Dr. med. Mabuse 266_48 Jahre und Zukunft des Gesundheitswesens
Studieren an der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften
berufsbegleitend praxisnah Voll-/ Teilzeit
PFLEGE & MEDIZIN
Blockseminare mit hybrider Lehre (vor Ort & online)
* Nursing Management B.A.
*
PÄDAGOGIK & SOZIALES
* Advanced Nursing Practice (ANP) M.Sc.
* Soziale Arbeit B.A. +PLUS (auch als duales Studium)
* Medizin- und Notfallpädagogik B.A.
* Pädagogik im Gesundheitswesen B.A.
* Pädagogik und Erwachsenenbildung in der Gesundheitswirtschaft M.A.
*
HUMANITÄRE HILFE & BEVÖLKERUNGSSCHUTZ
* Internationale Not- und Katastrophenhilfe B.A.
* Management in der Gefahrenabwehr B.Sc.
* Führung in der Gefahrenabwehr und im Krisenmanagement M.Sc.
* Global Health M.Sc.
* Kr kommunikation M.A.
Jetzt bewerben!
Alles hat seine Zeit!
Dr. med. Mabuse
sagt ,Auf WIE Dr SEHEN –unser Verlag und der Buchversand bleiben bestehen
Diese Ausgabe von Dr. med. Mabuse ist mit 164 Seiten mit Abstand die dickste aller Zeiten und gleichzeitig auch die letzte im Mabuse-Verlag.
Wir wollten die Studi-Zeitschrift 1976 ja nur für ein paar Semester machen. Jetzt endet ihre Geschichte, auf die wir mit allen Mitarbeiter/innen, Autor/innen und Unterstützern sehr stolz sein können, bei uns mit dem 49. Jahrgang. Wir haben lange diskutiert und uns mit dieser Entscheidung wirklich nicht leichtgetan. Aber es gab viele Gründe dafür, die wir auf Seite 79 erläutern.
Die „normale“ Ausgabe 266 haben wir um einen umfangreichen Abschiedsteil deutlich erweitert:
Dort ziehen wichtige Mabuse-Autorinnen und Autoren Bilanz und skizzieren Perspektiven zu ihrem jeweiligen Arbeitsgebiet. Dieser einmalige gesundheitspolitische Blumenstrauß wird garniert mit Abschiedsgrüßen, Karikaturen, Fotoimpressionen, Gedichten u. v. a. m.
Letzte Ausgabe –eine überraschende Wendung!
Alles sah schon nach einem endgültigen Abschied aus: Das Heft war fast fertig, das Editorial schon geschrieben, als kurz vor Drucklegung dieser Ausgabe durch Zufall jemand auftauchte, der Dr. med. Mabuse weiterführen will. Dies passt gut zu unserer bewegten und verrückten Geschichte!
Andreas Lauterbach will mit seinem Verlag hpsmedia unsern altehrwürdigen Mabuse weiter und auch stärker in eine digitale Zukunft führen.
Ich freue mich sehr, dass wir für Dr. med. Mabuse einen fachlich kompetenten Nachfolgeverlag gefunden haben. Weitere Informationen finden Sie zu Beginn des Sonderteils.
Bleiben Sie uns gewogen!
Wir befinden uns in einer Zeitenwende, die auch die Frage aufwirft: „Wie wird, wie soll es aussehe n, das Gesundheitswesen der Zukunft?“ Um Antworten auf diese Frage zu finden, beschäftigen sich die Autor:innen des Schwerpunktteils unter anderem mit zukunftsfähigen Innovationen und Arbeitsmodellen sowie dem neuen Pflegekompetenzgesetz.
Christoph Müller hat sich für uns mit der neuen DBfK-Präsidentin Vera Lux unterhalten. Zudem werfen wir einen Blick auf die Situation der Pflege in unserem Nachbarland Österreich. Ein Artikel räumt mit Vorurteilen gegenüber der psychedelisch-augmentierten Psychotherapie auf, ein anderer Beitrag zeigt, dass eine gerechte und nachhaltige Arzneimittelforschung möglich ist.
