Lieber böser Beton - Brutalismus in der Schweiz

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Masterstudiengang Architektur Essaysammlung Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014

Lieber bรถser Beton- Brutalismus in der Schweiz

Masterstudiengang Architektur Essaysammlung Vertiefungsarbeit

Herbstsemester 2014

Lieber bรถser Beton- Brutalismus in der Schweiz


Titelbild: Walter Förderer, Pfarrkirche Hérémence / VS, 1967-71

Vertiefungsarbeit Frühjahrsemester 2013 Luzern, 24.06.2013 Verfasser: Hauri, Daniel Speicherstrasse 24 A 8500 Frauenfeld Masterstudiengang Architektur

Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Dozenten: Dufner, Oliver Technik und Architektur Departement Plagaro Cowee, Natalie Korrektur Orthografie: Dr. Oliver Dufner Modulverantwortung: Stutz, Max

Dozierende: Dr. Oliver Dufner, Dr. Christoph Wieser

Abstract Die vorliegende Vertiefungsarbeit befasst sich mit dem Phänomen der Ambiguität in der Architektur der Phillip Exeter Library von Louis Kahn. Literarische Basis bildet die fundierte Auseinandersetzung mit Robert Venturis Manifest „Komplexität und Widerspruch in der Architektur“ und


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Inhalt Vorwort

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Beton ist nicht gleich Beton Strategien im Umgang mit Beton bei drei Schweizer Schulhausbauten 11

Philippe Arnet Brutalismus, Modulor und Harmonie Die Rolle der Proportionen in Bauten von Otto Glaus Urban Blaas

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Kirchenbau St. Johannes Im Spannungsfeld zwischen Baur und FĂśrderer Peter Osterwalder

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Mehr als Lastabtrag Tektonik an der Kantonsschule Wattwil des Architekten Otto Glaus Daniel Scheuber

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ThemenĂźbersicht der weiteren Arbeiten

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Bautensteckbriefe

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Vorwort Das entwerferische Handeln von Architekten und Architektinnen wird neben der eigenen Intuition hauptsächlich durch die Beschäftigung mit dem bereits Vorhandenen, sei dies der Lektüre der gebauten Realität oder die Auseinandersetzung mit theoretischen Texten genährt. Dieser Sachverhalt dient zur Erweiterung des Wissens und vor allem dazu, das eigene Handeln als Architekt kritisch zu reflektieren und die eigene Haltung zu verorten. Um die beschriebene Mechanik zu erlernen und das Repertoire an theoretischem Wissen zu erweitern, wird im Rahmen des Masterstudiengangs Architektur an der Hochschule Luzern neben der Schulung der entwerferischen Kompetenz der Studierenden ein besonderer Wert auf die Vermittlung von Architekturtheorie gelegt. Dieses Wissen in Form eines Textes zu vertiefen und anzuwenden, erlernen die Studierenden im Rahmen der in jedem Semester zu verfassenden Vertiefungsarbeit. Dabei widmen sie sich innerhalb eines definierten Themenfeldes in Form eines essayartigen, wissenschaftsähnlichen Textes einem selbst erarbeiteten Thema. Durch die selbstständige Lektüre und Recherche sowie die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schreiben – um den Titel eines Aufsatzes von Heinrich von Kleist zu paraphrasieren – entsteht Schritt für Schritt ein themenrelevanter Beitrag, der für die Studierenden ein Mosaikstein auf dem Weg zu einem breiten Wissen über Architektur und dessen theoretischem Hintergrund darstellt. Wir sind der Meinung, dass entwerfende Architekten und Architektinnen von grundlegenden Phänomenen der Architektur wie auch von den konkreten Bedingungen und Themen beeinflusst werden, die innerhalb des Fachdiskurses geführt werden. Insbesondere die Auseinandersetzung mit der jüngeren Architekturgeschichte und ihren Protagonisten bietet ein relevantes Feld, um die eigene entwerferische Praxis zu bereichern und innerhalb des historischen Kontextes zu verorten. Aus diesem Grund haben wir im vergangenen und möchten in den kommenden Semestern Themen aus der Architekturgeschichte seit den 1950er Jahren bearbeiten, die ausgehend von der internationalen Debatte, auch in der Schweiz ihren durch die lokalen Bedingungen geprägten Niederschlag gefunden haben.

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Zu Beginn der Reihe stand der Brutalismus im Fokus unserer Betrachtung. Dieser Begriff wird gemeinhin vom „béton brut“ („roher Beton“) abgeleitet und umschreibt den sehr direkten Umgang mit sichtbaren Baustoffen, insbesondere dem gegossenen Beton mit seinen spezifischen Material- und Oberflächeneigenschaften. Der Brutalismus verstand sich durchaus auch als kritische Reflexion auf die


elegante, technisch geprägte Stahl-Glas-Architektur einer internationalen Moderne, die in ihrer massenhaften Verbreitung das Bild der Städte nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt hat. In seinem auf das Elementare gerichteten Beschäftigung, kann der Brutalismus auch als Wegbereiter für die Architektur der Vorfabrikation in den 1960er und 1970er Jahren bezeichnet werden. Ausgehend von den theoretischen Positionen Le Corbusiers und der Smithsons und in Kenntnis der von Reyner Banham in den Raum gestellten Fragestellung „Brutalismus – Ethik oder Ästhetik?“ interessiert uns an spezifischen Positionen der schweizerischen Architekturproduktion, wie die internationale Debatte in der Schweiz theoretisch rezipiert und baulich umgesetzt worden ist. Lässt sich anhand der hiesigen Debatte die dem Brutalismus mitunter zugeordnete kritische Verarbeitung der Themen aus der klassischen Moderne belegen? Inwieweit kann die direkte Beschäftigung mit dem Material über das Interesse an der plastischen Form auch als gesellschaftliche Haltung verstanden werden? Lassen sich aus den Arbeiten und Haltungen der Zeit Grundsätze benennen, welche auch für heutige Fragestellungen relevant sind? Das Semester wurde dazu in drei Abschnitte gegliedert: Zunächst erarbeiteten wir uns mittels Lektüre und der gemeinsamen Diskussion von Texten verschiedener Autoren, dem Besuch von Bauten und Inputreferaten zum Thema einen Überblick sowie ein Vokabular, um den Brutalismusbegriff zu verstehen, einzugrenzen, und für unsere eigene Argumentation nutzbar zu machen. Im Anschluss daran wurde dieses Wissen als Grundlage für eine eigenständige, schriftliche Auseinandersetzung mit einem selbst gewählten Aspekt zum Thema verwendet und in Form von Vorträgen präsentiert. In der dritten Phase wurden die formulierten Thesen weiter verfeinert und als Textarbeit in eine verbindliche Form gebracht. Im Fokus unserer Betrachtung stand die differenzierte Beschäftigung mit der Theorie und Praxis des Brutalismus sowohl als historisches Phänomen als auch als entwerferische Methode. Die nun in diesem Reader vorliegenden Textbeiträge – sie stellen aus Platzgründen nur einen Auszug aus den im Kurs erarbeiteten Beiträgen dar – spannen eine Breite an Themen auf und agieren methodisch auf ganz unterschiedliche Weise. Alle Beiträge verbindet das Interesse, den Brutalismus in der Schweiz aus heutiger Sicht auszuleuchten und relevante Positionen schweizerischer Prägung auch innerhalb des internationalen Diskurses zu lokalisieren. Wir danken allen Beteiligten für ihr grosses Engagement und ihre wertvollen Beiträge. Oliver Dufner / Christoph Wieser Im Februar 2015

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Studierende Philippe Arnet / Urban Blass / Heidi Brun / Anne Ernstsone / Patrick Frutig / Anna Grabowska / Tobias Häfelin / Lionel Hauri / Daniel Heiler / Michael Hurni / Yannik Keller / Stefan Keller / Patrick Kofler / Fabienne Maritz / Rahel Niffeler / Sarah Nussbaumer / Ivo Oberholzer / Peter Osterwalder / Christiane Prieth / Daniel Scheuber / Simon Schneider / Gregor Schuler / Marija Simic / Dominic Spalt / Claudio Spielhofer / David Toszeghi / Aurélien Véry / Friederike Walecki / Marcel Wyss / Louis Zoller Vorträge Thomas Schregenberger, Architekt BSA, Zürich `As found` Prof. Dr. Dieter Schnell, BFH Burgdorf `Schweizer Brutalismus – eine Reihe von Beispielen` Daniel Buchner, Architekt BSA, Basel `Brutal Aktuell – Eigene Bauten` Gastkritiker Schlusskritik Marko Sauer, Architekt MSc, Architekturjournalist Michael Hanak, lic. phil.I, Kunst- und Architekturhistoriker Besichtigungen Bauten Hochschule St. Gallen, Walter Förderer, 1959 Parkrestaurant Rheinfall, Neuhausen, Walter Förderer, Hans Zwimpfer, 1961 Katholische Kirche Heilig-Kreuz, Bern Tiefenau, Walter Förderer, 1967 Katholische Kirche St. Konrad, Schaffhausen, Walter Förderer, 1969 Katholische Kirche St. Gallus, Lichtensteig, Walter Förderer, 1970 Kantonsschule, Olten, Marc Funk und Hans Ulrich Fuhrimann, 1968 Siedlungen Halen & Thalmatt I+II, Atelier 5, 1960-1970 Siedlung Flamatt I-III, Atelier 5, 1960 Vieux Chênes 5 +7, Fribourg, Jean Pythoud Architectes associés, 1970 Stadttheater St. Gallen, Fred Cramer, Werner Jaray, Claude Paillard, 1964 Kantonsschule Wattwil, Otto Glaus, 1968 6


Real- und Oberschule “Im Gräfler”, Schaffhausen, Walter Förderer, 1971 Université de Fribourg, Franz Füeg, Jean Pythoud, 1961 Texte Lektüreseminar Seminar 1 Smithson, Alison / Smithson, Peter ([1955] 2004): Der Neue Brutalismus. In: Lampugnani, Vittorio Magnago / Hanisch, Ruth / Schumann, Ulrich Maximilian/ Sonne Wolfgang (Hrsg.): Architekturtheorie 20. Jahrhundert. Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz. (S. 203-204) (Erstveröffentlichung: Smithson, Alison / Smithson, Peter (1955): The New Brutalism. In: Architectural Design, 25. Jg. (1) .1. Banham, Reyner ([1955] 2001): Der ‚New Brutalism’. In: Schregenberger, Thomas / Lichtenstein, Claude: As Found. Die Entdeckung des Gewöhnlichen. Baden: Lars Müller. (S. 128-137) (Erstveröffentlichung: Banham, Reyner (1955): The New Brutalism. In: Architectural Review, 59. Jg. (12). 356ff.) Dreher Florian (2010), Fundstücke des Alltäglichen. New Brutalism as found. In: archithese, 40. Jg. (6) . (S.72-77). Seminar 2 Redaktion (1996): Beton. In: werk, bauen + wohnen, 83. Jg. (1/2) . 2-5. Atelier 5 (1968): Sichtbeton. Schreibmaschinentext vom 19.11.1968. (S.1-2). Ohne Name (1963): Am Rande. 5 Fragen an Le Corbusier. In: Bauen + Wohnen, 17. Jg. (3). (S.95-96). Seminar 3 Loderer, Benedikt (1997): Betonliebe – Betonleidenschaft. In: Hochparterre, 10. Jg. (11) .(S. 12-13). Steinmann, Martin (2004): Gelebte Räume. Notizen zur Schule im Birch von Peter Märkli, mt Gody Kühnis, In: werk, bauen + wohnen, 91. Jg. (11) . (S.14-23). Forty, Adrian (2005): Ohne Zeit. In: werk, bauen + wohnen, 92. Jg. (1/2). (S. 16-19).

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Beton ist nicht gleich Beton Strategien im Umgang mit Beton bei drei Schweizer Schulhausbauten Philiippe Arnet

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Abb. 1 (Titelbild) Betonoberfläche der Kantonsschule Olten.

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 20.01.2015

Verfasser: Philippe Arnet Obgardistrasse 16b 6043 Adligenswil Dozenten: Dr. Christoph Wieser Dr. Oliver Dufner

Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur

Beton ist nicht gleich Beton

Philippe Arnet

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Inhalt

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Abstract

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1 Einleitung

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2 Beton 2.1 Geschichtliche Einordnung 2.2 Der Baustoff 2.3 Beton im Brutalismus

8 8 9 10

3 Materialgerechtigkeit 3.1 Mögliche Definition 3.2 Beton – ein eigenständiges Material 3.3 Schalung und Giessen 3.4 Umgang mit Beton beim Bauen

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4 Kurzbeschrieb der ausgewählten Schulhäuser 4.1 Oberstufenschulhaus in Stettbach ZH 4.2 Realschule in Aesch BL 4.3 Kantonsschule in Olten

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5 Strategien im Schulhausbau 5.1 Äussere Erscheinung 5.2 Betonspezifische Ausformulierungen 5.3 Einsatzgebiete 5.4 Detailausbildung

22 22 24 25 27

6 Fazit

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Literaturverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

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Anhang

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Redlichkeitserklärung

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Abstract Die vorliegende Arbeit befasst sich mit Beton im Brutalismus und den benötigten Strategien im Umgang mit diesem Werkstoff. Die Arbeit zeigt auf, was unter dem Begriff „Materialgerechtigkeit“ zu verstehen ist und wie dies bei drei Schweizer Schulhausbauten umgesetzt wurde. Beton ist ein Gussmaterial, bei welchem der Vorgang des Giessens nach dem Aushärten nicht mehr ablesbar ist. Im flüssigen Zustand ist er fähig, eine Vielzahl von Formen anzunehmen. Die Einschränkung erfolgt lediglich über die Schalung. Das Einzige, das vom Vorgang des Giessens zurückbleibt, ist die negative Oberflächenstruktur der Schalung, da Beton gezwungenermassen auf sie angewiesen ist. Ohne den Werkstoff Beton wären viele Bauten, die heute von den Architekten entworfen werden, nicht realisierbar. Stahlbeton, ein Material, das sowohl Zug- wie auch Druckkräfte aufnimmt, hat die Möglichkeiten zu Bauen massgebend verändert. Die Strategien im Umgang mit Beton sind sehr breit gefächert. Einmal dominieren Fugen sowie das Stapeln oder Schichten von Betonelemente das Erscheinungsbild, während ein anderes Mal der Werkstoff ein monolithisches Bild erzeugt und die Form des Objektes in den Vordergrund rückt. Oder das Material zelebriert in seiner Formsprache die Kräfte oder Möglichkeiten, zu denen es fähig ist. Die Wahl zwischen Ortbeton und vorfabrizierten Betonelementen ist mit weit mehr Kriterien verbunden als lediglich mit Transport oder Rationalismus.

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1 Einleitung

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Joedicke, 1964, S. 421. Guyer/Guyer, 2002, S. 70.

Jürgen Joedicke erwähnt in seinem Text „New Brutalism – Brutalismus in der Architektur“, dass der Begriff „Materialgerechtigkeit“ durch Alison und Peter Smithson neu interpretiert wurde.1 Aber was bedeutet materialgerecht inbezug auf Beton? Welche Strategien oder Herangehensweisen sind nötig im Umgang mit diesem Baustoff und welche Aspekte, die Beton leiten kann, werden verwendet und zur Schau gestellt? Der Begriff „Materialgerechtigkeit“ enthält eine Vielzahl von Themen, die mit Ideologien oder Moral in Verbindung stehen. Sie werden in dieser Arbeit bewusst nicht in den Fokus gerückt, da es in erster Linie um den Bezug zum Brutalismus geht und darum, wie der Beton in diesem Architekturstil eingesetzt wird. In einem ersten Schritt werden die technischen Aspekte von Beton dargestellt: Welches sind die Eigenschaften von Beton, woraus besteht das Material und wie wird es verarbeitet. Anschliessend folgt die Auseinandersetzung mit der Frage des materialgerechten Umgangs. Dieses Thema wird anhand von Literaturbeiträgen dargestellt sowie mit Interpretationen und eigenen Erfahrungen ergänzt. Anschliessend wird das erarbeitete theoretische Wissen an gebauten Objekten angewendet und überprüft; ausgehend von Objekten, die dem Betonbrutalismus zugeordnet werden können. Die Wahl der Bauten beschränkt sich auf Oberstufenschulhausbauten und Kantonsschulen aus den 1960er und 1970er Jahren. Dies ermöglicht einen Vergleich von gleichartigen Bautypen, die jedoch von unterschiedlichen Architekten ausgeführt wurden. Die ausgewählten Objekte sind das Sekundarschulhaus Stettbach in Zürich-Schwamendingen von Rudolf und Esther Guyer, das 1961–1967 gebaut wurde,2 die Realschule in Aesch BL von Walter M. Förderer, Rolf G. Otto und

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Hans Zwimpfer von 1960–19623 sowie die Kantonsschule Olten von Marc Funk und Hans-Ulrich Fuhrimann, die von 1969–1973 errichtet wurde.4 Während die Schulhäuser in Zürich-Schwamendingen und Aesch eine Bretterschalung aufweisen, ist die Kantonsschule in Olten im Elementbau erstellt worden. Alle drei Objekte weisen sowohl aussen wie auch innen Beton auf. Während der Gebäudekubus in Stettbach über Stützen thront und exemplarisch aufzeigt, was das Material leisten kann, wird im Schulhaus Aesch die bildhauerische Tätigkeit von Förderer spürbar, besonders in der Ausarbeitung der Details. In Olten hingegen prägen die vorfabrizierten Betonelemente und Fugen das Gesamterscheinungsbild.

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Realschule in Aesch BL, 1962, S. 394. 4 Hanak, 2013, S. 87. 3

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2 Beton 2.1 Geschichtliche Einordnung

Rübel/Wagner/Wolff, 2005, S. 59. 6 Rübel/Wagner/Wolff, 2005, S. 71-72. 7 Rübel/Wagner/Wolff, 2005, S. 78. 5

Mit der Industriellen Revolution wurden diverse Baustoffe nicht nur optimiert, sondern oft auch durch künstlich hergestellte Produkte ersetzt. Darunter gehört sicherlich auch der Beton, welcher Materialien wie Naturstein, Backstein oder Holz als Baumaterial ablöste.5 Wie Hugo Hillig in seinem Text „Der Betonbau und die Dekorationsmalerei“ von 1914 aufzeigt, war der Eisenbeton keine Notlösung. Zuerst fand der Eisenbau Einzug in der Architektur, zum Beispiel bei Ausstellungshallen oder Bahnhöfen ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Diese meist filigranen Bauwerke ähneln stark dem Ingenieursbau, wie er etwa beim Brückenbau zum Einsatz kommt. Aus technischen Gründen muss das Eisen behandelt werden, vorzugsweise in Form eines Anstriches. Dies verleiht dem Material eine ungewollte Farbigkeit. Anstelle des Anstriches entwickelte sich die Technik, das Eisen mit Zement zu ummanteln. Jedoch wurde bald festgestellt, dass diese Ummantelung nicht einfach das Eisen verbirgt und schützt, sondern viel mehr ein vollwertiges Material in Kombination mit Eisen und Zement darstellt.6 Der Schweizer Kunsthistoriker und Architekturtheoretiker Siegfried Giedion (1888–1968) betont in seinem Text „Eisenbeton“ von 1928, dass der Sinn des Betons die künstliche Zusammensetzung ist. Denn dieses neue Material stammt nicht aus der Natur, sondern entsteht im Laboratorium. Das Faszinierende dabei ist, dass aus einzelnen zum Teil fast wertlosen Zutaten ein neuartiges Material geschaffen wird, das hohen Beanspruchungen widerstehen kann. Diese Eigenschaften erhält das Material aber erst im Verbund.7

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2.2 Der Baustoff Beton ist ein Gemisch aus Kies, Zement und Wasser. Dabei wird der Zement als Bindemittel genutzt.8 Beim Mischen von Zement und Wasser entsteht eine chemische Reaktion, die dafür sorgt, dass der Beton aushärtet.9 Dieser Beton ist lediglich auf Druck belastbar. Aus diesem Grund wird heute beim Bauen ausschliesslich Stahlbeton verwendet. Äusserlich unterscheiden sich diese beiden Werkstoffe nicht. Jedoch ist der Beton ein homogenes Material, während der Stahlbeton ein Verbundwerkstoff ist. Zusätzlich zum Kies, Zement und Wasser werden in den Beton noch Stahlstäbe (Bewehrungen) eingelegt, welche die Zugkräfte übernehmen. Dies hat Auswirkungen auf das Einsatzgebiet der zwei Baustoffe, da der Beton ohne Eisen nur auf Druck beanspruchte Bauteile ausbilden kann. Um ein einheitliches Gefüge zu erzielen, wird der Beton nach dem Einbringen in die Schalung durch Vibrieren verdichtet. Dies sorgt einerseits für eine optimale Durchmischung der einzelnen Bestandteile, anderseits können dadurch unerwünschte Lufteinschlüsse an die Oberfläche befördert werden. Das Betonieren ist ein chemischer Prozess vom flüssigen zum festen Zustand. Im Zusammenhang mit Beton ist auch die Rede von Kriechen und Schwinden. Während Kriechen durch Spannung in Form von Belastung entsteht, steht Schwinden im Zusammenhang mit dem Austrocknen des frischen Betons.10 Ihnen muss besondere Aufmerksamkeit bei grösseren Flächen geschenkt werden, da sie die Verursacher von Rissbildungen im Beton sein können. Dieses Problem kann mit dem Anbringen von Fugen gelöst werden. Dabei gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen: Beim Elementbau kann dies mittels Arbeitsfugen zwischen den einzelnen Betonelementen gelöst werden, während bei grossflächigen Ausführungen (meist in Ortbeton) Dilatationsfugen zum Einsatz kommen. Bei kleineren Dimensionen kann auf eine solche Massnahme verzichtet werden – es entstehen lediglich Haarrisse, die unproblematisch bezüglich der Tragfähigkeit

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Deplazes, 2005, S. 61. Hilsdorf/Kierdorf, 2010, S. 6. 10 Brandt/Polony, 2002, S. 63. 8 9

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des Betons sind. Zudem arbeitet jedes Material, was ein völlig natürlicher Vorgang ist.

2.3 Beton im Brutalismus

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Atelier 5, 1968, S. 1.

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Im Brutalismus wird besonders die Oberfläche des Betons thematisiert, da der Beton oft in dieser Stilrichtung sichtbar gelassen wurde. Atelier 5 beschreibt den Sichtbeton nicht als Erscheinung einer besonderen Oberflächenbehandlung, sondern als das Zurschaustellen stellen der Betonkonstruktion, um das Gebäude in seiner „nackten“ unverhüllten Form abzubilden.11


3 Materialgerechtigkeit 3.1 Mögliche Definition „Jedem einzelnen Material haftet von Natur aus eine bestimmte Qualität an, die einen zwar unscharfen, aber doch begrenzten Spielraum von Assoziationen eröffnet, die dann von Fall zu Fall in irgendeinem Zusammenhang aktualisiert werden können.“12 Im 19. Jahrhundert entstand der Begriff „Materialgerechtigkeit“. Darunter wurde die Reinheit oder Ehrlichkeit eines Materials verstanden. Es entstand eine Ablehnung gegen das Nachahmen des historischen Dekors und die Ornamentik insbesondere durch Industrieprodukte:13

Raff, 2008, S. 49. Rübel/Wagner/Wolff, 2005, S. 95-96. 14 Rübel/Wagner/Wolff, 2005, S. 96. 15 Rübel/Wagner/Wolff, 2005, S. 77. 16 Rübel/Wagner/Wolff, 2005, S. 77. 12 13

„Die Vorstellung von „Materialgesetzen“, die es zu befolgen gelte, und einer Gerechtigkeit, die dem Material geschuldet sei, war nicht nur dem ornamentlosen Purismus der ästhetischen Moderne verschrieben, sondern richtete sich zugleich gegen die industrielle Moderne mit ihren neuen, gewissermassen gesetzlosen Universalstoffen.“14 Gehört demnach der Beton auch zu den „gesetzlosen Universalstoffen“, da er nicht rein ist, sondern aus einem Gemisch von diversen Stoffen besteht? Siegfried Giedion (1888–1968), ein Schweizer Kunsthistoriker und Architekturtheoretiker15, beschreibt das Material als eine „Komposition wertloser Materialien“ die im Labor zu einem Ganzen zusammengefügt werden.16

3.2 Beton – ein eigenständiges Material Dass Beton ein eigenständiges Material und keine Steinimitation ist, widerlegt Hugo Hillig in seinem Artikel „Der Betonbau und die Dekorationsmalerei“ von 1914. Obwohl Beton künstlich hergestellt

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Rübel/Wagner/Wolff, 2005, S. 72-73. 18 Rübel/Wagner/Wolff, 2005, S. 72. 17

wird, aus den gleichen Materialien wie Stein besteht und über eine ähnliche mineralische Verbindung verfügt, hat Beton seine eigenen Gesetzlichkeiten. Ein Haus aus Stein ist anders konstruiert als ein Gebäude aus Beton. Er ist der Überzeugung, dass das Material für Flächen wie zum Beispiel Geschossdecken prädestiniert ist. Dies ist anders als beim Bauen mit Steinen, wo Überspannungen mit Unterzügen verrichtet werden müssen.17 Denn der Beton, der heute eingesetzt wird, ist kein monolithisches Material wie der Stein. Es handelt sich um ein Verbundwerkstoff von Beton und Stahl. Gemäss Hillig kann die Oberfläche von Beton aber so bearbeitet werden, dass er dem natürlichen Stein sehr ähnlich erscheint. Zudem kann ein monolithisches Gebilde, das aus einem Stein gehauen wird, leicht auch in Beton hergestellt werden.18 Diese Herangehensweise widerspricht aber dem Sinn des Materials, wenn es als eigenständiges Material, wie oben beschrieben, betrachtet wird. Ein eigenständiges Material darf seine eigene Oberfläche aufweisen und muss nicht ein Material nachahmen. Welches aber die wahre Oberfläche des Betons ist, steht eng im Zusammenhang mit dem Vorgang des Giessens und der Schalung, die dafür benötigt wird.

3.3 Schalung und Giessen Wird Beton ohne Schalung gegossen, entstehen unkontrollierbare Formen. Was für die Kunst ein spannender Aspekt sein kann, findet keinen Gebrauch beim Bau eines Gebäudes. Der Beton benötigt im flüssigen Zustand eine Hilfskonstruktion in Form einer Schalung, um seine gewünschte Form zu erhalten. Erst nach dem Abbindungsprozess und dem vollständigen Aushärten besitzt der Beton seine Formbeständigkeit und Leistungsfähigkeit. Daraus lässt sich ableiten, dass eine Schalung materialgerecht sein muss, damit der Beton bei Bauen überhaupt verwendet werden

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kann. Wie sieht es aber mit der Oberfläche der Schalung, beziehungsweise der des Betons aus? Darf der Beton die Negativstruktur der Schalung übernehmen? Den Brutalisten mit ihrem Ziel der Rohästhetik entspricht eine sichtbare Holzstruktur dem Beton mehr, als wenn die Schalung durch eine Beschichtung behandelt wird oder das Holz zu Platten gepresst wird, da die Rohheit des Materials Holz ablesbar bleibt. Das schliesst jedoch nicht aus, dass vorfabrizierte Betonelemente, bei denen grossflächige Schalungstafeln zur Anwendung kommen, nicht materialgerecht sind. Solche Tafeln können aus anderen Materialien erstellt werden, wie zum Beispiel aus Kunststoff. So weisen sie eine andere Oberfläche als Schalungen aus Holz auf. Die Wahl wird lediglich dadurch beschränkt, dass die Schalung aus einem nichtsaugenden Material bestehen muss, welches mit einem Trennmittel behandelt werden kann.19 Zudem muss es dem hohen Druck des frischen Betons widerstehen können. Dafür können aber entsprechende Massnahmen getroffen werden, wie zum Beispiel das Anbringen von Spann-Set-Gurten, Stützen oder verschraubte Holzelemente, um die Schalung zu verstärken. Vorausgesetzt wird ein präzises Arbeiten, da sich dies auf das fertige Erscheinungsbild auswirkt, insbesondere beim Erstellen von Sichtbeton wie er im Brutalismus zur Anwendung kommt. Ein spannender Aspekt ist, um die Schalung aus Kunststoff herzustellen, benötigt es ebenfalls eine Schalung. Dies wirft die Frage auf, welche Oberfläche das Endergebnis des Betons aufweist? Ist es die Struktur der Schalung oder die der Schalung für die Schalung?

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Deplazes, 2005, S. 65.

Die Schalung kann die Form des Betons einschränken. Ohne Schalung kann der Beton jede beliebige Form annehmen. Die Schalungselemente bestehen jedoch meistens aus flächigen, orthogonalen Elementen. Sie erschweren das Erstellen von kleineren runden Bauteilen. Grössere Körper wie zum Beispiel eine Dachschale sind mit kleinen Schalelementen wie Brettern möglich. Eine Ausnahme

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Richner, 2011, S. 1. Atelier 5, 1968, S. 1. 22 Rübel/Wagner/Wolff, 2005, S. 92. 23 Rübel/Wagner/Wolff, 2005, S. 92. 24 Loderer, 1997, S. 13. 20 21

bildet die Vorfabrikation im Werk oder Kunststoffschalungen. Diese ermöglichen beinahe jede beliebige Form. Eine weitere Einschränkung auf Seite der Schalung besteht dadurch, dass diese nach dem Aushärten des Betons wieder entfernt werden kann.20 Eine zusätzliche Einschränkung kommt noch von der Ökonomie ,wie Atelier 5 hinweist.21 Daraus lässt sich schliessen, dass Beton grundsätzlich im Stande ist, jede Form anzunehmen. Da er jedoch beim Bau auf eine Schalung angewiesen ist, kann sie die Formenvielfalt des Materials einschränken. Generell lassen sich flächige, rechtwinklige Formen einfacher erstellen als runde, organische Formen infolge ihrer Abhängigkeit von der Schalung.

3.4 Umgang mit Beton beim Bauen Der deutsche Architekt, Möbeldesigner und Hochschullehrer Egon Eiermann (1904–1970) sagte einmal: „Ich finde Beton zum Kotzen ...“. Er begründete seine Meinung damit, dass der Beton eine „breiigschmierige Masse“22 sei, welche charakterlos und provokativ verformbar sei. Doch auch Eiermann konnte nicht ohne Beton bauen. Er versuchte die Verwendung einzuschränken auf das Fundament und die „Innereien“ der Baukörper wie Versorgungsschächte, Fahrstühle und Treppenhäuser.23 Eiermann nimmt den Beton von der Fassade weg, damit er von aussen nicht ersichtlich ist. Ist dies der gerechte Umgang mit dem Material? Diese Aussage ähnelt stark dem Text des Architekten Benedikt Loderer „Betonliebe Betonleidenschaft“, in dem der Beton für den „Bünzlischweizer“ durch das Verkleiden ebenfalls verborgen werden soll.24 Daraus leitet sich ab: So lange der Beton nicht sichtbar ist, ist das in Ordnung. Hat diese Aussage auch ihre Gültigkeit im Bezug auf den materialgerechten Umgang mit Beton? Atelier 5 erwähnt, dass der Beton wasser- und frostsicher ist und somit gut vor Witterungs-

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einflüssen schützt,25 was ihn wiederum zum geeigneten Fassadenmaterial macht. Bedeutet daher materialgerecht für den Architekten etwas anderes als für den Laien? Dies könnte so sein. Werden aber lediglich die Eigenschaften des Betons betrachtet, ist es angemessen, ihn als Fassadenmaterial zu verwenden. Kann er gleichzeitig auch tragende Funktionen an der Fassade übernehmen? Siegfried Giedion machte die Aussage, dass Beton einem Höchstmass an Belastung widerstehen könne wie kein natürliches Material zuvor.26 Diese Aussage spricht dafür, dass das Material sowohl schützende als auch tragende Funktionen an der Fassade übernehmen kann.

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Atelier 5, 1968, S. 1. Rübel/Wagner/Wolff, 2005, S. 77.

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4 Kurzbeschrieb der ausgewählten Schulhäuser 4.1 Oberstufenschulhaus Stettbach in Zürich-Schwamendingen

Guyer/Guyer, 2002, S. 70. Oberstufenschulhaus Stettbach Zürich-Schwamendingen, 1968, S. 15. 29 Guyer/Guyer, 2002, S. 70. 30 Oberstufenschulhaus Stettbach Zürich-Schwamendingen, 1969, S. 466. 31 Oberstufenschulhaus Stettbach Zürich-Schwamendingen, 1968, S. 15-16. 27 28

[2] Abb. 2 Kloster La Tourette von Le Corbusier 1956–1960. Abb. 3 Schnitt. Abb. 4 Ansicht von der Dübendorfstrasse.

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Das Oberstufenschulhaus Stettbach in Zürich-Schwamendingen wurde von 1961 bis 1967 durch das Architektenpaar Rudolf und Esther Guyer geplant und ausgeführt.27 Eine Herausforderung stellte die Topografie dar. Das schmale, lange Grundstück befindet sich an einer Hanglage, zwischen der stark befahrenen Dübendorfstrasse und der Stettbachstrasse. Probleme bereitete auch das Raumprogramm: Neben dem Schulhaus umfasste es einen Kindergarten sowie eine Turnhalle.28 Als Vorbild diente unverkennbar Le Corbusier mit dem Bau des Klosters von La Tourette (Abb. 2). Die Guyers lösten die Aufgabe so, indem sie die Turnhalle losgelöst vom Schulgebäude im westlichen Teil des Grundstückes platzierten, die Schule und den Kindergarten hingegen im östlichen Teil.29 Eine markante Treppe führt von der Dübendorfstrasse direkt vor das Schulhaus. Das Zentrum bildet der Hof, der gleichzeitig als Pausenplatz genutzt wird. Das Schulhaus ist U-förmig um diesen Platz angeordnet. Im unteren Bereich, gegenüber der Hangschräge, befinden sich im Verhältnis zum darüber liegenden Kubus filigrane Betonstützen, die den darüber liegenden Gebäudekörper tragen. Dies ermöglicht ein freies Zirkulieren in der Anlage. Zudem nehmen die Stützen die grossen Höhenunterschiede auf und generieren eine neue, künstliche Ebene für den Schulzimmertrakt.30 Die feine Gliederung der Stützen kommt beim darüber liegenden Gebäudekörper in der Ausformulierung der Fenster ebenfalls zum Einsatz und verbindet die beiden Teile visuell miteinander. Um das Gebäude in die prekäre Landschaft einzubetten und eine optische Trennung zur Verkehrsachse zu schaffen, wurde auf der Nordseite des Grundstückes zur Dübendorfstrasse hin zwei künstliche Erdwalle errichtet.31


Die Konstruktion basiert auf einem Stützen-Balkensystem, welches sowohl aussen wie auch innen zur Anwendung kommt. „Pfeiler, Unterzüge, Brüstungen und Aussenwände sind in schalungsrohem Beton ausgeführt, ebenso die vorgefertigten Sonnenblenden.“32 Dazu kontrastieren die Materialien der Decken, Wände und Böden im Innern, welche alle ein einheitliches Erscheinungsbild aus tonbasierenden Materialien generieren. Die Decken bestehen aus Tonhohlkörpern, die zwischen die Unterzüge hineingehängt sind. Die Wände aus Sichtbackstein füllen die Flächen zwischen den Pfeilern aus. Der Boden in den Eingangsbereichen und Korridors ist mit Klinkersteinen bestückt.33

32 33

Guyer/Guyer, 2002, S. 78. Guyer/Guyer, 2002, S. 78.

[3]

[4]

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4.2 Realschule in Aesch BL

Blaser, 1981, S. 1132. Realschule in Aesch BL, 1962, S. 394. 36 Amt für Raumplanung Kanton Basel-Landschaft, 2014. 37 Amt für Raumplanung Kanton Basel-Landschaft, 2014. 38 Realschule in Aesch (Baselland), 1965, S. 13. 34 35

Aesch BL

Förderer, Rolf G. Otto, nd St.Gallen

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Raumprogramm: 9 Klassenzimmer für 36 Schüler 6 Spezialklassenzimmer 5 Hauswirtschaftsräume Aula für 255 Schüler Turnhalle Spiel- und Sporthalle Velokeller für 110 Velos Abwartwohnung Kubikinhalt 25900 m3 Baukosten: Durchschnittlicher Kubikmeterpreis Fr. 120Gebäudekosten Fr. 3110000.Fr. 380000.Umgebung und Erschließung Fr. 245000.Anschlußgebühren und Bauzinsen' Mobiliar Fr. 380000.Total Baukosten Fr. 4115000.Baumaterialien: Sichtbeton im Innern und Äußern Äußere Fensterverkleidungen in Aluminium Innere Wandverkleidungen und Schreinerarbeiten in Eichen¬ ¦

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Am westlichen Rand von Aesch BL befindet sich die Realschule Neumatt, die von den Architekten Walter M. Förderer, Rolf G. Otto und Hans Zwimpfer von 1960–1962 erstellt wurde.34 Der Wettbewerb fand 1958 statt, und am 24. April 1962 war der Bezug der neuen Schulanlage. Das Raumprogramm sah unter anderem vor, dass neun Klassenzimmer für je 36 Schüler sowie sechs Spezialklassenzimmer erstellt werden mussten.35 Die Schulanlage ist als grosser Baukomplex im Verhältnis zu den umliegenden Wohnquartieren ausgebildet. Die Anlage umfasst neben dem Schulhaus ein Gebäude für den Hauswart mit integrierter Turnhalle sowie eine grössere zusätzliche Turnhalle. Die erwähnten Gebäude ordnen sich um den Pausenplatz. Dieser bildet gleichzeitig den Mittelpunkt der Anlage und ist durch mehrere Treppenanlagen von der Umgebung angehoben.36 Mit dem Pausenplatz als neuem künstlichen Niveau thront das Schulhaus über dem Quartier und ist gut ersichtlich. Das Erscheinungsbild des Gebäudes wirkt sehr plastisch. Einzelne Kuben, die vor- und zurückspringen und miteinander verschmelzen, erzeugen dieses plastische Bild.37 Hier kommt die bildhauerische Tätigkeit von Förderer zum Ausdruck. Die plastische Wirkung wird durch diverse Betonskulpturen verstärkt, die auf dem Areal verteilt sind (Abb. 8). In der Zeitschrift Anthos von 1965 wird das Objekt als „abstraktes Abbild einer Felsfluh aus dem nahen Jura“ bezeichnet.38 Durch das massive Erscheinungsbild in Kombination mit dem Grau des Betons wirkt die Schulanlage tatsächlich wie ein Findling in der Ebene. Die Betonmauern, die sich rund um das Gebäude befinden, verankern das Objekt zusätzlich an diesem Ort. Öffnungen wie zum Beispiel die Fensterbänder an der Fassade, wirken wie Ritzen im Gebäudekörper (Abb. 7).


Sämtliche Wände wie auch Decken sind in Sichtbeton gehalten. Als Schalungsmaterial wurden sägerohe Schalungsbretter verwendet. Pro Geschoss befinden sich sechs Klassenzimmer, welche um einen grosszügigen Lichthof angeordnet sind. Dieser wird durch ein oben liegendes Lichtband sowie drei quadratische Oblichter belichtet. Dieser innere Hof beinhaltet die X-förmige Treppenanlage, welche die drei Geschosse miteinander verbindet (siehe Anhang). Auf den einzelnen Geschossen entstehen lediglich bei den jeweiligen Garderoben eine Beziehung zum Aussenraum. Dies bewirkt, dass der Innenhof einen introvertierten Charakter aufweist. Die Dachterrasse bildet den oberen Abschluss. Die Liebe zum Detail zeigt sich exemplarisch bei der Ausformulierung des Treppengeländers oder bei den Sitznischen, wo in Kombination mit Beton und Holz gearbeitet wurde (Abb. 20).

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Beton ist nicht gleich Beton

Abb. 5 Situation Aesch BL. Abb. 6 Grundriss der Realschule. Abb. 7 Ansicht der Hauptfassade der Realschule in Aesch BL. Abb. 8 Skulptur unter dem Vordach.

[8]

Philippe Arnet

29 19


4.3 Kantonsschule in Olten Die Kantonsschule befindet sich am östlichen Stadtrand von Olten. Wie eine Burg thront sie auf der Hügelkuppe über der Stadt in einer Waldlichtung des Hardwaldes.

