den Siedlungen Neubühl und Schorenmatten betätigt. Rudolf Steiger, 1900 - 1982: Schweizer Architekt. Steiger studiert an der ETH Zürich, arbeitet darauf hin einige Jahre in Brüssel und Berlin, bevor er zurück nach Basel zieht. Zusammen mit seiner Frau Flora Crawford realisiert er mehrere Projekte und ist ein wesentliches Mitglied der Neubühlgruppe, sowie die Zugkraft im Projekt Werkbundsiedlung Neubühl.
Abb. 2. Ernst May. Aus: Quiring und Andere (2011). S. 9
Abb. 3. Hans Schmidt. Aus: Marbach und Rüegg (1990). S. 257
Abb. 4. Paul Artaria. Aus: Marbach und Rüegg (1990). S. 250
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Rahel Niffeler
Erklärungen zu 1 und 2 siehe nächste Seite.
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Hans Bernoulli, 1876 - 1959. Schweizer Architekt, Städtebauer und Hochschullehrer. Er engagiert sich für den sozialen Wohnungsbau und die Gartenstadtsiedlungen in und nach den grossen Kriegszeiten. Das Neue Bauen ist eine Bewegung in der Deutschen und Schweizerischen Architektur und dem Städtebau von 1910 bis 1930. Das Ziel ist es durch Rationalisierung und Typisierung, unter Einsatz von neuartigen Materialien und sachlich, schlichte Innenausstattungen zu neuen Formen des Bauens zu gelangen. Dabei gelten die Prämissen Licht, Luft und Sonne.
August Künzel, 1888 - xxxx: Schweizer Architekt. Über August Künzel ist nur wenig zu finden. Er absolviert 1907 ein Diplom als Bauzeichner und wurde bekannt durch seine Zusammenarbeit mit Hans Bernoulli und diversen Arbeiten an der WOBA (Wohnausstellung Basel) von 1930. Hans Von der Mühll und Paul Oberrauch: Partner eines Schweizerischen Architekturbüros in Basel von 1919 - 1953. Der Schwerpunkt ihres Unternehmens basiert auf dem Genossenschaftswohnungs- und Verwaltungsbau, beeinflusst vom Stil des Neuen Bauens. Gemeinsam gestalten sie um 1930 ein beispielhaftes Wohnhaus an der WOBA zum Thema der Kleinstwohnung. Neubühlgruppe, um 1930: Zur Neubühlgruppe zählen sich verschiedene Architekten, die zu ihrer Zeit prominent an der CIAM vertreten sind. Zu den Mitgliedern der Gruppe gehören Hans Schmidt, Paul Artaria, Rudolf Steiger, Max Moser, Max Ernst Haefeli, Emil Roth und Carl Hubacher. Die gestalterische Leitung innerhalb der Gruppe übernimmt Hans Schmidt. Zusammen planen und erstellen sie die Siedlung Neubühl in Zürich.
HISTORISCHER HINTERGRUND Um die Entstehungsgeschichte und die damit verbundenen Zwänge der in der Arbeit betrachteten Siedlungen der Zwischenkriegszeit verstehen zu können, ist es wesentlich die Lebensumstände der damaligen Zeit zu kennen. Die Jahre der Zwischenkriegszeit werden mit den Schlagwörtern Krise, Instabilität, Weltwirtschafts-krise oder politischen Massenbewegungen aufgeladen. Die Leute haben wenig, es fehlt an Geld, Nahrung und Behausungen. Politische Minderheiten setzen sich für das Wohl der Menschen ein und versuchen zu helfen. Vielerorts sind grosse Landteile im Krieg zerstört worden. Ein schneller Wohnungsbau im günstigen und einfachen Stil wird gefördert, um den Missstand zu begleichen. Serielles bauen mit Typenbildung wird als Lösung des Problems hochgesprochen. Eine Rationalisierung der Bauvorgänge wird als Weg zur Begleichung der Wohnungsnot gesehen. Verschiedenste Architekten und Siedlungen befassen sich mit diesem Thema, sie gehen mit gutem Beispiel voran und stehen heute teilweise als Zeitzeugen der damaligen Zwischenkriegsphase unter Denkmalschutz. CIAM Die Denkfabrik CIAM (Congrès International d’Architecture Moderne) wird im Jahre 1928 von verschiedenen Gründungsmitgliedern im Anschluss an die Ausstellung „die Wohnung“3 in Weissenhof Stuttgart lanciert. Als Gründungsmitglieder zählen nebst Le Corbusier unter anderen Ernst May, Hans Schmidt, Max Ernst Haefeli, Werner Max und Rudolf Steiger. Im Allgemeinen treffen sich die Mitglieder der CIAM zur Besprechung verschiedenster Fragen der zeitgemässen Architektur und des Städtebaus immer wieder. Architektur soll dabei den Geist der Epoche zum Ausdruck bringen, soziale und politische Wandel fordern Änderungen in der Architektur. Die urbanistischen Stadtmodelle der CIAM dürfen nicht als Fortentwicklung historischer Städte gesehen werden, aber als Neubauten. Jede Stadt wird dabei in die Zonen Wohnen, Arbeiten, Erholen und Verkehr gegliedert. CIAM-Kongress 1929 Bereits ein Jahr nach der Gründung findet der zweite internationale Kongress zum Thema „Die Wohnung für das Existenzminimum“4 unter der Leitung von Ernst May in Frankfurt am Main statt. Die Frage nach Wohnungen für das Existenzminimum ist damals stark umstritten. Gegner plädieren mit den Vorwürfen je kleiner die Wohnung sei, desto teurer der
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Die Ausstellung „Neue Wohnung“ zeigt um 1927 an verschiedenen Standpunkten Stuttgarts Lösungen des Neuen Bauens im Sinne der gleichnamigen Bewegung. Als bekannter Beitrag gilt die Weissenhofsiedlung unter der Leitung von Ludwig Mies van der Rohe.
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Der Begriff „Wohnung für das Existenzminimum“ geht aus dem Buch „Befreites Wohnen“ von Sigfried Giedion hervor, das um 1928 erscheint. Es geht um die Frage, was der Mensch braucht. Gleichzeitig antwortet Giedion mit den Begriffen Luft, Licht und Öffnungen.
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Preis oder sie könne später nur schwer vermittelt werden. In ihren Augen sollten den Menschen am Existenzminimum die Altwohnungen überlassen werden. Der Wunsch der breiten Masse hingegen entspricht mehr der folgenden Aussage: „Schafft uns Wohnungen, die, wenn auch klein, doch gesund und wohnlich sind und liefert sie vor allem zu tragbaren Mietsätzen.“ – Ernst May. Aus: Die Wohnung für das Existenzminimum, 1930, S.10
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Die Standardisierung hat zum Ziel eine Vereinheitlichung von Massen, Typen oder Verfahren. Als Basis gilt ein einheitlicher Parameter.
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Die Typisierung ist eine Sammlung von Klassen, Kategorien oder Konzepten. Sie stellt eine Einheit von Objekten mit bestimmten Merkmalen dar.
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In den neuen Wohnungen sollen alle bisherigen Schäden der Kleinstwohnungen beseitigt werden. Die technischen Details für den Bau einer Grosssiedlung gelten als entscheidende Faktoren. Das ingenieurartige Bauen muss seinen Einzug in die Architektur finden und die technischen Fragen geben Aufschluss darüber, inwiefern Wohnfläche noch Einschränkungen vertragen. Die Wohnung soll unter Einbeziehung von Hygienikern, Physikern und Ingenieuren zu einem vollkommenen Produkt werden. Das Hauptthema der Diskussionen am zweiten CIAM-Kongress ist die Frage des Hoch- oder Tiefbaus im Wohnungsbau. Auch May beschäftigt sich im Neuen Frankfurt mit diesem Thema und zeigt unterschiedliche Lösungen auf. Nach der Aufgabe der Standardisierung5 vom ersten CIAM-Kongress ausgehend wird Ernst May im zweiten mit der Frage der Typisierung6 beauftragt, mit dem Ziel Grundlagen zu schaffen, auf denen möglichst billig und schnell Wohnungen produziert werden können.
THESE Ausgehend von den Forderungen Mays aus dem zweiten CIAM-Kongress stellt sich die Frage, wie vollkommen seine Gedanken zur Gestaltung der Wohnung für das Existenzminimum sind. In der Zwischenkriegszeit werden verschiedenste Siedlungen im Sinne des Neuen Bauens als Versuche der Minderung der damals herrschenden Missstände erstellt. Eine der umfangreichsten Siedlungen der 20er Jahre bildet die Gesamtüberbauung Neues Frankfurt. Es drängt sich nun die These einer weitgehenden Beeinflussung der dort erstellten Typengrundrisse auf andere Siedlungen der Zeit auf. Als Mustersiedlungen der Schweiz mit Architekten, die eng mit den Interessen der CIAM verbunden sind, können zwei führende Überbauungen genannt werden. Es sind dies die Wohnkolonie Schorenmatten, im Rahmen der Ausstellung der Wohnausstellung in Basel und die Werkbundsiedlung Neubühl in Zürich, beide um 1930 entstanden. Die nachstehenden Untersuchungen befassen sich daher mit der These: „Die Frankfurter Typengrundrisse nach Ernst May prägen die Planung und Ausführung der Wohnkolonie Schorenmatten im Rahmen der WOBA in Basel und die Werkbundsiedlung Neubühl in Zürich.“
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FRANKFRUTER TYPENGRUNDRISSE Licht, Luft und Grünflächen sollen im Sinne der Gartenstadt Einzug in den Städtebau finden. Die stetige Aufrechterhaltung des Bildes der Grossstadt spielt dabei eine wesentliche Rolle. Ebenso dürfen die sozialen Regeln der Stadtgestaltung nicht in Vergessenheit geraten. Das Stadtplanungsprogramm Neues Frankfurt von 1925 bis 1930 umfasst 26 Siedlungen und mehrere Grossprojekte für öffentliche Nutzungen der Stadt Frankfurt am Main. Mit der Wohnungsbauaktivität sollen die Wohnungsnöte behoben und neue ästhetische Massstäbe gesetzt werden, sowie hygienische Probleme verschwinden. Das Projekt versteht sich als Reformbewegung verschiedener Lebensbereiche. Frankfurt leidet in den frühen 20ern unter der Währungskrise und hat einen starken Modernisierungsbedarf. Ziel des Wohnungsbaus in Frankfurt unter der Leitung von Ernst May ist die vollkommene Ökonomisierung der Wohnung durch eine massenhafte, kollektive Durchbildung aller Einzelheiten mittels Typisierung. Normierung als Voraussetzung Die Normierung beschränkt sich im Neuen Frankfurt nicht auf die Montage von Platten wie es zu jener Zeit üblich ist. Ebenso wichtig sind Bauteile und Gegenstände der Inneneinrichtung. Dazu gehören Fenster, Türen, Sitzbadewannen oder die komplette Ausstattung der Küche. Durch die Bildung von Typengrundrissen ergibt sich auch im äusseren Erscheinungsbild eine gewisse Homogenität. Eine Maschinenästhetik soll allerdings vermieden werden. Es entstehen gepflegte handwerkliche Bauten, die den Bezug zur kulturellen Tradition und dem Heimatschutz aufrechterhalten. Durch die hohe Farbigkeit der Fassaden wird die Siedlung weiter strukturiert. Ebenso ist für die Qualität im Innern der Wohnung die Erstellung von Typengrundrissen bereichernd. Die Wohnraumfläche soll bei optimaler Ausnutzung so weit wie möglich reduziert werden. Die Wichtigkeit der Normierung beschreibt May wie folgt: „Neben Nahrung und Kleidung ist die Wohnung das wichtigste materielle Bedürfnis des Menschen. Sie muss deshalb als Massenbedarfsartikel funktionieren. Die wichtigste Arbeit, die daher zu leisten ist, besteht in der Schaffung planmässig aufgestellter Grundrisse. Unterschiedliche berufliche Schichten, Familiengrössen und andere Einflüsse führen zur Notwendigkeit der Aufstellung einer Serie solcher Typengrundrisse.“ – Ernst May. Aus: Barr, 2011, S.62-63
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Typen Die präferierte Wohnform Mays ist das Einfamilienhaus mit Garten. Auf Grund ökonomischer Zwänge aber werden rund 70% der neuen Wohnbauten als Mehrfamilienhäuser ausgebildet. In der Wiederholung der Wohnform über die ganze Siedlung spiegelt sich die gewollte Gleichstellung von Mann und Frau. Durch die Minimierung der Wohnfläche wird eine herrliche Raumbefreiung versprochen. Ernst May war genau wie Gropius der Ansicht, dass Menschen mit einem Minimum an Wohnraum auskämen, wenn die Zuführung von Licht, Luft und Wärme bei bezahlbaren Preisen ausreichend ist. Daher gilt es die Fenster zu vergrössern und die Räume zu verkleinern. Rationalisierung7 ist das oberste Gebot in der Grundrissgestaltung, da diese als Teil der Lebensgestaltung gesehen wird. Bei geringstem Aufwand an Platz soll ein bequemes, praktisches und allen Bedürfnissen entsprechendes Wohnen ermöglicht werden. Die bisherigen Wohnformen sind umzustrukturieren und mit bürgerlichen Elementen zu erweitern.8 Typus Wohnung Als wesentliche Funktionsbereiche der Wohnung gelten Wohnen, Essen, Schlafen, Waschen und Kochen. Die Küche wird dabei zum Prototyp der Rationalisierung. Die ehemalige Wohnküche wird zur Laborküche mit sechs qm Grösse umgewandelt. Ausserdem gilt die Verzahnung der Wohnung mit dem Aussenraum und dem damit verbundenen gesellschaftlichen Leben als wichtiger Punkt in der Gestaltung der Grundrisse. Die Architektursprache wird im Stil des Neuen Wohnens vorgenommen und markiert den Bruch mit der Geschichte. Der architektonische Entwurf basiert weitgehend auf einer wissenschaftlichen Ebene. Das erstrebenswerte Ziel Mays ist eine abgeschlossene Wohnung für eine Familie mit zwei bis drei Kindern. Die Räume werden nach ihrer Grösse hierarchisch geordnet. Das Wohnzimmer gilt als Hauptraum und „Stuben“9 werden zu Schlafzimmern. Jede Wohnung wird mit einem Badezimmer und laufendem Warmwasser ausgestattet, ausserdem werden alle Zimmer nach dem Sonnenstand ausgerichtet. Eine ausreichende Belüftungsmöglichkeit ist wesentlich. Aus multifunktionalen Räumen werden in den Neuen Grundrissen monofunktionale. Alle Zimmer sind so angeordnet, dass die gegenseitige Beeinträchtigung im Alltag möglichst klein gehalten wird. Der Flur ist lediglich als Erschliessungsfläche zu sehen. Jeder Wohnung ist eine Dachkammer und ein Kellerabteil zugehörig. Jene Räume dürfen allerdings nicht als Wohnräume Verwendung finden. In der Realität hingegen werden insbesondere Dachkammern oftmals als Studentenzimmer untervermietet. Im Allgemeinen sind die Wohnungen für die Zeit um 1930 ausreichend
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Abb. 5. Kammer in Kleinstwohnung, Siedlung Praunheim um 1929. Aus: Quiring und Andere (2011). S. 102
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Rationalisierung bezeichnet eine Steigerung der Effizienz mit der gleichzeitigen Einsparung von Kosten und Aufwand.
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Bis um 1930 besteht eine Wohnung einer kleinen Familie aus einer Küche, einer bis zwei „Stuben“ und einer Toilette. Es gibt keinen Flur und auch keine klar abgegrenzte private Räumlichkeit zum Treppenhaus hin.
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Stuben bilden bis zu den neuen Grundrisstypen den einzig beheizbaren Hauptraum der Wohnung. In der Stube können unterschiedliche Räume integriert sein wie z.B. die Küche.
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dimensioniert, gut gestaltet, überdurchschnittlich ausgestattet aber nur wenig flexibel. Es fehlt die Freiheit unterschiedliche Wohnformen zu ermöglichen. Der geplante gleiche Tagesablauf jeder Familie basiert auf dem Industriegedanken. Die Idee der Automatisierung, Vereinfachung durch Maschinen und Erleichterung durch Gleichförmigkeit prägt die Zwischenkriegszeit.
Abb. 6. Isometrie einer Einzimmerwohnung nach Ernst May. Aus: Barr (2011). S. 64
Typenarten Wohnung Die unterschiedlichen Typengrundrisse der Wohnungen basieren auf den im Text später erwähnten Gestaltungsgrundsätzen. Im Buch „Die Wohnung für das Existenzminimum“, welches aus dem zweiten CIAM Kongress hinausgeht, werden diverse Grundrisse aufgelistet. Die Grundrisse werden im allgemeinen nach Einfamilienhaus, Zweifamilienhaus, Mehrfamilienhaus und Speziallösungen gegliedert. Als mögliche Typenarten der Wohnungen sind unter anderen folgende in unterschiedlichen Grössen zu finden: 1. Gangtyp; Gang im Treppenhaus, der Wohnung vorgelagert 2. Schaltzimmertyp; Vergrösserung der Wohnung durch Hinzuziehen eines Zimmers 3. Doppelstocktyp; Wohnung über zwei Etagen 4. Schmale Front; schmaler Aussenwandanteil 5. Aussengangtyp; Laubengang der Wohnung vorgelagert
Abb. 7. Typengrundrisse Wohnungen Frankfurt. Aus: Internationaler Kongress (1930). div. Seiten
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Typus Haus Die Reihenhäuser und Einfamilienhäuser des Neuen Frankfurts werden nach englischen Vorbildern gebildet, wie sie May in seiner Praktikumszeit bei Unwin kennenlernte. Im Erdgeschoss befinden sich die Gemeinschaftsräume der Familie, das Badezimmer sowie die Küche. In den oberen Geschossen liegen die Schlafzimmer. Zusätzlich zu den genannten Organisationsformen und Funktionen der Wohnung verfügen die Häuser über einen Garten. Der Garten ist zugleich die Erweiterung des Wohnraums, eine räumliche Trennung zwischen Haus und Strasse und dient der Selbstversorgung. Häuser werden vorwiegend für kinderreiche Familien geplant. Genau wie in den Wohnungstypen lassen auch die Haustypengrundrisse nur eine Variante der Möblierung zu. Die Dimensionen der Grundrisse werden nach der Möblierung festgelegt. Dies führt zur Gleichartigkeit aller Häuser und Wohnungen und weiter zur Empfindung des Wohndomizils als anonymer Ort, der nicht als Heimat verstanden wird. Typenarten Haus Als Grundtypen des Hauses zählen mehrere Varianten, die nach Standard unterschieden werden. Jeder Typ wird mit zwei Zahlen gekennzeichnet. Die erste Ziffer gibt Auskunft über die Anzahl Zimmer, die zweite gibt die Wohnfläche in Quadratmetern an. (Bsp. Efa 3.56) 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Efa; Einfamilienhaus Efaki; Einfamilienhaus für kinderreiche Familien Efate; Einfamilienhaus mit Dachterrasse Efaelite; Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung und Dachterrasse Zwofa; Zweifamilienhaus Zwofadolei; Zweifamilienhaus mit Doppelleitung
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Abb. 8. Typengrundrisse nach Ernst May. Von Oben nach Unten; Efate 7.115, Zwofa 3.40/3.42, Zwofadolei 3.63/4.75. Aus: Barr (2011). S. 63
Abb. 9. Typengrundrisse nach Ernst May. Von Oben nach Unten; (rechts) Efa 3.56, Efaki 5.86, Efa elite 5.79/2.30, (links) Efa 3.75, Efa 5.105. Aus: Barr (2011). S. 62
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Frankfurter Küche Als Prototyp der Rationalisierung wird die Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky für die Siedlung Römerstadt um 1920 entwickelt. Ziel ist wie im Wohnungsbau von Ernst May eine optimierte Küche mit minimiertem Platzanspruch. Die Küche wird räumlich vom Wohnzimmer getrennt und lediglich über eine Schiebetür verbunden. Dieser Raum dient nur der Küchenarbeit und darf zur Verbesserung der Hygiene nicht als Wohnraum funktionieren. Die neue zweizeilige Küche wird mit den Dimensionen 1.90m auf 3.40m ausgestaltet. Jede Küche verfügt über ein Fenster und nebst der Verbindungstür zum Wohnzimmer eine Eingangstür, die vom Flur abgeht. Weiter wird jede dieser Küchen mit einem Schrankkomplex10, einem Herdkomplex11 und einem Spülkomplex12 bestückt. Die einzelnen Elemente werden eigens auf die Frankfurter Küche zugeschnitten und in Serie produziert. Das Design ist stark von den Gedanken des Taylorismus13 beeinflusst und an den Zugküchen orientiert, in welchen auf engem Raum Essen für unzählige Personen zubereitet werden kann. Zur Planung der Neuen Küchen werden die Arbeitsabläufe genau analysiert und im Entwurf berücksichtigt. Die aufzubringende Zeit der Frau für Küchenarbeit soll minimiert werden. Der Status der Frau muss sich nicht nur im Arbeitsmarkt revolutionieren sondern auch in der Wohnung. Mit Beiträgen wie der Frankfurter Küche bleibt ihr mehr Zeit für Fabrikarbeit. Was als Hilfe und Unterstützung der Hausarbeit geplant ist, wird von den Anwendern nur schwer verstanden. Die Benutzer haben Mühe, das durchstrukturierte System zu verstehen. Des Weiteren bietet der weit verbreitete Typ 1 der Frankfurter Küchen nur Platz für eine Person und führt zur Abschirmung der Hausfrau. Trotz Nachteilen gilt die Frankfurter Küche als Sinnbild einer modernen Küche.
Abb. 10. Frankfurter Küche. Aus: Klotz (1986). S. 79 10 Der Schrankkomplex beinhaltet die Gefässe zur Aufbewahrung von Nahrungsmitteln, den Topfschrank, den Besenschrank und den Abfallschrank. 11 Der Herdkomplex besteht aus der Dunstabzugshaube, einem Gewürzgestell, dem Kochherd und einigen Schubladen für häufig genutzte Lebensmittel. 12 Die Spüle wird so angeordnet, dass das Geschirr von der linken Seite genommen wird und wieder nach links abgelegt werden kann. Die Spüle ist nach Rechtshändlern gerichtet. 13 Taylorismus bezeichnet eine wirtschaftliche Betriebsführung nach dem Ingenieur F.W. Taylor, mit dem Resultat, einen möglichst wirtschaftlichen Betriebsablauf zu erzielen. Fliessbandarbeit.
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GESTALTUNGSGRUNDSÄTZE DER TYPENGRUNDRISSE Die gestalterischen Bedingungen der Typengrundrisse nach Ernst May werden in neun Punkten zusammengefasst. Sie gelten als Grundsätze für die Planung der Typengrundrisse im Hoch und Tiefbau des Frankfurter Wohnungsbaus. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
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Mindestaufwand im Haushalt Befriedigung des Menschen durch die Wohnung Räume nach dem Sonnenstand richten Der Wohnraum gilt als Hauptraum Küchen haben Einbauten und werden von einer Frau geplant Jede Wohnung braucht genügend Zimmer Die 3-Zimmerwohnung gilt als Durchschnittswohnung, 44qm Die Lage des Badezimmers ist wesentlich Keller und Abstellräume als zusätzliche Stauräume
SCHWEIZER SIEDLUNGEN UM 1930 Die Anliegen der modernen Architektur in der Zwischenkriegszeit umfassen über die formalen Neuerungen hinaus weit mehr. Das zentrale Thema ist der „Neue Lebensstil“, der den Halbnomaden des damaligen und heutigen Wirtschaftslebens entspricht. Damit verbunden wird der Begriff des „Neuen Wohnens“ nach Giedion. Das Interesse der Architekten für Wohnungsbau steigt. Modellhafte Siedlungen werden zur Geschmacksbildung der Menschen erstellt und bringen über ihre Architektur die Verschmelzung von politischen, sozialen, technischen und formalen Neuerungen zum Ausdruck. Dem „Neuen Menschen“ werden einheitliche, wissenschaftlich erfassbare Eigenschaften und Bedürfnisse zugeteilt, die eine systematische Untersuchung der Wohnung möglich machen. Taylorismus und Seriengestaltungen erlauben es Grundrisse zu rationalisieren, um die akute Wohnungsnot der Zwischenkriegszeit zu minimieren. Im Allgemeinen gilt es in der Schweiz nicht Kriegszerstörungen aufzuheben und alte Zustände wieder herzustellen, jedoch ist auch sie von der Weltwirtschaftskrise betroffen und es gilt den Gürtel enger zu schnallen. Vom Krieg im Sinne der Zerstörung ist das Land nur wenig betroffen. Siedlung Eglisee und die Wohnkolonie14 Schorenmatten, Basel Badischer Bahnhof Im Rahmen der ersten schweizerischen Wohnausstellung Basel, der WOBA, wurde die gesamtheitliche Siedlung Eglisee erbaut. Die Ausstellung soll ein möglichst vollständiges und reiches Bild der herrschenden Strömungen und Bemühungen um Kleinstwohnungen aufzeigen. Verschiedene renommierte Architektenfirmen dürfen sich an der Ausstellung 1930 beweisen. Insgesamt entstehen 13 Wohnungstypen verteilt auf Mehrund Einfamilienhäuser. In die Ausstellung mit einbezogen wird die bereits 1927 erbaute Siedlung Schorenmatten der Architekten Paul Artaria, Hans Schmidt und August Künzel. Die Schorenmatten umfasst 89 Reiheneinfamilienhäuser für kinderreiche Familien. In den Bauten der WOBA zeigen sich die Formen des Neuen Bauens. Blockrandbebauungen werden durch Zeilenbauten ersetzt und Grundrisse auf die kleinstmögliche Fläche reduziert. Auf Grund der Rationalisierung und Standardisierung sowie der Erstellung von Grundrisstypen gelingt es Wohnungen der gleichen Grösse wie bis anhin zu einem weitaus tieferen Preis anbieten zu können. Darüber hinaus liegen diese Neuen Wohnungen bezüglich Ausstattung über dem Niveau des bisher Üblichen. Auch in der äusseren Erscheinung werden mit dem Flachdach und grossen Fensteröffnungen neue Massstäbe gesetzt. Alle Bauten werden mit der gleichen Massivtreppe aus einem Stück aus-
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14 Wohnkolonien sind typische Siedlungen der Nachkriegszeit, die durch Mieterzusammenschlüsse entstehen.
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gestattet, sowie einem elektrischen Herd und einem Aufwaschtisch15 pro Wohneinheit. Korridore in Wohnungen können überall da unterdrückt werden, wo der Wohnraum die Verbindung der Räume übernimmt.
Abb. 11. Siedlung Eglisee und Schorenmatten. Aus: Rüdishüsli (1930). Titelseite
Abb. 12. Rückseite der Häuserzeile mit Schopf. Aus: Schmidt (1930). S. 171
15 Der Aufwaschtisch ist ein für die Siedlung Eglisee hergestelltes Abwaschbecken für die Küche. Optimiert für den Wasserverbrauch durch einen schalenförmigen Trog.
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Wohnkolonie Schorenmatten Die Architekten entwerfen mit der Schorenmatten ein Siedlungsmuster zur Frage der Minimalwohnung, welches ihnen am CIAM Kongress 1929 in Frankfurt hohe Autorität gewährt. Frühe Vertreter der europäischen Moderne haben für die baulichen Einzelheiten eine neuartige Empfindsamkeit geweckt. Die Basler Kollegen bewegen sich dabei selbstsicher im Gleichschritt mit dem Neuen Frankfurt von Ernst May. Die Wohnkolonie besteht aus einem konsequenten Zeilenbau in reiner Nord-Süd Ausrichtung. Dem Haustyp liegt das Minimalprogramm für eine Familie mit vier und mehr Kindern zugrunde. Ein Wohnraum, ein Schlafzimmer für die Eltern und das jüngste Kind, plus zwei weitere Schlafzimmer für maximal fünf Kinder. Der Typ weist eine Fläche von 85qm vor und gehört damit bereits zu den grösseren Wohneinheiten. Die Küche als Essküche oder Wohnküche je nach Grösse bildet bis 1927 den zentralen Raum des Hauses. Jede neue Lösung führt nur dann zum Erfolg, wenn sie die Vorteile der Essküche bieten kann und die hygienischen Nachteile ausklammert. Die Frau muss während dem Kochen in die Familie eingebunden sein und Speisen müssen einfach gereicht werden können. Die restlichen Familienmitglieder sollen dabei immer den Dämpfen der Küche entzogen werden. Im Typ Schorenmatten wird zu diesem Problem eine Lösung geboten.
