Masterstudiengang Architektur Essaysammlung Vertiefungsarbeit FrĂźhlingssemester 2015 Aufbruch ins Eigene- Tessiner Tendenza & ihre Folgen
Masterstudiengang Architektur Essaysammlung Vertiefungsarbeit
FrĂźhlingssemester 2015
Aufbruch ins EigeneTessiner Tendenza & ihre Folgen
Titelbild: Aurelio Galfetti, Flora Ruchat-Roncati, Ivo Trümpy, Il Bagno di Bellinzona TI, 1967-1970,
Vertiefungsarbeit Frühjahrsemester 2013 Luzern, 24.06.2013 Verfasser: Hauri, Daniel Speicherstrasse 24 A 8500 Frauenfeld Masterstudiengang Architektur
Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2015 Dozenten: Dufner, Oliver Technik und Architektur Departement Plagaro Cowee, Natalie Korrektur Orthografie: Dr. Oliver Dufner Modulverantwortung: Stutz, Max
Dozierende: Dr. Oliver Dufner, Dr. Christoph Wieser
Abstract Die vorliegende Vertiefungsarbeit befasst sich mit dem Phänomen der Ambiguität in der Architektur der Phillip Exeter Library von Louis Kahn. Literarische Basis bildet die fundierte Auseinandersetzung mit Robert Venturis Manifest „Komplexität und Widerspruch in der Architektur“ und
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Inhalt Vorwort
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Der Ort im Zentrum Städtebauliche Eingriffe der Tessiner Tendenza und ihre Folgen 11
André Falabretti Mehr als nur ein Weg Eine Passerelle als Ausgangspunkt für die Badeanstalt in Bellinzona
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Patrick Kofler Ein Ort an der Schnittstelle Das Haus Durisch im Spannungsfeld Dominic Spalt
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Gebauter Ort Entwicklung überhoher Räume der Casa Caccia Peter Osterwalder
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Symmetrie als Vacchinis gestalterisches Mittel Am Beispiel von zwei Schulen Anna Grabowska
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Themenübersicht der weiteren Arbeiten
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Bautensteckbriefe
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Vorwort Im Fokus dieses Semesters stand die Nachkriegsarchitektur der Südschweiz, genauer gesagt die Tessiner Tendenza der späten 1960er und 1970er Jahre. Die Bewegung, deren Name auf den Titel einer Ausstellung an der ETH Zürich „Tendenzen – Neuere Architektur im Tessin“ von 1975 zurückgeht, umfasst die theoretische und praktische Tätigkeit von Architekten wie Aurelio Galfetti, Flora Ruchat-Roncati, Luigi Snozzi, Livio Vacchini, Mario Botta u.a.. Ihre Arbeiten sind zum einen geprägt durch die Positionen und Bauten der Moderne von Le Corbusier und Louis Kahn. Zum anderen verstehen sie Architektur als eine Praxis, die „ihre Bedeutung nur in der Beziehung zu ihrer eigenen Tradition bestimmt“ (Martin Steinmann, 1975) und somit einem starken Realismus verpflichtet ist. Diese Haltung kann im Kontext der Postmodernediskussion durchaus auch als kritischer Regionalismus im Sinn von Kenneth Frampton verstanden werden. Uns interessierte, inwieweit sich die Tendenza von der Spätmoderne und der Postmoderne abgrenzen lässt, welche typologischen und topologischen Themen die Bauten prägen, wie die theoretischen Positionen die bauenden Architekten in Ihrem Wirken begleitet haben und ob die Bauten als Vorwegnahme der Deutschschweizer Entwicklungen der 1980er Jahre verstanden werden können. Das Semester wurde in drei Phasen unterteilt: Zunächst erarbeiteten wir uns mittels Lektüre und gemeinsamer Diskussion von Texten verschiedener Autoren, anhand von zwei Exkursionen ins Tessin und Inputreferaten einen Überblick sowie ein Vokabular, um die „Tendenza“ zu verstehen, einzugrenzen, und für unsere eigene Argumentation nutzbar zu machen. Dieses Wissen diente im Anschluss daran als Grundlage für die eigenständige, schriftliche Auseinandersetzung mit einem selbst gewählten Aspekt zum Thema, das wenige Wochen später in Form eines Vortrages im Plenum präsentiert wurde. In der dritten Phase wurden die formulierten Thesen weiter verfeinert und als umfangreiche Textarbeit in eine verbindliche Form gebracht. Im Fokus unserer Betrachtung stand die differenzierte Beschäftigung mit der Theorie und Praxis der Tendenza sowohl als historisches Phänomen, als auch als entwerferische Methode. Die für diesen Reader ausgewählten, komplett abgedruckten Arbeiten zeigen die inhaltliche und methodische Breite, mit der sich die Studierenden dem Thema genähert haben. Alle Beiträge – aus Platzgründen können von den meisten nur das Abstract wiedergegeben werden – verbindet das Interesse, die Tessiner Tendenza aus heutiger Sicht auszuleuchten und relevante Positionen schweizerischer Prägung auch innerhalb des internationalen Diskurses um die Begriffe Ort, Territorium und Genius Loci zu lokalisieren. Das entwerferische Handeln von
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Architekten und Architektinnen wird neben der eigenen Intuition hauptsächlich durch die Beschäftigung mit dem bereits Vorhandenen, sei dies der Lektüre der gebauten Realität oder die Auseinandersetzung mit theoretischen Texten genährt. Dieser Sachverhalt dient zur Erweiterung des Wissens und vor allem dazu, das eigene Handeln als Architekt kritisch zu reflektieren und die eigene Haltung zu verorten. Um die beschriebene Mechanik zu erlernen und das Repertoire an theoretischem Wissen zu erweitern, wird Im Rahmen des Masterstudiengangs Architektur an der Hochschule Luzern neben der Schulung der entwerferischen Kompetenz der Studierenden ein besonderer Wert auf die Vermittlung von Architekturtheorie gelegt. Dieses Wissen in Form eines Textes zu vertiefen und anzuwenden, erlernen die Studierenden im Rahmen der in jedem Semester zu verfassenden Vertiefungsarbeit. Dabei widmen sie sich innerhalb eines definierten Themenfeldes in Form eines essayartigen, wissenschaftsähnlichen Textes einem selbst erarbeiteten Thema. Durch die selbstständige Lektüre und Recherche sowie die Verschriftlichung entsteht Schritt für Schritt ein themenrelevanter Beitrag, der für die Studierenden ein Mosaikstein auf dem Weg zu einem breiten Wissen über Architektur und dessen theoretischem Hintergrund darstellt. Wir sind der Meinung, dass entwerfende Architekten und Architektinnen von grundlegenden Phänomenen der Architektur wie auch von den konkreten Bedingungen und Themen beeinflusst werden, welche innerhalb des Fachdiskurses geführt werden. Insbesondere die Auseinandersetzung mit der jüngeren Architekturgeschichte und Ihren Protagonisten bietet ein relevantes Feld, um die eigene entwerferische Praxis zu bereichern, und innerhalb des historischen Kontextes zu verorten. Aus diesem Grund haben wir auch im nun zu Ende gegangenen Semester ein Thema aus der Architekturgeschichte seit den 1950er Jahren bearbeitet, das nicht nur von lokaler Bedeutung für die hiesige Debatte ist, sondern auch international breit rezipiert wurde. Wir danken allen Beteiligten für ihr grosses Engagement und ihre wertvollen Beiträge. Oliver Dufner / Christoph Wieser Im Juli 2015
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Studierende Philippe Arnet / Heidi Brun / André Falabretti / Anna Grabowska / Michael Hurni / Patrick Kofler / Kristina Marxer / Sarah Nussbaumer / Ivo Oberholzer / Peter Osterwalder / Gregor Schuler / Marija Simic / Dominic Spalt / Mirjam Strickler / David Toszeghi / Aurélien Véry / Friederike Walecki / Karolina Zgardzinski / Louis Zoller Vorträge Paolo Fumagalli, Architekt BSA, Lugano `Tessiner Tendenza als historisches Phänomen` Pia Durisch / Aldo Nolli, Architekten BSA; Lugano `Eigene Arbeiten ` Prof. Dieter Geissbühler, Luzern `Flora Ruchat Roncati - eine Tessiner Architektin` Gastkritiker Schlusskritik Prof. Dr. Laurent Stalder, Professur für Architekturtheorie ETH Zürich Philipp Esch, Architekt ETH BSA, Zürich, Mitinhaber Esch Sintzel Architekten Zürich Besichtigungen Bauten Mehrfamilienhaus via Vallone, Bellinzona, Roberto Bianconi, 1965 Pfarrhaus Genestrerio, Mario Botta, 1961 Casa Unifamiliare, Riva San Vitale, Mario Botta, 1973 Gymnasium Morbio Inferiore, Mario Botta, 1977 Atelier / Haus Riva San Vitale, Giancarlo Durisch, 1974 Schule Riva San Vitale, Giancarlo Durisch 1982 Schule Gordola, Durisch Nolli, 2010 Postgebäude Bellinzona, Aurelio Galfetti, 1985 Wohnhäuser Bianco e Nero, Bellinzona, Aurelio Galfetti, 1986 Schule Riva San Vitale, Flora Ruchat, Ivo Trümpy, Aurelio Galfetti, 1964/72 Stöckli & Hof Riva San Vitale, Flora Ruchat, 1967
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Badeanlage Bellinzona, Flora Ruchat, Ivo Trümpy, Aurelio Galfetti, 1970 Schule Locarno, Dolf Schnebli, 1963 Haus Streiff Minusio, Dolf Schnebli, 1969 Casa Kalman, Luigi Snozzi, 1976 Monte Carasso, Luigi Snozzi, 1980 Primarschule ai Saleggi, Locarno, Livio Vacchini, 1972 Gymnasium Losone, Livio Vacchini, 1973 Studio Vacchini, Locarno, Livio Vacchini, 1986 Texte Lektüreseminar Seminar 1 Carloni, T., Entwurfskollektive 2 ([1975] 2010). Notizen zu einer Berufschronik. In: Steinmann, M., Boga, T. (Hrsg), Tendenzen. Neuere Architektur im Tessin (S.16-22). Basel: Birkhäuser. Snozzi, L. ([1975] 2010). Entwurfsmotivationen. In: Steinmann, M., Boga, T. (Hrsg), Tendenzen. Neuere Architektur im Tessin (S.46-50). Basel: Birkhäuser. Allenspach, Ch. (1998). In: Architektur in der Schweiz. Bauen im 19. und 20. Jahrhundert (S. 110-121). Zürich: Pro Helvetia Seminar 2 Klotz, H. (1985). Mario Botta: Die „Tessiner Schule“; Bruno Reichlin und Fabio Reichart: Neo Palladianismus, In: Klotz, H. (Hrsg), Moderne und Postmoderne: Architektur der Gegenwart, 1960-1980 (S.271-283). Bruanschweig: Vieweg. Botta, M. ([1975] 2010). Kriterien des Eingriffs und Ziel des Entwurfs, In: Steinmann, M., Boga, T. (Hrsg),Tendenzen. Neuere Architektur im Tessin (S.23-26). Basel: Birkhäuser. Reichlin B., Reinhart F., ([1975] 2010). Zwei Einfamilienhäuser, In: Steinmann, M., M., Boga, T. (Hrsg), Tendenzen. Neuere Architektur im Tessin (S.41 45). Basel: Birkhäuser. Norberg-Schulz, C. (1982). I. Ort?, In: Norberg- Schulz (Hrsg), Genius loci: Landschaft, Lebensraum, Baukunst (S.6-11). Stuttgart: Klett-Cotta. 7
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Der Ort im Zentrum Städtebauliche Eingriffe der Tessiner Tendenza und ihre Folgen
AndrĂŠ Falabretti
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2015 Wangen a/A, 15.06.2015
Verfasser: André Falabretti Amselweg 6 3380 Wangen an der Aare Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser
Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur
Abstract Die vorliegende Vertiefungsarbeit befasst sich mit dem Thema des Städtebaus während der Tessiner Tendenza. Ausgehend von der Fragestellung, wieso in dieser Zeit nur wenige ganzheitliche Eingriffe ins Stadtgefüge zustande kamen, wird das bekannteste Beispiel analysiert und versucht Antworten zu liefern. In der Einleitung wird die Grundlage vermittelt und ein Verständnis für die Stadt geschaffen, gemäss der Auffassung der damaligen Zeit und beeinflusst durch die italienische Realismus-Debatte. Im Zentrum steht der Vergleich zwischen dem städtebaulichen Experiment Monte Carasso von Luigi Snozzi und den Eingriffen von Raffaele Cavadini in Iragna. Der Vergleich wird anhand von drei definierten Kriterien durchgeführt, welche in direkter Verbindung zu Snozzis Entwurfsprinzipien stehen. Die Erkenntnisse ermöglichen seine Aussagen an einem umgesetzten Projekt zu überprüfen und die Parallelen oder Unterschiede zu seinem ehemaligen Schüler und Mitarbeiter aufzuzeigen. Abschliessend wird der Blick auf momentan aktuelle Tendenzen gerichtet und mögliche Ansatzpunkte für die Zukunft behandelt.
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2015
André Falabretti
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1. EINLEITUNG THEMENWAHL Meine Arbeit trägt den Titel «Der Ort im Zentrum», dieser ist dabei in seiner Mehrschichtigkeit zu verstehen, es kann bedeuten, dass der Ort an sich im Zentrum der Diskussion steht aber auch dass die Wiederfindung des Ortes im Zentrum stattfindet. Der Untertitel «Städtebauliche Eingriffe der Tessiner Tendenza und ihre Folgen» eröffnet hierbei ein grösseres Feld und erlaubt, spätere Projekte in die Betrachtung einzubeziehen. Ein Artikel der NZZ aus dem Jahre 2006 machte mich neugierig. Er behandelte unter anderem das urbanistische Desinteresse der Tendenza, zwar wird der gemeinsame Widerstand gegen die damalige Politik und den Bauboom im Tessin, mit all seinen zerstörerischen Folgen für Dörfer und Landschaft anerkannt, aber auch auf seine Vergänglichkeit verwiesen. Bald ging es mehr um das Realisieren von Bauten als starke Zeichen, welche die Zersiedelung nicht bremsen, sondern allenfalls ästhetisieren konnten. So blieben Projekte für die Stadt eher Seltenheit, wie zum Beispiel das Postgebäude in Bellinzona von Aurelio Galfetti, welches sorgfältig ins Strassenbild und Stadtgewebe integriert wurde. Mit den starken Formen der meist als Solitär gedachten Bauten wurde zwar ein neuer Ort definiert und der Bezug zur Landschaft gesucht, aber mit dem Kontext der Stadt taten sich diese meist schwer. Die folgenden Seiten befassen sich deshalb mit dem städtebaulichen Phänomen während der Tessiner Tendenza. Wer sich mit diesem Thema auseinandersetzt, kommt unweigerlich auf Luigi Snozzi zu sprechen. Omnipräsent diesbezüglich ist seine Aussage: „Wenn ich entwerfe - und sei dies ein Stall, ein Weg, ein Haus, ein Quartier - kann ich nicht anders als mich auf die Stadt beziehen.“1 Im Spannungsfeld zwischen Ort - Zentrum - Stadt - Landschaft findet eine Analyse statt und bindet seine wichtigste Arbeit zu diesem Thema in Monte Carasso mit ein. Diese Ortschaft in direkter Nachbarschaft zu Bellinzona gilt als Ausnahmefall und gründet in der Umsetzung eines städtebaulichen Experimentes.
Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2015
André Falabretti
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Snozzi 1975, S.47
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VERSTÄNDNIS DER STADT
Abb. 1. Portrait Aldo Rossi
Abb. 2. Portrait Vittorio Gregotti
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Rossi 1973, S.12
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Rossi 1973, S.45
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Snozzi 1975, S.47
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Wer sich in den siebziger Jahren im Tessin mit der Stadt als architektonisches Element befasste, war mehrheitlich von der italienischen Realismus-Debatte geprägt. Mit den Büchern «L‘architettura della città» von Aldo Rossi (1966) und «il territorio dell‘architettura» von Vittorio Gregotti (1966) wurde dieser Diskurs Mitte der sechziger Jahre in Gang gebracht. Schon Rossis Titel des Buches (dt. Die Architektur der Stadt) verknüpft die beiden Begriffe: „Stadt wird in diesem Buch, dessen Gegenstand sie ist, als Architektur verstanden“.2 Um die Phänomene der Stadt zu analysieren und zu verstehen lehnt er den Funktionalismus strikt ab, für ihn bestimmt die Funktion weder Form der Gebäude noch der Stadt. Vielmehr geht es um eine Permanenz der Dinge, ein Überdauern von Bedeutungen, so bilden gewisse Gebäude einen konstanten Bestandteil und werden als Baudenkmäler zum primären Element des Städtebaus.3 Im Gegensatz dazu sind die privaten Wohnbauten das sekundäre Element, der amorphe Bereich der Stadt, welcher sich in Form und Funktion ständig verändern kann. Rossi ging es also um eine elementare Ordnung in der Architektur und im Städtebau, eine «analoge Stadt» mit historischen Bezügen und dem Monument als Orientierung für den Weiterbau. Er arbeitete stets in einer Wechselwirkung zwischen Theorie und Praxis des Bauens im urbanen Kontext. Der Bezug zur Schweiz stellte sich spätestens 1972 ein, als er für zwei Jahre als Gastprofessor an der ETH in Zürich angestellt wurde. Vittorio Gregotti verschrieb sich ebenfalls dem Realismus. Er bezieht jedoch das topographische Umfeld als wesentlichen Aspekt des Entwurfes in seine Betrachtungen mit ein. Gregotti setzte sich mit der Tradition der Landschaft auseinander, die für ihn ein ästhetisches Objekt war und er versuchte diese mit all ihren Eigenheiten zu erhalten. Es entstand der prägende Ausdruck «il territorio», klare Strukturen, meist mit reduzierter Formgebung, schaffen neue Bezüge zwischen Landschaft und Architektur. Für Ihn stellt die Stadt die grösste Bemühung der menschlichen Zivilisation dar, indem die natürliche in eine kultivierte Landschaft transformiert wird. Ähnliche Aussagen finden wir auch bei Luigi Snozzi wieder, der in der gleichen Zeit eine Gastprofessur an der ETH in Zürich besass wie Aldo Rossi. Er koppelt den Begriff der Landschaft Gregottis mit einer Art Permanenz von Rossi: „Der Begriff der Landschaft als unseres Eingriffsfeldes wird verstanden als Moment eines langen Umwandlungsprozesses, in dem der Mensch die Natur in Kultur überführt. Dies gilt sowohl für die sogenannte «natürliche» wie auch «gebaute» Landschaft, deren entwickeltste Form die Stadt ist“.4
Der Ort im Zentrum - Städtebauliche Eingriffe der Tessiner Tendenza und ihre Folgen
Die historischen Bezüge waren für Snozzi ebenso wichtig wie die Bezugnahme auf das «Neue Bauen». Ihm war jedoch das Versagen der Moderne in der Urbanistik bewusst, er verwendet Teile wie das Raumprogramm und verbindet es mit der Kontinuität des örtlichen Kontexts. Es tauchen immer wieder Fragen über den Stadtraum, das Zentrum oder Bezüge innerhalb des Stadtgefüges auf, wobei er das Wort der Leere verwendet, was im Vergleich zum Raum wesentlich schärfer ist. In seiner Zeit als Professor verifizierte Snozzi Bezugspunkte für den Entwurf, welche zugleich im Unterricht angewendet wurden, um neue Erkenntnisse zu erlangen und das Verständnis des städtischen Phänomenes zu vertiefen. Direkte Verbindungen findet man auch zwischen Gregotti und Raffaele Cavadini, welcher in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre in Venedig studierte, als Gregotti als ordentlicher Professor lehrte. 1980 folgte schliesslich die Promotion unter genannter Konstellation. Es verwundert daher nicht, dass sich Cavadinis Architektur durch das Respektieren, Analysieren und Interpretieren der gegebenen Situation auszeichnet. Sein Denken richtet sich stets an die Stadt, auch bei kleinsten Projekten und begibt sich dafür auf eine geduldige Suche. „Die echten Beiträge sind die, welche Mühe gekostet haben. Es sind die Erzeugnisse der Hartnäckigkeit, des besessenen Interesses an einer Aufgabe und jenes tieferen Eindringens, das einen Einblick in die sich entziehende Wahrheit gewährt.“5 Seine Auffassung von Tradition zeigt sich vor allem in der gezielten Verwendung der Materialien, ein bewusster Einsatz von Stein, meist unterstützt von rohem Beton als strukturbildendes Element. Betrachtet man die Anstellungen oder Zusammenarbeiten, findet man weitere Querbezüge zu wichtigen Protagonisten des Diskurses des Städtebaus während der Tessiner Tendenza. Snozzi absolvierte Praktika bei Peppe Brivio und Rino Tami, bevor er unter anderem mit Livio Vacchini, Tita Carloni, Mario Botta, Aurelio Galfetti oder Flora Ruchat zusammen Projekte oder Wettbewerbe realisierte. Letztlich schliesst sich der Kreis bei Cavadini, er hatte zuerst eine kurze Anstellung bei Galfetti, arbeitete danach für Snozzi und war direkt an der Planung von Monte Carasso beteiligt. Später wurde er zudem Diplomassistent während seiner Zeit an der ETH in Lausanne. Mit ihm war Michele Arnaboldi ebenfalls Angestellter Snozzis und wurde nach der Eröffnung des eigenen Architekturbüros zum Partner für grössere Projekte oder Wettbewerbe. All diese Umstände spielen im Verständnis der Stadt dieser beiden Architekten eine wesentliche Rolle und sind in ihren Arbeiten in einer bestimmten Weise ablesbar.
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André Falabretti
Abb. 3. Portrait Luigi Snozzi
Abb. 4. Portrait Raffaele Cavadini
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Cavadini in Allenspach 1998, S. 111
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FRAGESTELLUNG & METHODIK Die erkennbare Diskrepanz zwischen der klaren Vorstellung von Stadt und dem fehlenden Umsetzen dieser Ideologie ist die Basis meiner Fragenstellung. Die Theorie wurde in der Tendenza recht deutlich definiert, in der Praxis sah dies meistens anders aus oder es kam nicht einmal zu einer Realisierung. Es stellt sich nun die Frage: . Wieso ist es dieser starken Architekturgemeinschaft nicht gelungen, mehr Einfluss auf die städtebaulichen Debatte in dieser Zeit zu nehmen? Oder anders formuliert: . Weshalb blieb Monte Carasso in seiner Umsetzung ein Einzelfall? Anhand einer Analyse von Monte Carasso werden wichtige Einzelteile beleuchtet, die zum positiven Gelingen dieses Projektes beigetragen haben. Ziel ist aber keine absolute Analyse dieser Ortschaft in all seinen Einzelheiten. Angestrebt wird ein Vergleich mit einem zweiten Projekt. Die Konzeption von Monte Carasso ist in der Zeit der Tessiner Tendenza einzigartig, daher bediene ich mich eines Beispiels aus der näheren Vergangenheit. Als ehemaliger Mitarbeiter und Assistent von Luigi Snozzi steht Raffaele Cavadini und sein Beitrag in Iragna (1993-95) stellvertretend für die nächste Generation und die Folgen der Tessiner Tendenza. Der Vergleich basiert auf definierten Kriterien, die mehrheitlich direkt aus Snozzis Unterrichtszeit an der ETH in Zürich entnommen sind und werden durch ein weiteres Kriterium ergänzt, welches Kernaussagen seiner Vorträge oder Texte aufgreift. Es ermöglicht somit eine Überprüfung seiner eigenen Doktrin und ordnet zugleich Cavadinis Interventionen im Kontext seines früheren Lehrmeisters und Arbeitgebers ein. Bevor die eigentliche Untersuchung stattfindet, wird die Ausgangslage des Unveränderlichen dargelegt, um beide Projekte sinnvoll miteinander zu vergleichen. Es vermittelt einen Einblick in die Gegebenheiten, die vorgefundenen Umstände und wie die jeweiligen Architekten zum Auftrag gelangt sind. Mittels der Kriterien werden die Unterschiede und Parallelen der Eingriffe untersucht, gefolgt von einer ersten Erkenntnis, welche im Schlussteil ausführlicher rekapituliert wird.
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2.1 AUSGANGSLAGE DES UNVERÄNDERLICHEN Monte Carasso liegt in der Magadino-Ebene, nur wenige Kilometer westlich von Bellinzona. Das Dorf ist umgeben vom Berghang im Norden, der Autobahn und dem Fluss Ticino im Südosten und dem Bachlauf der Sementina im Westen. Dieser Bachlauf bildet zugleich die Grenze zum benachbarten und gleichnamigen Dorf Sementina. Die Magadino-Ebene ist durch die Sedimente des Ticinos entstanden und erstreckt sich von Bellinzona bis zum Lago Maggiore. Ursprünglich war das Gebiet unzugängliches Sumpfland, erst nach den Gewässerkorrektionen (1888 - 1912) wurde die Ebene landwirtschaftlich nutzbar. Das Dorf Monte Carasso entwickelte sich um die Pfarrkirche «Santi Bernardino e Girolamo», die Ende des 15. Jahrhunderts errichtet wurde. Sie gilt als Ersatzbau für eine romanischen Betkapelle des 11.-12. Jahrhundert, im 16. Jahrhundert entstand angrenzend das einzige Renaissancekloster des Tessin. In der Nähe befindet sich auch das Rathaus der Gemeinde, umgeben ist dieses Gebiet von einer heterogenen Bebauungsstruktur aus bescheidenen Wohngebäuden, ehemaligen Ställen oder Heuschobern. Weitere prägende Elemente sind die kleine Kirche talaufwärts, die Schutzmauer am Ufer des Bergbaches oder der Damm für die Autobahn, welcher den direkten Kontakt zum Fluss Ticino verunmöglicht hat. Im Jahre 1977 wurde ein Richtplan nach über 15 Jahren Vorbereitungszeit verabschiedet. In diesem sollte das Dorfzentrum als Kernzone und die umliegenden Teile als Randzonen gelten. Das bereits etliche Male umgebaute, aufgestockte oder teilweise abgerissene Kloster wurde mit dem Zonenplan gänzlich zum Abbruch freigegeben und eine neu geplante Schule sollte im Südosten am Dorfrand, nahe der Autobahn enstehen. Dieses Vorgehen wurde bei einigen Bewohnern nicht positiv aufgenommen, aus einem Gegenvorschlag der Bürgerinitiative gründet die Beauftragung Snozzis für eine Studie.
Abb. 5. Luftaufnahme von Monte Carasso 1971
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Ziel war die Ausarbeitung eines Entwicklungskonzeptes für die Gemeinde, grundlegend war das Interesse der zentralen Anordnung der neuen Schulanlage. Der Richtplan von Luigi Snozzi wurde 1979 angenommen und durch weitere Punkte für die Stärkung des Zentrums erweitert. Iragna liegt etwa 15 Kilometer nördlich von Bellinzona in Richtung Gotthard und befindet sich an der Schattenflanke im Rivieratal in unmittelbarer Nähe zu Biasca. Im Westen befindet sich somit der Berghang und gegen Osten folgt ein Grüngürtel des Flusses Ticino, in der Nord-Süd-Richtung ist das Dorf nicht begrenzt. Die geweihte Kirche im Dorfzentrum ist seit dem Jahr 1210 belegt. Der Granitabbau wird seit dem Ende des 19. Jahrhunderts vorangetrieben und ist für Iragna und seine Nachbargemeinden einer der wichtigsten Einnahmequellen. Ansonsten galt dieses Gebiet eher als arm und die Grundstücke waren nie so beliebt und hochgehandelt wie in der Magadino- oder Scairolo-Ebene. Dies begünstigte die Erhaltung der historischen Strukturen, der Dorfkern in Iragna ist daher noch einigermassen intakt. Die finanzielle Situation der Gemeinde verhinderte lange Zeit grössere Projekte zu realisieren oder es fehlte der damaligen Bevölkerung an Mut. Von Bedeutung war die Neubesetzung des Gemeinderates und dass diese eine Veränderung für nötig hielten, Auslöser war unter anderem die Schliessung einer Abteilung der Primarschule. Neben der Einzonung von neuem Bauland wurde Anfang der Neunzigerjahre ein öffentlicher Wettbewerb lanciert, Hauptpunkte des Programms waren ein Gemeindehaus und eine Turnhalle mit Zivilschutzräumen. Situiert war das Gelände neben dem alten Rathaus, welches bereits als Schulhaus genutzt wurde, und in unmittelbarer Nähe zu Kirche, Friedhof und Pfarrhaus.
Abb. 6. Luftaufnahme von Iragna 1989
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2.2 VERGLEICH MONTE CARASSO - IRAGNA Der folgende Vergleich zwischen Monte Carasso von Luigi Snozzi und Iragna von Raffaele Cavadini wird anhand von drei Kriterien durchgeführt. Die ersten zwei Kriterien sind direkt aus dem Text «Entwurfsmotivationen»,6 welcher als Beitrag zur Architekturausstellung «Tendenzen - Neuere Architektur im Tessin» von Luigi Snozzi verfasst wurde und Teile eines Vortrages an der Architekturabteilung beinhaltet. Diese und weitere Bezugnahmen versteht er als wesentliche Bestandteile des Entwurfsprozesses. Das dritte Kriterium entstand aus einer subjektiver Haltung nach der Lektüre der Literatur und ergänzt die ersten zwei mit einem für mich wertvollen und zugleich auffälligen Thema in der Arbeit von Snozzi. Folgende Kriterien werden für den Vergleich herangezogen: - Die Bezugnahme auf die Geschichte - Die Untersuchung der Typologie und der Morphologie - Der Umgang mit räumlichen Grenzen und der Topografie Der Vergleich wird sich ausschliesslich mit den städtebaulichen Aspekten beschäftigen. Dies ist auch der Grund, wieso die übrigen Bezugsnahmen von Snozzi nicht verwendet werden oder sich teilweise im dritten Kriterium wiederfinden. Ausgangslage bilden die umgesetzten Bestandteile der Projekte, Abweichungen von Planunterlagen zur Umsetzung werden benannt. Die Begrifflichkeit der Typologie und der Morphologie benötigt vor ihrer Verwendung eine Definition und wird im Sinne von Luigi Snozzis Auffassung der Stadt angewendet: Snozzi orientiert sich bei seiner Auffassung der Stadt in vieler Weise an Aldo Rossi, welcher der Begriff der Typologie als wichtiges Element für die Analyse der Stadt verstand: „Dagegen kann man, ausgehend von dem Begriff des Typus, ... , eine korrekte Klassifizierung städtebaulicher Tatbestände und schliesslich sogar eine Klassifizierung nach Funktionen vornehmen, soweit diese in der Definition des Typus enthalten sind.“7 In Ablehnung des Funktionalismus hat der Typus somit nichts mit der Form zu tun, es handelt sich um eine unsichtbare Form und in ihr wechselnden Funktionen. Die Typologie ist daher mit der Morphologie eng verbunden, in ihr werden die Tatbestände in Beziehung zueinander gesetzt und nach Gesetzmässigkeiten gesucht. Es geht um Formungsprozesse und die Analyse von Strukturen, stets in Verbindung mit der historischen Stadt und das Erkennen von Werten der Identifikation und Orientierung.8 Stellvertretend die Beziehung von Monumenten und gewöhnlichen Häuser als wesentliche Komponenten der Stadt.
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vgl. Snozzi 1975, S.48
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Rossi 1966, S.31
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vgl. Snozzi 1989, S.107
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Abb. 7. Fotografie ehemaliger Zustand Kloster
Abb. 8. Flugaufnahme Situation Dorfzentrum 1979 Abb. 9. Bildabfolge Entwicklung historisches Zentrum Monte Carasso (nächste Seite)
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DIE BEZUGNAHME AUF DIE GESCHICHTE Luigi Snozzis Verständnis der Stadt bedeutet schon den Bezug auf die historische Stadt, er denkt vor allem an die Werte der Identifikation und Orientierung aber auch an die Bedeutung des Geländes mit all seinen Komponenten. Unter Geschichte versteht er jedoch nicht nur das Vergangene, (Wort kommt von «Geschehen») es ist stets eine dynamisch Entwicklung und beinhaltet neben dem bereits Geschehenen auch das Geschehende.9 In dieser Verbindung wird die Betrachtung seines Projektes Verdemonte in Monte Carasso interessant. Es wurde mehrere Jahre vor dem Richtplan für den Ort erstellt, fügt sich aber trotzdem nahtlos ins spätere Gesamtkonzept ein. Es bestätigt somit seine These, dass der Entwurf zuallererst ein Mittel zur Erkenntnis der Wirklichkeit ist.10 Snozzi bezieht sich bei seinem Entwurf stark auf die geschichtliche Entstehung von Monte Carasso. Die erste Phase des Richtplans orientiert sich explizit am historischen Zentrum rund um das ehemalige Augustinerinnenkloster. Nach diversen Veränderungen (Einbauten, Umbauten, Abbrüche) wurde es, soweit möglich, durch die Befreiung des Innenhofes und die Rekonstruktion des Säulenumgangs wieder in seinen originalen Zustand versetzt. Die Integration von Schule, Ausstellungsräumen, Bar usw. verhalf diesem Ort wieder zum öffentlichen Zentrum des Dorfes zu werden und erhielt dadurch seinen ursprünglichen Zweck zurück. Das bestehende Beziehungsnetz zwischen Gemeindehaus, Schule und Kirche konnte somit geklärt werden und wird mit der Anordnung der Turnhalle im selben Bereich noch verstärkt. Der ursprüngliche Klosterbezirk wird mittels einer Ringstrasse wieder aufgegriffen, die dadurch entstehende Definition des Zentrums und die Abgrenzung des Raumes spielt auch für die folgenden zwei Kriterien eine wichtige Rolle und wird in ihrer Analyse wieder aufgegriffen. Die Strasse mit der neu hinzugefügten Baumallee kann somit als eine Art Vergrösserung der antiken Klostereinfriedung gelesen werden. Für die zweite Phase, mit der Erstellung der Richtlinien für den ganzen Gemeindebezirk, ist seine sorgfältige «Lektüre des Territoriums» verantwortlich. Es bildete die Grundlage die vorhandene Bausubstanz mit ihren unterschiedlich geformten Bebauungskernen und Parzellenformen aufzuwerten. Seine Analyse machte selbst kleinste Details der Örtlichkeit sichtbar, die in den verschiedenen Projekten umgesetzt, wie etwa die Traufhöhe der Raiffeisenbank, welche den existierenden Häusern entspricht und nach der Transformation der ganzen Strassenfront noch daran erinnern soll. Mit der Aufwertung des Kontextes wurden dem Ort weitere wichtige Bezugspunkte zwischen dem Zentrum und dem Siedlungsgebiet zurück gegeben.
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Lichtenstein 1997, S.10
10 vgl. Snozzi 1975, S.46
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Abb. 10. Fotografie vor dem Eingriff, Blick Strasse Richtung Kirche
Abb. 11. Luftaufnahme des Dorfes um 1989
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Raffaele Cavadini bezieht sich bei seinen Interventionen auf die bestehende Struktur des Dorfes. Ausgehend von einer ebenfalls vertieften Analyse des Ortes wurde die Besonderheit zweier Plätze direkt an der Durchgangsachse ersichtlich. Dies führte zur Stellung des neuen Gemeindehauses und der Akzentuierung eines dritten Platzes an der selben Achse. Dadurch entsteht, analog Monte Carassos und im Sinne seines einstigen Lehrers Aldo Rossi, ebenfalls ein komplexes Beziehungssystem zwischen Gemeindehaus, Schule und Kirche. Cavadinis Eingriffe sind zurückhaltend und in ihrer Formensprache einfach, materiell und volumetrisch aber gezielt ausformuliert. So erinnert das Gemeindehaus mit dem harten Ausdruck des Granits an die klassische Moderne, nimmt aber Themen traditioneller Bauformen des südalpinen Raums auf. Das Gebäude folgt der Tradition des dreigeschossigen Tessinerhauses, der Zugang mittels einer Treppe zum Eingang über einem Sockel sowie die Gliederung und Ausrichtung der Fassaden sind typisch für ähnliche historische Bauwerke dieser Gegend. Der geschichtlich wie auch geografisch verankerte Granit begleitet durch alle Projektteile, verbindendes Element ist er als Bodenbelag für den neuen Platz wie auch als ringförmige Umfassungsmauer des Friedhofs, welche am Ende zur Aufbahrungskapelle wird. Der Friedhof entspricht einem Anlagetyp, der im Alpenraum häufig vorkommt und welcher durch die Verschiebung des Planungsperimeters der Kapelle komplett erhalten wurde. Der Einsatz des Granits auf dem Platz am anderen Ende des Dorfes folgt einem verbreiteten Brauch in der Nähe von Steinbrüchen. Vier gegen den Himmel gerichtete Säulen markieren das Ende einer Plattform, die als Ergänzung zu einem kleinen Haus mitten auf dem Platz erstellt wurde. Das leer stehende Gebäude war eigentlich dem Verfall preisgegeben und die Fläche wurde nur noch als Parkplatz genutzt. Auf Cavadinis Drängen integrierte man das Haus in eine Art Insel, befreite den Platz von den Automobilen und gab ihm so seinen Nutzen wieder zurück. Parallelen zeigen sich in der sorgfältigen Analyse des Ortes, mit Snozzis Worten die «Lektüre des Territoriums», oder in die Beeinflussung von Rossis Gedankengut. Die Umsetzung unterscheidet sich jedoch in verschiedener Weise. Snozzi konzentriert sich mit beiden Phasen darauf, dem Zentrum seine historische Bedeutung zurück zu geben. Restauration des Klosters und die Veränderung des Kontextes führen dazu, wobei Letzteres massgebend durch die dynamische Anpassung der Richtlinien sichergestellt werden konnte. In Iragna ist der Bezug vor allem materiell und typologisch ersichtlich, der gut erhaltene Kontext bleibt weitgehend bestehen und beeinflusst eher Cavadinis Interventionen, welche zur Ergänzung oder Vervollständigung der bestehenden Struktur werden.