Hanak, 2013, S. 87. Fuhrimann, 2003, S. 220. 41 Hanak, 2013, S. 87/89. 39 40

[9]

30 20

Der Wettbewerb für die neue Kantonsschule in Olten wurde 1962/63 ausgeschrieben. Die Badner Architekten Marc Funk und Hans Ulrich Fuhrimann gewannen den Wettbewerb. Die Bauzeit dauerte bis ins Jahr 1973. Zu planen war eine Schule für rund 1200 Schüler.39 Die Kantonsschule entwickelte sich zugleich zu einem der Hauptwerke von Marc Funk.40 Bedingt durch die Topografie ist die Schulanlage in mehrere Gebäudekörper unterteilt, welche durch Treppenanlagen und Terrassen miteinander verbunden sind. Die Basis der Anlage bildet ein dreigeschossiger Sockelbau, welcher als einziger in Ortbeton erstellt ist. Darüber befinden sich die drei Schulzimmertrakte. Besonders markant strebt der Haupttrakt empor, welcher die gesamte Anlage um mindestens fünf Geschosse überragt. Die einzelnen Volumen gruppieren sich um einen zentral angelegten Innenhof. Dieser sorgt einerseits für Licht in den unteren Geschossen, aber er dient auch für die Orientierung innerhalb der Anlage. Die Schulzimmertrakte sind in vorfabrizierten Betonelementen erstellt, welche glatte und raue Oberflächen aufweisen. Ergänzend zum Beton sind die Eingangstüren sowie die Fensterrahmen in CortenStahl ausgebildet. Im Innern werden die Betonelemente durch nichttragende Backsteinwände ergänzt. Die Kantonsschule strahlt eine Robustheit aus, welche grösstenteils auf die Materialwahl zurückzuführen ist.41


Die statische Konstruktion ist in der Skeletbauweise in Beton erstellt. Dies hat den Vorteil, dass eine hohe Flexibilität gewährleistet ist. Dies erwies sich bereits beim Bau der Schule als richtiger Entscheid, da die ersten Änderungen bereits in der Bauphase vorgenommen wurden.42 Die gerundeten Detailausbildungen der Dachabschlüsse bilden einen Gegensatz zur strengen Geometrie der Gebäudevolumen.43 „Die aus mehreren Gebäudeteilen bestehende Anlage thematisiert sichtlich das Fügen und Ineinandergreifen, das Schichten und Stapeln, das Tragen und Lasten der verschiedenen Teile.“44 Mit der Wahl der Konstruktion, den rohen Materialien sowie den offenen Leitungsführungen weist die Schulanlage mehrere brutalistische Merkmale auf.45

Bloch, 1974, S. 17. Hanak, 2013, S. 87. 44 Hanak, 2013, S. 55. 45 Hanak, 2013, S. 89. 46 Hanak, 2013, S. 89. 42 43

Heute gehört die Schule zu den „bedeutendsten Zeugen der Nachkriegsmoderne im Kanton Solothurn.“46

[11]

Abb. 9 Lichthof. Abb. 10 Zugang zur Kantonsschule Olten. Abb. 11 Haupttrakt.

[10]

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31 21


5 Strategien im Schulhausbau 5.1 Äussere Erscheinung 47

Alle drei Schulhäuser werden durch den Beton auf ein neues, höheres, aber künstlich geschaffenes Niveau gehoben. Der Beton schafft eine Plattform für die Schulhäuser, die über Treppen mit der Umgebung verbunden ist. Bei dieser Verwendung wird der Beton einerseits als Schwelle für den Übergang zwischen gewachsener und gebauter Landschaft benötigt. Damit gelingt es, eine neue künstliche Landschaft zu generieren. Besonders stark kommt dies in Olten zum Ausdruck mit den verschiedenen Terrassen und Freitreppen. Zudem wird damit die Idee verstärkt, dass die Bildung ein wichtiger Bestandteil in der Gesellschaft ist.

Atelier 5, 1968, S. 1-2.

Abb. 12 Fassade in Stettbach. [12]

32 22

Auf der Aussenseite des Oberstufenschulhauses Stettbach in ZürichSchwamendingen sowie auch bei den anderen beiden Schulhäusern der Realschule in Aesch und der Kantonsschule in Olten befinden sich Betonfassaden, die vor Witterungseinflüssen wie Regen schützen. In Stettbach übernimmt diese äussere Fassadenschicht zugleich die vertikale Lastabtragung. Hier wird der Beton zur Aufnahme von Kräften sowie als Witterungsschutz verwendet, ganz im Sinne von Atelier 5.47 Während in Zürich-Schwamendingen und in Aesch sämtliche Aussenwände in Ortbeton mit Hilfe einer Bretterschalung erstellt sind, weist die Schule in Olten, mit Ausnahme des Sockelbaus, eine vorfabrizierte Elementfassade auf. Die Wandflächen bei den Schulhäusern in Ortbeton sind horizontal geschalt. Dagegen weisen die Stützen im unteren Bereich eine vertikale Textur auf. Diese Anordnung der Schalbretter stammt aus der Logik der Schalung; zudem widerspiegelt sie den Kräfteverlauf. Die Wände als Scheiben weisen eine Holzstruktur in Längsrichtung auf, während die Stützen, wo vertikale Punktlasten auftreten, eine vertikale Richtung haben. Der Bauprozess ist dadurch stets ablesbar.


Bei der Kantonsschule ist der Bauvorgang in einer anderen Sprache ablesbar. Hier sind die einzelnen Elemente, wie sie im Werk erstellt wurden, durch die markanten Fugen noch heute ersichtlich. Die grossflächigen Elemente und die Fugen prägen das Erscheinungsbild der Schule in Olten. Zudem verdeutlichen die Fugen die Ideen des Schichten, Fügen und Stapeln der einzelnen Elemente.

[13]

Auch der Bau der Guyers weist Fugen auf. Hier wird in regelmässigen Abständen die Betonfläche durch Fugen unterbrochen. Dabei weist die Nordseite die kleinste Anzahl an Fugen auf, da hier die kleinsten Temperaturschwankungen zu erwarten sind, welche dazu führen können, dass Risse im Beton entstehen. Diese Fugen widerspiegeln jedoch nicht die einzelnen Bauetappen wie in Olten, sondern sind Dilatationsfugen, die das Ausdehnen des Materials aufnehmen. Eine Ausnahme in Stettbach bildet der vorgelagerte Sonnenschutz; er wurde im Elementbau errichtet. Heute ist die Fassade von Esther und Rolf Guyer mit einem körnigen Anstrich versehen. Dadurch geht die Individualität der einzelnen Bretter stark verloren und die Wand erscheint viel flächiger. Dies wäre jedoch nicht nötig, da der Beton als einziges modernes Material mit dem Alter schöner wird.48 Zudem weist der Beton auch ohne diese Behandlung einen vollwertigen Schutz gegen äussere Einflüsse auf.

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Abb. 13 Elementbau in Olten.

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Atelier 5, 1968, S. 2.

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[14]

[15]

[16] Abb. 14 Oberstufenschule Stettbach in Zürich-Schwamendingen, Betonoberfläche aussen. Abb. 15 Betonoberfläche in Aesch. Abb. 16 Scharrierte Oberfläche in Olten.

Generell wird bei den drei ausgewählten Schulhäusern sehr unterschiedlich mit der Oberfläche des Sichtbetons umgegangen. Bei den Schulen in Zürich-Schwamendingen und Aesch wird der Beton so belassen, wie er aus der Schalung kommt – rau und grob, so wie die sägerohen Holzbretter, die für die Schalung verwendet wurden. Es ist eine ähnliche Oberflächenqualität wie beim Kloster von Le Corbusier erkennbar. Sowohl für die Guyers wie auch für Förderer war die Verwendung von „béton brut“ durch Le Corbusier massstabgebend. Wie in La Tourette wird der Beton in Stettbach intelligent und sorgfältig eingesetzt und Begriffe wie „Direktheit und Wahrhaftigkeit“ sind anhand der Betonunterzüge nachzuvollziehen.49 Bei Förderer scheint die Form eine grössere Gewichtung zu haben als die Oberfläche. Christoph Hackelsberger schreibt in seinem Buch, dass es Förderer gelingt, in Kombination von Volumen und Licht die Massivität des Betons beizubehalten und ihn dennoch zu entmaterialisieren.50 Hier wird in einer anderen Form – nicht statisch – aufgezeigt, wozu der Beton im Stande ist. Ähnlich wie das Geotheanum in Dornach von Rudolf Steiner, das 1924–1928 errichtet wurde,51 wäre dieses Gebäude in seiner plastischen Erscheinung ohne den Baustoff Beton so nicht realisierbar. In Olten wird die Betonoberfläche in gewissen Bereichen nachträglich bewusst bearbeitet. Während die Randpartien eine glatte Oberfläche der Schalung aufweisen, sind die Wandflächen dazwischen scharriert. Dieses Wechselspiel der Oberflächen verstärkt die visuelle Wahrnehmung der Ränder und verstärkt die Idee der Skelettbauweise. Die grob scharrierten Flächen wirken visuell als Füllung, während die glatten Betonoberflächen die Statik übernehmen.

5.2 Betonspezifische Ausformulierungen Hackelsberger, 1988, S. 98. Hackelsberger, 1988, S. 104. 51 Hackelsberger, 1988, S. 100/104. 49 50

34 24

Der massive Gebäudekubus, welcher die Schulzimmer des Schulhauses in Stettbach beinhaltet, thront über einer Anzahl feiner Stützen.


Dies zeigt eindrücklich, dass das Material hohe Belastungen aufnehmen kann. Die Zurschaustellung der Leistungsfähigkeit wird beim Hauptzugang zum Hof noch erhöht, indem in diesem Bereich die Stützen fehlen und der Beton als Unterzug die Kräfte aufnimmt. Hier wird die Funktion des Stahlbetons verdeutlicht, dass er im Stande ist, sowohl Zug wie auch Druckkräfte aufzunehmen. Die grosse Überspannung einer Öffnung ist auch bei den beiden anderen Schulhäusern erkennbar. Die Bandfenster bei der Schule in Aesch, wie sie Corbusier zum Beispiel bei der Weissenhofsiedlung in Stuttgart52 verwendete, sind nur mit diesem Material, das sowohl Zug- wie auch Druckkräfte aufnehmen kann, denkbar. Auch die Ausformulierung der Öffnungen in Stettbach erinnert stark an die „brise-soleil“, welche zum ersten Mal beim Hochhaus in Algier von Le Corbusier auftauchen. Diese raumhaltige Vergitterung der Fenster kann nur als Betonkonstruktion ausgebildet werden.53 Bezüglich der Lastabtragung ist dies auch bei der Kantonsschule in Olten im Innern deutlich ablesbar. T-Stützen und Unterzüge prägen das Innenbild. Die Fuge zwischen dem Pfeiler und dem Unterzug generiert den Eindruck, dass der Unterzug lediglich zwischen die Stützen gehängt ist und keine Kräfte aufnehmen kann (Abb. 17). Eine Ausnahme bildet der Liftschacht, welcher entgegen dem Elementbau als Ortbetonkörper mit kleinteiliger Bretterschalung ausgebildet ist.

52 53

Hackelsberger, 1988, S. 91. Hackelsberger, 1988, S. 94.

Abb. 17 T-Stütze im Treppenhaus der Kantonsschule in Olten. [17]

5.3 Einsatzgebiet Sämtliche Betonbauteile in Stettbach weisen orthogonale Formen auf, was das Erstellen der Schalung vereinfacht. Im Innern ist die halbrunde Treppenhauswand in Backstein erstellt. In Bezug auf die Materialgerechtigkeit lässt sich fragen, weshalb eine organische Form mit einem Werkstoff erstellt wird, der aus quaderförmigen Modulen besteht und nicht im Beton, der als Gussmaterial diese Form leicht einnehmen könnte. Diese Backsteinwand ist lediglich eine inne-

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Abb. 18 Treppenhaus in Stettbach mit der halbkreisförmigen Bachsteinwand. Abb. 19 Korridor mit den Unterzügen aus Beton.

[18]

54

Rübel/Wagner/Wolff, 2005, S. 72-73.

36 26

re Verkleidung (Abb. 18). Besonders im Innenraum ist ersichtlich, dass der Beton, ausgenommen von der Treppenanlage, für statisch beanspruchte Bauteile zum Einsatz kommt. Der Beton bildet das Gerüst der Schulanlage, ähnlich wie bei der Kantonsschule in Olten. Gut ersichtlich ist dies bei den Unterzügen, welche quer durch das Gebäude führen und ohne Unterbruch von aussen nach innen verlaufen. Sie wirken wie Dornen, die das Gebäude zusammenbinden. Die zusätzlichen Materialien sind eine Ergänzung und füllen die Lücken zwischen den Betonelementen aus, sei es als Wandfläche oder als Deckenuntersicht. Das einheitlichste Bild auch im Innern weist die Schule in Aesch auf. Wie aussen wirkt auch das Innere wie aus einem Guss und verstärkt die plastische Architektur.

[19]

Die Eigenschaft, die Hillig dem Beton verschreibt, dass er ausgezeichnet für grosse Überspannungen wie etwa bei Geschossdecken verwendet werden kann,54 kommt bei allen drei Schulhäusern nicht gross zur Geltung. In Zürich-Schwamendingen sind es, wie bereits


beschrieben, lediglich die linearen Formen der Unterzüge. Die flächige Ausfachung erfolgt durch ein sekundär gewähltes Material. In Aesch kommt dies noch am meisten zum Ausdruck; jedoch werden die Geschossdecken durch den Innenhof unterbrochen, und in Olten kommt eine Rippendecke zum Einsatz, welche auch nicht als freie glatte Fläche ausgebildet ist. Im Unterschied zu den Schulen in Stettbach und Aesch wirkt die Schule in Olten wie eine Maschine. Die ergänzenden Materialien zum Beton wirken zweckmässig und robust. Während Holz oder Ton in den beiden anderen Schulhäusern verwendet wird, wird in Olten oft auf Stahl zurückgegriffen. Zudem ist der Massstab, in welchem der Beton angewendet wird, deutlich grösser. Diese Faktoren zusammen erzeugen ein industriell wirkendes Gesamterscheinungsbild der Schulanlage.

5.4 Detailausbildung Von der Statik losgelöste Betonbauteile weisen einen anderen Charakter auf als statisch benötigte Elemente. Dies beinhaltet in Stettbach besonders die Ausbildung der Brüstungen. Während die Brüstungen im Aussenraum schwebend zwischen die Pfeiler platziert sind, liegt die Brüstung der inneren Treppenanlage auf den tragenden Unterzügen nur in der Mitte auf. Diese Leichtigkeit verdeutlicht klar, dass der Beton an dieser Stelle keine Belastungen übernimmt, sondern lediglich ein gestalterisches Element bildet. Auch bei der Schule in Aesch gibt es diese Unterschiede. Hier wird vor allem die Eigenschaft des Giessens von Beton ausgeschöpft. Ein Beispiel dafür ist die sorgfältige Ausformulierung des Handlaufes bei der zentralen Treppenanlage oder das Integrieren des Mülleimers in der Wand. Da der Beton jegliche Form annimmt, entfallen komplizierte Anschlussdetails und generieren ein homogenes Erscheinungsbild. Die Details wachsen förmlich aus dem Material heraus.

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Abb. 20 Skizze des Handlaufes für die Realschule in Aesch von W. M. Förderer.

[20]

37 27


So entsteht etwa beim Handlauf der Eindruck, als sei die Aussparung aus dem Vollen gemeisselt (Abb. 17). In Olten sind es schliesslich die geschwungenen Formen und die Ausarbeitung der Übergänge der einzelnen Elemente, die den Unterschied generieren. Dabei kommt die Formenvielfalt des vorfabrizierten Betonbaus zum Ausdruck. Während die Gebäudekörper wie bei allen Schulhäusern als quaderförmiger Körper ausgebildet sind, weisen die vorfabrizierten Dachabschlüsse geschwungene Linien auf. Solche Formen in der Detailausbildung sind im Ortbeton mit einer Bretterschalung nicht machbar. Zudem wird beim Dachrandabschluss in Olten das Ineinandergreifen von verschiedenen Elementen gut ersichtlich. Die einzelnen Teile sind klar ablesbar, während in Zürich und Aesch die einzelnen Teile grösstenteils miteinander verschmelzen (Abb. 21). Abb. 21 Detail des Dachrandabschlusses in Olten.

[21]

38 28


6 Fazit Die der drei Schulhäuser verdeutlichen, dass es viele verschiedene Möglichkeiten gibt, mit dem Werkstoff Beton umzugehen. Jedoch haben die unterschiedlichen Anwendungen auch ihre eigenen Auswirkungen und Regeln, die befolgt werden müssen. Beim Sichtbeton ist sicher die visuelle Wahrnehmung der Oberfläche des Materials von Bedeutung. Dabei geht es nicht um die Beurteilung einer schönen oder einer weniger schönen Oberfläche. Viel mehr gilt es, die Möglichkeit aufzuzeigen, dass ein homogenes Bild erzeugt werden kann, bei der die Textur eine untergeordnete Rolle einnimmt und die Form des Bauwerkes in den Vordergrund rückt. Zum Anderen kann mit der Oberflächenbearbeitung nicht nur aufgezeigt werden, in wie vielen verschiedenen Varianten der Beton bearbeitet werden kann, sondern es kann auch die architektonische Haltung zur Schau gestellt oder sogar überhöht werden. Eine Folge des Elementbaus sind Arbeitsfugen, die zwischen den einzelnen Betonelementen entstehen. Sie können dazu genutzt werden, die tektonische Fügung wie bei der Kantonsschule in Olten darzustellen. Dagegen ermöglicht der Ortbeton ein homogeneres Erscheinungsbild, etwa die Form eines gewachsenen Körpers. Jedoch sind die Fugen ein betonspezifisches Merkmal, seien es Arbeits- oder Dilatationsfugen, auf die der Beton angewiesen ist. Das Gleiche gilt auch für die Schalung. Sowohl beim Ortbeton wie auch beim Elementbau wird die Notwendigkeit des Giessens ausgenutzt. Während der Ortbeton dazu dient monolithische Bauteile zu erzeugen, die das Bild generieren, dass alles aus einem Guss ist, ist es beim Elementbau vielmehr die Variation der Formen, die das Material einnehmen kann und die Ablesbarkeit der tektonischen Fügung. Gewisse Formen lassen sich demnach nur im vorgefertigten Elementbau erstellen.

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Literaturverzeichnis Amt für Raumplanung Kanton Basel-Landschaft. (2014). Kulturdenkmäler in Aesch. Schulanlage Neumatt in Aesch. Verfügbar unter: http://www.baselland.ch/neumatt-htm.289409.0.html (23.10.2014). Atelier 5. (1968). Sichtbeton. Schreibmaschinentext vom 19.11.1968. S. 1-2. Bandmann, G. (1969). Bemerkungen zu einer Ikonologie des Materials. In: Raff, T. Die Sprache der Materialien. Anleitung zu einer Ikonologie der Werkstoffe. Münster: Waxmann Verlag. Blaser, W. (1981). Basel – aus der Welt der grossen Architekten. In: Schweizer Ingenieur und Architekt, 99. Jg. (49). S. 1132. Bloch, P. A. (1974). Kantonsschule Hardwald Olten. Baugeschichte und Schulbetrieb. Olten: Dietschi. Brandt, J. & Polonyi, S. (2002). Beton Atlas. Entwerfen mit Stahlbeton im Hochbau. Düsseldorf: Verlag Bau + Technik. Deplazes, A. (2005). Architektur Konstruieren. Vom Rohmaterial zum Bauwerk (3. Aufl.). Basel: Birkhäuser Verlag. Fuhrimann, H-U. (2003). Marc Funk 1928–2002. In: Badener Neujahrsblätter. S. 220. Giedion, S. (1928). Eisenbeton. In: Rübel, D., Wagner, M. & Wolff, V. (Hrsg.), Materialästhetik. Quellentexte zu Kunst, Design und Architektur. Berlin: Dietrich Reimer Verlag.

40 30


Guyer, R. & Guyer, E. (2002). Bauten und Projekte 1953–2001. Zürich: Niggli Verlag. Hackelsberger, C. (1988). Beton: Stein der Weisen? Nachdenken über einen Baustoff. Wiesba-den: Vieweg. Hanak, M. (2013). Baukulter im Kanton Solothurn 1940–1980. Ein Inventar zur Architektur der Nachkriegsmoderne. Zürich: Verlag Scheidegger & Spiess. Hassler, U. (2010). Was der Architekt vom Stahlbeton wissen sollte. In: Hilsdorf, H. K. & Kier-dorf, A. Beton Phase 1: Material. Horw: Hochschule Luzern – Technik & Architektur. Hillig, H. (1914). Der Betonbau und die Dekorationsmalerei. In: Rübel, D., Wagner, M. & Wolff, V. (Hrsg.), Materialästhetik. Quellentexte zu Kunst, Design und Architektur. Berlin: Dietrich Reimer Verlag. Im Hinblick auf die Stadt der Zukunft. (1966). In: Werk, 53. Jg. (6). S. 208. Jödicke, J. (1964). New Brutalism: Brutalismus in der Architektur. In: Bauen + Wohnen, 18. Jg. (11). S. 421. Loderer, B. (1997). Betonliebe – Betonleidenschaft. In: Hochparterre, 10. Jg. (11). S. 12-13. Lüthi, E. (1971). Ich finde Beton zum Kotzen. In: Rübel, D., Wagner, M. & Wolff, V. (Hrsg.), Materialästhetik. Quellentexte zu Kunst, Design und Architektur. Berlin: Dietrich Reimer Verlag. Neue Architektur in Aesch BL. (1962). In: Werk, 49. Jg. (4). S. 75-76.

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Oberstufenschulhaus Stettbach, Zürich-Schwamendingen. (1968). In: Anthos, 7. Jg. (1). S. 15-18. Oberstufenschulhaus Stettbach, Zürich-Schwamendingen. (1969). In: Werk, 56. Jg. (7). S. 466-468. Raff, T. (2008). Die Sprache der Materialien. Anleitung zu einer Ikonologie der Werkstoffe. Münster: Waxmann Verlag. Realschule in Aesch (Baselland). (1965). In: Anthos, 4. Jg. (4). S. 1317. Realschule in Aesch BL. (1962). In: Werk, 49. Jg. (11). S. 394-404. Richner, H. (2011). Bau einer Betonschalung. Verfügbar unter: https://www.raplab.arch.ethz.ch/pdf/Betonschalung.pdf (29.11.2014). Rübel, D., Wagner, M. & Wolff, V. (2005). Materialästhetik. Quellentexte zu Kunst, Design und Architektur. Berlin: Dietrich Reimer Verlag.

42 32


Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Arnet 2014. Abb. 2: Beton: Stein der Weisen? Aus: Hackelsberger 1988, S. 97. Abb. 3: Oberstufenschulhaus Stettbach, ZĂźrich-Schwamendingen. Aus: Werk, 56. Jg. (7) 1969, S. 466. Abb. 4: Arnet 2014. Abb. 5: Realschule in Aesch BL. Aus: Werk, 49. Jg. (11) 1962, S. 394. Abb. 6: Realschule in Aesch (Baselland). Aus: Anthos, 4. Jg. (4) 1965, S. 14. Abb. 7-19: Arnet 2014. Abb. 20: Realschule in Aesch BL. Aus: Werk, 49. Jg. (11) 1962, S. 400. Abb. 21: Arnet 2014.

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Anhang Oberstufenschulhaus Stettbach in Zürich-Schwamendingen

[1]

Abb. 1 Grundriss Erdgeschoss. Abb. 2 Schnitt Schulzimmertrakt. Abb. 3 Schnitt Treppenanlage.

[2]

Literaturhinweis Guyer, R. & Guyer, E. (2002). Bauten und Projekte 1953–2001. Zürich: Niggli Verlag. Oberstufenschulhaus Stettbach, Zürich-Schwamendingen. (1968). In: Anthos, 7. Jg. (1). S. 17-18.

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[3]


Realschule in Aesch BL

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Abb. 1 Grundriss Erdgeschoss.

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Abb. 3 Südfassade.

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Abb. 2 Schnitt.

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Literaturhinweis Realschule in Aesch (Baselland). (1965). In: Anthos, 4. Jg. (4). S. 14. Realschule in Aesch BL. (1962). In: Werk, 49. Jg. (11). S. 399-402.

[3]

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Kantonsschule in Olten

[1]

Abb. 1 Grundriss Erdgeschoss. Abb. 2 Grundriss Schultrakt. Abb. 3 Schnitt.

[2]

Literaturhinweis Hanak, M. (2013). Baukulter im Kanton Solothurn 1940–1980. Ein Inventar zur Architektur der Nachkriegsmoderne. Zßrich: Verlag Scheidegger & Spiess. [3]

46 36


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Brutalismus, Modulor und Harmonie Die Rolle der Proportionen in Bauten von Otto Glaus Urban Blaas

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 20.01.2015 Verfasser: Urban Blaas Seebahnstrasse 105 8003 Zürich Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser

Hochschule Luzern Technik Architektur

Abstract - Eine grundsätzliche Faszination für die Ästhetik der Bauten von Otto Glaus sowie eine Vermutung der seinem Werk zugrunde liegenden Proportionssystematik sind Ausgangslage dieser Arbeit. Hier treffen zwei gegensätzliche Dinge aufeinander: Auf der einen Seite steht Otto Glaus als einer der Hauptexponenten eines “Schweizer Brutalismus“, bekannt für seine “béton - brut“ Bauten und auf der anderen Seite seine Verwendung klassischer Proportionslehren, welche bis auf die Pythagoräer zurückzuführen sind und welche im “modernen“ Diskurs wenig oder gar nicht beachtet werden. Ein Spannungsfeld, in welchem durch meine geometrisch - graphischen Untersuchungen Spuren einer Proportionssystematik in einem der Hauptwerke von Otto Glaus aufgedeckt werden.

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Einleitung Wie viele Stilrichtungen der Neuzeit (Nachkriegszeit, ab 1950er Jahre) lässt sich der Brutalismus schwer einordnen oder klar charakterisieren. Sehr weitgefasst ist in seinen Bauten der Wunsch einer starken Verknüpfung von Funktionen (Raum) und Materialien (Struktur) zu beobachten, welcher sich oft durch Mittel einer gewissen Rohheit der Materialisierung und einer möglichst ehrlichen Konstruktion ausdrückt.1 In der Anfangszeit des Brutalismus, besonders in England, beteiligen sich zwei Akteure massgeblich am Diskurs: Zum einen Reyner Banham, welcher sich in der theoretischen Abhandlung “New Brutalism“ , an einer präzisen Definition des Brutalismus versucht und dabei drei Hauptmerkmale hervorhebt: „Erstens die Errinnerbarkeit als ‘Image‘, Zweitens die klare Exposition der Konstruktion, Drittens die Verwendung der Materialien ‘as found“ 2 Zum anderen die sowohl bauenden als auch schreibenden Architekten Alison und Peter Smithson, welche den Brutalismus als Weiterentwicklung der modernen Architektur verstanden und dessen Abhängigkeiten zu grossen Meistern der Moderne wie Frank Loyd Wright, LeCorbusier und Ludwig Mies van der Rohe offenbarten. Dabei hebt sich der Brutalismus von der klassischen Moderne durch einen stärkeren Bezug zu alltäglichen Bedürfnissen ab, wobei eine Verwirklichung der Affinität zwischen dem Bau und dem Menschen als Wurzel des sogenannten “Neuen Brutalismus“ benannt wird.3 Ihre Schule in Hunstanton (1949 - 1954) wird als eine Art Manifesto des Neuen Brutalismus betrachtet. Einerseits verblüffte die Rohheit ihrer Materialien, andererseits war der Einfluss klassischer Proportionslehren - welche durch Rudolf Wittkowers Buch „Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus“ 1949 erläutert waren - klar erkennbar. 4 Die Aktualität des Brutalismus für die heutige Architekturpraxis - zumindest in der Schweizer Architektur - beruht auf einem grossen Interesse sowohl an “vorgefundenen“ Materialien als auch deren rohen, direkten und ehrlichen Verwendung. Diese Themen gewinnen heute in der Praxis und auch in der denkmalpflegerischen Beschäftigung mit dem brutalistischen Erbe erneut an Relevanz. Sie wurden zuletzt in einem Internationalem Symposium in Berlin 2012, zum Thema: „Brutalismus. Architekturen zwischen Alltag, Poesie und Theorie“ behandelt. Im Zuge dieses angehenden Diskurses wurde präzisiert: “ ...Brutalismus nicht als Stilbegriff zu verwenden, sondern von einer ‘Brutalistischen Praxis‘ zu sprechen: von einer sensiblen Nachkriegsmoderne innerhalb derer jede Position individuell zu erforschen und zu werten sei.“ 5

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Urban Blaas

1

vgl. Duden, (2015), http://www.duden.de/rechtschreibung/Brutalismus

2

Banham, Reyner ([1955] 2001), S.137

3

vgl. Alison / Smithson, Peter ([1955] 2004), S.82

4

vgl. Wolfgang Sonne, Vorwort zu Smithson, Alison / Smithson, Peter ([1955] 2004), S.82

5

Brutalismus. Architekturen zwischen Alltag, Poesie und Theorie, Internationales Symposium Berlin 2012 http://www.brutalismus.com

51 5


Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Bedeutung von Proportionslehren im Werk des Schweizer Architekten Otto Glaus. Dieser Schüler LeCorbusiers kann - neben der theoretischen Beschäftigung eines Reyner Banhams und den theoretisch-praktischen Leistungen der Smithsons - als ein bezeichnender Exponent des Schweizer Brutalismus betrachtet werden. So wird er auch treffend von Benedikt Loderer beschrieben: “Glaus baut. Er redet nicht. Er ereifert sich zwar, aber Architekt sein heisst für ihn bauen. Daraus ergibt sich sein Hang zum Praktischen und Praktikablen. Er braucht keine Theorie, er teilt die leise anti-intellektuelle Haltung seiner Generation.“ 6 Eine spannende Haltung, die vielleicht typisch für den Brutalismus in der Schweiz ist. In einem scheinbaren Gegensatz zu der schriftlich theoretischen Praxis anderer Länder (v.a. England, Frankreich) steht hier das Gebaute im Vordergrund und ‘muss für sich sprechen‘. Erstaunlich ist dabei jedoch, dass Otto Glaus zu einem wenig beachteten Aspekt des Brutalismus mehrfach Stellung bezieht. Er beruft sich in seiner Arbeit auf klassische Proportionslehren und hebt die Bedeutung einer Gesamtheit der Proportionen und Ausdrucksformen als ein bestimmendes Element seiner Entwürfe hervor.7 Dieses Thema ist laut dem Kunsttheoretiker Erwin Panofsky nicht nur in der Architektur unterschätzt, in seiner Einleitung zu “Die Entwicklung der Proportionslehre als Abbild der Stilentwicklung“ 1955 schreibt er:

6

Benedikt Loderer, in Ueli Lindt (1995), S.6

7

vgl. Otto Glaus, in Interview mit Ueli Lindt (1995), S.210

8

52 6

Erwin Panofsky ([1955] 2002), S.68

“Untersuchungen über Proportionsfragen werden meist mit Skepsis, mindestens aber ohne besonderes Interesse aufgenommen. Beides ist nicht verwunderlich. Das Misstrauen gründet sich auf der Beobachtung, dass gerade die Proportionsforschung allzu häufig der Versuchung unterliegt, aus den Dingen etwas herauszulesen, was sie selbst in sie hineingelegt hat: die Gleichgültigkeit erklärt sich aus der neuzeitlich-subjektivistischen Anschauung, dass eine künstlerische Leistung etwas schlechterdings Irrationales sei. Ein modernen Betrachter empfindet es bei seiner immer noch wesentlich romantischen Kunstauffassung geradezu als peinlich, mindestens aber als uninteressant, wenn der Historiker ihm sagt, dass dieser oder jener Darstellung ein rationales Proportionsgesetz oder gar ein bestimmtes geometrisches Schema zugrunde liegt.“ 8 Für die vorliegende Arbeit von besonderem Interesse war dabei die verblüffende Verwendung von Proportionslehren wie LeCorbusiers‘ Modulor oder später den harmonikalen Proportionen in den brutalistischen


Bauten im Spätwerk von Otto Glaus. Dieser sehr persönlichen Variante des Brutalismus, wie ich sie in den Bauten Otto Glaus vorfinde, soll die Hauptuntersuchung dieser Arbeit gelten. So sollen durch die Analyse von einem Gebäude, dem Konvikt in Chur, durch eine Art detektivisches Aufdecken, die Verwendung von Proportionssystemen die masslichen Abhängigkeiten des Etnwurfes aufgezeigt werden. In der Synthese wird dabei auf mögliche Einflüsse solcher Systeme auf die Ästhetik des Gebäudes und deren möglichen Zusammenhang mit einer gefundenen Anmut eingegangen. Der Hauptteil der Arbeit, die Untersuchung der angewandten Masssysteme, findet anhand von Aufmassplänen des Stadtarchivs von Chur und Originalplänen aus dem Nachlass von Otto Glaus statt. Der biografische Teil der Arbeit im ersten Kapitel wird vorwiegend aus der einzigen Monographie von Ueli Lindt über Otto Glaus aus dem Jahre 1995 entnommen. Das zweite Kapitel bietet als Überblick über die von Glaus angewandten Proportionssysteme das theoretische Rückgrat für die anschliessende Analyse. Eine grundsätzliche und vollständige Abhandlung zum Thema der Proportionslehre und im Besonderen zur Harmonielehre ist nicht Teil dieser Arbeit. Viel eher beziehen sich die Beschreibungen der verwendeten Systeme in erster Linie auf die Recherchen von Otto Glaus und wiederspiegeln so sein persönliches Verständnis der verschiedenen Proportionslehren und ermöglichen einen direkten Bezug zu deren Verwendung in seinen Bauten. Um ein breiteres Verständnis zu erleichtern, werden Otto Glaus‘ Beschreibungen der harmonikalen Proportionen teilweise ergänzt durch Definitionen und Interpretationen der Sekundärliteratur. Seine Beschreibungen der Methode des Modulors werden direkt durch einige Anmerkung aus dem gleichnamigen Buch LeCorbusiers‘ ergänzt. .

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53 7


Abb. 1. SĂźdansicht, Stampfenhaus 1942/43, Aus: Ueli Lindt (1995), S.11 Abb. 2. Grundrisse, aus Otto Glaus, Aus: Ueli Lindt (1995), S.10

54 8


1

Otto Glaus

1.1 Otto Glaus und LeCorbusier Otto Glaus ist also ein Architekt der viel baut und wenig theoretisiert, dies lässt sich im Kontext seiner Wurzeln sowie seines Werdegangs gut verstehen. Geboren wurde er 1914 als Sohn einer Bauern- und Wirtefamilie in Heiden im Kanton Appenzell, wo er auch seine Kinder- und Jugendjahre verbrachte. Der Weg zum ersten Kontakt mit LeCorbusier führte über eine Handwerkslehre als Tapezierer und zweijähriger Berufstätigkeit in Basel sowie dem Besuch der Innenarchitektur-Klasse der Kunstgewerbeschule in Zürich von 1936 bis 1937, dem Jahr der Weltausstellung. Auf Empfehlung seines Lehrers Wilhelm Kienzle und Alfred Roths ging er im selben Jahr nach Paris und fand im Architekturbüro LeCorbusier als Mitarbeiter eine Anstellung. Diese Anstellung dauerte ein Jahr bis er Ende 1938 wieder nach Zürich zurückkehrte und mangels Arbeit in Architektur in einem Konstruktionsbüro als technischer Angestellter an Pavillons der Schweizerischen Landesaustellung von 1939 arbeitete. Parallel bereitete er sich auf die Matura vor, um schliesslich von 1941 bis 1945 Architektur am Polytechnikum in Zürich zu studieren. Sein erlangtes Wissen durch die Arbeit im Atelier LeCorbusier verhalf ihm zu keinen Vorteilen im Studium. Seine Professoren schätzten damals diese Vorbildung nicht sehr hoch ein, weil in den Kriegsjahren ein starkes Bedürfnis herrschte eine Eigenständigkeit der Schweiz auch in der Architektur zum Ausdruck zu bringen. Bereits während dem Studium betrat Otto Glaus in einer Arbeitsgemeinschaft mit Oskar Burri seinen Weg der Praxis, auf dem er in seiner langjährigen Tätigkeit rund zehn Büros betrieb. 9 Trotz der relativ kurzen Zeitt bei LeCorbusier ist vor allem das Spätwerk von Otto Glaus ab den 1960er Jahren stark geprägt von Corbusiers Auseinandersetzungen mit rohen Materialien und der Anwendung von Masssystemen wie dem Modulor und den harmonikalen Proportionen, auf welche ich im nächsten Kapitel genauer eingehen werde. 10 1.2 Die Nähe zum Brutalismus im Spätwerk von Otto Glaus Bereits während seines Studiums beginnt Otto Glaus‘ Wirken als praktizierender Architekt, seine ersten Projekte bezeichnet Loderer als “hölzern - regionalistisch“, weist dann jedoch sogleich auf die feinen Unterschiede hin. Das Stampfenhaus in Bern mit seiner sichtbaren Tragkonstruktion aus Rundhölzern und einer Neuinterpretation des Krüppelwalmdachs ordnet Loderer dann doch näher bei Pionierarbeiten als bei der Tradition der Berner Bauernhäuser ein. 11 Dieses Pionierhafte, gepaart mit dem stets vorhandenen Bewusstsein für die bauliche Tradition und örtlich - kontextuellen Gegebenheiten, zieht sich durch

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Büros in Zürich: Büro Glaus & Burri (1942-45) Büro Glaus (I 945-63) Büro Glaus & Lienhard (1963-67) Büro Glaus (1967-71) Büro GAP (Glaus, Allemann & Partner) (1971-87) Büro Glaus (1987-94) Zweigbüros: Büro Glaus & Stadlin in St.Gallen (1954- 93) Büro Glaus in Heiden (I 952-66) Büro Glaus in Bad Ragaz (1958-71) Büro Glaus in Agno (1956-59)

9

vgl. Ueli Lindt (1995), S.9

10 vgl. Ueli Lindt (1995), S.8 ff 11 vgl. Benedikt Loderer, in Ueli Lindt (1995), S.6

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das gesamte Schaffen von Otto Glaus; von seinen frühen, noch stärker regionalistisch geprägten Bauten bis hin zu späteren Werken, welche schon zu den Vorläufern einer brutalistischen Praxis gehören, und schon charakteristische Anzeichen des Brutalismus aufweisen: “Wenn er von den glatten Fassaden seiner ersten Wohnhäuser schrittweisse zu den plastischen betonten Formen seiner Beton-brut-Zeit kommt, so hat er dafür Gründe, liefert aber keine Begründungen.“ 12 Abb. 3. Ladenlokale Bisquit Suter AG, Winterthur 1950/51, aus: Ueli Lindt (1995), S. 106

Abb. 4. Strassenfassade, Mehrfamilienhaus Riesbacherhof Zürich 1953/54, aus: Ueli Lindt (1995), S. 40

In den 50er Jahren befreit sich Glaus von regionalistischen Tendenzen und entwickelt in mehreren klaren und spannungsvollen Entwürfen seine eigene Formensprache. In dieser Zeit durchläuft er eine entwerferische Entwicklung, welche ihn endgültig zu seinem bevorzugten Werkstoff, dem Beton, führt. Erst dies ermöglicht ihm die volle Entfaltung seines Willens zur freien Gestaltung sowohl der Volumen als auch der Innenräume. Dabei wurde der Umgang mit Beton zunehmend skulpturaler; unter Anwendung des “Modulors“ von LeCorbusier oder den Proportionen der “Harmonikalen Konsonanten“ wird die kubische Gestaltung mehrerer seiner Projekte der 60er Jahre bestimmt. Deshalb wird Glaus oft als Vertreter des “béton brut“ bezeichnet, wobei er selbst stets hervorhebt, dass ihn am Beton primär die freie kubische Gestaltung und nicht dessen Rohheit interessiert.13 So beschreibt er in einem Interview den für ihn wichtigen Zusammenhang des Werkstoffes Beton mit dem Ansatz einer Gesamtgestaltung der Entwürfe: “Beton ist für mich ganz einfach ein zu Kunststein werdendes Kies - Sand Zementgemisch… , dem man während der Bearbeitung am Bau oder in der sogenannten Vorfabrikation die gewünschte Form geben kann.“ 14

12 vgl. Benedikt Loderere, in Ueli Lindt (1995), Otto Glaus, Architekt, S.6 13 vgl. Ueli Lindt (1995), Otto Glaus, Architekt, S.8 14 Otto Glaus, in Ueli Lindt (1995), Otto Glaus, Architekt, S.212 15 Otto Glaus (1995): Zu meiner Architektur, Vortrag Otto Glaus Buchvernissage im Architekturforum Zürich

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Auch versteht sich Glaus grundsätzlich nicht in erster Linie als “moderner“ Architekt. Vielmehr hebt er hervor, wie er verschiedene Bauaufgaben durch verschiedene Herangehensweisen beantwortet habe: „In einer landwirtschaftlichen Umgebung mit traditioneller Architektursprache habe ich mich immer von der gegebenen Bauweise inspirieren lassen. In einem eigenständigen schönen Bautenensemble,..., war es immer mein Ziel das Bestehende aufzunehmeen und das Neue einzuordnen. Keinerlei äusseren Vorgaben empfand ich beim Bauen in der freien Landschaft und ebenso frei habe ich mich gefühlt wenn die bestehende Überbauung... keinerlei architektonische Qualiät aufzeigte. In diesen Fällen fühlte ich mich geradezu verantwortlich, eine bewusst eigenständige, gut proportionierte Architektursprache anzuwenden ...“ 15


An dieser stelle fasst er seine sich selber gestellten Anforderungen; „Rücksichtnahme, Eigenständigkeit und Harmonikale Gestaltung“ 16 kurz zusammen und fügt an, dass er sich damit frei fühle. Hier zeigt sich, dass Glaus nie das Gefühl hatte, “modern“ zu sein. Viel eher bezeichnet er sein Empfinden als “skulpturell“ in einer barocken Art und Weise. Die Gesamtheit der Proportionen und Ausdrucksformen bestimmen dabei die Wirkung seiner Entwürfe. Am Barock fasziniert Glaus dabei nicht primär die Formensprache, sondern die gesamtheitliche Betrachtungsweise im Gegensatz zur linearen Auffassung der Renaissance oder des Klassizismus. Den architektonischen Entwurf versteht er so wo immer möglich als Ganzes und nicht als Synthese von Einzelentscheidungen. Dies vergleicht er auch mit der Art in der LeCorbusier entworfen hat; auch seine Gebäude sind stet als Gesamtes eine Einheit, eine Skulptur. Jedoch hebt er hervor, dass er nicht in erster Linie durch seine Lehrzeit bei LeCorbusier in dieser Hinsicht geprägt wurde, sondern schon vorher in seinem Grundwesen stets eine “Barockfigur“, und nie ein Systematiker oder Mathematiker, gewesen sei. 17 Genau durch diese Aussagen lässt sich die Bedeutung, welche den verschiedenen von Glaus verwendeten Mass- und Proportionssystemen in seinem Werk zukommt, besser verstehen. Verschiedene Aufgaben fordern verschiedene entwerferische Massnahmen, jedoch steht in jedem Entwurf der Wille einer harmonischen Gesamtgestaltung an erster Stelle. So beschreibt Glaus an verschiedener Stelle seine Verwendung klassischer Proportionslehren.