Typenarten Eglisee Die einzelnen, durch unterschiedliche Architekten16 entworfenen Baublöcke zeigen Varianten im Umgang mit den Forderungen der Kleinstwohnungen. 1. Block 1; Aussenganghaus 2. Block 2; Traditioneller Typ mit Erweiterungen 3. Block 3; Geringe Bautiefe 4. Block 4; Zugänge über Mittelraum 5. Block 5; Offenes Treppenhaus 6. Block 6; Geringe Breitenentfaltung 7. Block 7; Rücken an Rücken 8. Block 8; Rücken an Rücken mit knapper Dimensionierung 9. Block 9; Nord-Süd Orientierung 10. Block 10; Geschoss-Haus 11. Block 11; Grossfamilien-Haus 12. Block 12; Romandie Typ 13. Block 13; 4 Zimmer für 3 14. Block 14; Schorenmatten
16 Auf die einzelnen Architekten wird bis auf einige bereits Genannte nicht weiter eingegangen.
Abb. 13. Typengrundrisse Siedlung Eglisee. Aus: Rüdishüsli (1930). div. Seiten
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Abb. 14. Siedlung Neubühl. Aus: Marbach und Rüegg (1990). S. 61
17 Werkbundsiedlungen sind experimentelle Siedlungen, die auf Initiative eines Werkbundes wie der Neubühlgruppe entstehen. Meist dienen sie zu Beginn als Ausstellung und daraufhin als exemplarische Siedlungen einer Epoche. 18 Siehe unter Architekten, Neubühlgruppe 19 Siehe Tabelle Untersuchungen zum internen Wohnungswechsel, unten
Abb. 15. Schema interner Wohnungswechsel Neubühl. Aus: Marbach und Rüegg (1990). S 48
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Werkbundsiedlung17 Neubühl, Zürich Wollishofen Die Siedlung Neubühl ist eine der ersten grösseren Flachdachsiedlungen in Zürich mit weiteren formalen Neuerungen, wie den senkrecht zur Strasse stehenden Häuserreihen. Vor allem aber ist sie als Manifestation des Neuen Bauens der Zwischenkriegszeit und dem damit verbundenen Neuen Lebensstil zu sehen. Das Neubühl gehört zu den wenigen Siedlungen der damaligen Zeit, die nicht für das Existenzminimum aber die Mittelschicht gebaut wurde. Die Frage des bequemen, befreiten Wohnens kann daher in dieser Planung umso konkreter betrachtet werden. Die Siedlung Neubühl steht nicht unter Denkmalschutz, trotz der hohen - von Beginn an - vorherrschenden Wertschätzung. Obwohl die Siedlung von einer Gemeinschaft an Architekten geplant wird, wird sie als Einheit konzipiert und verstanden. Architekt der Siedlung Neubühl ist die Neubühlgruppe, bestehend aus Hans Schmidt, Paul Artaria, Rudolf Steiger und weiteren auch an der CIAM präsenten Persönlichkeiten.18 Als führende Kraft für die Entwicklung des Neubühl-Projektes muss Rudolf Steiger gesehen werden. Er verfasst die ersten Dokumente bereits nach Abschluss der Ausstellung „Die Wohnung“ in Stuttgart. In den Jahren von 1930-1932 wird die Siedlung schliesslich in drei Etappen erbaut. 1931 findet eine Wohnausstellung in den fertigen Wohnungstypen der Siedlung statt. Die einzelnen Wohnungen werden modellhaft mit Designermöbeln ausgestattet und den Interessenten inszeniert dargeboten. Trotz grosser Beliebtheit verschlechtert sich der Belegungsstand auf Grund von Krisen und den relativ hohen Mieten in den ersten paar Jahren. Der Leerstand in den ersten elf Jahren ermöglicht es den Mietern je nach Lebenssituation in den geeigneten Wohnungstyp umzuziehen.19
Wohnungstypen Die zahlreichen Typengrundrisse werden in Zusammenarbeit kleinerer Gruppierungen gestaltet. Aus den Planungen entstehen die Typen A für das grosse Reihenhaus und Typ B und C für das kleine Reihenhaus. Für die Etagenwohnungen werden mindestens vier weitere Typen ausgestaltet. Wie im neuen Frankfurt werden die Baueingaben in mehrere Etappen gestaffelt und es kommt - aus Gründen der geringen Nachfrage an Grosswohnungen und ökonomischen Zwängen - zu Verschiebungen der Grundrissgestaltung hin zu flächenmässig kleineren. Die Typen können dadurch gestrafft, die Versorgung mit Warmwasser verbessert und die Anbindung an die Heizzentrale optimiert werden. Typ A gilt auf Grund seiner knapp bemessenen Dimensionen als Grenzfall für eine Wohnung des Mittelstandes. Das Projekt sieht in der Endphase der Planung 194 Wohnungen vor. Die Idee des Neuen Lebensstils konnte in der Werkbundsiedlung in vielen Fällen mit all seinen Attributen bis heute gehalten werden.
Abb. 16. Gartenraum vor dem Haustyp A. Aus: Marbach und Rüegg (1990). S. 67
Typenarten Neubühl Die Typengrundrisse der Wohnmöglichkeiten in der Werkbundsiedlung Neubühl werden in zehn Haupttypen gegliedert, die je nach Lebenssituation von einer Familie, einer Einzelperson oder Paaren bezogen werden können. 1. Typ A; 6 Zimmer Haus 2. Typ B; 5 Zimmer Haus 3. Typ C; 4 Zimmer Haus 4. Typ D; 3 Zimmer Haus 5. Typ L; 3 Zimmer Wohnung 6. Typ L,Q; 2 Zimmer Wohnung 7. Typ M; 5 Zimmer Wohnung 8. Typ N; 3.5 Zimmer Wohnung 9. Typ N,O; 1.5 Zimmer Wohnung 10. Typ P; 1 Zimmer Wohnung
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Typ A
Typ B
Typ C
Typ D
Typ O
Typ LM
Abb. 17. Typengrundrisse Neubühl. Aus: Marbach und Rüegg (1990). S. 35
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Typ N
Typ P
9 PUNKTE IM DETAIL Als Basis der Grundrissanalyse werden pro Siedlungen zwei Typen vorgestellt. Zur Auswahl der Grundrisse dient Punkt 7 der Gestaltungsgrundsätze nach Ernst May. Schemen und Textzeilen erläutern die Analyse und geben einen Einblick in die Umsetzung der Grundsätze. Ziel ist es die Lösungsvarianten zum Thema der Wohnungsnot in der Zwischenkriegszeit unter unterschiedlichen ökonomischen Forderungen zu erkennen und eine gegenseitige Beeinflussung heraus zu schälen.
Abb. 18. Gangtyp, Frankfurt
7. Die 3-Zimmerwohnung gilt als Durchschnittswohnung, 44qm: Die Dreizimmerwohnung gilt mit einer Grösse von 44qm als Durchschnitt für Minderbemittelte. Kinderreiche Familien sollen in Flachbauten mit dem Garten als Erweiterung des Wohnraums leben. Wohnungsvergleich Wie in Punkt 7 erwähnt bilden die Dreizimmerwohnungen die Durchschnittswohnungen der Siedlungen. Allerdings variiert die Wohnfläche in den unterschiedlichen Bebauungen. Als Basis für die Untersuchung der Wohnungen gelten der Gangtyp des Neuen Frankfurts, Typ Block 2 aus der Siedlung Eglisee in Basel der Architekten Von der Mühll und Oberrauch, sowie Typ L der Werkbundsiedlung Neubühl.
Abb. 19. Block 2, Basel
Punkt 7 der Gestaltungsgrundsätze Als Übersicht dienen in einer Tabelle aufgeführte Fakten zur Wohnfläche, der Bettenanzahl und der Ausstattung: Neues Frankfurt Typ
Eglisee, Basel
Neubühl, Zürich
Gangtyp
Block 2
Typ L
Wohnfläche in qm
47
52
71
Anzahl Betten
4
4
4
Ausstattung
3 Zimmer, Küche, 3 Zimmer, Küche, Bad mit WC und Bad mit WC und amerikanischer Badewanne, Laube, Kurzwanne, Balkon, Kellerabteil, GartenKellerabteil und anteil Dachkammer
3 Zimmer, Küche, Bad mit WC und Badewanne, 2 Balkone, Kellerbteil
Abb. 20. Typ L, Zürich
Wie aus der Tabelle zu entnehmen ist, verfügen alle Grundrisse über die gleiche Anzahl an Zimmern und bieten Platz für vier Personen pro Haushalt. Auch in der Ausstattung können sie kaum voneinander unterschieden werden. Lediglich die Wohnfläche in Quadratmetern gibt einen
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Abb. 21. Gangtyp, Frankfurt
Hinweis auf die ökonomischen Zwänge während des Baus. Für eine ähnliche Ausstattung wird den Bewohnern der Siedlung Neubühl ein Mehr von 25qm Wohnfläche gegenüber dem Frankfurter Grundriss geboten. Damit verbunden steigen die Mietpreise in der Zürcher Siedlung im Vergleich zu den zwei anderen. Dem gesellschaftlichen Mittelstand wird durch mehr Platz, mehr Wohlstand versprochen. Als Anhaltspunkt ist zu bedenken, dass die heutigen drei Zimmerwohnungen mit rund 90qm geplant werden. Der Flächenbedarf pro Kopf ist gegenüber dem des Frankfurts der 30er Jahre um das Doppelte gestiegen. Punkte 1 und 8 der Gestaltungsgrundsätze 1. Mindestaufwand im Haushalt: Einen Mindestaufwand für den hauswirtschaftlichen Prozess durch die Gesamtanordnung der Räume erreichen. Unnötige Wege vermeiden, die wesentlichen Bereiche vollkommen ausstatten. 8. Die Lage des Badezimmers ist wesentlich: Badezimmer liegen zwischen den Schlafzimmern. Jede Wohnung verfügt über eine Sitzbadewanne und eine Brause.
Abb. 22. Block 2, Basel
Abb. 23. Typ L, Zürich
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Das optimale Alltagsleben wird durch Standardisierung und rationalisierte Funktionalität geprägt. Dazu gehört ein moderner und technischer Haushalt, welcher den unteren Schichten nur bedingt zur Verfügung steht. Küche und Badezimmer bilden die wesentlichen Bereiche der Grundausstattung mit technischen Neuerungen. Auf Staubsauger oder elektrische Bügeleisen müssen Menschen am Existenzminimum verzichten. Daher ist die Anordnung der Räume mit möglichst kurzen Verbindungswegen eine geeignete Alternative. Durch die Arbeitsersparnis im Haushalt kann die Frau einer Erwerbstätigkeit nachgehen und so den Geldbeutel der Familie aufbessern. Die Verbindungswege der Grundrisstypen betrachtend fällt auf, dass insbesondere der Gang zur Küche im Frankfurter Beispiel relativ weit ist, obschon eine direkte Verbindung zum Flur gewünscht wäre. Ansonsten sind die zurückzulegenden Wege zwischen den einzelnen Räumen in allen Beispielen kurz und direkt. Der Flur bildet dabei immer das Bindeglied. Er sollte so klein wie möglich gehalten werden und darf keine weiteren Funktionen aufnehmen. Badezimmer liegen in allen gewählten Grundrissen nicht wie gewünscht zwischen den Schlafzimmern, sind aber ebenso dem Flur angeschlossen und liegen in unmittelbarer Nähe der Schlafräume. Die wesentlichen Bereiche, Küche und Badezimmer, sind mehrheitlich mit einigen technischen Neuerungen der damaligen Zeit ausgestattet. Jede Wohnung verfügt über die gewünschte Badewanne und einen Anschluss an laufendes Warmwasser.
Punkte 2 und 3 der Gestaltungsgrundsätze 2. Befriedigung des Menschen durch die Wohnung: Gefühlsmässige Befriedigung des Menschen durch die Wohnung. Das Einlassen von Luft undnatürlichem Licht ist wesentlich. 3. Räume nach dem Sonnenstand richten: Schlafzimmer nach der Morgensonne und Wohnzimmer nach der Nachmittagssonne ausrichten. Für besondere Fälle gelten die Nordtypen Grundrisse als Basis.
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Es zeigt sich, dass die Forderungen der Punkte 2 und 3 nicht immer konsequent umzusetzen sind. Nebenräume wie Küche und Badezimmer werden wann immer möglich an die Ostfassade gesetzt. Die Platzierung der Schlafzimmer folgt dieser Anweisung, es sei denn das Zimmer ist dem Wohnraum angeschlossen. Liegt ein Schlafraum direkt am Wohnzimmer, kommt auch dieses in den Genuss der Abendsonne. Balkone sind den Haupträumen vorgelagert und wie gewünscht der Westseite zugewandt. Als gelungenes Beispiel bezüglich der Ausrichtung der einzelnen Räume ist Typ Block 2 aus Basel zu erwähnen. Alle Schlafzimmer sind der Morgensonne zugedreht und das Wohnzimmer nach der Abendsonne gerichtet. In der Siedlung Neubühl zeigt sich wiederum eine Steigerung der Beleuchtungssituation durch Tageslicht. Der Wohnblock folgt in seiner Ausrichtung der Nord-Süd-Achse. Dadurch sind Schlafzimmer, Wohnzimmer und der Balkon gegen Süden gerichtet. Die Dauer der Sonnenstunden im Raum können daher maximiert werden. Der Einfall von Licht in den Raum ist nur über Öffnungen möglich. May fordert in seinen Gestaltungsgrundsätzen den Einlass von Luft und natürlichem Licht über eine Vergrösserung der Fensterflächen gegenüber den bis in die 20er Jahre geltenden Grössen. Fenster lassen zwar Licht hinein und dienen der Belüftung des Raumes, bringen jedoch auch klimatische Nachteile mit sich. Ein zu hoher Fensteranteil ist für die Beheizung im Winter und die Kühlung des Raumes im Sommer problematisch. In Frankfurt machen die Fensterflächen wie in Basel rund 20% der Wohnfläche aus. In Zürich zeichnet sich wiederum ein Mehr an Fensterfläche ab. Mit ca. 23% Fensterfläche bezüglich der Wohnfläche werden auch in diesem Punkt Lebensgefühl und Wohnkomfort auf Kosten der Ökonomie gesteigert. Der Übergang des Wohnraumes zum Balkon wird gar mit teuren Schiebefenstern ausgestattet.
Abb. 24. Gangtyp, Frankfurt N
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Abb. 25. Block 2, Basel
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Abb. 26. Typ L, Zürich
Typengrundrisse Im Wohnungsbau
Rahel Niffeler
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Abb. 27. Gangtyp, Frankfurt
Abb. 28. Block 2, Basel
Abb. 29. Typ L, Zürich
20 Erklärung zu 20, 21 und 22 siehe nächste Seite.
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Punkte 4 und 5 der Gestaltungsgrundsätze 4. Der Wohnraum gilt als Hauptraum: Der Wohnraum fungiert in seinen Dimensionen und der Nutzung als Hauptraum. Die Küche befindet sich in einem separaten Raum mit einem möglichst kurzen Weg zum Wohnraum. 5. Küchen haben Einbauten und werden von einer Frau geplant: Die Küche erhält Einbauten für eine rationelle Ausnützung. Die Anordnung ist nach den Grundsätzen der Küchenwirtschaft20 zu gestalten. Die Planung erfolgt durch eine Frau. Die Wohnräume werden in allen Beispielen als die grössten und wichtigsten Räume dargestellt und genutzt. Küchen befinden sich in einem separaten Raum, der vom Wohnraum abgetrennt werden kann. Die Wege zur Reiche der Speisen werden auf unterschiedliche Weisen kurz gehalten. Im Gangtyp und dem Typ Block 2 sind die Küchen unmittelbar dem Wohnraum angeschlossen. Die Küche des Neubühlquartiers ist über den Flur mit dem Wohnzimmer verbunden und verfügt zusätzlich über eine Durchreiche mit direkter Anbindung an den Essplatz. In allen Fällen kann der Entziehung von Küchendämpfen der im Haushalt lebenden Personen, welche nicht in der Küche stehen, Rechnung getragen werden. Die Neubühler Küche bietet zudem Platz für mehr als nur eine Person und hält so gegen die Vereinsamung der Frau. Als ein Pendant zur Ausstattung der Frankfurter Küche gilt die WOBAKüche. Im Rahmen der Ausstellung werden eigens hergestellte und entworfene Küchenelemente eingerichtet. Anders als in Frankfurt werden die Küchenelemente nicht alleine durch eine Frau geplant. An der Ausführung beteiligt waren die Unternehmen Merker&Cie21 sowie die Therma AG.22 Ein neuer Aufwaschtisch wird mit einem schüsselförmigen Abwaschtrog zur Optimierung des Wasserverbrauchs und der Möglichkeit des gleichzeitigen Waschens von Salat und anderen Lebensmitteln kreiert. Der elektrische Herd mit einem Backofen und drei Herdplatten ausgestattet erhält eine geringe Tiefe und lässt sich daher gut an die anderen Küchenelemente anfügen. Die Grundsätze der Küchenwirtschaft werden in allen Küchen insbesondere bezüglich der Hygiene eingehalten, wenn auch nicht im Ausmass der Frankfurter Küche. Elemente wie der Schrankkomplex oder die Nahrungsmittelbehälter finden genauso in den Küchen der Werkbundsiedlung Neubühl ihren Platz. Interessant ist jedoch, dass die Küchen der Zürcher Siedlung in ihren Anfängen nicht neu, eigens für die Siedlung konzipiert worden sind. Küchenelemente müssen von den Bewohnern selbst mitgebracht werden. Lediglich die Anschlüsse sind in den Küchen von 1930 vorhanden. Erst 1970 werden die Wohnungen des Typs L und M mit neuen für die Siedlung entwickelten Küchen ausgestattet.
Punkte 6 und 9 der Gestaltungsgrundsätze 6. Jede Wohnung braucht genügend Zimmer: Genügend Zimmer müssen eine Trennung des Schlafens nach Geschlechtern und der Trennung von Kind und Eltern ermöglichen. 9. Keller und Abstellräume als zusätzliche Stauräume: Jeder Wohnung sind ein Kellerabteil und eine Abstellkammer zugeteilt. Abstellkammern im Dachgeschoss dürfen nicht zu Wohnzwecken genutzt werden. Auf Grund mangelnder Informationen und der Unmöglichkeit einer sachlich analytischen Nachforschung dieser zwei Punkte werden die Punkte 6 und 9 in den Beispielen nicht weiter erläutert. Aus den im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Dokumenten ist durchaus ersichtlich, dass auf genügend Betten und Möglichkeiten der Versorgung nebensächlicher Utensilien wertgelegt wird. Jedoch kann nicht in allen Beispielen die Trennung der Geschlechter oder die Nichtvermietung des Dachstockes nachgewiesen werden. Die Situation variierte vermutlich von Familie zu Familie.
Typengrundrisse Im Wohnungsbau
Rahel Niffeler
20 Unter den Grundsätzen der Küchenwirtschaft wird die Gesamtheit der Einrichtungen und Massnahmen verstanden, die sich auf die Verarbeitung der Nahrungsmittel beziehen. Darunter gehört die Hygiene am Arbeitsplatz, sowie das Kochen an sich. Jedem Arbeitsschritt werden eigene Arbeitsstellen zugeteilt: Spülen, Rüsten, Aufbewahrung, Kochherd. 21 Hausratsfirma der 20er Jahre. Aus: Rüdihüsli (1930) 22 Hausratsfimra der 20er Jahre. Aus: Rüdishüsli (1930)
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Hausvergleich Als zweite Vergleichsgrundlagen dienen die Grundrisse der Einfamilienhäuser geplant für kinderreiche Familien. Zum einen Typ Efaki aus Frankfurt am Main, zum andern der Typ Schorenmatten aus Basel und als dritter Typus, Typ B aus Zürich. Abb. 30. Efaki, Frankfurt
Punkt 7 der Gestaltungsgrundsätze Als Übersicht dienen in einer Tabelle aufgeführte Fakten zur Wohnfläche, der Bettenanzahl und der Ausstattung: Neues Frankfurt Typ
Abb. 31. Block 14, Basel
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Neubühl, Zürich
Efaki
Block 14
Typ B
Wohnfläche in qm
94
84
80 (100 mit Halbkeller)
Anzahl Betten
6-7
7-8
6-7
5 Zimmer, Bad mit Badewanne, separates WC, Garten, Keller
4 Zimmer, Küche, WC, Badewanne in Waschraum, Garten, Schopf
5 Zimmer, Küche, Bad mit Badewanne, separates WC, Garten, Keller, Halbkeller
Ausstattung
Abb. 32. Typ B, Zürich
Schorenmatten, Basel
Anders als bei den Wohnungen ist der unterschiedliche ökonomische Druck der einzelnen Siedlungen in den Wohnflächen kaum zu erkennen. Beachtenswert sind allerdings die Platzverhältnisse im Typ Schorenmatten. In diesem Reihenhaustyp kann pro Haushalt ein Kind mehr aufgenommen werden, trotz einer kleineren Fläche gegenüber den zwei andern Beispielen. Das Leben einer Familie auf engstem Raum wird in diesem Fall bis ins Kleinste ausgeschöpft. Alle Typen verfügen über einen zum Haus zugehörigen Garten als Erweiterung des Wohnraumes, der teilweise zur Selbstversorgung der Familie genutzt wird. Die Siedlung Neubühl kann zusätzlich mit Spielereien wie dem Halbkeller einen weiteren Raum anbieten, der für unterschiedliche Nebennutzungen verwendet werden kann.
Punkte 1 und 8 der Gestaltungsgrundsätze 1. Mindestaufwand im Haushalt: Einen Mindestaufwand für den hauswirtschaftlichen Prozess durch die Gesamtanordnung der Räume erreichen. Unnötige Wege vermeiden, die wesentlichen Bereiche vollkommen ausstatten. 8. Die Lage des Badezimmers ist wesentlich: Badezimmer liegen zwischen den Schlafzimmern. Jede Wohnung verfügt über eine Sitzbadewanne und eine Brause. Wie in der Analyse der Wohnungen von Punkt 1 und Punkt 8 bereits erwähnt, kann durch die optimale Anordnung der Räume Zeit in der hauswirtschaftlichen Tätigkeit eingespart werden. Obwohl die Wege in einem Haus durch die Treppen erweitert werden, sind die Flurflächen abzüglich der Treppen beinahe kleiner dimensioniert als in den Wohnungen. Im Frankfurter und Neubühler Beispiel werden die Wege kurz gehalten und die Flurflächen minimiert. Der Typus Schorenmatten kann dieser Idee nur im Obergeschoss nachgehen. Der zu beschreitende Weg im Erdgeschoss wird durch Umwege und Erschliessungen über weitere Räume mehrmals in die Länge gezogen. Im Allgemeinen werden Räume, die nicht dem Aufenthalt dienen so klein wie möglich gehalten, um die Putz- und Aufräumarbeiten zu reduzieren. Daher werden Schlafzimmer in ihrer Grundfläche auf die Möbelausstattung minimiert. Rationalisierung in allen Lebensbereichen ist das Ziel der 20er Jahre. Sie wird als Weg zum Erfolg gesehen und ist vom amerikanischen Lifestyle geprägt. Basierend auf Tempo und Geld, heisst es Zeit zu sparen, um dadurch das Leben zu verlängern. Die Hauptbereiche der technischen Ausstattung werden in den Häusern gleich wie in den Wohnungen behandelt. Interessant ist im Unterschied zur Wohnung die Trennung der Toilette und des eigentlichen Waschraumes, die vermutlich aus hygienischen Gründen gemacht wird. In den Häusern liegen die Badezimmer nicht immer zwischen den Schlafzimmern. Im Typ Schorenmatten ist das Badezimmer gar auf einem anderen Geschoss als die Schlafräume untergebracht.
Typengrundrisse Im Wohnungsbau
Rahel Niffeler
Abb. 33. Efaki, Frankfurt
Abb. 34. Block 14, Basel
Abb. 35. Typ B, Zürich
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Abb. 36. Efaki, Frankfurt
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Abb. 37. Block 14, Basel N
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Abb. 38. Typ B, Zürich
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Punkte 2 und 3 der Gestaltungsgrundsätze 2. Befriedigung des Menschen durch die Wohnung: Gefühlsmäßige Befriedigung des Menschen durch die Wohnung. Das Einlassen von Luft und natürlichem Licht ist wesentlich. 3. Räume nach dem Sonnenstand richten: Schlafzimmer nach der Morgensonne und Wohnzimmer nach der Nachmittagssonne ausrichten. Für besondere Fälle gelten die Nordtypen Grundrisse als Basis. Gleich wie in den Wohnungen werden nicht alle Schlafzimmer konsequent nach der Morgensonne gerichtet. Der Grund dafür liegt in der Ausbildung des Obergeschosses, welches lediglich mit Schlafzimmern besetzt ist und daher die Ausrichtung aller Schlafzimmer nach Osten gar nicht bewerkstelligen kann. Weitaus interessanter ist die Lage der Wohnzimmer. Keines der hier vorliegenden Beispiele verfügt über ein Wohnzimmer, welches nach der Abendsonne gerichtet ist. Wobei zu beachten ist, dass die Typen Schorenmatten und Efaki auf ihren Grundstücken auch als gespiegelte Versionen vertreten sind. Dies wiederum bedeutet die Einhaltung der Lage des Wohnzimmers, nicht aber die Lage der meisten Schlafzimmer im Haus. Der Typ B der Werkbundsiedlung Neubühl ist wie die Wohnungen der Siedlung leicht nach Süden geneigt und kann dadurch die Belichtung im Wohnraum steigern. An dieser Stelle des Hauses wird sich wiederum der Luxus der Schiebefenster als verbindende und gleichzeitig trennende Wand zwischen Wohnraum und Garten geleistet. Bezüglich des Anteils an Fensterfläche gegenüber der Wohnfläche sind ähnliche Resultate wie bei den Wohnungen zu erwarten. Das Neubühl verfügt über den grössten Anteil an Fensterfläche mit 25%. Die Siedlung Schorenmatten punktet mit 22% und in Frankfurt sind es 18%. Als Referenz ist zu wissen, dass nach heutigen Normen die Fensterfläche gegenüber der Raumgrundfläche eines Aufenthaltsraumes 8-10% ausmachen muss. Damit liegen die Grundrisstypen mit ihrer Fensterausbildung deutlich über diesem Mindestwert heutiger Anforderungen. Der hohe Fensteranteil in den Siedlungen lässt sich durch die Prämisse, Minimierung der Raumfläche und Maximierung der Fensterfläche in vielen Fällen erklären.
Punkte 4 und 5 der Gestaltungsgrundsätze 4. Der Wohnraum gilt als Hauptraum: Der Wohnraum fungiert in seinen Dimensionen und der Nutzung als Hauptraum. Die Küche befindet sich in einem separaten Raum mit einem möglichst kurzen Weg zum Wohnraum. 5. Küchen haben Einbauten und werden von einer Frau geplant: Die Küche erhält Einbauten für eine rationelle Ausnützung. Die Anordnung ist nach den Grundsätzen der Küchenwirtschaft zu gestalten. Die Planung erfolgt durch eine Frau. Bezüglich der Dimensionen und der Verbindung von Küche und Wohnraum werden die Punkte 4 und 5 in den Haustypen eingehalten. Zwei der drei Küchen sind sowohl über den Flur als auch über den Wohnraum erschlossen. Die Küchen werden in ihrer Grundausstattung gleich wie in den Wohnungen behandelt. Nicht zu vergessen sind die wesentlichen Fenster, die von den Küchen abgehen und gleichzeitig Dämpfe entweichen können. Der Typus Schorenmatten verhält sich gegenüber den zwei anderen Typen in seiner räumlichen Ausprägung etwas differenziert. Die Küche wird als halboffene Kochnische ausgebildet und kann über eine mobile Tür vom Wohnraum abgetrennt werden. Das Frankfurter Beispiel bedient sich wieder seiner Frankfurter Küche und das Haus der Siedlung Neubühl kann auch in diesem Fall nicht mit einer eingebauten Küche punkten. Die Mittelschicht der Werkbundsiedlung soll seinen Geschmack im Mobiliar der Küche frei entfalten können. Denn in der Küche kommen Lebensweisen und Lebensvorstellungen sehr direkt zum Ausdruck. In den Nachkriegsjahren nimmt die freizeit- und konsumorientierte Massenkultur zu. Neue Medien stillen das Bedürfnis der Menschen unterhalten zu werden. Ab 1923 stehen Rundfunkgeräte in den Wohnzimmern der Bevölkerung. Das Wohnzimmer bildet daher nicht umsonst den grössten und wichtigsten Raum der Wohnung. Er dient als Aufenthalts- und Unterhaltungsort. Der Hauptraum wird in den Häusern direkt an den Garten angeschlossen. Der Garten muss als Erweiterung des Wohnraumes gesehen werden. In der Siedlung Neubühl sollen Wohnraum und Garten visuell verschmelzen. Denn anders als in Basel und Frankfurt dient der Garten als Repräsentationsort und nicht der Selbstversorgung.