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A Gemeindehaus (Restaurierung) B Primarschule im Kloster, inkl. projektiertem Flügel C Turnhalle, Gemeindedepot und Heizzentrale D Erweiterung Friedhof E Kindergarten (heute anders situiert, Verbindung Klostergebäude) F Grabnischen Friedhof G Haus des Bürgermeisters Guidotti H Raiffeisen Bank I Haus Cattani M Wohnüberbauung Verdemonte
Abb. 12. Richtplan mit Übersicht Parzellenstruktur von Monte Carasso
Abb. 13. Rekonstruiertes Kloster mit Innenhof von Monte Carasso
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Der Ort im Zentrum - Städtebauliche Eingriffe der Tessiner Tendenza und ihre Folgen
DIE UNTERSUCHUNG DER TYPOLOGIE UND DER MORPHOLOGIE Häuser Morisoli, 1988/89
In Monte Carasso sind die Eingriffe auf einen Richtplan abzustützen, welcher in zwei Phasen unterteilt und realisiert wurde. Die erste Phase stand für die Stärkung des Zentrums. Das ehemalige Kloster wurde umgestaltet und in Beziehung zu den umliegenden Bauten wie der Kirche, dem Friedhof, dem Rathaus oder der neuen Turnhalle gesetzt. Somit erhielt der Ort ein repräsentatives Zentrum aller öffentlichen Funktionen (ein Klosterflügel wurde nicht ausgeführt und der Kindergarten umsituiert). Unterstrichen wird dies mit einer Ringstrasse, gesäumt von einer Baumreihe, die das Gebiet umschliesst und die Wichtigkeit der Gebäude markiert, welches wiederum die Grenze des alten Klosterbezirkes widerspiegelt. In Mögliche Bebauung nach altem Plan Mögliche Bebauung Projekt nach neuem P Häuser Morisoli, 1988/89 nach altem Richtplan der zweiten Phase nahm Snozzi vor allem Einfluss auf die vorherrschenden Verkehrswegepläne und die Baubestimmungen auf dem gesamten Gemeindebezirk. Das Ziel war damals, den gültigen Richtplan zu ersetzen, welcher die Zonenaufteilung über den ganzen Kanton unterschiedslos bestimmte. Zu dieser Aufteilung formulierte Luigi Snozzi folgende Aussage: „Sie ist nur ein Instrument zur quantitativen und nicht zur konkreten räumlichen Kontrolle der Bebauung einzelner Gebiete.“11 Die Schwierigkeiten sah er nicht in der Planung der ersten Phase, die neuen Bestimmungen sollten auch die Grundlage schaffen, das Ortszentrum mit einem «ansprechenden baulichen Kontext»12 zu umgeben. Die Ausgangslage war Projekt neuemPlan Plan Mögliche Bebauung Projekt nach nach neuem Ausgeführter Plan Häuser Morisoli, 1988/89 nach altem Richtplan eine differenzierte und heterogene Struktur von unterschiedlich geformten Bebauungskernen, mit oftmals sehr schmalen und langen Parzellen, teilweise eine Mögliche Bebauung Mietwohnhaus Folge der Erbteilung. Mit der Abänderung der Baubestimmungen wurden die nach altem Richtplan der Kirchgemeinde, 1990 geltenden Regeln für Mindestabstände etc. abgeschafft und somit die mögliche Nutzungsdichte mehr als verdoppelt. Erst mit einem hochwertigen Kontext erlangen die öffentlichen Bauwerke im Zentrum ihren eigentlichen Sinn, gemäss der Auffassung von Snozzi über die zwei wesentlichen Komponenten der Stadt, die Masse der gewöhnlichen Häuser und die Monumente.13 In der angesprochenen Ringstrasse finden sich weitere Merkmale, einerseits die begleitende Mauer, welche Ausgeführter Plan Mögliche Bebauung Projekt nach neuem Plan Ausgeführter Plan als raumbildendes Element eine klare Grenze des Strassenraumes und somit des nach altem Richtplan Abb. 14. Planabfolge Häuser öffentlichen Bereiches definiert, andererseits die Verbindung der Bezugspunkte. Morisoli 1988/89 Erst mit der Ringstrasse konnten die Wege innerhalb verkehrsfrei gestaltet werden, Mögliche Bebauung Projekt nach neuem Plan Mietwohnhaus nach altem Richtplan der Kirchgemeinde, 1990 zwei Fussgängerwege entlang des Friedhofes verbinden zum Beispiel die beiden 11 Snozzi, 1995, S.94 Eingänge der Kirche mit den umgebenden Wohngebieten. Zum Einen ist es eine Doppelhaus 1991 Zulässige Bebauung nach alt 12 Snozzi,Guidotti, 1995, S.95 Rückbesinnung auf alte Werte, das Kloster gewann seine alte Bedeutung zurück, (wegen der geringen Bautiefe zum Anderen bildet das damals erstellte Regelwerk noch heute die Grundlage für 13 vgl. Snozzi, 1989, S. 106 unmöglich) spannende Architekturlösungen in Monte Carasso.
Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2015 Mietwohnhaus
der Kirchgemeinde, 1990
Mögliche Bebauung nach altem Richtplan
André Falabretti
Doppelhaus Guidotti, 1991
Projekt nach neuem Plan
Zulässige Bebauung nach altem Richtplan (wegen der geringen Bautiefe praktisch unmöglich)
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Projekt gemäss dem neuen
Abb. 15. Situation Iragna, mit Eingriffen und Kirche
Abb. 16. Dorfplatz Iragna, topographische Entwicklung in Richtung Kirche
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In Iragna war es kein Gesamtkonzept, welches in verschiedenen Phasen umgesetzt wurde, sondern gezielte Interventionen, ausgehend von der Idee eines gewonnenen Wettbewerbes für den Neubau eines Gemeindehauses und einer Turnhalle. Wobei Letzteres bis heute noch nicht realisiert wurde. Der Grundgedanke des Zentrums spielt auch bei Cavadinis Eingriffen eine grosse Rolle, so betitelte auch Benedikt Loderer einen Bericht über dessen Arbeit mit den Worten: „Nachdenken über die Mitte“.14 Im Gegensatz zu Monte Carasso handelt es sich hierbei aber nicht um einen zentralen Ort im eigentlichen Sinne, sondern um eine Abfolge von zwei bestehenden und einem neu eingefügten Dorfplatz entlang der ortsinternen Durchgangsachse. Parallelen sind trotzdem klar ersichtlich, denn auch hier steht ein komplexes Beziehungssystem zwischen Gemeindehaus, Schule, Kirche und Friedhof im Fokus. Die Ausgangslage war aber eine Andere. Einer der bestehenden Plätze liegt am südlichen Ende des Dorfes, dank Cavadini wurde der damalige Parkplatz mit einer Platzgestaltung aufgewertet und erhielt seine Nutzung als Begegnungszone zurück. Der zweite Platz befindet sich im Zentrum, welcher unverändert blieb und den Dorfladen beherbergt. Auf dem Wettbewerbsareal am nördlichen Ende des Dorfes entstand, durch die geschickte Setzung des neuen Municipio,15 der dritte Platz. Zu einer Ausstellung umschrieb es der Architekt mit der «Vervollständigung der baulichen Anlage des Ortes».16 An diesem Ort befanden sich bereits die Kirche, der Friedhof und das alte Gemeindehaus, dass bereits zu Schulräumen umgenutzt wurde. Der längliche Baukörper des neuen Gemeindehauses spannt diverse räumliche Beziehungsnetze auf. Gegen Süden entsteht ein dreieckiger Platz, welcher in geometrischer wie auch in topografischer Weise auf die Kirche zielt. Um die bestehende Anlage des Friedhofes nicht zu zerstören entschied man sich, die Aufbahrungskapelle auf dem angrenzenden Grundstück zu realisieren. Hier taucht die begleitende Mauer bei Cavadini auf, sie umschliesst das Alte wie auch das Neue und fasst somit alles zu einem Ganzen zusammen. Ersichtlich sind die Parallelen im Zentrumsgedanken, welcher auf einem eigentlich schon bestehenden aber nicht ausgeschöpften Beziehungsnetz der öffentlichen Nutzungen basiert. Jedoch erst durch die Eingriffe wird der Mehrwert für die Bewohner ersichtlich und nutzbar. Unterschiede finden sich vor allem in der Dimension, bedingt durch die Ausgangslage der Ortschaften. Snozzis Beitrag geht einige Schritte weiter, indem die Richtlinien auf den ganzen Gemeindebezirk ausgearbeitet wurden. Er versucht typologisch Eigenheiten des Ortes optimal zu nutzen, das Siedlungsgebiet ums Zentrum sinnvoll zu verdichten und zugleich die öffentliche Fläche notwendig zu machen.
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14 Loderer, 2002, S.12 15 italienischer Begriff für Rats- oder Gemeindehaus, Cavadini übersetzt es mit „Kommunale Infrastruktur“ 16 Cavadini, 2004, S. 61
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Abb. 17. Definition Erweiterung Klosterflügel mittels Höhenversatz (oben) Abb. 18. Abfolge der Zonierung mit hindernisfreien Verbindung
Abb. 19. Eckbau Turnhalle und Magazin,
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DER UMGANG MIT RÄUMLICHEN GRENZEN UND DER TOPOGRAFIE Der Umgang mit den räumlichen Grenzen war Luigi Snozzi so wichtig, dass er diese in seinen Richtlinien für Monte Carasso niederschrieb. Nach diesen waren neu Umfriedungsmauern bis zu einer Höhe von 2.50 Meter möglich und an die bei Bedarf einstöckige Anbauten angefügt werden konnten. Exemplarisch hierfür ist die Anwendung von Snozzi beim Haus Guidotti, bei dem die Mauer zu einem Bestandteil des Projektes wird und zu einer 25 Meter entfernten Pergola führt. Diese harte Grenze dient im üblichen Sinn zur Sicherung der Privatsphäre, wird angrenzend ans Zentrum zudem zur Definition des öffentlichen Raumes, was hier mit einer Baumallee zusätzlich verdeutlicht wird. Das Thema der abgrenzenden Mauer hat in Monte Carasso Tradition und findet sich als Abschluss des historischen Siedlungsgebietes Richtung Westen zum Bach und Dorf Sementina. Die ehemalige Festungsmauer der «Fortini della Fame» (dt. Hungersfestung) sollte damals Schutz bieten vor einer aufkommenden Bedrohungslage und hilft heute gegen allfälliges Hochwasser des Bergbaches. Der Beton löste mehrheitlich das Material Stein ab, dies weil Snozzi den Beton ebenfalls als natürlich auffasst (aus Wasser und Sand). Eine Wiederaufnahme der Baumallee findet sich im Süden des Dorfes und verbindet die markanten Bauwerke von Verdemonte und Morenal. Begrenzt die Allee im Zentrum den öffentlichen Raum, kann es hier im Sinne einer Begrenzung der südlichen Siedlungsgrenze aufgefasst werden, welche durch die zwei Grossstrukturen gehalten wird. Unterstrichen wird dies durch die bestehende Topografie, an der Kante der Strasse ist ein deutlicher Abfall des Geländes ersichtlich, dieser Bereich wird hauptsächlich landwirtschaftlich genutzt oder beherbergt die Sportanlagen. Allgemein ist die Ausgangslage geprägt von einer Hanglage, die in einem Flusslauf mündet, welcher die Talsohle definiert und von der Autobahn begleitet wird. Im Bereich des Kloster sind die Niveauunterschiede gering und werden mittels verschiedener Plattformen aufgenommen, damit der Innenhof auf einer Ebene angelegt werden konnte. Feines Detail ist die leichte Anhebung (analog Säulenumgang) der Fläche, auf welcher der nicht ausgeführte Flügel des Klosters situiert wäre und hilft somit den Innenhof besser zu lesen. Die Abfolge der öffentlichen Bereiche ermöglicht eine Zonierung der einzelnen Nutzungen, impliziert dennoch eine Grosszügigkeit der ganzen Fläche und stufenlosen Zugang zu allen Nutzungen. Grössere Höhensprünge finden sich im Bereiche der Turnhalle und von Verdemonte. Wo beim Wohnbauprojekt noch mit einem freien Erdgeschoss reagiert wird, wohl bedingt durch die Hochwasserthematik, ermöglicht der Sprung bei der Turnhalle die Orientierung einer zweiten Nutzung zur Strasse des tieferen Niveaus.
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Abb. 20. Eingangsweisende Umfassungsmauer die zur Aussenwand der Kapelle wird (oben) Abb. 21. Skizze mit Thematik begleitende Mauer
Abb. 22. Dorfplatz im Süden von Iragna mit erhöhter Plattform
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Die natürliche Ausgangslage in Iragna ist mit jener in Monte Carasso zu vergleichen, die Ortschaft ist ebenfalls in einer geringen Hanglage gelegen, welche sich gegen Osten zum Fluss Ticino neigt. Als symbolische Begrenzung des Dorfes in der anderen Richtung kann man die bestehenden Plätze verstehen, die jeweils den Dorfeingang und -Ausgang markieren. Cavadinis Gedanke seiner Projekte lag in der besseren Kennzeichnung der Hauptzufahrten. Im Norden figuriert der Municipio selber als raumabschliessendes Element in mehrerer Hinsicht, gegen Süden schafft es den dreieckigen Vorplatz, in Richtung Kirche, und mit Hilfe eines Mauerstückes als inszenierter Sockel, entsteht eine intime Piazza und gegen Norden fasst es den bestehenden Grünraum zu einem Art Park zusammen. An dieser Rasenfläche sollte dereinst die Turnhalle angeschlossen werden, auf einer oberen Ebene parallel dazu befindet sich der Zugang zum Schulhaus. Die Mauer als abschliessendes und raumbildendes Element findet bei Cavadini, neben der bereits genannten Piazza, weitere Einsatzorte. Sie bildet die massive Stützmauer des Grünraumes und definiert den Strassenraum, mittels senkrecht gestellter Granitplatten wird eine Grenze zwischen öffentlich und halb-öffentlichen Bereichen der Schule gezogen und schlussendlich wird die Mauer zum Mittel der Verschmelzung von Friedhof und neuer Aufbahrungskapelle. In diesem Objekt ist der Einsatz ganz gezielt, die bestehende Mauer blieb erhalten, somit wird der Friedhof in zwei Bereiche unterteilt, die neue Umfassung vereint, führt spiralförmig zur Zugangstreppe und symbolisiert die Grenze des alten Dorfkerns. Der Umgang mit der Topografie ist bei Cavadini eng mit dem raumbildenden Aspekt verknüpft. So geht es bei der Stützmauer, den Ebenen der Schule wie auch beim inszenierten Sockel der Kirche jeweils auch um die Aufnahme von Höhenunterschieden. Die subtilste Verknüpfung beider Eigenheiten gelang ihm jedoch mit seiner Intervention am südlichen Dorfplatz. Eine fein angehobene Plattform definiert den Strassenverlauf und die öffentliche Fläche gegenüber, bindet aber zudem das Gebäude in eine Art Insel mit ein. Verstärkt wird die Symbolik mit einem neu gepflanzten Baum und vier Stehlen am anderen Ende der Plattform. Obwohl die topographische Ausgangslage und Elemente wie die Mauer bei beiden analog sind, finden sich in diesem Kriterium die grössten Unterschiede im Umgang mit dem behandelten Thema. In Monte Carasso haben die eingefügten Grenzen meist eine unterstützende Rolle fürs Projekt, wobei diese in Iragna eher mit den Eingriffen verschmelzen. Erklärung kann die Dimension des Eingriffes liefern und dass nicht alle Objekte des Kontextes von Snozzi selber ausgeführt wurden, den das Haus Guidotti und die Turnhalle würden die aufgestellte These widerlegen.
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3. ERKENNTNISSE & AUSBLICK
17 Snozzi 1995, S. 98 18 vgl. Fumagalli 1985, S. 24
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Monte Carasso stellt in seiner Umfänglichkeit einen Einzelfall dar, nicht umsonst war und ist es für Luigi Snozzi, gemäss eigener Aussage, das interessantestes Betätigungsfeld seiner beruflichen Arbeit.17 Im Vergleich zu Raffaele Cavadinis Arbeit in Iragna führen die Gedanken und die Umsetzung in Monte Carasso wesentlich weiter und dies bezieht sich nicht nur auf die analysierten Kriterien. Hierfür finden sich Gründe in der differenzierten Ausgangslage, die geografische Lage führte zu anderen Problemen, der Zwang gegen die Zersiedelung zu handeln und dadurch die Bereitschaft etwas zu ändern waren grösser. Monte Carasso stellt eine Art Experiment dar, ein Experiment der «Stadtrenovation» in den Worten von Paolo Fumagalli,18 welches erst mit der Erschaffung der Richtlinien bis in unsere Zeit überlebt hat. Wichtig hierbei ist die dynamische Entwicklung dieser Richtlinien, welche in Wechselwirkung zwischen Planung und Ausführung fortlaufend angepasst wurden. Der kleinere Massstab in Iragna führt zu einer traditionelleren Behandlung der einzelnen Elemente. Materialität und Typologie spielen für Raffaele Cavadini eine zentrale Rolle, der einheimische Granit wird bewusst eingesetzt in Verbindung mit modernem, rohen Beton als ergänzendes Element. Die Herangehensweise ist bei beiden Architekten vergleichbar, basierend auf einer akribischen Analyse und den Blick für die kleinen und scheinbar verborgenen Dinge, entsteht ein Eingriff in Verbindung mit dem Gegebenen und im stetigen Gedanken an die Stadt, die Stadt als natürliche Heimat des Menschen. Für Snozzi wie auch für Cavadini stand das Schaffen eines Zentrums für den Ort im Mittelpunkt durch Freilegen der Beziehungen zwischen den öffentlichen Bauten, ganz im Sinne von Aldo Rossi, auch wenn sich die Ausgangslage und dadurch die Ausformulierung unterscheiden. Diesbezüglich ist das Verhältnis zwischen diesen öffentlichen Bauten (den Monumenten) zur Masse der übrigen Häuser von massgebender Bedeutung. Hier findet sich vielleicht der auffälligste Unterschied beider Interventionen. Snozzi hatte die Möglichkeit auf die Monumente wie auch auf die Masse Einfluss zu nehmen. Cavadinis Eingriffe sind momentan eher noch als Initialzündung zu verstehen, wobei die Turnhalle als wichtiges Element immer noch fehlt, und der Kontext dieser Entwicklung noch folgen muss. So benötigt zum Beispiel der Platz in der Mitte des Dorfes eine Klärung, ein pavillonartiger Bau zerstört die Harmonie der stattlichen Häuser am Platzrand. Somit besitzt Iragna nicht die selbe Strahlkraft wie Monte Carasso, weiss aber in seiner Kleinmassstäblichkeit trotzdem zu überzeugen.
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Bezogen auf die Fragestellung taten sich die Architekten während der Tendenza schwer mit einem urbanistischen Engangement für die Stadt. Dies lag sicherlich auch daran, dass sich die meisten Aufträge auf den Bau von Einfamilienhäuser beschränkten, abgesehen vom Schulbauprogramm der siebziger Jahre. Beiträge im Stadtgewebe, mit all seinen historischen und soziologischen Bezügen blieben Seltenheit. Wobei es im Kanton Tessin mit seinen aufgesplitterten Gemeinden sicher nicht einfach war, der horrenden Geschwindigkeit des Baubooms entgegenzutreten. Dazu kam die Ausrichtung auf den Privatverkehr, neue Strasse zur reinen Sicherung des flüssigen Verkehrs trennten bestehende Stadtstrukturen von neuen Baugeländen mit losgelösten Volumen. Die Aufgabe bestand also darin diese verschiedenen Räume wieder zusammenzubringen, aber mit den vorherschenden Baubestimmungen war eine solche Art der Stadtplanung fast unmöglich. Die Konstellation in Monte Carasso ermöglichte jedoch eine solche Tiefe der Eingriffe. Ausgehend von der aktiven Beteiligung der Bevölkerung in der Debatte des Schulhausbaus, in Verbindung mit dem politischen Bestreben der Gemeindeverwaltung, bis hin zur persönlichen Haltung von Snozzi, führte dies zu einer einzigartigen Behandlung. Die Klarheit der architektonischen Idee und sein Vorgehen von kleinen Elementen mit dem Hintergedanken ans Ganze machten die Realisierung zukünftiger Verbindungselemente unausweichlich. Der Schlüssel war die Definition der neuen Richtlinien und der Umgang als kontinuierlicher Prozess. Zusammenfassend gründet Luigi Snozzis Erfolg in Monte Carasso darauf, dass er auf einer eigenen Theorie des Städtebaus basieren konnte. Im Unterschied dazu nimmt Raffaele Cavadini in Iragna mit gezielten Eingriffen Einfluss auf das bestehende Stadtgefüge und gibt dem Dorf so eine innere Geschlosseneheit. Ob jemals wieder ein vergleichbares Vorgehen wie in Monte Carasso umgesetzt wird wage ich zu bezweifeln, die komplexere politische und wirtschaftliche Konstellation von heute macht es schwierig, solche Experimente in Gang zu bringen. Der Fokus im Tessin muss auf einem grösseren Massstab basieren, dies beweisen auch Aussagen Snozzis zu Monte Carasso. Er sieht die Grenzen der Städte im Begriff zu verschwinden, vor allem bezogen auf die Magadinoebene zwischen Bellinzona und Locarno. Er befürchtet eine durchgehende Agglomeration, in der das Zentrum von Monte Carasso jedoch das Potenzial hat zu einem urbanen Kern zu werden, damit das Dorf nicht vom Wachstum der Stadt aufgefressen wird.19
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19 vgl. Lichtenstein 1997, S.85
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Abb. 23. Visualisierung aus Planung für die Scairoloebene 2009
Abb. 24. Plan Magadinoebene aus der Planung «città
ticino» von 2010
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Diese Thematik greift Michele Arnaboldi, auch ein ehemaliger Schüler / Mitarbeiter von Snozzi und guter Bekannter von Cavadini, in einem Forschungsprojekt des Schweizer Nationalfonds an der Universität in Mendrisio wieder auf. Er verfolgt ein Konzept, in dem aus dem zersplitterten Kanton Tessin, oder der «città diffusa» wie es Galfetti auffasste, eine «città ticino» entstehen soll, eine zusammenhängende grossstädtische Landschaft. Das Ziel wäre ein vernetztes Tessin, in dem die Städte verschiedene Profile aufweisen und sich auf diese Hauptaktivitäten beschränken, damit nicht überall die komplette Infrastruktur erbaut werden muss. Vermehrt verlangt es das Auflösen der Kleinteiligkeit und dass sich Gemeinden zusammenschliessen, somit können Industrie- und Siedlungsbereiche effizienter gestaltet werden. Zentraler Aspekt ist ein langgestreckter Park, befreit von jeglicher Bebauung, entlang des Flusses Ticino. Des Weiteren finden wichtige Entwicklungen, wie die Metropolitanregion Mailand oder die Alptransitstrecke, in seiner Betrachtung platz. Themen wie die Landschaftsplanung als Ausgangspunkt des Masterplans, das Schaffen von ordnenden Strukturen sowie das Erstellen von neuen, nicht quantitativen Regeln sollen in einer längeren Betrachtung eine hohe stadträumliche Lebensqualität ermöglichen.20
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20 vgl. Arnaboldi 2011, S.91
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4.1 ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 1. Portrait Aldo Rossi. Aus: http://www.dbz.de/artikel/dbz__1473336.html (Abgerufen 04.05.15). Abb. 2. Portrait Vittorio Gregotti. Aus: https://touf2011.wordpress.com/page/7/ (Abgerufen 05.05.15). Abb. 3. Portrait Luigi Snozzi. Aus: Hochparterre. (2012). Nr. 6-7, S. 29. Abb. 4. Portrait Raffaele Cavadini. Aus: http://raffaelecavadini.ch/it/biografia (Abgerufen 03.05.15). Abb. 5. Historische Luftaufnahme von Monte Carasso. Aus: http://map.geo.admin.ch (Abgerufen 01.05.15). Abb. 6. Historische Luftaufnahme von Iragna. Aus: http://map.geo.admin.ch (Abgerufen 01.05.15). Abb. 7. Historische Aufnahme von Monte Carasso. Aus: http://www.montecarasso.ch/ index.php?node=458&lng=1&rif=e0f6cbc485 (Abgerufen 31.05.15). Abb. 8. Flugaufnahme Zentrum von Monte Carasso. Aus: Lichtenstein 1997, S.83. Abb. 9. Bildabfolge Zentrum von Monte Carasso. Aus: Corset 1984, S. 105. Abb. 10. Historische Aufnahme von Iragna. Aus: http://raffaelecavadini.ch/it/opere-realizzate/municipio-iragna (Abgerufen 01.06.15). Abb. 11. Luftaufnahme von Iragna. Aus: http://map.geo.admin.ch (Abgerufen 01.06.15). Abb. 12. Richtplan ganze Ortschaft von Monte Carasso. Aus: Corset 1984, S. 103. Abb. 13. Bild Innenhof von Monte Carasso. Eigene Grafik: André Falabretti 2015 Abb. 14. Planabfolge Häuser Morisoli. Aus: Snozzi 1995, S. 97 Abb. 15. Situation der Eingriffe Iragna. Eigene Skizze in Anlehnung an: http://www.architetturadipietra.it/wp/?p=5449 (Abgerufen 01.05.15). Abb. 16. Bild Dorfplatz von Iragna. Eigene Grafik: André Falabretti 2015 Abb. 17. Bild Kloster von Monte Carasso. Eigene Grafik: André Falabretti 2015 Abb. 18. Bild Zonierung von Monte Carasso. Eigene Grafik: André Falabretti 2015 Abb. 19. Bild Turnhalle von Monte Carasso. Eigene Grafik: André Falabretti 2015 Abb. 20. Bild Kapelle von Iragna. Eigene Grafik: André Falabretti 2015 Abb. 21. Situation von Iragna. Eigene Skizze basierend wie Abb.15. Abb. 22. Bild Plattform von Iragna. Eigene Grafik: André Falabretti 2015 Abb. 23. Visualisierung Scairoloebene. Aus: archithese 2011, S. 91 Abb. 24. Plan Magadiniebene. Aus: archithese 2011, S. 88+89
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4.2 LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS Allenspach, Ch. (1998). Architektur in der Schweiz. Bauen im 19. und 20. Jahrhundert (S. 110-121). Zürich: Pro Helvetia. Braghieri, G. ([1981] 1989). Aldo Rossi. Zürich: Artemis Verlag (3.Auflage). Cavadini, R. (2004). Raffaele Cavadini Architetto. Zürich: gta Verlag Croset, P.-A. (1984). Luigi Snozzi. progetti e architetture 1957-1984 (Nachdruck 1988). Mailand: Electa. Fumagalli, P. (1985). Werk, Bauen + Wohnen. Die Restaurierung des Stadtraumes: der historische Kern von Monte Carasso 1977-1984. Band 72, Heft 4, S. 21-26. Himmelreich, J., Lupin, M. (2011). archithese. Michaele Arnaboldi - Städtebau durch Landschaftsplanung. Nr. 2, S. 86-91. Hollenstein, R. (1996). NZZ Folio. Granitene Moderne in Iragna. http://folio.nzz.ch/1996/ oktober/granitene-moderne-iragna (14.04.2015). Loderer, B., Locher, A., Vanoni, G. (2002). Hochparterre: Zeitschrift für Architektur und Design. Nachdenken über die Mitte. Band 15, S. 12-13. Lichtenstein, C. (1997). Luigi Snozzi. Basel: Birkhäuser Verlag. Neue Zürcher Zeitung (2006). Verstand und Gefühl. Weitung des Blickfelds - neue Entwicklungen und Tendenzen in der Tessiner Architekturszene. www.nzz.ch/aktuell/startseite/articleEAZG6-1.49983 (22.03.2015). Rossi, A. (1973). Die Architektur der Stadt. Skizze zu einer grundlegenden Theorie des Urbanen (aus dem Italienischen von 1966 Marsilio Editori, Padova). Düsseldorf: Verlagsgruppe Bertelsmann. Snozzi, L. ([1975] 2010). Entwurfsmotivationen. In Steinmann, M., Boga, T. (Hrsg), Tendenzen. Neuere Architektur im Tessin (S. 46-50). Basel: Birkhäuser Verlag. Snozzi, L. (1989). Zeitschrift DU: Städte bauen. Nr. 11, S. 106-119. Snozzi, L. (1995). Monte Carasso: Die Wiederfindung eines Ortes (S. 90-99). Basel: Birkhäuser Verlag.
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Mehr als nur ein Weg Eine Passerelle als Ausgangspunkt fĂźr die Badeanstalt in Bellinzona Patrick Kofler
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Abb. 1 (Titelbild) Badeanstalt Bellinzona
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2015 Horw, 16.06.2015
Verfasser: Patrick Kofler Schädrüti 22 6043 Adligenswil Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur
Mehr als nur ein Weg
Patrick Kofler
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Abstract Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Bautyp der Passerelle, als städtebauliches Element der Tendenza. Die Arbeit zeigt auf, wie eine Passerelle städtebaulich funktioniert und wie diese bei der Badeanstalt in Bellinzona eingesetzt wird. Das Tessin als einziges grosses Agglomerationsgebiet weisst grosse infrastrukturelle Defizite auf. Für die tessiner Architekten liegt es daran dieser Problematik entgegen zu wirken. Sie sehen die Passerelle als verbindendes Glied zwischen zwei Orten. Besonders in der Tendenza werden Fussgängerbrücken eingesetzt, um den Menschen zu führen und Gebäude zu erschliessen. Ein urbanes Element, dass von Grossstädten wie Tokyo oder aus utopischen Stadtentwürfen bekannt ist. In Bellinzona wurde mit Hilfe einer Passerelle ein Weg von der Stadt bis zum Ticino gebaut. Eine Verbindung zum Naherholungsgebiet Bellinzonas, die schon seit jeher besteht. Manifestiert in einem Bauwerk wird diese Kulturlandschaft für die Zukunft erhalten.
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Einleitung Le Corbusier erwähnte erstmals den Begriff der „promenade architecturale“ im Zusammenhang mit der Villa La Roche und beschrieb ihn als „einen auf den Betrachter ausgerichteten Weg durch den gebauten Raum“. 1 Samuel, 2010, S. 9. 2 Gili, 1989, S. 22 3 Steinmann, 1986, S. 311. 4 Snozzi, 1996, S. 4 5 Geissbühler, 1998, S. 108 6 Norberg - Schulz, 1982, S. 6 1
Kulturlandschaft: „Das Zusammenspiel von Stadt und Land, die höchste Ausprägung einer Kulturlandschaft ist die historische Stadt.“ 4 Territorium: „Beziehung des Menschen zu einer topografischen Fläche.“ 5 Ort: „Ort ist offenkundig ein unverzichtbarer Bestandteil der Existenz. Offensichtlich ist damit mehr gemeint als die abstrakte Lokalisierung.“ 6
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Für die jungen Tessiner Architekten Aurelio Galfetti, Flora RuchatRoncati und Ivo Trümpy war dieser Begriff in Zusammenhang mit der Passerelle von grosser Bedeutung. Fragen wie man sich durch den Raum bewegt und den Besucher durch eine Badeanstalt führt waren zentral. 2 Ihr Projekt überzeugte mit einem städtebaulichen Ansatz, der über die eigentliche Aufgabe hinausging. Die Idee, eine Passerelle zwischen die Stadt Bellinzona und den Fluss Ticino zu spannen und darunter die Badeanstalt frei zu organisieren, brachte das junge Architektenteam als Gewinner hervor. 3 Das Projekt der Badeanstalt in Bellinzona aus dem Jahr 1967 wird heutzutage immer wieder als Paradebeispiel der Tendenza angeführt. Begriffe wie Kulturlandschaft, Territorium oder Ort werden in diesem Projekt vereint. Die Geschichte des Ortes ist in der Tendenza von grosser Bedeutung und soll die Gesellschaft mit der Architektur besser verbinden. Das Tessin ist geografisch von der restlichen Schweiz getrennt. Dadurch konnte sich ein eigener Architekturstil etablieren, der sich mit lokalen Problemen wie der Agglomeration oder der Infrastruktur befasste. Das Denken in einem grossen Massstab und weit über die physischen Fakten eines Ortes hinaus, führte immer wieder zu einzigartigen Projekten. Der Einfluss von namhaften Architekten der Moderne ist nicht zu verleugnen. So lassen sich immer wieder Elemente von Le Corbusier, Louis Kahn und Frank Lloyd Wright in der tessiner Architektur entdecken.
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So auch in der Badeanstalt in Bellinzona. Die Architekten beziehen sich auf ein Werk Le Corbusiers. Das Visual Art Center in Cambridge nahmen sie als Vorbild für die Inszenierung eines Weges und wie man sich einem Bauwerk nähert.7 In dieser Arbeit möchte ich den Bautyp der Passerelle untersuchen. Dabei befasse ich mich mit Fragen, was eine Passerelle im städtebaulichen Sinne leisten kann? Welchen Stellenwert hat die Passerelle in der Tendenza? Wie funktioniert eine Badeanstalt unter einer Passerelle? Meine theoretische Recherche stütz sich auf Literatur über die Architekten, Texte, die im Rahmen der Tendenza entstanden sind und über das Projekt der Badeanstalt in Bellinzona. Ein zweiter Recherche Block besteht aus der Lehre Le Corbusiers. Dazu verwende ich Literatur zur Proportionsstudie Modulor, die Wegführung durch die Architektur und beziehe mich auf ein früheres Werk von Le Corbusier. Aus einer praktischen Recherche entstanden eine Reihe von Fotografien und Schnitten, die zur Illustration der Arbeit dienen. Von der Stadt Bellinzona ausgehend führe ich sie durch die Badeanstalt bis hin zum Fluss Ticino. Einschübe aus der theoretischen Auseinandersetzung beschreiben den Bautyp der Passerelle genauer.
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Passerelle: Fussgängerbrücke, Steg, Übergang, Überweg, Viadukt. Das Transportieren von einem Ort an einen anderen.8
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Steinmann, 1986, S. 312. Duden, 2013, Passerelle
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1. Etappe – Piazza del Sole Bellinzona - Scuola Media
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Bellinzona ist in einem Tal gelegen, im südlichen Teil befindet sich die Altstadt mit den drei Burgen. Im Norden ist ein grosses, locker bebautes Gebiet vorhanden, dass der Stadt in Zukunft als Erweiterung zur Verfügung steht. Einige grössere Gewerbebauten siedelten sich dort bereits an. Die Piazza del Sole ist das Zentrum in Bellinzona. Hier treffen die historischen Burgen auf einen modern gestalteten Platz. Ausgehend von diesem Platz führt die Via Vincenzo Vela direkt zur Badeanstalt. Auf den rund 500 Metern verlässt man relativ schnell den Stadtkern mit seinen öffentlichen Nutzungen und durchschreitet ein Wohnquartier mit alten Stadtvillen. Bis schlussendlich die relativ dicht bebaute Strassenzeile vor der Scuola Media in einem Park ausläuft. Die Scuola Media liegt direkt am Ende dieses Wohngebietes und am Anfang der Passerelle.
Abb. 2 Piazza del Sole in Bellinzona Abb.3 Situationsplan Bellinzona [3]
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Städtebau in der Tendenza Das junge Architektenteam bestehend aus Aurelio Galfetti, Flora Ruchat-Roncati und Ivo Trümpy ist eine Generation von tessiner Architekten, die nach ihrer Ausbildung an der ETH-Zürich zurück ins Tessin gekommen sind. Sie fanden ein grosses, unstrukturiertes Gebiet vor, dass sich durch Zersiedelung und grossen infrastrukturellen Problemen auszeichnete. Das Tessin galt damals als Experimentierfeld für die jungen Architekten. 9
Agglomerationgebiet Tessin: „Auch Aurelio Galfetti begreif das Tessin als eine Stadt; er nennt sie wegen ihrer Zersplitterung città diffusa“ 9
„Das Gelände in einer noch nicht urbanisierten Zone zwischen dem Fluss und der Stadt rief nach einem dynamischen, zwischen 2 Polen gespannten Bau.“ 10 Eine tiefe Recherche des Architektenteams über den Ort zeigte auf, dass die ehemalige Verbindung von der Stadt Bellinzona und dem Fluss Ticino von grosser kultureller Bedeutung ist. An Wochenenden war der Fluss schon immer Treffpunkt und Naherholungsgebiet der Bevölkerung. Auch für die Verdichtung dieses Gebietes in ferner Zukunft, war es den Architekten wichtig diese Verbindung zu bewahren. Sie suchten nach einer städtebaulichen Lösung, die nicht nur die existierende Kulturlandschaft dieses Ortes schützt, sondern auch mit dem Projekt der Badeanstalt stimmig zu einem Resultat führt. Eine rund 400 Meter lange Passerelle, die ihren Anfang am Stadtrand Bellinzonas nimmt und am Fluss Ticino endet, bildet eine starke städtebauliche Achse, die unabhängig von der zukünftigen Verdichtung des Gebietes bestehen bleibt. 11
Arnaboldi, 2011, 86 Steinmann, 1986, S. 312. 11 Steinmann, 1986, S. 312. 9
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In der Abb. [3] ist ersichtlich, dass diese direkte Verbindung des Stadtzentrums mit dem Ticino gezielt gesucht wurde. Die geradlinige Passerelle beginnt in einer geschwungenen Rampe, diese dient dazu den Besucher von der Via Vincenzo Vela abzuholen und auf die Passerelle zu leiten.