Abb. 5. Ansicht, Aeroporto in Lugano-Agno 1956-58, aus: Ueli Lindt (1995), S. 87

Abb. 6. Westfassade Haus A, Siedlung Jakobsgut in Zürich-Höngg 196669, aus: Ueli Lindt (1995), S. 66

16 Otto Glaus (1995): Vortrag, Otto Glaus Buchvernissage im Architekturforum Zürich 17 vgl. Otto Glaus, in Ueli Lindt (1995), S.210 ff

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Abb. 7. Zeichnung LeCorbusier zum Modulor, aus: LeCorbusier (1953), S. 40

58 12


2 Proportionslehren im Werk von Otto Glaus 2.1 Otto Glaus und seine Masssysteme Glaus experimentiert zuerst hauptsächlich mit dem “Modulor“ von LeCorbusier, welcher auf dem goldenen Schnitt basiert, bis er später auch die harmonikalen Proportionen der Pythagoräer für sich entdeckt und vermehrt verwendet. Als Kritik am goldenen Schnitt beschreibt er die unpraktischen Masse, welche dieser hervorbringt. In einer Rede hinterfragt er sogar offen, warum die moderne Architektur von harmonikaler Proportionalität nichts wissen will.18 Wieder betont er, dass für ihn nie die sogenannte Modernität, sondern immer die Frage der möglichen harmonischen Gestaltung in der Architektur massgebend war. Otto Glaus beschreibt seine erste Berührung mit Masssystemen in der Architektur bei der Arbeit im Büro von Le Corbusier. Dieser beschäftige sich schon in den 1950er Jahren der Nachkriegszeit, in Zusammenarbeit mit einem Pariser Ingenieur, mit den sogenannten “goldenen Schnittverhältnissen“ des Menschen. Le Corbusier entwickelte aus dieser Auseinandersetzung das sogenannte Modulor-System, ein Entwurfsinstrument mit dem Ziel, mit menschlich-harmonischen Proportionen die „total freigewordenen“ Architektur der Nachkriegszeit in eine harmonische Ordnung zu integrieren. Für Glaus lag eine ungeheure Faszination gerade darin, dass dieser Vorstoss in eine in der klassischen Moderne eher unbeachtete Thematik, durch einen in seinen Augen der frei denkenden Architekten seiner Zeit, LeCorbusier, geschah. Dies führte dazu, dass Glaus in den Jahren nach seiner Mitarbeit im Büro LeCorbusiers bei seinen Bauaufgaben häufig die Proportionen des “Modulors“ verwendete. Erst später, vermutlich durch André Studer, erfuhr er über die Wissenschaft der “harmonikalen Gesetze“, welche durch die Pythagoräer um 600 - 500 v.Chr. entwickelt wurden. Deren Verwendung in allen Tempelbauten der griechischen Antike bestätigen in Glaus‘ Verständnis die Relevanz dieser Lehre. Dabei hebt er hervor, dass die durch die “harmonikalen Gesetze“ gefundenen Masse, im Gegensatz zu den rein geometrischen Massverhältnissen des goldenen Schnittes (a:b=b:a+b), welche irrationale Zahlen ergeben, ausschliesslich Intervall - Werte aus ganzen, einfachen Zahlenverhältnissen ergeben. So zieht Otto Glaus - zumindest in seiner theoretischen Recherche - dieses frühe Proportionssystem der Pythagoräer den auf dem goldenen Schnitt basierten Systemen vor. 19 Grundsätzlich eignet sich Otto Glaus durch seine Beschäftigung mit diesen verschiedenen Proportionslehren ein tiefes Verständnis der Thematik an: Einerseits der neusten Versuche einer Definition von Proportionssystemen wie dem “Modulor“, andererseits der für ihn ursprünglichsten Variante eines Proportionssysystem, den harmonikalen Verhältnissen der Pythagoräer. Erst dies erlaubt ihm deren Benutzung, in seiner persönlichen Inter-

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18 Otto Glaus (1995): Vortrag, Otto Glaus Buchvernissage im Architekturforum Zürich 19 vgl. Otto Glaus, in Ueli Lindt (1995), S.211 ff

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pretation, für seine Entwurfsarbeiten. Diese ist keineswegs dogmatisch und auch Otto Glaus selbst macht klar: “Weder der Modular noch die harmonikalen Konsonanten sollten sklavisch angewandt werden.“ 20 Wie “sklavisch“ ging Otto Glaus also den strengen Proportionslehren in seinen Bauten nach? In einem Interview antwortet er, präzise nach dem Zeitpunkt der Verwendung der verschiedenen Masssysteme gefragt, mit einer Ausführung zu seinem persönlichen Verständnis der verschiedenen Masssysteme, deren Vor - und Nachteile. Jedoch umgeht er eine präzise Antwort auf die Frage, indem er offen lässt, in welchen Bauten er welches System in welchem Umfang verwendet hatte. Er beschreibt lose, in seinen frühen Bauten vermehrt mit dem “Modulor“, später eher mit den harmonikalen Proportionen, und zuletzt wieder mit dem “Modulor“ gearbeitet zu haben: “Allerdings habe ich bei später realisierten Bauten manchmal auch wieder den “Modulor“ verwendet, der bei freier gemischter Anwendung sowohl der roten als auch der blauen Reihe eine echte Hilfestellung bei der Proportionenfindung der baulichen Masse gibt. Jeder meiner Mitarbeiter hatte über seinem Zeichentisch die Masstabelle des “Modulors“ als Arbeitsinstrument zur Verfügung.“ 21

20 vgl. Otto Glaus, in Ueli Lindt (1995), S.212 21 vgl. Otto Glaus, in Ueli Lindt (1995), S.213

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Meine Arbeit versucht anhand der Analyse eines exemplarischen Entwurfsund Bauprojektes von Otto Glaus, dem Konvikt in Chur, aufzudecken, wie und in welcher Weise er mit Masssystemen und Proportionslehren gearbeitet hat. Dabei gilt es aufzuzeigen, welche Elemente des Entwurfes einem masslichen System unterliegen und inwieweit diese Systeme strikt angewendet werden. Auch will ich aufzeigen, in welchem Grade verschiedene Systeme vermischt oder verknüpft werden. Das Konvikt in Chur eignet sich dabei besonders für die hier vorgeschlagene Analysearbeit: Es nimmt im Werk von Otto Glaus dadurch eine besondere Stellung ein, dass es durch die starke skulpturale Ausprägung im Sinne einer Anmutigkeit des Bauwerkes und seiner Materialisierung in hauptsächlich rohen Betonoberflächen sehr nahe an die gängigen Charakteristika des Brutalismus herantritt. Die auch von Glaus beschriebene Freiheit im Entwurf der Volumen und Massen mit ihren vielen homogenen Oberflächen und ohne ersichtliches Grundraster lässt die Vorstellung eines strikt angewandten Masssystems unwahrscheinlich erscheinen. Im Gegensatz zu anderen Bauten ist hier in einer ersten Betrachtung kein offensichtliches Grundraster, ob aussen oder innen, erkennbar oder ablesbar.


Hier kann eine Analyse Klarheit über die verwendeten Methoden des Architekten schaffen und zudem meine Vermutung eines Zusammenhanges der Ästhetik des Gebäudes mit dessen Proportionssystematik aufdecken. 2.2 Harmonik, der Goldene Schnitt und der Modulor Der folgende Abschnitt bietet einen groben Überblick der in den vorangegangen Abschnitten erwähnten Proportionssystemen. Es soll dabei bewusst nicht auf den teilweise offen umstrittenen Diskurs zur Bedeutung der Harmonik in der Gestaltung eingegangen werden, viel eher soll die kurze Beschreibung der verschiedenen Systeme dem Leser ein für das Verständnis der Analysearbeiten nötiges Grundwissen ermöglichen. Einleitend soll dabei kurz auf die historische Entwicklung und Verwendung der von Otto Glaus benutzten Systeme der harmonikalen Proportionen, des goldenen Schnittes sowie des “Modulors“ eingegangen werden. Anschliessend soll jedoch hauptsächlich klar hervorgehoben werden, in welcher Weise Otto Glaus selbst, durch seine Recherche und praktische Arbeit, sich mit den verschiedenen Proportionssystemen beschäftig hat und in welcher Weise er diese versteht und erläutert. Ein spannender Punkt ist dabei, wie er an verschiedener Stelle seine Präferenz für die harmonikalen Proportionen hervorhebt und begründet. Nach Paul Naredi - Rainer ist Proportion im allgemeinen und auch im kunsthistorischen Sprachgebrauch ein terminologisch unklarer Begriff. Einerseits wird er im Sinne vom griechischen Wort “ratio“, dem Verhältnis zweier Dinge (a:b), andererseits in der Bedeutung vom griechischen Wort “proportio“, der Ähnlichkeit zweier oder mehrerer Verhältnisse (a:b = c:d = e:f), verwendet. Normalerweise versteht man aber im kunsthistorischen Kontext unter Proportion sowohl die Beziehung zwischen zwei als auch zwischen mehreren Grössen. Er beschreibt auch den Unterschied von kommensurabeln und inkommensurabeln Proportionierungssystemen, wobei nach Euklid gilt: “Grössen, die von demselben Mass gemessen werden, sind kommensurabel und solche, für welche es kein gemeinsames Mass gibt, sind inkommensurabel“ 22 Das heisst, inkommensurable Proportionierungsmethoden bringen teilweise irrationale Massverhältnisse hervor, etwas was Glaus oft im Zusammenhang mit der Verwendung des Modulors beschreibt.

22 Paul von Naredi-Rainer([1982] 2001), S.138 ff

2.2.1 Harmonik Naredi - Rainer hebt in seinem Buch hervor, dass kaum ein Begriff der abendländischen Geistesgeschichte so umfassend wie der der Harmonie ist. Das Wort Harmonie taucht in verschiedenen Zeiten auf, zuerst als einfacher Begriff und dann als mythologische Person, welche zuletzt von der

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Abb. 8. oben: Zeichnung „harmonikales Grundgebilde, die sogenannte Obertonreihe“, aus: Hans Kayser (1984), S. 145 Abb. 9. Tabelle, „..mit wichtigsten Intervallen und üblichen Bezeichnungen aus der Musiktheorie“, aus: Paul von NarediRainer([1982] 2001), S.163

23 vgl. Otto Glaus, in Ueli Lindt (1995), S.212 24 vgl. Paul von Naredi-Rainer([1982] 2001), S.150 25 vgl. Paul von Naredi-Rainer([1982] 2001), S.150

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sinnbildlichen Figur zum Symbol wird. Für die vorliegende Arbeit relevant ist die Beschreibung durch die Pythagoräer um ca. 600v.Chr. Sie bauen den Mythos einer grundlegenden Verbindung von Harmonie und Kosmos zu einem umfassenden Weltbild aus. So war Harmonie in ihren Augen nicht nur eine wertvolle, schöne und nützliche, sondern auch einen objektiv begründete, ja die objektive Eigenschaft der Dinge schlechthin. Sie verstanden Harmonie nicht nur als Regelhaftigkeit und Ordnung einzelner, sondern als regelmässige Anordnung vieler Dinge und Teile. 23 Ihr wesentlich neuer Gedanke bestand darin, den Harmoniebegriff als mathematische Regelmässigkeit zu fassen und so die vorher mehr allgemeinen Harmoniervorstellungen konkret als Ordnung von Zahlen und Proportionen zu verstehen.24 Dieser Glaube an die Prinzipien der ganzen Zahlen und deren Verhältnisse erlaubte ihnen die Aufstellung einer Proportionierungsmethode, welche sich auf die harmonischen Konsonanten, d.h. auf die tonalen Intervall - Verhältnisse bezog. Der Bezug zur musikalischen Harmonik und deren Intervalle bewirkt dabei, dass über die Jahrhunderte immer wieder verschiedene Intervalle als “vollkommen“ betrachtet und zur Proportionierung verwendet wurden. Vor allem das Empfinden der Schönheit der Konsonanten, also dem konsonanten Gleichklang von Tönen, ändert sich über die Zeit. Neue Intervalle kommen dazu, bestehende Konsonanten werden erweitert oder verfeinert. Die Häufigkeit ihrer Verwendung in der Architektur wird dabei einerseits von der Eignung für eine leichte Anwendbarkeit, andererseits aber auch durch ihre musiktheoretische Bewertung zur jeweiligen Zeit bestimmt. 25


2.2.2 zum Goldenen Schnitt und zum Modulor Dieses wahrscheinlich schon Platon bekannte und von Euklid beschriebene Teilungsverhältnis teilt eine gegebene Strecke in zwei ungleiche Abschnitte, deren kleinerer sich zum grösseren verhält, wie dieser sich zur ganzen Strecke. Formelhaft ausgedrückt bedeutet das a:b = b: (a+b). In rationalen Zahlen ist diese in beide Richtungen sukzessiv fortsetzbare Teilung nicht auszudrücken, jedoch geometrisch konstruierbar. Setzt man in der angegebenen, beliebig zu erweiternden Formel b=1, erhält man die geometrische Reihe (0.618…, 1, 1.618…, 2.618…, 4.236…, etc.), in der jede Zahr zur nächsthöheren den Quotienten (Wurzel(5) - 1 / 2) (= 0.618…), zur nächstniedrigen den Quotienten (Wurzel(5) + 1 / 2) ergibt. 26 Schon in der Antike wusste man, dass das Verhältnis von 5:8 (=0.625), das vom Wert 0.618… nur um 1.1% abweicht, an die irrationalen Proportionen des Goldenen Schnittes ein Annäherungslösung in rationalen Zahlen darstellt. Zunehmend genauer nähern sich der irrationalen Zahl (Wurzel(5) - 1 / 2) die Quotienten aus den jeweils benachbarten Gliedern einer Zahlenfolge, der auch die Zahlen 5 und 8 angehören. Diese Zahlenfolge wurde vom bedeutenden mittelalterlichen Mathematiker Leonardo da Pisa (um 1180 - 1240) gefunden. Jedes Glied dieser nach Leonardos Beinamen ‘Fibonacci‘ benannten Zahlenfolge ist die Summe der beiden vorhergehenden Glieder, formalhaft ausgdrückt a(n+1) = a(n) + a(n-1), mit der Anfangsbedingung a(1) = a(2) = 1. 27 LeCorbusiers blaue und rote Modulor - Reihen sind im Prinzip Fibonacci - Folgen, die allerdings nicht von den Gliedern 1,1,2,3, etc. ihren Ausgang

Abb. 10. Geometrische Teilung einer länge a nach dem Goldenen Schnitt, aus: Neufert (2005), S. 38

Abb. 11. Konstruktion Modulor, aus: LeCorbusier (1953), S. 64

26 vgl. Paul von Naredi-Rainer([1982] 2001), S. 101 27 vgl. Paul von Naredi-Rainer([1982] 2001), S.102ff

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Abb. 12. Blaue Reihe; Rote Reihe des Modulors, aus: LeCorbusier (1953), S. 84

28 vgl. Paul von Naredi-Rainer([1982] 2001), S.185ff 29 vgl. Paul von Naredi-Rainer([1982] 2001), S.187ff

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nehmen, sondern von den an durchschnittlichen Zentimeter - Abmessungen des menschlichen Körpers orientierten Zahlen 113cm bzw. 183cm (rote Reihe) und 226cm (blaue Reihe). Da die Masse aus beiden - jeweils nach dem Fibonacci - Prinzip aufgebauten - Reihen beliebig entnommen und kombiniert werden können, ergeben sich bei der Anwendung des Modulors natürlich nicht nur Verhältnisse im Goldenen Schnitt. 28 “Der Modulor“ ist das von LeCorbusier 1940 begonnene Masssystem, welches den “goldenen Schnitt“ mit den “menschlichen Massen“ zu verbinden versucht. Als Ausgangslage definiert LeCorbusier ein Grundmass von 175cm, später 183cm (oder 8 Zoll) als “menschliches Mass“. Von diesen - relativ frei gewählten - Standardgrössen des menschlichen Körpers ausgehend definiert er zwei Reihen von Massen, welche zueinander alle in einem ungefähren Verhältnis des “goldenen Schnittes“ stehen. Ungefähr daher, dass der “goldene Schnitt“ eigentlich irrationale Zahlen hervorbringt, LeCorbusier diese jedoch auf ganze Zentimeter - Zahlen rundet (z.Bsp. nimmt er 113cm als Bauchnabelhöhe, 226cm als Gesamthöhe mit ausgestrecktem Arm). Durch die sukzessive Teilung dieser Werte entstehen die blaue und die rote Reihe, eine Anzahl von Massen welche in LeCorbusiers Vision als Ausgangslage einer guten Proportionierung in einer industriellen Massenproduktion dienen sollte. So verwendet er ab da für seine Entwürfe oft die durch den “Modulor“ gefunden Masse, sowohl in der räumlichen Gestaltung als auch in seinen Möbelentwürfen. Der erwünschte Erfolg auf der Ebene einer industriellen, standardisierten Massenproduktion blieb jedoch aus, was in Betracht der relativen Willkürlichkeit der gewählten Masse sowie deren Unpraktikabilität aus heutiger Sicht nicht weiter verwundert. Nicht unbedeutend ist jedoch der Fakt, dass LeCorbusier sich mit dem Modulor in eine Tradition von Versuchen einschreibt, ein humanisierdendes Mass- oder Proportionssystem (wieder -) einzuführen. 29 2.3 Otto Glaus zu den Proportionslehren Otto Glaus äussert sich an verschiedener Stelle zu seinen verschiedenen Masssystemen und Proportionierungsmethoden. Er beschreibt, dass er anfangs keine Kenntnis der harmonikalen Proportionen gehabt habe, und erst später durch André Studer auf diese aufmerksam wurde. Er fügt an, dass auch LeCorbusier wohl nicht mit den harmonikalen Proportionen bekannt war, als er auf der Basis der menschlichen Masse und des goldenen Schnittes seine Modulorordnung entwickelte. Seine ausführliche Beschreibung der Entdeckungen der Pythagoräer einer harmonikalen Ordnung als Analogie zum Wohlklang verschiedener gleichzeitig hörbarer Tonhöhen, der Konsonanten, zeugt von seiner intensiven Beschäftigung mit der historischen Basis dieser Proportionsmethode. Sogar das benutzte Hilfsmit-


tel der Pythagoräer, das Monochord (einfaches Saiteninstrument, sieben gleichlange Saiten), welches durch Abtragen und Fixieren metrischer Verhältnisse das Testen und Hören der Konsonanten erlaubte, wird von ihm erwähnt. Er beschreibt dabei, wie die tief im mythologischen Urbereich wurzelnden musikalischen Harmonien der Untersuchung von Analogien verschiedener Ton - Intervalle und Massverhältnisse dienten. Er erklärt: “So entdeckten sie die einfachen symphonischen Verhältnisse, deren Genauigkeit unser Ohr fehlerfrei feststellen kann und deren räumliche Umsetzung unser Auge als angenehm und edel wahrnimmt. Diese Lehre der harmonikalen Proportionsverhältnisse in Mass und Ton galt im alten Griechenland als göttliches Gesetz. Die griechischen Tempelfassaden zum Beispiel richten sich in ihren Proportionen nicht nach dem goldenen Schnitt, sondern beruhen auf ganzzahligen Verhältnissen (1:1 Prime, 1:2 Oktave, 1:3 Diodezima, 2:3 Quinte, 3:4 Quarte, 3:5 große Sext, 5:8 kleine Sext, etc.), eben den harmonikalen Verhältnissen.“ 30 Dem gegenüber erwähnt er die Massverhältnisse des goldenen Schnittes eher kritisch, und erläutert: “ Die von Pater Pacioli 1507 entdeckten, rein geometrischen Maßverhältnisse des goldenen Schnittes (a:b=b:a+b) ergeben ausschließlich Werte mit irrationalen Zahlen, wogegen die gesamten harmonikalen Intervall-Werte aus ganzen, einfachen Zahlenverhältnissen bestehen.“ 31 Er erklärt, dass das Verhältnis des goldenen Schnittes mit 0,6176 ... sich nahe der kleinen Sext (0,625) befinde und dadurch diese harmonikale Proportion oft dem goldenen Schnitt zugerechnet wurde. Weiter bemerkt er, dass der goldene Schnitt, die «Sectio aurea» laut seines Wissens keine Anwendung in der Musik findet, und gibt zu bedenken: “Die neuzeitliche Architektur glaubte jedoch an den goldenen Schnitt. Obwohl Vitruv die griechischen harmonikalen Gesetze wieder zusammengetragen hatte und dadurch die Massstäblichkeit der römischen Architektur und aller darauf aufbauender Stilepochen bestimmt hatte, hat der in der Architektur wegen seiner Massverhältnisse nur sehr schwer verwendbare goldene Schnitt die Anwendung der harmonikalen Proportionen seit Anfang des 19. Jahrhunderts fast vollständig verdrängt.“ 32 Grundsätzlich würde uns das vermuten lassen, dass Otto Glaus in seiner Arbeit eine klare Präferenz der harmonikalen Konsonanten als Proportionierungsmethode hatte, welche er wegen der beschriebenen Vorteile ande-

Brutalismus, Modulor und Harmonie

Urban Blaas

30 Otto Glaus, in Ueli Lindt (1995), S.212 31 ebd. S. 211-212 32 ebd. S. 211-212

65 19


ren Methoden vorziehen müsste. Jedoch glaube ich, dass seine kritischen Äusserungen eher als eine Art didaktischer Aufruf zu verstehen sind, in welchem er Aufmerksamkeit auf die für ihn in seiner Zeit zu wenig beachtete und bekannte Methode der harmonikalen Proportionierung lenken wollte, zu betrachten sind. So relativiert er auch umgehend sein Aussagen und beschreibt, wie er in seiner Praxis sowohl den Modulor als auch die harmonikalen Proportionen oder sogar eigene Proportionsverhältnisse verwendet:

33 Otto Glaus, in Ueli Lindt (1995), S.212

66 20

“Allerdings habe ich bei später realisierten Bauten manchmal auch wieder den Modular verwendet, der bei freier gemischter Anwendung sowohl der roten als auch der blauen Reihe eine echte Hilfestellung bei der Proportionenfindung der baulichen Masse gibt. Jeder meiner Mitarbeiter hatte über seinem Zeichentisch die Maßtabelle des Modulors als Arbeitsinstrument zur Verfügung. Es gab allerdings auch Bauten, bei denen ich eigene Proportionsverhältnisse gesucht habe.“ 33


3 Analyse der Proportionen an einem Beispiel 3.1 Zur Methodik Als Grundlage für die Analyse diente eine Untersuchung von Klaus-Peter Gast über Bauten von Louis Kahn. Seine Methode besteht vor allem aus einer graphisch - geometrischen Untersuchung und weniger aus einer mathematische - theoretischen Herleitung. Er beschreibt, wie seine Analysen im Sinne einer Deutung zu verstehen sind und das sie eine Existenz einer Ordnung in Kahns Bauten voraussetzen. Innerhalb von zweidimensionalen Zusammenhängen werden die geometrische Struktur der Grundrissefiguren, die Disposition der Teilfiguren und die vermutete Integration aller Teile in ein Übergeordnetes Ganzes untersucht. 34 Die nachfolgenden Analysearbeiten stellen demzufolge keine gesamtheitliche Untersuchung aller Teile des Gebäudekomplexes dar, sondern versuchen in gewählten Ausschnitten exemplarisch mit massstäblich -geometrischen Figuren das Gebäude nach den besprochenen Proportionssystemen zu untersuchen. Es wird wie folgt vorgegangen: Gestartet wird mit der Suche nach einer „Figur des Beginns“ 35 , in Glaus‘ Gebäude können dies sich wiederholende Grössen sein. Daraus folgt eine Betrachtung der Grundrisse aufgrund einer möglichen Anfangsfigur. Dies erlaubt erste Aussagen zu Wahl der Proportionierung auf der Ebene der Grundrissfiguren. Als nächstes wird eine Auswahl der Figuren auch im Bezug zur Raumhöhe, d.h. die Proportionierung der Raumkörper, untersucht. Zuletzt folgt eine Untersuchung der Südfassade, dabei wird die Gliederung der Gebäudekörper im Längstrakt und deren Proportionierung dargestellt. Die Analyse zeigt auch die Bezüge zu den Proporionssystemen “Modulor“ und den harmonikalen Konsonanten auf. 3.2 Konvikt in Chur 3.2.1 Beschreibung Das Konvikt gehört zur Kantonschule in Chur und liegt südlich neben der Schulanlage in einer steilen Hanglage. Beide Anlagen überragen die Altstadt weit und bieten einen Blick über das gesamte Stadtgebiet bis ins Tal hinein. Das Konvikt gliedert sich aus drei parallelen, den Höhenkurven folgenden, Baukörpern mit je zwei bis drei Geschossen. In die steile Hangform fügen sich die Baukörper durch Vor- und Rücksprünge ein und wirken so trotz der grossen Baumasse nicht als ein einziger, massiger Körper, sondern als eine Staffelung mehrerer kleinerer Volumen. Die Anlage spannt sich über die Höhe zwischen dem unten liegenden alten Schanfiggerweg und der Arosastrasse oben. Die Schüler gelangen über den Haupteingang im untersten Geschoss vom Schanfiggerweg in ein zentrales Treppenhaus. Über das Dach des neunten Geschosses erfolgt die Parkie-

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Abb. 13. Figuren zu Grundrissanalyse, aus: KlausPeter Gast (1998), S. 77

34 vgl. Klaus-Peter Gast (1998), S. 10 ff 35 Klaus-Peter Gast (1998), S. 12

67 21


rung für die Angestellten und die Anlieferung. Eine zentrale Haupttreppe welche der Topografie folgt, ist durch mehrere Treppen in äusseren Bereichen der Trakte ergänzt. Zwei Lifte jeweils vom sechsten Geschoss ins unterste und ins Neunte bieten Rollstuhlfahrer Zugang. Die unteren beiden Trakte sind die eigentlichen Wohntrakte mit Einzelund Doppelzimmern, welche durch einen rückwärtigen Korridor erschlossen sind und in jeweils zwei Nischen Platz für kollektive Wohnräume bieten. Der oberste dritte Trakt beinhaltet dazu die gemeinschaftlichen Räume, wie zwei Speisesäle, die Küche und einer Spielhalle mit grosser talseitiger Terrasse auf dem Dach des mittleren Traktes.

Abb. 14. Dachaufsicht Projektpläne, Verkleinerung, aus: Nachlass Otto Glaus, gta Archiv Abb. 15. rechte Seite oben: Ostansicht, Projektplane, Verkleinerung, aus: Nachlass Otto Glaus, gta Archiv Abb. 16. rechte Seite unten: Südansicht alle Trakte zusammengesetzt Projektplane, Verkleinerung, aus: Nachlass Otto Glaus, gta Archiv

68 22


Brutalismus, Modulor und Harmonie

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69 23


Fig. 1.

Grundriss 1:500 1.Obergeschoss Raster mit Sprungmass 258cm

Fig. 2.

Grundriss 1:500 1.Obergeschoss Raster mit Sprungmass 258cm Verschiebung 1/3 entspricht 86cm

Fig. 3.

Grundriss 1:500 1.Obergeschoss Raster gemäss Versätzen in der Tiefe

Fig. 4.

Grundriss 1:500 1.Obergeschoss Raster 86 / 86cm

70 24

3.2.2 Grundraster Die Suche nach einem Proportionssystem startet mit der Annahme, dass der Entwurf auf einem Grundraster basiert. Auf den ersten Blick fällt die regelmässige und sich wiederholende Grösse und Proportion der Einzelzimmer, ein trotz der vielen Vor - und Rücksprünge zueinander klar definiertes Sprungmass. Zuerst wurde dabei im Trakt A (Fig. 1) im ersten Obergeschoss dieses Sprungmass anhand der Zimmer definiert, und so über die gesamte Länge des Gebäudes das erste Grundraster gelegt. Dieser Raster kann danach einfach über die kleiner werdenden, oberen Trakte B und C weitergeführt und in Beziehung gesetzt werden. Das Achsmass von Mitte Wand zu Mitte Wand der Einzelzimmer, parallel zum Hang d.h. über die Länge des Gebäudes gemessen, beträgt 258cm (gemäss DWG Plänen, Aufmass 2007). Ein erster Versuch, diesen so gefundene Raster über das ganze Gebäude zu legen, ergibt an mehreren Stellen Überschneidungen der Rasterachsen mit den Zwischenwänden (Fig. 1, Übereinstimmungen), jedoch lässt sich erkennen, dass diese Verschiebungen meist ein Drittel des Achsmasses ausmachen. Daraus folgt, dass die Annahme eines Sprungmasses weiterhin gilt, jedoch dieses wohl einen feineren Rhythmus aufweist. Der Versuch das erste Achsmass auf die Verschiebungen, d.h. auf einen Drittel zu vermindern liefert den Beweis: Im neuen Raster von 86cm (1/3 des Sprungmasses von 258cm) liegen nun alle Wände mittig auf einer Achse. Nun soll das Rastermass in der Tiefe des Gebäudes gefunden werden, welches ausgehend von den Gebäudeversätzen orthogonal zum Hang aufgezeigt wird (Fig. 3). Die Masse der Versätze sind 258cm, 172cm und 86cm, also in einem Verhältnis von 3:2:1, wobei die kleinste Einheit wiederum 86cm beträgt, ein Mass, welches der blauen Reihe des Modulors entstammt. Die Verfeinerung des Rasters auf das Achsmass von 86cm zeigt auch hier, dass der gesamte Grundriss des Traktes A auf einem Raster von 86cm*86cm aufgebaut ist (Fig. 4). Die Überprüfung (Fig. 5) der Trakte A, B und C mit den respektiven Grundrissen des 1., 4. und 6. Obergeschosses lässt erkennen, dass die gesamte Anlage und damit auch die Trakte zueinander auf einem einzigen Raster aufbauen. Die sehr wenigen Ausnahmesituationen, in denen vom Raster abgewichen wird, lassen auf die Strenge schliessen, mit der Otto Glaus in seinem Entwurf diesem Raster folgte. Nur die öffentlichen Geschosse, also die eigentlichen Erdgeschosse (Eingangsgeschoss, 3.OG und 6.OG) passen sich talseitig nur bedingt an diesen Grundraster an (Fig. 6, S.27). Hangseitig passen sie sich an den Grundraster an, talseitig springen diese Geschosse gegenüber den darüber liegenden zurück, wobei die Versprünge auf einer weiteren Verfeinerung (Fig. 5, S.26) des Achsmasses auf 43 cm zu liegen kommen.


Ăœbereinstimmungen

Ausgangsachse

Verschiebung 1/3 von 258cm = 86cm

keine Ăœbereinstimmung

keine Ăœbereinstimmungen

Brutalismus, Modulor und Harmonie

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71 25

Layout A4 1:500


Fig. 5.

72

Grundriss 1:500 Raster 86 / 86cm Verfeinerung 43 / 43cm

Raster Ăźber gesamte Anlage Erdgeschoss der Trakte A, B, C Erdgeschoss 3.Geschoss 6.Geschoss

Trakt A

Trakt B

Trakt C


Fig. 6.

Grundriss 1:500 Raster 86 / 86cm

73

Raster Wohntrakte 1.Obergeschoss 4.Obergeschoss 7.Obergeschoss

Trakt A

Trakt B

Trakt C


3.2.3 Raumfiguren Als Basis der Untersuchung der Raumfiguren werden die von Otto Glaus angesprochenen “reinen harmonikalen Verhältnisse“ verwendet (Fig. 7 / 8). Es lässt sich zeigen, dass die klar abgeschlossenen Grundrissfiguren wie zum Beispiel die Einzel -, die Doppelzimmer sowie die Gruppenräume diesen Verhältnissen folgen, so finden sich (Fig. 9, S. 31): 1:1 1:2 4:5 5:6

Prime Oktave grosse Terz kleine Terz

Wohnzimmer (Westflügel) Einzelzimmer Gruppenraum (Ostflügel) Doppelzimmer

Die hangseitigen Korridore in ihrer offenen Raumabfolge lassen sich weniger einfach untersuchen, da sich immer mehrere Interpretationsmöglichkeiten ergeben - wie am Beispiel des Westflügels im Trakt A aufgezeigt wird (Fig. 10, S. 31). Durch eine Zusammenlegung von Zimmern im Bezug zu den Gebäudekörpern innerhalb eines Traktes ergeben sich wiederum harmonikale Verhältnisse (Fig. 11, S. 31). Grundsätzlich ist nicht klar feststellbar ob Glaus innere “harmonische Raumfiguren“ in den Korridoren gesucht hat, oder ob er eher die Proportionierung der ganzen Gebäudekörper in den Vordergrund gestellt hat. Ein anderes Bild bietet sich in den Grundrissen der öffentlicheren Geschosse der Trakte. Diese Erdgeschosse der einzelnen Trakte, welche von den jeweiligen Bewohnern als eigentlicher öffentlicher Bereich benutzt werden, sind grösstenteils als offene Raumabfolge gestaltet und springen gegenüber den Wohngeschossen zurück. Die Raumabfolgen sind jeweils gegen aussen sowie gegen innen durch Pfeilerreihen gegliedert. Diese Gliederung folgt dabei weniger klar bestimmten harmonikalen Proportionen als bei den Zimmergeschossen (Fig.12, S.30), was auf eine freiere Gestaltung in Bezug auf die Proportionierung bzw. auf bewusste Überschneidungen der Proportionen schliessen lässt. Die Überprüfung der gefunden Proportionen im Grundriss mit den ausgeführten Realmassen zeigt, dass sich auch die Realmasse wie die im Raster gesetzten Proportionen verhalten. Die Verschiebung sowohl der Innenwände als auch der Aussenwände beträgt je 7.5cm zur Achse. Der Vergleich mit den Bestandesplänen aus dem Büro Glaus zeigt, dass das Fertigbaumass eines Einzelzimmers in der Breite 240cm beträgt, zuzüglich zweimal 1.5cm grober Verputz ergibt ein Rohbaumass von 243cm. Hier zeigt sich, das Glaus von der Grundkonzeption bis zu den Fertigbaumassen die Proportionen bewusst kontrollierte.

74 28


Prime 1:1

Oktave 1:2

Duodezima 1:3

Quinte 2:3

Quarte 3:4

Brutalismus, Modulor und Harmonie

grosse Sexte 3:5

grosse Terz 4:5

kleine Terz 5:6

Urban Blaas

kleine Sexte 5:8

Fig. 7.

oben: „reine harmonikale Verhältnisse“ nach Otto Glaus, als Vierecke

Fig. 8.

unten: „reine harmonikale Verhältnisse“ nach Otto Glaus, als Viereck in einem Koordinatensystem, ergibt Teilung einer Strecke

75 29


76 Fig. 10. Grundriss 1:500 Erdgeschoss Raster 86 / 86cm Raster 43 / 43cm

14 : 15 14 : 23

Grundrissfiguren offen Raumabfolgen der Trakte A, C Eingangsgeschoss 6.Geschoss

10 : 11 8 : 15

5:7

kleine Septime 5:9

Prime 1:1 gr.Terz 4:5

gr. Sexte 1:4 3:5

15 : 19

gr.Terz 4:5

7:10

2:5

1:2

Prime 1:1

10 : 11

Quinte 2:3

7:8

4:9

Quinte 2:3

5:7

gr.Sexte 3:5

6:7

10 : 11

Trakt A

Trakt B

Trakt C


Fig. 9.

Grundriss 1:400 Zimmergeschoss Raster 86 / 86c Grundrissfiguren

77

Oktave Oktave 1:2 1:2 kleine Terz 5:6

Quinte 2:3

Prime 1:1

kleine Terz 5:6

Oktave Oktave Oktave Oktave 1:2 1:2 1:2 1:2 Prime 1:1

Oktave Oktave kleine Terz 1:2 1:2 5:6

Raumfiguren Zimmer / Speisesaal Erdgeschoss der Trakte A, B, C Erdgeschoss 3.Geschoss 6.Geschoss

kleine Terz 5:6

kleine Terz 5:6

5:7

Oktave 1:2

Prime 1:1

Oktave 1:2

Oktave Oktave Oktave 1:2 1:2 1:2

kleine Terz 5:6

Oktave Prime 1:2 1:1

5:9

7:13

7:13

5:9

kleine Terz 5:6

kleine Terz 5:6

kleine Sexte 5:8

5:9

Prime 1:1

11:13

Oktave 1:2

kleine Terz 5:6

kleine Terz 5:6

Oktave Oktave 1:2 1:2

Oktave Oktave 1:2 1:2

grosser Ganzton 8:9

Oktave Oktave Oktave kleine Terz 1:2 1:2 1:2 5:6

4:9

grosser Ganzton 8:9

Oktave Oktave Oktave 1:2 1:2 1:2 grosse Terz 4:5 Oktave kleine Terz 1:2 5:6

grosse Terz Oktave Oktave 4:5 1:2 1:2

Quarte Oktave 3:4 1:2

kleine Terz 5:6

Trakt A

Trakt B

Trakt C


Abb. 14. Skizze, Konvitk, Otto Glaus, aus: Ueli Lindt, S.162

78 32


kleine Terz 5:6 kleine Terz 5:6

kleine Terz 5:6

Fig. 11. Grundriss 1:400 Raster 86 / 86c Grundrissfiguren Korridore

Oktave Oktave 1:2 1:2 kleine Terz 5:6

Oktave 1:2 Oktave 1:2 Oktave 1:2

Prime 1:1 Oktave 1:2

Oktave Oktave kleine Terz 1:2 1:2 5:6

Oktave 1:2

Raumfiguren Zimmer / Speisesaal Erdgeschoss der Trakte A, B, C Erdgeschoss 3.Geschoss 6.Geschoss

kleine Terz 5:6

Oktave 1:2

Prime 1:1

Quinte 2:3 kleine Terz 5:6

Oktave 1:2 Prime 1:1

Oktave 1:2

5:9

Oktave Oktave Oktave 1:2 1:2 1:2

Oktave 1:2

kleine Terz 5:6

Oktave Prime 1:2 1:1

Oktave 1:2

Quinte 2:3

Prime 1:1

kleine Terz 5:6 kleine Terz 5:6 Oktave Oktave Oktave Oktave 1:2 1:2 1:2 1:2 Prime 1:1

Prime 1:1

Komposition Gebäudekörper am Beispiel vom Westflügel des Traktes A

kleine Terz 5:6

Prime 1:1

5:7

Oktave 1:2

Oktave 1:2

Fig. 12. Grundriss 1:400 Westflügel Erdgeschoss Gebäudekörper

79

7:13

7:13

5:9

kleine Terz 5:6

kleine Terz 5:6

kleine Sexte 5:8

5:9

Prime 1:1

11:13

Oktave 1:2

kleine Terz 5:6

kleine Terz 5:6

Oktave Oktave 1:2 1:2

Oktave Oktave 1:2 1:2

grosser Ganzton 8:9

Oktave Oktave Oktave kleine Terz 1:2 1:2 1:2 5:6

4:9

grosser Ganzton 8:9

Oktave Oktave Oktave 1:2 1:2 1:2 grosse Terz 4:5 Oktave kleine Terz 1:2 5:6

grosse Terz Oktave Oktave 4:5 1:2 1:2

Quarte Oktave 3:4 1:2

kleine Terz 5:6

Trakt A

Trakt B

Trakt C


3.2.4 Innenraumkörper Der nächste Schritt zeigt die Beziehung der Grundrissfiguren zu deren Höhenentwicklung, also die Überprüfung in einer räumlichen Figur. Dazu werden in Isometriezeichnungen eines Einzelzimmers und eines Doppelzimmers die jeweiligen Proportionen analysiert (Fig. 13 / 14 / 15). Im Einzelzimmer lässt sich auch räumlich eine direkte Anwendung der Reihe der harmonikalen Proportionen aufzeigen, d.h. auch die Längswand des Zimmers steht wie die Grundrissfigur im Verhältnis 1:2 (Oktave 2:1), und die Reihe wird vervollständigt durch das Verhältnis der Stirnwand 1:1 (Prime 1:1). Dasselbe gilt im Doppelzimmer, wo die Grundrissfigur in einer kleinen Terz durch eine Längswand im Verhältnis einer Oktave und der Stirnwand im Verhältnis einer grossen Sexte ergänzt wird und somit ein harmonisches Verhältnis der Form 1:3:4 gebildet wird. Der aus zwei Räumen zusammengesetzte Speisesaal wiederum weist die Grundrissfiguren mit den Verhältnissen 5:8 (kleine Sext) sowie einem Verhältnis 4:9, welches im ersten Moment keinem reinen harmonikalen Verhältnis entspricht. Jedoch ergibt die Halbierung der genannten Proportion zwei Verhältnisse 8:9 (grosser Ganzton). Auch die Halbierung der Längswand des hinteren Saalbereiches erlaubt die Aufteilung des Verhältnis 1:4 in zwei Oktaven 1:2. Im vorderen Bereich steht die Längswand auch erst durch ihre Halbierung in den harmonikalen Proportionen von zwei grossen Septimen 9:16 (Fig. 13).