Literarisch wenden wir uns dem jungen Werther zu, dessen Leiden die Generationen bereits seit 250 Jahren beschäftigt.
Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern schöne Feiertage und alles Gute im Neuen Jahr!
Hermann Löffler Charlotte Fischer
Hermann Löffler (Geschäftsführer)
Inhalt
10 Späte Diagnose FASD
Joachim Göres
38 „Professionell pflegen kann nur, wer den Beruf gelernt hat.“
Christoph Müller im Gespräch mit Vera Lux
40 Deutsch ist fein, doch Latein muss (auch) sein
Alternative Bezeichnungen für geläufige und seltene Krankheitsbilder | Eckart Roloff
42 Langzeitpflege und Pflegeberuf Wo und wie sich Österreich einen Vorsprung erarbeitet hat
Cornelia Heintze
46 Psychedelisch-augmentierte Psychotherapie
Ein Blick in Geschichte und Anwendung| Andrea Jungaberle
Kunst und Kultur:
50 Der Werther-Effekt
– Eine Legende, die zum Lesen auffordert| Matthias Bormuth
53 Versorgung fängt bei den Schwächsten an Fehlende Psychotherapieplätze
Christoph Müller
54 „Vor dem Tod gibt es noch ein Leben“
Christoph Müller im Gespräch mit Wilhelm Schmid
56 Public Pharma for Europe Wie kann Arzneimittelforschung und -entwicklung gerechter und nachhaltiger werden?
Frauke Heller
59 Die beste Medizin
Das Projekt „Humor als Kraftquelle“ des Clowns und Clowns e. V. Leipzig
Susanne Neudert
Gesundheit global
62 Medizin unter Palmen
Wie eine deutsch-tansanische Partnerschaft Leben rettet| Lukas Richter
65 Wo drückt der Schuh?
Die Ziele der St.-Vincent-Deklaration zur Eindämmung von Diabetes mellitus| Arthur Grünerbel
Ausbildung & Studium:
68 Kinder mit angeborenem Herzfehler
Pflegerische Beratung und Unterstützung der Eltern in der perioperativen Phase| Vanessa Schanz
78 Besser reich und gesund als arm und krank
Joseph Randersacker
48 Jahre Dr. med. Mabuse
Anlässlich der letzten Ausgabe unserer Zeitschrift für alle Gesundheitsberufe Dr. med. Mabuse, die beim Mabuse-Verlag in Frankfurt am Main erscheint, werfen unsere Autoren einen Blick auf Bilanzen und Perspektiven. Diese finden Sie ab Seite 79.
Viel Spaß beim Lesen!
Foto: GeKo Berlin e. V.