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2. Etappe – Das Betreten der Passerelle
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Der kleine Park der Scuola media bildet den Übergang zwischen dem Stadtrand Bellinzonas und dem noch locker bebauten Erweiterungsgebiet. Hier befinden sich viele Grünflächen, die immer wieder zu kleinen Parks mit Spielplätzen arrangiert sind. Alte, mächtige Bäume zieren die Parkanlage vor der Scuola Media und verleihen dem Ort eine diffuse Stimmung aus Licht und Schatten, ein Gefühl der Geborgenheit wird geweckt. Aus dem Park erhebt sich sanft eine 50 Meter lange Rampe. Von wenigen Pfeilern getragen, wirkt sie als schwebendes architektonisches Element. Ohne gross Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, steht die Rampe am Rande des Parks und bildet einen Abschluss zur Strasse hin. Beim Betreten der Rampe erhebt man sich langsam aus dem Park. Mit jedem Schritt kommt man den Baumkronen näher und erhält einen Blick über die schön gestaltete Anlage. Die Betonbrüstungen rahmen den Besucher in die Landschaft ein. Der Kontrast zwischen Natur und gebautem Objekt könnte nicht grösser sein. Wie auf einem gelenkten Orbit umkreist man auf der geschwungenen Rampe den Park in dessen Mitte. Vorbeilaufende Elemente wie Bäume oder Brüstungselemente bilden einen Rhythmus, der Aufgang wird zum musikalischen Erlebnis. 12
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Ab der Hälfte der Rampe wird der Lauf gerade, bis der Anschluss an die Passerelle erfolgt. Die Steigung ist auch mit viel Gepäck angenehm zu begehen. Nachdem der Höhenunterschied von sechs Metern erreicht ist, treffen drei Achsen aufeinander. Das Ende der Rampe, der Anfang der Passerelle und eine Treppe, die direkt von der Via Mirasole auf das Passerellenniveau führt.
rasol Via M i
Ramp
e
e
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Eine Treppe ist im Gegensatz zur Rampe eine sehr direkte und funktionale Art ein Höhenniveau zu überwinden. Als Besucher ist man auf die Stufen und die Wegführung fixiert. Ausblicke in den Kontext werden zur Nebensache. Die massive Betonbrüstung trägt ihren Teil zu dem verschlossenen Treppenkern bei. Diese Art und Weise die Passerelle zu betreten ist ein anderes Erlebnis als der Weg über den harmonischen Verlauf der Rampe. 13 Auf der anderen Strassenseite der Via Mirasole befindet sich eine weitere Treppe, die ebenfalls ankommende Personen direkt auf das Niveau der Passerelle führt. Im Gegensatz zur Treppe auf der Seite der Scuola Media, ist hier die Brüstung als Staketengeländer ausgeführt. Luft- und blickdurchlässig wirkt die Treppenanlage viel leichter, man wird weniger streng geführt.
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Abb. 4 Park Scuola Media Abb. 5 Rampe, Aufgang Passerelle Abb. 6 Schnitt: Erschlissungssituation Abb. 7 Grundriss: Erschliessungen der Passerelle Abb. 8 Grundriss der Erschliessungstypologien
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Der Übergang von den drei Zugängen auf die Passerelle erfolgt nicht rechtwinklig oder parallel. Leicht abgedreht spührt man als Passant den Übergang zur Passerelle, man wird auf einem sanft geknickten Lauf geführt. Die Architekten behandelten die drei Erschliessungen nicht als Teil der Passerelle, sondern als eigenständige Elemente, die zur Überwindung der Höhe dienen und sich in ihrer architektonischen Ausformulierung unterschieden. Der Fussgängerübergang der Via Mirasole ist ein klassisches Beispiel eine Strasse zu überqueren, ohne mit dem Verkehr in Kontakt zu gelangen. Von hier aus erstreckt sich die Passerelle nun auf einer 390 Meter langen Gerade bis zum Fluss Ticino. Ab der zweiten Treppenanlage alternieren die Brüstungen. Das blickdurchlässige Staketengeländer und die massive Betonbrüstung könnten nicht gegensätzlicher sein und bieten immer wieder Einblicke in die Badeanstalt. [9]
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Abb. 9 Passerelle Meter 50 von 400 Abb. 10 Ausblick auf Freizeitbecken Abb. 11 Visual Art Center Cambridge US
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Le Corbusier - Visual Art Center Cambridge US Das Visual Art Center in Cambridge wurde von Le Corbusier entworfen und 1963 erbaut. Er führt die Besucher über eine gekrümmte Rampe, die in mitten von Bäumen beginnt und schliesslich sein Ende im Haupteingang des Visual Art Centers findet. Die Rampe holt die Passanten direkt vom Gehweg ab und fokusiert den Blick auf das grosszügige Eingangsportal. 14 Le Corbusier verwendet zwei Arten von Brüstungen eine massive
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Betonbrüstung und ein relativ geöffnetes Metallgeländer. Die Betonbrüstung gilt als starkes Element der Rampe, dass den Besucher führt. Dem wird ein leichtes Metallgeländer gegenübergestellt. Mit dem sehr offenen Geländer werden Ausblicke ermöglicht. Das tessiner Architektenteam referenziert sich auf dieses Projekt in Bezug auf die Rampe und die Asymmetrie der Brüstungen. Das Erzeugen von Spannung und die verschiedenen Ausblicke in die Badeanstalt lassen den Weg auf der 400 Meter langen Passerelle nicht eintönig wirken. Le Corbusier erzeugt mit Hilfe der Brüstungen eine Dramaturgie
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Quintus Horatius Flaccus: War ein römischer Dichter um 50 v. chr.. Er wurde mit der Gliederung des Dramas in fünf Akten besonders zur Zeit des Humanismus und Klassizismus bekannt. Die fünf Akte sind eine Anleitung zum Aufbau von Spannung.
des Weges, er bezieht sich dabei auf den klassischen Aufbau eines Dramas, wie es bereits der römische Dichter Horaz in fünf Akten definierte. 15
Abb. 12 Schema: Aufbau eines klassischen Dramas in fünf Akten [12]
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1. Akt: (Die handelnde Person wird eingeführt) Der Besucher betritt die Rampe 2. Akt: (Steigende Handlung mit erregendem Moment) Man wird geführt, das Ende der Betonbrüstung ist in Sicht. 3. Akt: (Die Handlung erreicht ihren Höhepunkt) Die Rampe krümmt sich beidseitig ist eine filigrane Metallbrüstung. 4. Akt: (Fallende Handlung mit hinhaltenden Momenten) Der Passant wird weitergeführt die Betonbrüstung erscheint erneut. 5. Akt: (Es kommt zum Katastrophe/Ekstase) Das Verlassen der Rampe und das Einschreiten in das Portal
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Le Corbusier behandelt Korridore und schmale Gänge mit besonderer architektonischer Sorgfalt. Dabei ist weniger das Ziel am Ende dieses Weges von Bedeutung, sondern viel mehr das Links und Rechts des Weges. Er vergleicht es mit einem Korridor, der nur durch seitliches Licht an Bedeutung und architektonischen Wert gewinnt. Ausblicke sind immer wieder mÜglich. Ein Korridor mit Licht am Ende wäre das Gegenteil und nimmt dem Weg seine ganze Spannung. 16
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3. Etappe – Flanieren auf der Passerelle - Eingang des Bades
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Abb. 13 Aussicht ins Bad Abb. 14 Grundriss: Eingang des Bades Abb. 15 Schnitt: der Eingangssituation Abb. 16 Eingangssituation
Auf der Passerelle überquert man langsam die Grenzen des Bades und bekommt plötzlich einen Einblick in die Badeanstalt. Obwohl die Passerelle rund 400 Meter lang ist, wirkt sie nicht als endloser Korridor. Die Asymmetrie der Brüstung stellt sich einer Tunnelwirkung entgegen. Es gibt nicht nur die Ausrichtung der Passerelle in longitudinaler Richtung bis zum Fluss Ticino, sondern auch aufgrund des blickdurchlässigen Staketengeländers in transversaler Richtung. Der Weg in sechs Metern Höhe ist von Bäumen gesäumt, man bewegt sich in den Baumkronen. Es erinnert an eine Allee auf einer Schnellstrasse, die man durchfährt. Ein schöner Wechsel von Schatten und Licht zeichnet sich auf der Passerelle ab. Zusätzlich verstärkt das Staketengeländer den rhythmischen Takt, den die Bäume vorgeben. Unter der Passerelle kommt eine zweite Ebene hervor, eine reine Funktionsebene, auf der sich direkt unterhalb die Garderoben und Schliessfächer befinden. Je weiter man auf der Passerelle vorangeht, desto mehr typische Badegeräusche nimmt man wahr. Das Rauschen von Wasser, oder das Eintauchen von mutigen Springern. Kleine Kinder stehen am Stake-
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tengeländer und beobachten die Mutigeren, Älteren bei ihren Kopfsprüngen. Die Badeanstalt wird direkt von der Passerelle mit einem rechtwinklig dazu stehenden Eingang erschlossen. Die Ebene der Passerelle wird in den Eingang gezogen, bis eine zweiläufige Treppe den Badegast auf das Niveau des Funktionsgeschosses bringt. Ein grosszügiger Platz vor der Kassa öffnet sich. Direkt unter der Passerelle liegt das Kassenhäuschen mit dem Eingang und den Drehkreuzen. Von hier aus ist die Funktionstrennung der Badeanstalt sehr gut zu erkennen. Die Ebene der Passerelle wird rein als städtebauliche Verbindung und als Erschliessung des Bades genutzt. Das Funktionsgeschoss ist mit sämtlichen Nebennutzungen angereichert. Auf der untersten Ebene befinden sich Toiletten, Abstellräume, Technikräume und die frei organisierte Badelandschaft. Auch hier beziehen sich die Architekten zum Thema der Funktionstrennung auf die Stadtkonzepte von Le Corbusier und eines antiken Viadukts aus der Römerzeit. 17
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Funktionstrennung bei den Römern und bei Le Corbusier Bereits die Römer bauten riesige Brückenbauwerke, um Wasser aus fern entlegenen Quellen in die Zentren des damaligen römischen Reichs zu bringen. Meist sind sie auf direktem Weg über unwegsames Gelände, Flussläufe und durch Wälder geschlagen. Die Aquädukte sind kilometerlange Bauwerke, die nicht nur Wasser transportierten, sondern auch mittel waren, schnell römische Streitkräfte zu bewegen. Auf der obersten, höchsten Ebene wurde das Wasser in einem geschlossenen Kanal geführt. Darunter befindet sich eine Ebene für den Verkehr von Wagen und Fussgängern. 18
Abb. 17 Viadukt Pont du Gard Abb. 18 Ville Radieuse
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Wiki, 2015 Wasser
Wagen & Fussgänger
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Diese Funktionstrennung aus der Römerzeit, inspirierte bereits Le Corbusier bei seinen utopischen Stadtkonzepten. In der Idee der Ville Radieuse werden die Fussgänger vom motorisierten Verkehr getrennt. Ein Netz aus Wegen und Brücken überlagert die darunter liegende Verkehrsstruktur. Vertikale Erschliessungen verbinden die verschiedenen Funktionsebenen miteinander. Fussgänger und Autos voneinander zu trennen ist auch bei der Grossstadtutopie von Ludwig Hilbersheimer die Lösung der zunehmenden Verkehrsproblematik in den Grossstädten.
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4. Etappe – Das Funktionsgeschoss Nachdem man den Eingang und die Kassa durchlaufen hat, befindet man sich auf einem Steg, der unterhalb und neben der Passerelle verläuft und die einzelnen Räumlichkeiten erschliesst. Ab dem Eingangsbereich vollzieht sich ein Materialwechsel von Beton zu einem Steg aus Holzlatten und einer filigranen Stahlstruktur, die mit Isolierglaspaneelen ausgefüllt ist.
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Die Passerelle bildet dabei die Decke und ist im Raum erlebbar. Auch zwischen den Garderobenboxen stütz sich die Passerelle mit Betonpfeilern ab. Hier durchdringt die massive Struktur der Passerelle die filigrane Stahlstruktur. Die Architekten sprechen von zwei Systemen, die in diesem Projekt aufeinandertreffen. Einerseits die Passerelle als Makrostruktur, welche einen ausdrucksstarken und soliden Eindruck macht. Andererseits eine Mikrostruktur, die sich darunter befindet und als filigraner Stahlbau in Erscheinung tritt. 19 Die Garderoben sind so aufgebaut, dass sie vom Steg aus erschlossen werden können und nach dem Umziehen, diagonal in der anderen Ecke des Raumes wieder verlassen werden können. Jeder Badegast
muss diese Stelle passieren, der Garderobentrakt ist der einzige Eingang zu der Badelandschaft darunter. Für die Herren sind die Isolierglaswände blau eingefärbt, für die Damen gelb. Schlussendlich ist auch das einfallende Licht in dieser Farbe gefärbt. Das gesamte Funktionsgeschoss ist auf standardisierte Grundelemente zurückzuführen. Als Ausgangslage dient die Breite der Passerelle, die primäre Stahlstruktur ist auf einem quadratischen Raster aufgebaut mit dem Grundmass von der Breite der Passerelle. Die Sekundärstruktur und zugleich die Breite der Isolierglaspaneele ist ein Viertel des Rasters. Auch hier haben sich die Architekten von dem Proportionsregelwerk Le Corbusiers inspirieren lassen und musterhaft umgesetzt.
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Abb. 19 Steg neben / unter der Passerelle Abb. 20 Grundriss: Funktionsgeschoss Abb. 21 Garderobe
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Le Corbusier – Modulor Le Corbusier beschreibt das Wort Modulor kurz mit der „Humanisierung des Masses in der Architektur“ 20. Dabei kombiniert er den goldenen Schnitt mit den Massen des menschlichen Körpers und erzeugt eine mathematische, endlose Reihe von Dimensionen, die schlussendlich zu Proportionen arrangiert werden können. Als Referenzgrösse für seine Proportionsstudien verwendet er die Durchschnittsgrösse eines britischen Polizisten zu jener Zeit. Das Mass 183cm wird somit zur Ausgangslage seiner Studie und kann aus den Grundeinheiten 16cm und 27cm zusammengesetzt werden.21
Le Corbusier, 1948, S. 7 Le Corbusier, 1948, S. 50 22 Samuel, 2010, S. 98 20 21
Die Laufbreite der Passerelle ist genau 3,66 Meter breit, das entspricht zwei Mal der grösse des Modulors. Dieses Mass ist optimal für öffentliche Wege, die Bewegungsströme in zwei Richtungen aufweisen. Eine Garderobenbox hat die Dimensionen von 6 x Modulor in der Länge und 2 x Modulor in der Breite. 22 Die Raumhöhe entspricht mit 2,26 Metern exakt dem Modulor mit ausgestreckten Händen. Auch die Brüstungen der Passerelle geben einerseits einen Rhythmus von 1,83 Metern bzw. 1,83 + 0,27 Metern vor.
Abb. 22 Modulor [22]
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5. Etappe – Die Badelandschaft Nach dem Verlassen der Garderobe gelangt man über eine Treppe auf das Niveau der Badeanstalt. Innerhalb der Stahlstruktur befinden sich Räumlichkeiten aus Backstein. Diese werden als Toiletten und Personalhäuschen genutzt. Parallel zur Passerelle geht man entlang eines asphaltierten Weges. [23]
[24]
Grosse Grasflächen mit Bäumen bieten den Gästen Platz zum Liegen oder für sportliche Aktivitäten. Auf halber Strecke der Passerelle befinden sich links und rechts davon die Schwimmbecken. Die Badelandschaft ist auf einem erhöhten Sockel, der Zutritt ist nur über die Dusch–Schleuse möglich. Zuerst gelangt man zum Freizeitschwimmbecken. Hier halten sich meist Eltern mit ihren Kindern auf. Eine Rutsche und mehrere Fontänen sind die Hauptattraktion. Auf der anderen Seite der Passerelle befinden sich die Sportbecken mit dem Sprungturm und den Schwimmbahnen. Diese beiden Becken sind ebenfalls auf einem erhöhten Sockel. Das Becken mit dem Sprungturm ist nochmals eine Ebene höher und bildet eine Sitzbank
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zum Becken mit den Bahnen aus. Die Badelandschaft der drei Becken ist unter der Passerelle miteinander verbunden. Eine kleine Brücke Abb. [26] führt über den parallel zur Passerelle verlaufenden Weg. Als Badegast erlebt man durch die Wegführung immer wieder die dominierende Grosstruktur. Das Links und Rechts der Passerelle und das Durchqueren ist Teil dieses Konzeptes. Der Sprungturm bietet fünf Ebenen aus verschiedenen Höhen von denen die Badegäste kunstvoll ins Wasser springen. Der Sprungturm und auch die Wasserrutsche treten wie Kunstwerke des Wassersportes in Erscheinung. Das Sportbecken hat 8 Bahnen mit 50 Meter Länge. Eine Uhr an der Passerelle misst die Zeit. Ein Bademeisterhäuschen und eine Unfallstation befinden sich unterhalb der Passerelle, diese sind in Backstein ausgeführt. Die funktionale Idee hinter der zusammenhängenden Badelandschaft ist, dass man eine Dusch–Schleuse betritt und sich danach frei zu allen Becken bewegen kann. Beim Verlassen der Badelandschaft auf der Seite der Sportbecken durchquert man diese Duschschleuse erneut, es öffnet sich dem Badegast eine grosse Grünfläche. Bei einem weiteren Ein- und Ausgang des Bades befindet sich ein Restaurant. Eine Terrasse mit Sonnenschirmen und Stühlen bietet Platz zum Sitzen.
[26]
[27] Abb. 23 Sportbecken Abb. 24 Grundriss: Badelandschaft Abb. 25 Sprungturm Abb. 26 Verbindungsbrücke Abb. 27 Sockelebene
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6. Etappe - Das Verlassen des Bades Oberhalb des Restaurants befindet sich der zweite Ein- und Ausgang des Bades. Über eine Treppe gelangt man auf das Niveau des Funktionsgeschosses und durchläuft erneut einen Garderobentrakt. Auf der anderen Seite der Passerelle können die Badegäste über eine Rampe entweder direkt zum Ausgang oder zu den Schliessfächern gelangen.
[28]
Über den Ausgang sind die Bereiche der Garderoben und der Schliessfächer miteinander verbunden. Die Wegführung durch die Garderoben ist anders aufgebaut, als bei dem ersten Eingang am Anfang der Passerelle. Man Betritt und verlässt die Garderoben und Schliessfächerbereiche über denselben Eingang bzw. von derselben Seite. Die Durchquerung der Passerelle findet erst wieder statt, wenn die Badegäste von der Seite der Garderoben auf die andere Seite zu den Schliessfächern gehen. Das Kassahäuschen befindet sich wieder unterhalb der Passerelle, auch hier geht man erneut durch die Struktur hindurch. [29] 26
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Über eine Rampe, die rechtwinklig zur Passerelle steht gelangt man über zwei Läufe auf das Niveau der Passerelle. Blickt man Richtung Stadt Bellinzona sieht man entlang des Staketengeländers eine Pergola. Diese dient als Schattenspender für die Nachmittagssonne. Abb. 28 Grundriss: zweiter Eingang Abb. 29 Rampe zur Passerelle
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Abb. 30 Schnitt: Erschliessungssituation
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7. Etappe – Der Kopfbau am Ende der Passerelle Es kommen immer wieder Personen entgegen, die nicht die Badeanstalt benutzen, sondern Schüler, die zur Scuola Media gehen oder Personen mit Hunden. Der Fussgängerübergang wird nicht nur von Badegästen genutzt, sondern auch von Passanten, die aus einer Notwendigkeit heraus das Bad überqueren. Wenn man Richtung Ticino weitergeht sind die Bäume immer dichter und zahlreicher aneinander gereiht ein kleiner Wald bildet den Abschluss der Passerelle. In dem Wald befindet sich ein Spielplatz, der mit künstlich aufgeschütteten Hügeln eine Spiellandschaft bildet. Rutschen und kleine Tunnel spielen mit dieser gestalteten Topografie. Ein Nichtschwimmerbecken ist unmittelbar neben dem Spielplatz. Unter den Bäumen halten sich viele Familien mit Kleinkindern auf.
[31]
[32]
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Geht man weiter verlässt man das Areal der Badeanstalt. Man überquert einen Fahrradweg, der entlang des Schutzdammes des Flusses liegt. Hier ist bereits ersichtlich, dass die Strecke entlang des Ticinos ein beliebtes Naherholungsgebiet für Sportler ist. Am Ende der Passerelle steht ein überdachter Kopfbau. Ein kleiner Platz und eine Betonbrüstung ist das Ende der Passerelle und lässt Ausblicke auf den Fluss zu.
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Das Rauschen des Flusses und der Lärm der dahinterliegenden Autobahn überlagern sich auf eine nicht störende Art und Weise. Am Anfang dieses Kopfbaus geht die Treppe rechtwinklig zur Passerelle weg und führt die Passanten über eine zweiläufige Treppe auf den Scheitelpunkt des begrünten Schutzdammes. Ein kleiner Trampelpfad verläuft sich im Horizont. Über kleine Treppen ist der darunterliegende Fahrradweg mit dem Trampelpfad immer wieder verbunden. Der Kopfbau wirkt als eigenständiges Element und bildet einen starken Abschluss der Passerelle. [33]
[35] [34] Abb. 31 Grundriss: Badelandschaft Abb. 32 Kopfbau Abb. 33 Pfad auf dem Damm Abb. 34 Schnitt: Kopfbau Abb. 35 Kopfbau
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Fazit Das Projekt der Badeanstalt in Bellinzona sorgte bereits auf der Ebene des Wettbewerbs für Gesprächsstoff. Einige Fragen waren noch nicht geklärt und auch die Bevölkerung Bellinzonas war sich nicht einig über dieses Projekt. Das Thema der Privatsphäre der Badegäste war einer der schwierigsten Punkte. Von der öffentlichen Passerelle aus ist es ein leichtes, Badegäste zu beobachten und in ihrer Privatsphäre zu stören. Schlussendlich hat das Projekt in seiner Gesamterscheinung überzeugt und wurde von der Bevölkerung Bellinzonas angenommen. Auch ich finde es ein sehr gelungenes Projekt, dass vor allem auf funktionaler Ebene sehr gut funktioniert. Die verschiedenen Abfolgen der Nutzungen und die Aufteilung in die drei Geschosse macht das Schwimmbad sehr übersichtlich. Als Badegast muss man nicht lange nach den verschiedenen Nutzungen suchen, sie sind sehr logisch angeordnet. Der eingereichte Wettbewerbsbeitrag sah vor die Passerelle über den Fluss Ticino und die Autobahn weiterzuführen. Aus Kostengründen wurde jedoch die Passerelle nur bis vor dem Fluss projektiert. Die Aussichtsplattform im Kopfbau erinnert an die eigentliche Weiterführung über die Autobahn. Dieses Projekt war Ausgangslage für weitere Projekte von tessiner Architekten in der Tendenza. Der Bautyp der Passerelle ist ein sehr starkes städtebauliches Element, dass einen Ort mit dem Gebäude auf besondere Weise verbindet. Einerseits geht eine Passerelle auf einem städtebaulichen Massstab und die Gegebenheiten des Ortes ein, andererseits ist es eine Möglichkeit Menschen gezielt zu führen. In der Tendenza ist die Passerelle immer in Verbindung mit einer zweiten Struktur. Mit Hilfe eines Materialwechsels oder einem Unterschied in der Massivität oder Filigranität werden die beiden Strukturen zum Ausdruck gebracht.
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2 Beispiele der Tendenza So auch bei dem Einfamilienhaus in Riva San Vitale. Mario Botta fand für diese Aufgabe ein Grundstück in Hanglage vor. Er setzt ein kubisches Volumen in den Hang und erschliest das oberste Geschoss von der Hangkante aus mit einem Stahlbrückenbauwerk. Beim Wettbewerbsbeitrag der EPFL in Lausanne von Mario Botta, Tita Carloni, Aurelio Galfetti, Flora Ruchat und Luigi Snozzi versuchte man mit Hilfe der Passerelle den Universitätscampus zu beleben. Die beiden Passerellen wurden aus städtebaulicher Sicht gelegt, die Universität entwickelt sich frei darunter. Ein Netz aus Wegen, Innenhöfen und Räumlichkeiten zeichnet diesen Entwurf aus. Ich finde es aus städtebaulicher Sicht ein sehr nachhaltiges Projekt, dass vor Allem in dem Erweiterungsgebiet Bellinzonas grosses Potential hat. Die ehemalige Verbindung Bellinzonas mit dem Fluss wurde mit Hilfe einer Passerelle manifestiert. Der vorgefundene Ort soll nicht neu geschrieben werden, sondern weitergeschrieben werden. 23 „ Die Passerelle ist eine Achse, die neue in ihrer Umgebung geplante Einrichtungen hervorbringt: Sport, Wohnungen, evtl. Schulen.... Aber sie steht auch für sich selbst, als eigentliche erhöhte Strasse konzipiert nach der Massgabe des Fussgängers: Dies kann einen neuen Bezug zur Stadt und zu ihrer Umgebung herstellen.“ 24
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Meiner Meinung nach ist das eine der Kernaussagen der Tendenza, wie die tessiner Architekten mit dem Ort umgehen. Das Tessin als ein einziges grosses Agglomerationsgebiet braucht architektonische Ansätze, die auf städtebaulicher Ebene eingreifen.
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Literatur- und Quellenverzeichnis Arnaboldi, M. (2011). Städtebau durch Landschaftsplanung. Archithese, 2, S. 86-91. Steinmann, M. Boga, T. ([1975]1986). Tessiner Architekten. Bauten und Entwürfe 1960 – 1985. Zürich: ETH Zürich Carrard, P. (1998). Flora Ruchat – Roncati. Zürich: gta Verlag Duden. (2013). Duden. Die deutsche Rechtschreibung. (25. Aufl.). Mannheim: Duden Verlag. Geissbühler, D. (1998). Die Gebaute Landschaft, In Carrad, P. (Hrsg), Flora Ruchat–Roncati. Zürich: gta Verlag Gili, G. (1989). Aurelio Galfetti. Berlin: Wilhelm Ernst und Sohn Verlag. Le Corbusier. ([1948]1985). Der Modulor. Darstellung eines in Architektur und Technik allgemein anwendbaren harmonischen Maszes im menschlichen Maszstab. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt Le Corbusier. ([1955]1990). Der Modulor 2. Das Wort haben die Benützer: Deutsche Verlags-Anstalt Norberg - Schulz, C. (1982). I . Ort?, In Norberg - Schulz (Hrsg), Genius loci: Landschaft, Lebensraum, Baukunst. Stuttgart: Klett-Cotta. Samuel, F. (2010). Le Corbusier and the architectural promenade. Basel: Birkhäuser Verlag Snozzi, L. (1988). Progetti e architectura 1957 - 1984. Milano: Electa Edritice Snozzi, L. (1996). Auf den Spuren des Ortes. Ein Gespräch in und um Monte Carasso. Zürich: Lithos Wikipedia, (2015). Pont du Gard. Verfügbar unter http://de.wikipedia.org/wiki/ Pont_du_Gard (30.05.2015)
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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Badeanstalt Bellinzona. Aus: Gili, G. 1989, S.25 Abb. 2: Piazza del Sole in Bellinzona. Aus: http:// www.panoramio.comphoto42450964. (27.05.15) Abb. 3: Situationsplan Bellinzona. Aus: http://hlsarchitekten.chkategoriearchivpage3. (27.05.15) Abb. 4: Park Scuola Media. Kofler Abb. 5: Rampe, Aufgang Passerelle. Kofler Abb. 6: Rampe, Schnitt: Erschliessungssituation. Kofler Abb. 7: Grundrisse: Erschliessungen der Passerelle. Kofler Abb. 8: Grundrisse der Erschliessungstypologien. Kofler Abb. 9: Meter 50 von 400. Kofler Abb. 10: Ausblick auf Freizzeitbecken. Kofler Abb. 11: Visual Art Center Cambridge. Aus: http://fuckyeahbrutalism.tumblr.com/image/97985633051. (02.05.15) Abb. 12: Schema: klassisches Drama. Aus: httpwww.philipphauer.deinfodaufbau-drama-macbeth-iphigenie. (04.06.15) Abb. 13: Aussicht ins Bad. Gili, 1989, S.22 Abb. 14: Grundriss: Eingang des Bades. Kofler Abb. 15: Schnitt: Eingangssituation. Kofler Abb. 16: Eingangssituation. Kofler Abb. 17: Viadukt Pont du Gard. Aus: httpwww.nemausensis.comGardAqueducRomain.htm. (09.06.15) Abb. 18: Ville Radieuse. Aus: http://www.archdaily.com/411878/ad-classics-ville-radieuse-le-corbusier/. (09.06.15) Abb. 19: Steg neben / unter Passerelle. Kofler Abb. 20: Grundriss: Funktionsgeschoss. Kofler Abb. 21: Garderobe. Jürg Gasser Abb. 22: Modulor. Aus: Le Corbusier, 1948, S. 67 Abb. 23: Sportbecken. Kofler Abb. 24: Grundriss: Badelandschaft. Kofler Abb. 25: Sprungturm. Kofler Abb. 26: Verbindungsbrücke. Kofler Abb. 27: Sockelebene. Kofler Abb. 28: Grundriss: Zweiter Eingang. Kofler Abb. 29: Rampe zur Passerelle. Kofler Abb. 30: Schnitt: Erschliessungssituation. Kofler Abb. 31: Grundriss: Badelandschaft. Kofler Abb. 32: Kopfbau. Kofler Abb. 33: Pfad. Kofler Abb. 34: Schnitt: Kopfbau. Kofler Abb. 35: Kopfbau. Kofler
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Anhang
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Grundriss 1:1000 Passerelle
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Grundriss 1:1000 Funktionsgeschoss
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Grundriss 1:1000 Badelandschaft
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Ein Ort an der Schnittstelle Das Haus Durisch im Spannungsfeld
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2015 Horw, 16.06.2015
Verfasser: Dominic Spalt Badenerstrasse 344 8004 Zürich Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur
Abstract Der vorliegende Essay befasst sich mit der Rolle des Ortes innerhalb der Tessiner Tendenza, im Konkreten am Beispiel des Wohn- und Atelierhauses von Giancarlo Durisch. Die Interpretation basiert auf der theoretischen Grundlage von Christian Norberg-Schulz. Es soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit das Haus Durisch eine Antwort auf den Ort Riva San Vitale ist. In einem ersten Schritt wird die theoretische Grundlage wiedergegeben. Anschliessend wird anhand der Kriterien Natur- und Kulturlandschaft, dem räumlichen Aspekt und der charakterlichen Eigenschaft das Haus Durisch analysiert. Der Ort ist weit mehr als die Abstraktion auf die geografische Lage. Er wird unter anderem bedingt durch Raum, Form, Oberfläche und Material. Das Haus Durisch gibt eine sehr introvertierte, radikale und eine ziemlich einschichtige Antwort auf die örtlichen Gegebenheiten in Riva San Vitale.
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Einleitung Der Ort, oder im Italienischen il territiorio, ist der Begriff, welcher in der Bewegung der tessiner tendenza in den 1970er Jahre eine vertiefte Auseinandersetzung findet. Für die folgende Arbeit wird der Ort als Ausganglage genommen. Der Ort ist ein sehr weitgefasster Begriff, deshalb wird der Versuch unternommen, mittels einer relevanten theoretischen Niederschrift und einem konkreten gebauten Beispiel aus der tessiner Gruppe, der Begrifflichkeit des Ortes nachzugehen. In einem ersten Schritt wird der Ort in einer theoretischen Sichtweise betrachtet. Dazu ist unter anderem die Position von Aldo Rossi gewählt worden, besonderes Augenmerk liegt dabei auf das im Jahr 1966 publizierte Meisterwerk l‘archittetura della città. Das Buch, sicherlich aber auch sein akademischer Gastlehrauftrag an der ETH können als Einflussfaktoren auf die tessiner Gruppe interpretiert werden. Des Weiteren wird auf die Theorie von Christian Norberg-Schulz zurückgegriffen. Er beschreibt den Ort aus einer phänomenologischen Betrachtungsweise, das heisst, um den Ort in seiner Gesamtheit zu verstehen, unterscheidet er als erstes zwischen Natürlichem und vom Menschen, künstlich Geschaffenem.1 In einem zweiten Schritt verwendet er die Kategorien Raum und Charakter.2 Nach NorbergSchulz lässt sich durch diese Eigenschaften die Struktur eines Ortes beschreiben bzw. analysieren.
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Norberg-Schulz, 1982 S.10
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ebd. 1982, S.11
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In diesem konkreten Fall wird das Wohn- und Atelierhaus von Giancarlo Durisch in Riva San Vitale gewählt. Es dient als Vertreter aus den Werken der Tessiner Protagonisten. Es wird auch gewählt, da es auf den ersten Blick eine gewisse Diskrepanz zum Fokus Ort aufweist im Gegensatz zu einer naheliegenden Annäherung über die Geometrie.
Im zweiten Schritt wird das theoretische Wissen durch NorbergSchulz auf das konkrete Beispiel, das Haus Durisch, angewendet und überprüft. Eingeleitet wird mit der Betrachtung auf die Natur- und Kulturlandschaft, welches durch die räumliche Betrachtung und die des Charakters vervollständigt wird. Die daraus gezogenen Schlüsse werden im letzten Abschnitt interpretiert und eingeordnet.
Abb. 1. (Titelbild) Schwarzplan von Riva San Vitale. Dominic Spalt, 2015 Abb. 2. Aussenfassade des Haus Durisch, Kontrastreiche Situation. Dominic Spalt, 2015
Das Haus von Giancarlo Durisch wird nach den theoretischen Ansichten des Ortes von Christian Norber-Schulz analysiert. Dabei steht die folgende Frage im Vordergrund: Inwieweit ist das Wohn- und Atelierhaus eine Antwort auf den Ort Riva San Vitale? Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass die Theorie von Norberg-Schulz rund zehn Jahre nach der Fertigstellung des Hauses erschienen ist und somit diese Betrachtung eine Interpretation darstellt.
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Der Ort - il territorio «Eine konkrete Bezeichnung für Umwelt ist Ort, Stätte. Man spricht davon, daß handlungen und Ereignisse stattfinden. Es ist in der tat sinnlos, sich ein Geschehen ohne Beziehung zu einer Örtlichkeit vorstellen zu wollen. Der Ort ist offenkundig ein unverzichtbarer Bestandteil der Existenz.»3 Dieses Zitat von Christian Norberg Schulz deutet darauf hin, welche Wichtigkeit der Ort für uns Menschen hat und dass der Begriff sehr umfassend ist. Der Ort kann je nach Bezug eine Region, eine Stadt, ein Haus, ein Zimmer, ein Innenhof oder auch ein Berg sein. Generell lässt sich bei der tessiner Gruppe feststellen, dass der Begriff des Ortes eine elementare Bedeutung in ihrem Verständnis hat aber auch in ihrer Haltung für die Architektur. Das zeigt auch das folgende Zitat, welches einleitend für das Buch tendenzen - Neuere Architektur im tessin geschrieben wurde: «Auf die Zerstörung der landschaft durch eine planlose Bauerei in den 1960er- Jahren antworteten die Protagonisten der tessiner Schule mit einer vertieften Auseinandersetzung mit den natürlichen und geschichtlichen Gegebenheiten eines Ortes.»4 Insbesondere auf das natürlich Gegebenene soll kurz eingegangen werden. In einem späteren Verlauf des Essays wird das Spannungsverhältnis von Natur- und Kulturlandschaft anhand des Haus Durisch weiters untersucht.