80 34


e tav Ok 1:2

e tav Ok 1:2

sse gro 6 9:1 sse gro 6 9:1

e tim Sep

sse gro 5:4

ss gro 5:4

2

9:3

1:4

3:5

sse gro 8:9

ton anz G r

grosse Sexte 3:5 4:9

erz eT

z Ter

S ine kle 5:8

Oktave 1:2

e tim Sep

ton anz

rG sse gro 8:9

e tav Ok 1:2

e ext

Prime 1:1

Oktave 1:2

z

er eT n i kle 6 5:

grosse Sexte 3:5

Fig. 13. unten links: Isometrie 1:200 Einzelzimmer Fig. 14. unten rechts: Isometrie 1:200 Doppelzimmer Fig. 15. oben: Isometrie 1:200 Speisesaal

Brutalismus, Modulor und Harmonie

Urban Blaas

81 35


3.2.5 Fassade Die bestehenden Projektpläne, das heisst die Aufnahmepläne von 2007 und die Bestandespläne, zeigen ausschliesslich die Seitenfassaden Ost und West aller Trakte zusammen. Eine Skizze (Abb.14, S.23) von Otto Glaus ist die einzige Darstellung, in der die Gesamtkomposition der Südfassaden von der Talseite gezeigt wird. Die Notizen unter der Skizze können als treffende Gedanken zum Entwurfs gelesen werden. „Der Hügel am Steilhang vertikale Erschliessung topografische Ausweitung Terrassen mit Dachgärten“

Abb. 15. Ansicht Süd, Konvikt, Ralpf Feiner

82 36

Die Untersuchung der Südfassade des Traktes A, also die zum Tal gerichtete Seite, zeigt das die Gebäudeteile west- und ostseitig vom Treppenhaus dieselbe Länge von 45 Rastermassen à 86cm, insgesamt also 38.70 Meter aufweisen. Die horizontale Gliederung erfolgt durch Vor- und Rücksprünge in verschiedenen proportionalen Längen. Die Fassade ist vertikal in drei Teile gegliedert. Ein Sockelbereich wird erzeugt durch ein rückspringendes Erdgeschoss und davor gesetzte massive Pfeiler. Als eigentlicher Schaft liegen die Zimmertrakte darüber und als oberer Abschluss das Attikageschoss, welches im Grundriss betrachtet die Verbindung zum nächsten dahinter liegenden Trakt beinhaltet. Die vertikale Unterteilung des Traktes kann anhand der geometrischen Zeichnung des Modulors konstruiert werden (Fig. 16, rechts) Als Ausgangsmass wird eine Fassadenhöhe vom gewachsenen Terrain bis Oberkante Dachrand der Zimmergeschosse angenommen. Daraus ergibt sich ein Verhältnis vom Sockel zum Schaft, also der Fassadenfläche der Zimmertrakte, in einer Teilung des goldenen Schnittes (Fig. 16, rechts). Die Höhe des Attikageschosses ergibt sich aus der Einsetzung des rechten Winkels auf der Achse des Anfangsquadrates, also der Erweiterung der Konstruktion von Corbusier. Die Gliederung der Vor- und Rücksprünge des Ost- und Westflügels wird dem Fassadenfeld über dem Eingang, als zentrale Ausgangsfläche, mit der Proportion der Prime (1:1, Quadrat als ruhendes schwebendes Feld, Wittkower) und als Endproportionen der äussersten beiden Felder mit der Proportion 2:3 (Quinte) eingefasst. Diese stehenden, gleichen Endfelder können als Einfassung der gesamten Komposition des Traktes gelesen werden. Die “topografische Ausweitung” wird in der Gliederung dahingehend unterstützt, indem pro Gebäudeflügel, die am weitest vorkragenden Felder in einer liegende Proportion gehalten sind.


grosse Terz 4:5

Duodezime 8:9

Duodezime 8:9

4:9

5

2 1/5

8

16

3

6

45

Ansicht Süd Trakt A / B / C Übersicht Proportionen der Zimmertrakte

Quinte 2:3

Ansichten Süd 1:400 zusammengesetzt 4

2

Oktave 1:2

14

7

vertikale Verschiebung nach oben Vordach

Prime 1:1

8

4

kleine Septime 5:9

14

7

45

4

2

Oktave 1:2

8

4

6

3

grosse Terz 4:5

5

2 1/5

Quinte 2:3

Au eilung Gesamthöhe goldener Schnitt > Modulor

Major Minor

Fig.16.

83

3.Geschoss Attika (Modulor)

3.Geschoss Attika (Modulor)

Layout A4 1:400 kleine Terz 5:6


Abb. 16. Ansicht Süd, Konvitk, Otto Glaus, aus: Ueli Lindt, S.167

84 38


4 Fazit Was mich am Bau des Konviktes Chur fasziniert, ist dass er verschiedene Lesarten zulässt. Erinnern wir uns an die in der Einleitung erwähnten, von Banham definierten Hauptmerkmale des Brutalismus, so lassen sich diese einfach am Beispiele des Konviktes erkennen. So würde ich den Begriff des “Image“, welchen Banham als etwas definiert, was alles und nichts beschreibt aber auf jeden Fall etwas visuell bewertbares sei, im Konvikt in erster Linie im gestalterischen Wunsch von Otto Glaus, den Bau als topographisches Element in der Landschaft zu planen, wiederfinden. Das zweite Hauptmerkmal Banhams, die klare Exposition der Konstruktion, lässt sich in der äusseren Gestaltung finden, wobei die Materialisierung in Waschbeton und Substruktion aus Stützmauern als Elemente zu nennen wären. Die innere Ausgestaltung hingegen, mit ihrem groben, weissem Verputz, den Böden aus dunklen Tonplatten und der inneren Struktur aus feinen Betonpfeiler spricht eher mit dem Vokabular der klassischen Moderne. Und zum dritten Hauptmerkmal Banhams, der Verwendung der Materialien ‘as found‘, würde ich behaupten, dass Glaus eher zu einer ähnlichen Interpretation wie die Smithsons tendiert: Diese verstehen den Begriff eher als eine Art Entdeckung des Gewöhnlichen, einer Einstellung oder einem Gefühl.36 Für Glaus wäre dies wohl das Material des Betons, welches ihm die freie skulpturale Gestaltung erlaubt. Meine These ist jedoch, dass schlussendlich der Entwurf, im Innern wie im Äussern, durch die bewusste und raffinierte Proportionierung zusammengehalten wird. Die Quintessenz überlasse ich Otto Glaus, wenn er sagt: “Die Gesamtheit der Proportionen und Ausdrucksformen bestimmt die Wirkung meiner Entwürfe.“ 36 Spannend ist, wie ein von Glaus als “frei nach seinem Gefühl“ gestalteter Entwurf wie das Konvikt in einer solchen Strenge auf einem Raster basiert. Dieses Raster wird von Glaus selbst sehr bewusst nie gezeigt, eine Art Verdeckung des zugrundeliegenden Proportionierungshandwerkes, welches er betreibt. Für mich ist dies aber auch gleichzeitig ein Beweis, das Raster und Freiheit, oder anders formuliert, die Proportionierung, sich keineswegs ausschliessen. Auch lässt sich das Raster durch die teilweise arythmische und atektonische Ausformulierung nicht einfach erkennen. Erst die bewusste Analyse erlaubt dies. Schlussendlich hoffe ich durch meine Arbeit einen etwas anderen, deutenden Einblick in die faszinierende Welt der Proportionen im Konvikt in Chur geben zu können.

Brutalismus, Modulor und Harmonie

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35 vgl. Vortrag, Thomas Schregenberger, „as found“, 2309.2014, Hochschule Luzern 36 Otto Glaus, in Ueli Lindt (1995), S.210

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Literatur- und Quellenverzeichnis

86 40

-

Gregor Harbusch, Bestandesbeschrieb Otto Glaus, in: Website des gta Archivs / ETH Zürich, Dezember 2009, www.archiv.gta.arch.ethz.ch/nachlaesse-vorlaesse/glaus-otto/ informationen.

-

Ueli Lindt (1995), Otto Glaus, Architekt, Basel: Birkhäuser Verlag

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Smithson, Alison / Smithson, Peter ([1955] 2004): Der Neue Brutalismus. In: Lampugnani, Vittorio Magnago / Hanisch, Ruth / Schumann, Ulrich Maximilian / Sonne Wolfgang (Hrsg.): Architekturtheorie 20. Jahrhundert. Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz. 203-204 (Erstveröffentlichung: Smithson, Alison / Smithson, Peter (1955): The New Brutalism. In: Architectural Design, 25. Jg. (1).1.

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Banham, Reyner ([1955] 2001): Der ‚New Brutalism’. In: Schregenberger, Thomas / Lichtenstein, Claude: As Found. Die Entdeckung des Gewöhnlichen. Baden: Lars Müller. 128-137 (Erstveröffentlichung: Banham, Reyner (1955): The New Brutalism. In: Architectural Review, 59. Jg. (12). 356ff.)

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Le Corbusier (2003), Der Modulor (8.Aufl., Faksimile-Wiedergabe der 2.Aufl. 1956). Deutsche Übersetzung Copyright 1953 by J.G.Cotta‘sche Buchhandlung, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt Gmbh

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Kirchenbau St.Johannes im Spannungsfeld zwischen Baur und Fรถrderer

Peter Osterwalder

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 20.01.2015 Verfasser: Peter Osterwalder Wynenfeldweg 32 5033 Buchs Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser

Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik Architektur

Abstract Die vorliegende Vertiefungsarbeit befasst sich mit der Objektanalyse des Kirchbaus St.Johannes in Buchs bei Aarau von Hanns Anton Brütsch. Eine einleitende theoretische Beschäftigung stellt den Architekten beeinflussende Persönlichkeiten - seinen Lehrmeister H. Baur und seinen Zeitgenossen W.M. Förderer - vor. Die von Baur formulierten Bestrebungen zum Kirchenbau schaffen die der Analyse zugrundeliegende Struktur. Im Hauptteil wird das gebaute Objekt, den fünf Kriterien folgend - angereichert und präzisiert durch Gedanken und Ansichten Förderers zum Kirchenbaudiskurs - schrittweise untersucht und beschrieben, um Eigenheiten und die Haltung Brütschs im Spannungsfeld der beiden Persönlichkeiten aufzuzeigen. Dabei werden Themen wie die Situierung des Baus in der Topografie, die Verknüpfung von Aussen- und Innenraum, Proportionen, Materialität und Licht, die Integration verschiedener Kunstformen, sowie die Sakralität des Kirchenraums behandelt. Mit den gezogenen Schlussfolgerungen, einem Fazit und kurzem Ausblick wird die Arbeit abgeschlossen und ordnet die Erkenntnisse zwischen Baur und Förderer ein.

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92


Inhaltsverzeichnis 1.1 1.2

Einleitung Theoretische Grundlagen

6 7

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

Situierung in die Topografie Aussen - Innen Proportion & Material Kßnste Sakralität

11 14 19 22 27

3.

Schlussfolgerungen & Fazit

28

4.1 4.2

Abbildungsverzeichnis Literatur- und Quellenverzeichnis

30 31

935


1.1 Einleitung Begleitend zur Auseinandersetzung mit dem Oberthema «Lieber böser Beton - Brutalismus in der Schweiz» wurden während des Semesters diverse gebaute Beispiele, darunter verschiedene Kirchbauten, vor Ort besucht. Die zur Untersuchung ausgewählte, katholische Kirche St. Johannes in Buchs bei Aarau war zwar keiner dieser Bauten, erinnerte jedoch in der äusseren Formensprache an die gesehenen, plastischen Architekturbeispiele. Die erst vor kurzem getätigte Aufnahme ins kantonale Denkmalinventar Aargau zeigt, dass der 1965 - 67 erstellte Bau eine vertiefte Auseinandersetzung wert ist; auch da der Bau bisher kaum rezipiert wurde. Die Arbeit behandelt die architektonische Objektanalyse und die Einordnung der Kirche St. Johannes im Spannungsfeld zwischen Hermann Baur und Walter Maria Förderer. Dabei schafft die Auseinandersetzung mit den Schriften seines Lehrmeisters Baur und seines Zeitgenossen Förderer eine theoretisch-architektonische Grundlage in Form von Kriterien zur Analyse und Situierung des Objekts innerhalb der Kirchenbau-Diskussion der Sechzigerjahre. Im Hauptteil wird das Objekt anhand der theoretischen Grundlagen untersucht und mit Skizzen, Plänen und Bildern illustriert. Ein letzter Teil zieht die Schlussfolgerungen aus den Untersuchungen und ordnet das Objekt zwischen Baur und Förderer ein.

94 6


1.2 Theoretische Grundlagen Hermann Baur, geboren in eine Arbeiterfamilie 1894, sah sich bereits früh in seiner Karriere, während der Hochbauzeichnerlehre 1910-15 bei Rudolf Linder in Basel mit Kirchenbauten konfrontiert.1 Darauffolgende, eigenständig entworfene Kirchenbauprojekte gegen Ende neunzehnzwanziger Jahre für das Büro von Auguste Meyer in Mulhouse zeigten bereits eine Hinwendung zur Moderne, wobei die vorangegangenen noch eher in historisierender Manier gehalten waren.2 Baur hat in seiner Schrift «Katholischer Kirchenbau in den letzten 50 Jahren» festgestellt, dass sich die Erneuerung der Form des Gottesdienstes bereits in den zwanziger Jahren abzeichnete, wobei diese eine aktivere Teilnahme des Volkes verlangte.3 Wesentlich beeinflusst wurde Baur als Student bei Karl Moser an der ETH Zürich und seiner, 1927 in Basel errichteten St.-Antonius-Kirche, die mit ihrer reinen kubischen Form und dem konsequenten Einsatz von Beton ein richtungsweisendes Vorzeigebeispiel für den modernen Kirchenbau bedeutete. Nicht weniger bedeutend waren Entwicklungen in Deutschland, im Besonderen der Bau der Fronleichnams-Kirche in Aachen 1930 von Rudolf Schwarz, welcher seinerseits Kirchbauten Baurs insofern bewunderte, dass diese jene grosse Stille in sich hätten, die alle wirklich grossen Bauten auszeichnet.4 Als eigenständiger Architekt entwickelte Baur in den folgenden Jahren - vor allem in den Fünfzigern bis in die späten Sechziger - über ein duzend Kirchbauten mit abwechselnd typologischen Konzeptionen.5 Baur gilt heute als einer der bedeutendsten Architekten des modernen Kirchenbaus und definierte seine theoretischen Bestrebungen im Kirchenbau mit «Cinq points» - fünf Punkte, welche architektonische, liturgische, sowie künstlerische Aspekte berücksichtigen und die er bei der SakramentsKirche in Dornach 1937-39 zum ersten Mal verwirklicht hatte.6 • • • • •

Präzise Situierung in die Topographie. Bewusster Übergang von aussen nach innen durch einen langen Vorbereitungsweg und Vorplatz. Spannungsreiches Verhältnis von Volks- und Chorraum durch differenzierte Höhen, Lichtverhältnisse, Materialien und Proportionen. Adäquate Integration von Künstlern durch Malerei und Plastik. Sakraler Anspruch des Raumeindrucks.

Kirchenbau St. Johannes im Spannungsfeld zwischen Baur und Förderer

Peter Osterwalder

Abb. 1. Hermann Baur

1

vgl. Humbel 1994, S.11

2

vgl. Humbel 1994, S.133

3

Baur 1958, S.325

4

vgl. Schwarz, zit. n. Humbel 1994, S.134

5

vgl. Humbel 1994, S.134

6

vgl. Humbel 1994, S.133

957


Abb. 2. Walter Maria Förderer

7

vgl. Förderer 1975, S.165

8

vgl. Dangel 1998, S.691

9

Brütsch 1994, S.18-19

96 8

Walter Maria Förderer wurde 1928 geboren und begann 1946 seine Ausbildung als Bildhauer an der Kunstgewerbeschule in Basel. Erste praktische Erfahrungen hat Förderer als Hilfszeichner in einem Architekturbüro gemacht, bis er schliesslich 1953 nach Basel zog und ein Volontariat im Büro von Hermann Baur begann. Förderer beschreibt Baur als unerbitterlichen Lehrmeister, welcher ihn Tag und Nacht durch die unterschiedlichsten Planungsphasen wie Entwurfs- und Ausführungsplanung, sowie verschiedenste Massstäbe hetzte und ihm dabei nicht nur das berufsspezifische Können und Wissen, sondern auch den Mut zur Architektur lehrte.7 Förderer hat nach der Anstellung bei Baur diverse Kirchenbauten zum Diskurs beigetragen und gilt als einer der bedeutendsten, dem Schweizer Brutalismus zugeordneten Vertreter.8 Seine Bauten während der etwas mehr als 20-jährigen Schaffenszeit als Architekt zeigen eine schwer zu fassende, skulptural-plastische Formensprache, häufig in zusammenhängend wahrgenommenen, rohem Sichtbeton. In seinem Werk «Kirchenbau von heute für Morgen - Fragen heutiger Architektur und Kunst», sind eigene Ansichten und Haltungen zu Tendenzen und Themen, wie liturgische Bewegungen, inszenierte Raumfolgen oder die Integration von Künsten, innerhalb des Kirchenbaudiskurses gesammelt und ergänzen Baurs Bestrebungen der «Cinq points». Hanns Anton Brütsch wird 1916 geboren und ist als Sohn des Architekten Ferdinand Brütsch-Cron in Basel aufgewachsen. Die individuelle Ausbildung wurde anfänglich durch seinen Vater bestimmt und begann 1934 mit einer praktischen Lehre im Basler Büro von Franz Bräuning, Hans Leu und Arthur Dürig. Darauf, dem Rat seines Vaters folgend, trat er ab 1937 für sieben Jahre ins Atelier von Hermann Baur ein, unter dessen Obhut er eine weitgehend selbstständige, durch seinen Lehrmeister geprägte Arbeitsweise entwickelte. Brütsch beschreibt Baur in seinen Erinnerungen als gebildeten, wortgewandten Lehrmeister und Architekten, wobei er nicht verstehen konnte, warum Baur nie als Lehrer an eine Hochschule berufen wurde. Brütsch hatte sich die Frage gestellt, warum er nach der vergangenen Zeit anlässlich einer Publikation über das Eigenheim Baurs und dessen Frau, die Musikerin war, schrieb: «Weil ich mir den Menschen Hermann Baur und dessen Werk ohne Jeanne Baur nicht vorstellen kann. Zusammen schufen sie jene Atmosphäre, die das Denken und Schaffen eines Architekten prägte.»9


Brütschs Erinnerungen legen nahe, dass die Beziehung zwischen Lehrmeister und Schüler nicht rein beruflicher Natur gewesen ist, sondern auch eine zwischenmenschliche zu sein schien. 1945 hat sich Brütsch in Zug niedergelassen und gründete, zusammen mit Alois Stadler eine Architektengemeinschaft, die mit wechselnden Partnern 40 Jahre Bestand hatte. Während dieser Schaffenszeit, die sich damit zwischen Baur und Förderer einreiht, hat Brütsch seine eigene Formensprache mit erkennbaren und interpretierten Einflüssen der beiden Protagonisten entwickelt. Im Jahre 1967 entstand die Kirche St. Johannes in Buchs, wo Brütsch anlässlich der Einweihung des Kirchenbaus von Dr. Ueli Kaufmann, dem Präsidenten der Baukommission, mit folgender Anekdote begrüsst wurde: «Sie haben uns schon in Suhr ein herrliches Werk geschenkt und hier, auf dem schon von den Römern besiedelten Hubel, einem sehr schönen, aber nicht leichtem Gelände, eine Kirchenanlage geschaffen, die schon im Modell bei der Jurierung den Architekten Förderer in Ekstase versetzte.»10 Das Programm zum Projektwettbewerb bestätigt die zuvor nur aufgrund der Dankesrede zur Einweihung getroffene Annahme, dass Förderer als junger Architekt, nebst einem namhaften Fritz Metzger und weiteren lokalen Architekturschaffenden als Juror teilgenommen hatte.11 Brütsch selbst hat durch seine Jurorentätigkeit, teilweise zusammen mit Baur, den katholischen Kirchenbau, darunter auch Projekte von Förderer, aktiv mitgestaltet.12 Förderers Danksagung in seinem Werk über Kirchenbauten an Brütsch legt nahe, dass sich die beiden gekannt hatten, wobei aufgrund fehlender Quellen nur darüber spekuliert werden könnte wie gut die Bekanntschaft der beiden war. Brütsch hat sich nebst der Schaffung von Kirchenbauten mit diversen anderen Aufgabenstellungen auseinandergesetzt und wertvolle Beiträge ausgeführt. Daneben hat er sich für die Kulturförderung, für den Auf- und Ausbau des Schweizerischen Architektenregisters und für architektonisch-städtebaulichen Belange der Stadt Zug eingesetzt.13 In der folgenden Objektanalyse werden im Besonderen architektonische Absichten und Haltungen des Kirchenbaus und des Architekten Brütschs aufgezeigt, welche sich zwischen den Bestrebungen Baurs und den Gedanken Förderers bewegen. Die «Cinq points» sind dabei als übergeordnete, strukturgebende Analysekriterien verwendet, welche durch Gedanken und Notizen Förderers - die ergänzenden und präzisierenden Stellenwert einnehmen - angereichert werden.

Kirchenbau St. Johannes im Spannungsfeld zwischen Baur und Förderer

Peter Osterwalder

Abb. 3. Hanns Anton Brütsch

10 Kaufmann 1967b, o.S. 11 vgl. Kaufmann 1962, S.1 12 vgl. Egli 1998, S.59 13 vgl. Egli 1998, S.59

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Abb. 4. Flugaufnahme der abgetreppten Gebäudevolumetrie

98 10


2.1 Situierung in die Topografie Der Bauplatz, 50.58 Aren umfassend, ist die einzige Anhöhe zentral in Buchs gelegen und wurde im Herbst 1958 zwei Buchser Bürgern, A. Lienhard und R.Gysi abgekauft, wobei Ersterer der Bauherrschaft für einen Teil seines Landes erst ein Kaufrecht einräumte, das erst nach neuneinhalb Jahren geltend gemacht werden konnte.14 Die Parzelle wird im Norden von der Brummelstrasse und im Süden von der Bühlstrasse begrenzt. Östliche Begrenzung ist die trennende Bahnschneise Aarau-Buchs-Suhr. Richtung Westen trennt der Baumbestand das Bauland von einer Restfläche mit Wohnnutzung, die ebenfalls von den beiden Strassen begrenzt wird, ab. Das rasante, konjunkturbedingte Bevölkerungswachstum und der Ausbau der Industriezone Wynenfeld anfangs der Sechzigerjahre verlangte zügige Vorarbeiten für den Bau einer eigenen katholischen Kirche in der Gemeinde. Unter den katholischen Aargauern und fünf eingeladenen Architekten wurde ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben. Auf diesen folgten 19 Eingaben, aus welchen dem Wettbewerbsprojekt Nr. 8 «Gabriel» am 22. Februar 1963 der erste Preis zugesprochen wurde; mit der Begründung, dass das Projekt mit seiner Abstufung die natürlich gewachsene Topografie am besten zum Ausdruck bringt.15 Brütsch platzierte die zusätzlichen Pfarrei-Räumlichkeiten wie Foyer und Teeküche, einen grossen Saal, drei Vereinsräume, einen Bastelraum, Heizungs- und Apparateräume, WCAnlagen, Luftschutz-Räume und einen Zivilschutzkommandoposten im Sockelgeschoss und somit auf dem Niveau des angrenzenden Wohnquartiers «Brummelmatte», mit der Erklärung die topografischen Verhältnisse hätten dies entsprechend verlangt, womit Baurs Forderung «Präzise Situierung in die Topografie» nachgekommen wird.16 Die Konzeption geht auf Förderers Beschrieb ein, dass die örtlichen Wahrnehmungen und deren Besonderheiten einer bestehenden Situation als Ausgangspunkt und Keim für die ersten Vorstellungen eines Baus sind.17 So interpretiert der Entwurf auch die Bahnschneise als Rückseite und ordnet dort nur dem Betrieb zugute kommende Neben- und Diensteingänge, sowie die grosszügigen, für den Innenraum benötigten, zum Langfenster zusammengefassten Fensterflächen an. Eine mehrläufige Aussentreppe unten am Gebäude auf dem Vorplatz beginnend - hinaufsteigend, windet sich der Besucher um den mehrfach stumpfwinklig geknickten, zur Ankunftsseite mehrheitlich geschlossen Baukörper, auf die Hügelkuppe ge-

Kirchenbau St. Johannes im Spannungsfeld zwischen Baur und Förderer

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Abb. 5. Topografie bestehender Situation

Abb. 6. Setzung des Gebäudekörpers

14 vgl. Kaufmann 1967a, o.S. 15 vgl. Kaufmann 1967a, o.S. 16 vgl. Brütsch 1967, o.S. 17 vgl. Förderer 1975, S.21

99 11


Abb. 7. Freigelegter Eingangsbereich mit sichtbarwerdenden Gebäudestaffelung

100 12


langend. Ist der Kirchplatz erreicht, legt der rücklings an die Hügelkante angelehnte Bau den eingezogenen Eingangsbereich zur Kirche und der Kapelle frei und gibt gleichzeitig Aufschluss über den mehrstufigen Aufbau des Kirchenbaus. Volumetrisch betrachtet schieben sich in der Grundform polygonale Körper verschiedener Höhen ineinander. Die entstehenden Höhenversprünge nehmen dreiseitig, mit Hauptrichtung nach Westen, die Durchbrüche der bandfensterartigen Öffnungen auf. Die entstehenden Sturzbänder genauer betrachtet, weisen diese eine später dazugekommene, vorgehängte Verkleidung auf, welche zur ursprünglichen Fassade leicht vorspringt und damit die plastische Wirkung des zusammenhängend gedachten Volumenkörpers beeinträchtigt. Der abgetreppte Gebäudekörper führt die Plattformfolge und die topografische Situation - Vorplatz, Treppenpodest, Kirchplatz als Höhenstaffelung, im Pfarrblatt als «gewaltiges Crescendo in fünf Absätzen» beschrieben18 - weiter und endet am obersten Punkt des 40 Meter hohen Kirchturms. Dieser zeigt von Süden betrachtet eine Komposition aus unterschiedlich abgestuften Schalen, welche die mehrteilige Höhenstaffelung des Gebäudes verfeinert und eine Zusammengehörigkeit von Bauvolumen und Turm herstellt. Nord- und westseitig tritt die Schalenkonstruktion durch schmale, vertikal verlaufende Schlitze hervor, wobei eine kompakte, geschlossenere Erscheinung entsteht. Die polygonal gestaltete Form nimmt den plastischen Eindruck des Baukörpers auf und stärkt somit die Gesamterscheinung. Der Turm ist zudem Symbol für den damaligen Neuanfang der Kirchgemeinde und spielt mit Blickbezügen weit über die Quartiersgrenzen in die Gemeinde hinaus. Auf oberer Ebene schliesst das, zum gegenüberliegenden Quartier verlaufende und an die Rückseite der Werktagskapelle angelehnte, zweigeschossige Pfarrhaus an. Zwischen Kapelle, Wohnhaus und Garage zont sich ein privater Aussenbereich nach Westen orientiert ein. An diesen reihen sich ebenerdig die grosszügig verglasten Räume wie die Küche und das Wohn-/ Esszimmer. Auf zweiter Ebene sind der Wohnung zugehörende Schlaf-, Gäste-, Bedienstetenzimmer sowie Nebenräume angeordnet. Das Untergeschoss beherrbergt Vorrats-, Wasch- und Technikräume. Dem Erdgeschoss, zum Weg hin orientiert sind, nebst dem Aufenthaltsraum der Wohnung, die öffentlicheren Bereiche wie Büro, Studio-, Archivräume und Sprechzimmer zugeordnet.

Kirchenbau St. Johannes im Spannungsfeld zwischen Baur und Förderer

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Abb. 8. Fünfteilig abgetreppter Gebäudekörper

Abb. 9. Abgestufte Betonschalen des Kirchturms

18 o.V. 1967b, o.S.

101 13


2.2 Aussen - Innen

Abb. 10. Langer Vorbereitungsweg über Platzfolge

Abb. 11. Hell-Dunkel-Spiel des Kirchplatzes unter dem zusammenfassenden Sturzband

19 vgl. Förderer 1964, S.40 20 Förderer 1975, S.60

102 14

Vom auf Ebene der «Brummelstrasse» liegenden und leicht zurück versetzten Vorplatz steigen zwei Freitreppen die Anhöhe hinauf. Die westlicher gelegene ist mehrteilig angelegt, so dass zuerst drei Tritte auf ein abgewinkeltes, längliches Podest führen. Windet sich der Besucher weitere zwölf Stufen hinauf, um die wichtigsten Teile der Kirche - den Altarraum und den Glockenturm - auf das Zwischenpodest, wird die gesamte, imponierende Höhe des Glockenturms sichtbar. Auf dem Zwischenpodest kommt auch die zweite, gradläufige, sechzehnstufige Treppe an. Gesammelt steigen die Besucher eine weitere Treppe mit fünfzehn Auftritten empor. Schrittweise wird der auf der Anhöhe gelegene Kirchplatz sichtbar. Die gegenüberliegende Seite scheint durch ein eingeschossiges Volumen geschlossen, wobei lediglich ein gefasster Durchbruch Ausblick auf die Rückseite der Parzelle gewährt. Auf dem Platz stehend lässt ein weiterer Blick einen schmalen Durchgang nach Südosten erahnen, der das auf gleicher Höhe liegende Quartier «Bühl» entlang einer auf den Kirchplatz führenden Wand anbindet. Wird der Platz zudem als Schnittstelle und die Kirche als Treffpunkt der Gläubigen und der Nachbarschaften angesehen, wird die Aussage Förderers gültig, dass ein Kirchenbau seine Bedeutung nur dann wahren kann, solange dieser im «entsprechenden Verhältnis zur gebauten Umgebung steht».19 Das «entsprechende Verhältnis» würde im vorliegendem Fall mit der situativ bedingten Anbindung der Nachbarschaft und der Verortung der Kirche im Dorfgefüge übersetzt. Die mehrseitig an den Kirchplatz gelegten, abschliessenden Wände und die dahinterliegenden Räumlichkeiten werden durch ein über dem Kopf verlaufendes Sturzband zusammengefasst. Dabei tritt die zum Pfarrhaus und dem Quartier hinweisende Mauer unter dem Band hervor - schafft einen privaten, nicht einsehbaren und von Witterung ungeschützten Aussenraum - bevor sich diese dem Sturzband unterordnet und zuerst leicht, dann in der weiteren Abwicklung immer stärker zurückversetzt, so dass ein zusammenhängender und geschützter Aussenbereich entsteht. Die Kombination geschützter und ungeschützter Bereiche erinnert an die Charakteristiken eines Innenhofs, der gemäss Förderer seinen eigenen Ausdruck erhalten muss: «In ihm sollen sich Licht und Schatten in knappen Folgen drängen und die wechselnden Wetter sollen darin eigenartig zur Geltung kommen mit hartem Nebeneinander von geschützten und ungeschützten Bereichen.»20 Die Grosszügigkeit und die Einheitlichkeit der umschliessenden Elemente wirken der geforderten «knappen Folge» von Licht und Schatten entgegen, schaffen jedoch eine unaufgeregte Zonierung des Kirchplatzes und klare Ablesbarkeit der Bereiche. Die Grösse und Offenheit bei Brütsch sind es auch, die den Vorbereich als Platz und nicht als Innenhof erlebbar machen. Dennoch hat eine weitere, den Innenhof betreffende Aussage Förderers Gültigkeit, dass dem Innenhof in der Entwicklung besondere Bedeutung


Abb. 12. Auf den Kirchplatz führende Wand mit Südansicht der Kirche im Hintergrund

Kirchenbau St. Johannes im Spannungsfeld zwischen Baur und Förderer

Peter Osterwalder

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Abb. 13. Doppelflüglige Eingangstür mit seitlichen Glasabschlüssen

Abb. 14. Seitlicher Eingangsbereich der Kirche in den Umgang

21 vgl. Förderer 1975, S.60 22 Förderer 1964, S.118

104 16

zukommt und dieser die Aufgabe zu erfüllen hat, zwischen Drinnen und Draussen, vom Einen zum Andern zu vermitteln.21 Die beschriebene Vermittlerrolle zeigt sich im geschützten Bereich, der die Eingänge zur Kapelle und zum Kirchenraum aufnimmt. Die dunklen Tannenholzbretter der Deckenuntersicht verlaufen senkrecht zum Haupteingang. Dieser, eine aus dunklem Tannenholz aufschwingende, zweiflüglige Tür ist seitlich mit zurückversetzten Glasabschlüssen von der eingezogenen Wand abgelöst, um die Position der Tür zu stärken. Das seitlich eingesetzte Glas lässt einen ersten Sichtkontakt mit dem Innenraum zu. Der dunkle Schatten der grossen Tür im Rücken, steht der Betrachter im kurzen Windfang, welcher durch die beidseitigen Glasabschlüsse seitlich flankiert belichtet wird und die, von Innen heraus betrachtet, die Verbindung nach Aussen ermöglichen. Innenliegend sind zwei grosse, in den Umgang aufschwingbare Glasflügel, die bereits eine erste Ahnung des Kircheninnenraums zulassen und seitlich in die Kirche führen. Der Betrachter findet sich im eher gedrückten, sich stumpfwinklig leicht abdrehenden Umgang, der durch vier regelmässig angeordnete Stützen, die zum Kirchenraum leicht vorgelagtert sind, rhythmisiert und zoniert wird. Die Deckenuntersicht - wie die Tür in dunklem Tannenholz gehalten - begleitet den Weg von Draussen nach Drinnen und umgekehrt zusätzlich auf Ebene der Materialwahl. Vom Eingang her betrachtet erstreckt sich der Hauptraum der Kirche nach einer viertel Drehung nach rechts. Links ist die mit drei Stufen abgehobene Kapelle platziert, die seitlich zur Rückseite des Gebäudes eine Ahnung des Aussenraums gewährt. Förderer beschreibt die Eingangssituation folgendermassen: «Ganz seitlich betritt man hier den noch niedrigen Kirchenraum, wo in der Folge der Blick mit der Drehung des sich entwickelnden Raumes zum Orte des Altares, der Wortverkündigung, der Aufbewahrung des Sakramentes gelenkt wird.»22 Ganz anders dagegen ist die Haltung des zum Haupteingang leicht abgedrehten Nebeneingangs in die Kapelle. Bevor dieser erreicht wird, ist aussenliegend ein dreistufiger Absatz zu überwinden um dann vor der eben in die Wand eingelegten Tür zu stehen, ohne dass der Aussen- und Innenraum eine Verbindung zueinander aufbauen. Innen im Windfang stehend, legt sich der Kapellenraum um den Betrachter, so dass der gesamte Raum sichtbar wird. Die mehrstufige Abhandlung der Überwindung topografischer Verhältnisse, das Entlangschreiten einer Wand folgend, das Überschreiten des ruhigen Kirchplatzes, die wechselnden hell-dunkel Bereiche, der begleitende Einsatz von Materialien und die Inszenierung von Durchsicht und Abgeschlossenheit erfüllen Baurs Forderung eines «Bewussten Übergangs von aussen nach innen durch einen langen Vorbereitungsweg und Vorplatz».


Abb. 15. Den Umgang zonierende StĂźtzenfolge

Kirchenbau St. Johannes im Spannungsfeld zwischen Baur und FĂśrderer

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Abb. 16. Schematische Grundrisszeichnung Saalgeschoss Mst: ca. 1:450

106 18


2.3 Proportion & Material Der dritte der «Cinq points» - «Spannungsreiches Verhältnis von Volksund Chorraum durch differenzierte Höhen, Lichtverhältnisse, Materialien und Proportionen» - dient zusammen mit Förderers Überlegungen, dass der Kirchenraum von menschlicher Massstäblichkeit bestimmt sein sollte - als Grundlage zur näheren Betrachtung des Kirchenraums. Dabei soll die grundrissliche Gliederung und eine entsprechende Differenzierung in der Höhe und durch die Art der Lichtführung nicht nur zur versammelten Gemeinde, sondern auch zu jedem ihrer einzelnen Glieder im Verhältnis stehen.23 Ausgehend vom niedrigsten Teil der Kirche, dem Umgang, entwickelt sich die Deckenabwicklung über eine Zwischenstufe zum höchsten Teil des Raums. Der zweithöchste Bereich - der beinahe die doppelte Raumhöhe wie der Umgang hat - fasst den Grossteil des Volkraums unter sich, wobei die Deckenuntersicht, die in sich noch feinere Abstufungen erfährt, durch ein schmales Lichtband von weiter unten liegender getrennt wird. Die zum höchsten Raumbereich hinaufführende Stirnseite beinhaltet abwechselnd kleine und grosse, meist tief in die Verkleidung gesetzte Öffnungen mit teilweise abgeschrägten Sturzverkleidungen, welche aufgrund ihrer Lage gegenüber dem Altarraum die Chorwand in abwechslungsreiche Lichtspiele legen und den ansonst diffus belichteten Innenraum kontrastieren. In direkter Abhängigkeit zur Höhenentwicklung der Decke erfolgt ein Verlauf von dunklen Raumzonen wie dem Umgang, über dezent indirekt belichtete Bereiche im Gemeinderaum, bis hin zu hell und direkt belichteten Orten im höchsten Bereich der Kirche. Aufgrund der einheitlichen Materialisierung in dunklem Tannenholz, wird die gesamte Decke trotz all ihrer Schrägen, Höhenversprüngen und Durchbrüchen zusammengehörig wahrgenommen. Der überhohe Raum verschränkt die vordersten Reihen des Volkraums mit dem Altarraum und stärkt somit die Beziehung untereinander. Diese Verschränkung wird bei Förderer als Tendenz des modernen Kirchenbaus in den Sechzigerjahren, unabhängig der Konfession, thematisiert: «Die räumliche Disposition der liturgischen Gegebenheiten erfolgt heute im allgemeinen beiderseits (katholischer und reformierter Konfession) vor allem in Bezug auf die Gemeinde hin, (...). Das Aufgeben des Chorraumes, das Vorschieben des Altars in den Gemeinderaum hinein - das freie Ineinanderfliessen von Altarraum und Gemeinderaum also, (...).»24 Förderer fügt jedoch an, dass bei der Ineinandergreifung der Räume der Altarraum dem Einwirken der Profanierung nur dann entgegenhalten kann, sofern der Mysteriumscharakter beibehalten wird.25 Im Grundriss betrachtet, legt sich der offene Gemeinderaum in vier, nach vorne auf ein Zentrum verlaufende Sitzreihen um den Altarbereich, welcher sich durch zwei niedrige, unterschiedlich langgezogene Stufen in Sichtbeton fein vom dunklen Gussboden abgrenzt.