Schwerpunkt Zukunft des Gesundheitswesens
14 40 Jahre Berufserfahrung und damit noch lange nicht am Ende
Jobsharing – ein Praxisbericht
Caroline Wolf
17 „Pflegende nachhaltig entlasten“
Ein Gespräch mit Sandra StrubeLahmann
20 Eine andere Gesundheitsversorgung ist möglich!
Interprofessionelle Versorgung für den Kiez: das Geko StadtteilGesundheits-Zentrum Neukölln
Gesine Knauer und Franziska Paul
23 Klimakiller Gesundheitswesen
Kliniken versuchen, Treibhausgase zu reduzieren – doch meist kennen sie gar nicht ihre Emissionen| Joachim Göres
26 Aufhören
Praxisabgabe – Wann, wie und an wen?| Joachim Loch-Falge
29 Nichts bleibt, wie es war Ein anonymer Bericht zur Praxisabgabe
30 Das Pflegekompetenzgesetz
– Was Pflegefachpersonen zukünftig können und dürfen | Katja Boguth und Johannes Wünscher
34 Pflege und Digital: Das passt prima!| Ingolf Rascher und Heinrich Recken
37 Zukunft des Gesundheitswesens Bücher zum Weiterlesen
Rubriken
3 Editorial
6 Leserbrief
7 Neues aus dem Mabuse-Verlag
8 Bitte zur Anamnese
9 Cartoon
72 Buchbesprechungen
161 Fortbildungen/ Kleinanzeigen
162 Impressum
Der zweite Blick
Betreff: „Sich (wieder-)begegnen“ von Lieselotte Mahler, Anna Oster und Alexandre Wullschleger, Dr. med. Mabuse 255, S. 29–31.
Manchmal eröffnet ein zweiter Blick auf ein Thema neue Dimensionen. So geschehen bei dem Artikel „Sich (wieder-)begegnen“, veröffentlicht im Dr. med. Mabuse MagazinNr. 255. In diesem Artikel stellen die Autoren Überlegungen an, wie man im psychiatrischen Kontext nach einer notwendigen Zwangs-maßnahme wieder zu einem therapeutischen Verhältnis zu seinem Klienten finden kann und bringen diese Überlegungen in einen konzeptionellen Rahmen.
Die Verfasser vernachlässigen dabei konsequent die Anlasshandlung, die dazu führte, dass diese Zwangsmaßnahmen ergriffen werden mussten. Bei annähernd allen Zwangsmaßnahmen, die im psychiatrischen Rahmen getroffen werden, ist Selbst- oder Fremdgefährdung die Ursache. Die Frage der Selbstgefährdung soll hier nicht erörtert werden. Als eigenes komplexes Thema muss es gesondert behandelt werden. — Eine verängstigte Mutter flüchtet vor ihrem psychisch kranken Sohn ins Bad, schließt sich ein und ruft per Handy die Polizei. Ihr Sohn war schon früher handgreiflich ihr gegenüber.
— Mieter eines Mietshauses trauen sich nicht mehr aus der Wohnung, da im Treppenhaus ein offensichtlich wahnhafter Mitbewohner randaliert. — Eine psychotisch wirre Person (mutmaßlich drogeninduziert) pöbelt in einem Park Besucher bedrohlich an.
Dies sind alltägliche Beispiele, bei denen Polizei oder Ordnungsamt gerufen werden. Ihre Aufgabe, die Situation zu klären, ist oft schwierig, da die üblichen Verhaltensmuster in diesen Fällen meist nicht greifen und psychisch kranke Menschen oft in völliger Fehleinschätzung der Situation unberechenbar agieren und selbst in aussichtsloser Position noch aggressiv sein können.
Werden jene Kranke dann in eine geschlossene Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses eingeliefert, ist es Aufgabe der Ärzte und der Mitarbeiter, die psychotische Dynamik zu durchbrechen. Dies geschieht meist durch physisches Fixieren und/oder durch ein starkes, sofort wirkendes Beruhigungsmittel. Jene Zwangsmaßnahmen sind also sekundäre Folgen der vorherigen aggressiven Handlung im privaten oder gesellschaftlichen Raum. Sie müssen
spätestens nach drei Tagen von einem Richter auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden.
Für die Ordnungshüter ist die Sache klar. Sie erkennen vor Ort eine bedrohliche Situation und überwältigen den Gefährder falls notwendig.