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Norberg-Schulz, 1982 S.6
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Birkhäuser, 2010, Vorwort
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vgl. Snozzi, 1989, S.106-119
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Seit Urzeiten steht der Mensch in der Dualität von natürlich Gegebenem und künstlich Gemachtem. Einerseits ist es die Natur, welche den Menschen lebensnotwendig versorgt, andererseits ist sie das Gefährliche, das Wilde und Unkontrollierte, das dem Menschen gegenübersteht. In dieser Auseinandersetzung ist der Ursprung zu suchen in der sich der Mensch mittels enormem Aufwand die Natur zu nutzen und für sich zugänglich gemacht hat.5
Die Natur muss, wie es Luigi Snozzi gesagt hat, zerstört werden um sie für uns nutzbar zu machen.6 Dieses Verständnis für die natürlichen Gegebenheiten zeichnet eine klare Haltung ab und zielt in die Richtung der nicht unerschöpflichen Naturlandschaft. Konkret formuliert er einen Aphorismus der sein Verständnis aber auch seine Forderung an die Öffentlichkeit zum Ausdruck bringt. «Jeder Eingriff bedeutet eine Zerstörung. Zerstöre mit Verstand.»7 Bisweilen blieb das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Bedeutung des Bauens aus. Es hätte wahrscheinlich eine weniger dramatische Zerstörung der Landschaften stattgefunden, wäre die breite Masse sensibilisiert für das Bauen.8 Sicherlich einen grossen Einfluss hatte Aldo Rossi mit seinen theoretischen Schriften. Insbesondere aus seinem theoretischen Hauptwerk aus dem Jahre 1966 l‘archittetura della città können Einflüsse auf die Protagonisten der tessiner tendenza abgelesen werden, bezüglich der Thematik des Ortes. Um Rossi in diesem Zusammenhang zu nennen und um auf seine Relevanz hinzuweisen. Aldo Rossi Mit seinem Gastlehrauftrag an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich von 1972 bis 1974 leitete Rossi eine Abweichung der bisherigen Unterrichtsmethode an der ETH ein. Seine Architekturlehre beruhte auf einer Auseinandersetzung mit dem Ort, einer typologischen Analyse und der Beziehung von Architektur und Stadt.9 Dies waren Themen, die er bereits in seiner theoretischen Niederschrift von 1966 festgehalten hat. Weiter zu erwähnen ist auch die von 1973 bis 1979 durchgeführte Studie, in der Aldo Rossi, Eraldo Consolascio und Max Bosshard zusammen mit unzähligen Studie-
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Snozzi, 2008, Vortrag ETH
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Snozzi, Lichtenstein, 1997, S.10
8
vgl. Snozzi, Lichtenstein, 1997, S.10
9
vgl. Moravanszky, Hopfengärtner, 2011. S.19
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renden eine typologische Untersuchung und Bestandsaufnahme der Kulturlandschaft des Kanton Tessins gemacht haben.10 Publiziert wurde das Buch unter dem Titel la Costruzione del territorio nel Cantone ticino im Jahr 1979.11
Abb. 3. Katasterplan von Riva San Vitale (1851). Aus: Rossi, Consolascio, Bosshard 1979, S.130
Auf der nebenliegenden Seite sehen wir den Beitrag zur Gemeinde Riva San Vitale. Wir sehen den Katasterplan aus dem Jahre 1852. Die Parzelle für das rund 120 Jahre später geplante Wohn- und Atelierhaus Durisch lässt sich in groben Zügen bereits erkennen. (Abb. 2) Hypothetisch anzunehmen ist, dass eine solche Arbeit gewisse Einflüsse auf die jungen Protagonisten der tessiner tendenza hatte. Da auch mit Bruno Reichlin und Fabio Reinhart zwei Vertreter der tessiner Gruppe, direkt für Aldo Rossi arbeiteten. Dies als grobe Skizzierung zur theoretischen Sichtweise und deren möglichen Einflüsse auf die tessiner tendenza. Konkret in seiner theoretischen Niederschrift von 1966 verwendete Rossi den Begriff des Standortes. In seinen beigezogenen präzisen Beispielen aber auch im folgenden Zitat wird deutlich, welche Bedeutung Rossi dem Terminus Standort beimisst: «Schon mehrfach habe ich darauf hingewiesen, wie wichtig sowohl für einzelne Bauten als für eine Stadt insgesamt ihr Standort ist.»12 Er zieht als Erläuterung, Klassiker aus der Architekturtheorie bei, wie beispielsweise die Villa Rotonda von Palladio, welche nach Rossi zu ihren unbestrittenen architektonischen Qualitäten die Strahlkraft erst durch die Einmaligkeit des Standortes erhält.13 Wenn Rossi die Begrifflichkeit des Standortes verwendet, so ist in erster Linie die geografische Lage gemeint. Doch die Lage kann nicht isoliert betrachtet werden, da sie durch zusätzliche Aspekte bedingt
10 vgl. Moravanszky, Hopfengärtner, 2011. S.19 11 vgl. Buzzi, 2011, S98 12
Rossi, 1973, S.91
13 vgl. Rossi, 1973, S.91
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wird. Eine Eigenschaft mit der die Geografische Lage eng verwoben ist, ist die geschichtliche Komponente, was auch in der folgenden Aussage deutlich wird: «…dass sich die geographischen Gegebenheiten einer Stadt nicht von deren historischen Elementen trennen lassen…»14 Daran sehen wir, dass es nicht bloss die abstrakte Lage ist, sondern auch der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle dabei spielt. Der Zeitfaktor ist nicht ausschliesslich in Bezug auf zurückliegende historische Ereignisse gemeint, sondern es gibt in seiner Entwicklung auch ein Nachher. Des Weiteren benennt Aldo Rossi räumliche Eigenschaften oder auch den Aspekt der Gestalt.15 Analoge Ansichten diesbezüglich lassen sich auch in der theoretischen Sichtweise von Christian Norberg-Schulz erkennen. Die folgende Äusserung soll nochmals auf die Einzigartigkeit, oder wie es Aldo Rossi nennt, die Einmaligkeit eines Ortes hinweisen. «Dieselben architektonischen Ideen werden an verschiedenen Standorten realisiert. Deshalb lassen sich unsere Städte zwar von demselben Prinzip ableiten, stellen aber im Konkreten jeweils etwas Einmaliges dar. Diese Einmaligkeit ist durch den Standort bedingt, der deshalb ausschlaggebend für die Individualität von Baudenkmälern, Städten und sonstigen Bauten ist.»16 Christian Norberg-Schulz
14 Rossi, 1966, S.83 15 vgl. ebd. S.94 16 ebd. S.94
17 Bundesblatt, 1949, S.343
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Ein kurzer Blick auf die Vita von Christian Norberg-Schulz verrät, dass er sein Diplom an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich gemacht hat. Der Architekt und Architekturtheoretiker diplomierte im Jahre 1949.17 Er wird namentlich im Buch tendenzen - Neuere Architektur im tessin von Heinz Ronner erwähnt. Im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Präsident in der
CIAM Junior Group18, eine der Studentengruppierungen an der ETH der Nachkriegsjahre, welche nach Ronner durchaus ihre Spuren an den Protagonisten der tessiner tendenza gelassen haben.19 Die theoretische Sichtweise von Norberg-Schulz geht in eine ähnliche Richtung wie die von Aldo Rossi. Das im Jahre 1982 publizierte Buch Genius loci nimmt den Ort als Ausganglage und auch er ist der Meinung, dass wenn wir von Ort sprechen, weit mehr gemeint ist als die reine geografische Lage.20 Wie wir aus dem Zitat zu Beginn des Kapitels sehen können und jetzt nochmals erwähnt werden soll, sieht Norberg-Schulz die Kategorie des Ortes als Zugang für die existenzielle Dimension21. Grundlegend, lebensnotwendig, lebenswichtig22 sind gemäss Duden Synonyme für existenziell. Somit lässt sich feststellen, dass die Kategorie des Ortes bereits in Naturlandschaften enthalten sein muss, da jedes Natürliche das Grundlegende für das vom Menschen künstlich geschaffene bildet.23 Diese grundsätzliche Differenzierung dieser beiden Gegenpole bildet nach Norberg-Schulz die Basis für die Untersuchung eines Ortes. Des Weiteren greift Norberg-Schulz auf die Kategorien Raum und Charakter zurück, die nach ihm die Analyse des Ortes vervollständigen. Was das nun im Konkreten heisst, wird in den nächsten Kapiteln aufgezeigt. Dafür wird das gebaute Beispiel des Wohn- und Atelierhauses von Giancarlo Durisch herangezogen. Die Tatsache, dass die theoretische Niederschrift von Christian Norberg-Schulz rund zehn Jahre nach der Fertigstellung des Hauses publiziert wurde, macht es zu einer Interpretation. Dennoch bildet sie in der Auseinandersetzung mit der tessiner tendenza, im Konkreten mit Giancarlo Durisch, ein für das Verständnis des Ortes wichtigen Beitrag.
18 archiv.gta.arch.ethz.ch, 2015 19 vgl. Ronner, 1975, In: Tendenzen- Neuere Architektur im Tessin. S.6 20 vgl. Norberg-Schulz, 1982, S.10 21 Norberg-Schulz, 1982, S.6 22 Duden, 2013 23 vgl. Norberg-Schulz, 1982, S.16
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Haus Durisch in Riva San Vitale Am südlichen Ausläufer des Lago di Lugano liegt die Gemeinde Riva San Vitale. Das Dorf wird geprägt durch den starken historischen Kern, welcher sich an der Westseite des Monte San Giorgio anlehnt. Ostseitig erhält der Kern eine natürliche Grenze durch einen kleinen Fluss. Unmittelbar an diesem Wasserlauf grenzt das Grundstück des Wohn- und Atelierhaus von Giancarlo Durisch. In der nebenanstehenden kartographischen Zeitreise soll die städtebauliche Entwicklung des Dorfes illustriert werden. Eine interessante Feststellung lässt sich um das Jahr 1925 machen. Mit der Kanalisierung des Flusses laveggio wird nun ein grösserer Bereich als nutzbares Bauland zugänglich.
Abb. 4. Karte von Riva San Vitale, 1977. Aus: geo.admin.ch Abb. 5. Karte von Riva San Vitale, 1925. Aus: geo.admin.ch Abb. 6. Karte von Riva San Vitale, 1895. Aus: geo.admin.ch Abb. 7. Luftaufnahme von Riva San Vitale. Aus: Rossi, Consolascio, Bosshard 1979, S.131
Anzunehmen ist, dass dieses Gebiet zuvor immer wieder durch Überschwemmungen geprägt wurde. Somit wird durch diesen Eingriff gewissermassen die Grundlage für die ostseitige Ortsentwicklung vorangetrieben. Die Ackerlandschaft, welche wir im Katasterplan (Abb.2) noch feststellen konnten, verschwindet allmählich und die Bodenflächen werden zunehmend verbaut. Deutlich wird dies insbesondere im Zeitfenster zwischen 1925 und 1977, in dem sich relativ vieles entwickelt hat. Was sich auch in der Anzahl der Bewohner von Riva San Vitale wiederspiegelt. So lag der Bevölkerungszuwachs zwischen 1870 und 1970 bei rund 50%.24 Die Bauparzelle des Haus Durisch liegt gewissermassen an der Nahtstelle. Zur einen Seite hin der geschichtliche Brennpunkt, auf der anderen Seite die zunehmend bebaute Umgebung Riva San Vitales.
Abb. 24. Rossi, Consolascio, Bosshard, 1979, S.131
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Natur- und Kulturlandschaft Um einen Ort zu beschreiben sollten wir nach Schulz die beiden Kategorien der Naturlandschaft und Kulturlandschaft einführen. Anhand dieser beiden Aspekte kann man eine grundsätzliche Differenzierung zwischen allem natürlich Gegebenen und dem künstlich Gemachten vollziehen. Die Basis für eine Beschreibung des Ortes ist mit diesen beiden Eigenschaften gegeben.
Abb. 8. Bild einer natürlichen landschaft. Aus: Norberg-Schulz 1982, S.24 Abb. 9. Bild einer Kulturlandschaft. Aus: NorbergSchulz 1982, S.11
Wenn wir von Natur sprechen, meinen wir Orte, an denen nicht oder noch nicht durch den Menschen eingegriffen wurde - Orte, welche ihren natürlichen Gegebenheiten folgen - Orte, die sind wie sie sind. Divergent dazu entwickelt sich die Kulturlandschaft, welche das beinhaltet, was sich der Mensch aus dem natürlich Gegebenen– geschaffen und geformt hat. Wir meinen also eine Umwandlung, die sehr umfassend ist. Nach den Ausführungen des Architekten und Architekturtheoretikers, Christian Norberg-Schulz, sind es, wenn wir von Menschen Geschaffenem sprechen, in erster Linie Gebäude, Dörfer und Städte. Er bezeichnet dies als artifizielle Orte. Zweitens sind es die Strassen, welche die Verbindungen gewährleisten aber auch sämtliche Elemente, welche die Naturlandschaft zur Kulturlandschaft umformen, wie beispielsweise Felder. Die Grundlage für alles künstlich Geschaffene bildet die natürliche Landschaft.25 Das Wohn- und Atelierhaus von Giancarlo Durisch gibt im Verständnis für Naturlandschaft und Kulturlandschaft eine sehr pointierte und radikale Antwort. Folgen wir dem Spannungsverhältnis, dem sich diese beiden Grundkategorien aussetzen und fragen nach der Verbindung von Natur und Kultur, stellen wir fest, dass es das Künstliche ist was uns an diesem konkreten Objekt stets begleitet. Oder anders gesagt: Der Mensch ist uns ein fortwährender Begleiter.
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25 vgl. Norberg-Schulz, 1982, S.10-16
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Der Bezug ausserhalb des künstlich Geschaffenen bleibt uns grösstenteils verwehrt und lässt sich nur erahnen, im Allgemeinen ist es die Bezugsnahme auf sich selbst. Deutlich zum Ausdruck kommt dies wenn wir uns im Innenhof des Gebäudes befinden: Zweiseitig wird der Hof durch die beiden Gebäudeteile des Ateliers und des Wohnhauses flankiert. Mit der Spiegelung der Gebäudeteile wird die Präsenz des Künstlichen zusätzlich verstärkt und inszeniert. Wir können die kongruenten und äusserst präsenten Fassaden im Schema (Abb. 12) erkennen. Das Atelier aber auch das Wohnhaus sind in der äusseren Erscheinung exakt gleich behandelt. Nord- bzw. Südseitig sind es geschosshohe Mauerblenden, welche den Bezug nach aussen verweigern und das Gebaute dadurch in seiner Präsenz zusätzlich verstärken. Der deutsche Philosoph Martin Heidegger, welcher eine zentrale Rolle in der von Norberg-Schulz aufgestellten Theorie einnimmt, zielt mit der folgenden Aussage auf die eminente Bedeutung des Gebauten ab.
Abb. 10. Vor der Mauer, hinter der Mauer, Blick an die geschosshohe Mauerblende mit dem dahinterliegenden Hof. Dominic Spalt, 2015 Abb. 11. Gespiegelte Fassade, Präsenz des vom Menschen Geschaffenen. Dominic Spalt, 2015 Abb. 12. Schema Spiegelung der Fassade. Dominic Spalt, 2015
«…Die Bauwerke holen erst die Erde als die bewohnte landschaft in die Nähe des Menschen und stellen zugleich die Nähe des nachbarlichen Wohnens unter die Weite des himmels.»26 Christian Norberg-Schulz leitet aus diesen Aussagen von Martin Heidegger nun die Konzentrierung und Einfriedung ab. Beide Begriffe sind Grundelemente für die vom Menschen gestalteten Orte.27 Setzen wir nun diese von Norberg-Schulz eingeführten Begriffe in Beziehung zum gebauten Beispiel von Durisch, können wir deutlich feststellen, dass diese beiden Bezeichnungen ein wesentlicher Bestandteil des Hauses sind. Insbesondere durch die beiden Gebäudeteile des Wohnens und des Ateliers entsteht eine Abgrenzung zur äusseren Welt. Ein auf sich konzentrierter Ort entsteht, gänzlich dem Wohnen und Arbeiten verschrieben. Das Gebäude zieht eine klare Grenze und macht einen äusserst radikalen Schnitt zwischen
26 Heidegger nach Norberg-Schulz, 1982, S.10 27 vgl. Norberg-Schulz, 1982, S.10
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Natürlichem und Künstlichem. Aber auch die von Giancarlo Durisch beigezogene Analogie zur Kunst, konkret zur Helmskulptur von Henry Moore, verdeutlicht die Haltung gegenüber den Begriffen der Konzentrierung und Einfriedung (Abb. 14 und 15). Bei der Skulptur, wie auch beim Gebäude, bildet eine äussere Hülle die Schutzschicht, welche die Aufgabe hat das Innere zu schützen. Eine weitere Analogie ist die Sicht in eine Richtung. Das Haus wie auch die Skulptur öffnen sich zu einem Raum hin. Beim Wohn- und Atelierhaus ist es der Bezug zum Innenhof und eine komplette Abschottung nach Aussen. Das Haus ist als Beschützer zu verstehen, entsprechend zur Helmskulptur von Henry Moore.28
Abb. 13. Blick in den Innenhof, seitlich flankierende Gebäudekörper. Aus: Jehle, 1988, S.55 Abb. 14. Haus Durisch Blick in den Innenhof, Analog zur Skulptur von Moore sehen wir die äussere harte Schale aus Beton. Aus: Steinmann, Boga, 2010, S.32 Abb. 15. Helmskulptur von Henry Moore, welche durch die äussere harte Schale den Inneren weichen Kern schützt. Aus: Steinmann, Boga, 2010, S.30
28 vgl. Durisch, 1975, In: Tenden-
zen- Neuere Architektur im Tessin. S.28
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Raum Was sind Räume? Der Begriff des Raumes kann vieles bedeuten. Allein im Duden gibt es zur Begrifflichkeit des Raumes sieben verschiedene Bedeutungen. Der Raum taucht immer wieder in der theoretischen Auseinandersetzung der Archiektur auf. Das hat auch Norberg-Schulz festgestellt. Dennoch ist Norberg-Schulz der Meinung, dass die von den Theoretikern beiden Verwendungen: Raum als dreidimensionale Geometrie und Raum als Wahrnehmungsfeld nicht ganzheitlich zu überzeugen mögen. In seinen Überlegungen geht es eher darum den Raum in der Beziehung zum Menschen zu sehen.29 Worauf sich auch die folgende konkrete Formulierung stützt: «Denn konkrete menschliche handlungen haben ihren Ort nicht in einem homogenen, isotropen Raum, sondern in einem Raum, der sich durch qualitative Unterschiede wie etwa «oben» und «unten» auszeichnet.»30 Folgt man den Aussagen von Norberg-Schulz stellt man fest, dass er zwei konkrete Aspekte des Raumes benennt, die auch in der Untersuchung des Wohn- und Atelierhauses eine zentrale Rolle spielen. In der folgenden Überlegung benennt er zwei weitere Kategoriren für die Definition des Raumes: «Die Beziehung von Aussen und Innen, die einen wesentlichen Aspekt des konkreten Raums darstellt, schliesst ein, dass Räume in unterschiedlichem Grad ausgedehnt oder eingefriedet sind.»31
29 vgl. Norberg-Schulz, 1982, S.11-12 30 Norberg-Schulz, 1982, S.12 31 ebd. S.12
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Fassen wir die beiden Aussagen zusammen, erkennen wir, dass nun die konkreten Aspekte des oben-unten und des Innen-Aussen für die Definition von Raum zentral sind. Den Aussagen Norberg-Schulz zufolge, wird die Einfriedung stark beeinträchtigt durch die Beziehung des Aussen und Innen. Dieses Verhältnis stellt die Relation von
mehr oder weniger eingefriedetem Raum her.32 In dieser Auseindersetzung von Raum tauchen die beiden im Kapitel zuvor verwendeten Begriffe der Konzentrierung und Einfriedung wieder auf. In der räumlichen Konzentrierung ist der Innenhof sicherlich das prägende Element im Zusammenhang mit dem Wohn- und Atelierhaus. In diesem Raum treffen die getrennten aber doch zusammengedachten Welten des Wohnens und Arbeitens zusammen.
Abb. 16. Geometrische Herleitung mittels Axonometrie. Aus: Steinmann, Boga, 2010, S.30
Folgen wir der geometrischen Zeichnung von Giancarlo Durisch (Abb. 16) konstatieren wir, dass in einer abstrakten dreidimensionalen geometrischen Betrachtung sich der Hofraum in der Breite und Höhe proportional gleich verhält und die Länge des Hofes das Zweifache davon ist. Anzumerken ist, dass diese Betrachtung der Verhältnisse ohne den Brise soleil gemacht ist. Dieser ist den zum Hof liegenden Fassaden, als eigenständiges räumliches Element vorgelagert.
32 Norberg-Schulz, 1982, S.12
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Wie wir es bereits im Kapitel zuvor gelesen haben, bezieht sich das Gebäude grösstenteils auf sich selbt. Es stellt keinerlei räumliche Blickbeziehungen zum städtischen Raum her. Das Wohnen und das Atelier öffnen sich einzig zum äusseren Innenraum hin. Durch den Brise soleil, welcher auch als räumliche Pufferschicht betrachtet werden kann, werden die beiden Innenräume des Wohn- und Atelierhaus noch intimer und verschlossener oder um nochmals zur Aussage von Norberg-Schulz zurückzukommen: Durch den Brise soleil, als Vermittler von Innen und Aussen, wird das Mass an Einfriedung zusätzlich verstärkt. In der Hofsituation ist die Gegebenheit kongruent. Auch hier bleibt die horizontale Blickbeziehung zum städtischen Raum verwehrt und lässt sich hinter den geschosshohen Mauerblenden und den beiden Baukörpern nur erahnen. Durch diese architektonischen Mittel wird der räumliche Eindruck im Innenhof stark durch die Aspekte des Oben und des Unten geprägt. Sie sind praktisch die einzigen Bezugspunkte, die vom Innenhof aus wahrgenommen werden. Der radikale Wille der Abgrenzung ist allgegenwärtig. Durisch selber macht in seinem Essay im Buch tendenzen- Neuere Architektur im tessin diesbezüglich wieder die Verbindung zur Kunst. Mit der Skulptur von Walter de Maria bringt er eine Entsprechung zu seiner entwerferischen Absicht für das Wohn- und Atelierhaus. Zur Thematik der Abgrenzung des Raumes formuliert Durisch folgendes: «In der Architektur hat die Abgrenzung des Raums, sei dieser nun offen wie in den Einfriedungen oder geschlossen, in Verbindung mit Riten und bevorzugten Formen stets prägende Bedeutung vermittelt. Im haus in Riva ist der Entwurf ein Versuch, eine verloren gegangene Identität zurückzugewinnen.»33 Diesbezüglich lässt sich der von Norberg-Schulz zitierte Martin Heidegger miteinbeziehen, welcher die Grenze als Beginn für etwas und nicht als Ende sieht.34
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Abb. 17. Skulptur von Walter de Maria. Aus: Steinmann, Boga, 2010, S.31 Abb. 18. Vorgelagerter Brise Soleil. Dominic Spalt, 2015
33 Durisch, 1975, In: Tendenzen-
Neuere Architektur im Tessin. S.29 34 vgl. Heidegger in NorbergSchulz, 1982, S.13
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«Die Grenze ist nicht da, wobei etwas aufhört, sondern, wie die Griechen es erkannten, die Grenze ist jenes, von woher etwas sein Wesen beginnt.»35
Abb. 19. Ursprüngliche Eingangssituation mit Bezug zum historischen Kern. Aus: Steinmann, Boga, 2010, S.32
Fassen wir die Aussagen Durischs und Heideggers zusammen und betrachten nun unter diesem Gesichtspunkt das gebaute Haus, so konstatieren wir, dass durch die kompromisslose Abgrenzung klar ersichtlich wird wo etwas beginnt und wo es aufhört.
Abb. 20. Grundriss Erdgeschoss mit den eigezeichneten Eingangsbereichen. Aus: Steinmann, Boga, 2010, S.30
Dennoch verzichtet Durisch nicht komplett auf eine räumliche Bezugsnahme zum umliegenden Bestehenden, insbsondere zum historischen Teil von Riva San Vitale. Durisch versucht mit einer präzisen Setzung der Baukörper auf eine bestehende Situation zu reagieren. Einerseits wird die Setzung durch den jahrhundertealten Weingarten36 bedingt, welcher unmittelbar an das Haus angrenzt und andererseits nimmt die Eingangssituation des Wohnhauses, oder ehemals als Eingang gedachte Situation, präzisen Bezug zum historischen Kern von Riva. Der heutige Zugang zum Wohnhaus liegt auf der anderen Seite. Die Einfriedung des Weingartens verdeutlicht sich auch bereits im Katasterplan von 1851. (Abb. 2) In einem weiteren Schritt wird versucht auf die charakterlichen Eigenschaften des Wohn- und Atelierhauses einzugehen. Christian Norberg-Schulz führte diesbezüglich folgendes aus: «Es muss jedoch auch darauf hingewiesen werden, dass die räumliche Organisation der Charakterbildung gewisse Grenzen setzt und daß die beiden Begriffe in wechselseitiger Abhängigkeit stehen.»37 Damit soll darauf hingewiesen werden, dass die Aspekte Raum und Charakter eines Ortes sich gegenseitig beeinflussen. Sie bedingen sich gegenseitig und können nicht isoliert voneinander betrachtet werden.
35 Heidegger nach Norberg-Schulz, 1982, S.13 36 Jehle, 1988, S.56 37 Norberg-Schulz, 1982, S.11
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Charakter Ähnlich zum Terminus des Raumes ist auch der Charakter ein sehr umfassender Aspekt. Dennoch ist die charakterliche Eigenschaft etwas, das eingehender, zugleich aber auch absoluter ist als der Raum.38 Norberg-Schulz beschreibt es mit diesen Worten: «Charakter ist zugleich ein allgemeinerer und konkreterer Begriff als Raum. Einerseits kennzeichnet er eine allgemeine Gesamtstimmung, andererseits aber die konkrete Form und Substanz der raumdefinierenden Elemente.»39
Abb. 21. Blick in den Wohnraum mit den von Durisch entworfenen Möbeln. Aus: Jehle, 1988, S.57 Abb. 22. Blick vom Erdgeschoss an die Decke durch das Treppenauge. Dominic Spalt, 2015 Abb. 23. Blick in das Architekturbüro mit den eigen für das Atelier gestalteten Möbel. Aus: Jehle, 1988, S.57
Beim Wohn- und Atelierhaus ist die Substanz der raumdefinierenden Elemente geprägt durch den béton brut. Sämtliche Oberflächen im Innneraum, wie auch im Aussenraum, sind in rohem Beton ausgeführt. Das Schalungsbild weist auf eine horizontale Verwendung der Bretterschalung hin und verhält sich an sämtlichen Oberflächen identisch. Der Gebäudeteil des Ateliers, wie auch des Wohnens, werden in ihrem materiellen Ausdruck gleich behandelt. Einzig der Boden weist eine differenzierte Materialisierung auf, hier verwendete Durisch einen in schwarz gehaltenen Klinkerboden. Gegensätzlich zum harten und kalten Betongerüst sind die in die Struktur eingeschobenen Möbel aus farbig gebeiztem holz40 angefertigt. Sämtliche Holzelemente, die den Innenraum zonieren, wurden ebenfalls von Durisch entworfen und greifen auf die dem Haus zugrundeliegenden Raster- und Proportionsgrundlagen zurück. Hier unterscheidet Durisch geringfügig zwischen Wohnen und Arbeiten, so ist beispielsweise im Atelier das Interieur den Bedürfnissen eines Architekturbüros angepasst.41(Abb. 20) Wenn wir von der konkreten Form des Hauses sprechen, kommen wir nicht drumherum die Geometrie miteinzubeziehen. Sie war die Grundlage für Durischs Entwurf und ist die bestimmende Komponente im Wohn- und Atelierhaus. Durisch schreibt dazu folgendes:
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38 vgl. Norberg-Schulz, 1982, S.14 39 Norberg-Schulz, 1982, S.14 40 vgl. Jehle, 1988, S.55-56 41 ebd. S.55
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«Die Geometrie ist für mich als Architekt ein Ordnungsprinzip, bietet mir halt und Sicherheit. Sie ist der gemeinsame Nenner, der durch die ganze Natur geht.»42 Das Prinzip der Geometrie ist nach Durisch als die Antwort auf die gegebene Situation in Riva San Vitale zu verstehen. Des Weiteren auch als Entgegung für die menschlichen Bewegungen innerhalb des Gebauten, die sehr zuflällig sein können. Diesbezüglich verhält sich die klare und kompromisslose Grundform konträr dazu und lässt damit das Zufällige mehr zum Ausdruck bringen.43 Kongruent zur Präsenz der Geometrie beim Wohn- und Atelierhaus spielen, wie wir in den beiden Kapiteln zuvor schon mehrfach gesehen haben, die abgrenzenden Wände eine zentrale Rolle. NorbergSchulz benennt die als die raumdefinierenden Elemente und spricht konkret von der Grenze. «Besondere Aufmerksamkeit verdienen dabei die seitlichen Grenzen, die Mauern, die ganz entscheidend dazu beitragen, den Charakter einer städtischen Umgebung zu bestimmen.»44 Sehr spezifisch verhält sich hierbei das Haus Durisch. Den Kontakt zur städtischen Umgebung wird weitestgehend vermieden. Sämtliche zur Umgebung hingewandten Abgrenzungen sind verschlossen und verweigern die Kommunikation. Im Inneren des Gebäudes, wie auch im Hof, entsteht eine extrem auf sich konzentrierte Stimmung. Man könnte es auch als Einsamkeit benennen.
42 Durisch, 1988, In: Baumeister
des Lapidaren S.53 43 vgl. Jehle, 1988, S.56
44 Norberg-Schulz, 1982, S.15
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In einer weiteren Betrachtung der charakterlichen Eigenschaften stossen wir auf die zeitliche Ebene, welche den Charakter determiniert. Dazu greifen wir auf eine Aussage von Norberg-Schulz zurück:
«Es muss betont werden, daß allgemein alle Orte Charakter haben und daß Charakter die grundlegende Seinsweise ist, in der die Welt «gegeben» ist. In gewissem Umfang ist der Charakter eines Ortes abhängig von der Zeit; er verändert sich je nach Jahreszeit, nach dem tagesrhythmus und dem Wetter, also nach Faktoren, die vor allem unterschiedliche lichtbedingungen verursachen.»45
Abb. 24. Schattenspiel des Brise Soleil aus einer Vorstudie. Tiefliegender Sonnenstand aus Südwestlicher Richtung. Aus: Jehle, 1988, S.54
Übertragen wir nun diese Aussage auf das Haus Durisch erkennen wir, dass die Wahrnehmung für den Wechsel der Jahreszeiten durch die Abschottung weitestgehend ausbleibt. Es ist die Allgegenwärtigkeit des vom Menschen geschaffenen, welche uns konfrontiert. Natürlich sind die verschiedenen Lichtsituationen, die Winter oder Sommer mit sich bringen, spürbar. Doch so ist es mehr der Tagesrhytmus, welcher das Haus prägt. Die Himmelsausrichtung der beiden Baukörper ist Ost-West. Wir haben deshalb einen tiefliegenden Sonnenstand, dadurch wird eigentlich erst die einseitige Belichtungssituation ermöglicht. Des Weiteren stellen wir fest, dass durch den vorgelagerten Brise soleil sich im Gebäudeinnern ein geometrisches Schattenspiele ergibt, wie dies auch in einer Vorstudie Giancarlo Durischs ersichtlich ist. (Abb. 21) Bei einer zusammenfassenden Betrachtung der Erläuterungen zum Charakter und worauf im Speziellen Christian Norberg-Schulz hinwies, ist der Charakter bedingt durch das Wie? Wir können den Charakter mit Eigenschaftswörter beschreiben.46 Im Falle des Wohn- und Atelierhauses wären dies unteranderem Wörter wie: Streng, radikal, geometrisch, geschlossen, roh, abgrenzend, symmetrisch. Mir ist bewusst, dass diese Eigenschaften längst nicht vollständig sind und auch je nach Sichtweise auf eine andere Art und Weise interpretiert werden können. Dies trifft im übrigen auf die gesamte Betrachtung des Charakters zu. 45 Norberg-Schulz, 1982, S.14 46 vgl. ebd. S.15-16
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Einordnung/ Interpretation Die einleitenden theoretischen Sichtweisen von Aldo Rossi und insbesondere für die Untersuchung herangezogene Perspektive von Christian Norberg-Schulz haben gezeigt, dass wenn wir von Ort sprechen weit mehr gemeint ist als die reine geografische Lage. Wenn wir zu Beginn der Untersuchung die beiden Begriffe Naturbzw. Kulturlandschaft eingeführt haben, so sehe ich den Beitrag von Durisch auch als eine Art Aufschrei, gegen die Zerstörung der landschaft und planlose Bauerei der 1960er Jahre. Er ist mit seiner Radikalität gewiss nicht der einzige der Tessiner Bewegung, jedoch gibt es wahrscheinlich kein anderer, der mit einer solchen rigorosen Strenge vorgeht, wie Giancarlo Durisch.
Abb. 25. Axonometrie des 2. Obergeschosses. Offener Raum. Aus: Steinmann, Boga, 2010, S.31 Abb. 26. Axonometrie des 1. Obergeschosses. Eingeschobene Individualräume. Aus: Steinmann, Boga, 2010, S.31 Abb. 27. Axonometrie des Erdgeschosses. Eingeschobene Nutzräume. Aus: Steinmann, Boga, 2010, S.30
Natürlich tauchen bei einer solchen strikten Haltung auch einige kritische Fragen auf. Nicht zuletzt weil wir es mit einem Haus zu tun haben, das dem Wohnen und Arbeiten dienen soll. Wenn NorbergSchulz davon spricht: «…dass unterschiedliche handlungen Orte unterschiedlichen Charakters verlangen. So muss eine Wohnung Schutz bieten, ein Büro praktisch sein, ein Ballsaal festlich und eine Kirche feierlich.»47 Bei Durisch lässt sich eine derartige Unterscheidung nicht ausmachen. Er behandelt den Wohn- bzw. Arbeitsbereich kongruent. Einzig im Interieur gibt es vereinzelte Differenzierungen. Eine charakterliche Unterscheidung ist praktisch nicht festzustellen. Ohne Zweifel, das Gefühl von Schutz ist im Wohnraum allgegenwärtig und das Gefühl eingefriedet zu sein, zieht sich auch in den äusseren Innenraum, von hier lässt sich die umliegende Landschaft bloss erahnen. Auch die Betrachtung der räumlichen Disposition zeigt auf, dass beide Gebäudeteile identisch sind. Speziell in den ersten beiden Ge-
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47 Norberg-Schulz, 1982, S.14
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schossen, in denen Durisch durch eingeschobene Möbelelemente Sekundärräume zu generieren versucht, stellen sich einige kritische Fragen. Insbesondere das erste Obergeschoss, in denen die Schlafräume organisiert sind, ist es schwierig von räumlicher Qualität zu sprechen. An dieser Stelle entsteht vielmehr der Eindruck, dass die Individualräume ein Opfer des übergeordneten geometrischen Formwillens geworden sind. Hingegen in einer städtebaulichen Betrachtung kann man die absolute Haltung von Giancarlo Durisch durchaus nachvollziehen. Er sucht weder eine direkte Anlehnung zum historischen Teil von Riva San Vitale, noch zur umgebenden Landschaft. Durisch versteht sein Haus als Grenze und veranschaulicht dies in aller Strenge. Es wird klar ersichtlich an welcher Stelle etwas beginnt und wo es aufhört. Er schafft ein Ort, welcher sich dem Wohnen und Arbeiten verschreibt und absolut auf sich bezogen ist. An dieser Stelle soll uns nochmals vergegenwärtigt werden was ein Ort nach Christian Norberg-Schulz ist und was ihm zugrunde liegt: «Ein Ort ist ein Raum mit einem bestimmten, eigenen Charakter. Seit alters wurde der genius loci, der Geist, der an einem Ort herrscht, als die konkrete Realität angesehen, der der Mensch in seinem täglichen leben gegenübersteht und mit der er zu Rande kommen muss. Architektur bedeutet also Visualisierung des genius loci, und Aufgabe des Architekten ist es, sinnvolle Orte zu schaffen, durch die er den Menschen zum Wohnen verhelfen kann.»48
48 Norberg-Schulz, 1982, S.5 49 Durisch, 1988, In: Baumeister
des Lapidaren S.56
34
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Stellen wir nun diese Aussagen und die gewonnen Erkenntnisse aus den vorangehenden Kapiteln in Beziehung zu Durischs Entwurf, so lässt sich bis zu einem gewissen Punkt von der Visualisierung des genius loci sprechen. Durisch enwirft und baut sein Haus in den 1970er Jahren, in einer Zeit im Tessin, die wie Durisch sagt, geprägt ist von: architektonischem lärm und wuchernder Freizeitarchitektur.49
Durisch versucht nach Innen zu gehen und ein Ort zu entwerfen für die Arbeit und das Wohnen.
Abb. 28. Karte von Riva San Vitale, 2012. Aus: geo.admin.ch
Inwieweit Durisch seiner Verpflichtung als Architekt nachgekommen ist ein Ort zu schaffen, welcher dem Menschen wirklich verhilft zu wohnen oder zu arbeiten, kann nicht abschliessend beantwortet werden. Diesbezüglich tauchen gewisse Widersprüche auf. Diese Konsequenz kann sicherlich seiner radikalen und strengen Haltung zugeschrieben werden. Rund vierzig Jahre später ist die Diskussion der Verbauung unserer Landschaft akuter denn je. Ich meine, dass solch radikale Entwürfe wie der von Giancarlo Durisch, durchaus für die Sache wichtig wären und zu einer kontroverseren Diskussion beitragen würde. Auch im Abstand von nun gut vier Jahrzehten ist und bleibt das Wohnund Atelierhaus von Giancarlo Durisch im Spannungsfeld zwischen historischem Kern und der Anhäufung einzelner Bauwerke. (Abb.25)
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Literaturliste –
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Snozzi, Luigi und Lichtenstein Claude. (1997). luigi Snozzi. Basel: Birkhäuser.
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Steinmann, M, Boga, T. (2010). tendenzen: Neuere Architektur im tessin. Basel: Birkhäuser.