Typengrundrisse Im Wohnungsbau
Rahel Niffeler
Abb. 39. Efaki, Frankfurt
Abb. 40. Block 14, Basel
Abb. 41. Typ B, Zürich
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ERKENNTNIS Aus der Analyse zeigen sich deutliche Prägungen der damaligen Zeit. Sei dies die Wichtigkeit der Steigerung der hygienischen Umstände im Haus oder die Ausstattung des Lebensraumes mit kleinen technischen Neuerungen zur Einsparung von Zeit. In allen Beispielen unabhängig ihres Zielpublikums werden Warmwasseranschlüsse, Badewannen, abgetrennte Küchen und zentrale Heizsysteme geboten. Wohnräume dienen als Haupträume der Bewohner und Schlafzimmer werden auf die Masse der Möbel reduziert. Obwohl die drei Siedlungen auf ähnlichen Grundsätzen der Epoche basieren, zeigen sich auch Unterschiede, wie in der detaillierten Ausstattung. Die Küchen werden meist neu kreiert und auf die geplanten Grundrisse zugeschnitten. So entwickelt Basel eine neue Küche, obschon die Elemente der Frankfurter Küche als Einbauten dienen könnten. Als weiteres Merkmal zeigt sich der ökonomische Druck. Die Werkbundsiedlung kann mit seinen Ressourcen etwas freier umgehen als die zwei anderen Überbauungen. Dies zeigt sich im Umgang mit der Grösse der Wohnfläche, der Fenstergrössen und der Art der Fenster, wie die erwähnten teuren Schiebefenster oder auch im Gartenbereich. Der Garten in Neubühl dient nicht dem Zweck sondern ist vielmehr ein Luxus. Auch ist die Anordnung der Baukörper etwas lockerer geplant. Es ist diesbezüglich zu erwähnen, dass die Siedlung Neubühl nicht im gleichen Masse mit der Enge der Stadt umzugehen hat wie Basel und Frankfurt, da die Überbauung etwas ausserhalb liegt. Der Genuss der sauberen Luft und des schönen Ausblicks wird dadurch gesteigert. Es kann von einer Beeinflussung der Frankfurter Typengrundrisse auf die behandelten Schweizer Siedlungen, wie in der These formuliert, nur bedingt ausgegangen werden. Durchaus spiegeln sich Ideen der Gestaltungsgrundsätze des Neuen Frankfurts auch in anderen Siedlungen wieder, jedoch müssen die prägenden Einflüsse auf die Grundrissgestaltung vielmehr als Schwerpunkte der Zeit verstanden werden. In einem gemeinsamen Austausch an Zusammenkünften wie den CIAM-Kongressen wurden die Zeit beherrschenden Themen besprochen und gemeinsame Basen geschaffen, die individuell ausgearbeitet werden konnten. Kleiner Ausblick Heutige Neuerungen und Platzbedürfnisse der Menschen führen unweigerlich zu Veränderungen der originalen Substanzen und Grundrisse. Das Neue Frankfurt steht heute unter Denkmalschutz und gilt als eine der wichtigsten Siedlungen der Epoche. Jahrzehnte lange Vernachlässigung und eigene Reparaturen der Eigentümer haben die Architektur der Zeit
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verändert. Es fragt sich, ob ein Rückgang zum originalen Zustand noch möglich und vor allem sinnvoll ist. Küchen werden heute entfernt und dem neuen technischen Stand entsprechend angepasst. Probleme ergeben sich in den Platzverhältnissen der Badezimmer. Neue sanitäre Anlagen finden in den kleinen Grundrissen kaum noch Platz. Auch die Wohnungsgrössen, insbesondere der Kleinstwohnungen, entsprechen nicht mehr den jetzigen Bedürfnissen. Es werden daher mehrere Wohnungen zusammengelegt. Die Überbauung Eglisee entspricht im äusseren Erscheinungsbild trotz einigen Sanierungen weitgehend der damaligen Zeit. Auch die Grundrisse haben sich kaum verändert. Badezimmer, WC und Küche befinden sich noch immer an den gleichen Stellen im Haus und haben ihre Dimensionen nicht verändert. Die Ausstattung wurde aufgerüstet und ausgewechselt. Statt den sieben bis acht Personen leben heute, als Mindestanforderungen der Wohngenossenschaft, drei Personen in einem Haushalt. Die Siedlung Neubühl wird im Laufe der Jahre immer wieder sorgfältig den neuen Bedürfnissen angepasst. In den 80ern fand eine durchgreifende Gesamtsanierung statt. Küchen und Badezimmer wurden dem neuen Standard entsprechend ausgestattet und teilweise vergrössert. Die Wohneinheiten konnten in ihrer Grundrissfläche meist beibehalten werden. Statt der hohen in einem Haushalt lebenden Personenzahl beherbergt ein Domizil heute ungefähr die Hälfte an Bewohnern. Alles in allem gelten das Neue Frankfurt, die Siedlung Eglisee / Schorenmatten und die Werkbundsiedlung Neubühl auch heute, unter veränderten Umständen, noch als beliebte Wohneinheiten. Die Architekten von damals wussten mit der Not umzugehen und haben Bauten geschaffen, die bis zum jetzigen Zeitpunkt gerne gesehen sind. Die Entwicklung von Typengrundrissen aufgrund ökonomischer Zwänge dient auch in heutigen Tagen noch dem schnellen, effizienten und vereinfachten Bauen. Die grosse Problematik der Zwischenkriegszeit zwang die Architekten zu reichlich überlegten Folgerungen mit dem Resultat einer langfristigen Wohnform, die sich den Bedingungen der Zeit anpassen lässt. Es sollte das Ziel jeder Architektur sein, aus dem Moment entwickelt zu werden und einer langen Spanne zu dienen.
Typengrundrisse Im Wohnungsbau
Rahel Niffeler
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QUELLENVERZEICHNIS Literatur -
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Filigrane Herrlichkeit Die hyperbolischen Gittertürme Vladimir Grivor‘evic Šuchov Christiane Prieth
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2014 Horw, 17.06.2014
Verfasserin: Christiane Prieth Gallusstrasse 1 6010 Kriens
Dozenten: Dieter Geissbühler Oliver Dufner
Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik Architektur
Abstract Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage in wie weit Šuchovs hyperbolische Gitternetztürme einem standardisierten System unterliegen. Dabei wird zunächst kurz auf die Geometrie und das Trageverhalten eines Hyperboloids eingegangen, um ein mögliches Potential zur Entwicklung einer Standardlösung zu ermitteln. Darauf aufbauend wird die tatsächlich umgesetzte formale Gestalt des Hyperboloids untersucht, was weitere Erkenntnisse im Hinblick auf architektonische Ausdruckskraft und gestalterische Vielfalt zur Folge hat. Hierzu werden die formbildenden Parameter und ihre Auswirkungen auf die Gestalt eines Turmes analysiert. Dabei tauchen erste Zweifel auf, in wie weit die Konstruktion standardisiert ist. Bei der Analyse einer Standardisierung in der Struktur musste festgestellt werden, dass die Konstruktion zwar das Potential dazu hätte, aber die Gittertürme an sich nicht als Produkt eines Standarddesigns angesehen werden können, sondern jeder für sich ein Unikat darstellt. Immerhin können aber normierte und typisierte Bauelemente zur Errichtung der Türme notiert werden. Weiter wird das Planungsverfahren untersucht, das in Richtung eines einheitlichen mathematischen Ablaufes geht, aber nicht direkt als automatisiertes Standardverfahren verstanden werden kann, da der Entwerfer Šuchov selbst immer wieder individuell Einfluss auf die Parametergrößenbestimmung nimmt. Was die Realisierung der Türme anbelangt, kann zur Ausgangsthematik das v.a. für die Errichtung gestapelter Hyperboloidtürme entwickelte Teleskopverfahren angeführt werden, als eine Art standarisiertes Bauverfahren auf der Baustelle. Abschließend werden die gewonnenen Erkenntnisse nochmals zusammengefasst und ein möglicher Ausblick für die heutige Bauwelt gegeben.
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1 Einleitung Von „filigraner Herrlichkeit” (Graefe, 2010, IN zukunftforschung) und dem „größten Russischen Ingenieur” (Kovel`man, 1979) ist im Zusammenhang mit V. G. Šuchov die Rede. Reiner Graefe: „Šuchov war einer der größten Bauingeniere der Welt. Er steht in einer Reihe mit Gustave Eiffel, Pier Luigi Nervi oder Frei Otto.” (zukunftforschung 2010)
Kenner rühmen ihn himmelhochjauchzend, doch ansonsten nimmt der Ingenieur Vladimir Grivor‘evic immer noch eine Randposition in der Welt der Ingenieurs- und Architekturgeschichte ein. Das Erbe dieses Ausnahmetalentes wird leider vielfach sich selbst und dem Zerfall überlassenen. Trotzdem ist v.a. die Region rund um Moskau voller stiller Monumente des Genies Šuchov. Hierin liegt auch die Motivation dieser Arbeit versteckt. Einmal das Kaufhaus GUM durchschritten und den Šabolovka Radioturm aus der Stadt Moskau hervorragen gesehen, war das Interesse geweckt sich näher mit diesen Konstruktionen und der dahinter steckenden Figur zu beschäftigen. Ein Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Mag. Rainer Graefe tat sein Übriges um endgültig die Begeisterung für diesen Konstrukteur zu entfachen. Im Hinblick auf die gesetzte Thematik „Standardisierung: Ökonomischer Zwang oder Mittel zur Gestaltfindung“ will diese Arbeit sich mit den von Šuchov entworfen und realisierten hyperbolischen Gitterturmkonstruktionen auseinandersetzen, kann sich aber nicht den Gesamtwerk Šuchovs widmen, was den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Diese Arbeit begrenzt sich also auf einen Teilbereich des Schaffens Šuchovs, was den Zeitraum von ca. 1896 (Realisierung des ersten Turmes) bis in die 1930er Jahre betrifft. Geographisch gesehen realisierte Šuchov seine Türme rein auf nationaler Ebene, sei es im Zarenreich Russland bis zum ersten Weltkrieg, oder dem Staatsgebiet der danach gegründeten UdSSR. Nun soll untersucht werden, in wie weit die eisernen hyperbolischen Gittertürme sich zu einer Standardlösung hin entwickelt haben. Dazu wurde vorab folgende Arbeitsthese erarbeitet: Diese Arbeit soll aufzeigen, wie in Russland zur Zeit der aufkommende Industrialisierung mit maschinell bedingte Serienproduktion und der Normierung von Elementen die Entwicklung eines standarisierten hyperbolischen Wasserturms von Vladimir Grivor‘evic Šuchov begünstigt wurde. Es wird vermutet, dass v.a. durch die Eigenschaft des einschaligen Hyperboloids, welches sich leicht durch Geraden modellieren lässt,
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eine standarisierte Produktion und Errichtung dieser Türme möglich wurde.1 Darüber hinaus brachte Šuchov mit diesem nie dagewesenen Tragsystem eine völlig neue Formsprache und überaus ansprechende Gestaltungsmethode in die Bauwelt Russlands, trotz ständig steigendem Ressourcen- und Geldmangel und der dadurch notwendigen Reduzierung von Baumaterial und Baukosten. Bereits der einleitende Beitrag zur Standardisierung im freien Onlinelexikon Wikipedia gibt Aufschluss darüber, welche Kriterien für die vorliegende Untersuchungen wichtig waren: „Standardisierung bedeutet im eigentlichen Wortsinn eine Vereinheitlichung von Maßen, Typen, Verfahrensweisen oder anderem. Ziel ist die Schaffung gemeinsamer Standards respektive Parameter (beispielsweise bei Werkzeugen, Produktions- oder Softwarekomponenten).“ (wikipedia, 2014)
1
„Ein anderer, praktischer Grund für ihre Anwendung im Bauwesen war, daß sich diese gekrümmten Flächen problemlos aus geraden Elementen herstellen lassen. Der Definition nach werden ja bei Regelflächen die doppelt gekrümmten Flächen durch Bewegungen einer erzeugenden Geraden entlang zweier Leitlinien erzeugt. Bei Erzeugung dieser Formen im Bauwesen tritt an die Stelle der Fläche ein Gitter oder Rost, dessen lineare Elemente gleichmäßige Abstände aufweisen.“ (Tomlow, 1990, S. 110
Wie gelang es Šuchov Gebilde solch technischer Revolution und neuer atemberaubender Ästhetik zu bauen? Welchen Einfluss hatte die, in dieser Zeit in Russland noch in den Kinderschuhen steckende, Industrialisierung und aufkommende Serienproduktion und das Standardisieren von Bauelementen? Welche Verfahrensweisen in der Planung und der Umsetzung wurden angewandt? Waren diese vielleicht vereinheitlicht? Die Arbeit versucht diesen Fragen nachzukommen und sich mit der formalen Gestalt der Türme auseinander zu setzen. Leider erfolgte keine Aushändigung von Werkplänen Seitens zuständiger Institutionen, weshalb sich diese Arbeit auf Publikationen und Analysen in Sekundärliteratur stützt. „In der Person Šuchovs fanden die russische und die sowjetische Kultur den relativ seltenen Type eines Ingenieurs, der konstruktives Können mit dem künstlerischen Denken des Baumeisters vereint.“ (Smurova, 1990, S. 166)
Filigrane Herrlichkeit
Christiane Prieth
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2 Vladimir Grivor‘evic Šuchov Vladimir Grivor‘evic Šuchov lebte und wirkte in einer für Russland sehr turbulenten und wechselhaften Epoche. Drei Zaren (Alexander II. (18551881), Alexander III. (1881-1894) und Nikolaus II. (1894-1917)), die um sich greifende Industrialisierung, die russische Revolution und die Staatsgründung der UdSSR fielen in seine Zeit. Doch nichts davon kam Šuchovs Karriere in die Quere. Dennoch war und ist dieser talentierte Ingenieur vor allem außerhalb Russlands relativ unbekannt, deshalb soll dieses Kapitel die Figur Šuchov etwas genauer vorstellen.
Abb. 1. Šuchov als Schüler (Graefe, 1990, S.9)
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„Den Studenten wurde tiefgehend die Holz- und Metallverarbeitung gelehrt. Studenten lernten in der Schreinerei, Gießerei, Schlosserei, Schmiede, Modellwerkstatt und mechanischen Werkstatt. Ihnen wurden der Bau und die Bedienung von Dampfmaschinen sowie die Fertigung von Instrumenten und Getriebemaschinen gelehrt.“ (Karl Drebenstedt,2011) Laut Ekaterina Nozhova war diese Schulcurriculum sogar Vorbild für das MIT.
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2.1 Kindheit und Ausbildung Vladimir Grivor‘evic Šuchov wird am 28. August 1853 in Graivoron in der Provinz Kursk geboren (an der Grenze zur Ukraine). Er hat das große Glück in eine wohlhabende, weit respektierte Familie hineingeboren zu werden. Vater ist Gregory Petrovich Šuchov, ein gebildeter Mann, Nachfolger einer langen Linie von russischen Armee-Offizieren und zu jener Zeit Bankdirektor der lokalen Filiale für die St. Petersburger Staatsbank. In den 1850er Jahren erhält der Vater eine Anstellung als Beamter für das Ministerium für Ausbildung in St. Petersburg, der damaligen Hauptstadt des Reiches und so zieht die Familie gen Norden. Dort besucht V.G. Šuchov ab ca. 1859 die Schule. 1871 geht V.G. Šuchov nach Moskau, wo er eine Ausbildung als „Mechanikingenieur“ am Polytechnikum (heute: Bauman Moscow State Technical University) beginnt. Vorgänger des Polytechnikums war eine Handwerksschule, was einen betont praxisorientierten Schulplan Šuchovs zur Folge hat. 2 Ein weiterer Schwerpunkt in seiner Studienzeit ist die Mathematik, was seine akribisch genauen mathematischen Analysen in der Folgezeit erklären könnte. 1876 schließt Šuchov sein Studium mit Auszeichnung ab. Ihm wird eine Assistenzstelle bei Pafnutij F. Čebyšev (berühmter russischer Mathematiker z.B. Čebyšev-Polynom) angeboten. Doch Šuchov lehnt ab. Einem weiteren Angebot des Vorstandes der Hochschule jedoch stimmte Šuchov zu und zwar als Begleiter für Hochschullehrer auf einer Amerikareise um v.a. Informationen über die neueste Technik der USA zu erhalten. Unter anderem besucht Šuchov in diesem Zusammenhang die Weltausstellung in Philadelphia. In dieser Stadt macht er eine für seinen späteren Lebensweg entscheidende Bekanntschaft mit dem Vorsitzenden der russischen Ingenieurgesellschaft, Aleksandr V. Bari. Zunächst aber kehrt Šuchov zurück nach Russland und arbeitet in St. Pe-
tersburg zwei Jahre lang als Planer von Lokomotivhallen bei der Warschau-Wien-Eisenbahngesellschaft. Parallel dazu beginnt er ein MedizinAbendstudium. Doch die Doppelbelastung wird zu groß und so bricht er sein zweites Studium ab und kündet seine Arbeitsstelle in St. Petersburg. 2.2 Bari Der Einstieg in das Unternehmen Bari wird für Šuchov ein Schlüsselereignis in seiner beruflichen Karriere. Diesem Unternehmen wird er Zeit seines Lebens, egal ob als privater oder später als verstaatlichter Betrieb, die Treue halten. 1878, nachdem er alle seine Tätigkeiten in St. Petersburg aufgegeben hat, zieht er in die russische Kolonie Azerbajd um für Aleksandr V. Bari zu arbeiten. Bari ist mittlerweile auch wieder aus Amerika zurückgekehrt, hat in Moskau ein Baubüro gegründet und beabsichtigt sich an den Erfolg versprechenden Erdölgeschäften im Süden zu beteiligen. So arbeitet Šuchov zunächst von 1878-1880 in Baku für Bari und kann sich in dem neu entwickelnden Zweig der Erdölindustrie frei entfalten (z.B. bereits 1878 Pläne für die erste 110 km lange russische Erdölleitung). Šuchov löst durch seine Kreativität und seinem Fleiß mittels neuer Erfindungen viele Probleme, die bei der Erdölförderung, dem Transport und der Verarbeitung auftreten. Er entwickelt u.a. die weltweit erste Leitung für vorgewärmtes Masut (Ein Erdölprodukt, das als Heizmaterial, Schmiermittel, Asphalt und zur Benzinherstellung verwendet wurde), neue Pumpen, Düsen oder Erdölbehältern ohne Fundamente. Dank Šuchov wird die Erdölgewinnung in Baku entscheidend modernisiert und die Produktion stark gesteigert. 1880 kehrt er nach Moskau zurück und wird zum Chefingenieur des dort ansässigen Bari-Ingenieursbüros ernannt. Ohnehin expandiert das Unternehmen Bari in dieser Zeit enorm. Aleksandr V. Baris unternehmerisches Gespür sorgt dafür, dass der Betrieb immer weiter anwächst. Filialen und neue Firmen mit unterschiedlichen Gewerben (neben Erdölindustrie, nun auch Wärmetechnik und verschiedene Baukonstruktionen) werden gegründet und von der Industrialisierungswelle in Russland getragen. Parallel dazu glänzt Šuchov durch immer neue Ideen, Erfindungen und Projekte, die in einem so vielseitigen Konzern anfallen.3 „Die russische Wirtschaft wurde durch expansive Außenpolitik von Zar Alexander II. (1855-1881) vorangetrieben. Der zentrale Schlüssel zur Industrialisierung des Landes blieb der Eisenbahnbau und alle ihm zuarbeitenden Gewerbe. Auch das Unternehmen Bari profitierte davon. Bari mit dem Gespür für das Geschäft und Šuchov mit den praktischen und wirtschaftlichen Lösungen aller Ingenieuraufgaben waren ein Gespann, das sich gegenüber einheimischen und westlichen Firmen durchsetzte.“
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Hier nur eine sehr eingeschränkte Auflistung seines Schaffens für Bari, um die Vielseitigkeit und den unermüdlichen Arrbeitsdrang Šuchov aufzuzeigen: - Entwicklung thermisches Cracken (Erdöldestilationsverfahren) - Um 1885 ersten russ. Tankschiffe zum Erdöltransport - Ende der 1880er Entwicklung von Rohrkesseln für Dampfkesselbau - Anfang der 1890er Brückenbau, Werkstätten, Lokschuppen, Montagehallen, Fabriken für Lokomotiv- und Wagenbau und Wassertürmen für den Ausbau des Eisenbahnnetzes in Russland - 1896: 16. „Allrussische Ausstellung“: Ersterrichtung von Hängedächern und eines hyperbolischen Wasserturms - um 1910 Herstellung von Kriegsgeräten: Entwicklung von Minen und einer Lafette für schwere Geschütze
Abb. 2. Šuchov als Chefingenieur der Firma Bari um 1886 (Graefe, 1990, S.9)
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„Die revolutionären Veränderungen soll Šuchov als angemessene und logische Folge gesehen haben. Die Unruhen und Erstarkung der Bolschewiki Ende 1917 ließen 1918 die Unternehmerfamilie Bari nach Amerika emigrieren. Auch Šuchov soll angeboten worden sein, zu emigrieren, was er jedoch ablehnte.“ (Karl Drebenstedt, 2011)
(Karl Drebenstedt,2011)
2.3 Zeit nach der Revolution „Ein Geist geht um in Europa“ und in Russland stürzt das althergebrachte System zusammen. Auch das Unternehmen Bari bleibt davon nicht verschont. Aleksandr V. Bari ist mittlerweile verstorben (gest.1913), seine Erben haben das Land verlassen und das gesamte Unternehmen wird verstaatlicht. Aus dem ehem. Baubüro Bari gehen nun der staatliche Betrieb „Stallmost“ (heute wissenschaftliches Planungsinstitut CNII), aus der ehem. Kesselfabrik der Betrieb „Parostroj“ (heute „Dinamo“) hervor. Šuchovs Karriere jedoch wird von dem großen Umschwung nicht weiter erschüttert.4 Er wird einstimmig von den Arbeitern der neu verstaatlichten Ex-Bari-Unternehmen zum Chefingenieur gewählt und bereits 1918 zum Mitglied der Firmenleitung ernannt. Der mittlerweile 65jährige wird noch im selben Jahr, 1918, zum Mitglied des staatlichen Planungskomitees für Erdölwesen erkoren, was ihm später, im Jahre 1927, die Mitgliedschaft in der sowjetischen Regierung einbringen wird. Dazu kommen auch noch hohe Positionen in wissenschaftlich-akademischen Gremien, wie die Professur am Moskauer Polytechnikum, ab 1928 korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UDSSR, 1929 Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften der UDSSR und Mitglied des Moskauer Stadtrates. Doch die Eingliederung und das Schaffen innerhalb des jungen Staates geht nicht immer ganz reibungslos von statten und auch die Gesundheit macht dem alternden Šuchov bald zu schaffen. So berichtet sein Enkel Fedor V. Šuchovs in „Erinnerungen an meinen Großvater V.G. Šuchov“: „In seinem Arbeitstagebuch tauchen neben den Notizen über Versammlungen und Besprechungen Bemerkungen auf wie ,sehr müde‘, ,wieder ein Herzanfall‘, ,heute unwohl, kann kaum arbeiten‘. Er, der an Selbstständigkeit und volle Eigenverantwortung gewöhnt war, störte sich an den bürokratischen Hürden, den ganzen Überprüfungen und Beschränkungen und daran, daß die Arbeitsgruppenleiter nicht nach ihren fachlichen Eigenschaften ausgewählt wurden. Wie oft hörte ich von ihm: ,Ich habe nur noch wenig zu leben, es ist schade, seine Kräfte umsonst zu vergeuden.‘“ (Šuchov, 1990, S.21)
Abb. 3. Šuchov im Alter (Graefe, 1990, S.9)
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Trotz angeschlagener Gesundheit bleibt Šuchov bis zuletzt sehr produktiv und stellte sich immer wieder neuen Herausforderungen, so z.B. dem Erhalt eines Minaretts der Ulug-Bek-Medrese (Koranschule) in Samarkand aus dem 15. Jahrhundert. Erst in den letzten Lebensjahren zieht er sich immer mehr zurück, von
den Ärzten wird seine Arbeitszeit streng limitiert, in der er sich nun gemeinsamen Arbeiten und Besprechungen mit Studenten widmet. Im Alter von 86 Jahren stirbt Šuchov im Februar 1939 und wird auf dem Prominentenfriedhof beim Novodevičij-Kloster beigesetzt.
3 Die Idee des Hyperboloides Was in der Mathematik schon lange bekannt und berechenbar war, war für die Baukunst mehr als fremd, die Rede ist hier von doppelt gekrümmten Regelflächen, also hyperbolischen Paraboloiden und Hyperboloiden. Gleich zu Beginn dieses Kapitels wird jedoch darauf hingewiesen, dass zu diesem Thema nicht jegliche geometrische Definition vollkommen angeführt und diskutiert wird, um die Eigenschaften und Abhängigkeiten solcher Flächen zu bestimmen, sondern es wird einzig und allein auf das einschalige Hyperboloid, seine Relevanz in Hinblick auf das Bauen und die Möglichkeit der standardisierten Produktion eingegangen. 3.1 Die Geometrie und das Trageverhalten des Hyperboloids Die Fläche des Hyperboloids wird als antiklastisch, also gegensinnig gekrümmt bezeichnet, das heißt die beiden Hauptkrümmungsradien liegen auf verschiedenen Seiten der Flächen. Diese Eigenschaft ist für die später aufbauenden Kapitel und der bereits angeführten Arbeitsthese von zentraler Bedeutung, denn Erzeugende können nur als Gerade ausgebildet sein, wenn es sich um gegenseitig doppelt gekrümmten Flächen handelt, d.h. konvex-konkav, nicht aber konvex-konvex. Um ein einschaliges Hyperboloid, also seine Oberfläche konkret zu beschreiben, gibt es drei verschiedene Möglichkeiten: „Die erste Möglichkeit besteht darin eine windschiefe Gerade um eine Achse zu rotieren, die zweite ist die Rotation einer Hyperbel um eine Achse und die dritte Möglichkeit die Angabe von drei beliebigen windschiefen Geraden, die die Oberfläche eines einschaligen Hyperboloids stets eindeutig bestimmen.“ (Beckh, 2012, S. 24)
Für die hier vorliegende Arbeit ist die Beschreibung eines Hyperboloids mittels einer (bzw. für die genaue Beschreibung mittels drei) windschiefen Geraden ausschlaggebend (Regelfläche). Wie bereits erwähnt liegt hier die Vermutung begründet, dass sich diese Fläche, möge sie auch zu Beginn noch so komplex erscheinen, doch sehr einfach erzeugen lässt. Auch für die serielle Produktion und die Entwicklung einer
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Abb. 4. Erzeugung eines Hyperboloids mittels Hyperbel und Geraden (Beckh, 2012, S. 26)
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Wie genau jedoch diese Ringe einzuordnen sind ist nicht ganz klar, Kohlhammer definierte sie im Gespräch als zwingend notwendige Sekundärstruktur, für Kostic hingegen bestand kein Zweifel darin, dass diese Ringe ebenfalls als Teil der Primärstruktur anzusehen sind.
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Theoretisch könnte man also für ein besseres statisches Verständnis einen hyperbolischen Gitterturm mit einem betonierten Hyperboloid gleichsetzen (also eine betonierte Schale). Die Geraden würden dabei rein für das Abtragen der Kräfte durch die Schale ersetzt, (auch wenn sie im realen Zustand noch gegen Schwinden und Duktilität notwendig sind), die Ringe sind aber auf jeden Fall auch hier notwendig.
standardisierten Struktur liegt hier in einer ersten Annahme der Schlüssel zum Erfolg begraben: gerade Elemente in großen Mengen erzeugen und sie dann entsprechend der geometrischen Beschreibung um eine fiktiv angenommene Achse windschief rotiert anordnen. Man kann also von folgendem Gedankenmodell zur Konstruktion eines Hyperboloids ausgehen: Zwei parallel übereinander liegende Kreise (möglich wären auch Ellipsen, jedoch soll hier bereits zu Beginn das Ellipsenmodell ausgeschlossen werden, da es von Šuchov selbst nie realisiert wurde und die Formelberechnungen der Geometrie zusätzlich erschwert hätte), die zueinander im Abstand H angeordnet sind bilden den Ausgangspunkt. Dann wird eine Schar von geraden Stäben der Anzahl n entlang der Kreise in gleichmäßigem Abstand angeordnet. Werden die Stäbe nun so angeordnet, dass Anfangs- und Endpunkte im Grundriss jeweils durch einen Drehwinkel φ verschoben sind, so erhält man ein Hyperboloid. Ergänzt man das System um eine zweite Geradenschar in entgegengesetzter Richtung, aber um denselben Drehwinkel φ verdreht, so kommt man dem konstruktiven Modell Šuchovs bereits sehr nahe. Die Größe des Drehwinkels φ ist dabei ausschlaggebend für die charakteristische Einschnürung des Hyperboloids in der Ansicht. Je größer φ, desto stärker auch die Einschnürung. Maximale Einschnürung erfährt das Hyperboloid bei einem Drehwinkel φ=180°, dabei verformt sich das Hyperboloid zu einem Doppelkegel. Die Fläche des Hyperboloids lässt sich also kontinuierlich in andere Regelflächen überführen. (Zylinder oder Doppelkegel, je nach Drehung der Geradenscharen entlang der begrenzenden Kreise) „Es ist bekannt, daß Šuchov bei seiner Entwurfsarbeit für Gittertürme diesen Effekt der kontinuierlichen Verzerrung mit einem kleinen verdrehbaren Modell studierte.” (Tomlow, 1990, S. 111)
Eine später für die Konstruktion wichtige Begleiterscheinung ist dabei, je größer die Verdrehung und Einschnürung, desto mehr Kreuzungspunkte ergeben sich zwischen den beiden gegensinnig verlaufenden Geradenscharen. Zusammenfassend hier nochmals die fünf Formparameter eines Hyperboloids, die sich aus der geometrischen Beschreibung ergaben: 1. unterer Radius RU 2. oberer Radius RO 3. Höhe H 4. Stabanzahl n 5. Drehwinkel φ
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Nun zum Trageverhalten eines hyperbolischen Turmes. Um statisch zu funktionieren müssen der geometrischen Figur weitere Elemente, nämlich weitere horizontale Ringe die sich über den gesamten Schafft verteilen und parallel zu den zwei Leitringen (Turmfuß und -kopf) liegen, hinzugefügt werden. Diese weiteren Ringe sind unerlässlich für die Aussteifung eines solchen Systems. 5 Beschäftigt man sich weiter mit dem Trageverhalten der Struktur so brachte diesbezüglich Neven Kostic im Gespräch den idealisierenden Ausdruck einer „perfekten Form“ ins Spiel, da man sich ein Hyperboloid bestehend aus einem Gitternetz wie es Šuchovs Planung vorsah, als in ein System aufgelöste Schale vorstellen könnte. 6 Das System wird dabei bei Krafteinwirkung laut Kostic in erster Linie reinen Zug- und Druck beansprucht, was konkret bedeutet, dass bei einer vertikalen Lasteinwirkung die Stäbe weitestgehend druckbeansprucht werden, die Ringe oberhalb der Einschnürung des Hyperboloids erfahren eine Zugbeanspruchung, die Ringe unterhalb der Einschnürung erneut eine Druckbeanspruchung. Bei horizontaler Krafteinwirkung gibt Beckh in seinen Analysen genauer Aufschluss über das Trageverhalten eines hyperbolischen Gitterturms: 1. Horizontaler Kopflast (Einwirkung einer Horizontallast am Turmkopf):
Abb. 5. Vertikaler Lastabtrag (Beckh, 2012, S. 33)
„Greift am Turmkopf eine Horizontallast an, so verteilt der obere Ring – in diesem Fall als biege- und dehnsteif idealisiert – die Last in die Stäbe gemäß ihrer geometrischen Steifigkeit. Hierbei bilden die am oberen Rand zusammenfallenden Stabpaare schräg im Raum liegende Zweibeine, die eine konstante Druck- bzw. Zugkraft erfahren.“ (Beckh, 2012, S.34)
2. Horizontale Knotenlasten: „Greifen an jedem Knotenpunkt horizontale Punktlasten an, so übernehmen die Zwischenringe die verteilung der Last zwischen den Stäben. Die Ringe sind auf der zum Wind gewandten Seite auf Druck beansprucht und auf der vom Wind abgewandten Seite auf Zug. Die Wirkungsweise gleicht der einer horizontalen Kopflast, allerdings hier in der vertikalen Überlagerung.“ (Beckh, 2012, S.37)
Biegungskräfte werden also weitestgehend vermieden. Dies hat zur Folge, dass das Material in der Beanspruchung voll ausgenutzt werden kann und man so sehr dünne, filigrane Konstruktionen errichten kann, die v.a. durch ihre hohe Stabilität trotz enormer Materialeinsparungen beeindrucken. Kostic wies noch auf einen weiteren großen Vorteil hin, wenn ein Hyperboloid als Regelfläche ausgebildet wird: bei Hyperboloiden mit gebogenen nicht gedrehten Stäben ergeben sich automatisch große Problem in der torsionalen Stabilität, was bei gedrehten Geradenerzeugenden nicht
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Abb. 6. Horizontale Kopflast (Beckh, 2012, S. 34)
Abb. 7. Horizontale Knotenlast (Beckh, 2012, S. 37)
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zutrifft. Außerdem wäre die Produktion von gebogenen Stäben um einiges aufwändiger, als die von geraden Stäben bzw. Profilen. 3.2. Entwicklung einer neuen Struktur “Die Suche nach neuen ingenieurmäßigen Lösungen wurde dadurch gefördert, daß gutsituierte Städte im 19. Jahrhundert diese Zweckbauten als architektonischen Akzent einsetzten. In den ein- bis zweistöckig bebauten Städten Rußlands mußten hohe Wassertürme, Masten und Leuchttürme zur Verschönerung der Stadt dienen.” (Petropavlovskaja,1990, S.78)
Bereits seit ca. 1880 arbeitet Šuchov an Plänen für verschiedene Typen von Wassertürmen aus Eisen. Die fortschreitende Industrialisierung und der Ausbau des russischen Eisenbahnnetzes fordern die Neuerrichtung einer großen Anzahl solcher Wassertürme. Benötigt wurden immer größere Behälter mit immer größerem Fassungsvermögen. Dafür sollte eine Konstruktion entwickelt werden, die einfach und ökonomisch zu produzieren und zu realisieren war. Aber v.a. sollte sie möglichst materialsparend sein, da Eisenmangel in Russland herrschte. Doch wie kam Šuchov nun auf die Idee das Hyperboloid als geeignete Geometrie für diese Bauaufgabe zu wählen? „Von seinen Studienjahren berichtet Šuchov, daß, in den Vorlesungen zur analytischen Geometrie über die Hyperboloide gesagt wurde, sie seien ein gutes Training für den Verstand, aber von keinem praktischen Nutzen.’” (Petropavlovskaja, 1990, S.78)
Eine Anekdote rund um die Entstehung des hyperbolischen Wasserturms erzählt, dass er seine Inspiration in einem geflochtenen Körbchen aus Weidenholz fand, welches als Papierkorb in seinem Büro stand. Beckh weist auf eine Zeichnung des Nachlasses von Reinhard Mannesmann hin, die sich im Archiv des Deutschen Museums in München befindet. Darauf sind drei Aussichtstürme aus Rohrprofilen zu sehen, zwei davon ausgebildet als Hyperboloide. Die Gebrüder Mannesmann hatten 1885 das Schrägwalzverfahren zur Herstellung nahtloser Rohre erfunden. In kürzester Zeit wurde ihr Unternehmen dadurch zum Großkonzern mit weltweiten Niederlassungen und Handelsbeziehungen, unter anderem auch mit der Firma Bari. Die Zeichnung ist leider nicht datiert, laut Beckh sollte sie nach Auskunft des Archives zwischen 1890-1895 entstanden sein. In wie weit jedoch diese Zeichnung Šuchovs Entwürfe inspiriert haben könnte, oder ob Šuchov sie überhaupt je zu Gesicht bekommen hat, lässt sich nach heutigem Stand der Dinge nicht klären.