Nun passiert jedoch etwas Merkwürdiges. Während der Fahrt zur Klinik wird aus dem bedrohlichen Psychotiker ein zu therapierender psychisch Kranker. Die Anlasstat scheint kaum noch eine Rolle zu spielen. Unterhalb der roten Linie eines Offizialdeliktes, bei der die Staatsanwaltschaft handeln muss, ist es übliche Praxis, psychisch kranke Menschen in der Nachbehandlung nicht mit ihren Taten zu konfrontieren. Falls doch über die Gründe der Zwangseinweisung gesprochen wird, erfolgt dies eher aus einer therapeutischen Intention, bei der die Ängste und Nöte der Opfer kaum eine Rolle spielen. Somit betrachtet man die Patienten ausschließlich in ihrem Krankheitsdasein und enthebt sie ihrer (wenn auch eingeschränkten) Verantwortung, die sie auch im gesellschaftlichen Kontext haben sollten.
ansprechbar sind. Diese Zeitfens-ter sollten genutzt werden, um die Betroffenen moralisch in die Pflicht zu nehmen und die Erwartung zu äußern, dass sie mit ihrer Erkrankung in einer Weise umgehen, die dazu führt, dass sie keine Bedrohung mehr für andere Menschen werden.
Menschen mit einer Psychose-Erkrankung sind niemals nur krank. Es gibt immer wieder Zeitfenster, in denen sie rational
Die Absurdität des vorherrschenden Zeitgeistes besteht darin, dass gerade die glühenden Streiter für Inklusion im Ergebnis Exklusion durch die Hintertür betreiben, indem sie Gewalttaten psychisch kranker Menschen aus ihrem sozialen Kontext herauslösen und in einen therapeutischen Elfenbeinturm verfrachten.
Herbert Knappe
Neues aus dem Mabuse-Verlag
Zeitreise ins Jahr 800 nach Christus
Der Juli führte das Mabuse-Team in die frühmittelalterliche Siedlung Lauresham (so der damalige Name für Lorsch in Hessen). In dem aus originalgetreuen Nachbauten bestehenden Freilichtlabor des UNESCO-Welterbes „Kloster Lorsch“ erfuhren wir während einer kurzweiligen Führung allerhand über das harte Leben in der damaligen Zeit – von traditionellen Handwerken über das Familienleben bis zu den klimatischen Verhältnissen in den Wohnhäusern – und die Arbeitstechniken der vor Ort Forschenden. Bei dem Gedanken daran, teilweise mehrere Wochen im Winter dort verbringen zu müssen, um die Lebensrealitäten der damaligen Zeit nachzuempfinden, waren wir sehr dankbar für unsere Schreibtisch-
Erzählungen über Demenz:
jobs. Besonders erstaunt hat uns das Auerrindprojekt – der Versuch, die ausgestorbene Rasse nachzuzüchten. Es hat zum Ziel, dass die Tiere mit einer Schulterhöhe von zwei Metern durch ihr Grasen in Waldgebieten eine Landschaft wie in der damaligen Zeit gestalten.
„Heute so und morgen anders“
Peter, du bist Sachbuchautor, Dozent, Moderator und Redner und hast dich beruflich wie privat jahrzehntelang kritisch mit Vergesslichkeit und kognitiven Beeinträchtigungen auseinandergesetzt. Dein neues Buch beschäftigt sich mit dem Thema Demenz. Wann kam dir zum ersten Mal der Gedanke zu diesem Projekt? Als Erstes stand die Erzählung „Der Stempel“ im Raum. Diese ist von der Realität inspiriert. Damals hatte ich die Idee, aus dem Erlebten eine freie Erzählung zu entwickeln. Damit diese als Buch erscheinen konnte, brauchte es aber etwas mehr und ich sah die Chance, eine unerledigte Geschichte in adäquater Form anzugehen. Das war der Auslöser für „Freunde“. Darin geht es darum, welche Freundschaft Christian Zimmermann, der mit einer Alzheimerdiagnose lebte, und ich hatten, wie wir versucht haben, mit unserem Projekt etwas auf die Beine zu stellen.
Inwiefern unterscheidet sich dein neuestes Buch von den bisherigen Veröffentlichungen? Bisher habe ich Sachbücher geschrieben.