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: (Titelbild) Schwarzplan von Riva San Vitale. Dominic Spalt, 2015 Abbildung 2: Aussenfassade des Haus Durisch, Kontrast zum historischen Kern. Dominic Spalt, 2015 Abbildung 3: Katasterplan von Riva San Vitale (1851). Aus: Rossi, Consolascio, Bosshard 1979, S.130 Abbildung 4: Karte von Riva San Vitale, 1977. Aus: geo.admin.ch (02.06.2015). Abbildung 5: Karte von Riva San Vitale, 1925. Aus: geo.admin.ch (02.06.2015). Abbildung 6: Karte von Riva San Vitale, 1895. Aus: geo.admin.ch (02.06.2015). Abbildung 7: Luftaufnahme von Riva San Vitale. Aus: Rossi, Consolascio, Bosshard 1979, S.131 Abbildung 8: Bild einer natürlichen landschaft. Aus: Norberg-Schulz 1982, S.24 Abbildung 9: Bild einer Kulturlandschaft. Aus: Norberg-Schulz 1982, S.11
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Abbildung 10: Vor der Mauer, hinter der Mauer, Blick an die geschosshohe Mauerblende mit dem dahinterliegenden Hof. Dominic Spalt, 2015 Abbildung 11: Gespiegelte Fassade, Präsenz des vom Menschen Geschaffenen. Dominic Spalt, 2015 Abbildung 12: Schema Spiegelung der Fassade. Dominic Spalt, 2015 Abbildung 13: Blick in den Innenhof, seitlich flankierende Gebäudekörper. Aus: Jehle, 1988, S.55 Abbildung 14: Haus Durisch Blick in den Innenhof, Analog zur Skulptur von Moore sehen wir die äussere harte Schale aus Beton. Aus: Steinmann, Boga, 2010, S.32 Abbildung 15: Helmskulptur von Henry Moore, welche durch die äussere harte Schale den Inneren weichen Kern schützt. Aus: Steinmann, Boga, 2010, S.30 Abbildung 16: Geometrische Herleitung mittels Axonometrie. Aus: Steinmann, Boga, 2010, S.30 Abbildung 17: Skulptur von Walter de Maria. Aus: Steinmann, Boga, 2010, S.31 Abbildung 18: Vorgelagerter Brise Soleil. Dominic Spalt, 2015 Abbildung 19: Ursprüngliche Eingangssituation mit Bezug zum historischen Kern. Aus: Steinmann, Boga, 2010, S.32 Abbildung 20: Grundriss Erdgeschoss mit den eigezeichneten Eingangsbereichen. Aus: Steinmann, Boga, 2010, S.30 Abbildung 21: Blick in den Wohnraum mit den von Durisch entworfenen Möbeln, Aus: Jehle, 1988, S.57 Abbildung 22: Blick vom Erdgeschoss an die Decke durch das Treppenauge, Dominic Spalt, 2015 Abbildung 23: Blick in das Architekturbüro mit den eigen für das Atelier gestalteten Möbel. Aus: Jehle, 1988, S.57 Abbildung 24: Schattenspiel des Brise Soleil aus einer Vorstudie. Tiefliegender Sonnenstand aus Südwestlicher Richtung. Aus: Jehle, 1988, S.54 Abbildung 25: Axonometrie des 2. Obergeschosses. Offener Raum. Aus: Steinmann, Boga, 2010, S.31 Abbildung 26: Axonometrie des 1. Obergeschosses. Eingeschobene Individualräume Aus: Steinmann, Boga, 2010, S.31 Abbildung 27: Axonometrie des Erdgeschosses. Eingeschobene Nutzräume. Aus: Steinmann, Boga, 2010, S.30 Abbildung 28: Karte von Riva San Vitale, 2012. Aus: geo.admin.ch (02.06.2015).
Ein Ort an der Schnittstelle
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Gebauter Ort Entwicklung ßberhoher Räume der Casa Caccia Peter Osterwalder
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2015 Buchs, 15.06.2015
Verfasser: Peter Osterwalder Wynenfeldweg 32 5033 Buchs Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser
Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik Architektur
Abstract Die vorliegende Vertiefungsarbeit beschäftigt sich mit dem Thema «Gebauter Ort - Entwicklung des überhohen Raums in der Casa Caccia». Eine einleitende Auseinandersetzung beschäftigt sich mit theoretischen Grundlagen zum Begriff «Ort» und seiner gebauten Form, schafft die Herleitung des Themas und die Kriterienfindung für den Untersuch. Im Hauptteil dient ein Kurzbeschrieb der Vermittlung des Grundlagewissens zur Casa Caccia und schafft die Überleitung zur Untersuchung. Drei, als Kapitel festgelegte, überhohe Raumbereiche dienen der Strukturierung der Analyse. Die Räume werden zusammen mit angrenzenden Bereichen - auf Themen wie das «räumliche Beziehungsnetz», den Übergang von «Innen und Aussen», sowie den «Bezug zur Landschaft» untersucht und der Theorie gegenübergestellt. Der Untersuch dient dem umfassenden Verständnis des überhohen Raums und der Herausschälung von Wesenszügen einzelner Räume. Die Synthese fasst die Erkenntnisse zusammen und bietet Ausblick auf eine mögliche, weitere Beschäftigung mit dem Thema.
140
1. Einleitung Die Auseinandersetzung mit dem Oberthema «Aufbruch ins Eigene - Tessiner Tendenza und ihre Folgen» hat die Beschäftigung mit Schriften der Tendenza nahegelegt, die sich mit dem Begriff «Ort» und insbesondere mit dem Umgang dessen befassen. Begleitend dazu wurden während des Semesters gebaute Beispiele, darunter diverse Einfamilienhäuser besucht, die durch die Position und die Bedeutung des überhohen Raums ihre räumlich wirksamen Qualitäten entfalten können. Die Arbeit verknüpft theoretische Positionen mit den ins Bewusstsein gerückten überhohen Räumen als Form des «gebauten Orts». Relevant erscheint die Beschäftigung mit der Thematik deshalb, da die Anwendung theoretischer Gesichtspunkte auf ein gebautes Beispiel das Verständnis des Raums fördert und da die Schaffung von Raum eine Kernaufgabe des Architekten ist. Die einleitende theoretische Beschäftigung stellt allgemein gültige Begrifflichkeiten des norwegischen Architekten C. Norberg-Schulz, sowie Haltungen und Aussagen der Tendenza zugeordneten Architekten wie L. Snozzi und M. Botta vor. Dabei werden auf die Theorie bezogene Kriterien herausgearbeitet, die für eine Untersuchung des gebauten Orts Gültigkeit haben. Anhand der «Casa Caccia» von Mario Botta werden die überhohen Räume und deren Verhältnis zueinander, gestützt auf die erarbeiteten Kriterien analysiert, um die charakteristischen Eigenschaften von Raumbereichen herauszuschälen und mit der Theorie in Bezug zu setzten. Plangrafiken, Skizzen und Fotografien dienen dem Untersuch als analytisches Mittel und erleichtern die Nachvollziehbarkeit der Gedankengänge. Ein letzter Teil fasst die Erkenntnisse basierend auf den Kriterien zusammen und bietet Ausblick auf weitere Untersuchungsfelder.
141
Abb. 1. Bottas Skizze des ÂŤHomo faberÂť, als Sinnbild fĂźr den Menschen, der die Natur zu kultivieren weiss.
8
142
2. Gebauter Ort In der Architektur der Tessiner Tendenza wird die zentrale Rolle des Orts wiederholt betont. Dabei geht die Bezeichnung «Ort» über die eigentliche geografische Lage hinaus, wie dies der italienische Begriff «il territorio» zu assoziieren vermag. Zum Verständnis des Begriffs soll Norberg-Schulz, norwegischer Architekt und Autor beigezogen werden, der den Ort in seinem Werk «Genius loci: Landschaft, Lebensraum, Baukunst» von 1982 als ein «qualitatives Gesamt-Phänomen» beschrieben hat, das aus wahrnehmbaren Eigenheiten wie Substanz, Form, Oberfläche und Farbe besteht und somit das Wesen oder die Atmosphäre eines solchen ausmacht.1 Textbeiträge zur Tendenza gehen über die substantielle Komponente des Orts hinaus. Vielmehr wird dieser durch kulturelle Aspekte, dessen Einbindung in die Landschaft und die Beziehung zur Natur angereichert und geht somit über die materiell wahrnehmbaren Dinge hinweg. Spannend werden die Aussagen verschiedener, der Tendenza zugeordneten Architekten dann, wenn der Umgang mit dem Ort als Grundlage des architektonischen Eingriffs thematisiert wird. Dabei wird mehrfach die Bezeichnung der «Landschaft» verwendet, die laut Luigi Snozzi als «Umwandlungsprozess» zu verstehen ist. Der Mensch wandelt demnach eine bestehende, natürliche Landschaft in eine neue, gebaute Solche um.2 Dem Gedankengang folgend findet sich bei Mario Botta eine sinnverwandte Aussage, wobei er im Besonderen auf das Mittel zur Überführung der natürlichen zur gebauten Landschaft hinweist: «Die Realität besteht zuvorderst in den geographischen Bedingungen: Die Architektur verwandelt eine natürliche Gegebenheit in eine kulturelle Gegebenheit und überführt ein vorhandenes in ein neues räumliches Gleichgewicht.»3 Wird die natürliche Landschaft als fester Bestandteil eines Orts betrachtet und die Architektur als Mittel zur Umwandlung einer natürlichen in eine kulturelle solche definiert, kann angenommen werden, dass ein Bau - als «umgewandelte Landschaft» - zum Teil eines Ortes wird. Die Aussage Bottas, dass der auf die Umgebung bezogene Entwurf nicht die Gelegenheit bietet, «an einem Ort zu bauen, sondern das Werkzeug jenen Ort zu bauen»4 erinnert an den von Norberg-Schulz beschriebenen «Zweck des Bauens», aus einer bestehenden Gegebenheit einen Ort zu machen.5 Vom Bestehen des «gebauten Orts» ausgehend, hat dieser die Aufgabe ein «neues räumliches Gleichgewicht» zu schaffen und ist aufgrund der aufgebauten Beziehung untrennbar mit dem Ort und all dessen Einflüssen verwoben. Die Bezugnahme zur Umgebung als Werkzeug verstanden, wird der Ort im Verhältnis zum Menschen interpretiert, in den architektonischen Entwurf eingebunden und damit neue Beziehungs- und Interpretationsebenen zum Ort, seiner Topografie und seiner Geschichte aufgespannt.6
Gebauter Ort - Entwicklung überhoher Räume der Casa Caccia
Peter Osterwalder
1
vgl. Norberg-Schulz 1982, S.6
2
vgl. Snozzi 1975, S.47-48
3
Botta 1997, S.25
4
vgl. Botta 1975, S.24
5
vgl. Norberg-Schulz 1982, S.18
6
vgl. Snozzi 1985, S.64-65
9
143
2.1 Überhohe Räume 7
vgl. Snozzi 1985, S.64
8
vgl. Botta 1997, S.38-39
9
vgl. Norberg-Schulz 1982, S.10
Abb. 2. Schema Casa Streiff
Abb. 3. Schema Casa Kalman
Abb. 4. Schema Casa Caccia
10
144
Wird die Mehrdeutigkeit des Begriffs «Ort» auf den gebauten solchen angewandt, stellt sich die Frage, wie sich dessen Form in der Architektur äussert. Bei der Besichtigung zweier, der Tendenza zugeordneten Einfamilienhäusern - im Italienischen «casa unifamiliare» - ist aufgefallen, dass verschiedene Arten überhoher Räume existieren und dass diese bestimmte Qualitäten und Bedeutungen aufweisen. Am Beispiel der 1968 von Dolf Schnebli gebauten «Casa Streiff» in Minusio entwickelt sich der Raum unterhalb der zusammenhängenden, mehrteiligen Tonnendecke als abgetreppte Landschaft. Betreten wird das Haus in einen gedrückt wirkenden Eingangsbereich mit anschliessendem Esszimmer, Küche und einem Zugang zur Terrasse. Durch das Absetzen des Wohn- und Arbeitsbereichs entsteht der überhohe Raum. Eine Treppe hinabsteigend wird klar, dass die hausinterne Topografie in engem Bezug zum bestehenden Steilhang der Parzelle steht und gleichzeitig die Wohnräume zum Tal hin ausrichtet. Eine ganz andere Art und Bedeutung des überhohen Raums zeigt die 1976 von Luigi Snozzi fertiggestellte Casa Kalman in Brione sopra Minusio. Eine an den Steilhang gelegte, mehrheitlich geschlossene Wand führt den Besucher ins Hauptgeschoss des Wohnhauses. Oben an der Treppe angekommen entwickelt sich der schmale Raum zweigeschossig, woran der eingeschossige Wohnraum anknüpft. Im ersten Obergeschoss schafft ein schmales Brüstungsband die räumliche Trennung zur als Schlafzimmer genutzten Galerie. In Blickrichtung erweitert sich der zweigeschossige Raum nach aussen, oben durch einen Dachvorsprung gefasst. Der überhohe Raumbereich wirkt als Vermittler zwischen Innen- und Aussenraum, wobei sich die seitlich begrenzende Wand aufgrund der leichten Biegung aufzulösen scheint. Die Theorie des Orts und deren Anwendung auf die Architektur geben zusammen mit den Beobachtungen der überhohen Räume Anlass dazu, eine vertiefte Auseinandersetzung mit einem der Tendenza zugeschriebenen Wohnhaus zu führen. Exemplarisch wird für die Untersuchung das Einfamilienhaus «Casa Caccia» von Mario Botta herangezogen, das vier Beispiele von überhohen Raumbereichen anbietet, von welchen die drei unterschiedlichsten im Folgenden detaillierter betrachtet werden. Um ein möglichst umfassendes Verständnis von der Struktur überhoher Räume zu erhalten, müssen für den Untersuch geltende Kriterien festgelegt werden.
Bei der grundlegenden Beschäftigung mit dem Ort hat sich herausgestellt, dass die von Snozzi geforderten Beziehungsebenen einzelner Faktoren wie die Lage oder die Bezugnahme auf die Landschaft definierend sind.7 Auf die gebaute Form des Ortes übertragen, muss - um die Struktur eines überhohen Raums zu verstehen - das räumliche Beziehungsnetz untersucht werden. Damit müssen nebst dem überhohen Raum angrenzende Bereiche und deren Verhältnis zu ersterem geklärt werden. Grundlage dafür bieten topologische Eigenheiten eines Raums, womit die Lage innerhalb des Hauses, die Geometrie und die damit verbundenen, begrenzenden Bauteile aufgezeigt werden. Botta erklärt die Zurückerlangung der ursprünglichen Bedeutung eines Wohnhauses - das «Schutzbedürfnis» - als zentralen Aspekt des Wohnens und weist darauf hin, dass sich der Innenraum in den Aussenraum verlängern sollte.8 Er spricht damit eine für umschlossene Räume zentrale Fragestellung, den Übergang von «Innen» und «Aussen», an.
Abb. 5. Überhoher Raum Casa Streiff
Auf die im ersten Teil angesprochene Reinterpretation und die Bezugnahme auf den Menschen zurückgreifend, sieht Norberg-Schulz die Zusammenfassung und Umschliessung eines Orts als Grundeigenschaft von Architektur. Dadurch entstehende Innenräume können ihre Stellung als solche nur dann wahrnehmen, sofern ein Bezug nach aussen besteht.9 Die notwendige Beziehung zur Umgebung - der Bezug zur Landschaft - wird als weiteres Kriterium beigezogen, da die Einbindung des Orts von Architekten der Tendenza als Ausgangslage für den architektonischen Entwurf erachtet wird. Aufbereitete Grundriss- und Schnittpläne dienen dem Verständnis von Raumfolgen und deren Abhängigkeiten untereinander. Erarbeitete Skizzen und Fotografien beleuchten und ergänzen die analytisch-phänomenologischen Aspekte des Untersuchs, um die spezifischen Eigenschaften der Räume und deren Charakteristiken herauszuschälen, die im Bezug zur Theorie Gültigkeit erhalten. Aufgrund des Ineinandergreifens der Themen ist es kaum möglich die Kriterien getrennt voneinander zu betrachten. Um die Analyse dennoch strukturieren zu können, werden die drei überhohen Räume als Kapitel festgelegt und auf die jeweiligen Themen untersucht. Ein als Einleitung zu verstehender Kurzbeschrieb des Gebäudes thematisiert die Situierung, die äussere Erscheinung und den zum Verständnis notwendigen, funktionalen Aufbau des Hauses.
Gebauter Ort - Entwicklung überhoher Räume der Casa Caccia
Peter Osterwalder
Abb. 6. Casa Kalman: Zweigeschossiger Erweiterung nach aussen
11
145
Abb. 7. Fremdkörper in der hügligen Tessiner Landschaft
12
146
3. Casa Caccia «Die Natur braucht meinen Eingriff nicht, um stark zu sein. Aber wenn ich eingreife - und seit es Menschen gibt, haben sie sich ein Dach über den Kopf gebaut - dann mache ich das in Opposition zu ihr.»10 Die «Casa Caccia», ein 1970 - 71 in Cadenazzo gebautes Einfamilienhaus, zeigt exemplarisch die Disparität von Bottas Gebäuden zur Natur und damit die Haltung des Architekten auf. Das nach aussen rechtwinklig, langgezogene Gebäudevolumen steht als eigenständiger, introvertierter Fremdkörper in der punktuell besiedelten Natur und dennoch erweckt der Baukörper das Gefühl, als sei er fester Bestandteil der örtlichen Landschaft. Die Kurzseite des Gebäudes legt sich an den flach ansteigenden Südhang des Monte Cenerimassivs und definiert die Ausrichtung und die Konzeption des Hauses. Nach Norden wird die Aussicht zur weiten Magadinoebene und der dahinterliegenden Bergkette freigelegt. Die Langseite nach Westen zeigt in Richtung Lago Maggiore und Locarno, die mehrheitlich geschlossene Ostfassade nach Bellinzona. Die Anlehnung an das Gelände gibt die Erschliessung auf Hangseite vor, wobei das Gebäude nicht wie zu erwarten stirnseitig erschlossen wird, sondern über eine flach in die Topografie gelegte Ebene auf der westlichen Langseite. Das geschlossene, als «kistenartig»11 beschriebene Gebäudevolumen wird durch einen abgewinkelt angesetzten Einschnitt auf der Westseite und grosse, präzis gesetzte und tief eingeschnittene Okuli bespielt. Von innen betrachtet, bewirkt die Abgeschlossenheit und Kontrastierung zur Natur eine Distanzierung zu äusseren Einflüssen, wobei dies an die Aussage von Norberg-Schulz erinnert, dass von «Menschen geschaffene Orte» in ihrer Charakteristik eine «Umschliessung und Einfriedung» bedeuten.12 Die Westfassade gibt Aufschluss über die Geschossigkeit und die Organisation des Hauses, wobei die Langseite in sieben gleich grosse Teile und einen achten, um einen Fünftel des Achsmasses erweiterten Teil rhythmisiert ist. Einzig der tiefe Einschnitt auf der Westseite stellt das aus dem Raster gesetzte Kamin frei und versucht damit die Regelmässigkeit zu überspielen. Zudem deutet dieser die Trennung des beheizten Wohnraums zur nordseitig angelegten Terrassenanlage an. In den fünf nördlich gelegenen Grundrissteilen befinden sich die drei überhohen Raumbereiche - die «Piazza», der «Vermittler» und der «Lichtraum». Die Kurzseite ist in drei Bereiche organisiert. Entlang der Westseite sind sämtliche Nutzräume (N) wie die Vertikalerschliessung, Küche, Arbeitszimmer und Nebenräume angeordnet. Ein schmaler, an den Nutzräumen vorbeiführender Korridor (K) ermöglicht die Horizontalerschliessung und verbindet die angrenzende Raumschicht (R) mit Wohn-, Terrassen- und Schlafräumen.
Gebauter Ort - Entwicklung überhoher Räume der Casa Caccia
Peter Osterwalder
N
Abb. 8. Situation Cadenazzo
Abb. 9. Langseite: 8 Grundrissfelder, Kurzseite: 3 Bereiche
10
Botta in Zanetti 1985, S.122
11
vgl. Werk 1971/9, S.594
12
vgl. Norberg-Schulz 1982, S.10
13
147
8
1
2
3
4
5
6
7
8
N K
Bad
Ankleide
Treppe
Kinderzimmer
Ankleide
Bad
L2
Elternzimmer
Balkon L1
R
2.Obergeschoss
Q1
1
2
3
Q2
4
Q3
5
Q4
6
7
8
N K
Arbeitskojen
Treppe
Arbeitskojen
Brücke
Privater Wohnraum
L2
Terrasse L1
R
«Vermittler»
1.Obergeschoss
Q1
1
2
3
Q2
4
«Lichtraum» Q3
5
Q4
6
7
8
N K
Eingang
Entrée
Sitzplatz
öff. Wohnen
Treppe
Küche
L2
Esszimmer
Loggia L1
R
«Piazza»
Erdgeschoss
Q1
Q2
Q3
Q4 N
Abb. 10. Planunterlagen im
1
Massstab 1:250
2
3
4
5
6
7
8
N K
L2
Im Folgenden sind die Pläne verkleinert dargestellt, um die
L1
R
Lage und die Abhängigkeiten der Räume aufzuzeigen.
14
148
Untergeschoss
Q1
Q2
Q3
Q4
1
L2
L2 L2
L2 6
5
4
3
L1
L2
L1 2
1
Längsschnitt «L2»
Bad
L1
L2
L1
L2
L1
L1
L2
L1
L2
8 L2
7
7
L1
L2
L2
L1
L2
L1
L2
Querschnitt «Q4»
8
6
L1
Querschnitt «Q2»
1
L1
2
L1
L2 3
L1 L1
4
L2 L2
5
Querschnitt «Q3»
L2
mmer
kojen
L1
2
L1
Balkon L1
Q4
Brücke
L2
Terrasse L1
«Lichtraum» Q4
Peter Osterwalder
L1
Gebauter Ort - Entwicklung überhoher Räume der Casa Caccia
L2
8
L1
7
L2
6
L1
Längsschnitt «L1»
L2
e
L1
3
L1
4
L1
5
7 6 «Q1» Querschnitt
8
L2 1 6
L1
2 7
L2
L1
3 8
15
149
N
1
L1
2
L2
3.1 Die «Piazza»
L1
N
L1
L2
L1
L2
N
L2
N
3
N
13
Esszimmer und Loggia
Davide Caccia ist der Sohn des ehemaligen Bauherrn Fulvio Caccia. Er ist im Haus aufgewachsen und bewohnt es heute mit seiner Frau und zwei Kindern.
14
vgl. Botta 1997, S.39
15
vgl. Ebd. S.176 Der Modulor: Massreihe zur
16
Dimensionierung von Räumen,
basierend
auf
(183cm) grossen Menschen. Die rote Reihe basiert auf dem Mass 113cm. Das Doppel 226cm führt zur blauen Reihe und definiert das Mass des Menschen mit nach oben ausgestrecktem Arm. vgl. Le Corbusier 1953, S. 64-65 vgl. Botta 1997, S.39
16
150
L1
der
Grundlage eines sechs Fuss
17
Vom Eingang her betrachtet befindet sich der zweigeschossig, überhohe Raum im fünften und sechsten Abschnitt der Grundrissteilung. In publizierten Plänen ist der Bereich als Wohnzimmer möbliert, wogegen der Raum - laut Davide Caccia13 - seit jeher als Esszimmer genutzt wird. Mit (L x B x H) 5 x 3.7 x 4.7 Meter ist dies der grösste Raum im Haus, wobei sich das längste Mass auf die Nord-Süd-Achse legt und als Hauptraum bezeichnet werden kann. In gleicher Achse erfährt der Raum eine Erweiterung nach aussen in den ebenfalls doppelgeschossigen Terrassenraum, der aufgrund seiner Lage innerhalb der Aussenwände als Loggia bezeichnet werden kann. Der fliessende Übergang und die Beibehaltung der Abmessungen von innerem Wohnraum und äusserem Innenraum legt, an Aussagen Bottas erinnernd, eine gewisse Untrennbarkeit von innen und aussen nahe.14 Konkret auf den Übergang und die Bedeutung des Glases als Teil dessen angesprochen, beschreibt er das Glas als technische Notwendigkeit, das er jedoch, sofern vom Klima zugelassen, nicht verwenden würde, womit die Trennung von innen und aussen auflöst wäre.15 L2
L1
L2
4
L1
5
L2
6
Nach Westen definiert eine 1.83 Meter hohe Wand die partielle Raumgrenze zur Küche und entspricht damit einem Mass der roten Modulorreihe.16 Darüber verläuft ein schmales Brüstungsband als Trennung zum ersten Geschoss und den dahinterliegenden Arbeits- und Wohnräumen. Eine über beide Etagen geschlossene Wand definiert die Raumgrenze nach Osten und verweist auf die umschliessende und schützende Funktion der Seitenwände, die den Innenraum von der Umgebung trennen.17 Nach Norden zeigt der eingeschossige Bereich der Loggia, zusammen mit der begrenzenden Deckenuntersicht der zweiten Etage, den räumlichen Abschluss des zweigeschossigen Hauptraums an.
L1
L1 L1 L1
L2
L2 L2 L2
Abb. 11. Esszimmer und Erweiterung in die Loggia
Gebauter Ort - Entwicklung ßberhoher Räume der Casa Caccia
Peter Osterwalder
17
151
Abb. 12. Zusammenfassung Esszimmer & Loggia
Abb. 13. Ausblick von der Loggia auf die flach abfallende Hügelkuppe 18
vgl. Frank 1931, S.321
19
vgl. Norberg-Schulz 1982, S.10
20
vgl. Snozzi 1985, S.64
21
vgl. Botta 1997, S.39
18
152
Die klaren baulichen Umfassungen des Hauptraums stehen den fliessenden, räumlichen Übergängen gegenüber. Die Anlagerung und Fokussierung angrenzender Bereiche auf den zweigeschossigen Raum und das dadurch aufgespannte Beziehungsnetz definieren diesen als zentrale «Piazza» des Hauses, wobei die Abhängigkeit der Räume untereinander als Grundlage für das Bestehen des gebauten Orts angesehen werden kann. Der Begriff «Piazza» wurde von Josef Frank in «Das Haus als Weg und Platz» für den Mittelpunkt des Hauses verwendet, wobei die Zentrumsfunktion als eine wesentliche Eigenschaft des Raums verstanden wurde.18 Auf der Piazza stehend, legt eine das obere Halbrund eines Kreises abbildende, bodenbündige Öffnung in der Nordfassade den Blick in die tiefer gelegene Magadinoebene frei. Weiter nach oben blickend, wird durch den Verzicht auf eine massive Brüstung der räumliche Bezug zur Terrasse im ersten Obergeschoss gestärkt. Durch den grossen, runden Ausschnitt der Terrasse wird der Blick zum Himmel freigelegt. Je nach Standpunkt legt die in der Ostfassade eingeschnittene, dreiteilige Öffnung Bezüge zur Nachbarschaft, der dahinterliegenden flach auslaufenden Hügelkuppe oder den Ausblick über die Ebene nach Bellinzona frei. Die Ausrichtung auf die Terrassenanlage löst die indirekte Belichtung und ermöglicht das Weglassen von Fenstern im Innenraum. Die Position der Loggia als äusseren Innenraum und die Bespielung der Loggiafassaden mit Öffnungen verweist auf die Feststellung von Norberg-Schulz, dass der Innenraum seine Funktion als solcher nur dann wahrnehmen kann, wenn durch Öffnungen eine Beziehung nach aussen besteht.19 Die Ausschnitte schaffen den Sichtbezug zur Landschaft, indem sie durch den architektonischen Eingriff gerahmt und auf den Massstab des Menschen bezogen werden. Die von Snozzi geforderte Bezugsnahme zur Umgebung20 besteht insofern, dass die umliegende Landschaft nach innen abgebildet wird, die flach auslaufende Topografie der Parzelle innenräumlich jedoch ausgeblendet wird.
N N
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L2 L2
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L1
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Der Raum grenzt nach Westen an den Eingangsbereich und ist durch eine Stützenfolge und eine halbhohe, zwischen die Stützen gestellte Wand von der Treppe abgetrennt. In südliche Richtung wird das Wohnzimmer in den eingeschossigen Sitzplatz und den anschliessend zweigeschossigen, gedeckten Aussenraum verlängert. Eine bodentiefe Verglasung trennt den Kalt- und Warmbereich voneinander ab. Eine äussere Wandschale umfasst den Aussenraum so, dass ein direkter Sichtbezug zur Landschaft verhindert wird. Auf gegenüberliegender Seite schliesst das Wohnzimmer ohne räumlich wirksame Trennung an die Piazza an, wobei einzig die tief liegende Deckenkante eine Raumgrenze anzeigt. Der Wechsel vom ein- in den zweigeschossigen Bereich zeigt die Unterordnung zum Hauptraum an und veranschaulicht die Ausrichtung auf die zum Tal vorgelagerte Loggia. Die im Osten flankierende Seitenwand fasst die nach aussen verlängerten Räume zusammen und verdeutlicht die von Botta als notwendig betrachtete Erweiterung von innen nach aussen.21 Die bewusste Einfriedung des Aussenraums als Teil des Gebäudevolumens und dessen Zuordnung an den Wohnraum prägen das von ihm zurückgewünschte, intime Raumerlebnis.
Abb. 14. Übergang Essraum zum eingeschossigen Wohnzimmer
Abb. 15. Umfassung des Aussenraums und Zuordnung zum Wohnraum
Gebauter Ort - Entwicklung überhoher Räume der Casa Caccia
Peter Osterwalder
19
153
L1
L2
Zum Eingang vorgerückt, schliesst das eingeschossige, öffentliche Wohnzimmer mit der Kurzseite an den Hauptraum an. Die Langseite des Raums beträgt fünf Meter und entspricht mit 2.26 Metern Höhe ebenfalls einem Modulormass. Der Einschub des Wohnzimmers zwischen Piazza und Eingang deutet die zunehmende Privatisierung der Räume zum Tal an und verhindert den direkten Sichtbezug untereinander.
L1
L1
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L2
Öffentliches Wohnzimmer
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8 2
1
N 7
6
5
4
3
2
1
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Im ersten Geschoss, oberhalb des Küchenbereichs gelegen, gliedern sich feldbreite Arbeitskojen an, die durch in den Raum ragende Wandscheiben voneinander abgetrennt sind. Der schmale Korridor ermöglicht die Zugänglichkeit der Kojen und gliedert diese an den Luftraum der Piazza an. Im Bezug zur Zweigeschossigkeit wird der Arbeitsbereich als Galerie gelesen und verleiht den niedrigen Kojen eine Ahnung von Grosszügigkeit.
Abb. 16. Raumbegrenzendes
L1
Brüstungsband mit dahinterliegenden Arbeitskojen
Abb. 17. Blick auf die nahe Landschaft im Osten
20
154
Feldbreite Öffnungen in der Westfassade tauchen den Galerieraum in regelmässig diffuses, durch einen Sonnenschutz aus Stoff gefiltertes Licht. Die Westfassade wurde aufgrund des Eindringens von Wasser durch neunteilige Fenster ersetzt. Das Lichtspiel der ehemals ganzflächig zwischen die Fassadenfelder verbauten Glasbausteine lässt sich heute nur noch erahnen. Durch die Erhöhung des Horizonts bietet die östliche Wandöffnung der Loggia Blick auf die nahe gelegene Landschaft. Im nach Norden geöffneten Fassadenteil weitet sich der Fernblick und bildet die Magadinoebene und die dahinterliegende Bergkette ab. Die Kontinuität des Raums wird durch die gleichbleibenden, kontrollierten Öffnungen begleitet, die, dem jeweiligen Standpunkt entsprechend immer neue Konstellationen der Landschaft abbilden. Die Ausblicke sind dementsprechend nicht spezifisch auf einzelne Räume ausgerichtet, sondern wechseln mit der Bewegung durch das Haus. Das Eintauchen in diffuses Licht, die Veränderung des Horizonts im Bezug zur Umgebung und die räumliche Nähe zur Piazza prägen die Charakteristik des Raums.
L1
L1
L2
Die tiefliegende Decke definiert, zusammen mit einer Stützenfolge und einem schmalen Brüstungsband die räumlichen Begrenzungen. Der Übergang der Galerie zum Hauptraum wird durch die schmale, mit 86 Zentimeter dem Modulor entsprechenden Absturzsicherung angezeigt. Die Anlehnung und Bezugnahme zum Hauptraum stützt die Aufspannung eines räumlich wirksamen Beziehungsnetztes, das als Notwendigkeit für den gebauten Ort angesehen wird. L2
N
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Arbeitskojen
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8
Abb. 18. Niedrige Galerie im Verhältnis zur Piazza
Gebauter Ort - Entwicklung überhoher Räume der Casa Caccia
Peter Osterwalder
21
155
Abb. 19. Zweigeschossiger Vermittler im 1.OG
22
156
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3.2 Der «Vermittler»
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N
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L2
Wohnraum
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N
Der zweigeschossige Wohnraum liegt gegenüber der Treppe im vierten Grundrissfeld der ersten Etage. Die Abmessungen des Raums betragen 2.5 x 3.7 x 4.7 Meter, wobei die Langseite als Galerie an den überhohen Hauptraum anschliesst. Zweiseitig, in westliche und südliche Richtung gibt es keinen Abschluss, wodurch eine räumliche Zusammengehörigkeit zu den angrenzenden Arbeitskojen und der Treppe entsteht. Gegenüberliegend bildet die flankierende Seitenwand die geschlossene Raumgrenze, verläuft über beide Geschosse und kann als Rückseite gelesen werden. Eine dreiseitig über dem Kopf verlaufende Balustrade bildet die primär wahrnehmbare Einfassung des Raums. Die raumbegrenzenden Bauteile sind auf wenige reduziert, wodurch der zweigeschossige Raum eine Position als «Vermittler» zwischen Erdgeschoss, erster und zweiter Etage einnimmt. Das Zusammenschliessen von zwei überhohen Bereichen und das damit entstehende, fliessende Raumgefüge verdeutlicht das Wesen des Raums und ermöglicht die zusammenhängende Wahrnehmung der vertikalen Ausdehnung, wodurch neue, von Snozzi beschriebene Beziehungsebenen geschaffen werden.22 Aufgrund der Lage innerhalb des Hauses und der Anlehnung an die geschlossene Rückwand hat der Vermittler keine raumspezifischen Öffnungen. Dennoch sickert das diffuse Licht der Westfassade bis zum zweigeschossigen Wohnzimmer durch. Nach Norden blickend, bildet das Halbrund im Erdgeschoss das Nachbarsgebäude - einst die flach abfallende Topografie - ab. Der runde Ausschnitt im ersten Obergeschoss wird durch die nach aussen erweiterte Deckenuntersicht halbiert. Die Öffnung ermöglicht den Blick über die Baumkronen und die Ebene bis zur ansteigenden Bergkante. Der Ausschnitt der Ostfassade wirkt vom Standpunkt her schlitzartig und lässt nur sehr eingeschränkte Blickbezüge zu.
Gebauter Ort - Entwicklung überhoher Räume der Casa Caccia
Peter Osterwalder
Abb. 20. Raumbegrenzende Brüstungsbänder
Abb. 21. Blick über die zweigeschossigen Piazza
22
vgl. Snozzi 1985, S.64
23
157
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Privater Wohnraum Der eingeschossige, von Davide Caccia als «privat» bezeichnete Wohnraum befindet sich im ersten Obergeschoss in Verlängerung des zweigeschossigen Vermittlers. Der Raum hat mit 5 x 3.7 x 2.26 Meter die gleichen Abmessungen wie das öffentliche Wohnzimmer im Erdgeschoss, ragt jedoch im Längsschnitt betrachtet um ein Feld nach Süden über diesen hinaus. N
Abb. 22. Blick zur südseitigen Hangkante
Abb. 23. Gegenüberstellung Ausblicke
23
vgl. Snozzi 1985, S.64
24
158
Nahtlos schliesst der niedrige Wohnbereich an den überhohen Vermittler an, wobei die Langseite des Raums an die zusammenfassende Seitenwand angelehnt ist. Die räumliche Trennung wird durch einen Deckenabsatz angedeutet, der die unterschiedlichen Höhen der Raumbereiche verdeutlicht und diesen eine differenzierte Charakteristik verleiht. Die Offenheit des Raumgefüges ist nach Westen weitergeführt, wobei eine Stützenreihe den Wechsel zum Korridor und den dahinterliegenden Arbeitsnischen anzeigt. Ein dreiteiliges, raumbreites Fenster ermöglicht den Blickbezug nach Süden in den von der Umfassungswand begrenzten, überhohen Bereich. Eine an die Unterkante der Decke laufende, halbrunde Öffnung und der danebenliegende schmale Ausschnitt in der Fassade schaffen den Blickbezug zur Böschungskante des ansteigenden Hangs. Im eingeschossigen Bereich stehend und zur Loggia blickend, verbirgt die Brüstung den Blick nach unten. Dies stärkt den Sichtbezug zur zweigeschossigen Terrasse im Obergeschoss und der Ausblick wird auf die ferne Bergkante jenseits der Magadinoebene fokussiert. Die den Wohnraum auszeichnenden Blickbezüge zur Landschafft erinnern an die Forderung Snozzis, dass der architektonische Entwurf die Eigenschaften des Orts aufnehmen und eine Beziehung zu ihm aufbauen soll.23 Die nahe Umgebung im Süden und die ferne Landschaft im Norden werden im Raum konzentriert und gegenübergestellt, wodurch eine interpretierte Kontinuität der Natur aufrecht erhalten wird.