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Abb. 8. Mannesmann - Rohrtürme, undatierte Zeichnung (Beckh, 2012, S. 20)
Außer Frage steht jedoch, dass Šuchov die ersten hyperbolischen Gittertürme effektiv gebaut hat. Um der herrschenden Rohstoffknappheit entgegenzuwirken fand Šuchov in dieser Struktur ein System, mit dem er versucht die Werkstofffestigkeit so gut wie möglich auszunutzen. Dafür soll jeder einzelne Stab seiner Gittertürme in allen Punkten möglichst gleiche Spannungen erhalten und Biegebeanspruchungen weitestgehend vermieden werden. 7 Zudem wird die Behälter- bzw Wasserlast nicht punktuell abgetragen, sondern der Behälter und der oberste Ring erfahren eine kontinuierliche Lagerung, dadurch kann auch dieser Ring sehr schlank und materialsparend ausgebildet werden. Bereits 1896 kann Šuchov seine erste hyperbolische Turmkonstruktion zum Patent einreichen. Dazu hier das von Pertschi übersetzte Patenschreiben:
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„Šuchovs statische Analysen hatten ihn immer weiter weg von hierarchischen Konstruktionstypen (beispielsweise aus Stützen, Pfetten, Sparren, Dachlatten) und hin zu gekrümmten Gitterflächen geführt, die aus identischen Elementen und mit gleichen Maschengrößen oder mit Maschen ähnlicher Größen gefertigt werden konnten.“ (Tomlow, 1990, S. 110)
„Beschreibung eines gitterförmigen Turmes Vladimir G. Šuchov Zum Patent Nr. 1896 vom 12. März 1899 Moskau, eingereicht am 11. Januar 1896 Die netzförmige Fläche, welchen den Turm des geplanten Gebäudes bildet, besteht aus geraden Holzbalken, eisernen Rohren oder Winkeleisen, die sich auf zwei Ringen
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oben und unten am Turm stützen. An den Kreuzungsstellen werden Balken, Rohre und Winkeleisen miteinander verbunden. Das so zustandegekommene Netz bildet die Rotationsfigur eines Hyperboloids (Fig. 1 und 2), auf deren Oberfläche einige horizontale Ringe verlaufen. Der auf diese Weise gebaute Turm stellt eine stabile Konstruktion dar, die bei äußerst geringem Materialaufwand äußeren Kräften widersteht. Hauptverwendung könnte diese Konstruktion als Wasserturm oder Leuchtturm finden. Gegenstand des Patents (Art. 20 Abs. 4 und Art. 22 der verordnung über Patente für Erfindungen und Verbesserungen) Ein gitterförmiger Turm, der sich dadurch auszeichnet, dass sein Tragwerk aus sich überkreuzenden geradlinigen Holzbalken, Eisenrohren oder Winkeleisen besteht, die auf den Leitlinien des Rotationskörpers verlaufen, dessen Gestalt der Turm hat. Sie sind miteinander an den Kreuzungsstellen vernietet und außerdem durch waagerechte Ringe verbunden.“ (Šuchov, Pertschi [Übers.], 1990, S. 177)
Abb. 9. Von Šuchov angefertigte Zeichnung für seinen Patentantrag eingereicht am 11.01.1896 (Graefe, 1990, S. 177)
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Šuchov sah also für die Materialisierung des Tragwerkes sowohl Holz (geradlinige Holzbalken), wie auch Eisen (Eisenrohre oder Winkeleisen) vor. In der Tat stehen bis heute hyperbolische Türme, ausgeführt in Holz, Winkeleisen oder U-Profilen in Russland. Die zwei gegensinnigen Geradenscharen werden an ihren Kreuzpunkten entweder miteinander vernietet, verschraubt oder ab 1930 auch zum Teil verschweißt. Eine Besonderheit weisen die Winkel- oder U-Profile auf, welche von Tomlow als „Verwindung“ (Tomlow, 1990, S.112) bezeichnet wird: Um nämlich die Außenflächen der Profile an den Kreuzpunkten flächig besser miteinander verbinden zu können, müssen die Profile über die gesamte Länge leicht eingedreht, also verwunden werden. Hier scheiden sich nun nach dem heutigen Stand der Forschung die Geister. Beckh verweist darauf, dass man nicht mehr genau nachvollziehen kann, ob diese Verwindung bereits im Werk vorgefertigt wird, oder dies erst während der Montage passiert (Beckh, 2012, S. 38). Tomlow hingegen ist der Ansicht, dass die Verwindung der Profile schrittweise während der Montage geschieht und v.a. durch die große Schlankheit der Profile erleichtert wird (Tomlow, 1990, S.112). So oder so erfahren die Eisenkonstruktionen durch die Verwindung eine zusätzliche Aussteifung. Nun zum Auflager und den Fundamenten, die in einer starken Abhängigkeit zur Stabanzahl und Turmhöhe stehen. Bei Turmkonstruktionen mit bis zu 24 Stäben sind meist die beiden
gegensinnig verlaufenden Geradenscharen paarweise an einem Auflagerpunkt zusammengeführt, oder nur sehr leicht gespreizt angeordnet. Hierbei finden in der Regel Punktfundamente aus Mauerwerk Verwendung. Handelt es sich um größere Turmkonstruktionen mit einer höheren Stabanzahl, so werden die beiden Geradenscharen im Allgemeinen alternierend angeordnet. Diese bedeutet, dass sich eine der Geradenscharen innerhalb der geometrischen Idealfigur befindet, die andere Schar außerhalb. Dies hat den großen Vorteil, dass die Lage der ersten Kreuzungspunkte der Geradenscharen sich bereits recht weit unten am Schafft befindet und so die Tragfähigkeit und Stabilität des Turms wiederum positiv beeinflussen. Hier kommen nun Streifenfundamente zum Einsatz, die größtenteils aus schwach bewehrtem Beton angefertigt werden. Ankerschrauben helfen in beiden Fällen die auftretenden Kräfte in das Fundament abzuleiten. Die Aussteifung des Gesamtsystems erfolgt mittels horizontaler Ringe, die regelmäßig an der Innenseite des gesamten Turmes verteilt montiert werden. Im Gegensatz zum idealisierten System des Hyperbolids im vorangegangenen Kapitel sind die Zwischenringe eigentlich nie genau an den Knotenpunkten der Geradenscharen angeordnet. Kohlhammer sieht hier eine Schwächung des statischen Systems, da die Kräfteverläufe in einem Knotenpunkten konzentriert werden sollten. Auch Beckh räumt ein: „Sind die Zwischenringe nicht [...] an den Knotenpunkten angeordnet, sondern liegen dazwischen (Bauweise von Šuchov), werden die Stäbe zusätzlich durch Biegemomente beansprucht [...].“ (Beckh, 2012, S.37). Tomlow hingegen sieht hier einen Vorteil: „Interessant ist, daß die Ringe vorzugsweise zwischen und nicht an den Kreuzungsstellen der beiden Geradenscharen angeordnet worden sind. Weil immer nur zwei Elemente in einem Knotenpunkt verbunden wurden, konnte die Konzentration der Last verringert werden.“ (Tomlow, J., (1990) S. 112) Unbestritten ist jedenfalls, dass es rein konstruktiv um einiges einfacher war, immer nur zwei unterschiedliche Elemente miteinander zu verbinden. Man sollte nie außer Acht lassen, dass die gesamte Konstruktion das Ergebnis aus dem war, was überhaupt in dieser Zeit möglich war. So diktiert oft die simple Technik die Konstruktion. Am Ende dieses Kapitels angelangt sollen noch kurz die wesentlichen Vorteile dieser neuen Struktur im Gegensatz zu anderen Konstruktionen jener Zeit angeführt werden: • Hohe Stabilität: bei enormen Materialeinsparungen (Optimierung des Trageverhaltens mittels Änderungen der Parameter und der Gesamtform siehe Kap. 4.1.) • Vereinfachter Transport und Montage, dank geringer Querschnittsgröße (vergl. hierzu auch Kap. 4.3)
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Abb. 10. Übertirebene Darstellung der Verwindung gerader Stabelemente mit eckigem Profil (Tomlow, 1990, S. 112)
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Auch Petropavlovskaja bemerkt: „In der Praxis waren Šuchovs Türme halb so teuer wie ähnliche Systeme zur Wasserversorgung” (Petropavlovskaja, 1990, S.78). Dabei verglich sie Turmhöhe und Material und kam zu den Ergebnissen: - Ursp. geplanter Sendeturm Šabolovka: 350m, ca. 2200t - Realisierter Sendeturm Šabolovka: 150m, 240t - Eiffelturm: 305m, 8850t - Fernsehturm Tokyo: 330m, 4000t
•
Geringe Kosten/ Wirtschaftlichkeit: Beckh verweist hier auf eine Tabelle in einem Werk von Dimitrij Petrovs die Aufschluss gibt über Kosten ausgewählter Türme im Verhältnis zu ihren Behältervolumen und Höhen.8 „Als Vergleichsparameter dient eine Art Wirtschaftlichkeitsfaktor: m=P/(h • V), wobei P die Gesamtkosten der Turmkonstruktion, h die Turmhöhe und V das Behältervolumen definieren.“ (Beckh, 2012, S.70)
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Die Ergebnisse lauteten wir folgt: - Stein-oder Ziegelkonstruktionen m = 0,075-0,234 - konventionelle Eisenkonstruktionen m = 0,098-0,133 - Türme nach Šuchovscher Bauart m = 0,053-0,069 Ästhetik: ansprechend filigraner architektonischer Ausdruck (vergl. Kap. 4.1)
Die genannten Punkte und die günstige Position, die Šuchov als Chefingenieur des florierenden Unternehmens Bari innehat, sorgen für eine schnelle und weitreichende Verbreitung der Turmkonstruktionen über gesamt Russland. Außerdem wären die oben genannten Punkte wohl ausreichend um Grund dafür zu sein, den hyperbolischen Gitterturm zu standardisieren und seriell zu produzieren. 3.3 Der erste hyperbolische Wasserturm Den ersten, sozusagen Prototyp seiner eisernen Hyperboloid-Türme, kann Šuchovs für die 6. Allrussische Handwerks- und Industrieausstellung 1896 in Nižnij Novgorod errichten. Nachdem er bereits in den 1880ern beginnt sich mit neuen eisernen Gitterstrukturen für Dach- und Turmbau auseinanderzusetzen, ist nun die Gelegenheit gekommen, diese der Öffentlichkeit zu präsentieren. Unter anderem realisiert Šuchov zu diesem Anlass noch für die Firma Bari 8 weitere Dachkonstruktionen für Ausstellungshallen, vier davon als Tonnenstrukturen und vier als Hängedachkonstruktionen umgesetzt (leider kann in dieser Arbeit auf die Dachkonstruktionen nicht weiter eingegangen werden, es sei aber bemerkt, dass eine starke Analogie zwischen den Turmkonstruktionen und Dachkonstruktionen als rautenförmig aufgelöste und aus einfachen Geraden geformte gekrümmte Flächen besteht). Für die Allrussische Ausstellung plant Šuchov konkret seit 1894 den ersten einer ganzen Serie von einstöckigen hyperbolischen Türmen, der bereits ein Jahr später, also 1895 erbaut wird. Der Behälter des Wasserturms hat ein Fassungsvermögen von 117m³ und ist nicht nur als Ausstellungsstück gedacht, sondern versorgt gleichzeitig die Ausstellung auch tatsächlich mit Wasser. Der Turm selbst wist 25,60m hoch und wird durch zwei aus je 80 Stä-
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Abb. 11. Wiederaufgebauter erster hyperbolisch realisierte Wasserturm. Gut erkenntlich die Torsion der Winkelprofile des ersten einstöckigen hyperbolischen Wasserturms (Beckh, 2012, S.39) Abb. 12. Pläne: Ansicht und Draufsicht des ersten einstöckigen hyperbolischen Wasserturms (Beckh, 2012, S.122)
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ben bestehenden Geradenscheren gebildet, die einem Drehwinkel von φ=94,5° folgen. Die Struktur besitzt zur Aussteifung 10 Querringe. Dabei hat der unterste Ring am Fundament einen Durchmesser von 11m, der oberste Ring hingegen, auf dem der Wasserbehälter aufliegt, weist einen Durchmesser von 4,30m auf. Für die Ausführung werden gleichschenklige Winkelprofile (L76/76/10 mm) verwendet. Durch die komplett neue und sehr prägnante Formsprache rufen Šuchovs Konstruktionen nicht nur in Russland, sondern auch im Ausland großes Aufsehen hervor (z.B. Publikation in „the engineer“). Doch sind die Meinungen sehr unterschiedlich und polarisierten die Fachwelt. Šuchov selbst meint einmal zu den Reaktionen der Besucher: „,Die Konstruktionen wurden mit großem Interesse, aber unter Vorbehalt aufgenommen, weil man erst von der gewohnten Ansicht Abschied nehmen mußte: je mächtiger, desto fester. Wahrscheinlich hätte man die Konstruktionen etwas dekorieren müssen, dann wären sie dem nichtprofessionellen Betrachter eher zugänglich gewesen. Aber so sahen sie zu primitiv aus, wie Skelette.“ (Smurova, 1990, S. 164)
Abb. 13. Historisches Foto: Errichtung des ersten hyperbolischen Wasserturm für die Allrussische Ausstellung um 1895 (Petropavlovskaja, 1990, S.78) Abb. 14. Historisches Foto: Fertiggestellter Wasserturm für die Allrussische Ausstellung um 1895-96 (Petropavlovskaja, 1990, S.78)
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4 Die neue Gestalt 4.1 Gestalterische Qualität und Variationen „Beim Blick auf den Leuchtturm fallen einem die Worte Šuchovs ein: ,Diejenige Konstruktion ist schön, bei der man sieht, wie zweckmäßig und einfach die Kräfte fließen‘.“ (Smurova,1990, S.166)
Diese Aussage Šuchovs zeigt ein reges Interesse an der Schönheit der mathematischen, oder besser statischen Form. In den vorgängigen Kapiteln dieser Arbeit wurde dazu bereits die Form der hyperbolischen Türme im Verhältnis zu Geometrie und Trageverhalten analysiert. Doch was den Gestaltungsdrang Šuchovs anbelangt so muss hier gleich zu Beginn eingeräumt werden, dass die Proportionen der Türme weder aus bloßen ökonomischen und technischen Überlegungen heraus, noch rein zufällig entstehen, sondern Šuchov verfolgte mit seinen Strukturen betont ästhetische Qualitäten und Absichten. „Šuchov hielt es für wichtig, wie die Proportionen des Hyperboloids auf den Betrachter wirkten. Nach V.I. Kandeevs Erinnerungen war die Lieblingsbeschäftigung seines Chefs das „Verdrehen eines Modelles“ (eines Zylinders aus geraden Stäben). So erhielt er die Hyperboloid-Form des künftigen Turms, wobei es wichtig war, mit dem Auge die optimalen Stellen zu erfassen, an der der obere Turmteil abgeschnitten werden sollte, um harmonische Proportionen zu erhalten. Verändert man die Parameter der Hyperboloide, hält aber die technischen Forderungen ein, so kann man nach Šuchovs Meinung ihre Gestalt und Proportionen verändern.“ (Smurova, 1990, S. 165)
Gelten die massiven Mauerwerkskonstruktion, wie sie viel in Westeuropa für Wassertürme in jener Zeit vor kommen, oft als hässlich, werden Šuchovs filigrane, fast schon zierlich anmutende Strukturen bald schon als eine Art städtebaulicher Akzent in Russland eingesetzt. Die Gestalt der Türme glänzt durch ihre prägnante ausdrucksstarke Form, und einer einzigartig geschwungenen Turmsilhouette. Mittels zahlreicher Stäbe (in der Regel 60 bis 80 Geradenpaarscheren) bildet die Oberfläche des Hyperboloids ein relativ dichtes graphisches Gittermuster aus. Die sich kreuzenden Stäbe sorgen für eine klare Detaillierung und einem regelmäßigen Rhythmus. Dabei wird das Gitternetz nach oben hin immer dichter und erzeugt ein spezielles Licht- Schattenspiel. Im Zusammenhang mit der menschlichen Wahrnehmung dieser Struktur spricht die Fachwelt oft vom Moiré-Effekt (frz. moirer, „moirieren; marmorieren“). Dieser Effekt beschreibt das Phänomen, das auftritt, wenn regelmäßige feine Raster sich überlagern und das menschliche Auge beim
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Betrachten beginnt ein gröberes Raster als Kombination der beiden feinen zu lesen. Da die Proportionen der Türme Šuchovs nicht von Anfang an gesetzt sind, wie es z.B. bei einem Quadrat oder Kreis der Fall wäre, lassen sie unterschiedlichste Formvariationen zu. Tomlow weist in diesem Zusammenhang auf die grafische Statik hin, die in jener Zeit bereits ausgereift war und Formen möglich machte, „[...] die nicht aus der Geometrie, sondern aus dem Kraftfluss entstanden [sind]“ (Tomlow, 1990, S.111). Man könnte es auch so begründen: Regelflächen können sich an ändernde Randbedingungen anpassen. Dadurch ergibt sich eine enorme Variationsmöglichkeit. Durch immer wieder wechselnde Größen der Parameter (formbildende Radien RU und RO, Höhe H, Stabanzahl n, Drehwinkel φ) kann jeder Turm zum Unikat werden. Wie wirkt sich nun ein Wechsel der Parametergrößen auf die Form aus? Die Turmsilhouette steht in starkem Bezug zum Drehwinkel der Stäbe, wird der Drehwinkel größer, wird automatisch auch die Einschnürung des Turmes stärker und umgekehrt. Änderungen des oberen und unteren Radius‘ und die somit sich ändernde Differenz in den Durchmessern zwischen den beiden Ringen, kann die äußere Gestalt eines Turms mehr an einen Kegelstumpf, oder an einen Zylinder erinnern lassen (vergl. Wasserturm Simonovo und Wasserturm Tambov Kap. 4.2). Dabei ist aber bei den Türmen Šuchovs der untere Radius immer größer als der obere um die Stabilität der Gesamtform insgesamt zu erhöhen. Vor allem Türmen die sich aus übereinandergestapelten Hyperboloiden zusammensetzen nähern sich so sehr stark der Form eines Kegelstumpfes an (vergl. Radioturm Šabolovka und Nigres Turm Kap. 4.2). Dazu kommt die wechselnde Höhe der Türme, die im Verhältnis zu den festgelegten Radien, die Schlankheit eines Turmes definiert. Die Anzahl der Stabelemente bedingt unmittelbar die Gleichmäßigkeit der Krümmung der Turmsilhouette und die Dichte des Gittermusters. Dazu kommen noch die horizontal angeordneten aussteifenden Ringe, die sich ebenfalls auf die Dichte des Gitternetzes auswirken und den Turm rhythmisch gliedern. Außerdem hat Šuchov seine Türme nicht nur an ein einziges Material gebunden, sondern sie sowohl in Eisen, als auch in Holz (ab 1935 hölzerne hyperbolische Kühltürme) ausgeführt. Was wiederum starken Einfluss auf den architektonischen Ausdruck nimmt, hier in dieser Arbeit aber leider nicht weiter behandelt wird, da sich die Arbeit rein auf eiserne Turmkonstruktionen Šuchovs beschränkt. Bei den eisernen Gittertürmen konnte durch unterschiedliche Profile noch Einfluss auf das Trageverhalten genommen werden. Wurden die meisten Türme mittels gleichschenkligen
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Winkelprofilen realisiert, wechselte Šuchov bei besonders hohen oder stark belasteten Strukturen auf doppelt eingesetzte U-Profile.9
Abb. 15. Einfluss des Drehwinkels auf die Hyperboloidform in der Axonometrie (Beckh, 2012, S. 30)
Abb. 16. Moskau-Simonovo, 1899: Hohe Differenz der Ringdurchmessere (Beckh, 2012; S.134)
Abb. 19. Caricyn, 1899: niedrige Stabanzahl (2n = 24) (Beckh, 2012, S.123)
Abb. 17. Tambov, 1915: Geringe Differenz der Ringdurchmesseres (Beckh, 2012, S.134)
Abb. 18. Charkiw, 1912: hohe Stabanzahl (2n = 48) (Beckh, 2012, S.129)
Besonderes betont soll in Hinblick auf Formvariation noch die Tatsache werden, dass Šuchov es schaffte über Abänderungen die Stabilität und Leistungsfähigkeit seiner Türme immer weiter zu steigern. Solch eine Stabilitätserhöhung wurde nun möglich durch: • Abgeschnittenes Hyperboloid: Hier endet die Turmstruktur sehr nahe an der Einschnürung des Hyperboloids. Solche Türme eigneten sich für eine Höhe bis zu 21m und größere Behältervolumen bis zu 738m³ (Angaben: Petropavlovskaja, 1990, S.82) • Zentral verlaufendes vertikales Eisenrohr mit Zugbändern auf Ringebene die radial vom Eisenrohr zur äußeren Gitterkonstruktion verlaufen
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Rundrohre hätten zusätzlich zu einer Gewichtsreduktion beigetragen, aber Spezialverbindungen benötigt, die damals v.a. in der Schweiz gf17 produziert wurden und deren Import relativ unwirtschaftlich für Russland war. Außerdem wäre die Montage aufwendiger gewesen.
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•
Stapelung von hyperbolischen Abschnitten: Dadurch werden mehr Kreuzungspunkte bei gleichbleibender Stabanzahl erzeugt. Das bedeutet eine Erhöhung der Stabilität, bei gleichem Materialaufwand. Darüber hinaus können bei Wassertürmen die Behälter auf mehreren Stöcken gelagert werden. Welche Auswirkungen nun die Möglichkeit ständig wechselnder Parametergrößen und die Variationsvielfalt zur Stabilisierungserhöhung des System im Hinblick auf die Untersuchung eines Standardisierungspotenzials hat, wird im Kapitel 5 weiter aufgezeigt.
Abb. 20. Samarkand, 1913: Abgeschnittenes Hyperboloid (Beckh, 2012, S. 130)
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4.2 Ausgewählte Beispiele eines vielseitigen Systems Die Industrialisierung und die bereits erwähnten Vorteile der Konstruktion (v.a. niedrige Kosten, Montage und hohe Stabilität, siehe Kap. 3.2) sorgen für eine rasante Verbreitung der neuen Turmkonstruktion. Bis 1910 stehen bereits 45 einstöckige Wassertürme an unterschiedlichen Orten im russischen Zarenreich. Zwar kommt es während des Ersten Weltkrieges zu einem Baustopp von Wassertürmen, aber unter dem neuen Staat der UdSSR werden bereits zwischen 1924-29 weitere 40 Wassertürme errichtet. Die Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Rahmenbedingungen lassen es zu, dass bald nicht nur mehr Wassertürme als hyperbolische Gittertürme ausformuliert werden. Die Bandbreite reicht von Leuchttürmen, Sendetürmen und Hochspannungsmasten über Schrottürme bis hin zu Masttürmen für Kriegsschiffe. Hier nun einige ausgewählte Beispiele um die Vielseitigkeit des Systems besser aufzuzeigen: Sehr früh beginnt Šuchov seine hyperbolischen Türme gedanklich „abzuschneiden“. So z.B. beim Wasserturm in Efremov (1902), dem Wasser-
turm in Jaroslav`1904, dem Wasserturm in Samarkand 1913 oder bei dem Wasserturmpaar in Tambov 1915. 1910 plant Šuchov das erste Mal einen gestapelten hyperbolischen Turm, also einen aus zwei aufeinandergestellten Hyperboloiden bestehenden Wasserturm am Bahnhof von Jaroslavl’. Ein Jahr später wird der Turm fertiggestellt mit zwei Behältern und einer Gesamthöhe von 39,4m. Dabei ist der untere hyperbolisch ausformulierte Abschnitt 19,2m hoch und trägt einen Behälter mit einem Fassungsvermögen von 96 000l. Darauf gesetzt befindet sich der zweite Turmabschnitt von 20,2m Höhe mit einem Behälter von 192 000l.