Kirchenbau St. Johannes im Spannungsfeld zwischen Baur und Förderer

Peter Osterwalder

Abb. 17. Dreistufige Deckenabwicklung mit Lichtsituationen

23 vgl. Förderer 1964, S.36 24 Förderer 1964, S.35 25 vgl. Förderer 1964, S.27

107 19


Abb. 18. Innenraumaufnahme vom Altarbezirk in den Volksraum

108 20


Aufgrund der Zugänglichkeit und Offenheit des Altarbezirks entsteht dennoch kein Bühnencharakter, was auch Brütsch anlässlich eines Baubeschriebs im Pfarrblatt hervorgehoben hat.26 Auf der leicht abgehobenen polygonalen Ebene bilden Altar und der Ort der Wortverkündung einen grosszügigen Bereich mit Ausrichtung auf den Volksraum. Die Materialität von Altar und Ambo zeigen einen grauen, weiss durchzogenen Naturstein, was eine dezente Markierung der für die Liturgie wichtigen Elemente darstellt. Der zur Seite gerückte Tabernakel und die Taufwasser-Mulde bilden auf gleicher Ebene einen eigenen, intimer wirkenden Raumbereich, der seitlich durch einen hohen Schlitz in der Aussenwand belichtet wird. Hinten fasst die mit horizontalen Latten geschalte, überhohe Chorwand aus Sichtbeton den Altarbereich und vermittelt eine ruhige und beständige Präsenz. Die geschalte Oberflächenstruktur schafft die Zusammengehörigkeit zur Deckenbekleidung, ohne die Eigenständigkeit der Einzelelemente zu schwächen. Wird die liturgische Bewegung in die Betrachtungen miteinbezogen, lässt sich anfügen, dass zu Beginn und am Ende des Gottesdienstes der Ministrantenzug den Volksraum in die rückseitig angelegte Sakristei durchschreitet und somit die Verschränkung der beiden Räume weiter stärkt, was auch Brütsch im Baubeschrieb nahegelegt hat.27 Ausgehend von der Sakristei - deren Eingangsbereich mit einem einzelnen Oberlicht angezeigt wird am Ende des rückseitigen Umgangs ist in der Deckenabwicklung eine Zwischenhöhe einführend, die Orgel und die Raumnische für den Kirchenchor angeordnet, wobei letztere einige Tritte angehoben ist, um möglichst guten Sichtkontakt zum Chorbereich zu bewerkstelligen. Der Umfassungssockel der Erhöhung schafft über die zementöse Materialität die Verbindung zum Altarbereich und zeigt damit die Zugehörigkeit zur liturgischen Handlung. Auf anderer Seite ist die Kapelle gleichzeitig die durch drei Betonstufen angezeigte Erweiterung für den Kirchenraum und lediglich durch eine Glasschiebewand abtrennbar. Die Stufen hinaufsteigend, engt die Decke den seitlichen Eingangsbereich leicht ein, bevor sich die Raumhöhe mittels Deckenabsatz wieder erhöht. Diese ist, zusammen mit der gegenüberliegenden, raumhaltigen Seitenwand - die Beichtstühle beinhaltend - in Holz materialisiert und wirkt als warm kontrastierendes Element, das zwischen die in Sichtbeton gehaltene Rück-, Seiten- und Frontwand eingespannt ist. In ein regelmässiges Raster von 4x3 gesetzte, quadratische Oblichter, tauchen den Raum in diffuses, ruhiges Licht, wobei auffällt, dass aufgrund der vieleckigen Raumgeometrie, in der hinteren Ecke eines ausgelassen wurde. Die ein- und ausgeknickte Frontwand bildet eine Raumnische, wobei ein sich von der Nische entfernendes Wandstück durch ein seitliches, raumhohes Schlitzfenster belichtet wird und den Bereich hinter der Sprechkanzel ins Dunkel taucht.

Kirchenbau St. Johannes im Spannungsfeld zwischen Baur und Förderer

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Abb. 19. Liturgische Bewegung durch den Volksraum

26 vgl. Brütsch 1967, o.S. 27 vgl. Brütsch 1967, o.S.

109 21


2.4 Künste

Abb. 20. Geknickte, plastisch gestaltete Chorwand

Abb. 21. Umgreifender Teil der Deckenuntersicht im Bereich der Sakrisitei

28 vgl. Kaufmann 1967a, o.S. 29 vgl. Brütsch 1967, o.S. 30 Förderer 1964, S.80-81

110 22

Auf die Forderung der «Adäquaten Integration von Künstlern» geht der Baubeschrieb im Pfarrblatt insofern ein, dass die innere Ausgestaltung der Kirche ein Gemeinschaftswerk des Architekten Brütsch mit dem Bildhauer Josef Rickenbacher aus Steinen SZ ist.28 Dabei entwickelte dieser die gesamte Chorausstattung und half beim Entwurf der plastischen Ausgestaltung der inneren Wandoberflächen, sowie der gesamten Deckenverkleidung im Innenraum. Die imposante Chorwand ist leicht geknickt, so dass zwei stumpfwinklig zueinander stehende, jedoch zusammengehörige Wandflächen entstehen. Die Zusammengehörigkeit wird durch mehrfach überlagerte, rechteckige Flächenkörper unterschiedlicher Tiefe gestärkt und erhält zusammen mit der sichtbelassenen, mit horizontal verlaufenden Brettern geschalten Materialität in Beton ihre zurückhaltende Plastizität und Prägnanz. Rickenbacher hat sich bei der Ausgestaltung einer dezidierten, nicht-figürlichen Formensprache bedient. Die Wand bleibt dabei stets als solche - als raumabschliessend notwendiges Element und Teil einer Architektur - bestehen, ohne zur Skulptur oder gar zur Dekoration zu werden. In ähnlicher Manier ist die innere Deckenauskleidung gestaltet, die jedoch eine stärker expressive Formensprache aufweist. Mehrschichtige Überlagerungen verschiedener Volumenkörper sind so ineinander verschränkt, dass Raumzonen differenzierter Charakteristiken entstehen. Ein beinahe additiv wirkender Teil der Verkleidung umgreift die Deckenuntersicht und deren Stirnseite im Bereich der Sakristei so, dass der Eingang zu dieser aus Sicht des Hauptraums betont wird. An drei Stellen entlang der Rückwand des Umgangs verschränkt sich die hölzerne Decke mit der Betonwand, um diese Bereiche davon abzulösen und deren Wichtigkeit zu betonen. Ansonsten sind Decke und Wand als klar unterschiedliche Elemente lesbar, werden aber über die oberflächige Erscheinung des Materials - dem Schalungsbrett und dessen gegossenes Gegenstück - miteinander in Verbindung gebracht. In der Dankesschrift im Pfarrblatt dankt Brütsch dem Bildhauer für die wertvolle Mitarbeit in den künstlerisch-gestalterischen Bereichen und seine Fähigkeit, auf Brütschs Intentionen einzutreten und diese zu greifbaren Formen zu gestalten.29 Diese gestärkte Zusammenarbeit zwischen Architekt und Künstler und im besonderen das Ineinandergreifen von Architektur und Kunst in einem Bauwerk - im besten Fall zum Gesamtwerk werdend - wünscht sich auch Förderer, wobei er diese Verschränkung erst durch die nicht von inhaltlicher Thematik belasteter Kunst ermöglicht sieht: «Die ungegenständliche, nicht figurative Malerei und Plastik scheint übrigens ganz besonders dazu prädestiniert zu sein, die langgehegten Hoffnungen von der Integration der Künste endlich wieder erfüllen zu können.»30 In der Folge geht er noch einen Schritt weiter und fordert dazu auf, auch weitere Künstler wie Musiker und Dichter in die Überlegungen am Bau


Abb. 22. Bildhauerisch gestaltete Deckenabwicklung in Zusammenarbeit von BrĂźtsch und Rickenbacher

Kirchenbau St. Johannes im Spannungsfeld zwischen Baur und FĂśrderer

Peter Osterwalder

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Abb. 23. Farblasuren unter Beibehaltung der haptischen Qualität des Sichtbetons

31 vgl. Förderer 1964, S.114 32 vgl. Kaufmann 1968, S.3

112 24

miteinzubeziehen.31 Zentraler Punkt dabei scheint jedoch, dass die Kunst nicht zur Dekoration des Baus eingesetzt wird, sondern zum Erlebnis des Bauwerks als Ganzes beiträgt. Wird die Formensprache Brütschs, bei der die «bildhauerisch» gestalteten Elemente noch ablesbar zu bleiben scheinen mit der expressiven, kaum erkennbaren Regeln folgenden Sprache Förderers Bauten verglichen, wird klar, dass die Verschränkung von Architektur und Kunst aufgrund der aus einem Guss bestehenden Erscheinung bei Förderer noch einen Schritt weiter geht. Der Kunstmaler Willy Helbling aus Brugg wurde beigezogen um die ansonst zurückhaltende Materialisierung durch farbliche Akzente zu unterstreichen. An der Frontwand der Kapelle sind feine Farblasuren in erdigen Rot- und Gelbtönen auf den Sichtbeton aufgetragen, so dass die haptischen Eigenschaften des Materials nicht an Ausdruck verlieren. Die Darstellungen zeigen unfigürlich bewegte Flächen, wobei sich die unterschiedlichen Formen und Farben ineinander verschränken und teilweise die naturbelassene Farbe des Sichtbetons miteinschliessen. Ähnlich dazu sollten Teile der Chorwand farblich akzentuiert werden, was jedoch aufgrund unterschiedlichen Meinungen zur beabsichtigten Wirkung nicht ausgeführt wurde. Ein aus zwei Kunstmalern, einem Konservator und dem Architekten Förderer bestehende Expertenkommission zum «Problem einer Malerei auf der Chorwand» kam zusammen mit Brütsch und Helbling zum Schluss, dass die vorgeschlagene Malerei - von der Eingangsseite her betrachtet - eine Zweiteilung der Chorparie bedeuten würde und daher nur eine gesamtheitlich, die gesamte Wand miteinbeziehende Malerei erachtenswert wäre. Der davon erwartete Gewinn wäre jedoch fragwürdig gewesen, weshalb entschieden wurde, dass eine Malerei an der Chorwand keinen Mehrwert für den architektonischen Raum und die liturgische Handlung bedeuten sondern lediglich davon ablenken würde.32 Wird die Wand als raumbegrenzende, gestaltete Plastik und Projektionswand des Lichts verstanden, scheint es, als ob dieser Entscheid richtig war und die Wand keiner zusätzlichen, künstlerischen Intervention bedarf.


Abb. 24. Frontwandgestaltung der Kapelle von Willy Helbling

Kirchenbau St. Johannes im Spannungsfeld zwischen Baur und Fรถrderer

Peter Osterwalder

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Abb. 25. Chorwand im Lichtspiel der Oberlichtรถffnungen

114 26


2.5 Sakralität Der letzte Punkt «Sakraler Anspruch des Raumeindrucks» von der Liste Baurs ist schwieriger zu fassen wie die Vorangegangenen. Per Definition bedeutet «sakral» geweiht oder dem religiösen Zweck dienend.33 Über die Eigenschaften eines dem religiösen Zweck dienenden Raums stellen sich Fragen zur Massstäblichkeit, Monumentalität und im Besonderen zur Atmosphäre. In den bisherig beschreibenden Erläuterungen sind keine Aussagen zur beabsichtigten oder erreichten Wirkung des Baus getroffen. Atmosphärische Qualität scheint jedoch ein wesentlicher Punkt zu sein, wie auch im Pfarrblatt zum Ausdruck gebracht wird: «Es strahlt aus allen Räumen Sicherheit, innere Kraft, Bejahung und eine tiefe Lebensfreude. (...). Und doch, der Innenraum der neuen Kirche zwingt uns beim ersten Eintreten zum Stillstehen, zur Betrachtung, zur Sammlung und, je länger wir schauen, zu einem erhebenden Gefühl.»34 Angefügt werden beispielhaft die vielen Flächen, Ecken und Kanten, die hohen ungewohnten Fensteröffnungen, die tragenden Säulen und die aus einem Zementguss dastehende Chorwand.35 Es liegt an der versuchten, zusammenhängenden Wahrnehmung, dass der Innenraum aufgrund der vielen Einzelelemente kaum abschliessend als Ganzes gefasst werden kann, wodurch dieser nicht nur aufgrund seiner räumlichen Ausdehnung eine monumentale Anmutung erhält. Die Wahrnehmung betreffend beschreibt Förderer die Inszenierung von raumbeeinflussenden Elementen im Zusammenhang mit seinem aus seiner Sicht nicht erreichten «Gebilde von hoher Zwecklosigkeit»: «Mit Folgen von offenen und geschlossenen Räumen, mit Weitem und Engem, Hohem und Niedrigem, Leichtem und Schwerem, Lichtem und Schattigem, Glattem und Rauem, Kaltem und Warmem und mit noch vielen anderen primär wahrnehmbaren Gestaltungswerten; (...).»36 Die umschriebenen Abfolgen von unterschiedlichen Raumproportionen, Beziehungen von Materialien und Oberflächen lässt sich bei Brütschs Bau an mehreren Stellen exemplarisch aufzeigen. Beginnend auf dem mehrheitlich mit Sichtbetonwänden umschlossenen Kirchplatz wird der Besucher unter einen dunklen, in Holz gekleideten Eingangsschirm, durch eine kanalisierende Eingangstür geleitet bis sich, im gedrückten, abgedunkelten Umgang stehend, der Kirchenraum - in mehrere Abstufungen unterteilt - in die Höhe erstreckt. Zur räumlichen Wahrnehmung beitragend, umhüllt die abwechselnde Materialität zusammen mit den präzis gestalteten, meist indirekten Lichtfolgen den Betrachter im Innenraum. Warmes, ungehobeltes und in seiner Art leichtes Tannenholz wechselt sich mit kühlem, schweren Sichtbeton ab, wobei ein variantenreiches Spiel unterschiedlicher Wechselbeziehungen und Stimmungen entsteht. Die inszeniert variierenden Folgen tragen zu einem, im Pfarrblatt beschriebenen, «wohlausgewogenen Raum» bei, der zum «Einströmen aus einer anderen Welt und zur Vertiefung des Lebens» beiträgt.37

Kirchenbau St. Johannes im Spannungsfeld zwischen Baur und Förderer

Peter Osterwalder

33 vgl. Duden 2013 «sakral» 34 Kaufmann 1967b, o.S. 35 vgl. Kaufmann 1967b, o.S. 36 Förderer 1964, S.83 37 Aargauer Volksblatt 1967

115 27


3. Schlussfolgerungen & Fazit Brütsch zeigt mit der Kirche St.Johannes das Einfühlvermögen in eine örtliche Situation und die Adaption deren Eigenheiten zur Entwicklung eines Baus. Die Räumlichkeiten sind so angeordnet, dass diese sinnfällig in die gegebene topografische Situation eingebunden werden und die Bedeutung der Räumlichkeiten ins Quartier hinaustragen. Zusätzlich bestärkt die Setzung der Kirche die Haltung Brütschs, welche die westseitig verlaufende Bahnlinie als Rücken interpretiert. Die Bestrebung nach einem langen Vorbereitungsweg vom Aussen- zum Innenraum wird durch die Bedingungen der Topografie und die Anordnung des erhöhten Kirchplatzes, der über eine Treppenfolge erreicht wird und die Glaubensgemeinde gesammelt in den Kirchenraum führt, erfüllt. Brütsch zeigt dabei die eigene Haltung in der Konzeption des Kirchplatzes, welcher sich nur in einigen Zügen an die Gedanken zum Innenhof Förderers anlehnt. So spielt der Bau mit der hell-dunkel Folge zur Ausformulierung des Eingangsbereichs und zeigt durch geöffnete oder einengende Raumsituationen gegenüber der angrenzenden Quartiere unterschiedliche Erschliessungscharakteristiken. Innenräumlich leitet ein tief gehaltener, beinahe zum halbrund werdenden Umgang den zur rechten Seite entwickelnden, dreistufig abgetreppten Kirchenraum ein. Der Chorbereich ist dem höchsten und durch Oblichtfenster belichtete Raum zugeordnet, worauf sich der vierseitig darumlegende Volksraum ausrichtet. Der in den Gemeinderaum eingeschobene Altarbezirk folgt der damalig aktuellen Tendenz, dass die Gemeinde stärker in die liturgische Handlung miteinbezogen wird, was auch Förderer in seinen Notizen als zentrales Thema zur Gestaltung des modernen Kirchenraums ansieht. Die Ausrichtung auf den Volksraum wird dadurch gestärkt, dass Brütsch die Sakristei im Rücken des Kirchenraums anordnet. Der abwechselnde Einsatz von warmen und kalten Materialien bildet aufgrund der Oberflächenbeschaffenheit eine raumwirksame Zusammengehörigkeit, die durch den bewussten Einsatz natürlicher Belichtungssituationen gestärkt wird. Förderers Forderung nach Integration der Künste wird mit der Zusammenarbeit Brütschs als Architekt und Rickenbacher als Bildhauer und damit dessen raumgreifend in die Architektur eingebundenen Plastiken in grundsätzlichen Zügen erfüllt. Jedoch zeigt die Diskussion um die Applikation der Wandmalereien im Chorbereich, dass Brütsch auch Gegenposition einnehmen kann und den Forderungen in Bedacht auf die Wirkung der raumgreifenden Elemente als Teil der Architektur entgegnet und damit Aufschluss über die eigene Haltung gibt. Durch die Ausdehnung und vielschichtige Ausformulierung des Kirchenraums ist eine gesamtheitliche Wahrnehmung schwer möglich. Ständig wechseln Perspektiven, Blickbezüge und Lichtverhältnisse, wodurch span-

116 28


nungsvolle, atmosphärische Räume entstehen. Die Szenerie folgt den Gedanken Förderers zur inszenierten und abwechslungsreichen Ausgestaltung von Räumen. Es scheint, den Formulierungen zur Wirkung des Raums in den Pfarrblättern folgend, dass der sakrale Anspruch an den Kirchenraum gegeben ist, wobei die abschliessende Beantwortung der Frage nach Sakralität der subjektiven Wahrnehmung jedes Betrachters selbst überlassen bleibt. Die Arbeit folgt in ihrer Struktur den «Cinq points» und setzt den Schwerpunkt dadurch bewusst auf die architektonische Ausformulierung des Baus, ohne die technisch konstruktive Ausführung zu behandeln. Brütsch beweist mit der Kirche St.Johannes in Buchs, dass er nicht zu Unrecht als einer der Erneuerer des modernen Kirchenbaus gehalten wird und hat damit einen wichtigen, architektonisch wertvollen Beitrag zum Kirchenbaudiskurs in den Sechzigerjahren geleistet. Die von seinem Lehrmeister Hermann Baur getroffenen Bestrebungen zum Kirchenbau und die zu den Themen notierten Gedanken und Haltungen Förderers schwingen in seinem Bau mit, schafft es jedoch eine eigene Formensprache und Haltung zu entwickeln. Entstanden ist ein moderner Kirchenbau, der es schafft - von energetischer und technischer Aktualität abgesehen - bis heute ein «Kirchenbau von morgen» zu sein. In vereinfachter, jedoch keinesfalls banaler Weise kann die plastische Erscheinung des Baukörpers, aussen- wie innenräumlich an dem Brutalismus zugeordnete Bauten erinnern. In dieser Interpretation kann das Gebäude auch ein, von Reyner Banham gefordertes und als Neuanfang verstandenes, «Image»38 bedeuten, sofern damit die Abspaltung der Kirchgemeinde und die darauffolgende, durch einen provoziert modernen Kirchenbau angezeigte Neugründung der Eigenen gmeint ist. Im Rahmen dieser Arbeit konnte nicht abschliessend geklärt werden, wie die Beziehungen zwischen Baur und Förderer, sowie Letzterem und Brütsch genau ausgesehen haben, da diese in Schriften wenig bis kaum erwähnt werden. Ebenfalls ist die Zusammenarbeit zwischen Brütsch und Rickenbacher schwer einzuordnen. Aus einem Schreiben des Schwiegersohns von Rickenbacher kann entnommen werden, dass die beiden über Jahre eng zusammengearbeitet haben, jedoch kaum Dokumente dazu bestehen, da Abmachungen meistens mündlich «per Handschlag» getroffen wurden. Spannend bleibt das Geschehen um den in der Bevölkerung zwiespältig akzeptierten und bald fünfzigjährigen Bau, da aufgrund der kürzlich getätigten Aufnahme ins kantonale Denkmalinventar die vor ungefähr zwanzig Jahren weiss-beige gestrichene Fassade des Baus saniert wird, um die ursprünglich vom Architekten gedachte, plastisch wirkende Fassade in Sichtbeton wiederherzustellen.

Kirchenbau St. Johannes im Spannungsfeld zwischen Baur und Förderer

Peter Osterwalder

38 Banham 1955

117 29


4.1 Abbildungsverzeichnis Titelblatt Hist. Fotografie. Aus: Bestand kantonale Denkmalpflege Aargau © www.bruetscharchitekt.ch Abb. 1.

Aus: AM Architekturmuseum 1994, S.9

S.5

Abb. 2.

Aus: http://www.peristyle.ch/s/article/291 (Abgerufen: 30.11.2014)

S.6

Abb. 3.

Aus: http://bruetscharchitekt.ch (Aberufen: 30.11.2014)

S.7

Abb. 4.

Hist. Fotografie. Aus: Bestand kantonale Denkmalpflege Aargau

S.8

Abb. 5.

Handskizze Topografie. Eigene Darstellung

S.9

Abb. 6.

Handskizze Situierung. Eigene Darstellung

S.9

Abb. 7.

Hist. Fotografie. Aus: Bestand kantonale Denkmalpflege Aargau

S.10

© www.bruetscharchitekt.ch Abb. 8.

Handskizze Abtreppung. Eigene Darstellung

S.11

Abb. 9.

Handskizze Kirchturm. Eigene Darstellung

S.11

Abb. 10. Handskizze Platzfolge. Eigene Darstellung

S.12

Abb. 11. Handskizze Kirchplatz. Eigene Darstellung

S.12

Abb. 12. Hist. Fotografie. Aus: Bestand kantonale Denkmalpflege Aargau

S.13

© www.bruetscharchitekt.ch Abb. 13. Handskizze Eingangstür. Eigene Darstellung

S.14

Abb. 14. Handskizze Eingangsbereich. Eigene Darstellung

S.14

Abb. 15. Fotografie Umgang. Eigene Darstellung

S.15

Abb. 16. Grundrissplan. Eigene Darstellung gem. Planunterlagen 1965

S.16

Abb. 17. Handskizze Dreiteilung. Eigene Darstellung

S.17

Abb. 18. Hist. Fotografie. Aus: Bestand kantonale Denkmalpflege Aargau

S.18

© www.bruetscharchitekt.ch Abb. 19. Handskizze lit. Bewegung. Eigene Darstellung

S.19

Abb. 20. Handskizze Chorwand. Eigene Darstellung

S.20

Abb. 21. Handskizze Deckendetail. Eigene Darstellung

S.20

Abb. 22. Fotografie Deckenabwicklung. Eigene Darstellung

S.21

Abb. 23. Handskizze Farblasuren. Eigene Darstellung

S.22

Abb. 24. Fotografie Frontwand Kapelle. Eigene Darstellung

S.23

Abb. 25. Hist. Fotografie. Aus: Bestand kantonale Denkmalpflege Aargau

S.24

© www.bruetscharchitekt.ch

118 30


4.2 Literatur- und Quellenverzeichnis - Aargauer Volksblatt (1967). Jg. 56. Nr. 219. Weihe der St.Johanneskirche in Buchs. Aargau - Banham, R. ([1955] 2001). Der New Brutalism. In: Schregenberger, T., Lichtenstein, C. As Found. Die Entdeckung des Gewöhnlichen. Lars Müller. Baden (Erstveröffentlichung Banham, R. (1955). The New Brutalism. In: Architectural Review. Jg. 59.) - Baur, H. (1958). Werk Bd. 45. Der katholische Kirchenbau in den letzten 50 Jahren. http://retro.seals.ch/digbib/view?pid=wbw-002:1958:45::1639 (Abgerufen: 17.11.2014) - Brütsch, H.A., Kaufmann, U. (1967a). In: Röm. kath. Kirchgemeinde Aarau (Hrsg.). Pfarrblatt Jg. 48. Nr. 39. Aarau - Dangel, K. (1998). Schweizer Ingenieur und Architekt Bd. 116. Die Denkmäler der Nachkriegszeit: die Inventarisation der Architekturperiode 1935-65 am Beispiel von Zürich. http://retro.seals.ch/digbib/view?pid=sbz-003:1998:116::601 (Abgerufen: 29.11.2014) - Duden. (2013) Duden. Die deutsche Rechtschreibung. (25.Aufl.). Dudenverlag. Mannheim - Egli, W. (1998). Werk, Bauen + Wohnen Bd.85. Hanns Anton Brütsch. http://retro.seals.ch/cntmng?pid=wbw-004:1998:85::1474 (Abgerufen: 17.11.2014) - Förderer, W. M. (1964). Kirchenbau von heute für morgen? Fragen heutiger Architektur und Kunst. NZN Buchverlag, Zürich - Förderer, W.M., Bächer, M. (1975). Walter M. Förderer. architecture-sculpture. Architektur-Skulptur. Editions du Griffon, Neuchâtel - Humbel, C., Brütsch, H.A. In: AM Architekturmuseum (Hgrs). (1994). Hermann Baur. Architektur und Planung in Zeiten des Umbruchs. Basel - Kaufmann, U. (1962). Bau- und Garantie-Komitee der röm.-katholischen Kirche in Aarau. Wettbewerbsprogramm. Aarau - Kaufmann, U. (1968). Bericht der bestellten Gutachter zum Problem einer Malerei auf der Chorwand in der St. Johannes-Kirche in Buchs bei Aarau. Buchs - Kaufmann, U. (1967b). Die Kirchweih-Agape. In: Röm. kath. Kirchgemeinde Aarau (Hrsg.). Pfarrblatt Jg. 48. Nr. 40. Aarau

Hiermit bestätige ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Die Stellen der Arbeit, die dem Wortlaut oder dem Sinn nach anderen Werken (dazu zählen auch Internetquellen) entnommen sind, wurden unter Angabe der Quelle kenntlich gemacht. Buchs, 20.01.2015

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mehr als Lastabtrag Tektonik an der Kantonsschule Wattwil des Architekten Otto Glaus Daniel Scheuber

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014/2015 Horw, 20.01.2015

Verfasser: Daniel Scheuber Brünigstrasse 7 6005 Luzern Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser

Lucerne School of Applied Science and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur

Abstract Anhand der Texte von Bötticher, Semper und Kollhoff 1 wird der Begriff der Tektonik beschrieben. Mit der Aussage des Architekten Otto Glaus, er habe seine Gebäude bewusst atektonisch gebaut 2, wird im Hauptteil die Kantonsschule in Wattwil untersucht. Der Fokus liegt dabei auf drei Bereichen des Gebäudes. Die Stütze und deren Fuge zum horizontalen Bauteil, das Fassadenraster und die Füllungen zwischen dem Raster. Dabei stellt sich die Frage, wie atektonisch oder tektonisch sie im Sinne der eingangs erwähnten Quellentexte sind. Dabei zeigt sich, dass Glaus eine andere Definition von Tektonik hatte. Aus seiner Sicht kann die Kantonsschule Wattwil als Atektonisch bezeichnet werden.

mehr als Lastabtrag

Daniel Scheuber

1

Bötticher, Karl. Entwicklung der Formen der Hellenischen Tektonik (1840) Semper, Gottfried. Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik (1863) Kollhoff, Hans. Über Tektonik in der Baukunst (1992)

2

Otto Glaus, Architekt, Birkhäuser Verlag (1995). Gespräch mit Ueli Lindt.

3125


3

Otto Glaus erwähnt dies in einem Interview mit Ueli Lindt. In vielen Biografien über Glaus wird erwähnt, die Atektonik und dessen gestalterischen Möglichkeiten seien in seinen späten Werken ein zentrales Thema. Vergl. Gregor Harbusch, Bestandesbeschrieb Otto Glaus, in: Website des gta Archivs / ETH Zürich, Dezember 2009, www.archiv.gta.arch. ethz.ch/nachlaesse-vorlaesse/glaus-otto/informationen

Einleitung Beim ersten Betrachten der Kantonsschule in Wattwil von Otto Glaus, fällt das unregelmässige Fassadenraster auf. Trotzdem erscheint die Fassade klar gegliedert und aufgebaut. Dieser Gegensatz von Willkür und Klarheit findet sich auch bei den Betonstützen an der Fassade. Hier erschliesst sich dem Betrachter nicht sofort, ob die Form aus einer gestalterischen oder technischen Absicht entspringt. Durch die Vorfabrikation sehen alle Stützen ähnlich aus, was der Fassade wieder eine Ruhe und Klarheit verleiht. So wuchs das Interesse, diese Bauteile zu untersuchen und dessen Formgebung zu ergründen. Bei Recherchen über den Architekten Otto Glaus findet man die Aussage er habe das Gebäude in Wattwil bewusst Atektonisch gebaut 3. So stellt sich die zentrale Frage: Was ist Tektonik oder Atektonik. Um diesen Begriff zu begründen werden zuerst Texte von Bötticher, Semper und Kollhoff vorgestellt, um eine erste allgemeine Definition des Begriffes der Tektonik zu erhalten. These Tektonik ist kein fest definierter Begriff. Bei jedem Autor findet sich eine persönliche Definition, was Tektonik in der Architektur bedeutet. Trotzdem findet sich in allen Definitionen ein gemeinsamer Nenner der sich auf die Architektur der Hellenen bezieht.

126 4


Abb. 1. Kapitel des Erechtheion auf der Akropolis

mehr als Lastabtrag

Daniel Scheuber

5127


Karl Bötticher (* 29. Mai 1806 in Nordhausen; † 19. Juni 1889 in Berlin, war ein deutscher Architekt, Kunsthistoriker und Archäologe. Er besuchte das Gymnasium; begann eine Lehre als Geometer und Bauführer. Später Studium an der Bauakademie in Berlin. Durch seine Liebe zur Gotik arbeitete er 1830 für Schinkel an einem Musterbuch als Zeichner und Lithograph. Ab 1833 unterrichtete er an der Malerschule der Königlichen Porzellanmanufaktur und ab 1834 auch an der Dessinatur-Schule. Neben seinen Lehrtätigkeiten veröffentlichte Bötticher mehrere Ornament- und Lehrbücher. Deshalb begann er 1839 eine Lehrtätigkeit für Freihandund Ornamentzeichnen an der Kunstakademie in Berlin für 36 Jahre. 1853 bekam er an der Universität Greifswald den Doktortitel; 1854 folgte die Habilitation, die ihm eine Lehrtätigkeit an der Berliner Universität brachte. Von 1868 bis 1875/76 leitete er die Skulpturensammlung des Berliner Museums und später das Museum. Erst 1862 konnte Böttcher selbst Griechenland bereisen. http://de.wikipedia.org/wiki/ Karl_Bötticher)

4

Manfred Klinkott in Hans Kollhoff „Über Tektonik in der Baukunst“ S.39

5

ebd.

6

Bötticher, Karl. Entwicklung der Formen der Hellenischen Tektonik, S. 317

128 6

Karl Bötticher Entwicklung der Formen der hellenischen Tektonik Bauzeitung Wien, 5. Jahrgang 1840 Bötticher schreibt 1840 in der Wiener Bauzeitung einen ersten Text über die Tektonik der hellenischen Architektur. Dies ist eine kurze Fassung dessen, was 1844 in der ersten und 1852 in der zweiten Fassung erscheint. Mit dieser Publikation erregte Bötticher grosses Aufsehen, denn er versuchte damit die klassischen Formen zu erklären. Seine Arbeit wurde stark kritisiert, was dazu führte, dass er 1876 von all seinen Ämtern zurück trat. „Man hat gegen ihn oft eingewandt, dass er den Entstehungsprozess und die weitere Entwicklung- die Vorstufen im Holz- oder Lehmziegelbau (...) nicht richtig gesehen habe.“ 4 Trotzdem wird eingeräumt, neben grossem Respekt, „Wenn er auch in vielem irrte, sah er doch wichtige Zusammenhänge, die er damals nur ahnen, nicht aber wissen oder gar beweisen konnte.“ 5 Bötticher behandelt vor allem die dorische und ionische Säulenordnung. Er unterscheidet zwischen der Kernform und der Kunstform. Dabei versucht er die Beziehung zwischen Verkleidung und Kern zu zeigen. „Dem entsprechend werden wir Verfolge unserer Betrachtungen zuerst die Funktion und Form des Kernes feststellen, sodann folgerecht aus dieser die symbolisierende dekorative Hülle entwickeln.“ 6 Um einen Balken zu halten braucht es zuerst eine Stütze. Diese muss an sich nicht verkleidet oder verziert werden, denn sie verrichtet ihre Aufgabe auch in rohem Zustand, also der Kernform. Da die Griechen sich damit aber nicht zufrieden gaben, wurden Kannelüren in die Säule gemeisselt um die tragende Last und innere Spannung der Säule gegen aussen anzuzeigen. Der Balken wurden aus dem gleichen Grund an seiner Unterseite verziert. Hier finden sich oft Symbole wie Seile, Bänder oder Gurten. An der Vorderseite eines Balken werden keine Ornamente angebracht, da hier der Balken keine Funktion


übernimmt. „Form eines Körpers nämlich ist in der bildenden Kunst wie in der schaffenden Natur: Darstellung oder plastischer Ausdruck seiner Funktion im Raume.“ 7 Dabei hat jedes Bauteil, von Bötticher Körper genannt, eine klare Funktion. „Jedem dieser Körper ist bei der Konzeption des Ganzen von vorn herein eine gewisse struktive Funktion - bauliche Dienstverrichtung - zugeteilt, die er von seiner örtlichen Lage oder Stellung aus beginnt, nach einer bestimmten Richtung hinwärts entwickelt, und in den Raumgrenzen beendet.“ 8 Die dekorative Verkleidung muss die Aussagen und Funktion der Kernform unterstützen und unterstreichen. So muss die Verkleidung auf der ganzen Länge der Kernform gleich sein, wenn die Kernform auch auf der ganzen Länge die gleiche Aufgabe erfüllt. Wenn jedoch die Aufgabe wechselt, während der Ausdehnung einer Kernform, so ist die Aufgabe der dekorativen Verkleidung diese Brüche und Wandel „bewusst und gesetzlich herauszuheben“ 9 Schluss oder Beendung dieser Dekoration hat nach Bötticher zwei Möglichkeiten. Wenn keine weitere Funktion anschliesst, endet sie selbständig und frei. (vergl. Abb.2) Schliesst eine weitere Funktion an, wird eine Verknüpfung, Junktur10 ausgebildet. Zu diesem zweiten Beispiel dürfen die Kapitelle der hellenischen Architektur gezählt werden. Da bei der Junktur, zwei verschiedene Funktionen aufeinander stossen, ist die Darstellung dieses Bauteils besonders wichtig. Dabei reagiert die dorische Säule anders als die Ionische. 11 In der dorischen Ordnung besteht die Junktur aus dem Abakus, eine quadratische Platte und dem Echinus, einem kissenartigen Element. Wenn die Last des Architraven schwerer wird, quellt der Abakus mehr nach aussen. Die Anuli, ringartige Vertiefungen am Säulenkopf, übernehmen die Rolle von Lederriemen und verbinden den Schaft mit dem Kapitell.

mehr als Lastabtrag

Daniel Scheuber

Abb. 2. Abschluss Türrahmen am Erechtheion auf der Akropolis. Da keine weitere Funktion gegen oben folgt, kann sich die Palmette frei entfalten. Die untere Palmette hingegen ist gerollt und zeigt so die tragende Last an. 7

Bötticher, Karl. Entwicklung der Formen der Hellenischen Tektonik, S. 316, 2.Absatz

8

ebd. S. 318

9

ebd. S. 320

10 Junktur: aus dem lateinischen iunctura = verbinden, zusammenfügen 11 Bötticher spricht unter Punkt 8. S. 319 davon, dass die Verknüpfung sich wie ein „fügsamer, nachgebender Stoff “ der neuen Funktion anschliesst und deren Wesen unterstützt.

7129


Abb. 3. Dorische Säule

130 8


Abb. 4. Ionische Säule

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Über dem Architraven finden sich weitere gestalterische Elemente, welche die Abtragung der Last symbolisieren. Das Kymata (Blattwelle) ist unter der Last des Gebälk zusammengepresst. Auch unter dem Geison und Sima zeigen die Mutuli die Funktion des Lasten an. Um das Bild der Lastableitung zu vervollständigen, sind die Bereiche zwischen den Friesen mit zerbrechlichen Skulpturen wie Töpfen geschmückt. Dem Betrachter wird klar, dass in diesem Bereich keine Last abgetragen wird. Die dorischen, männlichen Kyma konnten viel Last aufnehmen, da sie stark gebaut waren. Hingegen sind die ionischen, weiblichen Kyma nur sehr schwach und beugen sich bis zu ihrem Fusse. Deshalb finden sich in der ionischen Ordnung zwei oder drei Reihen Kymata, um die enormen Lasten aufgeteilt zu tragen. Um dies noch bildhafter zu betonen, kann die Palmette auf der Dachspitze sich ganz entfalten, da sich nun keine Last mehr trägt. Auch das nach aussenwölben der Volunten sieht Bötticher als Symbol der Last. 12 Da die ganze ionische Säule laut Bötticher als Skulptur gesehen wird, steht sie auf einem Sockel, der Basis. Dem gegenüber steht die dorische Säule die, wie ein Baum, aus dem Boden wächst. 12 In diesem Punkt wiederspricht Manfred Klinkott und erklärt anhand der Publikation von Walter Andraes, die Volunten kämen aus dem altorientalischen Bereich, in dem die Volunten aus Schilfbündeln hergestellt wurden und so auf die Palastfassaden übertragen wurden. Abb. 5.

132 10

Am Erechtheion auf der Akropolis wurden Säulen durch Frauenfiguren ersetzt, was die These Böttichers unterstützt.


