pavillon nomadische Momente in der architektur serpentine gallery pavillons ausgegrabene Baukunst In der Faltung liegt die Kraft #5 2012 www.modulor.ch
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Architektur, Immobilien, Recht
Die Forscher der HSLU entwickelten ein textiles Tragwerk, das flach auf dem Bauplatz montiert und erst im letzten Arbeitsgang hochgezogen wird. Mit „TexFold“ können alle möglichen Geometrien ausgeführt werden.
THEMA Pavillon
MODULØR Magazin
2012 05
Textiles tragwerksystem
in der falt ung iegt die kraft l von Ben Kron (Text) und HSLU (Bilder)
„TexFold“ heisst das System aus nicht miteinander verbundenen Stangen und einer gefalteten Textilhülle, welches Forscher der Hochschule Luzern entwickelt haben. Mit der patentierten Vorgehensweise lassen sich rasch und einfach temporäre Bauten errichten, die verblüffend leicht und dennoch stabil sind. Nach erfolgreichen Studien in kleinerem Massstab plant man nun einen Pavillon für 400 Personen, um die Tauglichkeit des Systems auch in grossen Dimensionen zu illustrieren.
Der Sommer ist die Zeit der temporären Bauten: Wir schlafen auf dem Campingplatz im Zelt, nehmen im Garten den Aperitif unter dem Stoffbaldachin ein oder schunkeln beim grossen Sommernachtsfest im Partyzelt. Aber jeder weiss, wie mühsam der Aufbau schon eines kleinen Zeltes sein kann: Man muss mit vielen Stangen hantieren, unterschiedlich lange Spannseile im Boden verankern und ein meist unförmiges Stoffgebilde aufspannen. Bei grossen Festzelten für Events oder Messen ist der Aufwand noch grösser. Nun haben Forscher der Hochschule Luzern (HSLU) ein Konzept entwickelt, das eine neue Art von Ausstellungs- und Eventpavillons verspricht: ein textiles Tragwerk aus Stoff und Stäben, das leicht aufbaubar, trotzdem stabil und dazu architektonisch ansprechend ist. Das Projekt basiert dabei auf einem Auftrag von Luzern Design, ein Konzept für einen textilen Eventpavillon auszuarbeiten, der in seiner Funktion und Ästhetik den Ansprüchen gehobener Anlässe gerecht wird. Erste Studien für das Projekt unternahmen Professorin Tina Moor und ihre Mitarbeiterin Luzia Kälin vom Kompetenzzentrum „Products & Textiles“. „Zu Beginn haben wir uns intensiv mit dem Thema temporäre Architektur beschäftigt und den Aufbau eines grösseren Eventpavillons beobachtet“, berichtet Luzia Kälin. Dabei hätten sie erkannt, dass gerade der Aufbau solcher textilen Bauten äusserst anspruchsvoll sei. „Es dauert etwa zwei Wochen, bis ein temporärer Bau steht. So entstand die Idee, einen Pavillon aus der Fläche aufzubauen.“ Das Textil liegt bei dieser Vorgehensweise flach auf dem Bauplatz, wird montiert und erst im letzten Arbeitsgang hochgezogen. „Das ist wesentlich einfacher und schneller als die übliche Bauweise.“
Die Forscherinnen setzten diese Idee in erste kleinformatige Papiermodelle um und experimentierten mit verschiedenen Faltungen. „Die Faltstruktur ist dabei nicht unüblich und entstand beim Ausprobieren im Atelier“, so Luzia Kälin weiter. Man habe damit eine hohe Stabilität erreicht und könne auf die unterschiedlichen Anforderungen an temporäre Bauten reagieren. Mit dieser Idee gelangten sie ans Kompetenzzentrum „Material, Struktur & Energie in Architektur“, wo sich der Architekt Alexander Lempke des interdisziplinären Projektes annahm. „Ich habe ein kleines Modell gebaut, bei dem ich Stäbe in einem bestimmten Abstand zueinander auf Stoffbahnen klebte.“ Dabei habe sich rasch gezeigt, dass das Potenzial dieser Bauweise gross sei: „Unser Ansatz, die Tragstruktur und das schützende Element in eine Einheit zu bringen, ist ebenso einfach wie wirkungsvoll.“ In der Folge entwickelten die Architekten die Idee weiter, in enger Zusammenarbeit mit den Materialforscherinnen des Departements „Design & Kunst“. Luzia Kälin: „Das System ist in einer Art Ideenpingpong aus den beiden Blickwinkeln Textil und Architektur entstanden.“ Zwar gibt es in der Architektur schon zahlreiche Versuche von Flächentragwerken, doch dabei gibt es Hunderte von Gelenkpunkten, bei denen die Kraftabfuhr gelöst werden muss“, so Lempke. Beim Luzerner System, das den Namen „TexFold“ erhielt, besteht die Fläche aus Gewebe und Stäben, die sich gegenseitig nicht berühren. „Üblicherweise baut man bei solchen Zelten und Pavillons eine Tragstruktur, über welche die Hülle gezogen wird. Beim „TexFold“-System berühren sich die Stäbe nicht direkt, sondern steifen sich über das Gewebe 053
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Beim „TexFold“-System berühren sich die einzelnen Stäbe nicht direkt, sondern steifen sich über das Gewebe gegenseitig aus.