Nicht unbedingt im engeren Sinne, denn meine Bücher waren schon immer erzählerisch und biografisch orientiert. Meine zwei Erzählungen sind diesmal jedoch literarisch. Sie wollen nicht aufklären, es geht einfach um ein bestimmtes Thema. Das ist hier zufällig – oder eben weniger zufällig – Demenz.
Wie würdest du die Zielgruppe für dein neues Buch definieren?
Menschen, die gerne Erzählungen als Literaturform lesen, in denen allgemeine, menschliche und gesellschaftlich relevante Themen verhandelt werden. Wer zum Thema Demenz einen persönlichen, beruflichen oder sonstigen Bezug hat, wird sicher zu dem Buch greifen.
Stichwort „zum Buch greifen“: Titel und Cover sind oft ausschlaggebend, ob gekauft wird oder nicht. Wie zufrieden bist du mit „Überschattet“ und dem Baummotiv?
Meine Idee für den Titel war „Schwankender Grund“, aber das ging aus rechtlichen Gründen nicht, da er schon vergeben war. „Überschattet“ war ein Vorschlag des Mabuse-Verlags und trifft es meiner Meinung nach gut. Demenz überschattet Beziehungen, Familien, Konstellationen, Sichtweisen, Freundschaften – es wird etwas in Bewegung gesetzt und löst Dynamiken aus,
Mit Leidenschaft dabei
Susanne Hansen arbeitet seit anderthalb Jahren im MabuseBuchversand. Sie kümmert sich um alle Bestellungen und ist die erste Ansprechpartnerin am Telefon. Bei Mabuse schätzt sie besonders die Zusammenarbeit mit dem netten Team sowie den Kundenkontakt und ist mittlerweile Profi in der DHLPaket-Reklamation. Da sie früher im Organisationsteam der Frankfurter Buchmesse beschäftigt war, ist es vielleicht kein Wunder, dass Bücher ihre Leidenschaft sind – neben Singen im Chor, Fotografieren und Kochen. Ihr Buchtipp: „Der gestreifte Kater und die Schwalbe Sinhá“ von Jorge Amado.
die oft negativer Natur sind. Von daher bin ich damit sehr zufrieden. Auch das Cover hat mich sofort angesprochen, denn das von unten abgebildete Baummotiv habe ich selbst oft als Foto produziert.
Und eine letzte private Frage: Wenn du selbst die Diagnose Demenz bekommen würdest, dann …? … hoffe ich wirklich, die Früchte meiner Arbeit zu ernten und von Menschen umgeben zu sein, die gecheckt haben, was für mich immer zentrale Botschaften waren: Lasst diesen Technik- und Profikram beiseite! Stellt euch unbekümmert auf mich ein, indem ihr annehmt, dass ich heute so bin und morgen anders.
Das Interview führte Elisabeth Schönberger. Es wurde redaktionell gekürzt.
Peter Wißmann: Überschattet Erzählungen über Demenz
ISBN 978-3-86321-656-6
144 S., 17 Euro
Dr. med. Mabuses Anamnesebogen für Gesundheits-Wesen mit besonders ausgeprägtem Eigensinn +++ aufgezeichnet von Hanna Lucassen
Bitte zurAnamnese, Frau Pacios Prado
Wo drückt der Schuh?
Laura Pacios Prado, geboren 1989, sorgt dafür, dass auch alte immobile Menschen psychologische Hilfe bekommen. Die psychologische Psychotherapeutin leitet mit einer Kollegin das Projekt „Mobile Krisen- und Lebensberatung 65+“ im Haus der Volksarbeit e.V. in Frankfurt am Main und sucht die Klient:innen zu Hause auf. Die Termine finden bei Bedarf über mehrere Monate hinweg alle zwei bis vier Wochen statt. Das Projekt wird von der Deutschen Fernsehlotterie finanziert. www.hdv-ffm.de/beratungsstellen/krisen-und-lebensberatung
Durch meine aktuelle Tätigkeit erfahre ich immer wieder, wie ältere Menschen von der Gesellschaft vergessen werden.