Die korintische Ordnung wird von Bötticher nur kurz angeschnitten und nicht weiter erklärt. 13 Bötticher erklärt in seinem Text weiter, wie die Zierformen zu erstellen sind, damit sie als solche erkannt werden: „Es ist wohl überflüssig zu bemerken, wie, wenn hier von Kernform und deren dekorativen Bekleidung die Rede ist, nur gemeint sein kann, dass die letztere nicht alle Mal technisch erst angefügt werden soll. Wie bei Putz, Metall u.s.f. sondern dass, wenn Kern und Hülle aus einem Volumen gearbeitet werden, wie Sandstein, Marmor u. dergl., die ganze Körperlichkeit des Strukturteiles so angelegt wird, dass die dekorativen Extremitäten aus dem Volumen entwirrt werden können, und dennoch das als notwendig anerkannte Schema des Kernes vorherrschend festgehalten werden.“ 14 So kann zusammengefasst werden, Tektonik ist wenn alle Teile zu einer Form zusammengefügt sind und ihre Funktion klar erkennbar ist. „Nach ihrer tektonischen Vereinigung zu einer totalen Form erscheinen alle einzelnen Strukturteile in einem Ausdrucke, welcher die besondere Funktion eines jeden, deren Anfang und Beendung, so wie die wechselseitige Verbindung - Junktur - auf das anschaulichste und prägnanteste darstellt. Besonders wird durch scharfe Hervorhebung des letzteren Ausdruck - der Junktur - weil sie eben im Konflikte zweier Funktionen liegt und diesen vermittelt, allen einzelnen Teilen ein inniger Zusammenhang und lebendiger Organismus angebildet.“ 15

13 Vitruv überliefert folgende Anekdote zur Entstehung des korinthischen Kapitells: Eine jungfräuliche Korintherin erkrankte und starb. Voller Trauer sammelte ihre alte Amme die Spielsachen, die die Verstorbene in ihrer Kindheit besonders geliebt hatte, in einen Korb und stellte diesen auf das Grab. Damit die Sachen unter freiem Himmel nicht so schnell zu Schaden kommen würden, legt die Amme eine steinerne Platte zur Abdeckung auf den Korb. Der Korb stand aus Zufall über einer Akanthuspflanze, deren Triebe an den Korbseiten emporwuchsen. Dies sah im vorübergehen Kallimachos, ein Maler und Bildhauer aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. und ließ sich davon zum schaffen des korinthischen Kapitells inspirieren.Vergl. Vitruv, Die zehn Bücher über Architektur, 3. Buch, 5. Kapitel. 14 Bötticher, Karl. Entwicklung der Formen der Hellenischen Tektonik, S. 323 15 Bötticher, Karl. Entwicklung der Formen der Hellenischen Tektonik, S. 318

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Gottfried Semper (* 29. November 1803 in Hamburg; † 15. Mai 1879 in Rom) war deutscher Architekt und Kunsttheoretiker in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Er gilt als Vertreter des Historismus, insbesondere der Neorenaissance, und Mitbegründer der modernen Theaterarchitektur. Schulzeit auf der Gemeindeschule Barmstedt ab 1819 Hamburger Gelehrtenschule des Johanneums. Nach dem Abitur 1823 begann er an der Universität Göttingen das Studium der Mathematik und Geschichtswissenschaft. Zwischen 1830 und 1833 bereiste er Italien und Griechenland, um die Bauten der Antike zu studieren. 1832 war er vier Monate lang an archäologischen Forschungen auf der Akropolis beteiligt. Dabei wies er auch die Polychromierung antiker Werke nach. 1834 Professor in Dresden. 1849 musste er wegen Teilnahme an der Revolution 1848 fliehen und ging nach Paris und London, wo er sich bei der Weltausstellung 1851 engagierte. 1855-71 lehrte er in Zürich. 1855 ernannte der Schweizer Bundesrat Semper zum Professor auf Lebenszeit. http://de.wikipedia.org/wiki/ Gottfried_Semper

Abb. 6. Die vier wichtigsten Zwecke der Tektonik

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Semper, Gottfried. Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik (1863) 2. Band, Sechstes Hauptstück, Tektonik Semper beginnt das Kapitel mit seiner Definition von Tektonik: „Die Kunst des Zusammenfügens starrer, stabförmig gestalteter Theile zu einem in sich unverrückbaren Systeme (...)“ 16 Er sieht die Herkunft der Tektonik in der Zimmerei. „Der fortwirkende unmittelbare Einfluss der Zimmerei auf den Stil der Baukunst, ist nur dann in seiner wahren Bedeutung zu fassen, wenn wir, (...) die neuen Motive und die Umbildungen dieser Typen, wie sie in dem Laufe der Geschichte der Technik und der Kunst eintraten, verfolgen. Denn alle weisen in letzter Instanz immer auf jene ältesten Wurzelformen zurück (...)“ 17 Diese Wurzelformen der Tektonik sind laut Semper älter als die Baukunst an sich und wurden zuerst in Haushaltsgeräten angewandt. So wurde auch der Tempel, der laut Semper ein Pegma, Gezimmer ist, sei er nun hölzern oder steinern aus Pegmen von Haushaltsgeräten entlehnt und weiter entwickelt. Daraus definieren sich die vier wichtigsten Zwecke der Tektonik als Rahmen mit Füllung, Geschränk also kompliziertes Rahmenwerk, Stützwerk und Gestell. Wobei das Gestell die Kombination aus Rahmenwerk und Stützwerk ist. (vergl. Abb. 6) „Der Bezug zwischen der Textrin und der Tektonik, (...) liegt so nahe, dass wir noch jetzt für die Bezeichnung vieler tektonischer Theile unsere technischen Ausdrücke aus der Textrin entnehmen (Band, Gurt, Kranz, Futter, Bekleidung, Spannung usw.) (...) Weshalb auch die Bekleidung der so bezeichneten tektonischen Glieder mit von der Textrin entlehnten Symbolen selbstverständlich und natürlich erscheinen musste.“ 18 So ist also nebst der Zimmerei und den Haushaltsgeräte das Textrin ein weiterer wichtiger Einfluss auf die Baukunst und deren Tektonik. Wiederspruch zu Bötticher findet man bei Semper in diesem Be-


reich. Von der Kunst des Stickens kommend, erklärt Semper, dass man anders als bei der hellenischen Architektur nicht das tragende Bauteil schmückt, sondern dessen Zwischenraum. „Man schmückt das in struktiver Beziehung unthätige, in dem Sinne leere, Feld mit Symbolen, die zunächst der Nichtbetheiligung des Füllwerkes an der Struktur entsprechen, zugleich aber dieser, der struktiv-thätigen Umrahmung, noch eine höhere ausserstruktive Bestimmung und einen Mittelpunkt und Endzweck ihres Wirkens ertheilen.“ 19 Auch das genaue abzeichnen und sichtbarmachen der inneren Konstruktion im äusseren findet man laut Semper bei den Hellenen nicht. Es ist viel mehr ein Hinweis auf die vorhandene Konstruktion. „Die Kunst erstrebt hier und in ähnlichen Fällen einen äusseren ästhetischfassbaren Hinweis auf das unsichtbar Vorhandene und Repräsentierte“. 20 So findet man bei Deckenuntersichten hellenischer Bauwerke oft Ornamente, die das Himmelszelt anzeigen. Also das sichtbarmachen des Himmels über dem Bauwerk. Dies steht im Gegensatz zum Ornament an der Säule, welches die Funktion des Bauteiles anzeigt. Somit widerspricht Semper mit seiner Publikation Bötticher in einigen Grundsätzen. Tektonisch muss nicht dringend das Aufzeigen der Lastabtragung am äusseren eines Bauteils mittels Ornamente sein. Semper geht jedoch mit Bötticher einig, dass die Hellenen über ein grosses Wissen in der Baukunst verfügten. Jedoch eher in der Wahl des richtigen Bauteils als in dessen Ausgestaltung. „Keiner denkt bei einem Aufrechtstehenden, Senkrechten, an dessen Schwere und (...) Stabilität. (...) Anders verhält es sich wenn ich z.b. zwei steinerne Pfosten gegen einander stütze. (...) Ihr Konflikt erweckt den Gedanken (...) an die Existenszfähigkeit (...). Deshalb auch schlossen die Hellenen noch viel entschiedener das Gewölbe, das sie recht gut kannten, als architektonisches Element aus ihrer monumentalen Kunst aus.“ 21

Abb. 7. Die Wirkung von Bauteilen

16 Semper, Gottfried. Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik, S.209 17 ebd. S. 209 ff 18 ebd. S. 211 19 ebd. S. 212 20 ebd. S. 218 21 ebd. S. 246

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Hans Kollhoff (* 18. September 1946 in Lobenstein, Thüringen) ist ein deutscher Architekt und Universitätsprofessor em. an der ETH Zürich. Kollhoff studierte von 1968 bis 1973 Architektur an der Universität Karlsruhe bei Egon Eiermann, 1974 an der Technischen Universität Wien. Das Diplom erhielt er 1975 in Karlsruhe. Hiernach war er Stipendiat an der Cornell University/New York, und war dort bis 1978 Assistent bei Oswald Mathias Ungers. Danach war er bis 1983 Assistent an der TU Berlin. Er gründete sein eigenes Architekturbüro, das er seit 1984 mit der Architektin Helga Timmermann partnerschaftlich führt. Von 1990 bis 2012 war er Professor für Architektur und Konstruktion an der ETH Zürich. Seinen internationalen Rang unterstreichen mehrere Gastprofessuren und zahlreiche Vortragsreisen im In- und Ausland. Er ist in Deutschland und Europa tätig, vorwiegend im Büro-, Geschäfts- und Wohnungsbau. (http://de.wikipedia. org/wiki/Hans_Kollhoff)

22 Kollhoff, Hans. Über Tektonik in der Baukunst. S.1 23 ebd. 24 Wölfin Heinrich, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe (1915), zitiert von Hans Kollhoff in: Über Tektonik in der Baukunst. S.2 25 vergl. Kollhoff, Hans. Über Tektonik in der Baukunst. S.2 ff

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Hans Kollhoff Über Tektonik in der Baukunst, 1993 Auch der Architekt Kollhoff beginnt sein Buch mit einer ersten Aussage zum Thema der Tektonik: „Der Begriff Tektonik verbindet die scheinbar antagonistischen Sphären von Kunst und Technik in der Architektur“. 22 Weil die Tektonik diese beiden, eigentlich gegengesetzten Bereiche verbinden muss, gibt es gemäss Kollhoff zur Zeit des Textes nur noch sehr wenige Gebäude die so, also tektonisch, gebaut sind: „Denn seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist ein fortschreitender Zerfallsprozess der komplementären Einheit von Technik und Kunst (...) zu beobachten. (...) Wir sehen uns zunehmend einer Welt von Dingen ausgesetzt, die, technisch perfekt, aber eine Beleidigung fürs Auge sind oder oberflächlich schön, aber von zweifelhafter Nützlichkeit“. 23 Dass Tektonik nicht einfach eine nette Anreicherung eines Gebäudes ist, sondern unbedingt vorhanden sein muss, erklärt Kollhoff indem er den schweizer Kunsthistoriker Heinrich Wölflin zitiert: „Die Malerei kann, die Architektur muss tektonisch sein“. 24 Als Beispiel wird eine Stütze in der Architektur-Assistenz an der ETH in Zürich vorgeführt. Die Stütze tönt hohl, führt sogar Wasser ab und kommt direkt aus dem Spannteppichbelag um in einer Lichtdecke zu verschwinden. Dem Beobachter wird also klar, dass die Stütze nichts trägt. Jedoch sehen alle Stützen an diesem Gebäude so aus, was den Autor die Frage stellen lässt, was denn das Gebäude trägt, wenn nicht diese hohlen Stützen. Kollhoff macht somit klar, dass ein gebautes Werk den Regel der Tektonik folgen muss. Dabei sieht er „das Aufheben des tektonisches Gerüstes als Selbstvernichtung der Architektur“. 25 Er erklärt weiter, dass die Tektonik aus der Zimmermannsarbeit komme und zitiert auch die Definition Sempers über Tektonik. Auch zum Thema der Bekleidung äussert sich Kollhoff. Er sieht die Her-


kunft der Bekleidung im Schutz eines Gebäudes vor Kälte, Feuer und Korrosion. Dabei bezieht er sich wiederum auf Semper, der den Begriff der Bekleidung in die Architekturtheorie eingeführt hat. „Wir müssen uns daran gewöhnen, auch wenn sie uns angesichts der zum Dekorationskunstgewerbe verkommene Profession suspekt ist.“ 26 Denn ein rein monolithisches Gebäude 27 sieht er in unseren Breitengraden als nicht mehr möglich. Bereits seit dem Mittelalter wurden immer wieder Marmor oder Hölzer vorgeblendet. Mit der Entwicklung der Maschinen kamen neue Möglichkeiten auf. So wird die Wand heute sogar von ihrer ursprünglichen Aufgabe, dem Tragen, befreit und diese durch eine Skelettkonstruktion übernommen. Es setzt sich laut Kollhoff, der Trend der geschichteten Fassaden durch. Als Beispiel eines tektonischen Gebäudes erwähnt der Autor die Postsparkasse von Otto Wagner. Die Marmorplatten wurden mit den Aluminiumköpfen befestigt, um nicht die Trocknungszeit des Mörtels abwarten zu müssen. Eine Konstruktion die durch ihre Anordnung auch ornamental in Erscheinung tritt. Wagner selbst betont dazu, der Architekt habe immer aus der Konstruktion die Kunstform zu entwickeln. Loos stellt deshalb seine Bekleidungstheorie auf, um eine Verwechslung von Konstruktion und Verkleidung zu verhindern. Er meint, dass jedes Material mit jeder beliebigen Farbe überstrichen oder übergossen werden kann, es muss sich jedoch klar abzeichnen, dass es sich dabei um eine Farbe handelt. So darf Holz nicht mit einer Holzfarbe gestrichen werden, denn dies würde den Betrachter dazu verleiten die Bekleidung mit der Konstruktion zu verwechseln. Er stellt damit auch klar: „das Ziel der Bekleidung ist nicht die Visualisierung der Konstruktion an sich, sondern das an sie Erinnernde.“ 28

Mit weiteren Beispielen aus der Kunst und Architektur versucht Kollhoff die Spannweite des Begriffes der Tektonik zu erläutern.

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26 Adolf Max in: Kollhoff, Hans. Über Tektonik in der Baukunst, S.9 27 „Die aus ein bis zwei Materialien bestehende monolitische Wand erfüllte alle Funktionen- Statik, Dämmung, Wasserdichtung. (Kollhoff 1993), S.12 28 Adolf Loos zitiert von Hans Kolhoff in: Kollhoff, Hans. Über Tektonik in der Baukunst, S.8

Abb. 8. Die Haut (Bekleidung) des Menschen erinnert lediglich an die darunter liegenden Muskeln (Konstruktion) und visualisiert diese nicht. Athlet, Vorderansicht, aus: Schider, plastischanatomischer Handatlas, Leipzig

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Abb. 9. Snake von Richard Sera 1994-1997 „Serras Skulpturen sind damit der Inbegriff des Tektonischen (...) Da die Funktionen anschaulich gemacht werden. Der Boden trägt die Stahlplatte.“ Zitat: Kollhoff, Hans. Über Tektonik in der Baukunst, S.17.

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Er schliesst das Kapitel über die Tektonik der Baukunst mit der Aussage, dass nicht nur durch das korrekte, für die Aufgabe richtige Material eine Tektonik hervorrufen kann. Als Beispiel sieht er die Schwebeillusion des Denkmals Liebknecht/ Luxemburg von Mies van der Rohe, welches mit „betont ungeeignetem“ 29 Material, dem schweren Backstein, so grosse Auskragungen macht. „Dieser Triumph des leichten über das Schwere wird durch ein raffiniertes ästhetisches und technisches Kalkül erreicht.“ 30

29 Aldof Max Vogt in Kollhoff, Hans: Über die Tektonik in der Baukunst. S 34 30 ebd.

Abb. 10. Denkmal für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, Berlin-Friedrichsfelde 1926-1935. Mies van der Rohe. „Wie sonst liese sich der Begriff der Tektonik auf die Spitze treiben“ Kollhoff: Über die Tektonik in der Baukunst, S. 12.

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Abb. 11.

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Gesamtansicht der Kantonsschule Wattwil


Kantonsschule Wattwil 31 von Otto Glaus, 1968-1970 1964 wurde ein Projektwettbewerb ausgeschrieben um eine neue Kantonsschule in Wattwil zu erstellen. Dieser gewannen Otto Glaus und Heribert Stadlin. Nach einer kantonalen Volksabstimmung über das Projekt 1967 wurde das Baugesuch vom Gemeinderat ein Jahr später genehmigt. Während der Bauzeit 1968-1970 wurden von den Architekten Änderungen vorgeschlagen. Dabei wurde der westliche Teil des Klassentraktes um ein Geschoss aufgestockt, dafür auf ursprünglich geplante Aufbauten verzichtet. Möglich waren dies Änderungen, da das Gebäude etappiert gebaut wurde. Ende 1968 wurde der Westtrakt vollendet, 1969 der Osttrakt und 1969/70 der Südtrakt. Im Sommer 1970 wurde das Gebäude in Betrieb genommen. Bereits 1992 wurden die Erweiterungen des Architekten Heribert Stadlin eröffnet. 32 Dabei wurde eine neue Mensa neben dem Haupteingang, Verlängerung des Naturwissenschaftstrakts gegen Norden und eine neue Mediothek auf der Turnhalle errichtet. 2008 fand ein Projektwettbewerb für einen Neubau des Verbindungstrakts statt. Dieser wurde aber bis heute nicht ausgeführt. Moritz Flury, stv. Leiter der kantonalen Denkmalpflege St. Gallen bezeichnet Erbauer Otto Glaus „als sehr bedeutenden Architekten der 60er- und 70er-Jahre“ 33 und die Kantonsschule „als eines seiner wichtigsten Werke. Zusammen mit der Hochschule St. Gallen und dem Stadttheater gehört es zur Top-Liga der Sichtbetonbauten im Kanton.“ 33

Otto Glaus (geb. 17.12.1914 in Uzwil, gest. 30.9.1996 in Zürich) studierte erst spät Architektur (1941-45). Zuvor hatte er bereits eine Handwerkslehre absolviert und die Kunstgewerbeschule in Zürich besucht, war Mitarbeiter bei Le Corbusier in Paris gewesen und hatte als Bauleiter auf der «Schweizer Landesausstellung» 1939 gearbeitet. Parallel zu seinem Studium an der ETH Zürich entstanden bereits die ersten Bauten. 1945 eröffnete er ein eigenes Büro. (http://www.archiv.gta.arch.ethz. ch/nachlaesse-vorlaesse/glausotto) 31 Einen ausführlichen Baubeschrieb des Gebäudes findet man im Bauhistorischen Gutachten des Kunsthistoriker Dr. phil. Leza Dosch. Die hier aufgeführten Daten sollen eine kurze Vorstellung des Gebäudes ermöglichen und sind ein Zusammenfassung des Anfangs erwähnten Gutachten. 32 Dr. phil. Leza Dosch macht im Bauhistorischen Gutachten über die Kantonsschule aufmerksam, dass „Architekturhistorisch gesehen dies ein schwieriger Entscheid, war, da auch ein Fortschreiben des Bestehenden eine Uminterpretation und damit eine Beeinträchtigung des Originals bedeutet.“ Dies obwohl der Architekt Stadlin beim Bau 1968-70 beteiligt war und die Erweiterung im Sinne dieser Zeit sieht. 33 Zürichsee-Zeitung 23.06.2014

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Tektonik aus der Sicht des Architekten Otto Glaus

34 Vergl. Lindt, Ueli. Otto Glaus Architekt. S. 210ff. Ueli Lindt dipl. Architekt ETH/SIA ist Mitarbeiter des Amt für Hochbauten der Stadt Zürich. Er betreut die Ämter Schulen und Sport. Er ist zudem Gruppenleiter Projektentwicklung / Bau. Durch das Mitwirken in der Fachstelle für nachhaltiges Bauen im Stadtzürcher Amt für Hochbauten beschäftigt er sich mit der Sanierung von schützenswerten Bauten. Vergl. TEC21 45/2008 ,Ökologie und Baukultur 35 Otto Glaus, Architekt, Birkhäuser Verlag (1995). Gespräch mit Ueli Lindt. S. 211 36 Otto Glaus erwähnt dass bei der Siedlung Benziwil die Gebäudestruktur durch ein fixes Raster der Vorfabrikation gebunden war. Er erreichte aber eine Individualisierung der Fassade durch drei verschiedene kominierbare Brüstungshöhen der Balkone. 37 Otto Glaus, Architekt, Birkhäuser Verlag (1995). Gespräch mit Ueli Lindt. S. 212 38 ebd.

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Dies ist ein Versuch die Definition und Haltung des Architekten Glaus zum oben erwähnten Thema. Dabei beziehe ich mich auf das Interview des Architekten mit Ueli Lindt 34 1995. „Sicherlich lassen sich tektonisch strukturierte Fassaden architektonisch sehr überzeugend gestalten. Die Entscheidung zu tektonischer oder atektonischer Ausdrucksweise kann durch die verschiedensten Konzeptbedingungen gegeben sein. Die atektonische, rhythmisierte Fassade erlaubt zum Beispiel grössere Freiheit in der inneren Organisation des Bauprogrammes, was gerade bei einem flexibel nutzbaren Gebäude von Vorteil ist. Eine Fassade, ob an einem Wohn- oder Bürogebäude, muss und kann nicht immer im gleichen Raster durchlaufen (...)“ 35 Aus diesem und weiteren Zitaten ist zu lesen, dass für Glaus „strukturierte“ Fassaden tektonisch sind. Weiter sei die „rhythmisierte“ Fassade atektonisch. Durch weitere Zitate und genaue Beschriebe von Gebäuden kann angenommen werden dass er mit „strukturiert“ eine geordnete, auf gleichmässigen Massen oder einem regelmässigen Raster aufgebaute und geschichtete Fassade meint. Atektonisch also „rhythmisiert“ sind für den Architekten frei angeordnete Fassaden oder Fassadenteile 36, die keinem fixen Raster folgen. „Eine andere Form einer gewissen atektonischen Fassadengestaltung ergibt sich durch die Anordnung von frei rhythmisierten vertikalen Fassadenpfeilern, wie ich sie beispielsweise bei der Kantonsschule in Wattwil angewandt habe.“ 37 So ist die Tektonik und Atektonik ein Gestaltungsmittel für Glaus. Er benutzt die Atektonik um flexibel nutzbare Gebäude zu erstellen und zeigt mit einer atektonischen Fassade die Flexibilität des Gebäudes auch im Äusseren. Es kann hier ein erster Vergleich mit der Aussage Böttichers gemacht werden, dass das Ornament die Funktion des Bauteiles anzuzeigen hat.


Das Ornament zeigt in der hellenischen Architektur die Präsenz von Last. Die atektonische Fassade wird von Glaus benutzt um Nutzungsflexibilität zu zeigen. „Beim Jakobsgut in Zürich-Höngg war ich nicht an die Vorfabrikation gebunden; daher konnten die Wohnungen dort, obwohl in gleicher Grundrissform übereinanderliegend, mit individuell gestalteten Balkonen ausgestattet werden, welche zusammen mit der stark plastischen Gestaltung der gesamten Fassade ein lebendiges, atektonisches Fassadenbild ergaben„.38 So war der Architekt also nicht immer frei in seiner Entscheidung ob tektonisch oder atektonisch. Das Anwenden von vorfabrizierten Elementen scheint für ihn eher eine tektonische Fassadengestaltung zu ergeben. Im Gegensatz dazu steht seine Aussage, die Fassade der Kantonsschule in Wattwil sei, obschon mit Fertigelementen gebaut, atektonisch. Dies erreichte er durch den verschiedenen Abstand der Fassadenstützen womit er ein ungleichmässiges Raster erhält. Tektonik ist für Glaus also nicht unbedingt die Frage des Fügens, sondern die Anordnung der einzelnen Elemente und ein Gestaltungsmittel.

Abb. 12. Gemäss Otto Glaus ein Beispiel für eine atektonische Fassadengestaltung: Siedlung Jakobsgut in ZürichHöngg 1966-1969

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Abb. 14. Breitere StĂźtzenausbildung im Bereich der obersten und untersten Reihe

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Untersuchung der Bauteile auf die Frage der Tektonik Fassaden-Stütze Das auffälligste Element der Kantonsschule sind sicher die Betonstützen. Durch ihre unregelmässige Anordnung und Vielzahl bilden sie eine ausdrucksstarke Fassade. „Zweites formales Hauptmotiv der Wattwiler Anlage sind die Betonstützen der zu Glasfronten aufgelösten Fassaden. (...) die Stützen selbst erinnern an Fassadengliederungen des von Le Corbusier erbauten Klosters La Tourette (1957). Im Vergleich zu den markantesten Werken von Otto Glaus bleibt der Formenreichtum bei der Kantonsschule Wattwil zurückhaltend; (...). Und doch ist auch bei diesem Bau die Tendenz zur Skulptur unverkennbar.“39 Die Nähe zu Corbusiers Arbeiten sind auf Grund der Arbeit Otto Glaus in Corbusiers Büro naheliegend. 40 Zuerst kann festgestellt werden dass alle Stützen aus der gleichen Grundform entwickelt werden. Die Masse der Pfeiler selbst sind in der Mitte 20/43 cm. Es finden sich jedoch in der ersten und letzten Reihe des hohen Osttrakes Stützen, die in ihrer Mitte doppelt so breit ausgeführt sind. In der letzten Reihe unterhalb des Daches scheint dies der Grund zu sein, um die Auskragung des Gebäudekörpers auszugleichen. So schafft es die überbreite Stütze, die Linie des Dachrandes aufzunehmen und durch die Stützenform in die Fassadenebene zu führen. Zudem akzentuiert diese überbreite Stütze den Abschluss des Gebäudes und erinnert so an den klassischen Aufbau Sockel, Mittelteil und Dach. Dieser Aufbau wird natürlich auch noch durch das breite abschliessende Betonband betont. Die partielle Verwendung dieser Stützen in der untersten Reihe erfolgt nicht aus einer konstruktiven Notwendigkeit. Denn es befinden sich in der Achse der breiteren Stützen oben, nicht immer auch breitere im Sockel. So wären auf der gesamten Fassadenhöhe gemäss Uwe Teutsch aus statischer Sicht die gleichen, dünnen Stützen ausreichend. Es scheint sich dabei um den von Otto Glaus oftmals angesprochenen gestal-

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Abb. 13. Fassadengliederung Kloster La Tourette.

39 Bauhistorischen Gutachten des Kunsthistoriker Dr. phil. Leza Dosch. S. 18 40 Otto Glaus war 1937/38 Mitarbeiter im Büro von Le Corbusier, den er klar als sein grosses Vorbild bezeichnet. Vergl. Interview mit Ueli Lindt.

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Abb. 15. Stütze Fassade Otto Glaus und deren Querschnitte

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terischen Reichtum zu handeln, den er in jedem seiner Gebäude anstrebte. „Dem Schüler das Gefühl zu vermitteln, dass diese Schule mit Liebe und Sorgfalt gebaut worden sei. Dieses Ziel wurde durch gute Proportionen, der Pflege des Details ohne übertriebenen Perfektionismus und gestalterischen Reichtum angestrebt.“ 41 Statisch gesehen ist die Stütze ein Pendelstab. „Ein Pendelstab ist ein gerader Stab, der an beiden Enden gelenkig gelagert ist.“ 42 Das heisst, die Betonelemente wurden auf der Baustelle gelenkig miteinander verbunden und die Schnittstellen ausgemörtelt. Dies führt dazu, dass die Stütze nur Normalkraft, also Last in vertikaler Richtung, abtragen kann. Die Quer-Aussteifung erfolgt in der Schule Wattwil über die Brüstung. Die Form der Stütze sieht Uwe Teutsch als statisch sehr sinnvoll. Durch die breitere Ausführung der Mittelzone wirkt die Säule dem Knicken entgegen. Zudem könnte sie dadurch auch grössere Windkräfte abtragen. Dies wird aber kaum nötig sein, bei dieser hohen Anzahl von Stützen. Untersucht man die Stütze anhand der eingangs untersuchten Primärtexte, finden sich neben Statik und Gestaltungswillen weitere Punkte. Bei Bötticher findet man: „Form eines Körpers nämlich ist in der bildenden Kunst wie in der schaffenden Natur: Darstellung oder plastischer Ausdruck seiner Funktion im Raume. (...) Besonders wird durch scharfe Hervorhebung des letzteren Ausdruck - der Junktur - weil sie eben im Konflikte zweier Funktionen liegt und diesen vermittelt, allen einzelnen Teilen ein inniger Zusammenhang und lebendiger Organismus angebildet.“ 43 Diese beiden Punkte werden in Wattwil erfüllt. Die Stütze vermittelt das Bild des vertikalen Lastabtrages. Die Junktur ist durch ihre minimale Breite sehr klar ausgebildet. In der Fassade lassen sich aber auch die Grundformen der Tektonik gemäss Semper finden. Rahmen, Stützwerk und Gestell lassen sich leicht erkennen. Auch die Verwandtschaft mit der Zimmerei findet man in der Stütze. So erinnern die verjüngten Auflager an die Zapfenverbindung in der Zimmerei. Der Grund dafür ist aber ein ande-


rer: „Formal eigenwillig erscheinen die Einschnürungen der Stützen an ihrem Übergang zum nächsten Geschoss; sie sollen dem Wassereintritt bei der Fuge begegnen.“ 44 So ist die Junktur in Wattwil zwar aus einer technischen Überlegung entstanden. Sie erinnert aber wieder an den konstruktiven Holzschutz, bei dem man ebenfalls versucht, kein stehendes Wasser auf horizontalen Flächen zu haben. Das Brechen der Kanten in der Vertikalen wäre zur Wasserabführung nicht notwendig. Doch auch hier kann die Verwandtschaft zur Zimmerei mit dem Brechen der Kanten an Holzbalken gemacht werden. Sie schützen den Bewohner beim Zusammenstossen mit dem Holz vor Verletzungen und lassen es filigraner erscheinen. 45 „Dasselbe Ausdrucksgesetz, das für die Endung einer Funktion, gilt auch für den Beginn derselben“ 46 Die Basis der Stütze wurde ausgebildet wie in der dorischen Ordnung. So vermisst man bei den Regelstützen eine Basis oder Krepis. Anders beim Zusammentreffen mit einem Fensterbank. Hier verschneidet sich die Stütze mit diesem Element, wiederum technisch so gelöst, um Wassermängel vorzubeugen. Nebst all diesen Verwandtschaften zum Holzbau und der konstruktiven Logik ist hinter der Ausgestaltung der Stütze auch immer ein gestalterischer Grund. „Das zusammengehen technischer und ästhetischer Überlegungen zeigt sich beispielsweise bei der Einschnürung der Betonstützen der Fassaden, die gemäss Stadlin dadurch als Pendelstützen richtig ausgebildet, gleichzeitig aber auch bewusst gestaltet sind.“ 47 Um nochmals das Zitat von Kollhoff zu benutzen: „Denn seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist ein fortschreitender Zerfallsprozess der komplementären Einheit von Technik und Kunst (...) zu beobachten. (...) Wir sehen uns zunehmend einer Welt von Dingen ausgesetzt, die, technisch perfekt, aber eine Beleidigung fürs Auge sind oder oberflächlich schön, aber von zweifelhafter Nützlichkeit“48 So wurde an dieser Stütze ein technisch wirksames Bauteil entworfen, welches auch einen gestalterischen Anspruch hat.

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Abb. 16. Übergang der Säule auf den Fensterbank 41 Bauhistorischen Gutachten des Kunsthistoriker Dr. phil. Leza Dosch. S. 19 42 http://de.wikipedia.org/wiki/ Pendelstab 43 Bötticher, Karl. Entwicklung der Formen der Hellenischen Tektonik, S. 312 44 Bauhistorischen Gutachten des Kunsthistoriker Dr. phil. Leza Dosch. S. 7 45 vergl. Die Bauernhäuser der Kantone Ob- und Nidwalden, Huwyler, Edwin (1995) Kapitel Aussenschmuck. 46 Bötticher, Karl. Entwicklung der Formen der Hellenischen Tektonik, S. 320 47 Bauhistorischen Gutachten des Kunsthistoriker Dr. phil. Leza Dosch. S. 21 48 Kollhoff, Hans. Über Tektonik in der Baukunst. S.1

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49 Otto Glaus, Architekt, Birkhäuser Verlag (1995). Gespräch mit Ueli Lindt. S. 210ff. 50 Vitruv S. 147, 3. Buch, 3. Kapitel. Die Stütze der Kantonsschule hat eine Dicke von 20cm. Somit wäre der ideale Abstand gemäss Vitruv 50cm, was dem kleinsten Abstand von 53 cm in Wattwil nahe kommt. 51 Nervi, Pier Luigi, Scienza o arte del costruire? Caratteristiche e possibilità del cemento armato. Rom, Edizioni della Bussola, 1945. zitiert aus Kollhoff, Hans. Über Tektonik in der Baukunst. Stefan Polònyi S.29

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Fassadenraster Wie bereits angetönt ist das Fassadenraster der Kantonsschule auf den Massen des Modulors aufgebaut. Die Stützenabstände in Wattwil sind: 140 cm, 86 cm und 53 cm. Durch diese „freie“ Anordnung der Elemente erreicht Glaus eine von ihm atektonsich genannte Fassadengestaltung: „Eine andere Form einer gewissen atektonischen Fassadengestaltung ergibt sich durch die Anordnung von frei rhythmisierten vertikalen Fassadenpfeilern, wie ich sie beispielsweise bei der Kantonsschule in Wattwil angewandt habe. Der grösste rhythmisierte Stützenabstand wird jeweils durch die statische Notwendigkeit definiert.“ 49 Glaus bezieht sich in vielen seiner Bauten auf den Modulor oder die harmonikale Proportion. Schon zur Zeit der Hellenen fanden sich Regeln, wie der Abstand zwischen den Stützen und deren Dicke auszugestalten ist. „Es muss nämlich in den Zwischenräumen ein Abstand gleich der Dicke von 2 1/4 Säulen angebracht werden (...) Denn so wird der Tempel nicht bloss einen gefälligen Anblick seines Äusseren, sondern auch einen unbeengten Zugang gewähren“ 50 Die Anordnung der Abstände folgt über die ganze Fassadenbreite willkürlich. Es lässt sich keine Wiederholung oder Regelmässigkeit innerhalb des Gebäudes finden. Auch das Material folgt dem Gestaltungswillen von Otto Glaus. Ihn interessiert weniger die Härte und Direktheit des Baumaterials Beton, als vielmehr die Ungebundenheit an ein Massraster. So gibt der Backstein wie auch der Holzbalken ein minimales resp. maximales Raster vor, innerhalb welchem sich der Architekt zu bewegen hat. Mit Beton ist es ihm möglich, freie Abstände zu formen. Diese Faszination, einen eigenen Stein zu schaffen teilte schon Nervi: „Der Stahlbeton ist das schönste Konstruktionssystem, das die Menschheit bis heute je hat finden können. Die Tatsache, Steine jeglicher Form schaffen zu können, die allen natürlichen überlegen sind, weil sie Zugbeanspruchung aufnehmen können, hat etwas Magisches.“ 51 Durch diese willkürliche Anordnung der Fassadenstützen ist in Watt-


Abb. 17. Wettbewerbsbeitrag „Anna“ zur Erweiterung der Kantonsschule Wattwil, Eigen GmbH Architektur und Design, 2008. Südfassade und Grundriss Erdgeschoss ohne Massstab. Im Grundriss ist gut zu sehen, wie die Fassade keine Rücksicht auf die dahinter liegende Nutzung nimmt.

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52 Bötticher, Karl. Entwicklung der Formen der Hellenischen Tektonik, S. 320 53 Semper, Gottfried. Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik, S.217 54 Kollhoff, Hans. Über Tektonik in der Baukunst, Manfred Klinkott S.42 55 Vitruv S. 147, 3. Buch, 3. Kapitel.

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wil von aussen nicht ablesbar, ob sich hinter der Fassade eine Toilette, ein Schulzimmer oder Erschliessungszone befindet. Die Fassade, deren Raster und Öffnungen sind von der Funktion des Gebäudes gelöst. Sie bilden eine Hülle. In anderen Gebäuden von Glaus, wie zum Beispiel dem Konvikt in Chur, ist die Lesbarkeit der Nutzung an der Fassade durch die Differenzierung der Fensteröffnungen, sehr gut möglich. Glaus wählte die Atektonische Bauweise, wenn er diese Lesbarkeit nicht wollte. Die Lesbarkeit der Funktion ist in allen Primärtexten immer eine Definition von Tektonik. Dabei ist aber nicht die Funktion des Raumes hinter der Fassade gemeint, sondern die Funktion der Fassade. Laut Bötticher war es auch den Hellenen wichtig, die Funktion eines Bauteils „bewusst und gesetzlich herauszuheben“ 52 Semper schrieb dazu: „Die Kunst erstrebt hier und in ähnlichen Fällen einen äusseren ästhetisch-fassbaren Hinweis auf das unsichtbar Vorhandene und Repräsentierte“. 53 Auch Manfred Klinkott äussert sich im Buch von Kollhoff „Das Gefühl für den tektonischen Zusammenhang ist verlorengegangen. Durch Glas mögen wir das Skelett noch erkennen, hinter den undurchsichtigen Fassadenelementen aber nicht mehr (...) da kein Ornament, keine Analogie ihre Aufgabe als Teil eines grösseren Ganzen und das „Wesentliche“ deutlich werden lässt.“ 54 Die klare Stützenstruktur zeigt die statische Primärstruktur des Schulhauses. Dazu lassen die Metallverkleidungen dazwischen, die Geschossdecken hinter der Fassade vermuten. Es ist also eine klare Abzeichnung der Funktion im Sinne der Primärtexten an der Fassade der Kantonsschule Wattwil erkennbar. Dabei ist die Konstruktion gemeint und nicht das Raumprogramm. Das Problem der Eckausbildung ist nicht erst seit Mies van der Rohe bekannt. Bereits die Hellenen kannten Regeln zur Ausführung dieses speziellen Details „Auch muss man die Ecksäulen um den fünzigsten Teil ihres Durchmessers dicker machen, weil sie von der Luft ringsum beschnitten werden und den Beschauern schlanker zu sein scheinen. So viel also das Auge täuscht, muss durch Berechnung ausgeglichen werden.“ 55 Die Ecke des Gebäudes lässt Otto Glaus


auf den ersten Blick leer. Im Regelfall steht an der Ecke keine Stütze. Vereinzelt stösst eine geschlossene Wandscheibe an die Ecke und schliesst so das Gebäude ab. Betrachtet man den Grundriss genauer, zeigt sich, dass das Schulhaus aus einzelnen Boxen besteht. Diese sind horizontal wie auch vertikal zueinander verschoben, was den sehr plastischen Innenraum ergibt. Die einzelnen Boxen sind seitlich immer abgeschlossen durch eine Wandscheibe. Somit ist jede Box in sich statisch ausgesteift und muss nicht um einen zentralen Kern angeordnet werden.

Abb. 18. offene Ecklösung

Abb. 19. Geschlossene Grundrissboxen im Erdgeschoss

So findet man die offene Ecke nur, wenn zwei Nebenräume aneinander stossen. Die Haupträume zeichnen sich an der Fassade durch ihre seitlich geschlossenen Wände ab. Aber auch diese Wandscheibe zieht nicht einfach an die Fassadenflucht. Sie endet kurz davor und wird durch eine seitlich versetzte Stütze abgeschlossen. Diese offene Ecke bildet Glaus durch kleine Eckfenster und das Zusammentreffen der Blechkonstruktion aus. So läuft die Fassade optisch um die Ecke.

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Abb. 20. Geschlossene Ecke. Die seitlich leicht versetzte Stütze betont die geschlossene Wandscheibe und läuft optisch um die Ecke.

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Abb. 21. Abgekanntetes Metallprofil im Zwischenbereich

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Fassadenfüllung Zwischen den Betonstützen bilden die Metallbrüstungen ein zweites sehr markantes Fassadenteil. „Die vielfache horizontale Abkantung der Metallbrüstungen habe den Vorteil der Aussteifung, aber auch den eines rhythmischen Schattenwurfs, der dem Material das rein industrielle Aussehen nehmen. Ohne eigentlichen finanziellen Mehraufwand erreiche man so eine grössere Ausdruckskraft.“ 56 Auch dieses Element ist wieder eine Verbindung zwischen den Bereichen der Technik und der Gestaltung. Das Argument der Aussteifung kann beim Entwurf laut Bautechniker Uwe Teutsch nicht wirklich im Vordergrund gestanden haben. Die Metallbrüstungen nehmen zwar Querkräfte auf, dies wäre aber nicht nötig ,da die hauptsächliche Aussteifung von den Bodenplatten und den Brüstungsmauern übernommen wird.

56 Bauhistorischen Gutachten des Kunsthistoriker Dr. phil. Leza Dosch. S. 18

Abb. 22. Diese Bodenplatten werden durch die Metallbrüstungen im Äusseren abgezeichnet und lassen die Geschossigkeit erkennen.

mehr als Lastabtrag

Daniel Scheuber

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57 Bauhistorischen Gutachten des Kunsthistoriker Dr. phil. Leza Dosch. S. 18 58 Vergl. Semper, Gottfried. Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik, 1. Band, Drittes Hauptstück, Textile Kunst.

Abb. 23. Zusammenspiel des Betonsockels und der Blechfüllung

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Nebst der statischen Aufgabe zeigen die Metallbrüstungen aber vor allem die Bodenplatte und so die Geschossigkeit im Äusseren an. Das Gebäude wird dadurch in seiner vertikalen Achse gegliedert. Abgeschlossen wird diese vertikale Achse durch ein massives Betonelement. Auch im unteren Bereich wird die Brüstung zu einem massiven Sockel. Dies kann durchaus als klassische Basis angesehen werden. Der Materialwechsel innerhalb der Brüstung hatte für Glaus aber einen anderen Grund als die Betonung des vertiaklen Anfangs und Ende: „Auch die massive Ausführung der Brüstungen des Haupttreppenhauses und die Verkleidung mit grün glasierten Steinzeugplatten seien nicht nur ästhetisch begründet. Die Brüstungen hätten tragende Funktion und seien für Schüler praktischer als ein dünnes Geländer; sie könnten da besser anlehnen und auch ihre Füsse dagegen stellen. Die Abschrägung des Abschlusses verhindere ein Draufsitzen.“ 57 Also wiederum die oft zitierte Verknüpfung von Funktion und Gestaltung. Die Metallbrüstungen bestehen aus einem anderen Material als die primär tragende Beton-Struktur. Sie zeigen so klar, das ihre Aufgabe nicht das tragen ist, sondern das Füllen oder Aussteifen. Gemäss Semper könnte man sagen, Glaus reagiert hier so, wie unter dem Punkt des Textilen gefordert. Das „struktiv untätige“ Feld wird geschmückt und verziert und betont so das „struktiv“ tätige Element. 58 Das Metall übernimmt aber auch rein konstruktive Aufgaben. So ist es eine einfache Verkleidung der Bauteilfuge Bodenplatte-Betonbrüstung und verhindert wiederum einen Wassereintritt. Weiter dient das Blech als Schutz und Verkleidung der Lamellenstoren. Die Abkantung des Bleches kann man unter der Sicht der Zimmerei mit der Abstufung der Ortläden an alten Bauernhäusern vergleichen. Die Ortläden aus Holz, wie die Blechfüllungen in Wattwil, ergeben durch ihre Unterteilung in kleinere Flächen ein filigraneres Bild. Das Fenster ist die hinterste Ebene der Fassade und unterstreicht dadurch bewusst die Aufgabe der Füllung, statisch wie auch optisch. Deshalb wurde es auch bis unter die Decke ohne einen zusätzlichen


massiven Sturz geführt. So sieht man bei der Betrachtung der Fassade zwischen den Stützen nur füllende Elemente. Die gesamte Aufgabe des Lastabtrages wird dadurch den Stützen zugeschrieben. Man kann nur vermuten, dass hinter dem Blech weitere statisch wirksame Bauteile sind. Beim skizzierten Fassadenschnitt handelt es sich auch um eine Vermutung. Die Rippendecke und Betonbrüstung lassen sich aus den Plänen der Kantonsschule in Wattwil klar erkennen. Ebenfalls die Ebene und Höhe der Fenster. Die Dämmschicht vor der Brüstung oder im Boden sind jedoch Annahmen. Belegt wurde dies Annahme mit der Untersuchung von Gebäuden aus der gleichen Bauzeit wie das Gebäude in Wattwil.

Abb. 24. Fassadenschnitt Lehrerseminar Chur, Andreas Liesch, 19621964

Abb. 25. Fassadenschnitt Kantonsschule Wattwil, 1968-1970

mehr als Lastabtrag

Daniel Scheuber

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Fazit Die drei ausgewählten Bauteile der Kantonsschule zeigen alle einen klaren Aufbau nach der Definition der Tektonik gemäss den Primärtexten. Sowohl die Stütze, wie auch die Füllungen dazwischen können im Sinne von Bötticher, Semper oder Kollhoff als tektonisch ausgestaltet und gefügt bezeichnet werden. Im Gegensatz zu dieser Erkenntnis steht die Aussage des Architekten, er habe die Kantonsschule, vor allem das Fassadenraster, bewusst Atektonisch gestaltet. Um dies zu verstehen wurde die Haltung und Definition von Glaus zur Tektonik aufgezeigt. Mit Hilfe der Aussagen im Interview zeigt sich, dass für Glaus die Tektonik ein Gestaltungsmittel ist. So ist für den Architekten die Atektonik und Tektonik keine Definition einer logischen Fügung, oder den Regeln der Hellenen folgend. Atektonik kann aus seiner Sicht als frei rhythmisierend bezeichnet werden. Nach dieser, sehr persönlichen Definition kann die Kantonsschule in Wattwil als atektonisch bezeichnet werden. Glaus erwähnt im Interview vor allem das Fassadenraster und nimmt keine Stellung zur Stütze oder den Füllungen. Ihm geht es immer um das gesamte Bauwerk. „Meinem Bedürfnis, eine Bauaufgabe gesamtheitlich zu gestalten, kam die Atektonik als Gestaltungsmittel entgegen.“59 So können für Glaus durchaus einzelne Bauteile Tektonisch gestaltet und gefügt sein. Wenn diese frei angeordnet sind, ergeben sie ein atektonisches Gebäude. So wäre die Schule nach den drei anfangs untersuchten Texten ein Beispiel eines tektonischen Gebäudes, nach der Definition von Glaus aber atektonisch. Um ein Gebäude nach seiner Tektonik oder Atektonik zu beurteilen, muss immer zuerst die persönliche Definition des Autors bekannt sein. 59 Otto Glaus, Architekt, Birkhäuser Verlag (1995). Gespräch mit Ueli Lindt. S. 210ff.