gegenseitig aus.“ Dadurch gibt es weder Knoten noch Gelenke, Bolzen, Schrauben oder andere Verbindungspunkte, bei denen eine Störung auftreten könnte. Mit dem „TexFold“-System können alle gewünschten Geometrien ausgeführt werden. Massgeblich ist dabei das Verhältnis zwischen Stababstand und Stabüberlappung, eine Art Systemcode. Die Stäbe sind als Matrix zweidimensional auf der Oberfläche mit dem Stoff verbunden. Durch die Faltung dieser Oberfläche ergibt sich die dreidimensionale Form. „Dazu schafft das Falten des Textilgewebes auch ästhetisch einen Mehrwert“, fügt Luzia Kälin hinzu. „Die Stäbe nehmen die Druckkräfte auf, das Textil die Zugkräfte. Durch das Verhältnis des Stababstands zur Stabüberlappung, dessen Winkel und die Beziehung anderer vorhandener Überlappungspunkte, ist das Gesamtsystem in seiner Erscheinung, Form und seinem statischen Verhalten präzise steuerbar“, erklärt Lempke. Nachdem die ersten kleineren „TexFold“-Modelle überzeugt hatten, baute man ein grösseres Demonstrationsobjekt, das an der Swissbau im Januar 2012 vorgestellt wurde. „Für den Pavillon verwendeten wir ein technisches Gewebe, das uns die Tersuisse Multifils zur Verfügung gestellt hat“, erzählt Luzia Kälin. „Dieser Pavillon ist nicht wetterfest, sondern bedeutet die erste Übersetzung der Modelle in architektonische Dimensionen.“ Ebenfalls im Januar 2012 hat die Hochschule Luzern das „TexFold“-System beim Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum in Bern zum Patent angemeldet. Vorab hatte man weltweit 2500 Patente gesichtet und festgestellt, dass noch kein ähnliches Verfahren existierte. 054
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„Der Messestand an der Swissbau war 4,5 m breit und kragte 4 m aus“, ergänzt Alexander Lempke. „Wobei hier im Gegensatz zum Modell die Stäbe nicht mehr aufgeklebt waren, sondern in Taschen eingeführt wurden, die auf das Textil aufgenäht wurden.“ Das System bewährte sich auch in diesem grösseren Massstab. Lempke: „Wir haben gesehen, dass die Kräfte von einem Stab zum nächsten übertragen werden. So werden auch Kraftspitzen, die entstehen, über das ganze System verteilt.“ Um die Tragkraft der Konstruktion zu beweisen, hängte sich der 29-jährige Forscher selber an die Stangen des Pavillons: „Die Stäbe im Dach sind zwar so schmal, dass sie einzeln nicht in der Lage wären, mich zu tragen, aber durch die Kraftübertragung auf das gesamte System konnten sie dies problemlos leisten.“ An der Messe zeigten sich viele Besucher, unter ihnen auch Architekten und Planer, verblüfft darüber, wie sich ein so leicht wirkendes Gebilde von selbst trägt. Natürlich ist es denkbar, dass dennoch einmal eine Stange bricht, aber das stellt laut Lempke kein Problem dar: „Das System ist so flexibel, dass sich die Kräfte auf die restlichen noch aktiven Stangen verteilen würden. Der Bau würde unter Umständen seine Form verändern, aber die tragende Struktur würde er erhalten.“ Auch die textile Haut kann kleinere Schäden absorbieren, ohne ihre Tragkraft gleich zu verlieren. Nachdem der Versuch an der Swissbau erfolgreich war, stellen sich nun für die Weiterentwicklung neue, praktische Fragen. Luzia Kälin: „Wie kann man zum Beispiel eine Isolation in dieses System integrieren? Das untersuchen wir in einem Folgeprojekt. Wir suchen dabei nach einer möglichst nachhaltigen Lösung. Es gibt allerdings nur wenige Architekturtextilien die auf Naturfasern basieren; bei beschichteten Architekturtextilien existieren jedoch schon Produkte mit sehr guten Recyclingkreisläufen.“ Auch in der Konstruktion sind noch Fragen zu klären. Alexander Lempke: „Die Endpunkte bilden eine grosse Herausforderung in der Struktur. Hier treten Kraftspitzen auf, und es braucht Lösungen, um die Kräfte möglichst schonend in das Textil zu leiten.“ All diese Fragen will man nun an einem grossformatigen Bau klären: Bis Ende 2013 entwickelt die Hochschule zusammen mit dem Verein Luzern Design und weiteren Partnern aus Industrie und Wirtschaft einen Pavillon für 400 Personen. Dieser wird gemäss Alexander Lempke 20 m breit und 40 m lang werden und soll zeigen, dass die Bauweise in der Praxis und in grossen Dimensionen funktioniert. „Das Prinzip des textilen Tragwerks könnte aber beispielsweise auch für Sonnensegel, Lampenschirme und ähnliches eingesetzt werden.“ Eine Einsatzmöglichkeit sieht Lempke zudem in Krisengebieten: „Wir können die Hülle in der Schweiz unter Fabrikbedingungen konfektionieren und für Notfallhütten in Krisengebiete schicken.“ Dank des kleinen Packmasses und geringen Gewichts stellt das Textil kein Transportproblem dar. „Vor Ort kann man dann aus vorhandenem Material, in Asien zum Beispiel aus Bambus, die Stäbe hinzufügen und so das Ganze zusammenbauen.“ www.hslu.ch/tfs