1911 beginnt Šuchov seine Turmstruktur auf andere Bauaufgaben zu übertragen. Er entwirft zwei Leuchttürme in Cherson, die er als hyperbolische Gittertürme ausformuliert. Die beiden Türme sind 26,8m und 68m hoch. Den höheren Leuchtturm (bestehen aus 60 Geradenscharpaaren) versieht er zudem mit einem 2m dicken Eisenrohr in der Mitte, das mit dem äußeren Turmgitter durch radiale Zugbänder auf den Ebenen der Ringe in 10m Abständen verbunden ist. Šuchovs Türme sind nun nicht länger nur mehr die Tragekonstruktion von schweren Wasserbehältern. Nachdem in Russland die Elektrifizierung immer mehr um sich greift und auch immer mehr Fernleitungen, Telefon- und Stromleitungen nötig werden, müssen sich Šuchovs Türme einer ganzen Reihe neuer Herausforderungen stellen. Vor allem aber fordern die neuen Aufgaben immer größere Höhen bei minimalem Materialaufwand. 1919, kurz nach der Revolution, beginnt Šuchov mit einem ersten Entwurf für einen Radioturm des Komintern (Kommunistische Internationale) Radiosenders Šabolovka (mit 100kW Leistung) im Zentrum von Moskau.10
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Abb. 21. Tambov, 1915: Wasserturmpaar mit je 21,3m Höhe u 738000l Fassungsvermögen (Petropavlovskaja, 1990, S.78) Abb. 22. Schlachtschiff „Imperator Pavel I“, 1903 mit Šuchovschen Gittermasten. Historisches Foto, nach 1910 (Bach, 1990, S.108) Abb. 23. Jaroslavl’ (1910): erster gestapelter Hyperboloid-Turm mit zwei Behältern. Abb. 24. Cherson 1911: Adžogol - Leuchtturm, historisches Fotot von 1911 (Petropavlovskaja, 1990, S.78)
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10 Zuvor hat 1918 Lenin persönlich eine Verfügung unterzeichnet die dem Volkskommissariat für Post- und Fernmeldewesen den Auftrag erteilt eine zuverlässige und dauerhafte Verbindung zwischen der Hauptstadt, den westliche Staaten und den Provinzen der UdSSR mittels einer Sendestation mit modernen Geräten und Maschinen zu gewährleisten. (siehe dazu auch Petropavlovskaja, 1990, S.92)
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Šuchovs Erstentwurf sieht einen Sendeturm von 350m Höhe vor. Der aus neun hyperbolischen Abschnitten bestehende Turm benötigt dafür ca. eine Stahlmenge von 2200t. Doch auf Grund von Ressourcenknappheit werden Einsparungen vorgenommen. Eine kleinere Version des Sendeturms mit einer Höhe von 150m, bestehend aus 6 übereinandergestapelten hyperbolischen Abschnitten wird 1922 realisiert. Die Stabanzahl beträgt in den unteren vier Abschnitten 48 Stäbe, in den oberen zwei halbiert sie sich auf 24 Stäbe pro Segment. Dieser Turm benötigt insgesamt nur noch eine Stahlmenge von ca. 240t. Doppelte U-Profile bilden die geraden Stäbe und die Aussteifungsringe aus, dabei variieren die Größen der Profile in den unterschiedlichen Abschnitten entsprechend der Beanspruchung.11 „Das einst höchste Bauwerk Russlands wird nach seiner Fertigstellung als ,Trompete der Revolution‘ gefeiert und findet Eingang in die zeitgenössische Literatur und darstellende Kunst. Der Turm bleibt für viele Jahrzehnte das höchste Bauwerk in Moskau. Auch heute noch ist er für die Silhouette dieser Stadt prägend.“ (Beckh, 2012, S.23)
Abb. 25. Erster Entwurf, 1919: Die Stabanzahl der einzelnen Abschnitte nimmt nach oben hin kontinuierlich ab, von 72 im untersten Abschnitt auf 12 im obersten, was dem Entwurf ein stark kegelförmiges Aussehen verlieh. (Beckh, 2012, S.9) Abb. 26. Šabolovka-Turm, Innenansicht (Foto: R. Graefe, 1989) (Petropavlovskaja, 1990, S.96) Abb. 27. Šabolovka-Turm, Ausenansicht (Foto: R. Graefe, 1989) (Petropavlovskaja, 1990, S.97)
11 Die doppelten U-Profile werden mittels kleinen Rohrstücken im Abstand zueinander gehalten, durch die die Nietbolzen gehen. Die Drehwinkel der Geradenscharen sind in jeden Abschnitt unterschiedlich. Die Stäbe der verschiedenen Turmabschnitte werden an Ringen, bestehend aus zwei Winkeleisen ((L100x100x10mm), in einen Abstand von ca. 30cm), über spezielle Blechteile miteinander verbunden. Die Verbindung an den Kreuzungsstellen der geraden Stäbe erfolgte mittels vier Nieten. Die Verbindung des Gitternetzes mit den horizontalen Aussteifungsringen gestaltet sich etwas komplexer: die Stäbe der einen Drehrichtung können direkt an den Ringen befestigt werden, die Stäbe der gegensinnigen Richtung, die den Ring nicht direkt berühren, werden mit geschmiedeten Winkeln an den Ringen montiert.
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1927 entwirft Šuchov die sogenannten Nigres-Türme, die oft in ihren Proportionen und ihrer Gestalt als die beeindruckendsten und schönsten hyperbolischen Türme Šuchovs bezeichnet werden. „Nie zuvor waren die Details so selbstverständlich einfach, die Konstruktion so zeitlos elegant wie bei diesem Spätwerk Šuchovs.“ (Beckh, 2012, S.23)
Abb. 28. Nigres - Stromleitungsmasten, Blick von der Oka (Foto Igor´Kazus´, 1989) (Petropavlovskja, 1990, S.101) 12 „Dann wurde der Betrieb eingestellt und die beiden kleineren Zuführungsmasten rückgebaut. In den folgenden Jahren unterspülte der Fluss das Fundament des näher am Ufer gelegenen höheren Masts, sodass er einstürzte. [...] Im Sommer 2005 entfernten Unbekannte bei dem letzten verbleibenden Mast tragende Stahlelemente. Sie trennten im unteren Abschnitt 16 der 40 vertikalen Stützen sowie die beiden untersten Horizontalringe mit Brennschneidern ab.“ (Beckh, 2012, S.96) Im März 2008 wurden rekonstruierende Reparaturmaßnahmen vorgenommen.
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Dies sind Strommasten für zwei parallele Fernleitungen über die Oka (Planung erfolgt im Rahmen des Staatsplans für die Elektrifizierung Russlands unter Goélro). Die Anlage befindet sich nahe der Stadt Dserschinsk (fast 400km östlich von Moskau gelegen) und soll die Stromversorgung für das Gebiet Nižnij Novgorod mit 150 kW Spannung garantieren. Sie umfasst vier gestapelte Hyperboloidtürme: Die zwei kleineren Türme bestehen aus je drei hyperbolischen Abschnitten (Höhe ca. 60m), die beiden größeren aus je fünf Abschnitten (Höhe ca. 130m). Die Türme müssen die Stromleitungen 970m frei gespannt über die Oka führen und werden oft als eine der eindrucksvollsten Turmbauten Šuchov beschrieben. 1929 wird die Anlage fertiggestellt und bleibt bis 1989 in Betrieb. 12 Bis heute erhalten ist nur noch einer der fünfteiligen Türme mit einer Gesamthöhe von 130,2m. Die unteren drei Abschnitte dieses Turmes werden über 40 Stäbe gebildet, bei den oberen beiden halbiert sich die Stabanzahl auf 20. Der oberste Abschnitt ist dabei der einzige, der eine deutliche Einschnürung aufweist (dies hängt mit den Bedingungen des Teleskopverfahrens zusammen, siehe Kap. 4.3). Der unterste Ringdurchmesser des Gesamtwerks umfasst 34m, dann nehmen die Durchmesser kontinuierlich ab bis zum obersten, der einen Durchmesser von 6m am Turmkopf aufweist. Somit wirkt die Turmsilhouette insgesamt stark kegelstumpfartig. Bereits in der Betrachtung dieser wenigen realisierten Beispiele an Turmkonstruktionen wird die Flexibilität der hyperbolischen Turmstruktur klar ersichtlich. Klar wird aber auch, dass es sich hier nicht um eine immer gleich wiederkehrende, eins zu eins adaptierte und an anderen Standorten genau gleich aufgebaute Struktur handelt. (Beispiele real. Türme siehe Anhang I)
4 Standard In den vorherigen Kapiteln wurde nun die Geometrie und Gestalt des Hyperboloids geklärt. Dies sollte die zu Beginn gesetzte Arbeitsthese untermauern, dass sich hyperbolische Turmstrukturen, nach dem Prinzip der Regelflächen konstruiert, hervorragend für eine standardisierte
Abb. 29. Nigres: Fünfstöckiger Mast, Blick von Innen (Foto Igor´Kazus´, 1989) (Petropavlovskja, 1990, S.101) Abb. 30. Geometrie der einzelnen Abschnitte des noch erhaltenen Nigres Turms (Beckh, 2012, S.100)
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Serienproduktion eignen und darüber hinaus noch über ausdrucksstarkes gestalterisches Potenzial verfügen. Auch die rasante Verbreitung und die Adaption der Struktur auf andere Bauaufgaben, sollten zunächst den Verdacht bestätigen, dass dahinter Standardisierung und serielle Produktionsmethoden stecken, warfen aber bereits erste Zweifel auf. Daher wird nun auf die Frage einer Standardisierung im System genauer eingegangen.
Abb. 31. Der Intze-Behälter Typ I (oben) kam sogar schon beim ersten realisierten Wasserturm 1896 zum Zug. Ansonsten griff Šuchov gerne auch auf den Typ II (unten) zurück. (watertowers.de, 2014)
13 Selbst wenn die Flachbodenbehälter in ihren Dimensionen noch keine richtige Vereinheitlichung aufweisen, bemerkt bereits Beckh zu den oberen Ringdurchmessern bei diesen Behältern: „So finden sich bei Flachbodenbehälter mit Volumina von 123m³ der Durchmesser 5,79m, bei 184m³ der Durchmesser 5,03m und bei 369m³ der Durchmesser von 6,10m. Allerdings gibt es auch hier immer wieder Abweichungen, die vermutlich auf unterschiedliche Ausführungen der Behälter zurückzuführen sind.“ (Beckh, 2012, S.93)
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4.1 Standardisierte Struktur? Bereits im Kap. 3.1 wurden fünf Parameter zur Formung der Struktur erläutert. Jetzt soll ein Vergleich dieser Parameter, der verwendeten Profile und Behälter von realisierten Türmen Aufschluss darüber geben, ob es eine Entwicklung hin zu einer standardisierten Struktur gibt oder nicht. Dazu werden Daten aus den von Šuchov angefertigten und von Beckh veröffentlichten Tabellen RAN OP 1508-79/1 und RAN OP 1508-79/2 analysiert und gegenübergestellt. Diese Tabellen beinhalten beschreibende Informationen der Turmkonstruktionen Šuchovs von 1896-1915. Zudem gibt ein von Beckh angefertigtes Diagramm über Turmhöhe, Drehwinkel, Stabanzahl und Behältervolumen der Türme zwischen 1896 bis 1930 Einsicht über die Entwicklung der Parametergrößen. Begonnen wird mit den für Wassertürme unerlässlichen Wasserbehältern. Als solche werden in der Zeit Šuchovs v.a. Flachbodenbehälter eingesetzt, deren Fassungsvermögen stark schwankt. Hier liegen die Werte zwischen 6m³-1230m³, man kann aber festhalten, dass häufig ein Fassungsvermögen von 123m³ umgesetzt wird. Bei größeren Behältern greift Šuchov immer häufiger auf die in Deutschland entwickelten und standardisierten Intze-Behälter zurück Im Gegensatz zu den Flachbodenbehältern, die in ihren Dimensionen noch keine richtige Vereinheitlichung aufweisen, kommt mit den Intze-Behältern ein neues komplett standardisiertes Element in die Entwicklung der Turmstrukturen hinzu. Der oberste Ringdurchmesser des Hyperboloids ergibt sich unmittelbar aus der Dimension des darauf aufliegenden Behälters, somit ist dieser Parameter der Struktur von einem, v.a. in der Spätzeit Šuchovs vermehrt eingesetzten, standardisierten Element abhängig. Dadurch wiederholt sich die Größe dieses Ringes, entsprechend der Behältergröße, oft.13 Die Höhe der Türme jedoch variiert sehr stark. Hier fließen Variablen wie das umliegende Gelände und der zu erreichende notwendige Wasserdruck ein. Vergleicht man die Höhenangaben der Türme in den Tabellen und im Diagramm miteinander, schwanken die Werte zwischen 8,53m und 43,50m. Nur vereinzelt weisen Türme dieselbe Turmhöhe auf. Als präferierte Höhe kann eine Höhe von 17,07m vermerkt werden, denn 8 von 38 Türmen in den Tabellen sind mit dieser Höhe dokumentiert. Jedoch
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Abb. 32. Zusammenstellung von Turmhöhe, Drehwinkel, Stabanzahl und Behältervolumen (Tabellen angefertig von Matthias Beckh) (Beckh, 2012, S.120121)
weist die restliche Datenauswertung keine Anzeichen für eine normierte Turmhöhe auf. Die Stabanzahl der Gitterstruktur liegt zwischen 18 bis 80 Stäben pro Turm. Auch hier lässt sich keine exakte Regelmäßigkeit feststellen, sicher ist, dass rein aus statischen Gründen, die Anzahl der Stäbe auf zunehmende Belastung von größeren Behältern und auf ansteigende Höhen reagieren muss. Da Šuchov aber, wie bereits in Kap. 4.1 aufgezeigt, durch experimentelles Verändern der gesamten Struktur (z.B. „abgeschnittenes“ Hyperboloid, Stapelung, usw.) die Leistungsfähigkeit versucht zu optimieren, kann rein für die Stabanzahl keine zwingende Vereinheitlichung aufgezeigt werden. Zur Stabanzahl bemerkt Smurova weiters: „Er war der Meinung, es gäbe eine bestimmte Gesetzmäßigkeit zwischen der Anzahl der die Flächen des Hyperboloids bildenden Stäbe und der ,Schönheit‘ der gitterförmigen Turmflächen.“ (Smurova, 1990, S. 165)
Die Stäbe der verschiedenen Türme werden größtenteils mittels gleich dimensionierter Winkelprofile realisiert. Bis auf einige Ausnahmen schwankt die Stärke der gleichschenkligen Winkeleisen-Profile zwischen 6,4mm, 7,9mm, 9,5mm, 12,7mm, ansonsten weisen diese Profile meist eine Schenkellänge von (63,5/63,5), (76,2/76,2), (101,6/101,6) auf. Die ständig wiederkehrenden Größen weisen auf eine seriell typisierte Fertigung an Eisenprodukten hin. Die U-Profile hingegen hatten in dieser Zeit bereits eine komplette Normierung erfahren und werden in der Tabelle nur mehr über Kennziffern angeführt (z.B. Nr. 8; Nr. 14; Nr. 16). Šuchov beginnt also auch hier, neben den Intze-Behältern, weiter Standardprodukte der Eisenindustrie einzusetzen. Nun zur Durchmessergröße des untersten Rings, der die Struktur mit dem Fundament verbindet und einer der ausschlaggebenden Parameter für die Turmgestalt ist. Dieser Ring weist in seiner Dimensionierung im Gegensatz zum obersten keine oft wiederkehrenden Werte auf. Dies hängt damit zusammen, dass diese Größe über den Kippsicherheitsnachweis entsprechend Stabanzahl und -querschnitts berechnet wird (vgl. Kap. 4.2). Die horizontalen Zwischenringe, die die Struktur aussteifen, hängen in ihrer Anzahl von der Turmhöhe ab, dabei sind sie in der Regel gleichmäßig über die gesamte Höhe verteilt. Die vertikalen Abstände liegen zwischen 1,80m und 3,20m und können bereits bei ein und demselben Turm variieren. So nehmen manchmal die Zwischenringabstände mit der Höhe zu, besonders dann, wenn im oberen Bereich viele Kreuzungspunkte der Vertikalstäbe vorliegen und dieser Bereich dadurch ohnehin steif ist. Also kann auch hier keine einheitliche Anzahl oder Abstandsgröße bei den realisierten Türmen vermerkt werden.
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Auch der Drehwinkel schwankt stark zwischen 75°-105°. Tendenziell verwendet Šuchov bei kleinen Türmen einen größeren Drehwinkel und umgekehrt. Die Auswertung der Daten ergibt also keine Standardisierung der Gesamtstruktur. Die Parametergrößen der einzelnen Türme weichen immer wieder stark voneinander ab und stehen in einem empfindlichen Gleichgewicht zueinander. Es lassen sich zwar tendenzielle Verhältnisse und Größenklassen ausmachen, aber eine Vereinheitlichung der einzelnen Turmstrukturen kann nicht verifiziert werden. Beckh bemerkt im Zusammenhang mit sich gegenseitig bedingenden Parametergrößen folgende Entwicklung: • Türme mit kleinen Behältervolumen (zwischen 6m³-37m³) weisen gemeinhin einen großen Drehwinkel von 90°-105°, eine Stabanzahl von 24-40 Stück und eine Schenkellänge der Winkelprofile von max. 75mm auf. • Türme mit großem Behältervolumen (>500m³) werden tendenziell mit einem kleineren Drehwinkel unter 75°, einer Stabanzahl mit bis zu 48 Stück und meist mit gedoppelten U-Profilen zw. 100-140mm Höhe realisiert. Als standardisierte Elemente wurden bereits die Intze-Behälter und die Eisenprofile angeführt. „Šuchov war der Meinung, ,eine optimale technische Lösung muß man nach ihrer Überprüfung vielfach bei analogen Aufgaben anwenden, indem man sie analog abwandelt. Das senkt die Kosten‘.“ (Smurova, 1990, S. 165)
4.2 Standardisierte Entwurfsmethodik? „Wie die statischen Berechnungen ist auch der Planungs- und Entwurfsprozess der Wassertürme stark rationalisiert und stützt sich auf standardisierte Verfahren. Vorgefertigte Tabellen erleichtern die im analogen Zeitalter noch mühsame Berechnungen trigonometrischer Funktionen.“ (Beckh, 2012, S.89)
Ein weiterer Grund, weshalb die hyperbolischen Gitternetztürme nicht als standardisierte Strukturen betrachtet werden können, liegt darin, dass bereits der gesamte Entstehungsprozess nicht als vollkommen automatisierter Prozess angesehen werden kann. Doch wie genau ging nun Šuchov selbst bei der Entwicklung eines jeden seiner Türme vor? Was meint Beckh in dem oben angeführten Zitat mit „standardisiertem Verfahren“ beim Planungs- und Entwurfsprozess? Sicher ist, dass Šuchov alle seine Entwürfe akribisch berechnet. In einem
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vordigitalen Zeitalter gebraucht er dabei die Kenntnisse der grafischen Statik und erarbeitete über Unmengen an Studien, Statistiken und eigener Erfahrung Sicherheitskoeffizienten, die er in seine Berechnungen einfließen lässt. Diese aufwendigen Berechnungen, bei denen jedes Bauelement einzeln rechnerisch im Bezug zur Gesamtkonstruktion analysiert wird, sind größtenteils erhalten und dienen heute als Basis für konstruktive Erneuerungen. Darüber hinaus sind nicht nur Berechnungen der Türme erhalten sondern auch eine Entwurfstabelle (Archiv der Akademie der Wissenschaften in Moskau), eine von wahrscheinlich mindestens vier, so vermutet zumindest Beckh in seinen Untersuchungen. Šuchov hatte lange genug mit der Geometrie des Hyperboloids gespielt und sich mit den Wechselwirkungen der einzelnen Parameter auseinandergesetzt. Nun wollte er über Tabellen beginnen ideale Winkelbeziehun-
Abb. 33. Entwurfstabell von Šuchov (Beckh, 2012, 88)
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gen festzulegen. Der Drehwinkel φ (φ = Drehwinkel der Geradenerzeugenden des Hyperboloids, siehe Kap. 3.1) wird hierfür in zwei Teilwinkel aufgeteilt: β (Winkel zwischen Startpunkt und „ideellem“ Taillenpunkt der Geradenerzeugenden) und γ (Winkel zwischen Taillenpunkt und Endpunkt der Geradenerzeugenden, damit ist die Lage der Taille bestimmbar). Diese beiden Winkel werden in ein, nach Šuchov ideales, Verhältnis zueinander gebracht und in Tabellen aufgelistet. Doch wie funktioniert nun die Entwicklung bzw. die Entwurfsplanung eines Hyperboloids? Vorgefertigte Tabellen und vorgefertigte Formeln? Also eine Art Standard-Argumentationskette aus mathematischen Gleichungen, in denen man das Maß der Parameter abgeändert für jeden Turm eingeben kann? Hierzu stützt sich die Arbeit auf einen von Beckh erhobenen hypothetischen Ablauf der Planung. Ausgehend von zwei vordefinierten Parametern, nämlich dem geforderten Behältervolumen V und der benötigten Turmhöhe H (zur Erzeugung des notwendigen Wasserdruckes), kann ein Planungsablauf schrittweise wie folgt durchgeführt werden: 1. Aus dem benötigten Behältervolumen können die Dimensionen des Behälters definiert werden, die wiederum den obersten Ringdurchmesser bestimmen. 2. Der notwendige Wasserdruck gibt eine Mindesthöhe für die Lagerung des Behälters vor. 3. Da die Behälterlast über das Behältervolumen und die Turmhöhe gegeben ist, können die Anzahl der Vertikalstäbe und die Querschnittsgrößen in etwa abgeschätzt werden. Ein genauer Zusammenhang zwischen Last und Anzahl der Stäbe konnte nicht ermittelt werden. Hier wirken jahrelange Erfahrung und der persönliche Gestaltungsdrang Šuchovs mit in den Entwurf ein. Außerdem hatte Šuchov andere Strategien entwickelt, um die Tragfähigkeit auch ohne größere Stabanzahl und erhöhten Querschnitt zu optimieren (vgl. Kap. 4.1). 4. Nun ist das Gesamtsystem (Behälter und Stabwerk) grob definiert und man kann die Windlast ermitteln, die in etwa auf das System einwirkt. Daraus resultierend kann das Kippmoment ermittelt werden und in einem weiteren Schritt dann der untere Ringdurchmesser, um den Turm wieder ins Gleichgewicht zu bringen. 5. Behälter, -last, Höhe, Stabanzahl und die notwendigen oberen und unteren Durchmesser sind jetzt gesetzt. Für die endgültige Form fehlt nun nur noch der Drehwinkel φ. Dafür kommen nun die bereits eingangs erwähnten Tabellen zum Zuge, mit ihrer Auflistung an günstigen Winkelkombinationen. Aber auch hier konnte selbst Beckh mit seiner intensiven Analyse zu Geometrie und Trageverhalten keine
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eindeutige Vorgehensweise zur Wahl des Drehwinkels fest machen. Tendenziell kann aber festgehalten werden, dass höhere Türme meist einen höheren Drehwinkel aufweisen, aus dem einfachen Grund, dass sonst die ersten Kreuzungspunkte der Erzeugenden zu weit auseinander liegen und somit zusätzlich die Turmstruktur schwächen. Weiters beeinflusst die Behältergröße tendenziell die Drehwinkelgröße: kleiner Behälter, großer Drehwinkel und umgekehrt (vgl. 4.1). Zwar ist ein bestimmter Ablauf in der Planung und Berechnung klar erkennbar. Aber eine automatisierte serielle Planung war wohl nicht möglich. Viele der Berechnungen sind aufbauen und definieren automatisch einige der formgebenden Parametergrößen, doch gibt es immer wieder Punkte, die sich nicht rein von der Ausgangslage her ableiten lassen. Hier wirkt Šuchov als Person selbst in den Entstehungsprozess stark ein. Einmal Šuchov der Mathematiker und Ingenieur, der über seine langjährige Erfahrung und den Drang die Türme statisch immer leistungsstärker zu machen, Parametergrößen abänderte und zum anderen Šuchov der Gestalter mit einem zweiten Drang die ideelle Form und Proportion zu suchen und zu finden. (Turmberechnungen Šuchovs siehe Anhang II) „Sie [die Konstruktionen Suchovs] bestehen außerdem durch ihre elegante Formgebung, die nicht allein das Resultat von Berechnungen ist.“ (Tomlow, 1990, S. 114)
4.3 Ökonomische Baustelle: Šuchov ist nicht nur ein Mann der Theorie, der sich mit mathematischen Formeln, grafischer Statik und ästhetischen Fragen auseinandersetzt, sondern genauso ein Mann der Praxis. Die Umsetzung seiner Türme soll ebenso ökonomisch, einfach und klar ablaufen, wie er auch unermüdlich versucht, ökonomisch im Materialverbrauch zu sein und Struktur und Ordnung in den Planungsprozess hineinzubringen. Vor allem bei Sende- und Masttürmen, die immer höher und höher werden, stellt die Errichtung dieser zierlichen Riesen bald eine große Herausforderung für die Arbeiter auf der Baustelle dar. Zunächst werden die Gitternetztürme Schritt für Schritt, Element für Element, zusammengesetzt. So schrauben sich die Geradenerzeugenden langsam gen Himmel. Immer wieder werden an den horizontalen Aussteifungsringen provisorisch ganze Plattformen errichtet, um das Montieren in ständig wachsender Höhe zu erleichtern. Hierzu zeigt die Fotodokumentation der Baustelle des Wasserturms in Nikolaev (1907) sehr anschaulich das sukzessive Fortschreiten des Aufbaus, dabei wird angenommen, dass die einzelnen Elemente während der Montage zuerst miteinander verschraubt werden und erst nachdem die
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Abb. 34. Wasserturm in Nikolaev (Beckh, 2012, S.71) Daten: - 1906 geplant - 1907 errichtet - Behälter: Intze-Typ ll mit ca. 615m³ - Höhe: 25,60m - untere Ø = 12,80m - obere Ø = 7,01m - 48 Stäbe - Winkelprofilen über die Höhe abgestuft (L5/5/0,5 Zoll) und (L 4,5/4,5/0,5 Zoll)
gesamte Struktur steht, miteinander vernietet werden. Doch die zunehmende Höhe der Türme macht bald das Montieren immer mühseliger und gefährlicher. Für dieses Problem entwickelt Šuchov bereits 1919 bei der Realisierung seines 150m hohen Šabolovka-Radioturms (vgl. Kap. 4.2) ein ganz neues Verfahren: das Teleskopverfahren. Dieses Verfahren kann nur bei gestapelten Gittertürmen eingesetzt werden, da es ebenfalls auf dem Prinzip der Stapelung basiert. So können z.B. 1927 auch die zwei größeren der vier Nigres Türme dank des Teleskopverfahrens realisiert werden (Nigres Türme vgl. Kap. 4.2). Die Montage sieht nun wie folgt aus: Zuerst wird der unterste hyperbolische Abschnitt konstruiert und am oberen Endring mit einfachen A-förmigen Holzkränen mit Flaschenzug versehen.14 Ist dieser Abschnitt fertiggestellt, wird in seinem Schafft, noch am Boden, der zweite Abschnitt vollständig zusammengebaut und wieder, immer noch am Boden, werden Holzkräne am oberen Endring des zweiten Abschnittes montiert. Eine Art vorübergehendes „holzernes Korsett“ (Beckh, 2012, S.98) sorgt dafür, dass die Stäbe des zweiten Abschnittes am unteren Bereich etwas mehr zusammengezogen werden und sich so temporär der Durchmesser des unteren Hyperboloidringes verringert. Dann wird dieser zweite Abschnitt mittels der am ersten Hyperboloid montierten Holzkräne auf selbigen hochgehievt, das „holzerne Korsett“ entfernt und die Stäbe mit dem nun darunter liegenden Endring des ersten Hyperboloids verbunden. Dieser Vorgang wird nun je nach Anzahl an hyperbolischen Abschnitten entsprechend oft wiederholt, bis der gesamte
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14 Für das Hochhieven der einzelnen Abschnitte kamen immer fünf Kräne zum Einsatz, da „auch bei Nachgeben von einem oder zweien die Stufe [HyperboloidAbschnitt] nicht kippt, weil sie noch an mindestens drei Punkten gestützt bleibt und der Schwerpunkt innerhalb des Stützdreieckes verbleibt.” (Petropavlovskaja, 1990, S.92) 15 „Die Verwendung der Teleskopbauweise hatte auch Auswirkungen auf die Formgebung der einzelnen Hyperboloid-Abschnitte. Große Verdrehungswinkel und damit starke Einschnürungen mussten vermieden werden, denn sie hätten das Hindurchführen des nächsthöheren Abschnitts verhindert.“ (Beckh, 2012, S.98)
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Turm „fertig gestapelt“ ist. 15 Somit kann zumindest für die Bauweise von gestapelten Türmen eine Art standardisiertes Verfahren notiert werden, das eine komplette Montage der einzelnen Abschnitte am Boden ermöglicht.
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5 Konklusion „Im Wesentlichen arbeitete Šuchov an der Typisierung der Turmentwürfe. Er war beständig auf der Suche nach neuen Maßverhältnissen zur Vervollkommnung der einstöckigen Turmkonstruktionen.” (Petropavlovskaja, 1990, S.82)
Šuchovs Leben und Wirken muss immer wieder im historischen Kontext Russlands gesehen werden: Das gesamte Land befand sich auf technischer, ökonomischer und politischer Ebene im Wandel. Neben der russischen Revolution, die eine komplette Neuordnung in der Gesellschaft zur Folge hatte, versuchte Russland den Anschluss an die neu entstandenen westlichen Industriemächte nicht zu verlieren. Die Erdölindustrie wurde stark gefördert, das Schienennetz im Land massiv ausgebaut, bereits Mitte der 1880er kam es zur Gründung eines der wichtigsten Stahlproduzenten in der Ukraine, was eine enorme Aufrüstung in der Stahl- und Eisenproduktion und eine zunehmende Normierung der Produkte mit sich führte. Der technologische Ehrgeiz ließ in der UdSSR Visionen zu, die den Anspruch hatten mittels drei riesiger Sendetürme die gesamte Welt abzudecken. Doch der schnelle radikale Wandel vollzog sich nicht gleichmäßig. Polarisierende Extreme traten auf, auch in der Industrie. Als Beispiel hierfür kann bei der Produktion von Eisenelementen genannt werden, dass auf einer Seite mittels moderner Metallpressen Eisenprofile angefertigt wurden oder ab 1898 in der Ukraine pneumatische Hammer16 (deutsche Erfindung) produziert wurden, die eine maschinelle Nietung der Gitternetzkonstruktionen Šuchovs zuließen. Dank Einsatz der pneumatischen Hämmer beschleunigte sich die Montage der Türme enorm.17 Auf der anderen Seite waren jedoch auch in Russland „primitive“ Produktionsmethoden noch nicht vollkommen aus der Welt geschafft. So wurden z.B. gewölbte Metallplatten, die Šuchov speziell für seine Hängedächer benötigte, hergestellt indem ein Erdloch ausgehoben wurde, eine Metallplatte darübergelegt und dann von Hand in die entsprechende Form gehämmert wurde. Šuchov Konstruktionen waren also das Ergebnis aus dem, was in jener Zeit überhaupt möglich war unter den Einschränkungen knapp vorhandener Materialressourcen. Im Hinblick auf die untersuchten Gitternetztürme konnte Šuchov zu einem großen Teil standarisierte Bauelemente (U-Profile, Winkeleisen, Intze-Behälter) für seine Konstruktionen einsetzen. Auch das Verbinden der Elemente mit den neuen pneumatischen Hämmern bekam bald einen seriellen Charakter auf der Baustelle. Was generell den Baustellenablauf betrifft, schaffte es Šuchov mittels des Teleskopverfahrens ein vereinheitlichtes Aufbaukonzept für gestapelte Hyperboloidtürme zu entwickeln.