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Die Stütze ist bei Glaus nicht nur für den Lastabtrag verantwortlich. Sie wurde so ausgebildet, dass sie auch dem gestalterischen Anspruch des Architekten entspricht. Dies kann man als gemeinsamen Nenner


einer Definition von Tektonik zwischen Glaus und den Hellenen sehen. Die Säule, oder Stütze erfüllte nicht bloss eine bautechnische Funktion, sondern leistetet durch ihre Ornamente und Ausführung mehr als Lastabtrag. Da im Moment die Schutzwürdigkeit des Gebäudes im Kanton St. Gallen diskutiert wird, war es nicht möglich Pläne der Kantonsschule zu beschaffen. Moritz Flury, Stv. Leiter der kantonalen Denkmalpflege St. Gallen: „Das Gebäude ist schützenswert, das ist sonnenklar“ 60 . Der Kanton St. Gallen fügt aber an dass „der Schutz des Gebäudes die nötigen Sanierungsmassnahmen verhindern und so eine weitere Nutzung verunmöglichen“. 61 Weiter sieht der Kanton den finanziellen Aufwand einer Sanierung gleich gross an, wie ein Neubau! Aus diesen Gründen verhängte Moritz Flury auf meine Nachfrage bei allen am Projektwettbewerb 62 involvierten Architekturbüros ein Verbot über die Ausgabe von Plänen. Ich möchte die Diskussion um den Schutz der Kantonsschule in Wattwil und diese Arbeit mit dem Zitat abschliessen, welches auch das Buch über Otto Glaus schliesst: „Es ist traurig und scheinbar nicht zu ändern, dass einige unserer Berufskollegen überhaupt keine Skrupel oder auch Hemmungen empfinden, den Bestand an guter Architektur durch unreflektiertes Handeln zu verkleinern. (...) Eine Veränderung und Anpassung des bestehenden Bausubstanz an neue Bedürfnisse ist (...) fast immer möglich. Im Bezug auf den Umgang mit Architektur gilt in der Schweiz allerdings allzu oft der pragmatisch ausgelegte Satz: “Der Zweck heiligt die Mittel!“„ 63

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60 Lugstenmann, Marco. Das Dilemma um den BetonKristall. Obersee, ZürichseeZeitung, 23.06.2014 61 ebd. 62 2008 fand ein Projektwettbewerb zur Erweiterung und Aufstockung der Kantonsschule Wattwil statt. 63 Otto Glaus, Architekt, Birkhäuser Verlag (1995). Gespräch mit Ueli Lindt. S. 213

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Literaturliste Lindt, Ueli (1995). Otto Glaus, Architekt. Basel: Birkhäuser Verlag Kollhoff, Hans. (1993) Über Tektonik in der Baukunst. Braunschweig, Wiesbaden: Friedr. Vieweg und Sohn Verlagsgesellschaft. Bötticher, Karl. Entwicklung der Formen der Hellenischen Tektonik in Allgemeine Bauzeitung (1840 / 5. Jahrgang). Wien: Z. Försters Artistische Anstalt Semper, Gottfried (1863). Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik, 2. Band. München: Friedrich Bruckmann`s Verlag Frampton, Kenneth (2007). Die Architektur der Moderne. München: Deutsche Verlags-Anstalt W. Andrea, Die ionische Säule, Bauform oder Symbol?, in: Studien zur Bauforschung, 1933 Adler, Gustav. (2013 original 1882). Der Architekt und Maurermeister: Handbuch bei Entwurf, Veranschlagen. London: Forgotten Books. Lücke, Karl-Hans, (2012, 2. Aufl.) Vitruv Die Zehn Bücher über Architektur, Wiesbaden: Matrix Verlag Lugstenmann, Marco. (23.06.2014) Das Dilemma um den BetonKristall. Obersee, Zürichsee-Zeitung Kirchhoff, Werner. (1988) Die Entwicklung des ionischen Volutenkapitells im 6. u. 5. Jh. u. seine Entstehung, Bonn: Habelt Verlag

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Bingöl, Orhan. (1980) Das ionische Normalkapitell in hellenistischer und römischer Zeit in Kleinasien, Tübingen:Wasmuth. Dr. phil. Dosch, Leza. (2012) Kantonsschule Wattwil SG, Bauhistorisches Gutachten TEC21 (45/2008) Ökologie und Baukultur, Artikel: „Angemessen Eingreifen“ Architektur + Technik (2014, Sonderausgabe) Umbauen 2014, Schmuckes neues Originalkleid, Schlieren: B+L Verlags AG

Internet nach Datum des ersten Abrufes gegliedert Tektonik. Verfügbar unter http://de.wikipedia.org/wiki/Tektonik_ (Architektur) (20.10.2014) Junktur. Verfügbar unter http://de.wikipedia.org/wiki/Junktur_ (Phonologie) (20.10.2014) Otto Glaus. Verfügbar unter http://www.archiv.gta.arch.ethz.ch/ nachlaesse-vorlaesse/glaus-otto (02.10.2014) Pendelstütze. Verfügbar unter http://de.wikipedia.org/wiki/Pendelstab (04.12.2014)

Interview Moritz Flury, Stv. Leiter der kantonalen Denkmalpflege St. Gallen Dr. Uwe Teutsch Dipl.–Ing., Dozent Bautechnik an der HSLU

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16 Abb. 17 Abb. 18 Abb. 19 Abb. 20 Abb. 21 Abb. 22 Abb. 23 Abb. 24 Abb. 25

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Fotografie Autor 2014 Fotografie Autor 2014 Skizze Autor 2014 Skizze Autor 2014 Fotografie Autor 2014 Skizze Autor Skizze Autor Athlet, Vorderansicht, aus: Schider, plastisch-anatomischer Handatlas, Leipzig, Gefunden in Kollhoff Hans: Ăœber die Tektonik der Baukunst. S.21 http://notebook.neilbarrett.com/it/new /?ids=2&ic=18&idb=89 mies-rosa._http-//rosswolfe.files.wordpress.com/2013/07/mies-rosa.jpg Lindt Ueli: Otto Glaus Architekt (1995), S. 169 Lindt Ueli: Otto Glaus Architekt (1995), S. 67 http-//www.iannis-xenakis.org/images/archi/tourette%20ondulatoire.jpg Fotografie Autor 2014 Skizze Autor 2014 Skizze Autor 2014 http://www.hochbau.sg.ch/home/wettbewerbe/ksw_wattwil/anna.html Fotografie Autor 2014 http://www.hochbau.sg.ch/home/wettbewerbe/ksw_wattwil/anna.html Bearbeitet durch Autor Fotografie Autor 2014 Fotografie Autor 2014 Fotografie Autor 2014 Fotografie Autor 2014 Architektur + Technik, Umbauen 2014, Sonderausgabe. Schmuckes neues Origi nalkleid S. 60ff, Schlieren: B+L Verlags AG Skizze Autor 2014


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ThemenĂźbersicht der weiteren Arbeiten

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Sanierungsfall und Platznot Ăœber den Umgang mit brutalistischen Bauten am Beispiel der Gemeindeschule Engelberg OW

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Luzern, 20.01.2015

Verfasserin: Heidi Brun Museggstrasse 6 6004 Luzern Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser

Abstract Lucerne University of Applied Sciences and Arts Im Rahmen des Moduls Vertiefungsarbeit HS14 mit dem Thema Hochschule Luzern Technik und Architektur „Lieber Böser Beton – Brutalismus in der Schweiz“ befasst sich die vorliegende Vertiefungsarbeit mit dem hauptsächlich äusserlichen Wandel des Gemeindeschulhauses Engelberg. Das von Ernst Gisel in Zusammenarbeit mit Louis Plüss im Jahr 1967 erbaute Schulhaus zeichnete sich durch seine kubische Betonplastik vor dem Bergpanorama Engelbergs aus und galt als ein wichtiges Denkmal der modernen Architektur. Der skulpturale Betonbau wies eine ästhetische Nähe zum Brutalismus auf, welche seit der Sanierung und Erweiterung in den Jahren 1994-1998 nicht mehr sichtbar ist. In einer Analyse wird das Schulhaus vor und nach dem Umbau dem Brutalismus – wie ihn Alison und Peter Smithson prägten – gegenüberstellt sowie mit der architektonischen Haltung von Ernst Gisel verglichen. Die Arbeit liefert Antworten auf die Frage, ob neue Bedürfnisse der Gemeinde Engelberg nach einer Verabschiedung vom Brutalismus im Falle des Gemeindeschulhauses Engelberg verlangten, wobei sich die architektonische Haltung des Architekten Ernst Gisel nicht veränderte. Titelbild Abb. 1 Ansicht Haupteingang 1968 Sanierungsfall und Platznot

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Heidi Brun

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Brutalistische Plastik? Haus Leutert und Haus Gisel von Ernst Gisel.

Anna Ernstsone

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 20.01.2015

Verfasser: Anna Ernstsone Burgstrasse 14 8820 Wädenswil Dozenten: Oliver Dufner Christoph Wieser

Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur

Abstract Meine Begeisterung für die Züricher Architekturszene hat auch mein Interesse an dem bedeutenden Züricher Architekten Ernst Gisel geweckt, der heute im Alter von dreiundneunzig Jahren immer noch an kleinen Projekten beteiligt ist. Während sich in der Schweiz, zum Beispiel die ebenfalls gut bekannten Atelier 5 oder Walter Maria Förderer der damaligen Brutalismus Strömung zurechnen liessen, schliess sich Gisel in den fünfziger und sechziger Jahren, als Brutalismus in der Architektur eine grosse Anhängerschaft hatte, keiner bestimmten theoretischen Haltung an und entzog sich jeglicher Etikettierung. So habe ich in meiner Arbeit die Frage erörtert, in wie fern Ernst Gisel zu den Schweizer Brutalisten gezählt werden kann. Das Ausserordentliche seiner Bauten war vielen bewusst und man versuchte ständig, sie einer Architekturrichtung zuzuordnen, sie in

Brutalistische Plastik?

Anna Ernstsone

Abb. 1

Abb. 2

Titelbild links, Haus Leutert, Aussenbild Hof Titelbild rechts, Haus Gisel, Aussenbild Gartenseite

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Der Brutalismus, eine nicht fertige Architektur? Patrick Frutig

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 20.01.2015 Verfasser: Patrick Frutig Sonnenrain 3 6242 Wauwil/LU Dozenten: Dr. Christoph Wieser Dr. Oliver Dufner Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur

Abstract In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, ob der Brutalismus wirklich eine nicht fertige Architektur darstellt. Entgegen vieler Behauptungen kann der Brutalismus trotz seiner kaum zu überbietenden Rohheit sinnfällig sein. Doch welche Qualitäten bzw. Aspekte werden eingesetzt, dass diese Betonbauten als schön und fertig empfunden werden können? Das Ziel ist es, die dafür verfolgten Strategien aufzuzeigen. Zunächst wird der Begriff des Brutalismuses erläutert. Danach wird theoretisch aufgezeigt, was fertig und nicht fertig in der Architektur bedeuten kann. Eine praktische Untersuchung soll Aufschluss über die verschiedenen Qualitäten und Aspekte geben, welche die Betonbauten als fertig erscheinen lassen. Anhand verschiedener Strategien die eingesetzt wurden, wird aufgezeigt, dass diese Betonbauten durchaus ästhetisch sein können. Es geht darum, herauszufinden, welche Bedeutung dem Beton zugeschrieben werden kann und was für Erinnerungen und Empfindungen in uns ausgelöst werden können.

Der Brutalismus, eine nicht fertige Architektur?

Patrick Frutig

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Brutalismus und Strukturalismus im Werk von Atelier 5 - ein Vergleich der Siedlungen Halen und Thalmatt II -

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 / 2015 Horw, 20.01.2015 Verfasser: Tobias Haefelin Voltastrasse 20 6005 Luzern Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser

Abstract Die nachfolgende befasst Lucerne UniversityVertiefungsarbeit of Applied Sciences and sich Artsmit den Siedlungen Halen und Thalmatt II des Ateliers 5. Dabei wird der Fokus auf zwei Siedlungen gelegt, welche in näherer Umgebung zueinander situiert sind. Die Siedlung Hochschule Luzern Technik & Architektur Halen, die erste Grosssiedlung des Ateliers 5, gilt als Geburtsstunde des Schweizer Brutalismus. Sie wird als „Meilenstein“ der modernen Siedlungsarchitektur in der Schweiz beschrieben. Die Siedlung erlangte durch Reyner Banham und sein Buch „The new Brutalism“ internationale Anerkennung. Nach der Fertigstellung der Siedlung Thalmatt II im Jahre 1985 unterzieht Ernst Hubeli die Siedlungen Halen und Thalmatt II in der Arichitekturzeitschrift „Werk, Bauen + Wohnen“ einem Vergleich. Die Gegenüberstellung der beiden Siedlungen kommt zum Schluss, dass die Siedlung Thalmatt II ein autonomes Architekturexperiment und ein Rückschritt des Ateliers 5 ist. Dabei wird immer der Vergleich zu Halen gesucht. Das Atelier 5 sollte sich auf die Prinzipien von Halen zurückbesinnen und nicht mit der neuen Denkweise von Thalmatt II weiterfahren. 1 In der vorliegenden Untersuchung geht es um einen konkreten Vergleich der beiden Siedlungen. Die Gesamtform sowie die Einzelform der beiden unterschiedlichen Siedlungen werden miteinander verglichen. Ebenso wichtig erscheint die Untersuchung der übergeordneten Erschliessungsfigur in der gesamten Struktur sowie in den einzelnen Wohnungen. Als Ziel dieser Arbeit soll ein Vergleich die Wirkungsweisen der beiden Siedlungen aufzeigen. Ebenfalls sollen die Siedlungen mit Hilfe von inhaltlichen und strukturellen Gegebenheiten in eine Architekturströmung eingegliedert werden. Dabei soll die vorher beschriebene Kritik von Ernst Hubeli nicht als Grundlage sondern als Denkanstoss für die Untersuchung dienen.

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Vom Element zur Serie und der Gestalt

Das Element als Form- oder Konstruktionsprinzip

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 20.01.2015

Verfasser: Lionel Hauri Rue de Moron 7 2740 Moutier Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern - Technik und Architektur Abstract Dieses Essay setzt sich mit der architektonischen Zusammensetzung und was daraus entsteht auseinander. Tatsächlich besitzen die brutalistichen Bauten, die uns umgeben, grösstenteils eine starke architektonische Zusammensetzung. Deshalb wollte ich bestimmen, indem im mich auf die Theorie ‚Wahrnehmung der Dinge als Formen‘ von Martin Steinmann (1999) stütze, wie die architektonische Zusammensetzung gemacht wird und dann die Grundlage für diese Zusammensetzung bestimmen und ihre Einflüsse. Um dass zu bestimmen, wird eine Untersuchung über die Themen von ‚Raum‘, ‚Struktur‘, ‚Hülle‘ und ‚Ausstattung‘ durch das Stadttheater in St. Gallen von Claude Paillard, die Siedlung Halen in Herrenschwanden von Atelier 5 und die Kirche Notre-Dame de la Prévôté in Moutier von Hermann Baur durchgeführt. Die Resultate dieser Untersuchung zeigen das es drei mögliche Typen von Einflüsse zwischen der Grundlage und der Zusammensetzung gibt.

Vom Element zur Serie und der Gestalt

Lionel Hauri

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Zwischen Skulptur und Architektur Zum skulpturalen Aspekt von Walter M. Fรถrderers Schaffen

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 18.01.2015

Verfasser: Daniel Heiler Dornacherstrasse 4 6003 Luzern Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser 1. Abstract Lucerne of Applied Sciences and Arts Diese Arbeit befasst sich mit Walter Maria Förderer, einer Schweizer Ikone im Bereich derTechnik Sakralbauten. Zusätzlich zu den Sakralbauten Hochschule Luzern und Architektur zeigte er sich zudem Verantwortlich für diverse Schulhausbauten und eine Reihe literarischer Werke. Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegt dabei auf der Frage „Was bedeutet Skulptur für Walter Maria Förderer und was ist der skulpturale Aspekt in seiner Arbeit?“. Im Folgenden wird hierfür Bezug auf einige seiner Werke und festgehaltenen Äußerungen, sowie beispielhaft für seine Bauten die Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften St. Gallen und das Katholische Kirchenzentrum Heiligkreuz in Chur genommen.

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E N G L I S C H E R B RU TA L I S M U S I N D E R S C H W E I Z E R I S C H E N G E G E N WA RT ?

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 19.01.2015

Verfasser: Michael Hurni St. Karlistrasse 2 6004 Luzern Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser

ABSTRACT Lucerne University of AppliedBrutalismus Sciences andinArts Unter dem Titel „Englischer der schweizerischen Gegenwart“ wird nicht etwa eine brutale Sitte seitens der Engländer verstanden, Hochschule Luzern und Architektur sondern es geht um Technik den erstmals im Jahr 1955 vom Engländer Reyner Banham erschienen Begriff Brutalismus, welcher der Architekturgeschichte angehörig ist. Dieser sogenannte englischer Brutalismus beschrieb Banham zuerst anhand von formalen Eigenschaften und dem Arrangieren der alltäglichen Gegenständen. Doch in seinem Text vom Architectural Review 1955 fügt er ein weiteres, dem neuen Brutalismus charakteristischer Gestus hinzu. Etwas, das nicht der klassischen Ästhetik zuzuordnen ist, sondern es handelt sich vielmehr um die beim Anblick eines solchen Baus empfundene Emotionen. Obwohl Dinge miteindander verknüpft werden, die gewöhnlicherweise nicht zusammen anzutreffen sind, verbindet sie etwas. Dieses Etwas wurde von Banham als „image“ bechrieben. Doch was hat das mit der Schweiz zu tun? In der heutigen, schweizerischen Architekturszene entwirft ein Architekt anders als viele seiner Berufskolleginnen und Kollegen. Er nutzt gezielt die ab Stange gefertigten Produktpalette, um Architektur zu machen. Die Rede ist von Peter Märkli. In dieser Arbeit versuche ich anhand von vier Wohnbauten des Architekten, das verbindende Etwas trotz verschiedenartig zusammengeführte Dinge aufzudecken und damit aufzuzeigen, wie nahe die Entwurfshaltung von Peter Märkli bei den Begründer des NewBrutalism, namentlich von Alison und Peter Smithson, liegt. Ebenfalls will ich damit aufzeigen, was für Entwurfsmöglichkeiten diese brutalistische Haltung den Architekten in einer konsum- und wirtschaftsENGLISCHER BRUTALISMUS orientierten Umwelt bietet. in der schweizerischen Gegenwart

Michael Hurni

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New Brutalism

Konstruktion- oder Imageorientiertes Bauen im Schulhaus Stettbach Stefan Keller

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Eingangshalle Schulhaus Stetbach1


Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 20.01.2015 Verfasser: Stefan Keller Farmanstrasse 53 8152 Glattpark Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur

Inhaltsverzeichnis 1. Einführung in das Thema 2. Fragestellung, These und Arbeitsweise 3. Konstruktionsorientiertes Bauen und das ‚Image‘ 4. Fallbeispiel Schulhaus Stettbach 4.1. Wandgestaltung 4.2. Deckengestaltung 5. Konklusion 6. Quellenverzeichnis

4 8 10 12 14 20 26 28

Abstrakt Untersucht wird die Anwendung der theoretischen Architekturströmung New Brutalism während der Zeit des Architekturstils Brutalismus in der Schweiz. Spezifisch geht es um die von Jürgen Joedicke aufgestellte Theorie dazu und dem Zusammenhang der Begriffe ‚konstruktionsgerechtes Bauen‘ und ‚Image‘. Dabei wird die Deckensowie eine Wandgestaltung aus dem Oberstufenschulhaus in Stettbach von Rudolf und Esther Guyer untersucht. Das ‚Image‘ ensteht beim Schulhaus, welches im Jahre 1967 fertig gestellt wurde, infolge der Konstruktion, auch wenn bei der Konstruktion selber nicht alles der rein konstruktiven Notwendigkeit dient. Schulhaus Stettbach

Stefan Keller

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Die Konstruktion als Gestaltungsmittel Wirkung und Zweck von sichtbaren Konstruktionselementen Yannik Keller

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Vertiefungsarbeit Herbstsemster 2014 Horw, 20.01.2015 Verfasser: Yannik Keller Efeuweg 8 4103 Bottmingen Modulverantwortung: Dr. Oliver Dufner Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik Architektur

Abstract Der vorliegende Essay befasst sich mit der Wirkung sowie dem Zweck von sichtbaren Konstruktionselementen. Die Anhänger des „New Brutalism“ legten durch ihre Hinterfragung der in der Moderne verankerten Prinzipien und Methoden, besonders aber durch die Tendenz zur Teilung der Gebäude in Konstruktion und Hülle, neue Entwurfsstrategien fest. Diese prägten die Gestalt der Raumgrenze entscheidend. Die Gestaltungstendenz der Brutalisten, ein Gebäude von innen nach aussen zu entwickeln, mit der gleichzeitigen Forderung, Material und Konstruktion sichtbar zu belassen, widerspiegelt sich in dem von mir untersuchten Gebäude der Klosterkapelle Baldegg von Marcel Breuer. So wird im Hauptteil die Haltung von Marcel Breuer beschrieben, das Kloster in Baldegg vorgestellt, sowie die Wirkung der sichtbaren Konstruktionselemente des Innen- wie Aussenraums analysiert. Die sichtbaren und körperhaften, in rohem Beton ausgeführten Konstruktionsteile formen nicht nur aktiv den Innenraum, sondern zeichnen sich auch im Aussenraum ab. Die raumprägende-/ und trennende sowie sichtbare Konstruktion übernimmt noch weitere übergeordnete Zwecke; etwa das Vermitteln zwischen innen und aussen sowie über die sichtbaren Fugen zwischen Konstruktionslogik und Herstellungsart in Einzelteilen. Dabei ist das Äussere das Abbild des Innern, ein Gesamtkunstwerk, bei dem nichts weggenommen, zugefügt oder verändert werden kann. Im zweiten Teil dieser Vertiefungsarbeit soll aufgezeigt werden, dass diese Entwurfsmethode seit Einführung der Wärmedämmschicht erschwert wurde und nur noch mit erheblichem Aufwand zu realisieren ist. Anhand des Schulhauses in Grono von Raphael Zuber wird eine Strategie vorgestellt, mit deren Hilfe den Fragen und Widersprüchen der Brutalisten von 1950, über Kontinuität von innen nach aussen, nachgegangen werden kann.

Die Konstruktion als Gestaltungsmittel

Yannik Keller

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50 Jahre Schulbau in ZĂźrich Hardau Von der Reduktion bis zur Liebe im Detail

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 09.01.2014

Verfasser: Patrick Kofler Schädrüti 22 6043 Adligenswil Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur

Abstract Die Berufsbildungsschule Hardau in Zürich bildet bereits seit 1960 angehende Handwerker aus. Die Schule ist dem Wandel des Quartiers seit den 90er Jahren nicht mehr gewachsen. Von der Stadt Zürich wurde ein Wettbewerb zur Erweiterung der Berufsbildungsschule veranlasst. Das neue Projekt zeigt spannende Bezüge zum Bestand. Die Architekten lösen Problemstellungen auf ihre Art und Weise. Zurückzuführen auf deren Haltung und die Einflüsse jener Zeit. Auf der Ebene der konzeptuellen Idee, des räumlichen Bildes, der materiellen Gestaltung und der Konstruktion wird ein phänomenologischer Vergleich von Bestand und Neubau angestellt. Diese Gegenüberstellung dient als Grundlage für die Fragen: Inwiefern war der Bestand ein Vorbild für die Erweiterung. Was sind die architektonischen Stärken der Projekte.

50 Jahre Schulbau in Zürich Hardau

Patrick Kofler

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Die Betonkirche in Muttenz vom Architekten Max Schnetz Eine kritische Auseinandersetzung mit der Kirche in Muttenz anhand von Thesen und Zitaten der zeitgleich tätigen Architekten Hermann Baur und Walter Maria FÜrderer.

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 16.01.2014

Verfasser: Fabienne Maritz Kirschblütenweg 9 4059 Basel Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser Abstract

Lucerne University of sich Applied Sciences and Arts Die folgende Arbeit befasst mit dem bis dato undokumentierten römisch-katholischen Kirchgemeindezentrum Johannes Maria Vianney in Muttenz von dem Architekten Max Schnetz. Die im Jahr Hochschule Luzern Technik und Architektur 1964 fertiggestellte Kirche wird in einem Diskurs mit Zitaten und Thesen der zeitgleich tätigen Architekten Hermann Baur und Walter Maria Förderer kritisch analysiert und hinterfragt. Grundlagen für die Auseinandersetzung bilden private Korrespondenzen, Interviews, Bilder sowie Zeitungsartikel. Die Zitate stammen aus veröffentlichten Schriften in denen sich Hermann Baur und Walter Maria Förderer mit dem Thema Sakralbau auseinandersetzen. Ziel der Untersuchung ist es Analogien, respektive Divergenzen zwischen den Aussagen der beiden Architekten Baur und Förderer in Bezug auf die Kirche in Muttenz und deren zeitlichen Kontext der sechziger Jahre festzuhalten. Die Resultate bestätigen, dass die Kirche in Muttenz eine der ersten Sakralbauten in der Schweiz ist, deren Materialisierung ausschliesslich aus Beton erfolgte. Noch bevor Förderer und Baur ihre Betonkirchen in dem Ausmass, wie sie im römisch-katholischen Kirchgemeindezentrum Johannes Maria Vianney vorzufinden ist, fertig stellen konnten, realisierte Max Schnetz 1963 die Kirche in Muttenz. Die Aussagen der drei Architekten zeigen auf, wie sich die Schweizer Architekturbewegung in den sechziger Jahren versucht von Konventionen des tradierten Sakralbaus zu lösen. Die symbolische Relevanz der liturgischen Elemente führt die Architekten dabei in einen Konflikt zwischen moderner Neuinterpretation und dem konventionellen Kirchenbau.

Die Betonkirche in Muttenz vom Architekten Max Schnetz

Fabienne Maritz

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SCHMUCK ODER KONSTRUKTIONSELEMENT? Die Herleitung W.M. Fรถrderers Formfindung am Beispiel der Pfarrei St. Johannes

Niffeler Rahel

Abb. 1. Kirchentrakt, Ansicht West. Aus: Eigenem Bestand, 2014.

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Vertiefungsarbeit - Herbstsemester 2014 Horw, 20.01.2015 Verfasserin: Rahel Niffeler Ulmenstrasse 6 6003 Luzern Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur

ABSTRACT Im Fokus der folgenden Arbeit steht als wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand die Luzerner Pfarrei St. Johannes des Schweizer Architekten Walter Maria Förderer. Die Formen und Volumen der Kirche werden auf ihr Wesen und ihre Funktion im Bezug zum Brutalismus, der Bildhauerei und der daraus resultierenden architektonischen Skulptur hinterfragt. Ziel ist es ein besseres Verständnis für die Formfindung und die Formgebung in den Bauten Förderers zu erlangen. Anhand von Fotografien und Besichtigungen vor Ort sowie einiger Literatur werden Details bis hin zum gesamten Volumen auf ihren Ursprung als Schmuck- oder Konstruktionselement analysiert. Gleichzeitig wird der Versuch unternommen, ihnen eine Berechtigung als Funktionsträger zuzuschreiben. In der Schlussfolgerung zeigt sich die Schwierigkeit einer klaren Zuteilung. Detailbetrachtungen lassen eine Einordnung in Schmuck- oder Konstruktionselement einfacher zu als die daraus resultierende Gesamtform. Daher bleiben auch nach der Auseinandersetzung offene Fragen bezüglich der Formfindung und Formgebung Förderers. Gleichwohl regt das Unbeantwortete zum Weiterdenken an.

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Auf den Spuren des internationalen Brutalismus. Die zwei ersten Hallenbäder der Schweiz

Sarah Nussbaumer

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 20.01.2015 Verfasser: Sarah Nussbaumer Neustadtstrasse 13 6003 Luzern Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik Architektur

Die Anfänge der brutalistischen Bewegung in der Schweiz, anhand der beiden öffentlichen Badestätten in Biel und Luzern. Abstract – In der folgenden Vertiefungsarbeit wird anhand der ersten Hallenbäder der Schweiz, entstanden durch die Architekten Max Schlup und Adolf und Lis Ammann-Stebler, die Tendenz zum internationalen Brutalismus und dessen Interpretation in der Schweiz herausgearbeitet. Es liegt die Behauptung zugrunde, dass sich bei den Gebäuden Neigungen feststellen lassen, die als brutalistisch betitelt werden können, jedoch wird dies durch die Architektursprache nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht. Somit sollen anhand der beiden öffentlichen Badestätten die Anfänge der brutalistischen Bewegung in der Schweiz, sowie scheinbare Differenzen gegenüber dem Brutalismus herausgearbeitet werden. Die beiden städtischen Hallenbäder werden auf deren unterschiedliche Strategien in der architektonischen Ausdrucksform im feinfühligen Umgang mit den Gestaltungsprinzipien des Brutalismus und dessen Möglichkeiten untersucht. Ausschlaggebend ist das formvollendete Erscheinungsbild der Badestätten, welches durch die strukturelle Logik, basierend auf der funktionalen Nutzung, und das Auftreten gegenüber der Öffentlichkeit entsteht, ausschlaggebend.

Titelbild Sprungturm im Hallenbad Luzern. Aus: Leutenegger, 2013, Tafel Nr. 9

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Ferienhaus „Se Furrazzu“ Ein brutalistisches Kleinod von Claude Paillard in Sardinien

Ivo Oberholzer

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 20.01.2015

Verfasser: Ivo Oberholzer Eichenweg 5a 6438 Ibach Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser

Lucerne School of Engineering and Architecture Hochschule Luzern Technik und Architektur

Abstract Anhand des Ferienhauses „Se Furrazzu“ von Claude Paillard in Sardinien wird seine persönliche Haltung untersucht und in Verbindung mit dem Brutalimus gebracht. Ziel dieser Vertiefungsarbeit ist es herauszufinden wie sich der Brutalismus auf Claude Paillards Arbeiten ausgewirkt hat. Anhand verschiedener Kriterien, die aus dem Brutalismus hergeleitet wurden und einem Vergleich mit dem Upper Lawn Pavillon von Alison und Peter Smithson werden brutalistische Merkmale untersucht. Vor allem durch die Begriffe des „as found“ und „Image“ lassen sich bei Paillard eine brutalistisch geprägte Vorgehensweise erkennen. Vieles passiert bei ihm aus einer genauen Analyse des Ortes, aus Interesse für rohes Material und wird durch seine Erfahrungen mitentwickelt. Durch den Vergleich der beiden Ferienhäuser werden diese Parallelen ersichtlich.

Ferienhaus „Se Furrazzu“

Ivo Oberholzer

Abb. 1.

Titelbild: Claude Paillard beim skizzieren

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Sanfter Brutalismus Turmatthof Stans – ein Zeitzeuge Simon Schneider

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 20.02.2015 Verfasser: Simon Schneider Wilmatt 6 6370 Oberdorf Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern – Technik Architektur

Abstract Die vorliegende Vertiefungsarbeit befasst sich mit dem Thema Brutalismus im Siedlungsbau. Weil sich die Kernthemen von sozialem Wohnungsbau und die Architekturbewegung Brutalismus nicht vollständig überschneiden, wird der Suche nach einem «sanften Brutalismus» auf den Grund gegangen. Als Untersuchungsobjekt dient die erste Etappe des Turmatthofes in Stans, welcher von der Architektengemeinschaft Arnold Stöckli und Walter Custer 1965 bis 1973 gebaut wurde. Nach der Auseinandersetzung mit Brutalismus wird unter anderem mit Vergleichen zu verschiedenen Bauten von Le Corbusier und der Halen Siedlung in Bern der Unterschied zum sanften Brutalismus dargelegt. Über die Betrachtung des Städtebaus bis zum Material werden Verwandtschaften und Differenzen in den verschiedenen Massstäben von gross zu klein gesucht.

Sanfter Brutalismus: Turmatthof Stans – ein Zeitzeuge

Simon Schneider

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Begriffswelten des Brutalismus Eine Untersuchung: Wie lässt sich Jürgen Joedickes Definition von Brutalismus auf die Universiätsbibliothek Basel anwenden ?

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 20.01.2015

Verfasser: Gregor Wolfgang Schuler St. Wolfgangstrasse 71a 6331 Hünenberg Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser

Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur Abstract Jürgen Joedicke definiert den Brutalismus aufgrund einer Reihe von Begriffen wie; Verantwortung, Wahrheit, Objektivität, Material- und Konstruktionsgerechtigkeit, Ablesbarkeit und Erkennbarkeit, und dem «image». In dieser Arbeit untersuche ich, wie gut sich Joedickes Definitionen des Brutalismus auf das spät-modernistische Gebäude der Universitätsbibliothek Basel anwenden lassen. Mit Hilfe von Texten, Plänen, Fotografien, persönlichen Notizen von Otto Senn und Analysen vor Ort beschreibe ich das Gebäude. Dabei stellt sich heraus, dass sich die Begriffe des Brutalismus bei der Universitätsbibliothek Basel von Otto Senn teilweise sehr genau wiederfinden lassen. Diese Definitionen lassen sich also nicht nur verwenden um die Haltungen des Brutalismus zu beschreiben, sondern sind auch bei Gebäuden - aus anderen Stilrichtungen - anwendbar.

Begriffswelten des Brutalismus

Gregor Wolfgang Schuler

Abb. 1. Foto Titelblatt: Grosser Lesesaal Universitätsbibliothek Basel

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Brutalistische Kirche St. Anton - St. Nicolas

Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Winterthur, 20.01.2015

Verfasser: Marija Simic Bachtelstrasse 27 8400 Winterthur Dozenten: Christoph Wieser Oliver Dufner 196

Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur


Abstract Zwischen 1955 und 1975 wurden 250 neue Kirchen in der Schweiz gebaut. Dies geschah in der Blütezeit des Brutalismus. Beton war zu dieser Zeit das zentrale Bauelement und ein wichtiger Faktor des Brutalismus. Walter Förderer war zu dieser Zeit einer wichtigsten Brutalisten der Schweiz. Da der Kirchenbau stark vom Zeitgeist und dem Stil des Architekten geprägt ist, befasst sich diese Arbeit mit der Frage, wie sich der Kirchenbau im Brutalismus von der ersten Betonkirche in der Schweiz bis zu einer der letzten Kirchen Walter Förderers verändert hat. Das Ziel dieser Arbeit ist es, anhand der ersten Kirche im brutalistischen Stil der St. Anton Kirche in Basel und der letzten Kirche Walter Förderers, der Kirche St. Nicolas in Hérémence herauszufinden, ob und wie sich der Brutalismus im Wandel der Zeit verändert hat. Dazu wird im ersten Teil der Arbeit der Baustil Brutalismus sowie der Kirchenbau mit Beton und der Beschluss des zweiten Vatikanischen Konzils genauer durchleuchtet. Diese Daten hatten Einfluss auf die Architekten und bilden die Grundlage für den Vergleich der beiden Kirchen. Im nächsten Schritt werden die beiden Architekten und vor allem ihre Werke, die St. Anton Kirche und die St. Nicolas Kirchen, genauer betrachtet. Der Vergleicht der beiden Kirchen zeigt sehr gut auf, wie sich der Brutalismus von der ersten Kirch aus Beton in Basel bis hin zur St. Nicolas Kirche verändert hat. Welche Entwicklungen Einfluss darauf hatten und wie sich dies auf den Kirchenbau ausgewirkt hat.

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Das Ergebnis dieser Arbeit zeigt auf, dass der zweite Vatikanische Beschluss eine wichtige Rolle im Kirchenbau spielte und den Architekten viel mehr Freiraum gewährte. Dies sieht man sehr gut anhand der St. Nicolas Kirche. Im Vergleich der beiden Kirchen sieht man auch gut, dass sich die Nutzung der Kirche im Laufe der Zeit verändert hat. Die Gemeinschaft ist stark ins Zentrum gerückt und hat neue Denkmuster an die Architektur gestellt. 197


Anverwandlung einer Ikone Oberstufenschulhaus Stettbach und die EinflĂźsse Le Corbusiers Dominic Spalt

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 20.01.2015

Verfasser: Dominic Spalt Badenerstrasse 344 8004 Zürich Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser

Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur

Abstract Auf den ersten Blick sind es die von Le Corbusier typisch angewandten Formen und Gestaltungsmittel die das Oberstufenschulhaus prägen. In der vorliegenden Arbeit wird der Fragestellung zu den Einflüssen von Le Corbusier insbesondere seines Baues von La Tourette auf das Oberstufenschulhaus Stettbach nachgegangen. Anhand der drei Aspekte plastische Gestaltung, Materialisierung und Raum & Licht werden die beiden Bauten analysiert und miteinander verglichen. Es wird versucht Parallelen, insbesondere aber Differenzen aufzuzeigen. Trotz der augenscheinlichen Einflüsse werden auf den zweiten Blick, durch Präzisierung und Transformation, Divergenzen sichtbar und lassen es zu einem Bauwerk von Rudolf und Esther Guyer werden.

Anverwandlung einer Ikone

Dominic Spalt

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Raumbildung im Brutalismus

Die Schottenbauweise von Atelier 5 Claudio Spielhofer

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester HS14 Horw, 20.01.2015 Verfasser: Claudio Spielhofer Schachenweidstrasse 101b 6030 Ebikon Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik Architektur

Abstract – Die Thematik dieser Vertiefungsarbeit im Herbstsemester befasst sich mit der Raumbildung in der Ära des ‚Beton Brùt’ und mit deren Auswirkungen auf die Schottenbauweise des Architekturbüros Atelier 5. Der Fokus der Arbeit liegt in der Konfrontation mit der folgenden These „Die Entfaltung der Schotte als raumbildendes Element wird im Werk vom Atelier 5 zur grundlegenden räumlichen Basis“. Ziel dabei ist, anhand von verschiedenen Wohnbauten des Ateliers 5 welche zeitlich fortlaufend errichtet wurden, die Raumbildung durch die Schottenbauweise zu analysieren und die daraus entstehende Raumerfahrung und Bedeutung dieser Konstruktionsart darzulegen. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Auseinandersetzung mit der Wechselbeziehung zwischen statischer Ausformulierung in Bezug zum Material Beton Brùt und dessen Auswirkungen auf die Raumbildung. Der Fokus bezieht sich auf die Rolle der Schottenbauweise, die den Raum bestimmt und in Szene setzt. Die Arbeit ist folgender Weise aufgebaut: in einem ersten Abschnitt, dem Vorwort, wird Einblick in das Thema geschaffen, wobei die Inspirationsquelle der daraus resultierenden These und die Vorgehensweise beleuchtet werden. Darauf folgt ein erster Überblick der auserwählten Analyseobjekte Flamatt 1, Siedlung Halen und Flamatt 2 in Form eines Bautenkataloges. Der anschliessende Abschnitt, der Hauptteil dieser Arbeit, befasst sich mit einer analytischen und einer theoretischen Auseinandersetzung der Begrifflichkeiten, wie Grenzen, Proportionen und Material, bezüglich der drei Wohnbauten. Ziel dieser Vertiefungsarbeit ist es aufzuzeigen welchen Einfluss die Schottenbauweise auf die Raumbildung tatsächlich ausübt und welche verschiedenen Raumkomplexe durch diese Struktur ermöglicht werden. 201


Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 David Toszeghi

Schulbauten im Schweizer Brutalismus – ein Vergleich

Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 16.01.2015

Verfasser:

David Toszeghi

Wiesenstrasse 38

CH - 8700 Küsnacht Dozenten:

Dr. Christoph Wieser Dr. Oliver Dufner

Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur Abstract Die Vertiefungsarbeit MAA des Herbstsemesters 2014 befasst

sich mit der Thematik brutalistischer Schulbauten der Schweiz aus

den 50er bis 70er Jahren. Dafür wurde die Thematik auf die Analyse und den Vergleich des brutalistischen Schulhauses Hardau von Otto Glaus von 1964 mit dem Primarschulhaus Fritz Hallers aus Basel von 1962 beschränkt. Die strukturelle, materielle und räumliche Analyse und die anschliessende Gegenüberstellung der beiden Beispiele brachte Erkenntnisse über Analogien und Diffe-

renzen hervor. Ausserdem wurde festgestellt, dass Fritz Hallers Primarschule am Wasgenring, trotz der grundsätzlich differenten

architektonischen Herkunft, ebenfalls brutalistische Eigenschaften

und Haltungen aufweist. Eine weiterführende Beleuchtung der Bei-

spiele aus pädagogischer Sicht brachte Aufschlüsse über Mängel und Qualitäten der Schulbauten bezogen auf ihre Nutzung.