7
6
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N
2
1
8
N
7
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N N
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L1 L1
Die Anordnung der Schlafräume im zweiten Obergeschoss zeigt, zusammen mit dem Wohnbereich im ersten Obergeschoss die steigende Privatisierung in der vertikalen Organisation. Die Räume gliedern sich mit der Kurzseite an den Luftraum des zweigeschossigen Vermittlers an. Nach Süden ist das 7.5 x 3.7 x 2.26 Meter grosse Schlafzimmer für zwei Kinder angelegt, wobei eine freistehende Wandscheibe den Raum in zwei Schlafbereiche trennt. Auf gegenüberliegender Seite ist das, um ein Grundrissfeld kleinere Elternschlafzimmer eingerichtet, das nach aussen als Balkon um ein Feld in die Terrassenanlage erweitert ist.
L2
L2
L1
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Schlafräume
L1
N
L2
In der südlichen Aussenwand schafft ein schmales, raumhohes Schlitzfenster eine minimale, optische Verbindung zur Hangkante. Daneben bietet ein feldbreites, raumhohes Fenster den Blick über die in den Hang gelegte Erschliessungsebene und ist damit der einzige, direkte Sichtbezug zur Westseite aus dem Innenraum. Nach Norden wird das Elternschlafzimmer durch eine ganzflächige Verglasung vom Balkon abgetrennt. Die raumbildenden Bauteile laufen in gleicher Flucht nach aussen, was die Verlängerung des Innen- zum Aussenraum erneut thematisiert. Das Okuli in der Aussenwand der Terrasse wird durch die bauliche Brüstung optisch halbiert und bietet Fernsicht über die Häuserdächer zur Ebene. Kleine Schlitzfenster in der Ostfassade legen eine Stütze in der Fassade frei und schaffen den Bezug zur nahen, flach auslaufenden Hügelkuppe. Die Öffnungen geben Aufschluss über die umliegende Topografie, da diese die zusammenhängende Wahrnehmung des auslaufenden Hangs und der Ebene ermöglichen.
Gebauter Ort - Entwicklung überhoher Räume der Casa Caccia
Peter Osterwalder
Bezug zum Vermittler und zur Piazza
Abb. 25. Zusammenhängende Wahrnehmung der Landschaft
25
159
L1
Abb. 24. 2.OG mit räumlichem L1
Räumlich besteht keine Trennung zwischen den beiden Schlafräumen. Einzig die Balustrade zum überhohen Vermittler grenzt die Räume physisch voneinander ab. Die ununterbrochene Decke begrenzt das Geschoss nach oben, wodurch die prägende, intime Raumatmosphäre entsteht.
L2
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4
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5
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6
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7
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8
8
2
3.3 Der «Lichtraum» 8
1
7
6
5
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3
N
2
1
vgl. Botta 1997, S.39-40
L1
L2
N
L2
N
Der im Kaltbereich liegende, überhohe Raum ist ganz im Norden der Terrassenanlage im ersten Obergeschoss angeordnet und grenzt mit der Langseite an den Luftraum der zweigeschossigen Loggia an. Zugänglich ist die Terrasse über eine schmale Brücke, die den Korridor vor den Arbeitskojen von innen nach aussen erweitert und sich an die Kurzseite des Luftraums der Piazza angliedert. Im Grundriss betrachtet bildet der Raumbereich im achten Grundrissfeld ein Rechteck, von dem eine Ecke im 45-Grad-Winkel ausgeschnitten ist, womit nach Westen eine Öffnung freigelegt wird. L1
24
N
Terrasse
L1
L2
N
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Abb. 26. Lichtraum mit Blick zur überhohen Piazza
26
160
Im zweigeschossigen Terrassenraum stehend, fallen im Besonderen die ostseitigen Fassadenausschnitte auf. Die viertels- und halbkreisförmigen Öffnungen schaffen den Dialog zur nahen Topografie - den Hang hinaufschauend. Nach Westen legt die grosszügig ausgeschnittene und nach innen abgewickelte Fassade den Blick auf die Erschliessungsebene und die Aussicht nach Locarno frei. Der Wechsel des Standorts vom Innen- in den Aussenraum wird begleitet durch jenen der Perspektive zur Umgebung. Das Bild der Landschaft wird ergänzt und komplettiert und der Ort in seiner natürlichen Form auf das Gebäude konzentriert.
L1
L1
L2
L1
Zum Gebäudeinnern wurden direkte Raumübergänge angestrebt. Insofern besteht zur Langseite des Luftraums keine geschlossene Brüstung, was einen direkten räumlichen Übergang und bessere Belichtungsmöglichkeiten für die Innenräume bietet. Nach aussen umschliessen überhohe Wände den Raum dreiseitig, wobei die Wandoberkanten die Raumgrenze wahrnehmbar machen. Ansonsten besteht nach oben keine bauliche Einfassung. Die Offenheit nach oben verdeutlicht Bottas Haltung, dass der Himmel und damit elementare Bedingungen der Aussenwelt zum «lebendigen Bestandteil des Hauses»24 werden müssen. Es entsteht ein untrennbares Hin- und Her zwischen dem inneren Aussenraum und den äusseren Bedingungen des Orts. Die Einfriedung und die Ausrichtung zum Himmel bergen das Wesen des Raums und positionieren die Terrasse als «Lichtraum», der - dank des fliessenden Raumgefüges und der zueinander in Abhängigkeit gesetzten, überhohen Räume - im ganzen Haus wahrgenommen werden kann.
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N
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3
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4
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7
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1
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8
Abb. 27. Nordseitiger Ausblick zum Tal
Gebauter Ort - Entwicklung ßberhoher Räume der Casa Caccia
Peter Osterwalder
27
161
4. Synthese Räumliches Beziehungsnetz Die von Snozzi geforderten Beziehungsebenen25 und somit das auf den gebauten Ort übertragene, räumliche Beziehungsnetz schafft die Grundlage zum Verständnis der Struktur des überhohen Raums. Über die räumlichen Bezüge in Bottas Entwürfen schreibt Martin Steinmann folgendes: «Die Beziehungen zwischen «les pleins et les vides», zwischen Volumen, die nebeneinander gestellt sind wie russische Puppen, von denen die grössere eine kleinere und diese eine noch kleinere enthält, zwischen dem Einzelnen und dem Ganzen usw. Auf diese Weise eröffnen die Entwürfe auch in sich selber ein vielschichtiges Spiel von räumlichen Beziehungen.»26 In der Tat ist es das Nebeneinanderstellen von Räumen unterschiedlicher Abmessungen und die Variation der begrenzenden Bauteile, die eine gewisse Vielfalt vermitteln. In der Casa Caccia ist das fliessende Raumgefüge, entstehend durch das nahtlose Aneinanderfügen von überhohen Raumbereichen, prägend für das räumlich wirksame Beziehungsnetz. Der überhohe Essraum kann seine Zentrumsfunktion aufgrund seiner Abmessungen und der Anlagerung diverser Raumbereiche erfüllen und definiert diesen gleichzeitig als Hauptraum, der «Piazza» des Hauses. Der um ein Geschoss versetzt anschliessende, zweigeschossige Wohnbereich nimmt eine Rolle als «Vermittler» wahr, da dieser durch seine Einbindung ins Raumgefüge eine zusammenhängende Wahrnehmung der vertikalen Ausdehnung des Hauses schafft. Innen und Aussen
25
vgl. Snozzi 1985, S.64
26
Steinmann 1980, S.270
27
vgl. Norberg-Schulz 1982, S.10
28
vgl. Snozzi 1985, S.64
29
vgl. Norberg-Schulz 1982, S.10
30
vgl. Ebd. S.6
28
162
Norberg-Schulz beschreibt die Unterscheidung von innen und aussen als eine der Architektur zugrundeliegende Notwendigkeit, wobei das Innere eine Zusammenfassung und Umschliessung eines Orts bedeutet.27 Wird die Position Bottas gegenübergestellt, wird deutlich, dass er von einer Trennung als solche absieht und die Verlängerung des Innenraums- in den Aussenraum baulich umsetzt. Dabei bleiben die umschliessenden Raumgrenzen als solche ablesbar, wobei diese im Gegensatz dazu bei der eingangs erwähnten «Casa Kalman» scheinbar aufgelöst werden. Die zweigeschossige Piazza mit der Erweiterung in die Terrassenanlage kann exemplarisch als Beispiel dieses Übergangs angesehen werden. Dabei führen die raumbildenden Elemente in gleicher Flucht von innen nach aussen, wodurch die Zusammengehörigkeit vermittelt wird.
Der überhohe Terrassenraum im ersten Obergeschoss erhält aufgrund den dreiseitig umschliessenden, überhohen Wänden eine klare Ausrichung nach oben und positioniert diesen als «Lichtraum». Das Nebeneinander von Lichtraum und zweigeschossiger Piazza ermöglicht die indirekte Belichtung der Innenräume und trägt durch die entstehende, atmosphärische Stimmung wesentlich zur Dialektik von innen und aussen bei. Bezug zur Landschaft Die Einbindung des Orts - der Bezug zur Landschaft - gilt laut Snozzi als Ausgangslage für den architektonischen Entwurf.28 Norberg-Schulz argumentiert, dass Innenräume ihre Funktion als solche nur dann erfüllen können, sofern eine Beziehung zur Umgebung besteht.29 Das mehrheitliche Weglassen von Öffnungen zum Innenraum fokussiert die Räume auf die nordseitig angelegte Terrassenanlage. Die grossen Einschnitte in der umschliessenden Aussenwand legen je nach Standpunkt im Haus unterschiedliche Blickbezüge zur umliegenden oder entfernten Landschaft frei. Durch die Wahrnehmung und die Bewegungsmöglichkeiten innerhalb der Räume entstehen stets neue Bezüge zum bestehenden Ort. Spannend ist die Konzentration im ersten Obergeschoss, da im Wohnraum stehend zur Hangseite und zum Tal Blickbezüge offengelegt werden. Die «Casa Streiff» schafft im Gegensatz zur Casa Caccia mit der hausinternen Topografie nicht lediglich einen Sichtbezug zur Landschaft, sondern auch eine räumliche Anlehnung an diese. Fazit Der Untersuch hat anhand der Casa Caccia exemplarisch verschiedene Arten von überhohen Räumen aufgezeigt. Es wurde herausgeschält, welche Funktion diese innerhalb des Raumgefüges zu erfüllen haben und welche Charakteristiken oder Wesenszügen diesen zu Grunde liegen. Auf den einführenden Theorieteil verweisend, ist es Botta mit dem Bau gelungen, das räumlich wirksame Beziehungsnetz, die Dialektik von innen und aussen und die Bezugnahme zur natürlichen Umgebung miteinander zu verweben und über ein «qualitatives Gesamt-Phänomen»30 hinaus einen gebauten Ort zu schaffen. Die gebaute Form des Entwurfs folgt dabei konsequent den Aussagen des Architekten und der begezogenen theoretischen Betrachtungen. Spannend wäre auch eine breiter angelegte Studie, die aufgrund der Betrachtung von Bauten verschiedener Architekten versucht, differenzierte Typologien von überhohen Räumen herauszuschälen und allenfalls die historische Komponente miteinbezieht.
Gebauter Ort - Entwicklung überhoher Räume der Casa Caccia
Peter Osterwalder
29
163
5.1 Abbildungsverzeichnis Titelblatt
Gebauter Ort. Darstellung Autor
Abb. 1.
Homo faber. Aus: Botta 1997, S.27
Abb. 2.
Schema Streiff. Darstellung Autor
Abb. 3.
Schema Kalman. Darstellung Autor
Abb. 4.
Schema Caccia. Darstellung Autor
Abb. 5.
Wohn- / Arbeitsbereich Streiff. Fotografie Autor
Abb. 6.
Wohnbereich Kalman. Fotografie Autor
Abb. 7.
Aus: Werk 1971/9, S.594
Abb. 8.
Situationsplan. Darstellung Autor
Abb. 9.
Schema Aufbau Caccia. Darstellung Autor
Abb. 10.
Grundriss- / Schnittpläne. Darstellung Autor Grundlagen Aus: Werk 1971/9 S.597
Abb. 11.
Hauptraum und Loggia. Fotografie Autor
Abb. 12.
Schema Piazza. Darstellung Autor
Abb. 13.
Ausblick nach Osten. Fotografie Autor
Abb. 14.
Wohnzimmer EG. Fotografie Autor
Abb. 15.
Umfassung Aussenraum. Darstellung Autor
Abb. 16.
Raumübergang EG - OG. Fotografie Autor
Abb. 17.
Blick über Piazza. Darstellung Autor
Abb. 18.
Verhältnis Galerie - Piazza. Fotografie Autor
Abb. 19.
Vermittler. Fotografie Autor
Abb. 20.
Brüstungsbänder. Darstellung Autor
Abb. 21.
Blick zur Loggia. Fotografie Autor
Abb. 22.
Blick zur Südseite. Fotografie Autor
Abb. 23.
Gegenüberstellung. Darstellung Autor
Abb. 24.
2.OG - OG - EG. Fotografie Autor
Abb. 25.
Zusammenhängende Landschaft. Darstellung Autor
Abb. 26.
Lichtraum - Piazza. Darstellung Autor
Abb. 27.
Nordseitiger Ausblick. Fotografie Autor
Sämtliche mit «Autor» gekennzeichnete Darstellungen und Fotografien sind während der Bearbeitung vorliegender Vertiefungsarbeit entstanden. ©2015 Peter Osterwalder
30
164
5.2 Literatur- und Quellenverzeichnis - Botta, M. ([1975] 2010). Kriterien des Eingriffs und Ziele des Entwurfs. In Steinmann, M., Boga, T. (Hrsg). Tendenzen. Neuere Architektur im Tessin (S.23-26). Basel: Birkhäuser. - Botta, M. (1997). Ethik des Bauens. The ethics of building. Basel: Birkhäuser. - Frank, J. (1931). Das Haus als Weg und Platz. In Der Baumeister (1931). Jg. 29. H.8. (S.316-323). - Le Corbusier (1953). Le Modulor. Darstellung eines in Architektur und Technik allgemein anwendbaren harmonischen Maszes im menschlichen Maszstab. Stuttgart: Cotta. - Norberg-Schulz, C. (1982). Genius loci: Landschaft, Lebensraum, Baukunst. Stuttgart: Klett-Cotta. - Snozzi, L. ([1975] 2010). Entwurfsmotivationen. In Steinmann, M., Boga, T. (Hrsg.). Tendenzen. Neuere Architektur im Tessin (S.46-50). Basel: Birkhäuser. - Snozzi, L. ([1985]1996). Voraussetzungen und Hintergründe zur Arbeit Luigi Snozzis. In Steiger, B. (Hrsg.), Luigi Snozzi - Auf den Spuren des Ortes. Zürich: Schule und Museum für Gestaltung. - Steinmann, M. (1980). recherche patiente. In Archithese (1980). H.1. (S.80-83). - (Das) Werk, Bd. 58/9 (1971). Einfamilienhaus in Cadenazzo TI: Architekt Mario Botta, Genestrerio und Lugano TI 1970/71 (S.594-598). - Zanetti, G. (1985). Mario Botta: Häuser wie Hoffnungen. In Bachmann, D., Zanetti, G. Architektur des Aufbegehrens: Bauen im Tessin (S.112-137). Basel: Birkhäuser.
Dank für die Möglichkeit der Hausbesichtigung und die Gesprächsbereitschaft geht an Herrn Davide Caccia.
31
165
166
167
168
Symmetrie als Vacchinis gestalterisches Mittel. Am Beispiel von zwei Schulen. Anna Grabowska
169
Vertiefungsarbeit Frühlingsemester 2015 Horw, 16.06.2015
Verfasser: Anna Grabowska Natternweg 11 4852 Rothrist Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christopher Wieser
Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur
Abstract Im Rahmen des Moduls Vertiefungsarbeit FS15 mit dem Thema „Aufbruch ins Eigene - Tessiner Tendenza und ihre Folgen“ befasst sich die vorliegende Vertiefungsarbeit mit dem Thema der Symmetrie bei zwei Schulbauten von Livio Vacchini. Die Mittelschule in Losone, entstanden in den Jahren 1973-1975 und die Grundschule Collina d’Oro aus dem Jahr 1982 in Montagnola bilden die Grundlage für die vorliegende Arbeit. In der Analyse wird aufgezeigt, wo, welche und mit welchen Auswirkungen die Symmetrie verwendet wurde. Die Arbeit liefert Antworten auf die Frage, was Vacchini durch die Symmetrie in den ausgewählten Bauten erreichen wollte.
Symmetrie als Vacchinis gestalterisches Mittel. 170
Anna Grabowska
3
1. Einleitung Eine der wichtigsten Bewegungen zeitgenössischer Schweizer Architektur ist die Tessiner Architektur Ende der 1960er und früher 70er Jahre, die seit einer Ausstellung in Zürich im Jahre 1975 „Tendenza“ genannt wurde. „Sie stellt eine einzigartige Symbiose aus Rationalismus, Moderne, Geschichtsbewusstsein und Landschaftsbezug dar.“1 Diese eigenständige Architekturrichtung setzte sich gegen Zersiedelung und Verkitschung der Landschaft zur Wehr. Neben Persönlichkeiten wie Mario Botta, Tita Carloni, Luigi Snozzi oder Aurelio Galfetti zählt Livio Vacchini zu den massgebenden Repräsentanten der Tendenza.2 Über seine Einwürfe sprechend wies Vacchini auf Mies van der Rohe, Luis Kahn und Le Corbusier, aber auch auf die klassische Architektur wie der Parthenon hin.3 Er ist einer der wenigen Architekten, deren Denken und Prinzipien aus der klassischen Tradition abgeleitet, und an die Möglichkeiten der Gegenwart angepasst sind.4 Mit Vorliebe ging er an den Anfang zurück, um sich den Wurzeln zu nähern. Um eine richtige Lösung zu finden, die nur mit der einfachsten Erscheinungsform zusammenhängen kann, geht er durch einen mühevollen Prozess durch. Die konsequent in seinen Werken entwickelte eigene und elegante Architektursprache ist von der Symmetrie, Monumentalität im Kleinen, formaler Strenge und der Konzentration auf das Wesentliche geprägt.5 Während Luigi Snozzi, mit dem Vacchini am Anfang seiner Karriere 1
Tendenza. Rationalismus in Tessin. Verfügbar unter http://www.gta.arch.ethz.ch/lehrveranstaltungen/tendenza-rationalismus-im-tessin
2
Joanelly, Vacchini, 2000, S. 210.
3
Vacchini, 2008, S. 7.
4
Disch, 1994, S. 14.
5
Blaser, 1994, auf dem hinteren Deckblatt.
6 171
zusammen gearbeitet hat, sich mit dem Thema des Ortes tief auseinandersetzte, verfolgte Vacchini Themen, die ihn, wie er selbst sagte, seit immer interessiert und begleitet haben: „das Einzelne und das Vielfache; der Widerspruch und die Komplementarität die Nachbarschaft; das Angrenzen und die Unabhängigkeit; die Orientierung und die Richtung; die Zentralität und die Dezentralität; das Sichabstützen und das Sicherheben; die Wand und die Säule“.6 Diese Themen sind streng miteinander verbunden und schon in früheren Werken Vacchinis sichtbar. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Thema der Symmetrie, (Zentralität und die Dezentralität») die in engem Zusammenhang sowohl mit der Struktur («die Wand und die Säule») als auch der «Orientierung und Richtung» steht. Die zwei ausgewählten Schulbauten, die Mittelschule in Losone und die Grundschule Collina dO’ro in Montagnola, bilden die Grundlage für die vorliegende Arbeit. Aus dem Grund, dass in mehreren Projekten Vacchinis eine Symmetrie sichtbar ist, war es für diese Arbeit wichtig, sich zu begrenzen und nur auf zwei Beispielen zu basieren. Die Entscheidung zur Auswahl der oben erwähnten zwei Bauten ist von ein paar Faktoren beeinflusst. Ein wichtiges Kriterium war eine gleichwertige Funktion, die die beide Schulgebäuden erfüllen. Es war wichtig, dass die Objekte trotz unterschiedlicher äusserlichen Erscheinungen oder unterschiedlichen Gegebenheiten des Terrains die gleiche Art der Symmetrie aufweisen. Obwohl zwischen der Zeit der Realisationen fast zehn Jahre liegen, zählen beide Bauten zu den früheren Werken Vacchinis. Dadurch können sie als Beispiele der Tendenza Architektur eine Grundlage der Arbeit bilden. Das Hauptziel der vorliegenden Vertiefungsarbeit ist, herauszufinden, was Vacchini mit der Symmetrie erreichen wollte. Es gibt vie6
Ebenda. S. 7.
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7
le möglichen Gründe, aus denen die Bauten symetrisch angeordnet werden können. Es stellt sich die Frage, ob die Symmetrie ein Ausdruck der Struktur, die auch eine Vorbedingung der Symmetrie sein könnte, oder ein Gestaltungmittel ist. Im ersten Teil der Arbeit wird eine theoretische Grundlage unter Einbezug literarischer sowie anderer Quellen vorgestellt, die ein Basiswissen über die Symmetrie und die Weise von Vacchinis Arbeit liefert. Darauf aufbauend wird der Einsatz der Symmetrie in der Mittelschule in Losone und Grundschule Collina d’Oro in Montagnola aufgezeigt und analysiert. Anhand der Erkenntnisse aus der Analyse wird eine Schlussfolgerung formuliert, die die Antworten auf die obengenannten Fragen liefert.
8 173
2. Symmetrie - ein Überblick Um eine Analyse der Symmetrie machen zu können, ist es notwendig, ein Grundwissen darüber zu besitzen. In diesem Kapitel werden sowohl ein historischer Überblick als auch die Arten der Symmetrie kurz dargestellt. Der Begriff der Symmetrie war nicht immer so eng wie heute gefasst. Vitruv schrieb im 1. Jahrhundert v. Chr.: „Die Formgebung des Tempels beruht auf Symmetrie, an deren Gesetze sich die Architekten peinlichst genau halten müssen. Diese aber wird von der Proportion erzeugt, die die Griechen Analogia nennen. Proportion liegt vor, wenn den Gliedern am ganzen Bau und dem Gesamtbau ein berechneter Teil (modulus) als gemeinsames Grundmass zugrunde gelegt ist. Aus ihr ergibt sich das System der Symmetrien“.7 Er hat also das Verhältnis der Teile untereinander und zum Ganzen, die auf einer Grundeinheit aufgebaut ist unter der Symmetrie verstanden. Symmetrie war eng mit dem Begriff der Proportion und der Schönheit schlechthin verbunden. Die Symmetrie war eines der wichtigsten Gestaltungselemente der Architektur bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Je nach Stilepoche wurde die Gestaltungkomponente der Symmetrie verschieden verwendet. In der Moderne wurde die Symmetrie nicht mehr mit der gleichen Strenge und Dominanz wie etwa in der Antike oder während der Renaissance angewandt. An Stelle der Symmetrie als ordnendes Gestaltungsmittel wurde in der Moderne eine modulare Regelmässigkeit vorgezogen. Gleichseitigkeit und Gleichgewicht dienten vor da an eher zur Auflockerung.8 „Regelmässigkeit führt zu Rhythmus. Rhythmus bedingt nicht nur Wiederholung gleicher Elemente, Rhythmus 7
Vitruv, 1981, S. 137.
8
Grütter, 2015, S. 239.
Symmetrie als Vacchinis gestalterisches Mittel. 174
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9
Schulbauten
Letzte Etappe der «Primarschule Locarno TI
ai
Saleggi» in
entsteht auch bei der Repetition gleicher Elementgruppen“.9 Architekt: Livio Vacchini, Locarno Mitarbeiter: Mauro Vanetti, Gianni Lotterio
Heute ist der Begriff der Symmetrie enger gefasst. Nach Dagobert 1979 Frey bedeutet er ein statisch-räumliches Ordnungssystem. „Diese Ordnung kann wiederum ein Beitrag an eine harmonische WahrnehLetzte Etappe der mung sein und so im alten Sinne mitverantwortlich für das Empfinden «Primarschule ai Saleggi» in Locarno TI sagte, dass die Ordnung der Form von Schönheit sein.“10 Vacchini Die Doppelturnhalle immanent ist. „Das Ganze ist nicht die Summe der einzelnen Teile, 11 in Derniere etappe de «l'ecole primaire ai in dem sich der deren der Stadt vorkommt, die entwickelt, nau so, wie unanfechtbar aber allgemeineSynthese.“
Locarno TI Double salle de gymnastique Saleggi»
ä
Final construction phase of the «ai saleggi primary school» in Locarno TI Double gymnasium Das hier vorgestellte Gebäude ist ein Teil des Komplexes «Primarschule ai
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Saleggi» von Locarno. Das Projekt ist aufgrund eines im Jahre 1969 ausge¬ schriebenen öffentlichen Wettbewerbes entstanden. Der Bau, in drei Etappen gestaltet, wurde im Jahre 1979 nach fast zehnjähri¬ ger Tätigkeit beendet. Ursprüngliche Abb. 1: warPrimarschule „ai Absicht es, diesen Komplex (der rund 600 Personen als einen Saleggi“aufnimmt) in Locarno Stadtteil zu erachten, der sich spontan
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sich
mit
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der
Vielfältigkeit,
die
an
das
Menschenleben gebunden ist, entwickelt. Urmodell dieses Komplexes ist das alte Stadtbild mit den fassadenlosen pri¬
In der Architektur spricht man meistens von zwei bestimmten Arten vaten und die sich dem öf¬ erste bedeutet Atriumhäusern, der Symmetrie: die translative die bilaterale. Die fentlichen Palast - der die Stadt be¬ herrscht und massgebende Verhältnisse eine Reihung, eine Wiederholung gleicher Teile. Bei der Bilateralen zur Umgebung herstellt - zuordnen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss¬ wird eine Figur um eine Achse gespiegelt. Dadurch wird beidseits der te ich vermeiden, dass die beiden Turn¬ dert haben. hallen - die den grössten Rauminhalt der Achse je eine Figur erhalten, deren entsprechende Punkte im Bezug Auch die Erfahrung, die durch die Schule haben - isoliert, als aseptischer ersten Arbeiten gewonnenen Erkenntnis¬ Gegenstand, dastehen. auf die Achse gleich liegen. Sie wird auch Axialsymmetrie genannt.12 se, bringen Veränderungen mit sich. Man Daher habe ich diese Hallen mit betrachtet die Sachen mit anderen Au¬ gen, man hat sich verändert. So verändert sich auch die Art der Ausführung, obwohl der Leitgedanke derselbe bleibt, und er passt sich an ge¬
Gemeinschaftsräumen
und
Vorhallen
umgeben, die sie zu einem Anziehungs¬ punkt wandeln, einem gedeckten Platz. Und da ein öffentliches Gebäude mit grossem Saal «richtiger» ist, wenn es
Unter Translation versteht man die Wiederholung deckungsgleicher Teile. Das Prinzip der Reihung ist in Vacchinis Schulgebäuden der Primarschule „ai Saleggi“ in Locarno aus dem Jahre 1969-78 zu finden (Abb. 1, 2). Es ist der Rhythmus der mehrmals wiederholten gleichen Kernelemente, in Form von Klassenzimmern und ihnen zugeschriebenen Eingängen. „Schon bei einer drei- bis vierfachen Wie^ derholung entsteht eine Erwartung nach weiterer Regelmässigkeit.“13 Diese und die damit verbundene Monotonie vermeiden die langen Lauben, die den Klassenrhythmus unterbrechen. Bei einer Wiederholung verliert jedes einzelne Element seine Autonomie zugunsten des Ganzen, und genau das hat Vacchini zum Ziel. Die Schule sollte als eine Einheit, wie eine Stadt, wahrgenommen werden.14
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7\
Lageplan als Wegweiser und nicht als Zwang entpuppt. Und so ist es auch geschehen. Zwischen der Errichtung der ersten Serie von Schulzimmern und der Erstel¬ lung der Turnhalle sind mehrere Jahre verstrichen, in denen Programmänderun¬ gen stattgefunden und in denen sich auch Interesse, Empfindung, Wissbegier des Architekten weiterentwickelt und verän¬
9
Ebenda, S. 240.
10 Ebenda, S. 241.
Grundriss Gesamtanlage,
Doppelturnhalle links unten
11 Vacchini, 2008, S. 43.
/
Plan de l'ensemble, double salle de gymnastique en bas ä gauche / Plan of entire complex, double gymnasium, left
Abb. 2:
Grundriss GesamtaWerk. Bauen+Wohnen lage,4/1981 Doppelturnhalle links unten. Nr.
below
12 Grütter, 2015, S. 235.
Nordostfassade, vom Klassenflügel aus gesehen / La facade nord vue de l'aile des classes / Northeast elevation, seen from classroom wing
13 Beisl, Schuster, 1978, S. 49. 14 Blaser, 1994, S. 34.
10 175
Die bilaterale Symmetrie ist auch in der Natur zu finden. Physiker und Mathematiker Herman Weyl sagte, dass die Symmetrie da zu erwarten sei, wo das Gleichgewicht herrsche. Mathematisch gesehen ist die Symmetrie als spiegelbildliche Entsprechung ein objektiver Tatbestand, der von der Lage im Raum unabhängig ist. Die allseitig gleichwertigen Richtungen werden jedoch subjektiv zu drei Bewegungsrichtungen betrachtet: links/rechts, oben/unten und vorne/ hinten. Demgemäss ist die räumliche Beziehung zwischen Objekt und Betrachter bei der optischen Wahrnehmung von grosser Bedeutung. Die Symmetrie eines Objektes wird, je nach räumlichem Bezug zum Betrachter, unterschiedlich, den drei Bewegungsrichtungen entsprechend erlebt: in der Breitendimension, der Höhendimension und der Tiefendimension 15 (Abb. 3). Im weiteren Teil der Arbeit werden die Dimensionsarten genauer erklärt.
a
b
c
Abb. 3:
15 Grütter, 2015, S. 236.
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Das Erleben der bilateralen Symmetrie der Bewegungsrichtung entsprechend: a Breitendimension b Höhendimension c Tiefendimension
11
3. Regeln und Prinzipien der Symmetrie bei Vacchini „Ich liebe nicht das Viele, ich erstrebe das Wenige.“ Obwohl Vacchini diesen Satz in Bezug auf das Wissen sagte, lässt er sich auf seine ganze Arbeit ableiten. Regeln und Prinzipien sind für Vacchini die Notwendigkeit für das Machen. Die Regel ist ein rationales Instrument, das sich ständig verändert und mit der Entwicklung der Form präzisiert. Die Regel ist das Notwendige, das, was ständig interpretiert werden muss, da sie kein Rezept fürs Entwerfen ist. Dank Regeln konnte Vacchini die Aufgaben in praktische Grenzen setzen. Sie übersetzen die Gedanken in eine konkrete Form.16 „Die Prinzipien sind die dogmatischen Grundsätze, nach denen ich handle, vielleicht sind sie ganz einfach mein «Glaube». Ich glaube an Schönheit, an den Menschen, an das Leben. Das ist wie in der Religion.“17 Die Regeln erlaubten ihm also die Prinzipien zu realisieren. Gemäss und für Vacchini konnte die Idee eines Gebäudes nie separat von der Idee seiner Konstruktion verstanden werden. Die Form konnte nicht anders als durch die Technik gestalten sein. Zwischen der Form und der Art der Konstruktion besteht also ein Zusammenhang, deswegen ist auch das formale Resultat von der Wahl des konstruktiven Systems abhängig.18 Vacchini glaubte an die neuen Technologien, die seiner Meinung nach den Menschen einfacher an das Wesentliche heranführen konnten, die dem Menschen sich an die Wahrheit und die Transzendenz anzunähern helfen.
16 Blaser, 1994, S. 7. 17 Joanelly, Vacchini, 2000, S. 210. 18 Blaser, 1994, S. 7.
12 177
Die neuen Technologien haben ihm auch seinen Wunsch nach Strenge, Abstraktion und Universalität erleichtert.19 „Man weiß, daß sich jede einzelne Konstruktion auf die Gesamtheit der gebauten Werke beziehen sollte. Die moderne Technik hilft mir ausschließlich, dieses substantielle Verhältnis zur Geschichte zu haben, und vermeidet nostalgische Verwandtschaften konstruktiver Ordnungen, die nur Illusionen einer falschen geschichtlichen Kontinuität schaffen.“20 Um Vacchinis Arbeit besser zu verstehen, muss man wissen, dass er zwei Haustypen unterscheidet : die gerichteten und die ungerichteten Bauten. Die Ersten sind dem privaten Bereich zugeordnet. Die Hauptfassade der Gerichteten bildet die schmale Seite des Gebäudes. Auf der selben Seite wird das primäre Tragsystem gezeigt, das somit nicht nur seinen Zweck erfüllt, sondern auch das Gesicht ist. Sie können sowohl dicht beieinander als auch als einzelne kleine Häuser stehen. Die Ungerichteten sind dem öffentlichen Bereich zugeschrieben. Sie haben vier gleichwertige Seiten und grenzen sich damit deutlicher von ihren Nachbarn ab als die Gerichteten. In Bezug auf der Symmetrie haben diese Aussagen eine grosse Bedeutung. Um die Symmetrie analysieren zu können, soll auch die Art der Konstruktion und die Tragstruktur berücksichtigt werden. Gemäss der oben zitierten Worte Vacchinis kann ausgeschlossen werden, dass die Symmetrie eine geschichtliche Kontinuität ist.
19 Blaser, 1994, S. 7. 20 Blaser, 1994, S. 7.
Symmetrie als Vacchinis gestalterisches Mittel. 178
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13
4. Mittelschule in Losone 1973-75 Es gibt viele Möglichkeiten für die Ergründung der Symmetrie in einem Gebäude. Sie kann in Bezug auf Wirkung, nach Verwendungsort usw. betrachtet werden. Die Analyse kann nur einzelne Teile des Projektes oder die ganze Anlage zum Gegenstand haben. Die Symmetrie wird in der Mittelschule in Losone von aussen nach innen untersucht. In Betracht werden die ganze Anlage, Teile davon sowie auch Details gezogen. Zu Beginn der siebziger Jahre hatte der Kanton Tessin einen plötzlichen Bedarf an schulischen Einrichtungen der Mittelstufe. Notwendig waren nicht nur neue Schulgebäude sondern auch die Einführung eines neuen Reformprograms für das Bildungssystem, das diesen Bedarf ausgelöst hat.21 Im Jahre 1972 hat Vacchini einen Auftrag für eine Mittelschule bekommen, die als ein Pilotprojekt diente.22 Die Schule in Losone gilt als ein Beispiel für die Auseinandersetzungen für eine bessere, sozialere Architektur im Tessin. 23 Eines der charakteristischen Merkmale der besagten Schule ist ihre Architektur. Diese von Livio Vacchini in Zusammenarbeit mit Aurelio Galfetti in sechs Monaten entworfene Anlage wurde in nur neun Monaten gebaut. Eine der Voraussetzungen war es, die Bebauung an die Bedürfnisse der Gesellschaftes anzupassen. Das betraf besonders die öffentlich zugängliche Sportanlage und Bibliothek. Die Eröffnung hat im September 1974 stattgefunden.24
21 Masiero, 1999, S. 84. 22 Vacchini, 1980, S. 2. 23 Werner, Schneider, 1991, S. 29. 24 Vacchini, 1980, S. 1.
14 179
Die Schule liegt auf freiem Gelände und kann 800 Schüler im Alter von 11 bis 16 Jahren aufnehmen. Das in drei Bauetappen geplante Schulzentrum basiert auf einem rechteckigen Raster. Verwirklicht wurden jedoch nur zwei, die erste Phase, die vier L-förmige Schulzimmertrakte, wo das »Ginnasio cantonale« und die »Scuola media« untergebracht wurden sowie die zweite Phase, die dreifache Turnhalle. Die Mensa, als dritte Phase, wurde aus finanziellen Gründen nie realisiert 25 (Abb. 4, 5).
Abb. 4:
Schulgebäuden
25 Werner, Schneider, 1991, S. 29.
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15
“Ungefähr mit 11 Jahren, nach Abschluss der Primarschule, wird der Schüler zum Lehrenden; er wünscht sich einen komplexeres Betätigungsfeld und möchte in einer grösseren Gruppe leben. Mit dieser Schule wollte ich solche Wünsche verwirklichen helfen.“ 26
I PHASE II PHASE
III PHASE
Abb. 5:
Schema der Bauphasen.
Abb. 6:
(Seite 17.) Situationsplan.
26 Blaser, 1994, S. 48.
16 181
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17
Die ganze Anlage ist zentralsymmetrisch durch zwei Achsen geschnitten (Abb. 6). Der rechteckige Hauptkomplex27 ist um einen quadratischen Hof herum streng vierteilig organisiert. Die Hauptachse zeichnet sich dadurch aus, dass sie mittig auf die Turnhalle zuläuft. Wenn das Mensagebäude realisiert worden wäre, wäre sie am Ende der zweiten Achse platziert. Ursprünglich waren also die beiden Achsen als gleichwertig geplant. Es unterliegt keinem Zweifel, dass Vacchini dieser Bebauung axialsymmetrisch gestalten hat (Abb. 6). Die Wahrnehmung variiert jedoch. Von Aussen wird der Schulkomplex in der Tiefendimension erlebt.28 Sowohl bei dem Eingang als auch Ausgang aus dem Innenhof wird die Symmetrie in der Breitendimension wahrgenommen. Sich im Innenhof aufhaltend wird die Symmetrie in den beiden Be-
27 Anhand der Pläne ( Abb. 5,6.): Das Hauptkomplex (vier L- förmige Schulgeböuden) ist auf einem quadratischen ( ca. 2.1 x 2.1 m) Raster, der 27.5 x 29.5 Einheiten aufweist aufgebaut.