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Abb. 35. Historische Fototdokumentation: Aufbau eines fünfstöckigen Nigres-Turms mittels Teleskopverfahren (Petropavlovskaja, 1990, S.99) Abb. 36. Historische Fototdokumentation: Montage und Hochhieven des dritten Turmabschnittes bei einem fünfstöckigen Nigres-Turm (Petropavlovskaja, 1990, S.100).
16 Im Zusammenhang mit dem Einsatz pneumatischer Hämmer wird der technische Vormarsch Russlands klar, wenn man bedenkt, dass als eines der entscheidenden Faktoren für das Sinken der Titanic 1912 oft angenommen wird, dass die Einzelteile dieses Schiff immer noch mittels Handnietung erfolgten und somit die schwächeren Verbindungen aufwiesen. 17 Da aber ein solcher dieselbetriebener Hammer zwischen 12-17kg schwer war, vermutet Nozohva, dass v.a. bei der Montage am Boden diese pneumatischen Hämmer zum Einsatz kamen, in der Höhe man aber immer noch manuelle Nietungen durchführte.
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Die Struktur selbst konnte jedoch entgegen der eingangs gesetzten Arbeitsthese keiner Standardisierung im herkömmlichen Sinne zugeordnet werden. Zwar lässt eine erste Beschäftigung der hyperbolischen Geometrie die Möglichkeit zu, diese Struktur über seriell hergestellte einheitliche Geradenprofile schnell und einfach zu produzieren, aber bereits bei der Analyse der Geometrie kristallisieren sich fünf Parameter heraus, die alle gleichwertig maßgebend für die Gesamtform sind und deren Größe und Proportionen zueinander nicht von Anfang an für jeden Turm einheitlich gleich gesetzt wurden. Durch das Einfließen der grafischen Statik, konnten die Proportionen der Türme über Kräfteflüsse bestimmt werden, die stark von einwirkenden Lasten abhingen. Rein diese Tatsache beweist bereits ein sehr flexibles System, das auf unterschiedliche Rahmenbedingungen, wie auftretende Lasten und Dimensionen der Behälter und ihrer Wasserspeicherkapazität oder den notwendig zu erzeugenden Wasserdruck, über seine äußere Gestalt reagiert und sich so nicht als einheitliche Standardform realisieren lässt. Diese Formflexibilität und ihre möglichen positiven Auswirkungen auf das Tragverhalten der Türme hatte Šuchov erkannt und in zahlreichen Experimenten mit abgeänderten Formvariationen zu seinen Gunsten genützt (z.B. abgeschnittenes Hyperboloid, Stapelung, zentrales Eisenrohr). In einem weiteren Schritt versuchte die Arbeit den Planungsprozess, sprich die durchgeführten Berechnungen in die Untersuchung miteinfließen zu lassen. Denn genau diese Berechnungen definierten die äußere Gestalt der realisierten Türme Šuchovs. Die dafür eingesetzte Methode kann als zusammenhängender mathematischer Prozess gesehen werden, der ein schrittweises Berechnen jedes einzelnen Parameters vorsah, und in der Planung eines jeden Turms vermutlich immer gleich ablief. Doch auch hier kann nicht von einem in sich abgeschlossenen automatisierten System an mathematischen Gleichungen gesprochen werden, das man wie eine Art Rezept hätte an Außenstehende weitergeben können. Viele der Berechnungen bauen zwar aufeinander auf und definieren automatisch einige Größen der Parameter, doch der andere Teil an Parameter lässt sich nicht aus der vorgegebenen mathematischen Argumentationskette heraus alleine herleiten. Sowohl die Stabanzahl, als auch der Drehwinkel werden zwar beide tendenziell kleiner oder größer, je nach Beanspruchung der Struktur, aber beide Parametergrößen wurden bei den realisierten Türmen nicht nur rein mathematisch, sondern auch aus ästhetisch-gestalterischer Überzeugung festgelegt. Somit ließen die Erfahrung, der Gestaltungswille und der Drang die Struktur mit jedem Entwurf immer weiter durch Abänderungen zu optimieren, die Person Šuchov selbst zu einem der formgebenden Parameter werden. Hierin liegt mit höchster Wahrscheinlichkeit auch einer der Gründe
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begraben, weshalb diese Struktur sich in der Bauwelt nicht durchsetzen konnte. Denn nur Šuchovs-Büro baute in dieser Konstruktionsweise, das Knowhow, also v.a. das Wissen und die jahrelange Erfahrung zu den Berechnungen und der Größendefinierung der Parameter blieb innerhalb des Büros. Der Planungsaufwand einer solchen Struktur ohne ausreichende Erfahrung wäre also zu der damaligen Zeit enorm gewesen. Zudem konnte man alle statischen Berechnungen im vordigitalen Zeitalter nur analog durchführen. Dafür wurden die dreidimensionalen Strukturgebilde gedanklich in zweidimensionale Modelle überführt. Ein Turm der als Fachwerk ausgebildet war konnte so relativ simpel berechnet werden. Ein hyperbolischer Turm hingegen konnte aufgrund seiner Torsions-Struktur nur sehr, sehr schwer in ein zweidimensionales Modell überführt werden und den Turm als dreidimensionales Modell zu berechnen war in damaliger Zeit fast unmöglich. Šuchov hatte es jedoch geschafft, eine ganz eigene mathematische Argumentationskette dafür zu entwickeln. Nach langem Experimentieren und Erheben von Statistiken entwickelte er eigene Koeffizienten die in die statischen Berechnungen mit einflossen und die Struktur mit definierten. In der Folgezeit übten einige Ingenieure Kritik an seine Berechnungen, sie wären zu banal um einer solchen Struktur gerecht zu werden und deshalb fehlerhaft, doch die immer noch stehenden Türme beweisen das Gegenteil, die Berechnungen hielten, was sie versprachen.18 So ergab sich aus einem zunächst geometrisch relativ einfach zu beschreibenden Objekt, das mittels der Torsion einer simplen Geraden entstehen kann, ein in der Planung unter statischen Gesichtspunkten enorm komplexes System, das einen erheblichen Genauigkeitsaufwand forderte. Der Planungsaufwand an sich war also enorm. Da keine direkte Standardlösung existierte, mussten bei jeder Abänderung, bei jedem Wechsel einer Parametergröße, der gesamte Turm für sich komplett neu durchgeplant werden.19 Trotz dieser Erkenntnis birgt die Figur des Hyperboloids immer noch ein Potential zur Entwicklung in Richtung standardisierte Struktur, denn rein durch die geometrische Beschreibung erfolgt der Aufbau der gesamten Konstruktion eines Turms auch bei Šuchov über die Anordnung immer gleicher seriell gefertigter Profile. Zwar erfolgten dann unzählige Abänderungen zur Optimierung und zur Anpassung an wechselnde Rahmenbedingungen, aber wären die Ausgangsparameter konstant, spreche wohl nichts gegen eine Wiederholung gleichbleibender Strukturen. Šuchov führte also das Hyperboloid in die Bauwelt ein und mit seiner technischen Ausbildung zum Ingenieur verstand er es gekonnt die Form zu seinem Gunsten auch statisch zu nutzen. Doch nachdem Šuchov eine ganz neue Bauweise ins Leben rief, war sie mit seinem Ableben auch fast wieder aus der Bauwelt verschwunden und prägt bis heute das Bauge-
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18 Selbst Türme denen Elemente in der Basis entfernt wurden standen weiterhin vgl. Kap. 4.2 Nigres Turm). „Sie [die Nigres-Türme] haben trotz der großen horizontalen Krafteinwirkungen durch Windbelastung, Spannung, Gewicht der Leitungsdrähte und Vereisungen im Winter ihre Stabilität behalten.” (Petropavlovskaja,1990, S.82) 19 So mussten z.B. die Verbindungsstücke der verwundenen Winkelprofile immer neu angepasst werden.
Abb. 37. Anschlüsse der vertikalen Stäbe zum Zwischenring. (Beckh, 2012, S.101)
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20 Kohlhammer bemerkte hierzu, dass zur funktionalen Erschöpfung auch irgendwann eine ästhetische Erschöpfung hinzukommen könnte: „man hatt‘s gsehn“ (Kohlhammer im Gespräch, 24.04.2014). 21 Was die Materialsparsamkeit der Struktur anbelangt, wären auch abgehängte Masten effizienter, aber die hyperbolischen Türme überzeugen durch ihrer höher Stabilität, denn selbst wenn sie in der Basis Elemente verlieren, bleiben sie zum Teil immer noch stehen. 22 Die Geschossdecken wären in die Konstruktion an den Stellen der Ringe hineingehängt.
schehen nicht maßgebend. Gründe dafür könnten der bereits erwähnte Planungs- und Genauigkeitsaufwand sein. Kohlhammer brachte im Gespräch ein weiteres Argument vor, weshalb die Struktur für die restliche Bauwelt unattraktiv erschien. Laut ihm nämlich weist die Struktur des Hyperboloids große Einschränkungen im Vergleich mit dem Fachwerk auf. Kann fast jede erdenkliche Form trianguliert und somit in eine Fachwerksstruktur übergeführt werden, bleibt das System des Hyperboloids hierzu relativ unflexibel. Zwar weist es in sich eine enorme Formvariation auf, als Grundform bleibt die Struktur jedoch dem Hyperboloid verschrieben, welche maximal geometrisch in einen Doppelkegel oder einen Zylinder überführt werden kann (vgl. Abb.19). Die hyperbolischen Türme sind also vielseitig anwendbar (vgl. Kap. 4.2), aber dennoch zwingt die Konstruktion der Gestalt ihre Form auf. Die Struktur, trotz ihrer hohen Flexibilität und Variation, ist irgendwann funktional erschöpft.20 Für den Erfolg einer Konstruktion nannte Neven im Gespräch als ausschlaggebende Parameter folgende drei Punkte: 1. Aufgebrachtes Material 2. Planungsaufwand 3. Herstellungsaufwand Was den ersten Punkt des Materialaufwandes anbelangt bewies die Arbeit bereits im Kap. 3.1 die Wirtschaftlichkeit dieser Konstruktion. Ergänzend zu den bereits erwähnten Ergebnissen aus der von Dimitrij Petrovs erstellten Wirtschaftlichkeitstabelle soll nun noch eingeräumt werden: „Überraschenderweise taucht ein Turm in der Übersicht auf, der alle übrigen Konstruktionsarten hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit unterbietet: der Wasserturm für die Maggi-Werke in Singen, der 1907 mit einer Höhe von 48 m aus Eisenbeton gebaut wurde [...]. Hier beträgt der Faktor m lediglich 0,048. Ein Beleg dafür, warum in Westeuropa ab den 1910er-Jahren Wassertürme aus Eisenbeton zunehmend an Bedeutung gewinnen.“ (Beckh. 2012, S. 70)
Abb. 38. Canton Tower, fertiggestellt 2010: Beispiel für ein hyperbolisches Bauwerk in der heutigen Zeit. Unterster und oberster Ring sind ellipsoid ausgeführt. (shelf3d.com, 2014)
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Durch Einsatz von Eisenbeton konnte dieser Turm also einen noch effizienteren Wirtschaftlichkeitsfaktor erreichen.21 Was wäre nun aber, wenn man die hyperbolischen Strukturen Šuchovs in Stahlbeton überführen würde um sie z.B. für den heutigen Hochhausbau einzusetzen. Hierzu vermutete Neven, dass der Materialaufwand ( kg Stahl und m³ Beton) bei einem hyperbolischen Turm der zum Hochhaus in Stahlbeton wird22, im Vergleich mit einem konventionell rechteckigem Hochhaus um einiges geringer wäre. Was den Planungsaufwand betrifft, dürften heutzutage durch digitalisierte Berechnungsmöglichkeiten und der neuen Welt des parametrischen
Designs keine größeren Schwierigkeiten auftreten. Durch digitale Formfindung und dem Erstellen von Skripten wäre einer seriellen Planung der Struktur wohl nichts mehr im Wege.23 Zum dritten Punkt den Herstellungsaufwand betreffend wäre heute eine solche Konstruktion nur dann lukrativ, wenn die Herstellung schneller ist, als bei anderen. Herstellungsaufwand minimieren kann man z.B. durch Elementreduzierung, oder zumindest durch die Produktion der immer selben Elemente. Auch hier erscheint das Hyperboloid als geeignet. Es würde also nichts dagegen sprechen, die Struktur eines Hyperboloids als Regelfläche ausformuliert wieder vermehrt in die Bauwelt einzuführen, als standarisierte Konstruktion serieller Bauaufgaben oder als individuell variierende, sich den äußeren Rahmenbedingungen anpassende Tragstruktur.
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23 „Šuchovs planerisches Vorgehen kann als ein frühes Beispiel des parametrisierenden Entwerfens betrachtet werden: die Generierung einer Form durch die Variation weniger Basisparameter. Die vielen aktuellen Entwürfe, denen eine parametrisierte Formgenerierung zugrunde liegt, verleihen Šuchovs Vorgehensweisen daher eine große Aktualität.“ (Beckh, 2012, S.89)
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Abbildungsverzeichnis Abb. 1. Šuchov als Schüler
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Abb. 2. Šuchov als Chefingenieur der Firma Bari um 1886
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Abb. 3. Šuchov im Alter
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Abb. 4. Erzeugung eines Hyperboloids mittels Hyperbel und Geraden
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Abb. 5. Vertikaler Lastabtrag
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Abb. 6. Horizontale Kopflast
11
Abb. 7. Horizontale Knotenlast
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Abb. 8. Mannesmann - Rohrtürme, undatierte Zeichnung
13
Abb. 9. Von Šuchov angefertigte Zeichnung für seinen Patentantrag
14
Abb. 10. Übertirebene Darstellung der Verwindung gerader Stabelemente
15
Abb. 11. Wiederaufgebauter erster hyperbolisch realisierte Wasserturm.
17
Abb. 12. Pläne des ersten einstöckigen hyperbolischen Wasserturms
17
Abb. 13. Historisches Foto: Errichtung des ersten hyperbolischen Wasserturm
18
Abb. 14. Historisches Foto: Fertiggestellter Wasserturm für die Allrussische Ausstellung
18
Abb. 15. Einfluss des Drehwinkels auf die Hyperboloidform in der Axonometrie
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Abb. 16. Moskau-Simonovo, 1899: Hohe Differenz der Ringdurchmessere
21
Abb. 17. Tambov, 1915: Geringe Differenz der Ringdurchmesseres
21
Abb. 18. Charkiw, 1912: hohe Stabanzahl (2n = 48)
21
Abb. 19. Caricyn, 1899: niedrige Stabanzahl (2n = 24)
21
Abb. 20. Samarkand, 1913: Abgeschnittenes Hyperboloid
22
Abb. 21. Tambov, 1915: Wasserturmpaar
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Abb. 22. Schlachtschiff „Imperator Pavel I“, 1903 mit Šuchovschen Gittermasten Abb. 23. Jaroslavl’ (1910): erster gestapelter Hyperboloid-Turm mit zwei Behältern.
22 . 23 .
Abb. 24. Cherson 1911: Adžogol - Leuchtturm, historisches Fotot von 1911
23
Abb. 25. Erster Entwurf des Šabolovka-Turm, 1919
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Abb. 26. Šabolovka-Turm, Innenansicht
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Abb. 27. Šabolovka-Turm, Ausenansicht
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Abb. 28. Nigres - Stromleitungsmasten, Blick von der Oka
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Abb. 29. Nigres: Fünfstöckiger Mast, Blick von Innen
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Abb. 31. Der Intze-Behälter Typ I und Typ II
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Abb. 32. Zusammenstellung von Turmhöhe, Drehwinkel, Stabanzahl und Behältervolumen. Tabellen angefertig von Matthias Beckh
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Abb. 33. Entwurfstabell von Šuchov
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Abb. 34. Wasserturm in Nikolaev
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Abb. 35. Historische Fototdokumentation: Aufbau eines fünfstöckigen Nigres-Turms mittels Teleskopverfahren
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Abb. 36. Historische Fototdokumentation: Montage und Hochhieven bei einem fünfstöckigen Nigres-Turm
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Abb. 37. Anschlüsse der vertikalen Stäbe zum Zwischenring.
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Abb. 38. Canton Tower
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Anhang
Anhang I: Beispiele realisierter Wassertürme Šuchovs Von links oben nach rechts unten: Nikolaev (1906); Kolomna (1902); Moskau - Kommissarov-Technikum (1914); Char´kov (1912); Jaroslavl´ (1904); Samara (1912); Sagiri (1912); Moskau - Firma V.A. Givartovskij (1910); Bahnhof Džebel´; Caricyn (1899); Priluki (1914); Vyksa (1897); Tambov (1915); Jaroslavl´(1913); Andižan (1910); letzten drei Fotos: Baudokumentation Jaroslavl´ (1911) (Petropavlovskaja, 1990, S.80-81)
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Anhang II: Turmberechnungen Šuchovs Statische Berechnungen von Šuchovs für den NIGRES-Turm an der Oka, Dserschinsk (RUS) 1929, nicht datierte Originaldokumente (Beckh, 2012, S.82-83)
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Typologische und konstruktive Rationalität Marius Rinderknecht
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Vertiefungsarbeit FrĂźhlingssemester 2014 Horw, 17.06.2014 Verfasser: Marius Rinderknecht Hubelrain 33 6005 Luzern Dozenten: Prof. Dieter GeissbĂźhler Dr. Oliver Dufner
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Eingangsbereich im Detail, Kasettendecken sichtbar
Abbildungsverzeichniss
Titelbild: Skizze einer Fassadenkonstuktion des Patenteintrages 1953 Abb.1. Jean-Jacques, Pierre und Robert Honegger Abb.2. Fassade Siedlung Riant-Parc Abb.3. Fassade Siedlung Théodor-Weber Abb.4. Hauptfassade der Siedlung Théodor-Weber Abb.5. Fassade Siedlung Riant-Parc Abb.6. Deckenschalung der Siedlung Riant-Parc Abb.7. Einsatz von Betonpumpen, Siedlung Riant-Parc Abb.8. Wohngrundriss der Siedlung Riant-Parc Abb.9. Graphis bloc II, Fassadenplan mit Tragstruktur und Füllelementen Abb.10. Graphis bloc II, Grundrissausschnitt mit dem eingezeichneten Raster Abb.11. Malagnou-Parc, Versetzen einer vorgefertigten Stütze Abb.12. Cosy, Einsatz von vorfabrizierten Treppengeländer Abb.13. United Houses ABC, Montage der Fassade, Baugerüst bereits entfernt Abb.14. United Houses ABC, Montage des vorfabrizierten Elementen Abb.15. Rückfassade des Wohnungsbau am boulevard Joffre, Foto 1997 Abb.16. Schalung aus gefalteten Blechen Abb.17. Strassenfassade des Wohnungsbau am boulevard Joff re Foto 1997 Abb.18. Filmstills aus dem Wer- befi lm über das neue Deckensystem HA Abb.19. Nachtansicht der vorgefertigten Beton brise-soleil Elementen Abb.20. Geschäft shaus, Büro und Ateliers, vorfabriziert HA, 1997 Abb.21. Siedlung Belvédère in Casablanca, Marokko, 1997 Abb.22. ``norme Maroc``: Konstruktionspläne der Brüstungselementen Abb.23. ``norme Maroc``: Konstruktionspläne der Treppenhausverkleidung Abb.24. Siedlung Belvédère in Casablanca, Marokko, 1997 Abb.25. ``norme Maroc``: Schemaplan der verschiedenen Grundrisstypen Abb.26. ``norme Maroc``: Grundrissplan, einseitig Orientiert: 3, 4, 5-Zi. Whg. Abb.27. Situationsplan habitation graphis Abb.28. Grundrissausschnitt habitation graphis Abb.29. Fassade habitation Graphis, Block II Abb.30. Parkfassade habitation Graphis, Block II Abb.31. Situationsplan Siedlung Carol Abb.32. Grundrissausschnitt Siedlung Carol Abb.33. Vordach im Detail, Kasettendecken sichtbar Abb.34. Fassade cité Caroll Abb.35. Situationsplan Siedlung Carl-Vogt Abb.36. Grundrissausschnitt Siedlung Carl-Vogt Abb.37. Küche mit Blick in den Wohnraum Abb.38. Einpassung entlang des Boulevard Carl-Vogt Abb.39. Eingangsbereich im Detail, Kasettendecken sichtbar
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Marius Rinderknecht
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Abstract
Die vorliegenden Vertiefungsarbeit befasst sich mit dem Schaffen der Genfer Architekten und Konstrukteuren Honegger. Der Fokus wurde dabei auf die Themen der Vorfabrikation und Normierung im Wohnungsbau gerichtet. Nach einer kurzen Einführung werden im Hauptteil die wichtigsten Vorgehensweisen bzw. Arbeitsmethoden der Gebrüder Honegger dargelegt. Anschliessend werden drei wichtige Wohnbauprojekte genauer untersucht. Typologische und konstruktive Entwicklungen werden aufgezeigt. Entgegen meiner ursprünglichen Vorstellung kommt die Arbeit zum Schluss, dass sich die Architektur der Gebrüder Honegger im Laufe ihrer Tätigkeit weiterentwickelt hatte. So nahm die typologische und konstruktive Vielfalt stark zu.
Motivation Beim Besuch der Stadt Genf anlässlich des diesjährigen Entwurfsprojektes, haben mich die verschiedenen Bauten der Gebrüder Honegger fasziniert. Der geringe Bekanntheitsgrad in der Deutschschweiz hat mich dazu bewogen, mich mit ihrem Werk und der französischen Literatur auseinanderzusetzen.
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Marius Rinderknecht
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1. Einleitung Jean-Jacques, Pierre und Robert Honegger, die in Genf fast 9000 Wohnungen sowie zahlreiche Geschäfts-, Industrie- und Bürogebäude realisierten, gehören wohl zu den bedeutendsten Architekten und Baumeistern der Schweizer Nachkriegszeit. Die Bauten der Gebrüder Honegger, welche eine klare architektonische Linie aufweisen und sich durch eine fast beängstigende Effizienz auszeichnen, haben die Genfer Siedlungslandschaft geprägt. Das Werk der Architekten, die zu Beginn ihrer Laufbahn Anfang der 3oer-Jahre zusammen mit Louis Vincent mehrere modernistische Wohnbauten realisierten, war seit jeher von einem Streben nach typologischer und konstruktiver Rationalität geprägt. Dies führte einerseits dazu, dass als Baumaterial fast ausschliesslich Stahlbeton verwendet wurde. Andererseits hatte diese Haltung die Entwicklung eines eigenen Konstruktionssystems zur Folge, das darauf basierte, ein Gebäude in verschiedene Elemente zu zerlegen. Das von ihnen gegründete Unternehmen «Honegger Afrique» (HA) stellte solche vorfabrizierten modularen Bauteile her, die dann auf der Baustelle gemäss verschiedenen Grundrisstypen zusammengesetzt wurden. Dieses Prinzip, welches 1954 erstmals in der Schweiz zur Anwendung kam, charakterisierte die Planung und Realisierung der Honegger-Bauten bis Mitte der 60er-Jahre. Daneben war das Büro Honegger frères auch ein Paradebeispiel für ein Unternehmen, das über sehr breite Kompetenzen verfügte und damit den gesamten Bauprozess von der Planung bis hin zur Realisierung kontrollieren konnte.
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2.
Die Gebrüder Honegger
Das architektonische Schaffen der Gebrüder Honegger, bestehend aus Jean-Jacques (1902-1985), Pierre (1905-1992) und Robert Honegger (19071974) fand zwischen 1930 und 1969 in verschiedenen Konstellationen statt. Jean-Jacques und Pierre absolvierten beide ein Maschinenbaustudium an der L`ecole polytechnique de l`université de Lausanne (EPUL), Robert hingegen studierte Architektur an der l`Ecole des beaux-arts de Genève. Ihr Vater Henri (1878-1949), war ein einflussreicher Investor und beschäftigte sich stark mit den Problemen des Städtebaus und der Entwicklung der Baukonstuktionen in der Moderne. Dieser gründete 1912 zusammen mit Albert Nobile die Immobiliengesellschaft Riant-Parc mit dem Zweck des Kauf und Verkaufes von Grundstücken, der Erstellung von Wohn- und Geschäftsbauten und deren Weiterverkauf. So waren sie in der Zwischenkriegszeit massgeblich an der städtebaulichen Entwicklung von Genf beteiligt und prägten diese. (1)
„Nous avons construit quelque dix mille logements, mais presque rien d`autre.“ (Pierre Honegger) (2) Die erste Zusammenarbeit der Gebrüder erfolgte in den 1930er Jahren, als Robert für den Genfer Architekten Louis Vincent an ersten Entwürfen arbeitete und Jean-Jacques 1929 ebenfalls im Geschäft integriert wurde und kurz darauf sogar Partner wurde. Pierre schloss sich 1931 als Ingenieur der Arbeitsgemeinschaft an und war hauptsächlich für die stahlbewerten Betonkonstruktionen verantwortlich. So realisierten sie in ihren ersten Jahren diverse modernistische Villen, bevor ihnen von 1930 bis 1932 an der Avenue Théodor-Weber der erste grosse Wurf gelang. Die Gebrüder Honegger trennten sich 1933 von Louis Vincent und gingen infolgedessen ihren eigenen Weg. Die Hauptakteure des neu gegründeten Büro der Gebrüder waren Jean-Jacques und Pierre. Als Auftraggeber fungierte zu Beginn die Immobiliengesellschaft des Vaters. So konnten sie in den Jahren 1933-1934 die Wohnbauten an der route de Frontenex realisieren, bevor ihre Tätigkeiten durch die Wirtschaftskrise unvermittelt gestoppt wurden. Erst nach Kriegsende wurde das neue Büro als Gemeinschaft mit Francis Quétant um Jean-Jacques und Pierre Honegger gegründet. 1948 entstand schlussendlich das eigenständige Büro Honegger frères, nach dem Wiedereintritt von Robert. Mit der Planung der Genossenschaftssiedlung Cosy in Montchoisy begannen sie 1946. Im Anschluss daran wurde die Überbauung Graphis in Beaulieu fertiggestellt. (1947-1952) (3)
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Abb. 1. Jean-Jacques, Pierre und Robert Honegger Abb. 2. Fassade Siedlung RiantParc Abb. 3. Fassade Siedlung Théodor-Weber
1. vgl. Graf 2010, S.124 2. aus dem Face, 1992-1993, S.63 3. vgl. Graf 2010, S.119
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Marius Rinderknecht
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3.