Schulbauten im Schweizer Brutalismus

David Toszeghi

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Bunkeralismus Aspekte des Bunkers im Brutalismus

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 20.01.2015

Verfasser: Aurélien Véry Rue du Perron 29 1196 Gland Dozenten: Dufner, Oliver Wieser, Christoph

Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur

Abstract Diese Arbeit befasst sich mit der Frage, welchen Zusammenhang Bunker und brutalistische Bauten haben und inwiefern man somit von ‚Bunkeralismus‘ reden könnte. Die Aspekte des Bunkers werden am Fallbeispiel des Internationalen Uhrenmuseum in La-Chaux-deFonds analysiert und übertragen, um herauszufinden welche Gemeinsamkeit bestehen. Die Werke von Claude Parent & Paul Virilio werden ebenfalls hinzugezogen und flüchtig angesprochen, da diese beiden Architekten sich ausgiebig mit dem Thema Bunker befasst haben. Schlussendlich wird dann festgestellt, dass es in der Tat starke Gemeinsamkeiten gibt, aber dass die brutalistischen Gebäude, die den Begriff des ‚Bunkeralismus‘ entsprechen eher selten sind.

Bunkeralismus

Aurélien Véry

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014

Katholische Kirche St. Gallus in Lichtensteig Ein Sonderfall im Gesamtwerk Walter Maria Fรถrderers?

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 20.01.2015

Verfasserin: Friederike Walecki Schloßstrasse 18 D- 33104 Paderborn Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser

Lucerne University of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik und Architektur

Abstract Die vorliegende Vertiefungsarbeit mit dem Titel „Katholische Kirche St. Gallus in Lichtensteig- Ein Sonderfall im Gesamtwerk Walter Maria Förderers?“ setzt sich explizit mit der von 1968- 70 erbauten Kirche St. Gallus des Schweizer Architekten und Bildhauers Walter Maria Förderer auseinander. Anhand einer ausführlichen Baubeschreibung und einer Analyse werden die Eigenheiten des Bauwerks hervorgebracht und in einem Vergleich mit seinen etwa zeitgleich entstandenen Kirchenbauten St. Nicolas in Hèrèmence und der Heiligkreuzkirche in Chur in Verbindung gebracht um die Differenzen und/ oder Parallelen zu gewichten. So zeichnet sich der Kirchenbau St. Gallus im Wesentlichen durch seine differenzierte Materialisierung der Fassade als auch des Innenraums aus und kann als Sonderfall bzw. Ausnahmeerscheinung im Gesamtwerk Förderers betrachtet werden.

Katholische Kirche St. Gallus in Lichtensteig

Friederike Walecki

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New Brutalism Förderer versus Füeg Gegenüberstellung der Kirchen St. Johannes und St. Pius anhand des Textes „The New Brutalism“ von Reyner Banham.

Marcel Wyss

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Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014 Horw, 20.01.15 Verfasser: Marcel Wyss Sternegg 22 6005 Luzern Dozenten: Dr. Oliver Dufner Dr. Christoph Wieser Lucerne of Applied Sciences and Arts Hochschule Luzern Technik Architektur

Abstract

In der Schweiz wird häufig Sichtbeton als Kriterium für die Zuordnung zum Brutalismus genannt, beispielsweise im Modulbeschrieb zur Vertiefungsarbeit Herbstsemester 2014, eine allgemeingültige Definition des Begriffs ist jedoch nicht festgelegt. Ein Versuch einer Definition beschreibt Reyner Banham in dem Text „The New Brutalism“ (1955). In dieser sind verschiedene Merkmale und Objektqualitäten genannt, wobei Beton nicht explizit erwähnt wird. In dieser Arbeit findet anhand der Objektqualitäten nach Banham eine Gegenüberstellung der in den 1960er Jahren erbauten Kirchen St. Johannes in Luzern von Walter Förderer und St. Pius in Meggen von Franz Füeg statt. Es wird geprüft, ob die Betonkirche St. Johannes eher dem Brutalismus zuzuordnen ist als die aus Stahl und Marmorplatten gebaute Kirche St. Pius. Dabei wird besonders der Einfluss des Betons auf die Zuordnung untersucht. Die Arbeit kommt zu dem Schluss, dass die Kirche St. Pius anhand der Objektqualitäten nach Banham eher dem Brutalismus zuzuordnen ist, als die Kirche St. Johannes. Weiter zeigt sich, dass der Beton für die Einordnung zum Brutalismus nicht notwendig ist, er jedoch Materialqualitäten hat, die den Objektqualitäten nach Banham entsprechen.

New Brutalism Förderer versus Füeg

Marcel Wyss

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Bautensteckbriefe

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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb

Bautenkatalog Nutritec AG Hochdorf, Luzern Bert Allemann, Ulrich Holz (Ing.) 1963 1963-1964 Das neue Fabrikations- und Lagergebäude gehörte zur ersten Etappe des Sanierungs- und Ausbauprogrammes. Beim Bau wurde bewusst auf eine Zuteilung von Funktionen verzichtet, weil das Gebäude grösstmöglichen Platz und Flexibilität aufweisen muss. Das aus vorfabrizierten Elementen gebaute Betongebäude ist auf einem quadratischen Raster von 6.50m erstellt, was auf dem Mass einer Fabrikationsgruppe basiert. Ebenso wurden die unterschiedlichen Raumhöhen auf den Fabrikationsablauf angepasst. Das Gebäude ist heute immer noch in Betrieb und feierte vor kurzem sein fünfzigsten Jahrestag. Heute wird das Gebäude zum Produzieren von Backwaren genutzt.

Literaturhinweis Werk, Band 52, 1965, Heft 7; http://dx.doi.org/10.5169/seals-40483 Bild: Simon Schneider; Pläne: siehe Literaturhinweis

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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb

Bautenkatalog Siedlung Halen Herrenschwanden bei Bern Atelier 5 1955 1958 - 1961 Die Siedlung Halen liegt in einer Waldlichtung nahe der Stadt Bern. 79 Wohneinheiten werden in grosser Dichte auf dem Grundstück zusammengefügt. Die einzelnen Häuser (2 Grundtypen, 4 und 5m breit, beide dreigeschossig) sind einfach und ökonomisch konzipiert. Die privaten Innenund Aussenräume werden vor Einblicken geschützt und akustisch vom Nachbar getrennt. Die Wege in der gesamten Siedlung sind verkehrsfrei ausgebildet. Ökonomischer Umgang mit dem Bauland, streng organisierte, fast städtische Gesamtanlage, kein Autoverkehr in der Siedlung, einfachste Wohneinheiten, klare Abgrenzungen der öffentliche und privaten Bereiche, reichliche Anlagen für die Gemeinschaft, ermöglicht durch den Beitrag eines jeden, das ist Halen.

Literaturhinweis Atelier 5 (2000), Atelier 5 - Mit einer Einführung von Friedrich Achleitner (Transl. German / Engl. Robert Thomas), Birkhäuser Verlag, Basel; Berlin; Boston Bild: Tobias Haefelin; Pläne: siehe Literaturhinweis

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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb

Bautenkatalog Siedlung Thalmatt II Herrenschwanden bei Bern Atelier 5 1981 1983 - 1985 Innerhalb eines dreidimensionalen Rasters wurden 37 Wohneinheiten zu einer Anlage zusammengefasst. Mit den kubischen Einheiten von 5 x 5 x 2,70 Metern liessen sich verschiedenartige Wohnungen zusammenstellen - 30 verschiedene Typen für 37 Einheiten. Jede Wohneinheit hat ihren eigenen geschützten Aussenraum und ihren eigenen Zugang. In der Bebauung ergeben sich differenzierte Wege und Plätze. Daran angeschlossen sind im Erdgeschoss Flächen für Gewerbe und Ateliers sowie am Hauptplatz ein Clubraum für die Pflege der Gemeinschaft.

Literaturhinweis Atelier 5 (2000), Atelier 5 - Mit einer Einführung von Friedrich Achleitner (Transl. German / Engl. Robert Thomas), Birkhäuser Verlag, Basel; Berlin; Boston Bild: siehe Literaturhinweis; Pläne: siehe Literaturhinweis

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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb

Bautenkatalog Kantonsschule Schüpfheim Lädergass 25, 6170 Schüpfheim CJP: Fred Cramer, Werner Jaray und Claude Paillard 1958 (Wettbewerbsgewinn) 1960-1962 Als Gegenbewegung zur Gesamtanlage folgt die Abstufung des Hauptgebäudes nicht der Hangneigung. Es treppt sich entgegen der Hangrichtung auf und bildet so den Kopf und Mittelpunkt der Schule. Im Inneren wird das Thema der Treppe fortgeführt und zelebriert. Der Hauptraum besteht aus einer eindrücklichen Treppenlandschaft. Ein breiter, zentraler Treppenlauf teilt sich in zwei kleinere Treppenläufe um die halbgeschossig versetzten Klassenzimmer an der Fassade zu erschliessen.

Literaturhinweis Das Werk, 1965, Nummer 52 Heft 9: Schulen

Bilder: Daniel Scheuber; Plan: siehe Literaturhinweis

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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb

Bautenkatalog Wohnsiedlung Unteraffoltern Im Isengrind 35, 8046 Zürich Georges P. Dubois 1967 1967-1970 Die beiden identischen Scheibenhochhäuser folgen dem Vorbild der Unité d`Habitation von Le Corbusier. Die Bauten sind von je dreizehn Geschossen. Als Bausystem wendet Dubois ein Betonbauverfahren mit grossen Schalungstafeln an, gerüstlos wird es im Allbetonverfahren ausgeführt. Ablesbar sind die Bauten als kompakt, mit einer hohen Dichte an Wohnungen, umgeben von viel Grün. Die beiden Hochhäuser sind je mit einem vertikalen Erschliessungskern mit Treppen und zwei Liften ausgestattet. In jedem der Hochhäuser befinden sich 132 Wohnungen. Die Wohnungen nutzen die gesamte Gebäudebreite. Ein Drittel der insgesamt 264 Wohnungen wurde später zu grösseren Einheiten zusammengefasst.

Literaturhinweis Bauen + Wohnen, Heft 9, Band 26 (1972). Wohnüberbauung Unter-Affoltern, Zürich.

Bild: Anna Ernstsone; Pläne: siehe Literaturhinweis

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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb

Bautenkatalog Hochschule St. Gallen Dufourstrasse 50 St. Gallen Walter Maria Förderer, Hans Zwimpfer, Rolf Georg Otto 1957-1959 (Wettbewerbsgewinn) 1962-1963 Das Gebäude liegt auf dem Rosenberg in St. Gallen und thront wie eine griechische Akropolis über der Stadt. Die Volumen aus Sichtbeton sind terrassiert angeordnet und bilden Aufenthaltsmöglichkeiten für die Studenten. Die verschlossene Fassade der Bibliothek wirkt als Krone des Gebäudes und ist zugleich Herzstück der Anlage. Bereits bei der Planung wurden Exponate zeitgenössischer Kunst mit eingeplant. Werke von Joan Miro, Hans Arp und Alberto Giacometti sind in dem Gebäude vertreten. Im Zusammenspiel mit der Architektur spricht man von einem Gesamtkunstwerk.

Literaturhinweis Burmeister, W. (1998). Geschichte der Universität St. Gallen Das Werk. (1962). Hochschulen, Wissenschaftliche Institute. Die Handels-Hochschule St. Gallen. 49. Jöhr, W. (1963). Der Neubau der Hochschule St. Gallen. 36, S. 13-32. Schweizer Ingenieur und Architekt. (1982) Wettbewerbe. 35.

Bild: www.heimatschutz.ch Pläne: Das Werk S. 119,120

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Vertiefungsarbeit Bautenkatalog Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb

Literaturhinweis Christian Dupraz (2013). Aesch Schule aus Beton. DADI Magazine - Architecture Bilder: Yannik Keller; Pläne: Staatsarchiv Baselland

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Schulhaus Neumatt Aesch Reinacherstrasse 3, 4147 Aesch Walter Maria Förderer, Hans Zwimpfer, Rolf G. Otto 1959 (Wettbewerbsgewinn) 1959-1963 Das skulptural geformte Schulhaus aus schalungsroh belassenem Beton widerspiegelt den eigenständigen Stil von Walter Maria Förderer. Beim Schulhaus setzt Walter Förderer seine Auffassung einer visuellen und psychischen Architektur eindrücklich um. Auf den ersten Blick nimmt man die Schulanlage als Teil eines geplanten Wohnquartiers wahr. Kommt man ihr näher und geht man drum herum, werden Autonomie und Kompaktheit der massiven Gesamtanlage sichtbar, die in einem einzigen „Betonblock“ gruppiert ist. Der kompakte Eindruck wird dabei durch die Masse des auf Pfeilern thronenden Gebäudes verstärkt. Form geben dem Volumen auch die linear eingeschnittenen Bandfenster, welche jeweils den Klassenzimmern zugeteilt sind. Unter diesem schweren Stein kommt man schliesslich seitlich über einen aus Holz ausgekleideten Windfang hinein in die verborgene Innenwelt. Leuchten, Nischen und bestimmte Treppengeländer sind dabei plastisch in die gesamte Skulptur eingearbeitet. Zusammen mit den Leuchten, Bänken und Brunnen der Aussenanlage, vermitteln sie dabei den Eindruck eines Gesamtkunstwerks.


Vertiefungsarbeit Bautenkatalog Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb

Schulhaus „Im Gräfler“ Hochbergstrasse 1, CH-8207 Schaffhausen Walter Maria Förderer, Rudolf Lüscher, Jost Meier 1971 1974 Charakteristisch skulptural steht die Schule da, als Ergebnis geometrische Körper die ineinander verschachtelt ein wohl proportioniertes Bild ergeben und von einem gekonnten Umgang mit der Wuchtigkeit des Betons zeugt. Dabei verfolgte Förderer folgendes Raumkonzept: Die einzelnen Klassenzimmer werden als gedreht hervorstehende Kuben halbkreisförmig um das Herzstück des Baus, einer Treppenhalle angeordnet, was zu auffällig polygonalen Grundrissen und Ansichten führt. Die Treppenhalle selbst bestehet aus einem dachhohen Luftraum spiralförmig umring von einer kantig polygonalen nach oben strebenden Treppe. Sie ist nicht nur der vertikalen Erschließung vorbehalten, sondern Förderer sieht darin die Chance unterschiedliche Tätigkeitsbereiche zu überlagern und baut die Struktur so aus, dass bei Bedarf jene Treppenhalle auch als Veranstaltungshalle genutzt werden kann und zu ein Ort der Versammlung wird.

Literaturhinweis Förderer, W.M. (Angaben zum Buch müssen nachgetragen werden, da rein Scans der relevanten Seiten erhalten wurden)

Abbildungen: Ausenansicht: kubisch verzahnte Fassade (Förderer, 19, S.106) Kantige Treppenhalle mit Oberlicht und zurückversetzter Fensterreihe (Förderer, ,S.153) Grundriss vom Mittelgeschoss mit Korrektturskizzen, Projektstand 1970 (Förderer,,S.152)

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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb

Bautenkatalog Kirche „Saint-Nicolas“ Rue Principale, 1987 Hérémence (VS) Walter Maria Förderer 1962 (Wettbewerbsgewinn) 1967-1971 Die Kirche Saint-Nicolas liegt in der Mitte des Dorfes, wo das Gelände steil ist, und thront dort wie einen gehauenen Fels, der vom Himmel gefallen ist. Dieses Gelände bewirkt ein Spiel von verschiedenen Ebenen, auf denen die verschiedenen Teile des Programms verteilt sind, und erschafft damit eine Verbindung zwischen dem oberen und dem unteren Teil des Dorfes. Die Kirche ist auf der mittleren Ebene der Zusammensetzung zugänglich und zeigt einen polygonalen Grundriss auf, der sich um das Chor gliedert, das selber durch Oberlichter beleuchtet ist.

Literaturhinweis Bächer M. (1975). Walter M. Förderer architecture-sculpture. Neuchâtel: Editions du Griffon.

Bilder: Lionel Hauri; Pläne: siehe Literaturhinweis

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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb

Bautenkatalog Kantonsschule Schaffhause Walter Maria Förderer, Rolf Otto, Hans Zwimpfer 1960 (Wettbewerbsgewinn) 1962-1966 Das Schulhaus findet seinen Bauplatz in Hanglage in südöstlicher Richtung zur Schaffhauser Altstadt hin und läuft dazu terrassenförmig aus. Zusammen mit den Altbauten bildet das Bauwerk mit der Munotfestung den baulichen Abschluss des Emmersberg gegenüber der Altstdt Schaffhausen. Um einen architektonisch klaren Kontrast zu schaffen wurde der Gebäude viel niedriger als der Altbau der Kantonsschule gehalten.

Literaturhinweis Bächer M. (1975). Walter M. Förderer architecture-sculpture. Neuenburg: Editions du Griffon.

Bild: http://commons.wikimedia.org/ wiki/File:Kantonsschule_Schaffhausen_ Neubau_1967.jpg Stand: 07.01.15; Pläne: Sandri Architekten

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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb

Bautenkatalog Katholisches Kirchenzentrum Heiligkreuz Masanserstrasse 161, 7000 Chur Walter Maria Förderer, 1963 (Wettbewerbsgewinn) 1967-69 An promintenter städtebaulicher Stelle erwächst der komplett in Sichtbeton gehaltener Gebäudekomplex aus dem Hang. Die in 4 Bestandteile gegliederte Anlage (Kirche, Glockenturm, Pfarreisaal, Pfarrhaus) ist allseitig von den Grundstücksgrenzen eingerückt. Wie auch der als bindendes Glied funktionierende zentrale Innenhof wirkt die gesamte Anlage sehr introvertiert. Die äußere Form ist von Öffnungen und Durchdringungen, sowie variierenden Gebäudehöhen geprägt. Der Grundriss der Innenräume ist verwinkelt ausgeführt und gibt durch seine Nutzungen die von außen sichtbaren Gebäudehähen vor.

Literaturhinweis Dosch, L. (1989). Die Heiligkreuzkirche in Chur. Bern: Gesellschaft für schweizerische Kunst Bild: Daniel Heiler; Pläne: siehe Literaturhinweis

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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb

Bautenkatalog Heiligkreuzkirche Tiefenau Kastellweg, Bern Walter Maria Förderer, Hans Zwimpfer 1966 (Wettbewerbsgewinn) 1967-1969 Das Gebäude ist an einem Hang situiert. Büroräumlichkeiten sowie die eigentliche Kirche gruppieren sich um einen Innenhof, welcher ebenfalls für Gottesdienste genutzt werden kann. Speziell an dieser Anlage ist der fehlende Glockenturm, welcher im Wettbewerb noch ersichtlich war, jedoch bei der christlichen Kommission auf Ablehnung stosste. Die Anlage besitzt mehrere Zugänge, einmal von der Tiefenaustrasse her, von wo man von einem torartigen Eingang empfangen wird (siehe Bild). Der andere Zugang ist am Kastellweg gelegen.

Literaturhinweis Die Heiligkreuzkirche nach modernster Konzeption - Das Projekt einer neuen katholischen Kirche in der Tiefenau. Bund. Bern, Donnerstag, 10. Februar 1966. Zum erstprämierten Projekt der Heiligkreuz- Kirche im Rossfeld. Neue Zürcher Zeitung. Stadt Bern. Das Projekt für die Heiligkreuz- Kirche in der Tiefenau Neue Berner Nachrichten. 3. Ferbruar 1966 Bild: Michael Hurni; Pläne: siehe Literaturhinweis

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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb

Bautenkatalog Kirche St. Johannes Schädrütistrasse 26, 6006 Luzern Walter Förderer 1967 1967-1970 Die Kirche wurde von Walter Förderer als Skulptur aus Sichtbeton entwickelt. Dabei gibt es ein Spiel von Hell-Dunkel, Konvex-Konkav, Ein- und Durchblicken welche zum Hineingehen zu verlocken sollen. Neben dem Kirchraum ist die Pfarrei in den Gebäudekomplex integriert. Beim Ankommen durchschreitet der Besucher einen Innenhof von wo aus die Kirche betreten wird. Im Innern setzt sich die Formensprache fort. Das Beton ist überall sichtbar belassen, nur einige Stellen sind mit Farbe akzentuiert. Die Tragkonstruktion wird nicht direkt abgebildet, es gibt viele Elemente welche nur für die skulpturale Wirkung gebaut sind. Dennoch wird das Material ehrlich verwendet, da der Beton überall als Tragendes Element verwendet wird.

Literaturhinweis Bächer M. (1975). Walter M. Förderer architecture-sculpture. Neuenburg: Editions du Griffon.

Bild: http://www.kathluzern.ch/tourismus/ johanneskirche/rundgang.html Plan: Gmür, O. (2006). Häuser, Dörfer, Städte: Architekturführer Kanton Luzern. Luzern: Quart Verlag.

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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb

Bautenkatalog Katholische Kirche St. Gallus Lichtensteig Walter Maria Förderer 1968 1968-1970 Die Kirche liegt abseits vom Dorf und wird oft mit einer Burg verglichen. Sie ähnelt den meisten Förderer-Kirchen aber sie wird als außergewöhnlich bezeichnet, da die Fassaden größtenteils verputzt sind, um sich der Umgebung besser anzupassen. Im Inneren erkennt man das äußere Volumen nicht mehr und alle Räume sind weiß verputzt und mit Holz verkleidet. Der Hauptraum besitzt ein mächtiges Dachgebälk, das einer Sonne gleichen soll und dessen Zentralbalken auf den Altar gerichtet ist. Die weiteren Funktionen der Kirche sind um den Hauptraum und in den oberen Geschossen verteilt. Die Kirche wurde in 2011 renoviert, aber ihr Erscheinungsbild wurde nicht verändert.

Literaturhinweis Bächer, M. & Förderer, W. M. (1975). Walter M. Förderer. Architektur-Skulptur. Neuchâtel: Éditions du Griffon.

Bilder: Aurélien Véry Pläne: siehe Literaturhinweis

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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb

Bautenkatalog Kirche St. Pius Schloesslistrasse 2, 6045 Meggen Franz Füeg 1960 1960-1966 Die Kirche wurde von Franz Füeg als Hülle für die Kirchgemeinde entworfen. Die klare, im Grundriss symmetrische Struktur ist als Stahlskelett gebaut welches mit transluzenten 28mm dicken Marmorplatten ausgefacht ist. Die Marmorplatten ergeben ein spannendes Lichtspiel je nach Lichtverhältnissen Innen oder Aussen. Es gibt eine Spannung zwischen den an einen Industriebau erinnernden Stahlbau und der Nutzung als Kirche. Durch die spezielle Wirkung der Marmorplatten wird jedoch eine kirchliche Stimmung hervorgerufen. Die Konstruktion ist ganz sichtbar belassen, der Aufbau der Kirche kann mit der Schule in Hunstanton von Alice und Peter Smithson verglichen werden.

Literaturhinweis Imorde J. (2005). Die Piuskirche in Meggen von Franz Füeg (1964–66). Kunst + Architektur in der Schweiz, Nr. 1, S. 54-57. Zschokke W., Hanak M. (2001). Nachkriegsmoderne Schweiz. Architektur von Werner Frey, Franz Füeg, Jacques Schader, Jakob Zweifel. (1. Aufl.). Basel: Birkhauser.

Bild: Müller E. (1969). Piuskirche Meggen. Bistum Basel. Kanton Luzern. Kunstführer Nr. 911, Schweizer Reihe Nr. 40. München und Zürich: Verlag Schnell & Steiner. S. 13 Plan: Festschrift zur Weihe der Piuskirche am 26. Juni 1966. (1966). Katholische Kirchgemeinde Meggen.

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Bautenkatalog Kantonsschule Hardwald Hardfeldstrasse 53, 4600 Olten Funk & Fuhrimann Architekten, Baden 1962 (Wettbewerbseingabe) 1963-1973 (mit Unterbrüchen) Die Schulanlage liegt unweit vom Bahnhof Olten auf einer Anhöhe in einer Waldlichtung. Der Komplex besteht aus einem mehrstufigen Sockelbau, einem Hallenbad, einer Turnhalle mit Aussenplätzen und zwei über Freitreppen und Terrassen zugängliche Klassentrakte. Der Sockelbau beherrbergt die gemeinsam genutzten Räume wie Mensa, Mediathek und Musikräume. Die Konstruktion besteht aus vorgefertigten Stützen und Unterzugselementen, die einer ablesbaren Logik folgen. Fenster und Türen sind aus Corten-Stahl.

Literaturhinweis Funk, M., Fuhrimann, H.U., B.O. (1974). Schweizerische Bauzeitung Bd.92. Kantonsschule Olten. Wälchli, R. (2005). Impulse einer Region. Solothurner Architektur 1940-1980. Solothurn Lehrmittelverlag Bild: Peter Osterwalder; Pläne: siehe Literaturhinweis

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Vertiefungsarbeit Objekt Adresse Architekt Planungsbeginn Realisierung Kurzbeschrieb

Bautenkatalog Gemeindeschule Engelberg Schulhausweg 5, 6390 Engelberg OW Ernst Gisel, Louis Plüss 1961 (Wettbewerbsgewinn) 1965-1967 Das von Ernst Gisel in Zusammenarbeit mit Louis Plüss im Jahr 1967 erbaute Schulhaus zeichnete sich durch seine kubische Betonplastik vor dem Bergpanorama Engelbergs aus und galt als ein wichtiges Denkmal der modernen Architektur. Der skulpturale Betonbau wies eine ästhetische Nähe zum Brutalismus auf, welche seit der Sanierung und Erweiterung in den Jahren 1994-1998 nicht mehr sichtbar ist. Das Schulhaus wurde neben dem Kloster Engelberg auf einem engen und steil abfallenden Grundstück gebaut. Die topografischen Bedingungen forderten eine Reduktion auf das Minimum, um ein solch grosses Raumprogramm auf engstem Raum umsetzen zu können. Der Aufbau der Anlage wurde auf drei Stufen konzipiert. Der Kindergartentrakt auf der Höhe der Kapelle bildet den Kopfbau.

Literaturhinweis Maurer B. & Oechslin W. (2010) Ernst Gisel Architekt. Zürich: gta Verlag

Bild oben: siehe Literaturhinweis; Bild unten: Heidi Brun; Plan: siehe Literaturhinweis

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Bautenkatalog Werkjahrschulhaus Hardau, Zürich / Primarschule Wasgenring, Basel Bullingerstrasse 50, 8004 Zürich / Welschmattstrasse 30, 4055 Basel Otto Glaus / Fritz Haller 1961 (Wettbewerbsgewinn) / 1958 1962-1964 / 1958 (Erste Phase) - 1962 Die Vertiefungsarbeit des Herbstsemesters 2014 befasst sich mit der Thematik brutalistischer Schulbauten der Schweiz aus den 50er bis 70er Jahren. Dafür wurde die Thematik auf die Analyse und den Vergleich des brutalistischen Schulhauses Hardau von Otto Glaus von 1964 mit dem Primarschulhaus Fritz Hallers aus Basel von 1962 beschränkt. Die strukturelle, materielle und räumliche Analyse und die anschliessende Gegenüberstellung der beiden Beispiele brachte Erkenntnisse über Analogien und Differenzen hervor. Ausserdem wurde festgestellt, dass Fritz Hallers Primarschule am Wasgenring, trotz der grundsätzlich differenten architektonischen Herkunft, ebenfalls brutalistische Eigenschaften und Haltungen aufweist. Eine weiterführende Beleuchtung der Beispiele aus pädagogischer Sicht brachte Aufschlüsse über Mängel und Qualitäten der Schulbauten bezogen auf ihre Nutzung.

Literaturhinweis Linth U. (1995). Otto Glaus, Architekt. Basel: Birkhäuser Verlag. -

Stalder L. / Vrachliotis G. (2014). Fritz Haller – Architekt und Forscher. Zürich: GTA-Verlag. Bild: David Toszeghi; Pläne: GTA Archiv, ETH-Zürich.

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Bautenkatalog Konvikt Chur Arosastrasse Chur, Graubünden Otto Glaus, Büro Glaus & Lienhard 1963/64 (Wettbewerb) 1967-1969 Das Konvikt gehört zur Kantonschule in Chur und liegt südlich der Schulanalge in einer steilen Hanglage. Der Terrassenbau mit 8.Obergeschossen gliedert sich aus drei parallelen, den Höhenkurven folgenden, Baukörpern mit jeweils drei Geschossen und einem Attikaaufbau. In die steile Topografie fügen sich die Baukörper durch Vor- und Rücksprünge ein und wirken trotz der Grösse nicht als massiger Körper. Der Zugang zum Gebäude erfolgt vom talseitigen ersten Trakt und führt über ein zentrales Treppenhaus durch beide oberen Trakte hindurch bis zur Anlieferung im 9.Obergeschoss von der Arosatrasse her.

Literaturhinweis Ueli Lindt(1995). Otto Glaus, Architekt Basel: Birkhäuser Verlag.

Bild: Ralph Feiner; Pläne: siehe Literaturhinweis

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Bautenkatalog Kantonsschule Wattwil Näppisuelistrasse 11, 9630 Wattwil Otto Glaus, Heribert Stadlin 1965 (Wettbewerbsgewinn) 1968-1970 Die Schulanlage besteht aus fünf Einheiten, die sich um den zentralen Innenhof anordnen. Diese ergeben zusammen ein harmonisches Ensemble, wobei die einzelnen Objekte wie Skulpturen wirken. Auffälligster Baukörper ist der turmartige, fünfgeschossige Schulhaustrakt. Die Fassade mit ihrem unregelmässigen Stützenraster, welches sich über sämtliche Aussenflächen zieht und der Anlage eine gewisse Strenge verleiht, verstärkt die Zusammengehörigkeit der Gebäudevolumen. Im Innern das Gegenteil: Das Raster der Fassade ist nicht mehr zu spüren und es dominiert dick aufgetragener Putz, der sich über einen Grossteil von Wänden und Decken zieht und den skulpturalen Aspekt verstärkt.

Literaturhinweis Mühlestein, E. & Stadlin, H. (1971). Bauen + Wohnen. Kantonsschule Wattwil, Schweiz, 2, S. 53.

Bild: Philippe Arnet; Pläne: siehe Literaturhinweis

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Bautenkatalog Reihenhauszeile „Asphof“ Rümlangstrasse 43 - 53, Zürich-Seebach Otto Glaus, Büro Glaus & Lienhard 1967 1967-1968 Insgesamt sechs Häuser wurden zu einer reihenhausartigen Komposition zusammengefügt. Über den drei mittleren Etagenwohnungen erschliesst ein Laubengang die oberen Maisonettes. Das Gebäude erstreckt sich mit einer Längenausdehnung von 40 Metern über eine Hügelkuppe. Die Häuserzeile nimmt die Form des Hügels auf und sorgt durch die vertikale Abtreppung für eine zusätzliche Übersteigerung des Terrainverlaufes. Der horizontale Versatz der Wohnungen erhöht die private Atmosphäre bei den zugehörigen Aussenbereichen. Alle sechs Häuser verfügen über eine grosszügige Dachterrasse. Die Zeile wurde von Otto Glaus als Gesamtskulptur im Dialog mit der Landschaft entworfen; unzählige Details der Betonschalung individualisieren beinahe jedes Fassadensegment. Im Innern sind die Wohnungen durch eine zentrale Wendeltreppe zoniert. Der skulpturale Umgang mit dem Beton setzt sich teilweise in der Innenraumgestaltung fort.

Literaturhinweis Lindt, Ueli: Otto Glaus, Architekt. Basel 1995. S. 48-51. Bild: siehe Literaturhinweis Pläne: siehe Literaturhinweis

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Bautenkatalog Hochhaus am Triemliplatz Birmensdorferstrasse 511, 8055 Zürich Rudolf und Esther Guyer 1956 1963-1966 Das Gebäude ist bis auf die markanten Balkonbrüstungen in Ortbeton ausgeführt. Die Absturzsicherungen wurden vor Ort vorfabriziert und versetzt, durch ihre Höhe bringen sie die dahinterliegenden Fenster praktisch zum Verschwinden und lassen das Hochhaus als Monolith erscheinen. Die sechzig Wohnungen verteilen sich auf fünfzehn Geschosse, somit sind es pro Geschoss vier Wohnungen. Die rautenförmige Grundrissdisposition ist gegen Südost und Südwest ausgerichtet und schottet sich von der stark frequentierten Birmensdorferstrasse ab.

Literaturhinweis Guyer, R. & Guyer, E. (2002). Auswahl Bauten und Projekte 1958-2001. In Ineichen, H. (Hrsg.), Rudolf + Esther Guyer. Bauten und Projekte 1953 – 2001 (S.40254). Sulgen: Niggli Verlag. Bild links: siehe Literaturhinweis; Bild rechts: Dominic Spalt; Pläne: siehe Literaturhinweis

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Bautenkatalog Kaserne Bremgarten Militärstrasse, Bremgarten Rudolf und Esther Guyer 1959 (Wettbewerbsgewinn) 1966-1968 Das Kasernenareal liegt am Reussknie nordwestlich des Städtchens Bremgarten in einer von der Reuss gegen Westen einsteigenden ehemaligen Kiesgrube. Einer der Leitgedanken war die Respektierung des Reussufers und seiner Topografie, wie auch die Erhaltung des Erdhügels, der eine grüne, dominierende Mitte bildet soll. Ein grosser Freiraum, der aus Grünanlagen, dem Bataillonsplatz und in die Höhe geschichteten Kompanieplätzen besteht, konzentriert sich rundum den Erdhügel. Die den Hang hinauf gestaffelt angeordneten Gebäude machen die Bekrönung aus. Der Freiraum öffnet sich nach Osten über die ins Terrain eingebaute und mit Erde überdeckte Motorwagenhalle Richtung Fluss und Städtchen. Die Flusslandschaft bleibt vollständig erhalten und wirkt in keiner Weise beeinträchtigt.

Literaturhinweis Guyer, R. -E. (2002). Auswahl Bauten und Projekte 1958-2001. In Ineichen, H. (Hrsg.), Rudolf + Esther Guyer, Bauten und Projekte 1953 - 2001 . Sulgen:Niggli Verlag. Bild: Anna Grabowska; Pläne: siehe Literaturhinweis

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Bautenkatalog Schulhaus Stettbach Dübendorfstrasse 158, 8051 Zürich Rudolf und Esther Guyer 1961 (Wettbewerbsgewinn) 1964-1967 An dem nach Süden ansteigenden Stettbacherhügel, liegt das von Rudolf und Esther Guyer erbaute Schulhaus. Der terrassierte Innenhof ermöglicht allen Schulzimmern einen gemeinsamen Pausenplatz. Sichtbeton ist aussen das dominierende Material und wird im Innenraum durch Backstein und Holz ergänzt. Die Primärtragstruktur ist durchgehend in Beton, Raumtrennwände und die inneren Vorsatzschalen der Betonaussenwände sind in Backstein erstellt worden.

Literaturhinweis Das Werk 56, 1969, Heft 7 Schulhäuser Rudolf und Esther Guyer, Bauten und Projekte 1953-2001 Bild: Stefan Keller Pläne: Das Werk 56, 1969

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Bautenkatalog Kirchenzentrum St. Agatha Buchrain Joachim Naef, Ernst und Gottfried Studer 1966 (Wettbewerb) 1970-1972 Nebst einer Kirche verfügt dieses Projekt über einen Saal mit Bühne, einen Aufbahrungsraum und eine Spielgruppe. Schon von aussen betrachtet fällt einem die Farb-/ und Formgestaltung des Betongebäudes auf. Der Baukörper wurde nicht nur quadratisch gehalten, sondern es wurde auch mit runden Elementen gearbeitet. Das symbolische Kreuz, welches sich auf dem Dach befindet, definiert das Gebäude von aussen als Kirche. Es wurden hauptsächlich mit den Kontrastfarben Blau, Gelb und Rot gearbeitet. Diese können jeweils eine bestimmte Wirkung auf den Menschen auslösen. So kann z.B. die gelbe Decke im Kirchenraum die Konzentration fördern. Sicherlich wurden den Farben auch eine religiöse und kulturelle Bedeutung zugeschrieben, wie z.B. die Farbe Blau, welche der Gottesmutter Maria zugeschrieben werden kann.

Literaturhinweis Kaufmann, P. (2013). Vortrag. (unveröffentlichtes Dossier.)

Bild: siehe Literaturhinweis Pläne: siehe Literaturhinweis

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Bautenkatalog 73

Reformierte Kirche Saatlen / fr Zürich-Schwamendingen smuQrrnaanrrMBcmüfrrr. Claude Paillard 1957 (Wettbewerbsgewinn) 1961-1964

der zurückhaltenden Einheitlichkeit des formalen Details, des Materials und des Farbausdruckes. Das helle Sichtbackstein¬ mauerwerk bräunlich-grauer Tönung bestimmt alle Räume, bestimmt auch das Äußere und wiederholt sich bei den mei¬ sten Böden, Treppen und Deckenuntersichten. Weitere Ma¬ terialwerte sind der rohe Sichtbeton für Decken, Pfeiler und Träger im Innern, äußere Kupferverkleidungen, Eichenholz teils naturbelassen, teils schwarzbraun gebeizt- und einfaches Tannentäfer. Und noch ein letztes: Im Stadtquartier kann eine Kirche kaum mehr durch ihre Dimension dominierend wirken; sie kann es aber noch durch die Sorgfalt, mit der sie gestaltet wurde. Die Kirche Saatlen wurde mit der Auszeichnung der Stadt Zürich für gute Bauten 1964 bedacht. Claude Paillard

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der zurückhaltenden Einheitlichkeit des formalen Details, des Materials und des Farbausdruckes. Das helle Sichtbackstein¬ mauerwerk bräunlich-grauer Tönung bestimmt alle Räume, bestimmt auch das Äußere und wiederholt sich bei den mei¬ sten Böden, Treppen und Deckenuntersichten. Weitere Ma¬ terialwerte sind der rohe Sichtbeton für Decken, Pfeiler und Träger im Innern, äußere Kupferverkleidungen, Eichenholz teils naturbelassen, teils schwarzbraun gebeizt- und einfaches

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Grundriß Erdgeschoß Plan du rez-de-chaussee Plan of groundfloor

Paillard, C. (1967): Kirche Saatlen in Zürich Schwamendingen. In: (Das) Werk, 54 (2), S.02-10. Bild: Ivo Oberholzer; Pläne: siehe Literaturhinweis

Kirche Stuhlmagazin 73 Luftraum Kirchgemeindesaal Luftraum Bühne Obere Jugendstube Dachaufsicht Vorhalle Dachaufsicht Unterrichtstrakt Dachaufsicht Sitzungszimmer Pfarrwohnung: Eßplatz und Küche Wohnzimmer Kinderzimmer smuQrrnaanrrMBcmüfrrr. Elternzimmer Schrankräume

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Und noch ein letztes: Im Stadtquartier kann eine Kirche kaum mehr durch ihre Dimension dominierend wirken; sie kann es aber noch durch die Sorgfalt, mit der sie gestaltet wurde. Die Kirche Saatlen wurde mit der Auszeichnung der Stadt Zürich für gute Bauten 1964 bedacht. Claude Paillard

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Kirchenvorplatz Gedeckte Vorhalle Eingang zur Kirche Zugang Kirchgemeindehaus Foyer und Garderobe Nebenaufgang zur Kirche Pfarrzimmer Sitzungszimmer Gemeindehof Unterrichtszimmer Saalküche Pfarrhof Gemeindestube Kirchgemeindesaal Bühne Nebenbühne Bühneneingang und Kellerabgang Lichthof Gartengeräte Durchgang zum Pfarrhof und Zugang Pfarrhaus Eingangs- und Wartehalle Waschküche Heizung Abstellraum Keiler Studierzimmer Mädchenzimmer Abstellraum Garagen Büroeingang Gemeindehelferbüros Warteraum Luftraum untere Jugendstube Jugendhof Veloraum Zugang Jugendstuben

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Bautenkatalog Turmatthof Stans, Nidwalden Arnold Stöckli, Walter Custer 1963 1. Etappe 1965/66, 2. Etappe 1968/69 und 3. Etappe 1972/73 Der Turmatthof befindet sich an der Robert-Durrer-Strasse in Stans und ist ungefähr 14 Kilometer süd-östlich von Luzern entfernt. Ab 1965 entstanden in drei Etappen innerhalb von neun Jahren die drei Baukörper, welche die Wohnsiedlung heute bilden. Die Architekten Arnold Stöckli und Walter Custer hatten sich stark mit der Zersiedlung auseinandergesetzt und auf dem grossen Grundstück eine sehr dichte Bebauung von heute 105 unterschiedlichen Wohnungen hingestellt. Beton und verputzter Bachstein prägen das Bild der Siedlung, welche in einem fünf Meter Raster angeordnet ist. Turmatthof 3, 6370 Stans 18

Literaturhinweis

Zimmer

Keller

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Essen G. 0.0

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Wohnen

Hohlraum

Bild: Staatsarchiv Nidwalden; Pläne: Nidwaldner Sachversicherung

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Zimmer

Untergeschoss GSEducationalVersion

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Eingangsnische

Dokumente, Fotos, Pläne und Videos aus dem Staatsarchiv Nidwalden

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Durchgang Garage

Erdgeschoss

Obergeschoss

Zimmer


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