Abb. 7:
Schulkomplex Ansicht von Nordostseite.
28 Aus dem Grund der kleinen Abstand zur Turnhalle und am Ortsrand bestehenden Pappelalleen, in die der Komplex eingeschrieben wurde ist es unmöglich einen frontalen Blick zu haben. Das heisst die in der Breitendimension erlebbare Symmetrie ist da nicht vorhanden.
18 183
wegungsrichtungen wechselweise empfunden. Aufgrund des fehlenden Mensagebäudes eröffnet sich die Möglichkeit, von der Nordseite her frontal auf der Achse vor dem Gebäude zu stehen, es also in der Breitendimension zu erfahren. Dies war jedoch nicht die Absicht des Architekten (Abb. 7). Eine Symmetrie in der Tiefendimension verstärkt durch ihre rhythmische Aufteilung die Tiefenwahrnehmung.29 Weil das Tragsystem ein dreigeschossiger, reiner Skelettbau ist, der aus an den Knoten biegesteif verbundenen Doppel - T - Stahlprofilen und zwischengesetzten Paneelen und Fenstern einheitlicher Grösse besteht,30 erscheinen die äusseren Fassaden relativ „flach“. Dies hilft jedoch die Tiefe der Lücke zwischen beiden Teilen zu betonen und damit den zwar diskreten, dennoch selbstverständlichen Eingang zu generieren. Die Tiefe beinhaltet Weg und Bewegung, die Symmetrie dagegen Ruhe und Ausgeglichenheit. Dank dessen ist die Spiegelbildlichkeit wahrnehmbar (Abb. 8).
29 Grütter, 2015, S. 236. 30 http://www.wifa.uni-leipzig.de/fileadmin/user_upload/igb/Schweiz.pdf S. 19.
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Abb. 8:
Schulkomplex Ansicht von Südseite.
19
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23
Abb. 9:
(Seite 22, 23.) Analyse der Symmetrie der Nordwest- und Südostfassade. Abb. 10. (Seite 24, 25.) Analyse der Symmetrie der Nordost- und Südwestfassade.
Dank der Spiegelung zwei identischer Fassaden und des schmalen durch Eingänge generierten Abstands zwischen den Gebäuden wird der Komplex als eine Einheit gesehen. Die vier Schulgebäude sind zwar autonom, werden aber als Ganzes wahrgenommen. Damit hat Vacchini eine der wichtigsten angegebenen Voraussetzungen für diesen Bau erfüllt.31 Vacchini hat die äusseren Fassaden der Einheiten unterschiedlich behandelt. Sie wurden zwar aus den selben und gleich breiten, jedoch unterschiedlich angeordneten Elementgruppen zusammengestellt (Abb. 9, 10). Die Anwendung einer translativen Symmetrie bei den Fassaden, also eine Wiederholung gleicher Teile, hätte durch ihre Häufigkeit zur Verminderung des ästhetischen Wertes geführt. Vacchini gestaltete also die Fassaden in einer rhythmischen Ordnung und wiederholte in regelmässigen Abständen die gleichen einzelnen, doppelten oder verdreifachten Elementgruppen. Die einzelnen Fassaden sind axialsymmetrisch. Auch die wiederholten Elemente oder ihre Reihen weisen eine Spiegelsymmetrie auf. Die von Vacchini eingeplanten Fenster haben eine Unterteilung, mit je nach Fenstertyp zwei oder vier Achsen. Eine grosse Ausnahme bilden die wenigen Fenster mit nur einem Spiegelbild. Sie bezwecken die Verhinderung möglicher Monotonie und erzeugen eine Spannung. Dadurch verliert die Fassade etwas von ihrem Statischen und wirkt dynamisch. Zwar bewirkt der Rhythmus allein noch keine Ordnung32, verstärkt jedoch ein vorhandenes Ordnungsprinzip, das die sichtbare Stahlkonstruktion festlegt. „Während der Mensch die wechselseitigen Abstände zwischen den Dingen festlegte, führte er gleichzeitig Rhythmen ein: dem Auge sinnlich fassbare und in ihren Beziehungen untereinander offenbare 31 Errichtung vier unabhängigen Einheiten für jeweils 200 Schülern. Aus Vacchini, 1980, S. 3 32 Grütter, 2015, S. 242.
24 189
Rhythmen. Und diese Rhythmen sind der Ursprung alles menschlichen Handelns.“33 Der Rhythmus beschränkt sich also nicht auf die Architektur. Wiederholungen in regelmässigen Abständen sind für den Menschen lebensnotwendig, deswegen werden sie positiv empfunden. Überall dort, wo es zu einer Zusammenfügung der Teile kommt, kann eine Rangordnung, eine Hierarchie entstehen.34 Es gibt viele Möglichkeiten der Bildung von Hierarchie bei verschiedenen Anordnungen von Elementen. In diesem Gebäude unterstreicht Vacchini das Horizontale, das dank dickerer doppelt T Profile und in ihnen entstehenden Schatten hervorgehoben wurde. Das ist eine Folge des konstruktionsbedingten Entscheides35, der einen grossen Einfluss auf die Hierarchie der Teile und somit auf das Erscheinungsbild des Gebäudes hat. Eine Trennung zwischen Entwurf und Konstruktion ist somit falsch. Dies hat auch Vacchini immer betont.
33 Le Corbusier, 1969, S. 65. 34 Grütter, 2015, S. 245. 35 Ebenda. S. 243.
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25
Bei der Symmetrie in der Breitendimension wird das Erleben von Tiefe unterdrückt und das Frontale sowie Flächige betont.36 Deswegen sind die Fassaden des Innenhofes anders als die äussere ausgebildet. Die primäre, „flache“ Struktur, die das rot lackierte Stahlskelett bildet, ist noch stärker als von der äusseren Seite des Gebäudes hervorgehoben. Dies wurde dank tieferer Einsetzung der sekundären Struktur (Fenster und Paneelen) möglich. Die Spiegelbildlichkeit in dieser Dimension ist jedoch nicht absolut, da bei der optischer Wahrnehmung die beiden Seiten nicht gleichwertig sind. Dieser Unterschied wird aber nicht bewusst wahrgenommen.
Abb. 11: Schulkomplex Innenhof.
Wenn die Ansichtspläne der inneren37 und äusseren Fassaden gegenüber gestellt werden, weisen sie die gleichen Regeln und Prinzipi-
36 Grütter, 2015, S. 236. 37 Es handelt sich um Fassaden des Innenhofs.
26 191
en auf. Bei der Gestaltung der Fassaden des Innenhofes wurden die gleichen Elemente, wie bei den äusseren zusammengefügt. Diesmal wurden sie jedoch zugunsten der Arkadengänge und gedeckten Aussenräume tiefer eingesetzt (Abb. 11). Sich von der Achse entfernend kommen die gedeckten Umgänge, und die Loggien auf dem obersten Geschoss immer stärker vor. Die Symmetrie wird hier wieder in der Tiefendimension wahrgenommen. Der vier Achsen besitzende Hof, der an einen Platz mit Arkaden erinnert, ermöglicht eine schnelle Verbindung zwischen den vier Schulgebäuden und dient als Ort für Austausch zwischen den Schülern. Die zentrale Beschaffenheit verhindert das Gefühl einer Zugehörigkeit zum einen Gebäude. Jeder ist gleichberechtigt, den Hof zu nutzen, er scheint allen zu gehören (Abb. 12). Der grosse Tiefenunterschied der Fassaden und dadurch entstehende Schatten bringen eine Unruhe, die die symmetrische Anordnung auszugleichen versucht. Dadurch entsteht eine grosse Spannung im Hof, der im Gegenteil zur äusseren Erscheinung der Bebauung lebendig und ermunternd wirkt. Das Innere ist wie eine andere Welt.
Abb. 12:
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Grundriss Innenhof.
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Abb. 13: (Seite 28.) Grundriss Erdgeschoss. Abb. 14. (Seite 29.) Grundriss Obergeschoss.
Auf den Plänen der einzelnen Schulgebäude ist keine Symmetrie zu finden. Das Thema der Hierarchie zieht sich dagegen durch die ganze Anlage. Aus den Grundrissen springt eine Verdopplung der Stützen ins Auge, die statisch gesehen nicht nötig sind und die Ordnung zu stören scheinen. Dadurch entstehen jedoch ungleichwertige Räume, die eine Spannung erzeugen. Sie bieten den Schülern differenzierten Raum für ihrem Alter entsprechende, immer komplexere Kontakte. Nicht zu übersehen ist die unterschiedliche Gestaltung der Turnhalle und Mensa. Die Turnhalle besitzt nur eine Achse, während die Mensa als zentralsymmetrisch konzipiert wurde.38 Höchstwahrscheinlich ist dies ein Ergebnis der Verwendung einer anderen, obwohl ähnlichen, Stahlkonstruktion bei der Turnhalle. Genau genommen weist sie zwei getrennte Tragwerke (Vorhalle, eigentliche Sporthalle) auf. Die Überdachung der grossen Halle wurde durch ein Stahlfachwerk realisiert. Durch eine blaue Lackierung wurde die Tragstruktur dieses Gebäudes hervorgehoben.39 Abhängig von der Seite, von der man sich der Turnhalle nähert, wird die Symmetrie entweder in der Breiten- oder Tiefendimension erlebt. „Elementares Bauen ist auf eine einfache, unmittelbar eigene Gestalt gerichtet. Mit Hilfe von Technik und Wissenschaft sind bauliche Probleme zwar lösbar, die Technik verlangt aber nach schöpferischen Ideen. Die Erscheinungsform dieser technischen Ästhetik wird so zur Grundlage der funktionalen und konstruktiven Gestalt; die technisch - mathematische Denkweise Livio Vacchinis ist die Voraussetzung für seine konstruktive Intelligenz. Konstruktive Intelligenz und technische Ästhetik bilden zusammen die tragfähige Grundlage dieser aufrichtigen Architektur.“ 40
38 Eine Schlussfolgerung, die aus der Analyse der Grundrissen ausgezogen wurde. Aus dem Grund dem Mangel den Mensagebäudes Ansichtsplänen ist es unmöglich eine weitere Analyse durchzuführen. 39 Werner, Schneider, 1991, S. 30. 40 Blaser, 1994, S. 27
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5. Grundschule Collina d’Oro Montagnola 1982 Nach den Stahlgebäuden aus den siebziger Jahren, wandte sich Vacchini in den achtziger Jahren an eine substanziellere Ausdrucksweise. Eine wichtige Arbeit des Übergangs ist die Grundschule Collina d’Oro in Montagnola.41 Nach dem Gewinn des Wettbewerbes im Jahre 1978 erhält Vacchini die Gelegenheit, eine Schule im Zentrum des Dorfes als ein neues »Kapitol« des historischen Städtchens zu schaffen.42 „Als eine Art »palazzo pubblico<< fungierend, hatte der Schulneubau dabei die Aufgabe, die Hauptflanke des neu geschaffenen Kapitolsplatzes zum angrenzenden Hang hin zu fixieren. (…) Die hügelige Topographie und die kleinteilige Ortsstruktur erforderten eine schwere, kompakte Baukubatur, um sie im Ortsbild als ordnenden Parameter wirksam werden zu lassen.“43 Typologisch gesehen präsentiert sich der breite, wuchtige Baukörper als ein repräsentatives Gebäude, geradezu geeignet für die Funktion einer Schule. Die zweigeschossige Dreiflügelanlage ist streng axialsymmetrisch um den Innenhof angeordnet, dem die einstöckige, in den ansteigenden Hang eingegrabene Turnhalle umrahmt.44 Die klare Gebäudegeometrie bildet einen Kontrast zum malerischen Charakter der bestehenden Bebauung. Vacchini platziert die Eingangstreppe oberhalb des elliptischen Gartens in der Mitte der Symmetrieachse. Dank der dadurch entstehenden Interaktion schafft er eine Beziehung zum Platz (Abb. 15).
41 Norberg-Schulz, In Norberg-Schulz, Vigato, Vacchini, 1987, S. 10. 42 Masiero, 1999, S. 112. 43 Werner, Schneider, 1991, S. 72. 44 Ebenda. 1999, S. 73.
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31
32 197
Das einzige, das eine Tiefe auf den Fassaden aufzeigt, ist der schlicht und raffiniert ausgearbeitete, auf der Achse platzierte Hauptzugang. Alle Aussenfassaden sind sonst durchgehend flach gehalten wie eine eng anliegende Hülle. Dennoch fallen sie durch den gossen Farbkontrast der schwarzweissen Marmorplatten, die ein modulares45 Muster bilden, auf.
Abb. 15: (Seite 32.) Situationsplan.
Die Bewegungsrichtung der Symmetrie zu benennen versuchend steht man vor einer nicht einfachen Aufgabe. Das Gebäude von dem Platz aus betrachtend erscheint die Symmetrie in der Tiefendimension. Es ist durch die Terraingegebenheiten unmöglich, die ganze Fassade zu erfassen. Sie wird jedoch durch die sichtbare Spiegelbildlichkeit des oberen Fassadenteils unterbewusst „ergänzt“ und als ganz sichtbar wahrgenommen (Abb. 16).
45 Es handelt sich um das Modular von Le Corbusier. Die Grundeinheiten 1,13 m und 2,26 m wurden mit der «goldenen» Zahl 1,618 multipliziert. In Blaser, 1994, S. 137.
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Abb. 16: Anicht von der Platzseite.
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Abb. 17: (Seite 34.) Ansichtspläne Von oben: Westseite, Nordseite, Ostseite, Westseite Innenhof, Nordseite Innenhof.
Abb. 18: (Seite 35.) Analise der Ansichtspläne.
Eine Symmetrie in der Tiefendimension soll die Tiefenwahrnehmung verstärken, und das tut sie auch überraschendweise bei diesem Gebäude, nur anders als im vorherigen Beispiel. Die glatte Fassade ist ein Spiel mit Proportionen und Transparenz. Das Letztere ist in der schmucklosen und einfachen Konstruktion das, worauf es ankommt. Durch die Fenster ist nicht nur die Tiefe sondern auch die Gebäudefunktion sichtbar. Die lange Nordfassade weist eine unpaarige Symmetrie auf, da die Spiegelungsachse einen Säulenzwischenraum und Eingangsbereich, also ein Leerfeld bildet.46 Aus den Fassadenbildern kann man leicht die innere Gliederung der Räume ablesen. Die auf allen Seiten fünf mal wiederholte Komposition47 wiederspiegelt die fünf paarweise einander zugeordneten Klassenzimmer. Zur Gestaltung den rhythmischen Variationen nutzt Vacchini die gleiche, unpaarige Symmetrie (Abb. 17, 18). Vor der Treppe stehend ändert sich die Wahrnehmung, was gleichzeitig die Spannung steigert. Eine Fassadenseite verschwindet hinter der Hecke, was das Spiegelbild unterdrücken sollte, das jedoch im Gedächtnis erhalten bleibt. Die Treppe zurücklegend soll die ganze Frontseite erscheinen, die aber wegen ihre Breite ausser Sichtweite und dadurch schliesslich nicht in der Breitendimension wahrnehmbar ist. Dieser Moment wird aber meist vom Betrachter übersehen, da die ganze Aufmerksamkeit auf den Eingangsbereich gerichtet wird, wodurch die Suche nach dem Spiegelbild „vergessen geht“. Ganz im Gegensatz zur Flachheit der Aussenform ist der Innenhof lebendig, von wuchtigen Eck- und Mittelpfeilern und tief verschatteten Loggien im Erdgeschoß, dickleibigen Säulenreihen und massiven
46 Blaser, 1994, S. 137. Abb. 19: Eingangssituation.
47 Mit einer Ausnahme bei der Eingang, wo am Erdgeschoss die Elemente anders angeordnet wurden.
36 201
Brüstungsbändern im Obergeschoss beherrscht 48 (Abb. 19). „Ich habe mit dem Begriff »Schule« immer die Vorstellung von Laubengängen und Galerien verbunden, und dieser Gedanke liegt dem Projekt zugrunde. Außerdem wollte ich erreichen, dass die Schule die drei Funktionen verkörpert, die ein öffentliches Gebäude erfühlen kann: als Markstein, der das Dorfzentrum prägt; als Tor, durch das man eine andere Welt betritt; als Ort, an dem man sich wohlfühlt.“ 49 Im Innenhof nutzt Vacchini eine paarige Symmetrie, da die Spiegelungsachse ein Pfeiler, also ein Körper ist. Sie ist sowohl in der Tiefen- als auch Breitendimension erlebbar (Abb. 17, 22). Durch den Wechsel von der unpaarigen zur paarigen Symmetrie entsteht ein Kontrast. Die Seiten ergänzen sich, und das einerseits monumentale und anderseits eher feierliche Gebäude wird in ein intimes Ganzes transformiert (Abb. 20).
Abb. 20: Innenhof.
48 Werner, Schneider, 1991, S. 72. 49 Blaser, 1994, S. 68.
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Während die Hierarchie der äusseren Fassaden sehr dezent das Horizontale akzentuiert, ist sie bei der Gestaltung des Innenhofes bewusst ad absurdum, wie in der Folge beschrieben, geführt worden. Auf der West- und Ostseite des zweigeschossigen Innenhofes lastet das Dach auf fünf Stützen, während die gesamte Gebäudelast im Erdgeschoss nur noch von zwei Eckstützen getragen wird.50 Der menschliche Verstand sagt, dass das untere Geschoss mehr Stützen haben sollte, weil es mehr tragen muss. Vacchini hat die Hierarchie der Lastverteilung umgedreht.51 Dies wurde dank neuer Technologien möglich.52 Die überdimensionierten Stützen im Obergeschoss verstärken zusätzlich die Widersprüchlichkeit in der optischen Wahrnehmung.
50 Grütter, 2015, S. 247. 51 Ebenda. S. 247. Abb. 21: Säulengang.
52 „Die Brüstung im Obergeschoss ist als tragender Balken ausgebildet, der die Last aufnehmen kann.“ In Grütter, 2015, S. 247.
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Das Verständnis für das Funktionieren des statischen Systems kann nur ein Fachmann haben. Für die Laien ist diese scheinbare Absurdität unverständlich, jedoch spürbar. Trotz der einfachen Geometrie und strengen Symmetrie entsteht dadurch im Gebäudehof eine starke Spannung53 (Abb. 20-22). Eine ähnliche Situation ist im Bereich des Haupteinganges vorzufinden. Im Erdgeschoss steht eine Säule auf der Achse, also inmitten des Weges. Es war „kein Muss“ sie dort zu platzieren, um die Last von oben aufzunehmen. Ganz im Gegenteil wird erwartet, die Stützen an der Stelle vorzufinden, wo sie im Obergeschoss stehen, damit der Verkehrsweg frei bleibt 54 (Abb. 22).
53 Grütter, 2015, S. 247.
Abb. 22: Eingangssituation in dem Innenhof.
54 Ebenda. S. 247.
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Je tiefer man ins Gebäude hineingeht, desto weniger ist die „steinerne von ausgeklügelten Proportionsideen bestimmte Monumentalität“55 spürbar. Durch die Gemeinschaftsräume, die die Säulengänge bilden, gelangen die Kinder in die liebevoll gestalteten, ganz mit Holz ausgekleideten, intim anmutenden Klassenzimmer. Dadurch wird ein ganz bestimmtes didaktisches Anliegen spürbar. Jeweils zwei Klassenräume wurden symmetrisch zueinander angeordneten, wo die Symmetrieachse in der Mitte des Vorraums liegt, der den beiden Klassenzimmer zugewissen ist. Somit wird die Raumhierarchie leicht akzentuiert.
Abb. 23: Grundriss Erdgeschoss.
55 Werner, Schneider, 1991, S. 72.
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„Die niedrigen, schattenspendenden Loggien und Brüstungen sollen wie ein robustes Passepartout wirken, das öffentliches Miteinander signalisiert, sich aber auch gegen die grandiose Landschaftskulisse der umgebenden Berge behauptet.“56
Abb. 25: Grundriss Klassenzimmer.
Abb. 24: Grundriss Obergeschoss.
56 Werner, Schneider, 1991, S. 73.
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6. Fazit „Er [Vacchini] ist ein Fetischist symmetrischer Ordnungen, und die Schule in Losone (1973) ist ein Extrem mit Symmetrien in Plan, Aufriss und Form. Die chaotische Umgebung wird demonstrativ mit dem Ordnungssystem der Symmetrie konfrontiert. In den kleinteiligen Strukturen und seiner Absicht der Humanisierung durch greifbare, sinnliche Detaillierung kommt aber auch der Sinn der Konstruktion an die Oberfläche.“57 Die Symmetrie beweist, dass die Form die Komplexität eines zeitgenössischen Bauwerks besiegt hat. Sie ist in der Lage, die Problematik der Komposition klar auszudrucken. Die Komposition ist eine Dialektik von Ordnung und Harmonie, weil durch die Harmonie die Ähnlichkeiten hergestellt werden und durch die Ordnung die Unterschiede geschaffen werden. 58 Das Gymnasium in Losone ist von dieser Dialektik bestimmt. Dies ist in den feinsten Variationen ersichtlich, wie zum Beispiel bei der Gestaltung der Fassaden mit rhythmisch wiederholten Elementgruppen, die nur kleine Unterschiede aufzeigen oder den in einer rhythmischen Reihe verdoppelten Stützen. Es ist bedauerlich, dass das Mensagebäude nicht realisiert worden ist, da sein Fehlen am Ort relativ stark bemerkbar ist. Man erwartet dort einen mit demjenigen der Turnhalle vergleichbaren Achsenabschluss. In Montagnola dagegen sind die rhythmischen Variationen Teil des architektonischen Gefüges. Die Harmonie wird mittels der Proportionen des Modulars von Le Corbusier hergestellt. Die multiplizierten Grundeinheiten 1,13 m und 2,26 m ergeben die harmonische Reihe, 57 Allenspach, 1998, S. 120. 58 Blaser, 1994, S. 137.
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die das Bauwerk bestimmt.59 Die Symmetrie ist für Vacchini ein gestalterisches Mittel, das ihm Spannung aufzubauen hilft. Er nutzte unterschiedliche Symmetriearten, die auch verschieden erlebt werden können. Die Seiten der jeweiligen Gebäude ergänzen sich und zwei Welten, ein Aussen und ein Innen, werden in ein Ganzes transformiert. Von aussen strahlen die Gebäude eine Ruhe aus, was von der Symmetrie herrührt. Die Fassaden sind ausgewogen und die Proportionen so abgestimmt, dass keine weitere Änderung vorstellbar ist. Dort können Elemente weder zugestellt noch weggenommen werden. Die in beiden Bauten an den Achsen platzierten Eingänge bestimmen den Weg, die Bewegungsrichtung. Das Innere, das für Vacchini die andere Welt sein sollte, ist auch anders ausformuliert. In den beiden behandelten Schulen sind die Höfe spannungsvoll und lebendig. Die Symmetrie spielt dort eine wichtige Rolle. Sie bringt die Ruhe und Abgewogenheit mit, die diese Räume brauchen, um nicht, anstatt von dieser Spannung, von Chaos beherrscht zu sein. Die Symmetrie ist auch streng mit den konstruktionsbedingten Entscheidungen verbunden. Einerseits lässt sich sagen, dass Symmetrie ein Ausdruck der Tragstruktur ist, die gleichzeitig ihre Vorbedingung bildet. Anderseits hat Vacchini auch die sekundären Strukturen als spiegelbildliche Elemente oder spiegelbildliche Elementgruppen vorgesehen, ohne welche die Symmetrie der Struktur nicht wahrnehmbar wäre. Es entsteht also ein starker Zusammenhang, sogar eine Abhängigkeit, was bestätigt, dass die Idee des Gebäudes und gleichzeitig seine Symmetrie „nie separat von der Idee seiner Konstruktion verstanden werden können.“60 59 Blaser, 1994, S. 137. 60 Ebenda. S. 7.
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In beiden Fällen wird die klare Gebäudegeometrie und ihre Symmetrie mit der Umgebung konfrontiert. Sowohl zu der chaotischen Umgebung in Losone als auch dem malerischen Charakter des Montagnola Dorfes bildet das Gebäude einen Kontrast, einen Widerspruch. Anhand dieser zwei Schulen wurde die Komplexität des Symmetriebegriffes aufgezeigt. Vacchini hat sie immer bewusst, gezielt und mutig angewendet. Dies zeigt auch, wie komplex die in ihrer Erscheinung klaren und einfachen Gebäudeformen tatsächlich sind. Die Gebäude sind wie eine Maschinerie. Livio Vacchinis Bauten, nicht nur die zwei behandelten Schulen, zeichnen sich durch eine Unaufdringlichkeit und eindeutige Symmetrie aus. Die Spiegelsymmetrien teilen eine Fassade oder einen Hof in zwei gleiche Teile auf. Vacchini verfolgt nicht die alte antropomorphe These von Vitruv, nach welcher ein Bau dem Menschen gleichen soll. Seine Architektur beschreibt viel mehr die Aussage von Otto Wagner: „Es liegt etwas Abgeschlossenes, Vollendetes, Abgewogenes, nicht Vergrößerungsfähiges, ja Selbstbewußtes in einer symmetrischen Anlage.“61
61 Behne, 1923, S. 22.
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„For Vacchini, architecture does not simply mean to solve a circumstantial problem, but to arrive at something of general value. He himself says that the meaning of architecture is to « add to nature`s gifts the benefit of the work of an ordering spirit».“1 1 Norberg-Schulz, In Norberg-Schulz, Vigato, Vacchini, 1987, S. 6.
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7. Quellenverzeichnis Literatur • Allenspach, Ch. (1998). Architektur in der Schweiz. Bauen im 19. und 20. Jahrhundert. (S. 120.) Zürich: Pro Helvetia. • • Beisl, H., Schuster, M., (1978). Kunst-Psychologie : „Wodurch Kunstwerke wirken“. (S. 49.) Köln : DuMont. • Blaser, W. (1994). Transformation- Livio Vacchini. Basel, Boston, Berlin: Birkhäuser Verlag. • Disch, P., (1994). Livio Vacchini architetto architect. Lugano : ADV. • Fumagalli, P., (1983). Das Material als Kompositionsmittel : Interkommunale Primarschule in Montagnola TI : Architekt Livio Vacchini. In: Werk, Bauen + Wohnen. Bd. 70. Heft 10. S. 31-35. • Grütter, J. K. (2015). Grundlagen der Architektur-Wahrnehmung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. • Joanelly, T., Vacchini, L., (2000). Im Geist ein Grieche: Werkstattgespräch mit Livio Vacchini. In: Schweizer Ingenieur und Architekt. Bd. 118 (10). S. 12-14. • Le Corbusier, (1969). Ausblick auf eine Architektur. Berlin: Ullstein Verlag. • Masiero, R., (1999). Livio Vacchini Works and projekts. Barcelona : Edytorial Gustavo Gili. • Moos, S., (1978). Notizen zu einigen neuen Schweizer Schulbauten. In: Werk – Archithese. Bd. 62. S. 26. • Norberg-Schulz, Ch., Vigato., J. C., Vacchini, L., (1987). Livio Vacchini. Barcelona: Edytorial Gustavo Gili.
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• Vacchini, L., (1980). Ginnasio Losone arch. Livio Vacchini Dipartimento pubbliche costruzioni, Sezione stabili erariali. Bellinzona: Economato dello Stato. • Vacchini, L., (2008). Capolavori : Texte von Livio Vacchini. In: Werk, Bauen + Wohnen. Bd. 98. S. 43. • Vitruv, (1981). 10 Bücher über Architektur. ( S. 137.) Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgemeinschaft. • Werner, F., Schneider, S., (1991 3.Aufl). Neue Tessiner Architektur: Perspektiven einer Utopie. Stuttgard: Deutsche Verlag- Anstalt. • (1975). Ecole secondaire de Losone : Architecte : Livio RessigaVacchini. In: Das Werk. Bd. 62. S. 40.
Internet: • Tendenza. Rationalismus in Tessin. Verfügbar unter: http://www. gta.arch.ethz.ch/lehrveranstaltungen/tendenza-rationalismusim-tessin • Behne, A., (1923). Der moderne Zweckbau. Verfügbar unter: http://web.uni-weimar.de/cms/uploads/media/Behne__ Adolf_-_Der_moderne_Zweckbau_2up_02.pdf • http://www.wifa.uni-leipzig.de/fileadmin/user_upload/igb/ Schweiz.pdf •
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Studio Vacchini. Verfügbar unter: http://attention.enterpriselab. ch/archi/index__gut.php?sprache=en&auswahl=4&bauten_ id=1503
7. Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Primarschule „ai Saleggi“ in Locarno. Verfügbar unter: http://www.junglekey.fr (14.04.2015) Abb. 2: Grundriss Gesamtanlage, Doppelturnhalle links unten. Aus: Werk, Bauen + Wohnen, 1981. Bd. 68. S. 17. Bearbeitet durch Autor. Abb. 3: Das Erleben der bilateralen Symmetrie der Bewegungsrichtung entsprechend: a) Breitendimension, b) Höhendimension, c) Tiefendimension. Aus: Grütter, 2015, S. 236. Abb. 4: Schulgebäuden. Verfügbar unter: http://www.smlosone. ti.ch/view_hom (11.05.2015). Bearbeitet durch Autor. Abb. 5: Schema der Bauphasen. Bearbeitet durch Autor. Abb. 6: Situationsplan. Aus: Vacchini, 1980. Bearbeitet durch Autor. Abb. 7: Schulkomplex Ansicht von Nordostseite. (24.04.2015) Abb. 8: Schulkomplex Ansicht von Südseite. © archivio studio vacchini. Verfügbar unter: Studio Vacchini. (25.03.2015) Abb. 9: Analyse der Symmetrie der Nordwest- und Südostfassade. Bearbeitet durch Autor. Abb. 10: Analyse der Symmetrie der Nordost- und Südwestfassade. Bearbeitet durch Autor. Abb. 11: Schulkomplex Innenhof. © archivio studio vacchini.Verfügbar unter: Studio Vacchini. (25.03.2015) Abb. 12: Grundriss der Innenhof. Aus: Das Werk. Bd. 62. S. 40. Bearbeitet durch Autor. Abb. 13: Grundriss Erdgeschoss. Aus: Vacchini, 1980. Bearbeitet durch Autor. Abb. 14: Grundriss Obergeschoss. Aus: Vacchini, 1980. Bearbeitet
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durch Autor. Abb. 15: Situationsplan. Aus: Blaser, 1994, S. 69. Bearbeitet durch Autor. Abb. 16: Ansicht von der Platzseite. Verfügbar unter: http:// www.collinadoro.com/index.php?node=83&lng=1&r if=0787753395. Bearbeitet durch Autor. Abb. 17: Ansichtspläne. Von oben: Westseite, Nordseite, Ostseite, Westseite Innenhof, Nordseite Innenhof. Aus: Blaser, 1994, S. 72. Bearbeitet durch Autor. Abb. 18: Analise der Ansichtspläne. Pläne aus: Blaser, 1994, S. 72. Bearbeitet durch Autor. Abb. 19: Eingangssituation. Verfügbar unter: http://thequietestmoments.tumblr.com/post/117598300043/scuola-a-montagnola-l-vacchini. Bearbeitet durch Autor. Abb. 20: Innenhof. © archivio studio vacchini. Verfügbar unter: Studio Vacchini. (25.03.2015) Abb. 21: Säulengang. © archivio studio vacchini. Verfügbar unter: Studio Vacchini. (25.03.2015) Abb. 22: Eingangssituation in dem Innenhof. © archivio studio vacchini. Verfügbar unter: Studio Vacchini. (25.03.2015) Abb. 23: Grundriss Erdgeschoss. Aus: Fumagalli, 1983, S. 32. Bearbeitet durch Autor. Abb. 24: Grundriss Obergeschoss. Aus: Fumagalli, 1983, S. 32. Bearbeitet durch Autor. Abb. 25: Grundriss Klassenzimmer. Aus: Fumagalli, 1983, S. 32. Bearbeitet durch Autor. Alle hier nicht eigens nachgewiesenen Abbildungen stammen vom Autor.
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ThemenĂźbersicht der weiteren Arbeiten
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Die Mauern von Monte Carasso Eine Collage
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, S. 55. .
Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2015 Horw, 16.06.2015
Verfasser: Philippe Arnet Obgardistrasse 16b 6043 Adligenswil Dozenten: Dr. Christoph Wieser Dr. Oliver Dufner Abstract Lucerne University of Applied Sciences and Arts Die vorliegende Vertiefungsarbeit befasst sich mit der Analyse der Mauern des Tessiner Dorfes Monte Carasso, das sich westlich von Hochschule Luzern Technik und Architektur Bellinzona befindet. Geleitet von der Aussage des Architekten Luigi Snozzi, dass die Umfriedungsmauern der Kontrolle des öffentlichen Raumes dienen1, wird im Hauptteil der Arbeit die Mauer auf verschiedenen Betrachtungsebenen untersucht. Ausgegangen wird von der gebauten Mauer, wie sie an vielen Stellen im Dorf Monte Carasso anzutreffen ist. Es wird untersucht, welche Auswirkungen dieses Bauelement auf die Dorfstruktur hat. Es werden Themen behandelt wie die Umfriedungsmauer als gebautes Element und deren Materialisierung, die Auswirkung auf die innere Verdichtung des Dorfes, die Ringstrasse sowie die Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit. Dabei stellt sich die Frage, welche Bedeutung den Mauern zukommt. Die Arbeit zeigt auf, dass Mauern nicht nur zwei Bereiche voneinander trennen: Sie sorgen dafür, dass verloren gegangene Strukturen und Qualitäten des Dorfes wieder spürbar werden, und wie es Luigi Snozzi sagt: „Die wahre Struktur des Dorfes sind die Mauern und nicht die Häuser.“2
Die Mauern von Monte Carasso
Philippe Arnet
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Der Ort im Inneren Am Beispiel von drei Einfamilienhäusern von Luigi Snozzi
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2015 Luzern, 16.06.2015
Verfasserin: Heidi Brun Museggstrasse 6 6004 Luzern Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser
Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur
Abstract Im Rahmen des Moduls Vertiefungsarbeit FS15 mit dem Thema „Aufbruch ins Eigene - Tessiner Tendenza und ihre Folgen“ befasst sich die vorliegende Vertiefungsarbeit mit dem Thema des Ortes im Inneren. Es wird aufgezeigt, welche Rolle der Ort in der Tessiner Tendenza sowie in der Auffassung von Luigi Snozzi spielt. Insbesondere wird eine Transformation des Ortes auf das Innere eines Bauwerkes hergeleitet und aufgezeigt, durch welche Eigenschaften der Ort im Inneren ausgezeichnet wird. Die Eigenschaften des Ortes im Inneren werden anhand von drei Einfamilienhäusern von Luigi Snozzi untersucht. Die Arbeit liefert Antworten auf die Frage, wie der Ort im Inneren bei den jeweiligen Häusern in Erscheinung tritt.
Der Ort im Inneren
Heidi Brun
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HORIZONTALITÃ&#x201E;T AM HANG innerhalb der Tessiner Architektur
Michael Hurni
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Semesterarbeit Frühlingssemester 2015 Horw, 16.06.2015
Verfasser: Michael Hurni St. Karlistrasse 2 6004 Luzern
Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser
ABSTRACT Lucerne University of Applied Sciences and Arts Die vorliegende Vertiefungsarbeit befasst sich mit der Beziehung zwischen den künstlich geschaffenen horizontalen Ebenen und der natürlichen UmHochschule Luzern undWohnhäuser Architekturin einem abfallenden Gelände gebung. Dabei ist derTechnik Fokus auf innerhalb der Tessiner Architektur gerichtet. Dazu kommt, dass Gerardo Zanetti und Dieter Bachmann die Tessiner Architekten aufgrund ihres Alters in Väter und Söhne kategorisieren und ich deswegen einen Vergleich zwischen den Generationen in Bezug auf die eingangs erwähnte Untersuchung miteinbeziehe. Aus der Analyse einiger ausgewählten Bauten am Hang geht hervor, dass die Väter grundsätzlich einen differenzierten Umgang zur Natur pflegten als die Söhne und dass die untersuchten Gebäude der Söhne genau zu dem Zeitpunkt anders auf die Topografie reagierten, in welcher der Architekt Tita Carloni über einen stattgefundenen Wandel innerhalb der Tessiner Architektur sprach. Eine Ursache für diesen Wandel ist ebenso Gegenstand dieser Arbeit, doch möchte ich an dieser Stelle nicht zuviel verraten, sondern vielmehr dazu animieren diese Arbeit durchzulesen.