Typologische und konstruktive Rationalität
3.1
Der Wille nach Industrialisierung im Wohnungsbau
Bereits während seines Maschienenbau-Studiums hat sich Jean-Jacques Honegger mit dem Optimieren und Rationalisieren von handwerklichen Arbeitsabläufen auseinandergesetzt. Nach der Rückkehr von einem lehrreichen Arbeitsaufenthalt in Rumänien interessierte er sich vermehrt für das Baugewerbe. Erste Erfahrungen sammelte er mit der Anstellung als Zeichner für die Siedlung Viesseux in Genf. Zwischen 1930 und 1932 realisierte er in Zusammenarbeit mit Louis Vincent zwei Wohnhäuser an der avenue Théodor-Weber. Die geforderte Rentabilität der Bauprojekte durch die Bauherrschaft zwang die Architekten rationell zu planen und führte schlussendlich zu einigen typologischen Innovationen. Bei beiden Gebäuden wurden jeweils vier Wohnungen pro Geschoss über das Treppenhaus erschlossen. Die einzelnen Wohnungen wurden durch exakt mittig platzierte Wohnungstrennwände aufgeteilt, sodass nur zwei verschiedene Grundrisstypen entstanden, welche dann beliebig gespiegelt werden konnten. Der Wohnraum mit vorgelagerter Balkonschicht wurde zentral angeordnet, auf der einen Seite das Schlafzimmer mit Bad und gegenüberliegend die abgetrennte Küche. Um möglichst flächeneffiziente Grundrisse zu erhalten, wurden verschiedene Grundrisstyplogien ausprobiert. Zum Beispiel waren folgende Faktoren massgebend: Zentrale Anordnung aller Nassräume im Kern, kompakte Küchen und die Verwendung von Einbauschränken. Trotz bescheidenen Wohnungsgrössen, war es den Architekten jedoch wichtig, dass sie nicht dem Konzept der CIAM Bewegung folgten. (die Wohnung für das Existenzminimum) (4)
4. vgl. CIAM, online, 2014 Abb. 4. Hauptfassade der Siedlung Théodor-Weber Abb. 5. Fassade der Siedlung Riant-Parc, 1930
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Nach der Fertigstellung dieser beiden Gebäude konnten die Gebrüder Honegger ihre Recherchen in einem zweiten Wohnbauprojekt (Siedlung Riant-Parc) vertiefen. Die Wohnungstypologie wurde vom vorausgehenden Projekt übernommen. Es wurden jedoch einzelne Anpassungen vorgenommen: Allgemein wurden die Zimmer leicht grösser dimensioniert. Desweitern wurde die Küchengrösse angepasst, damit ein Essbereich in der Küche integriert werden kann. Diese Küche sollte einen Kompromiss zwischen einer Wohn- und einer Frankfurter Küche darstellen. Dieses Küchenkonzept wurde in allen weiteren Projekten wieder aufgegriffen. Statische wie auch visuelle Elemente wurden ebenfalls vom ersten Projekt übernommen. Die Gebäudeaussteifung übernahmen wiederum die Treppenhäuser im
Zentrum des Gebäudes. Die erweiterte Tragstruktur bestand aus einem strengen Betonstützenraster in Art und Weise des Systemes Dom-ino von Le Corbusier. Dies ermöglichte eine totale Gestaltungsfreiheit an den Fassaden. So heben durchlaufende Balkone, lange Fensterbänder und auskragende Gebäudeecken gezielt die Horizontalität in den Fassaden hervor und übernehmen keine tragende Funktion mehr. Jean-Jacques Honegger war der Meinung, dass Einsparungen der Gebäudekosten nicht über das Tragwerk erfolgen sollten, sondern über die Rationalisierung der Arbeits- und Bauabläufe, die Standardisierung der Grundrisstypen und durch die Vereinfachung der einzelnen Bauelemente. So wurden zum Beispiel in Frontenex nicht mehr als drei verschiedene Fenstertypen im ganzen Gebäude verbaut und die aufkommende Technisierung hatte starken Einfluss auf die Arbeitsabläufe auf der Baustelle. Neuerdings wurde mit Betonpumpen gearbeitet, Vibriernadeln zur Betonverdichtung verwendetet und die Holzbretter für die Schalung bereits in der Werkstatt konfektioniert. So sahen sie ihre Bauten als Versuchsfeld, um sukzessiv Anpassungen an Konstruktion und Verarbeitung zu machen. Eindrücklich sichtbar war dies am Beispiel der Koexistenz von zwei verschiedenen Deckenkonstruktionen der Balkone an einem Gebäude. (Im unteren Bereich flache Deckenplatten, weiter oben dann Rippendecken) Die Wohnungen verfügen über beachtliche Wohnqualität, sie sind thermisch sowie schalltechnisch komfortabel ausgeführt, haben gut ausgestattete Nassräume, Küchen mit Kühlschrank, einen Wäscheabwurf im Flur sowie eine öffentliche Waschküche im Erdgeschoss. Dieser Bau, konstruiert in einer ökonomisch schwierigen Zeit, war der letzte vor dem zweiten Weltkrieg. (5)
5. vgl. Graf 2010, S.148 Abb. 6. Deckenschalung der Siedlung Riant-Parc Abb. 7. Einsatz von Betonpumpen, Siedlung Riant-Parc Abb. 8. Wohnungsgrundriss der Siedlung Théodor-Weber
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3.2
Die ersten Versuche mit Vorfabrikation
Der Wiederaufbau der zerstörten Städten nach dem Krieg hatte zwangsweise eine Abkehr von den traditionellen Bautechniken im Wohnungsbau in ganz Europa zur Folge. Aufgrund der Ernsthaftigkeit und der Dringlichkeit war die Bauindustrie gezwungen, sich so schnell wie möglich weiterzuentwickeln und zu industrialisieren. Einen massgebenden Faktor in diesem Vorgang übernahm die Vorfabrikation. Die präzise Herstellung der einzelnen Bauelementen im Voraus bringt den Vorteil, dass diese auf dem Bau rationell mit anderen Konstruktionsteilen zusammengefügt werden kann. Diese neue Bauweise führte unverzüglich zu Debatten. In Frankreich griff der Architekt Pol Abraham 1946 ebenfalls die Thematik der Vorfabrikation auf. (6)
Abb. 9. Graphis bloc II, Fassadenplan mit Tragstruktur und Füllelementen Abb. 10. Graphis bloc II, Grundrissausschnitt mit dem eingezeichneten Raster 6. vgl. Dunod 1946,
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In der Stadt Genf, in der zum Glück keine Zerstörungen zu beklagen war, wurden die modernistischen Ideen der Architektur und des Städtebau eher aus natürlichen Interessen bevorzugt, nicht nur durch die entstandene Wohnungsknappheit. Ihren ersten Ideen und Erfahrungen folgend, waren die Gebrüder Honegger die Ersten, welche nach dem Krieg die Vorfabrikation im Wohnungsbau in Genf eingeführt hatten. Die Realisierung der Genossenschaftssiedlungen Cosy in Montchoisy (1946-1951) und der Siedlung Graphis in Beaulieu (1947-1952) stellten für sie ein Versuchsfeld für das Experimentieren mit Baukonstruktionen dar. Mit der Absicht, das komplette Gebäude zu Standardisieren und die Vorfabrikation in einem maximalen Masse anzuwenden, wurden die Projekte auf einem 60 Zentimeter grossen, orthogonalen Raster aufgebaut. Dieser beeinflusste somit jegliche Faktoren des Projektes. Von der städtebaulichen Setzung bis hin zur Dimensionierung der einzelnen Bauteile. (Fenster, Zimmergrössen usw.)
Diese strenge Rationalität ist auch in den für einfache Familien konzipierten Wohnungen ersichtlich. (Genauer darauf eingegangen wird im Kapitel x.4) Die Wohnungen besassen eine hohe Wohnqualität, verstärkt unter anderem durch die Materialwahl im Innern (U.a Feinsteinzeugplatten und Eichenholzparkett), grosszügig ausgestatteten Nassräumen, schallgedämmte Sanitärinstallationen und Stauräume im Flur. Ihren vorkriegszeitlichen Bauten folgend, handelte es sich auch hier um ein bewehrtes Betontraggerüst, welches mit Rippendecken und einer nichttragenden Fassaden ausgefacht wurde. Im Gegensatz zum Gebäude an der Route Frontenex, wurden nun jedoch partiell vorfabrizierte Betonelemente der Firma Granito SA versetzt. Die in Lausanne sesshafte Unternehmung spielte eine massgebende Rolle im Gebiet der Vorfabrikation in der Romandie. So war sie auch verantwortlich für die Vorfabrikation des kompletten Traggerüstes der ``l`unité d`habitation`` Malagnou Parc (1948-1952) in Genf vom Architekten Marc Joseph Saugey. Das Idealbild vieler Genfer Architekten war das fein gegliederte tektonisches Gerüst. Dies legte die Normierung und Industrialisierung der Gebäude nahe. Die Haltung der Gebrüder Honegger hinsichtlich der Technik war jedoch weit pragmatischer, so waren sie stetig auf der Suche nach neuen Verfahrens- und Herstellungsmöglichkeiten. (7) Der Ingenieur wurde zum Architekt, Jean Jacques Honegger hatte angemerkt, dass er den Hauptgrund der Vorfabrikation nicht in der zu erreichenden Ästhetik sieht, viel mehr sollte die Zusammenarbeit mit der Industrie gefördert werden. ``Das Problem ist die Mannigfaltigkeit, so sind die Produktionsserien oft zu verschieden und zu klein, um eine Massenproduktion wie bei Autos zu ermöglichen. (8) Die Gebrüder Honegger setzten sich für den bis anhin klassischen Bauablauf ein, so wurden die vorfabrizierten Bauteile mit tragender Funktion zuerst auf dem Bauplatz versetzt, erst danach die nichttragenden Elemente. Der Stand der Vorfabrikation nach dem Weltkrieg war zu vergleichen mit jenem der von Auguste Perret verwendeten Konstruktionen in den 1920 Jahren, welche den Prinzipien der Trennung von der vor Ort gegossenen Bauteilen und den vorfabrizierten, einkleidenden Elementen folgte. (9) Verschiedene Fertigteile wie Fensterbänke, Fensterpfosten, Rollladenkästen sowie Treppenhausverblendungen wurden nun im Werk der Firma Granito SA in Lausanne hergestellt. Die Vorfabrikation der Balkonbrüstungen waren bereits für die Projekte Graphis II und Cosy angedacht. Sämtliche Treppengeländer wurden ebenfalls im gleichen Verfahren vorfabriziert. Die Realisation der Genossenschaftswohnungen Beaulieu (1950-1953) zu Beginn der 1950 Jahre konnte als beachtlichen Entwicklungsschritt bezeichnet werden. Die Studios und die Zweizimmerwohnungen folgten den
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Abb. 11. Malagnou-Parc, Versetzen einer vorgefertigten Stütze Abb. 12. Cosy, Einsatz von vorfabrizierten Treppengeländer 7. vgl. Graf 2010, S.153 8. vgl. Graf 2010, S.154 9. vgl. Encyclopédie Perret, 2002
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Prinzipien des International Styles (U.a. modular, befreit von jeglichem Schmuck), die Gebäude im Allgemeinen erfuhren eine Normierung im grossen Ausmasse, sichtbar auch in den Fassaden. Frei von jeglicher statischen Funktion befreit wurden die schlanken Betonelementen komplett in der Fabrik vorfabriziert. Extrem schnell und passgenau liessen sich nun diese vorfabrizierten Elemente auf dem Bauplatz zusammenfügen. Das Resultat war ein exaktes tektonisches Gefüge. So wurden auch die mit Naturstein verkleideten Balkonbrüstungen aus einem Stück (5.4m) vorgefertigt. Das Baugerüst wurde nach dem Versetzen aller vorgefertigten Betonteile demontiert, sodass alle weiteren Arbeiten (Fenster, Rollläden etc.) von Innen ausgeführt wurden. Erstmalig wurde der leichte, strukturelle Raster an der Aussenhaut sichtbar und die vielen unterschiedlichen Einzelteile wiederspiegelten die tektonische Fügung der Fassade. Im Vergleich zu ihren ersten Bauprojekten nach dem Krieg, war nun die neue architektonische Handschrift der Gebrüder Honegger klar lesbar, geprägt von der permanenten Suche nach dem idealen Ausdruck der mit vorfabrizierten Elementen erstellten Gebäude. (9)
Abb. 13. United Houses ABC, Montage der Fassade, Baugerüst bereits entfernt Abb. 14. United Houses ABC, Montage des vorfabrizierten Elementen am Treppenhaus 10. vgl. Graf 2010, S.154
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3.3
Das Abenteuer Marokko – Honegger Afrique SA
Dem Beispiel anderer Schweizer Architekten folgend, installierten sich die Gebrüder Honegger Ende der 1940 Jahren in Casablanca, dem wirtschaftlichen Zentrum Marokkos ein. 1949 wurde Jean-Jacques Honegger von einem französischen Bekannten eingeladen, Marokko zu entdecken. Nur ein Jahr später gründeten sie in Kooperation mit der Unternehmung Granito und dem Architekten R. Gabus die ``l`Union technique d`urbanisme`` (UTU). Der Geschäftsanteil der Gebrüder Honegger bestand aus der Freigabe eines eines Patentes (für Betondecken), welches Pierre Honegger ein Jahr zuvor angemeldet hatte. Diese Erfindung ermöglichte es, in kurzer Zeit Schalungen von Kassettendecken mittels gefalteten Stahlblechen zu erstellen. Die Modularität und die einfache Veränderbarkeit von Seitenflächen der Blechkassetten waren eine Innovation. So wurden nun nur noch die Leerräume um die Stützen herum konventionell massiv betoniert, um ein Durchstanzen der Stützen zu verhindern. 1950 wurde diese Technik erstmals am Bau eines Wohngebäudes in Casablanca (boulevards Joffre et d`Anfa) von der Arbeitsgemeinschaft UTU angewandt. Die Schwierigkeiten sah Jean-Jacques Honegger darin, ein Gebäude zu entwickeln, welches dem modernen Geiste entspricht, aber auch den klimatischen Bedingungen Marokkos Rechnung trägt und kostengünstig ist. Die Spannung zwischen der strukturellen Eleganz und der bautechnischen Qualität in den Fassaden zeichnen die streng geometrische Architektur der Gebrüder
Abb. 15. Rückfassade des Wohnungsbau am boulevard Joffre, Foto 1997 Abb. 16. Schalung aus gefalteten Blechen Abb. 17. Strassenfassade des Wohnungsbau am boulevard Joffre Foto 1997
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Honegger auch in ihrer Tätigkeit in Marokko aus. Einige wenige weitere Projekte (kaum dokumentiert) folgten, doch nach dem Ablauf des Patentes verliessen die Gebrüder Honegger 1952 die Unternehmung. Daraufhin gründeten sie ihre eigene Bauunternehmung, die Honegger Afrique SA. Mit Hilfe des Ingenieurs Robert Cretegny entwickelten sie ein semi-industrielles Rohbaukonstruktionsverfahren. Das System bestand aus einer eingeschränkten Anzahl vorfabrizierter Betonelemente, welche eine schnell und kostengünstige Bauweise ermöglichte. Jean-Jacques Honegger erklärte das Konstruktionsprinzip in einem Werbefilm 1954 folgendermassen: ``Die Konstruktion (…) ist in schlüssiger Art und Weise aussergewöhnlich raffiniert und simpel. (…) Der neu entwickelte, sehr flüssige Beton wird in Schalungen aus Stahl gegossen und anschliessend auf einem Rütteltisch verdichtet. Nach kurzer Trocknungszeit konnte man diese Betonkassetten bereits ausschalen und auf der Baustelle direkt an Ort und Stelle platzieren. Das ganze scheint doch sehr einfach? Wir benötigten jedoch unzählige Versuche, forschten an Schalungen, Trennmitteln (Öl), Betonmischungen und auch an der Arbeitsequipe, um das angestrebte Ziel zu erreichen. (11) Abb. 18. Filmstills aus dem Werbefilm über das neue Deckensystem HA 11. Honegger Afrique construit, film über J.J Honegger, Regie Jean Rose, 1954 12. vgl. Graf 2010, S.154
Das Prinzip der Kasettendecken (analog ihres ehemaligen Patentes) wurde also wieder aufgegriffen. Die Betonkisten, welche man vor Ort im Voraus goss, dienten als verlorene Schalung und wurden auf einer klassischen Abstützung aus Holz (60cm Raster) platziert. In den Leerräumen zwischen den einzelnen Elementen konnten Sanitärleitungen eingelegt werden. Danach wurden die Elemente mit Beton ausgegossen und durch vibrieren verdichtet. Keine einzige Deckenplatte musste wie anhin vor Ort gegossen werden, die vorfabrizierten Kästen übernahmen diese Rolle. So konnten die Handwerker kurz nach dem Eingiessen des Betons frei auf den Deckenfeldern zirkulieren und mit den Arbeiten für das darüber liegende Geschoss beginnen, da sie nicht wie bis anhin die Austrocknungszeit des Betons abwarten mussten. Das neue Deckensystem war nicht nur schnell und ökonomisch, es ermöglichte auch Spannweiten von fünf bis sieben Metern. Neben den Geschossdecken waren es Teile der Fassade, welche im gleichen Verfahren nun von einer Handvoll teils nur beschränkt qualifizierter Bauarbeiter hergestellt werden konnten und die klassische Bautradition veränderte. (12) Die Fertigteile aus Beton reduzierten die Ungenauigkeiten des Rohbaus auf ein Minimum. Das Stützenwerk in der Fassade wurde in einem ersten Schritt für die Montage mit Metallbolzen fixiert und anschliessend mit verschiedenen, normierten Füllungen ausgefacht. (U.a. Brüstungselemente, Fensterbänke, Sprossen, Stürze, Sonnenschutz) Die Elementverbindungen dieser unterschiedlichen Füllungen oder Ausfachungen waren so konzipiert, dass sie im tektonischen Verband ein wasserdichtes Fassadengewand
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darstellt. Die Gebrüder Honegger verglichen dies mit der Funktion des Ziegels auf dem Dach. Nach der Fertigstellung ihres eigenen Büros in der rue de la Vilette, realisierte die Unternehmung Honegger Afrique eine Vielzahl von Projekten in Casablanca. Neben exklusiven Villen und einfachen Mietshäuser konnten sie sogar Teile des amerikanischen Flughafenstützpunktes erstellen. Die Unternehmung HA betätigte sich in verschiedenen Teilbereichen. So waren sie als Investoren, Architekten, Entwickler neuer bautechnischer Verfahren und nicht zuletzt als Anbieter für vorgefertigte Bauteile tätig. Die Gebrüder Honegger nahmen ihre Tätigkeit auch klar voneinander getrennt wahr, so waren sie in einem ersten Schritt Architekten und Ingenieure, in der Phase der Anwendung ihrer Entwicklungen dann als Unternehmer und Fabrikanten. In den Anfängen ihrer Grossbauprojekte besassen sie bereits eigene Baumaschinen wie Kräne und Betonmischer. Allmählich wurden sie sich jedoch auch in anderen Berufsgattungen tätig. (Gipser, Sanitär, Bodenleger und Schreiner) Ferner vermarkteten sie Ihre Tätigkeiten jeweils selbst über eine zusätzliche Gesellschaft, der ``Honegger & Cie`` (13) Die Unabhängigkeitserklärung im Jahre 1956 Marokkos war das Ende der Tätigkeiten der Gebrüder Honegger in Afrika, ihre Gesellschaft wurde drei Jahre später nach Paris umgesiedelt. Obwohl die Honegger Afrique SA nicht mehr existierte, wurde das System 1954 unter dem Namen ``système HA`` in Genf eingeführt. (14)
Abb. 19. Nachtansicht der vorgefertigten Beton brise-soleil Elementen Abb. 20. Geschäftshaus, Büro und Ateliers, vorfabriziert durch Unternehmung HA, 1997 13. vgl. Honegger in „Editorial“, art. cité, S.1 14. vgl. Graf 2010, S.161
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3.4
Die „norme Maroc“ im „System HA“
Zwischen 1954 und 1957 realisierten die Gebrüder Honegger einige kleinere Sozialwohnungsbauten mit ihrem System (Honegger Afrique). Die Unternehmung Marendaz mit Sitz in Carouge war fortan für die Fertigung der Betonfertigteile verantwortlich, welche an die Genfer Normen angepasst wurden. In dieser Zeit, als die technischen und ökonomischen Möglichkeiten für die Verwendung des ``System HA`` gegeben waren, erfuhr die Architektur der Gebrüder Honegger ihre Handschrift. Erkennbar war dies durch die systematische Anwendung von wiederkehrenden Elementen. Die perforierten Brüstungsgeländer oder die Kassettendecken-Untersichten an Loggien und Dach sind nur zwei der Bilder, welche man mit der Architektur der Gebrüder Honegger verbindet. Obwohl der Ausdruck der zeitlosen Fassaden sehr zurückhaltend und repetitiv ist, so entsteht die Qualität in der Fügung (Tektonik) der einzelnen Elemente zu einem Ganzen und ihre Beziehungen zueinander. Die Verwendung der System HA im grossen Stile fand erstmals an der Cité Balexert in Vernier (1957-1962) statt. Das Bestreben war nicht nur die Anwendung dieses neuen Systems, sondern führte dazu, dass die Genossenschaftssiedlung im konstruktiven sowie im räumlichen Sinne rationalisiert wurde. So wurde versucht, die Anzahl der andersartig vorgefertigten Elemente auf ein Minimum zu reduzieren, um möglichst tiefe Fabrikationskosten zu erreichen.
15. vgl. Graf 2010, S.161 Abb. 21. Siedlung Belvédère in Casablanca, Marokko, 1997
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Die Gebrüder Honegger entwickelten Schritt für Schritt normierte Grundrisstypologien und deren Kombinationen. Die auch besser unter dem Namen ``norme Maroc`` bekannte Entwicklung wurde mit Hilfe von Plänen in drei verschiedenen Kategorien und Massstäben in der Architektur erläutert. Der Erste ist eine detaillierte Beschreibung/Zeichnung aller konstruktiven Elemente des Systems HA – Stützen, Fensterpfosten, Fensterbänke, Stürze, Sichtblenden, Fenster, Brüstungen, Treppenstufen und Treppenläufe, Kassetten usw. – welche in ihren Fabriken geplant wurden. In der zweiten Kategorie wird eine grosse Anzahl von Wohnungsgrundrissen dargestellt, jeweils zwei Wohnungen durchgehend (Orientierung auf zwei Fassadenseiten) oder vier einseitig orientierte Wohnungen pro Geschoss, erschlossen über ein zentral angeordnetes Treppenhaus. Die Grösse und Tiefe der Gebäude war innerhalb des 60 Zentimeter Rasters modular. (15) Die 3, 4 und 5-Zimmerwohnungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie räumlich zweigeteilt sind. Auf der einen Seite befindet sich die Küche, auf der anderen Seite sind Zimmer und Bad angeordnet, welche über den Eingangsbereich oder direkt über den Wohnraum erschlossen sind. Der Wohnraum mit dem Aussenbezug über die Loggia ist mittig platziert und trennt diese
Abb. 22. ``norme Maroc``: Konstruktionspläne der vorgefertigten Brüstungselementen Abb. 23. ``norme Maroc``: Konstruktionspläne der Treppenhausverkleidung
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16. in Habitation, Nr.9, Sept. 1961, S. 31 17. vgl. Graf 2010, S.164
Abb. 24. Siedlung Belvédère in Casablanca, Marokko, 1997
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beiden Seiten. Strukturell gesehen wurde auf den Skelettbau verzichtet, die Wohnungstrennwände (quer und längsseitig) in Beton ausgeführt und die Wände im Innern konventionell mit Backsteinen gemauert. Diese konnten materialsparend sehr dünn ausgeführt werden, weil die betonierten Wände den Grossteil der Traglasten übernahmen. Auf jedem Ausführungsplan wurde systematisch auf separat gezeichnete Detailpläne hingewiesen. (Küchen, Bäder, Treppenhäuser, Loggien, etc.) In den Fassadenplänen wurde die Position jedes einzelnen vorfabrizierten Element definiert und nummerisch festegehalten. Zusätzlich wurden Ingenieurpläne erstellt, in welchen die Aussparungen und Sanitärinstallationen in den Decken eingezeichnet wurden. Desweiteren wurden Schemapläne erstellt, welche die verschiedenen Grundrisstypen im Verbund vereinfacht aufzeigten und eine Übersicht über das ganze Bauprojekt möglich machten. Aufgrund dieser Arbeitsweise, der ``norme Maroc``, war es den Gebrüder Honegger möglich, ein Projekt in kurzer Zeit zu charakterisieren – typologisch – ökonomisch sowie ausmasstechnisch, unabhängig von seiner Grösse. Die Zeitschrift Habitation schrieb folgendes anlässlich des Baues der cié nouvelle d`Onex: ``Es gibt in diesem Projekt keine Überraschungen. (…) Man hat alles ``auf Papier`` konstruiert, um beinahe alle Inhärenten in diesem Genre zu beseitigen.`` (16) Die ``norme Maroc`` durfte aber nicht als starre Formel betrachet werden, welche sich nicht an den Kontext anpassen konnte: Sie ermöglichte mit ihren vielen einzelnen Variabeln eine hohe Anpassungsfähigkeit. Das an den Wohnsiedlungen Caroll (1958-1966), Carl-Vogt (1960-1964) und D`Aire (1960-1963) angewandte System wurde laufend durch Erfahrungen auf den Bauplätzen angepasst und perfektioniert. Die von den Gebrüder Honegger in den frühen 1960 entwickelte ``norme Maroc`` war ein Statement zu ihrer fachübergreifenden Denkweise in der Architektur. Die Idee des Baukastensystems von Fertigteilen wurde in den 1960 Jahren auch von einer Vielzahl anderer Unternehmen aufgegriffen. (Balency, Barets, Estiot, Larsen & Nielsen, etc.) Ihre einzelnen Elemente waren jedoch um einiges grösser und wirkten formal viel klobiger und plumper. Das Problem des System HA bestand darin, dass es aus vielen Einzelteilen bestand, welche stetig weiterentwickelt wurden und somit eine Produktion in grossen Stückzahlen (wie bei anderen System) unmöglich machte. Paradoxerweise, als das System von den Gebrüder Honegger langsam ausgereift war, wurde ihm diese Ineffizienz anerkannt. Dies war dann auch das hoffnungslose Ende des Systems und somit ihrer Architektur. Ab 1965 wurde das System HA nur noch ganz selten für Decken angewandt. Nichtsdestotrotz wurde eindrücklich aufgezeigt, dass die Realisierung von mehreren tausend attraktive Wohnungen in der Region Genf in nur einem Jahrzehnt möglich war. (17)
Abb. 25. ``norme Maroc``: Schemaplan der verschiedenen Grundrisstypen Abb. 26. ``norme Maroc``: Grundrissplan, einseitig Orientiert: 3, 4, 5-Zimmmer Whg.
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Programm: Genossenschaftswohnungen (368Whg.), Läden, Parkierung, Tankstelle
4.
Drei Wohnbauprojekte
4.1
Immeubles d`habitation graphis, 1947-52
Das Projekt Immeubles d`habitation graphis entstand angesichts der Neugestaltung des linken Genfer Seeufers. Der Gestaltungsplan des kompletten Stadtgebietes Beaulieu wurde im Jahre 1937 von Jean-Jacques Honegger und der kantonalen Stadtplanungkommission, unter der Leitung von Albert Bodmer erstellt. Die städtebaulichen Ideen, welche zwei Jahre später an der schweizerischen Landesausstellung (LANDI) in Zürich 1939 präsentiert wurden, entstanden nach den Prinzipien der Charta von Athen. (CIAM). So wurden zum Beispiel die neu definierten Aussenräume den Wohngebäuden zugeordnet und dienten zusätzlich als Freizeitanlage der Stadt. (18) Die städtebauliche Setzung des Wohnprojektes der Gebrüder Honegger folgte klar den Prinzipien des Pariser Architekten und Stadtplaners Eugène Beaudouin. So setzten sie die neuen Gebäudekörper jeweils an den Rand der Parzellengrenzen, sodass weitläufige öffentlich Grünzonen geschaffen werden konnten und die bestehende Vegetation nur minimalst tangiert wurde. Mit dem Bau der Siedlung für die Genossenschaft d`habitation Graphis konnte erst kurz nach dem zweiten Weltkrieg begonnen werden. Anfänglich wurde der Züricher Architekt Fritz Jenny mit dem Projekt beauftragt, relativ rasch wurde dann jedoch eine Zusammenarbeit mit den Gebrüder Honegger angestrebt, da diese eine weit grössere Ausführungserfahrung bei Projekten dieses Massstabes hatten. Die Gebäude, welche
18. vgl. Graf 2010, S.45 Abb. 27. Situationsplan habitation graphis Abb. 28. Grundrissausschnitt habitation graphis
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zur gleichen Zeit wie die Überbauung Cosy in Montchoisy erstellt wurden, weisen eine klare Ähnlichkeit zu ihren vorherigen Bauten auf: Der modulare Raster, die durchlaufende Wohnungs- Grundrisstypologie, die Vorfabrikation erster Teile in der Fassade sowie die Treppenhäuser. Trotzdem gibt es zahlreiche Neuerungen. Die Zimmer orientieren sich mehr nach dem Sonnenverlauf anstelle der Umgebung. Der Zugang in die Häuser erfolgt nicht mehr konsequent strassenseitig. Auf die grossen, gebäudetiefen Eingangshallen wurde verzichtet. Interessant war die neue Erschliessungstypologie jedoch insofern, dass die Treppenhäuser immer alternierend einmal an der Strassenfassade und anschliessend auf der gegenüberliegenden Parkfassadenseite platziert wurden, um die starke Horizontalität der Fassaden zu brechen und einen vertikalen Ausdruck zu generieren. Zusätzlich wurden die Seitenwände dieser herausstossenden Treppenhäuser aufgelöst, perforierte Betonfertigteile dienen zur Belichtung und erzeugen eine Kleinmassstäblichkeit in den Fassaden. Obwohl sich die Gebäude von ihren Vorgänger unterscheiden, ist die Handschrift der Autoren klar ersichtlich. Den Gebrüdern Honegger kann die strenge konstruktive Rigidität zugeschrieben werden, dem Architekten Jenny eher die dekorativen Eingriffe, welche vom Landistil geprägt waren. So entsteht ein Spannungsfeld zwischen dem modernen und den traditionellen Elementen – zum Beispiel dient das klassische, weit auskragende Walmdach als Schutz für die parkierten Autos. Dies kommt auch in der grossen Vielfalt der Materialisierung nochmals zum Ausdruck: Gegossener Beton, Naturstein, Terrazzo, Glasbausteine und geschmiedetes Eisen. (18)
Abb. 29. Fassade habitation Graphis, Block II Abb. 30. Parkfassade habitation Graphis, Block II
Honegger frères - Typologische und konstruktive Rationalität
Marius Rinderknecht
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4.2
Cité Caroll, 1958-66
Die Gebrüder Honegger waren mit ihrer Wohnüberbauung cité Caroll Teil eines umfassenden Gestaltungsplanes. (la cité nouvell d`Onex, Lancy) Obwohl dieser Gesamtplan nur teilweise realisiert wurde, entstanden über 1000 Wohnungen und kann als wichtigste Anwendung des „System HA“ bezeichnet werden. Programm: Genossenschaftswohnungen (1048 Whg.), Einkaufspassage
Die städtebauliche Setzung legte die Verwendung der Wohnungstypologien aus der „norme Maroc“ nahe. Die vier mono-orientierten Wohnungen (pro Geschoss und Treppenhaus) waren somit jeweils Ost-West ausgerichtet und gut belichtet. An den Gebäudeköpfen erfolgte dann der Wechsel der Wohnungstypologie und somit der Orientierung Richtung Süden. Im Norden, wo ein quer gestellter Gebäudekörper das Ensemble abschliesst, wurden dann durchgehende Wohnungen erstellt, welche nach Süden ausgerichtet sind. Die Siedlung Caroll entwickelt sich der avenue des Morgines entlang und umschliesst so die öffentliche Fussgängerzone mit Läden. Der abschliessende, 16-stöckige Turm im Norden stellt einen Massstabssprung dar und bricht die Linearität des Ensembles. Zusätzlich hätten die sechs im Gestaltungsplan vorgesehenen Türme die zentrale Achse des Gesamtquartieres darstellen sollen. (19) Das von den Gebrüdern Honegger seit 1954 in Genf entwickelte System der Normierung bekam nun in Lancy seine Reife. So konstuierten sie nicht nur kostengünstig und ohne Planungsverzögerung (auf Basis der normierten Elemente) sondern kreierten ein stimmiges städtisches Gefüge. Wie bei den bereits realisierten Projekten (Marly, Balexer oder Carl-Vogt) sorgte der greiffbare Masstab für den Zusammenhalt des Einzelnen zu einem stimmigen Ensemble. (19)
19. vgl. Graf 2010, S.161 Abb. 31. Situationsplan Siedlung Carol Abb. 32. Grundrissausschnitt Siedlung Carol
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Abb. 33. Vordach im Detail, Kasettendecken sichtbar Abb. 34. Fassade cité Caroll
Honegger frères - Typologische und konstruktive Rationalität
Marius Rinderknecht
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4.3
Programm: Genossenschaftswohnungen (445Whg.), Läden, Parkierung
20. vgl. Graf 2010, S.101 Abb. 35. Situationsplan Siedlung Carl-Vogt Abb. 36. Grundrissausschnitt Siedlung Carl-Vogt
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Cité Carl Vogt, 1960-64
Nach den Wohnbauprojekten Balexert und Caroll war die Siedlung CarlVogt das letzte grosse Projekt der Gebrüder Honegger. Der Masterplan der Überbauung wurde von der Stadtbauplanung im Jahre 1953 entworfen, mit der Idee, die Genfer Peripherie weiter zu verdichten. Es handelt sich dabei um beinahe 450 Wohnungen, welche auf fünf Gebäude mit jeweils acht Stockwerken aufgeteilt wurden. Auch bei diesem Projekt wurde die „norme Maroc`` angewendet. Die fünf Gebäudekörper stehen Rücken an Rücken quer zur Strasse. Die gewerbliche Nutzung im Erdgeschoss verbindet die einzelnen Volumen und schafft private, vom Verkehr geschützte Aussenräume zwischen den Wohngebäuden. All ihre gesammelten Erkenntnisse und Erfahrungen aus den vergangenen Projekten versuchten die Gebrüder Honegger nun hier anzuwenden. So wurde das ganze Bauprojekt in einem maximalen Masse standardisiert und komplett mit ihrem eigenen System HA durchkonstruiert. Die Weiterentwicklung der bereits mehrmals angewendeten ``norme Maroc`` Grundrisstypologie erzeugte bei der Cité Carl-Vogt eine grosse Diversität an Grundrissen. Alle Gebäude wurden mit 3, 4 und 5-Zimmerwohnungen bestückt, diese sind jeweils einseitig orientiert oder funktionieren über Eck. Die höher gelegenen Geschosse im Gebäude A (Kopfbau) wurden unabhängig der Wohnungsgrössen durchgehend (also zweiseitig orientiert) konzipiert. Ausserdem wurden Überlegungen zur Optimierung der Wohnungsbelichtung angestellt. So wurde die Orientierung der Wohnungen am Kopf der Gebäude um 90 Grad gedreht, um der Ausrichtung nach Süden gerecht zu werden. (20)
Die Gebäude sind in ihrer Breite aufgrund der Parzellenabmessung limitiert. Sie sind 15 Meter breit und somit 1.2 Meter schmaler als in Lancy. (25 Rastereinheiten à 60cm gegenüber 27 in Lancy) So waren die Architekten gezwungen, kleine Anpassungen in den Grundrissen zu vollziehen. (z.B griff die Essküche in den Loggienbereich ein) Obwohl dies auch Änderungen von Elementen der Gebäudehülle zur Folge hatte, überwiegte die Qualitätssteigerung der Kleinstwohnungen massiv. Die vorgefertigten Betonelemente verleihen der Fassade eine starke Plastizität welche ein Markenzeichen der Gebrüder Honegger in dieser Zeit war. Allein dieses, für Genf wichtige Wohnungsprojekt, zeigte das städtebauliche Potential und die Beweglichkeit der „norme Maroc“ auf. Die Qualität besteht darin, in verschiedenen Massstäben koheränt zu sein: Im konstruktiven Detail, in der räumlichen Qualität der Wohnungen aber auch in der Eingliederung in den bestehenden städtischen Kontext.