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Geometrie als Ordnungsprinzip Giancarlo Durisch als Vertreter der Tessiner Tendenza
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Vertiefungsarbeit Frühjarssemester 2015 Thema: „Aufbruch ins Neue - Tessiner Tendenza und ihre Folgen“ Horw, 16.06.2015 Verfasserin: Kristina Marxer Lowal 6 9496 Balzers Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur
Abstract Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Geometrie und der Ordnung im Entwurf des Wohn-Ateliers von Giancarlo Durisch, einem Vertreter der Tessiner Tendenza. Mit der Arbeit soll Durischs Haltung in Bezug auf Architektur und Geometrie aufgezeigt werden. Die Untersuchung geschieht anhand der Analyse des Entwurfes durch die Publikation Martin Steinmanns „Tendenzen. Neuere Architektur im Tessin“. Die Themen in der Publikation werden jeweils mit dem Thema der Geometrie verflechtet. Die Analyse zeigt schnell den radikalen Umgang mit der Geometrie. Die Geometrie gilt als Ausgangspunkt des Entwurfs. Durisch lässt keine Ausnahme zu. Geometrie, Symmetrie, das Raster und die Materialität bestimmen den Entwurf.
Geometrie als Ordnungsprinzip
Kristina Marxer
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Vom Einzelnen zum Ganzen
Raumbildung durch Kleinteiligkeit dargelegt am Ginnasio Cantonale di Locarno 1961-63, Dolf Schnebli
Sarah Nussbaumer
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der Platz
die Klassenzimmer die Ă&#x2013;ffentlichkeit
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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 16.06.2015 Verfasser: Sarah Nussbaumer Neustadtstrasse 13 6003 Luzern Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik Architektur
abstract – Der ausschlaggebend Ansatz für dieses Thema war die 1975 in Zürich stattfindende Ausstellung „Tendenzen – Neuere Architektur im Tessin“. Jedoch liess sich schon viel früher eine Veränderung, bezüglich dem Umgang mit der Architektur und deren Kontext, ausmachen. Dies äusserte sich vor allem durch eine Architekturdebatte über den modernen Schulhausbau unter Alfred Roth. Das Frühwerk aus dem Jahre 1961-63 des Architekten Dolf Schnebli, Ginnasio Cantonale di Locarno gilt als eines der prägendsten Gebäude aus dieser Zeit. Der Einfluss der gesellschaftlichen Situation während der 60 er Jahre, die Entstehungszeit des Schulgebäudes, wird durch eine intensivere Analyse verdeutlicht. Dabei sind Einflüsse von verschiedenen Bezügen, zu Baustrukturen und Typologien aus seinen Reisen entscheidend. Diese Hintergründe und die persönliche Anschauung des Architekten im Umgang mit dem Schulhausbau sind für den Entwurf von grosser Bedeutung. Dabei werden auch strukturalistische Ansätze erkennbar, welche in seinen wesentlichen Elementen herausgearbeitet werden. Dabei basiert die Untersuchung auf den drei konzeptionellen Thesen formuliert durch Dolf Schnebli: - Der Umgang mit der Landschaft als gestaltete Umwelt - Der Gedanke einer „Schule als offenes Haus“ - Das quadratische Klassenzimmer, als Atmosphäre der Konzentration
Titelbild Konzeptskizze der Raumzusammenhänge von Dolf Schnebli. gez.: Sarah Nussbaumer
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Kantonales Gymnasium in Morbio Inferiore Das Licht als verbindendes Element zwischen Mario Botta und Louis Kahn
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2015 Horw, 15.06.2015
Verfasser: Ivo Oberholzer Eichenweg 5a 6438 Ibach Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser
Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur
Abstract Die vorliegende Vertiefungsarbeit befasst sich mit der Objektanalyse des Kantonalen Gymnasiums in Morbio Inferiore von Mario Botta. Eine einleitende theoretische Grundlage widmet sich Louis Kahn als beeinflussende Persönlichkeit für die Arbeiten des Tessiner Architekten. Anhand der Gegenüberstellung von Botta und Kahn entpuppt sich das Licht als gemeinsamer Nenner. Im Hauptteil wird das gebaute Objekt, anhand von vier Raumabschnitten, unter dem Begriff des Lichts schrittweise untersucht und beschrieben. Mit den gezogenen Schlussfolgerungen wird die Arbeit abgeschlossen und ordnet die Erkenntnisse zwischen Botta und Kahn ein.
Kantonales Gymnasium in Morbio Inferiore
Ivo Oberholzer
Abb. 1.
Titelbild: Architektenporträt in der Mittelachse
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Botta und die Symmetrie Die Symmetrie als zentrales Element in Mario Bottas Einfamilienhäusern
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2015 Horw, 16.06.2015
Verfasser: Gregor Wolfgang Schuler St. Wolfgangstrasse 71a 6331 Hünenberg Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser
Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur
Abstract Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Einsatz der Symmetrie in der Arbeit Mario Bottas. In drei Kapiteln wird den Fragen nachgegangen «Woher kommt Bottas Liebe für die Symmetrie?», «Wie setzt Botta die Symmetrie ein?» und «Was bewirkt sie?». Dazu wird im ersten Teil Bottas Entwicklung in den ersten Jahren aufgezeigt. Der zweite Teil befasst sich allgemein mit den verschiedenen Symmetriearten. Im dritten Teil werden die Symmetrien anhand des Einfamilienhauses in Daro aufgezeigt und beschrieben. Es bestätigt sich der grosse Einfluss Louis Kahns in Bottas Arbeit. Doch die Arbeit zeigt auch Bottas eigenen Stil, seinen Umgang mit strengen Symmetrien, die er entwickelte und die er zu seinem unverkennbaren Markenzeichen machte.
Botta und die Symmetrie
Gregor Wolfgang Schuler
Abb. 1. Foto Titelblatt: Einfamilienhaus in Daro, 1989-1992. Frontfassade
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Der Reihe nach Die Bedeutung der architektonischen Reihung am Beispiel von drei Projekten von Luigi Snozzi.
Vertiefungsarbeit FrĂźhlingssemester 2015 Horw, 16.06.2015
Verfasser: Marija Simic Bachtelstrasse 27 8400 Winterthur Dozenten: Dr. Christoph Wieser Dr. Oliver Dufner 232
Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur
, 1997, S. 43.
Abstract „Das räumlich- volumetrische Gebäude lebt von der Reihung gleichartiger Elemente und setzt der gängigen Ideologie des vermeintlichen „Vielfalt durch Unterschiedlichkeit“ das Prinzip der rhythmisierten Wahrnehmung entgegen.“ 1 Die Reihung ist ein Kompositionsprinzip, das in der Architektur angewendet wird. Das Thema ist nicht nur in der gebauten Architektur seit Jahrhunderten anzutreffen, sondern wird auch wiederholt in der Architekturtheorie reflektiert. Durch die Reihung verschiedener Elemente wird eine Ordnung im Entwurf entwickelt, welche das Gesamtbild des Projektes beeinflusst. Richtig eingesetzt, führt sie zu einem harmonischen Endergebnis. Die Architekten der Tessiner Tendenza haben sich mit verschiedenen Themen auseinandergesetzt. Das wichtigste jedoch war die Definition vom „Ort“. Dank diesem Denkansatz entstanden lineare Entwürfe, die eine Reihung von gleichen Bauelementen beinhalten. Besonders intensiv hat sich der Architekt Luigi Snozzi mit diesem Thema in seinen Entwürfen auseinandergesetzt. Das Ziel dieser Arbeit ist es, den Einfluss der Reihung als ein architektonisches Ordnungssystem in der Tendenza aufzuzeigen. Dies wird anhand von Snozzis Projekten Brissago (1972), Celerina (1973) und Verdemonte (1974) veranschaulicht. Durch die Analyse anhand des städtebaulichen-, des Gebäude- und des instrumentellen Massstabs ist es ermöglicht, die drei Projekte in verschiedenen Grössen genauer zu untersuchen. Die Resultate daraus zeigen auf, dass Snozzi sich bei seinen Entwürfen stark an der Reihung orientiert hat. Er gehört damit zu den Trägern der Reihung in der Architektur.
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Der Weg zum gebauten Ort Wegerschliessung und Topografie bei Mario Botta
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Vertiefungsarbeit Frühlingsemester 2015 Horw, 16.06.2015
Verfasser: Mirjam Strickler St. Jakobsstrasse 126 4052 Basel Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser
Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur
Abstract Diese Vertiefungsarbeit im Bereich der Tessiner Tendenza richtet seinen Fokus vor allem auf die Topografie und Umgebung und deren Einflüsse auf die Wegerschliessung. Diese Auseinandersetzung soll anhand von vier ausgesuchten Einfamilienhäusern vom Mario Botta aufgezeigt und analysiert werden. Diese unterschiedlichen Projekte lassen verschiedene Einflüsse der Umgebung und deren architektonischen Antwort darauf zu. Das Augenmerk wird dabei vor allem auf das Verhältnis zwischen der Umgebung und der Erschliessung des Gebäudes gelegt und soll Aufschlüsse über die gegenseitige Beeinflussung geben. An Hand der vorangegangenen Analysen, sollen Unterschiede wie auch Parallelen festgehalten werden und so die topografischen Einflüsse auf die Architektur verdeutlichen.
Der Weg zum gebauten Ort - Wegerschliessung und Topografie bei Mario Botta
Mirjam Strickler
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Orte erschaffen Analyse am Beispiel von Schulbauten der Tessiner Tendenza
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2015 Horw, 16. Juni 2015
Verfasser: Aurélien Véry Rue du Perron 29 1196 Gland Dozenten: Dufner, Oliver Wieser, Christoph
Abstract Diese Arbeit analysiert, am Beispiel von drei Schulen, wie Orte in der Tessiner Tendenza erschaffen wurden. Nach einem ersten Teil, der eine Definition vom Ort mit Hilfe von mehreren Texten der Architekturtheorie anbietet, werden die Sekundarschule in Morbio Inferiore von Mario Botta, die Sekundarschule in Locarno von Dolf Schnebli und die Primarschule in Monte Carasso von Luigi Snozzi analysiert, um zu ermitteln welche Elemente und Strategien eingesetzt wurden, um einen Ort zu erschaffen. Letztendlich wird festgestellt, dass die Schulen auf unterschiedliche Weisen zu Orten gestaltet werden und sehr verschiedene Charakteristiken besitzen, was durch die verschiedenen Vorstellungen von ‚Ort‘ der jeweiligen Architekten erklärt werden kann.
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Der städtische Leerraum Luigi Snozzis Wettbewerbsbeitrag für den Marienhof in München
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Vertiefungsarbeit Frühjahrssemester 2015 Verfasser Friederike Walecki Schloßstrasse 18 D- 33104 Paderborn Dozenten Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser
Abstract Die vorliegende Arbeit mit dem Titel „Der städtische Leerraum Luigi Snozzis Wettbewerbsbeitrag für den Marienhof in München“ befasst sich mit der städtebaulichen Haltung des Schweizer Architekten Luigi Snozzi, Hauptakteur der Tessiner Tendenza. Die Arbeit gibt einen Überblick darüber, was unter dem Begriff des „städtischen Leerraums“ zu verstehen ist und wie Snozzi dies am Beispiel des Marienhofs in München interpretiert und bei seiner Platzgestaltung umsetzt. In einem mit ihm geführten Interview (Toszeghi, Arnet, Walecki, Locarno 2015) spricht Snozzi von der Notwendigkeit der städtischen Leere und dass diese heute jedoch nur noch eine übergebliebene Restfläche in der Stadt darstelle, weil die Architekten unfähig seien eine Stadt zu planen. Eine vorangestellte theoretische Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit der städtischen Leere im Allgemeinen und der des öffentlichen Platzes als städtischer Leerraum sowie die städtebauliche Haltung Snozzis soll eine Grundlage für die spezifische Analyse des Wettbewerbsprojekts bilden. Im Hauptteil wird der Entwurf Snozzis für den Marienhof in München hinsichtlich seiner Gestaltungselemente schrittweise untersucht und beschrieben, um die Strategien und Herangehensweisen Snozzis für die Gestaltung des Platzes aufzuzeigen und dessen Bestrebungen im Hinblick auf die Notwendigkeit und Funktion der Leere in der Stadt zu verdeutlichen. Dabei werden Aspekte wie beispielsweise der geschichtliche Bezug, die raumdefinierenden Elemente und die Nutzung bzw. Funktion des Platzes betrachtet. Abschließend werden die gewonnenen theoretischen Erkenntnisse und Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst und reflektiert. 239
Die Schule als Stadt Ein Vergleich zweier Schulen von Livio Vacchini
Karolina Zgardzinski 240
Vertiefungsarbeit Sommersemester 2015 Vorübung Horw, 16.06.2015
Verfasser: Karolina Zgardzinski Gerliswilstraße 10 6020 Emmenbrücke Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser
Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur
Abstract Die vorliegende Vertiefungsarbeit befasst sich mit einem Vergleich der Primarschule Ai Saleggi in Locarno mit der Mittelschule in Losone von Livio Vacchini. Die Einleitung wird die Einflüsse und Vorstellungen von Livio Vacchini zum Thema vorstellen, die im zweiten Kapitel Schule als Stadt genauer definiert werden. Es werden seine Hintergünde, Ansichten und Bedeutungen zum Thema gezeigt, die dann im Vergleich der Schulen gefestigt werden. Durch die Analyse soll gezeigt werden, wie Livio Vacchini seine Ansichten mithilfe der Form, dem Ort, der Anordnung und Orientiertung umgesetzt hat und wie er bei beiden Schulen mit dem Thema der Schule als Stadt umgegangen ist.
Die Schule als Stadt
Karolina Zgardzinski
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La Pergola Verbindung zwischen Mensch und Natur
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Vertiefungsarbeit Frühlingssemester 2015 La Pergola - Verbindung zwischen Mensch und Natur Horw, 16.06.2015
Verfasser: Louis Zoller Bundesstrasse 7 6003 Luzern Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser
Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur
Abstract Die vorliegende Vertiefungsarbeit untersucht, an vier ausgewählten Bauten von Luigi Snozzi, den Umgang und die Rolle der Pergola. Als Verbindung zwischen Mensch und Natur, werden unterschiedliche Aspekte thematisiert. Dabei spielt die allgemeine geschichtliche Herleitung, sowie die Herleitung von den Merkmalen und Eigenschaften eine wesentliche Rolle. Dies dient der Grundlage für die anschliessende Untersuchung von den vier Bauten. Jeder Bau untersteht einer separaten Untersuchung, mit eigenen
Titelbild: Holzschnitt aus Italien,
Untersuchungskriterien. Dabei soll am Schluss nicht der Vergleich im Zen-
Eine Wanderung von den Alpen
trum stehen, sondern die unterschiedlichen Lösungsansätzen der Bauten.
bis zum Aetna, Stuttgart 1876
La Pergola - Mensch und Natur
Louis Zoller
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Bautensteckbriefe
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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb
Bautenkatalog Mehrfamilienhaus via Pratocarasso / via Vallone Bellinzona Roberto Bianconi 1965 bis 1972 Bianconi versuchte bei diesem Objekt die Forderung nach preisgünstigem Mitwohnungsbau mit seiner Vorliebe für den historischen Wohnungsbaus zu kombinieren. Er verfolgte unter anderem das Thema der Veranda als Raum im Freien, eine spezielle Behandlung des obersten Geschosses und neutral nutzbare Zimmer. Der Grundriss beinhaltet einen kleinen Gang zur erschliessung aller Räume, zusätzlich ermöglichen direkte Verbindungen eine freie Raumzirkulation. Ein bewusster Umgang mit dem Licht schafft verschiedene Stimmungen von Massiv - schattig bis zu ganz Verglast - hell. Das Attikageschoss zeichnet sich durch die Organisation um das eingefügte Atrium und das begehbare Dach aus.
Literaturhinweis Schett, W. (2012). Tessin - Schwerpunkt Architektur der 60er und 70er Jahre. Zürich: ETH Hönggerberg Steinmann, M., Boga, T. (2010). Tendenzen - Neuere Architektur im Tessin (Nachdruck 3. Aufl. von 1977). Basel: Birkhäuser GmbH Bild: André Falabretti; Pläne: siehe Literaturhinweis 1
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Abb. 1. Situation Mehrfamilienhäuser Via Pratocarasso / Via Vallone, Bellinzona
Abb. 2. Grundriss Regelgeschoss
Abb. 3. Grundriss Attikageschoss
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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb
Bautenkatalog Postgebäude Bellinzona Viale Stazione 18A Angelo Bianchi, Aurelio Galfetti und Renzo Molina 1968 (Wettbewerbsgewinn) 1977-1985 Mit seinen Dimensionen bestimmt dieses Gebäude die historische Strassenführung vom Bahnhof in die Altstadt. Im Bewusstsein dieser für die Stadt entscheidenden Rolle nimmt seine Architektur Ausmasse und Formen an, die zu der Typologie der Fronten der vorher existierenden Gebäude gehören, verzichtet jedoch – eben wegen seiner bedeutenden Ausmasse – nicht darauf, eine autonome und bestimmende Bedeutung innerhalb der Struktur der Stadt einzunehmen. Polierter und matter Marmor unterstützt auf raffinierte Weise historische Zitate, wenn auch innerhalb einer formalen Welt, die im wesentlichen an den Rationalismus gebunden bleibt.
Literaturhinweis Zadini M. (1985). Rationalität in Marmor. In: Werk, Bauen + Wohnen. Geschichte(n) für die Gegenwart. Bd. 72 (9) S. 32-39.
Bilder: siehe Literaturhinweis; Pläne: siehe Literaturhinweis
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Vertiefungsarbeit
Bautenkatalog
Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung
Casa Caccia A Piantürin 5, 6593 Cadenazzo TI Mario Botta 1970 1971
Kurzbeschrieb
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Ein nach aussen rechtwinklig, langgezogenes Gebäudevolumen steht als eigenständiger, introvertierter Fremdkörper in der Tessiner Landschaft. Die Kurzseite des Gebäudes legt sich 2
an den flach ansteigenden Südhang des Monte Cenerimassivs und definiert die Ausrichtung und die Konzeption des Hauses. Die Fassade wird durch einen tiefen, abgewinkelt angesetzten Einschnitt auf der Westseite und grosse, tief eingeschnittene Okuli bespielt. Die Wohnräume sind auf drei Wohngeschossen organisiert, wobei kaum bauliche Abtrennungen zwischen einzelnen räumen bestehen. Nach Norden ist eine innerhalb der Aussenwand liegende, mehr1
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geschossige Terrassenanlage vorgelagert, die in engem Bezug zu den Wohnräumen und zur umliegenden Landschaft steht. 8
Literaturhinweis
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Pläne: ©2015 Peter Osterwalder
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Erdgeschoss
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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb
Bautenkatalog Casa Unifamiliare «Bianchi», Riva San Vitale Via Fomeggie, 6826 Riva San Vitale Mario Botta 1971 1971-1973 Fährt man von der italienischen Grenze in Chiasso in Richtung Lugano auf der Autobahn, erkennt auf dem gegenüberliegenden Ufer des Luganer Sees einen alleinstehenden Wohnturm. Dieser nimmt im Ausdruck eine oppositionelle Haltung gegenüber einfallsloser Architektur ein und ist zugleich tief verwurzelt mit der Gegend. Die Entscheidung für eine reduzierte Grundfläche des Baukörpers verdeutlicht die Auseinandersetzung mit den morphologischen Gegebenheiten dieser steilen und unzugänglichen Landschaft und zeugt von dem Willen, jedes noch so kleine natürliche Element der Umgebung zu bewahren. Die in der Luft schwebende Metallbrücke soll dabei den Abstand zwischen natürlichem und künstlich geschaffenem Ambiente aufzeigen.
Literaturhinweis Pizzi, E. (Hg.). (1993) Mario Botta Das Gesamtwerk, Band 1, 1960-1985. Zürich: Artemis Verlags-AG. Bild: siehe Literaturhinweis Pläne: siehe Literaturhinweis
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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb
Bautenkatalog Kantonales Gymnasium in Morbio Inferiore Via Franscini 30, 6834 Morbio Inferiore Mario Botta 1972 1972-76 Die Schulanlage wird durch drei Bauten bestimmt. Der kleinste Bau, beinhaltet die Wohnung des Schulhausabwart. Direkt daneben gliedert sich die Turnhalle an. Die beiden Bauten bilden den Haupzugang zum Schulareal. Dahinter erstreckt sich das Hauptgebäude mit den Schulzimmer. Das Schulhaus übernimmt die Funktion als abschliessender Riegel zum Areal. Im Innenraum des Schulgebäudes zeugt die Haupterschliessung der Schulzimmer von einem starken räumlichen Ausruck. Dabei ist das Spiel von Licht und Material entscheidend für die Atmosphäre.
Literaturhinweis Botta, M. ([1975] 2010). Kriterien des Eingriffs und Ziel des Entwurfs, In Steinmann, M., Boga, T. (Hrsg), Tendenzen. Neuere Architektur im Tessin (S.23-26). Basel: Birkhäuser.
Bild: Louis Zoller; Pläne: siehe Literaturhinweis
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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb
Bautenkatalog Scuola Media via Vincenzo Vela, 6826 Riva San Vitale Giancarlo Durisch 1980 - 1982 Die Gundrissentwicklung der Scuola Media geht von der Geometrie des Quadrates aus. Vier identische Schultrakte spannen den quadratischen Innenhof auf und generieren gleichzeitig die Eingagnssituationen in den Ecken. Die Positive- und Negative Raumfigur prägen das Gebäude. Die vier Schultrakte weiten sich auf drei Geschosse aus. Der Zentrale Innenhof wird dominiert von einem Betonskelett und den Blickbeziehungen zwischen den einzelnen Geschossen und dem Aussenraum, durch die vier Ecken.
Literaturhinweis Jehle, W. (1988). Baumeister des Lapidaren : Giancarlo Durisch. Du, 10, S. 50-57.
Bild oben: siehe Literaturhinweis; Bild unten: www.fotomengani.ch
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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb
Bautenkatalog Bagno pubblico (Bad Bellinzona) 6500 Bellinzona Flora Ruchat-Roncati, Aurelio Galfetti, Ivo Trümpy 1967 (Wettbewerb) 1967-70 Aufgrund der Erbauung der Autobahn N 2 und dem damit verbundenem Weichen des bestehenden Schwimmbades, schrieb die Stadt Bellinzona 1967 einen Wettbewerb für ein öffentliches Freibad in Bellinzona aus. Galfetti, Ruchat, Trümpy lösten diese Bauaufgabe mit einem raffinierten städtebaulichen Element, welches der hauptsächliche Grund für die Erstprämierung ihres Projektes war: Ein über 300 Meter langer und 6 Meter hoher, elegant auf Stützen schwebender Betonsteg verbindet die Stadt Bellinzona mit dem Ufer des eingedeichten Flusses Ticino. Dieses Werk gilt als Auftakt für die Tessiner Tendenza.
Literaturhinweis Boga Thomas (1986). Tessiner Architekten. ETH Zürich. Steinmann Martin, Boga Thomas ([1975] 2010). Tendenzen. Neuere Architektur im Tessin. Birkhäuser Verlag Basel.
Bild und Pläne: siehe Literaturhinweis
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Erdgeschoss
Zwischengeschoss
Obergeschoss
(Badeanlage)
(Umkleidekabinen)
(Erschliessung)
Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb
Bautenkatalog Gymnasium Locarno Via Dr. Giovanni Varesi 30, Locarno Dolf Schnebli 1961 (Wettbewerbsgewinn) 1961 - 1964 Das Schulhaus liegt am südwestlichen Stadtrand von Locarno in einem eher zufällig bebauten Quartier. Die Raumanlage ist gegliedert in einen Klassentrakt mit 21 Zimmern, die sich übers Obergeschoss fortsetzen, einem Verwaltungstrakt und dem Spezialtrakt mit Turnhalle. Das Verbindungsglied zwischen diesen Raumgruppen bildet das Amphitheater, welches zugleich als Pausenplatz dient. Die öffentlichen Räume werden abends auch von Erwachsenen benützt. Der Gebäudekomplex zeichnet sich durch grosse Differenziertheit und plasitschen Charakter aus.
Literaturhinweis Roth, Alfred; Haymoz, Jean-Paul: Das neue Schulhaus. 4. Auflage. Verlag für Architektur, Zürich/Stuttgart (1950)1966
Bild: Schnebli, Dolf: Gymnasium Locarno und Bünzmattschule Wohlen AG, (Das) Werk, Band 53, 1966 Pläne: Wettbewerbspreisgericht: Kantonale Mittelschule in Locarno. Schweizerische Bauzeitung, Band 78, 1960
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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Realisierung Kurzbeschrieb
Bautenkatalog Haus Streiff, Minusio Via Mondacce 84, 6648 Minusio Dolf Schnebli 1968 Dolf Schnebli intressiert sich für architektonische räumliche Themen. Das erste Thema bezieht sich auf das Aufbauen von räumlichen gebilden aus ähnlichen Raumeinheiten. Das zweite Prinzip ist ein Ordnungssystem zu finden. Das räumliche Ordnungsprinzip führt zu einer konstruktiven Vereinfachung ohne den räumlichen Reichtum einzuschränken. Betreten wird das Haus in einen gedrückt wirkenden Eingangsbereich mit anschliessendem Esszimmer, Küche und einem Zugang zur Terrasse. Durch das Absetzen des Wohn- und Arbeitsbereichs entsteht der überhohe Raum. Eine Treppe hinabsteigend wird klar, dass die hausinterne Topografie in engem Bezug zum bestehenden Steilhang der Parzelle steht und gleichzeitig die Wohnräume zum Tal hin ausrichtet.
Literaturhinweis Seminarreise Herbstsemester 2012 Professur Wolfgang Schett. (2012). Dolf Schnebli (S.20-21). Zürich: Reprozentrale ETH Hönggerberg.
Bild: siehe Literaturhinweis; Pläne: siehe Literaturhinweis
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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb
Bautenkatalog Einfamilienhaus Casa Kalman Via Panoramica 66, 6645 Brione (Schweiz) Luigi Snozzi 1974- 1976 In die steile Hanglage oberhalb des Lago Maggiore eingebettet, befindet sich das nach den Entwürfen des Architekten Luigi Snozzi erbaute Einfamilienhaus der Familie Kalman in Brione. Die Wohnräume sind auf drei Etagen organisiert und werden über eine schmale Treppe im Inneren, welche parallel zur Außenwand nach Westen angelegt ist, erschlossen. Eine große Fensterfront auf der Südseite des Gebäudes durchflutet die Räume mit Licht, während das Bild der Ostfassade von kleinen Fensteröffnungen geprägt ist. Über den Wohnbereich auf der mittleren Ebene gelangt man auf die Außenterrasse, die dem Verlauf der Stützmauer und der Topografie des Geländes folgt. Eine Pergola bildet den Abschluss der Terrasse und rahmt den Blick auf den Lago Maggiore und die umliegenden Berge.
Literaturhinweis Casa Kalman in Brione abrufbar unter: http://www.techno.architektur.tu-darmstadt. de/media/architektur/fachgruppe_c/eug/verschiedenes/hbe_3/07_Luigi_Snozzi_-_Casa_ Kalman_Tessin_CH.pdf. Bild: siehe Literaturhinweis; Pläne: siehe Literaturhinweis
Untergeschoss
Mittelgeschoss
Obergeschoss
Ansicht Ost
Ansicht Süd
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Vertiefungsarbeit
Bautenkatalog
Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung
Monte Carasso 6513 Monte Carasso, TI
Kurzbeschrieb
Luigi Snozzi 1977 1979-heute Monte Carasso ist ein Dorf in der Agglomeration der Kantonshauptstadt Bellinzona. Als Snozzi 1979 das Dorf antrifft, ist das Kloster in 76 einzelne Parzellen unterteilt und die Struktur des ehemaligen Klostergebäudes stark verändert. Snozzi beabsichtigt, ein neues Zentrum für die Gemeinde zu schaffen. Dafür baut er das ehemalige Kloster in eine Primarschule um und belebt so den Kern des Dorfes. Der Eingriff stärkt das Zentrum und versammelt alle öffentlichen Nutzungen an einem Ort. Snozzi sieht die Entwicklung aber noch lange nicht als abgeschlossen. Mit seinem Wirken hat er aber ein solides Gerüst erstellt, in dem sich das Dorf weiterentwickeln kann.
Literaturhinweis Snozzi, L. (1995). Monte Carasso: Die Wiedererfindung des Ortes. Basel: Birkhäuser Verlag.
Bild: Philippe Arnet; Pläne: siehe Literaturhinweis
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Vertiefungsarbeit
1972 erste Bauphase 1975 zweite Bauphase 1977 dritte Bauphase Fotos: Alberto Flammer. Locarno
tung sowohl in der Form als auch in der Struktur zum Ausdruck bringen. Der neue Komplex soll soweit als
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möglich, entgegen der chaotischen Quartierentwicklung, eine Beziehung zu den historischen und zu den Umge¬ bungsgegebenheiten des Ortes wieder¬ herstellen. Der architektonische Raum soll eine treibende Kraft für eine qualitative pädagogische Tätigkeit und ein schöp¬ ferisches Dasein bilden. Der Architekt ist der Auffassung, dass für jedes schulische Alter ein unterschiedlicher architektonischer Raum konzipiert werden soll. Er denkt weniger an die Differenzierung der Raumprogramme nach den verschie¬ denen Schulstufen als an den «Kom¬ plexitätsgrad» des eigentlichen Rau¬ mes. In diesem Falle handelt es sich um eine Primarschule, das heisst um eine Institution für Kinder, die am Anfang ihrer Schulerfahrung stehen und des¬ halb noch nicht in der Lage sind, einen beziehungsreichen gemeinschaftlichen Alltag zu erleben. Der Architekt meint weiter, dass sowohl Sinn als auch Be¬ deutung eines gemeinschaftlichen All¬ tags nur innerhalb des Klassenverban¬ des assimiliert werden können. In einer kleinen Klassengruppe lernt das Kind unter günstigen Bedingungen verzich¬ ten zu können und sich selbst Grenzen zur eigenen Freiheit zu setzen, was für ein sozialorientiertes Dasein unerlässlich ist. In der Tat würde der Versuch, eine produktive Arbeit mit einer Gruppe von 100 oder mehr Schülern zu unternehmen, den Lehrer zwingen, eine Reihe von Normen, welche die zwischenmenschlichen Beziehungen regeln sollten, zu treffen. Diese ersten Überlegungen führten den Architekten dazu, das Klassenzimmer als den «vita¬ len Kern» des Projektes zu betrachten. Einen besonderen Aspekt bilden in der Schule auch die individuellen Un¬ terschiede, da jeder Schüler nach sei¬ nem Rhythmus lernt, seine gemachte Erfahrung selbst auswertet und seine speziellen Attitüden anwendet. Diese individuellen Unterschiede betreffen nicht nur den intellektuellen, sondern auch den sozio-emotionalen Bereich. Die Möglichkeit, eine individuelle Ar¬ beit durchzuführen, stellt ausser einem Anspruch des einzelnen auch eine Phase der Recherche und der Grup¬ penarbeit dar. Da das individuelle Sich-Zurückziehen in einem in der Praxis allgemein vereinheitlichten Raum von 60 m2 kaum denkbar ist, weist das Projekt grössere Klassen¬ zimmer auf. Die Beziehungen zwischen Klassenverbänden bilden in der Pri¬ marschule einen echten und eigenen Austausch von Erfahrungen, die inner¬ halb jeder Gruppe gemacht worden sind. Aus diesem Grunde sind im Pro¬ jekt die einzelnen Klassenräume als Teile eines Ganzen betrachtet und de¬ finiert worden. Aus dem direkten Kon¬ takt mit dem Aussenraum gewinnt der
Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung
Die neue Primarschule der Stadt Lo¬ carno wird nach ihrer Vollendung 600
Schüler aufnehmen können. Sie ist als Schuleinrichtung für das Stadtzentrum und das neue Quartier, welches sich auf dem Maggia-Delta entwickelt hat, ge¬ plant worden. Das Areal liegt in der Zone Saleggi, weist eine Fläche von rund 19 000 m2 auf und ist 700 m Luft¬ linie vom Stadtzentrum entfernt. Die Erschliessungsstrasse ist provisorisch, weil zurzeit der gesamte Richtplan
überarbeitet wird.
Der Standort Die in planenscher Hinsicht chaotische Situation der Zone Saleggi hat den Ar¬ chitekten motiviert, im Jahre 1970, unmittelbar nach Erteilung des Auftra¬ ges aufgrund des durchgeführten Wettbewerbs, dem Stadtrat einen Än¬ derungsvorschlag der Grundstück¬ grenzen zu unterbreiten. Tatsächlich hatte die Parzelle eine stark unregel¬ mässige Form, und die Anregung des Architekten zielte auf eine Begradi¬ gung des Umrisses im Sinne der Be¬ zugnahme auf die vorhandenen umlie¬ genden Natur- und Bauelemente. Er¬ staunlicherweise wurde dann der Ar¬ chitektenvorschlag für den neuen Si¬ tuationsplan als Grundlage bei der Überarbeitung des Quartierplans be¬ rücksichtigt. Drei Seiten der abgeän¬ derten trapezförmigen Parzelle haben nun präzise Beziehungen zu den drei umgebenden räumlichen Elementen: zu der Matrix des Stadtteils aus dem XIX. Jahrhundert, zum Wald und zur langen Pappelreihe, welche eine struk¬ turierte Grenze zur landwirtschaftli¬ chen Zone auf dem Maggia-Delta bil¬ det.
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Literaturhinweis
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Das Schulhaus liegt in Locarno auf dem Maggia-Delta in der Zone Saleggi. ******; Die Schulanlage % ffi ft y: ist grösstenteils eingeschossig und gliedert sich in drei-¦¦¦'¦¦'¦-,.,:,.. voneinander gelösten Baukörpern. ¦¦ £& ¦.:'¦:¦ ««:««,: a Ot Umgesetzt wurde3die Anlage in drei Etappen. Im Jahre 1972 wurde die erste Etappe erstellt, 1975 die zweite und schliesslich finale Bauphase. Die Schule ist als öffentliP 1977 startete dieä*to&.
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ches Gebäude angedacht, welches durch seine Form und die Struktur die Öffentlichkeit zum Ausdruck bringen soll. Insbesondere durch die einzelnen Schulräume, welche jeweils einen yr individuellen Aussenraum haben wird die Offenheit und der Bezug nach Aussen gestärkt.
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[s.n.] (1976). Oberstufenschulhaus Stettbach, Zürich- Schwamendingen. In: Das Werk, 63. Die allgemeinen Planungskriterien Jg. (7/8), S. 469-473 Die neue, zum grössten Teil einge¬ schossige Primarschulanlage besteht aus drei Teilen: A, der in Relation zur Matrix des Stadtteils aus dem XIX. Jahrhundert stehenden Gebäude¬ gruppe (erste Bauetappe): B, den in Relation zum Wald stehenden Reihen'bauten (zweite Bauetappe); C. dem in Relation zum Delta und zu seinen na¬ türlichen Gegebenheiten stehenden kompakten Bau (dritte Bauetappe). Folgende Konzepte bildeten die Grundlage zur Erarbeitung des Projek¬
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Kurzbeschrieb
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Primarschule «Ai Saleggi», Locarno Architekt: Livio Vacchim SIA, •Locarno; Mitarbeiter: J.Menoud, M.Vanetti, S.Nicola Ingenieure: Ingenieurbüro der Maggia S.A., Locarno
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Längsschnitt einer Klasseneinheit
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Situation A Erste Bauphase 1972: Gruppe heiten
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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb
Bautenkatalog Mittelschule in Losone Via Primore 13, 6616 Losone Livio Vacchini, Aurelio Galfetti 1973 1973-1975 Die Schule liegt auf einem freien Gelände am Stadtrand von Losone und grenzt im Osten an den Fluss Maggia. Sie bietet Platz für 800 Schüler im Alter von 11-16 Jahren. Die Schule besteht aus einem quadratischen Hauptgebäude und einer nebenstehenden Turnhalle. Ursprünglich sollten drei Gebäude gebaut werden, wobei nur zwei verwirklicht wurden. Insgesamt beträgt der Rauminhalt des Hauptgebäudes 38.000 qm, indem sich verschiedene Arten von Nutzung wie unter anderem, Klassenzimmer, Workshop-Räume und Computerräume befinden. Durch die quadratische Anordung des Hauptgebäudes ensteht in der Mitte ein zentraler Platz, der für verschiedene Anlässe genutzt wird.
Literaturhinweis studiovacchini.ch; Livio Vacchini aus Blaser, W. (1994), Transformation Livio Vacchini, Birkenhauser
Bild: siehe Literaturhinweis Pläne: siehe Literaturhinweis
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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb
Bautenkatalog Studio di Architettura Vacchini Via Bramantino 33, Locarno Livio Vacchini 1984-1985 Das Studio von und für Vacchini erbaut ist ein rechteckiges Gebäude, der alle Funktionen aufnimmt, die wir ein Architekturstudio nötig sind. Im Erdgeschoss befindet sich der Parkplatz, der von den Mauern der zwei kurzen Seiten eingerahmt ist und durch die Stützen unterteilt ist. Das 1. Obergeschoss, wo sich die Arbeitsplätze und Versammlungsräume befindet, trägt auf eben genannte Elemente, aber besitzt selbst nur die zwei Mauern an den Gebäude-Enden, die das 2. Obergeschoss tragen, sodass Licht auf der ganzen Gebäudelänge eindringen kann. Das 2. Geschoss ist wie eine Brücke gebaut, die eine Galerie für das Archiv über die Arbeitsplätze erschafft. Die blinden Fassaden bilden die Strukturelemente, die es ermöglichen auf eine stützenfreie Tragweite von 27,5m zu kommen.
Literaturhinweis Masiero, R. (1999). Livio Vacchini. Works and projects. Barcelona: Gustavo Gili.
Bilder: Alberto Flammer Pläne: siehe Literaturhinweis
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