Abb. 37. Küche mit Blick in den Wohnraum Abb. 38. Einpassung entlang des Boulevard Carl-Vogt Abb. 39. Eingangsbereich im Detail, Kasettendecken sichtbar
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5.
Schlussbetrachtung
Die Architektur der Gebrüder Honegger prägte die Stadtentwicklung von Genf in der Nachkriegszeit massgeblich. Spricht man von ``Honegger`` Gebäuden, so denkt man unverzüglich an lineare Bauköper, welche sich durch stark rhythmisierende Loggien auszeichnen und sich durch vorgefertigten, perforierte Brüstungen erkennbar machen. Ihre Architektur wird jedoch noch heute oft auf diese wiederholt auftauchenden Merkmale reduziert und meiner Meinung nach stark unterschätzt. Die in der Deutschschweiz wenig bekannten Gebrüder Honegger haben aus meiner Sicht ein wichtiges soziales Bedürfnis der Bevölkerung in ihrer Zeit aufgegriffen. Durch die Rationalisierung der Bauweise konnten sich mehr Leute eine grössere, qualitativ hochwertige Wohnung leisten, da durch die Normierung und Rationalisierung die Kosten stark gesenkt werden konnten. Da zwei von den drei Gebrüdern kein Architekturstudium absolvierten, hatten sie eine völlig andere Vorgehensweise. Sie betrachteten ihre Bauten als eine Maschine die aus präzisen Einzelteilen bestand. Sogar die Werkzeuge zur Herstellung der einzelnen Elemente wurde von ihnen selbst entwickelt. Durch ihre experimentelle Arbeitsweise waren sie stets auf der Suche nach einer konstruktiven sowie architektonischen Rationalität. Hier ist aber zu erwähnen, dass vor allem am Anfang ihrer Karriere, geprägt durch ihren Vater, die Rentabilität im Vordergrund stand. Mit jedem Projekt wurden die architektonischen Aspekte wichtiger. Ihre anfänglich technisch, analytische Vorgehensweise entwickelte sich mehr und mehr zu architektonisch differenzierte Typologien. Die Hauptleistung der Gebrüder bestand darin, dass sie das Gleichgewicht zwischen Rentabilität, Ausführungsqualität, individueller Architektur (trotz Rationalisierung) gefunden haben. Durch völlig neue Arbeitstechniken sowie auch Produktionsformen konnte die Bauzeit erheblich verringert werden, dies bei sehr hoher Bauqualität. Es bestand eine Win-Win Situation für den Investor sowie für den Bewohner. Das Faszinierende ist, dass diese Wohnungen auch heute noch sehr beliebt sind. Die Qualität der Architektur wurde von vielen Architekten in dieser Zeit unterschätzt, was sich heute als falsch erweist.
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5.
Literatur- und Quellenverzeichnis
- Franz Graf, Honegger frères, architectes et constructeur 1930-1969. 1. Aufl., Office du patrimoine et des sites OPS-DCTI et Infolio, Gollion 2010 - Christa Zeller, Guide d`architecture suisse, 1920-1995. Band 3: Suisse romande, Valais, Tessin, Zurich, Werk, 1996, - Isabelle Charollais, Jean-Marc Lamunière, Michel Nemec, L`Architecture a Genève 1919-1975, Band 1, Lausanne, 1999 - Pierre Honegger, Les installations hydrauliques des abattoirs im Bulletin technique de la Suisse romande, Ausgabe 22, 1950 - Pierre Honegger, les immeubles de la coopérative d`habitation, à Geneve im Habitation, Ausgabe 76, 1950 - Jean-Jacques Honegger, Schmitt Frères & Cie, urbanistes, architectes, ingénieurs a Gevève, gedruckt in G.de Buren SA, ohne Datumsangebe, 1981 - Isabelle Charollais, „Pierre Honegger, 1905-1992. Ou lorsqu`un ingénieur mécanicien devient constructeur ingénieux“, Faces, Ausgabe 26, Winter 1992-1993 - unbekannt, Les immeubles Riant-Parc à Geneve. Jean-Jacques Honegger, architecte, Genève`` Oevres, Nr.6, Juni 1934, S.13 - Pol Abraham, Architecture préfabriquée. Paris, Dunod, 1946 - Seite „Congrès International d’Architecture Moderne. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 7. April 2014, 17:10 UTC. URL: http:// de.wikipedia.org/wiki/Congrès_International_d’Architecture_Moderne (Abgerufen: 12. Juni 2014, 15:45 UTC) - Seite „Beaudouin Eugène. In: Encyclopedia Universalis. URL: http://www.universalis.fr/encyclopedie/eugene-beaudouin/ (Abgerufen: 10. Juni 2013, 10:12 UTC) - Seite „Frankfurter Küche. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 22. Mai 2014, 11:53 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Frankfurter_Küche (Abgerufen: 08. Juni 2014, 17:12 UTC)
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ThemenĂźbersicht der weiteren Arbeiten
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Vorfabrikation als Gestaltungsmittel Haltung von Foster & ProuvĂŠ im Vergleich Analyse durch Fassadenelemente
Michael Baumann
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2014 Horw, 10.05.2014 Verfasser: Michael Baumann Mühlenplatz 11 6004 Luzern Dozenten: Oliver Dufner Dieter Geissbühler Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik Architektur
These - Durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Gestalter und Industrie können funktionsbezogene, qualitativ hohe Lösungen erzielt werden. Norman Foster’s direkte Zusammenarbeit mit der Industrie ermöglicht ihm vorfabrizierte Bauteile zu entwerfen, die in sich durch ihre Logik und Authentik, nebst ihrer Funktionsbezogenheit, auch ästhetische Gestaltungsmittel sind. Diese Haltung vertrat bereits sein Vorgänger Jean Prouvé, der durch die direkte Prototypisierung, die Zwänge der Standardisierung umging und seinen Objekten somit eine poetische Tiefe verleiht. Abstract - Die vorliegende Vertiefungsarbeit befasst sich mit Norman Forster’s und Jean Prouvé’s Haltung, bezüglich industriell vorfabrizierter Fassadenelemente. Durch eine detaillierte Biografie der beiden Akteure, werden ihre Beweggründe verdeutlicht und die Ausgangssituation der Arbeit definiert. Im Hauptteil werden sechs unterschiedliche Fassaden von jeweils drei Projekten auf ihre Funktion und Konstruktion untersucht. Dadurch soll ihre jeweilige Haltung illustriert werden. Die Arbeit findet ihren Abschluss in einem Vergleich der beiden Haltungen. Letztlich führt die Studie vor Augen, dass beide Gestalter ein ähnliches Verständnis bezüglich Architektur, Konstruktion und Vorfabrikation haben, doch der jeweilige Fokus ist unterschiedlich. Bei Norman Foster hat die Raumqualität und der architektonische Ausdruck einen höheren Stellenwert, wobei Jean Prouvé dem Detail die Priorität zuschlägt.
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Wohnen im Gewächshaus
Der aufkommende „Soziale Wohnungsbau“ von Mulhouse und der funktionslose Raum in den Wohnbauten von Lacaton & Vassal Urban Blaas
Vertiefungsarbeit Frühjahrssemester 2014 Horw, 17.06.2014 Verfasser: Urban Blaas Seebahnstrasse 105 8003 Zürich Dozenten: Oliver Dufner Dieter Geissbühler
Hochschule Luzern Technik Architektur
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Einleitung Der Begriff Standardisierung beschreibt zumeist eine Festsetzung in Kategorien und das Strukturieren von Eigenschaften mit dem Ziel eine Reduktion der Vielfalt und gleichzeitig ein höheres Mass an Effizient zu erreichen. Dies kann auf Prozesse in der Produktion als auch Vorgänge ohne direkte materielle Herstellung von Gütern angewendet werden. In der Architektur ist das Thema der Standardisierung mit dem Beginn der industriellen Revolution um 1770 und der Kooperation mit der Industrie zu suchen, die ihren Ausgang in England hatte. Bis heute ist diese Zusammenarbeit durch die laufenden Entwicklungen und Erfindungen immer wieder Anlass für neue Produkte, die im Bauen Verwendung finden. Während Nutzbauten, gerade für das produzierende Gewerbe selbst, wie selbstverständlich sich der standardisierten Bauteile bedient, ist im Bezug auf den Wohnungsbau der Einsatz zumeist zaghaft und von Widerstand begleitet. Die Verwendung von standardisierten Bauteilen, abseits der Innenausstattung haftet hier der Beigeschmack einer Notlösung an, die mit einer Angst der Bevölkerung zu einer Uniformierung des Lebens und zu einer Einschränkung der persönlichen Freiheit einhergeht. Sieht man den Architekt als Planungsleiter, der für das Zustande kommen eines Bauwerks ermöglicht, ist ebenso auch die Haltung der am Bau beteiligten Fachplaner nötig, die die Verwendung von standardisierten Bauteilen in ihre Überlegungen und Planungskonzepte mit zu entwickeln. Überraschender Weise wehren sich jedoch auch eine Zahl avantgardistischer Architekten gegen einen Standard im Wohnungsbau, in der sie ihre Autonomie im architektonischen Schaffen gefährdet sehen. Dies erklärt bisweilen die Kluft zwischen den regional üblichen Bauweisen und die Einbeziehung der von der Industrie standardisierten Produkte. Die Bereitschaft vom gewohnten Herangehen abzuweichen bedeutet bisweilen auch immer einen erhöhten Planungsaufwand, der zudem nicht gesondert vergütet wird und das Erproben in Simulationen und Modellen bedeutet. Das der Wohnungsbau jedoch gerade mit den Industrieprodukten eine Chance für eine kostengünstige Bauweise ermöglichen kann ohne gleichzeitig den architektonischen Anspruch aufzugeben, ist in vereinzelten Projekten auch immer wieder umgesetzt worden. Als Vertreter können hier die Ray und Charles Eames, Rudolph Schindler, Jean Prouvé oder auch Jean Nouvel oder Lacaton Vassal genannt werden. Ist diese Sonderstellung der standardisierten Bauweise im Wohnungsbau mit einem Mangel verbunden oder der gesellschaftlichen Norm geschuldet, die dem Wohnungsbau eine äußere Erscheinung zuschreibt und dem kostengünstigeren Bauen den Durchbruch verwehrt? Bedeutet industrielle Standardisierung im Wohnungsbau zwingend Uniformität und Einschränkung?
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Standardisierung in den Werken von Livio Vacchini: Ein Mittel zur Gestaltfindung. Anna Ernstsone
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2014 Horw, 17.06.2014 Verfasser: Anna Ernstsone Burgstrasse 14 8820 Wädenswil Dozenten: Dieter Geissbühler Oliver Dufner Hochschule Luzern Technik & Architektur
Abstrakt Die folgende Vertiefungsarbeit `Standardisierung in den Werken von Livio Vacchini: Ein Mittel zur Gestaltfindung` befasst sich mit dem Thema der Standardisierten Tragelementen in den Bauten des Tessiner Architekten Livio Vacchini. Ich analysiere wie der Gebrauch von standardisierten Elementen in der Architekturgeschichte vorgekommen ist (nämlich für die Bewältigung von Wohnungskrisen oder um grosse Baukosten zu vermeiden) und wieso der Gebrauch in der Architektur von Vacchini in eine andere Richtung führte; zu einem Mittel seiner Gestaltfindung. Vacchini entwarf nämlich durch die Gestalt der Tragstruktur und indem er Kräfte baute. So untersuche ich auch, wie er durch die Anwendung bestimmter Regeln zu der Proportionierung und Rhythmisierung seiner Bauten kommt. Dieses betrachte ich in vier seiner gebauten Projekte: Primarschule Ai Saleggi, Hauptpost von Locarno, Mehrzweckhalle und seinem letzten Bau Sportausbildungszentrum Mülimatt, wo alle seine architektonischen Grundideen zum Ausdruck kommen. Ebenso betrachte ich wie die Philosophie der Architekten Le Corbusier und Louis Kahn, so auch der antike griechische Tempel seine Ansichten geprägt haben, und wie wichtig Technik und die Zusammenarbeit mit Ingenieuren und Fachspezialisten für Livio Vacchini war.
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Zeitgemässer Backsteinbau in der Schweiz - das Technische und seine gestalterische Relevanz Tobias Haefelin
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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 17.06.2014 Verfasser: Tobias Haefelin Dörnenstrasse 16 9464 Rüthi SG Dozenten: Dr. Oliver Dufner Prof. Dieter Geissbühler
Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik & Architektur
Abstract Die vorliegende Vertiefungsarbeit befasst sich mit einer Untersuchung des Baustoffs Backstein in der Schweiz. Um das Thema einzugrenzen wird in dieser Arbeit vor allem das Technische, im Sinne der gestalterischen Relevanz des Backsteins, in der heutigen Zeit untersucht. Als Grundlage werden Einschnitte in heutige Techniken der Backsteinverarbeitung aufgezeigt. Mit Hilfe eines Untersuchungsobjektes werden diese Techniken vertieft analysiert und an der äusseren Gestaltung untersucht. Das gewählte Untersuchungsobjekt liegt in Zürich. Der Campus Careum, welcher sich durch seine homogene Erscheinung nach aussen als eine Art monolithisches Objekt lesen lässt. Eine Konstruktion aus Klinkersteinen, die im Sinne der heutigen Technik erbaut wurde. Zu Untersuchen gilt es die Verschiedenartigkeit des Fügens sowie die Konstruktion der verschiedenen Elemente, die ein solch homogenes Äusseres generieren. Die Herstellung der verschiedenen Elemente und der Ausdruck der verschiedenen Fügungstechniken werden in den folgenden Kapiteln genauer behandelt und untersucht. Abschliessend wird anhand eines Exkurses in die Technologie der Robotervorfertigung versucht, Möglichkeiten der Computervorfertigung aufzuzeigen.
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Mobiles Wohnen Standardisierung zwischen kultureller Haltung und finanzieller Notwendigkeit
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2014 Horw, 15.06.2014 Verfasser: Daniel Heiler Dornacherstrasse 4 6003 Luzern Dozenten: Oliver Dufner Dieter Geissbühlher
Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik Architektur
1. Abstract Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Standardisierung des mobilen Wohnens. Die stetigen Entwicklungen im Bereich der Standardisierung, als auch im Baubereich und dem kontinuierlichen Wachstum der Weltbevölkerung im 20. Jahrhundert rufen nicht zuletzt Architekten und Stadtplaner auf das Programm. Lange und viel wurde nach Lösungsansätzen für günstiges, schnelles Bauen einer großen Anzahl von Wohnmöglichkeiten gesucht und geforscht. Anhand von zwei unterschiedlichen, jedoch periodisch nahe beieinander liegenden Projekten von zwei verschiedenen das 20. Jahrhundert prägenden Architekten wird diese Thematik dahingehend untersucht ob es sich bei der Standardisierung des Wohnbaus um eine kulturelle Haltung oder eher eine ökonomische Notwendigkeit handelt.
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новый стандартизированный Сообщество
Die neue standardisierte Gemeinschaft Der Schweizer Architekt Hans Schmidt und seine Auseinandersetzung mit der neuen Grundrisstypologie für die neue Gesellschaftsformation. Fabienne Maritz
Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2013 Horw, 03.06.2014 Verfasserin: Fabienne Maritz Bundesplatz 4 6003 Luzern Dozenten: Prof. Dieter Geissbühler Dr. Oliver Dufner
Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik Architektur
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1.
Abstract
Die Industrialisierung in der Schweiz generierte nach dem Ende des ersten Weltkriegs einen Wohnungsmangel. Hans Schmidt gehörte zu den avantgardistschen Architekten dieser Zeit und befasste sich als Städtebautheoretiker mit dem Massenwohnungsbau und den damit verbundenen soziologischen Einflüssen. Während seines langjährigen Aufenthaltes in Russland plante Hans Schmidt mit seinen gesammelten Erfahrungen aus der Mustersiedlung WOBA in Basel die Stadt Orsk in Russland. Seine politische Haltung prägte seine architektonischen Entwürfe massgebend. In dieser Vertiefungsarbeit setzte ich mich mit der Hypothese, ob Hans Schmid mit einer allgemeingültigen Grundrisstypologie die Bedürfnisse der Bewohner in zwei geographisch und kulturell unterschiedlichen Kontexten befriedigen konnte, auseinander. Mittels einer Gegenüberstellung der Grundrisse von der Siedlung Schorenmatte in Basel und der Stadt Orsk in Russland wollte ich Divergenzen anhand der Quadratmeteranzahl und Funktion analysieren. Des Weiteren wollte ich Unterschiede, Analogien und neue Erkenntnisse in Bezug auf die universelle Anwedung eines Grundrisstypen und dessen Einfluss auf die Wohnform untersuchen. Durch die vertiefte Auseindersetzung mit meiner Hypothese konnte ich feststellen, dass die Funktionen und Grundbedürfnisse eines Grundrisstypus durchaus länderübergreifend funktionieren können, jedoch die Bezugnahme zur Tradition und Kultur eines Landes unerlässliches Gestaltungsmittel eines Architekten sein müssen. Somit muss ich meine Hypothese widerlegen, denn eine universale Anwendung eines Grundrisstypen würde eine Missachtung der kulturellen Wohnform bedeuten.
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Die neue standardisierte Gemeinschaft
Fabienne Maritz
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Die „industrielle“ Kirche St. Piuskirche, Meggen, 1961-1966 St. Jakobskirche Düsseldorf-Eller, 1960-1963 Sarah Nussbaumer
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2014 Horw, 17.06.2014 Verfasser: Sarah Nussbaumer Neustadtstrasse 13 6003 Luzern Dozenten: Oliver Dufner Dieter Geisbühler Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik Architektur
Inhaltsverzeichnis 1.0 Situation in der Nachkriegszeit in Europa Abstract – Diese Arbeit soll aufzeigen, wie zu Zeiten der Nachkriegszeit in und Leitbilder sechziger Jahren eine Art von industriellen Standard 2.0den Neufünfziger entstandene mit einem Sakralbau vereinen lässt. Die Industrialisierung steht für etwas, was als mustergültig, modellhaft angesehen wird und wonach sich anderes 3.0 Zwei unterschiedliche Strategien richten soll. Im Gegensatz dazu sollen sakrale Kirchenbauten ein weltli3.1 Die Tektonik ches, spirituelles Bild verkörpern. Dieses Thema der Verallgemeinerung 3.2 Der konstruktive Aufbau der maschinellen und zweckmäßigen Konstante war gerade in den Jahren 3.3 Die Dachkonstruktion der Verwüstung nach dem 2. 3.4 Die Ausbildung derWeltkrieg Fassade ein großes Thema und ist auch heute noch relevant. Die Standardisierung 3.5 Der Übergang zum Fundamentgewann in allen Bereichen der Baubranche enorme Bedeutung. Die Architekten Franz Füeg und Eckhard Schulze-Fielitz beschäftigten sich mit der Fragestellung der vorgefertigten 4.0 Der Standard als System oder gefügtes Element Parameter im Kirchenbau. Dieses Thema wirft eine Ermittlung der Vereinbarkeit von Standardisierung im Sakralbau auf. Zunächst wird die ge5.0 Die Möglichkeiten durch Standardisierung sellschaftliche und wirtschaftliche Situation zur Entstehungszeit der beiden Vergleichsobjekte erläutert, ebenso wird die persönliche Anschauung jener 6.0 Die Raumwirkung Architekten und der Umgang mit Sakralbau und der Gesellschaft relevant. Die beiden Kirchen werden auf deren unterschiedliche Strategien im kons7.0 Schlussfolgerung truktiven Aufbau im Umgang mit Standard und dessen Möglichkeiten untersucht. Letztendlich ist die Raumwahrnehmung eines Sakralbaus, welche durch ein Bausystem oder durch strukturelle Logik entstehen kann, ausschlaggebend.
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VON DER TYPENWOHNUNG ZUM GESAMTSYSTEM Das Bausystem «Rastel-Granit» der Grossüberbauung Telli im Kurzvergleich zum «System Göhner»
Peter Osterwalder
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2014 Horw, 17.06.2014 Verfasser: Peter Osterwalder Wynenfeldweg 32 5033 Buchs Dozenten: Oliver Dufner Dieter Geissbühler
Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik Architektur
ABSTRACT - Die vorliegende Vertiefungsarbeit befasst sich mit den Grundsätzen des Bausystems «Rastel-Granit» anhand der Grossüberbauung «Telli» in Aarau; vom kleinen Massstab der einzelnen 4.5-Zimmerwohnung bis zur Systematik des Siedlungsmusters und zieht einen Kurzvergleich zur «Göhnerwohnung» und der Siedlung Sonnhalde in Adlikon. Eine einleitende, historische Abhandlung zeigt die Beweggründe und die Entstehung der Grosssiedlung in Aarau auf. Das von der Firma Horta Generalunternehmung AG entwickelte Bausystem wird anhand der 4.5-Zimmer Typenwohnung der Telli aufgeschlüsselt. Angefangen mit der Analyse zur Grundrisskonzeption und Entwicklung der Typenwohnung, werden die Primär- und Sekundärstruktur, als integrale Bestandteile des Systems, untersucht. Im Weiteren wird die aus dem System resultierende Konzeption der Baukörper und deren Situierung im Siedlungsmuster aufgezeigt. Die Untersuchungen belichten jeweils Teilaspekte des Bausystems, fügen sich zu einem Gesamtbild zusammen und liefern einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem rationellen Wohnungsbau in der Schweiz. Begleitend werden die gleichen Themen, jedoch in verkürzter Form, an der klassischen «Göhnerwohnung» und deren Anwendung an der Siedlung Sonnhalde in Adlikon analysiert und gegenübergestellt. Die Synthese filtert Gemeinsamkeiten und grundlegende Unterschiede heraus und schliesst mit einem Fazit zu den Untersuchungen ab.
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Theorie - Machen
Sanierungsansätze nachkriegszeitlicher Plattenbauten der Schweiz Lucas Sager
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2014 Horw, 17.06.2014 Verfasser: Lucas Sager Zihlmattweg 42 6005 Luzern Dozenten: Oliver Dufner Dieter Geissbühler
Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern, Technik & Architektur
Abstract - Die vorliegende Vertiefungsarbeit befasst sich mit dem Sanierungspotential und Sanierungsstrategien von schweizerischen Plattenbauten der Nachkriegszeit. Eine mögliche Herangehensweise an die anspruchsvolle Aufgabe der Sanierung einer Plattenbausiedlung der Architekten Marcel Meili und Markus Peter wird untersucht. Durch eine geschichtliche Herleitung wird aufgezeigt, wie es zu dieser einschneidenden Entwicklung hin zu einer industrialisierten Bauweise in der Schweiz kam und wie diese umgesetzt wurde. Anhand ausgewählter Zitate und Bauwerke wird die architektonische Haltung der Architekten erforscht und aufgezeigt, wie diese in der Sanierung zu einer Lösung führte. Dabei werden die Teilaspekte Konstruktion, räumliche Qualitäten und Ausdruck behandelt und analysiert. Die Untersuchung kommt zum Schluss, dass das Weiterführen des Systems der Vorfabrikation auf theoretischer, wie auch praktischer Ebene eine fundierte und qualitätsvolle Sanierungsstrategie darstellt.
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Marcel Breuer und die Standardisierung Eine Untersuchung anhand des Klosters Baldegg
Valentino Sandri
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Vertiefungsarbeit Fr端hlingssemester 2014 Masterstudiengang Architektur Horw, 17.06.2014
Verfasser: Valentino Sandri Bundesstrasse 7 6003 Luzern
Dozenten: Oliver Dufner Dieter Geissb端hler
Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur
Abstract - Die vorliegende Vertiefungsarbeit umfasst eine Untersuchung des Klosters Baldegg bei Luzern. Anhand dieses gebauten Beispiels werden R端ckschl端sse auf die Haltung des Architekten Marcel Breuer gezogen. Das Semesterthema der Standardisierung wird im Hauptteil der Arbeit fokussiert behandelt. Konkret wird das Fassadenelement auf dessen Form und Funktion umschrieben und analysiert. Doch das Fassadenelement ist nur ein Bestandteil der Fassade, die viele weitere Facetten aufweist. Wie genau das Element zum Einsatz kommt, ist fast genauso wichtig wie das Element selbst. Um seinen Umgang mit der Industrialisierung und der neuen Methode der seriellen Fertigung zu verstehen, ist es notwendig Breuers einzelne architektonische Entwicklungsschritte beizuziehen. So findet man Breuers gesamthafte architektonische Auffassung nicht in einzelnen Aspekten, sondern in der Betrachtung seines Gesamtwerks.
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Der tektonische Ausdruck in der Standardisierung Behrens und Gropius im Vergleich Claudio Spielhofer
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2014 Horw, 17.06.2014 Verfasser: Claudio Spielhofer Schachenweidstrasse 101b 6030 Ebikon Dozenten: Oliver Dufner Dieter Geissbühler Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik Architektur
Abstract - Diese Vertiefungsarbeit im Frühlingssemester FS14 befasst sich mit der Thematik der Standardisierung im Stahlbau der Fügung der einzelnen Elemente und dessen Auswirkungen auf das architektonische Erscheinungsbild (Detail). Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die folgende These „Eine Wechselbeziehung zwischen technischer Standardisierung und künstlerischem Handwerk ist unverzichtbar“ anhand von zwei Objekten durch eine Untersuchung und einer Gegenüberstellung zu belegen. Die Analyse beschränkt sich auf zwei Bauten, die Turbinenhalle AEG von Peter Behrens in Berlin (1909) und das Fagus-Werk von Walter Gropius in Alfeld an der Leine (1911-1914) und setzt sich vertieft mit diesen Bauwerken auseinander. Dabei wird der Fokus auf die Begriffe, wie Standardisierung, Handwerk und Tektonik gelegt. Die Arbeit ist folgendermassen gegliedert. In einem ersten Abschnitt wird, durch die Auseinandersetzung von Adolf Behnes Werk ‚der moderne Zweckbau’, ein kurzer Überblick der Ideologien der ausgewählten Architekten Peter Behrens und Walter Gropius erläutert und festgehalten. In einem zweiten Abschnitt, dem Hauptteil der Arbeit, wird die eigentliche Analyse der Objekte behandelt. Durch eine konkrete Gegenüberstellung, basierend auf Bildpaare, werden die fokussierten Begriffe untersucht und analysiert. Das Ziel dieses Essays ist es, herauszufinden welchen Einfluss die Standardisierung des Stahlbaus im Detail auf die Bauten ausübt, welche Auswirkungen das auf die tektonische Gliederung und Erscheinung hat und wie viel Wertigkeit dem Handwerk zugesprochen wird.
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