Ihr Beruf?
Ich arbeite in einem Pilotprojekt: Wir bieten immobilen älteren Menschen eine zugehende psychologische Beratung bei ihnen zuhause.
Ihr schönster Moment im Berufsleben?
Immer wieder, wenn ich sehe, dass meine Arbeit sinnvoll ist. Ich erinnere mich an eine über 90-jährige Klientin, die Angst hatte, zu stürzen und deshalb selten das Haus verließ. Nach der Beratung habe ich sie telefonisch kaum noch erreichen können, weil sie immer wieder unterwegs war.
Was soll in Ihrem Beruf so bleiben, wie es ist?
Ich schätze es unheimlich, dass ich sehr frei arbeiten und mich dennoch intensiv mit Kolleg:innen austauschen kann.
Worauf reagieren Sie allergisch? Intoleranz, Ignoranz, Egozentrismus.
Welche Ungerechtigkeit tut Ihnen besonders weh?
Wir leiden leider alle daran, andere Menschen (zunächst) anhand von Merkmalen wie Herkunft,
Geschlecht, sozialer Klasse, sexueller Orientierung etc. zu beurteilen. Ungerechtigkeiten und Aggressionen, die darauf basieren und nicht kritisch hinterfragt werden, tun mir sehr weh und schockieren mich zurzeit sehr stark.
Welche Wünsche haben Sie an die Politik?
Ich wünsche mir, dass der Mensch und seine gute medizinische Versorgung im Mittelpunkt stehen. Die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens macht mir Sorgen und wird unseren Bedürfnissen nicht gerecht!
Welche Charaktereigenschaften schreiben Ihnen Ihre Freund:innen zu?
Gesundheitsförderung von Anfang an: in Kindergarten und Schule stehen Inhalte wie psychische Gesundheit, gesunde Ernährung ebenso auf dem Plan wie die Bedeutung von Bewegung. Und es gibt praktische Einheiten zu Kommunikation und Konfliktfähigkeiten in sozialen Beziehungen, Emotionsregulation, Stressmanagement, persönliche Entwicklung und ähnlichem.
Wenn Sie nicht Psychotherapeutin geworden wären, wären sie heute vielleicht … ... Physiotherapeutin, Osteopathin, Hebamme, Theaterpädagogin oder Gärtnerin.
Späte Diagnose FASD
Zwei Prozent der Kinder haben ihr Leben lang mit den Folgen
des Alkoholkonsums ihrer Mütter in der Schwangerschaft zu tun
Joachim Göres
Der FASD-Fachtag am 19. Juni in Celle hatte zum Ziel, unter dem Motto „FASD sichtbar machen“ die Psychoedukation über die Fetale Alkoholspektrumstörung voranzutreiben. Unser Autor hat vor Ort mit Betroffenen und Expert:innen gesprochen.
Udo Beissel hat drei Söhne. Als alleinerziehender Vater hatte er es bei den beiden Älteren schon von klein auf mit Verhaltensauffälligkeiten zu tun, die dann während der Pubertät immer massiver wurden. Er suchte nach Erklärungen. Für die Lügen, die immer wieder im Brustton der Überzeugung erzählt wurden. Für das Vergessen von gerade getroffenen Vereinbarungen. Für die Unfähigkeit der beiden Jungen, Regeln zu beachten, aus Fehlern zu lernen und ihr Handeln zu planen. Für die fehlende Angst vor Gefahren. Für den Mangel an Schuldgefühlen. Für die plötzlich aufflackernde Wut und Aggression. Er beantragte Familienhilfen und suchte Lösungen bei Kinder- und Jugendpsychiatern. Es gab Therapien und Medikamente – ohne Erfolg. Erst als die Söhne bereits volljährig waren, wurde erstmals die Diagnose gestellt: FASD. Diese Abkürzung steht für „Fetal Alcohol Spectrum Disorder“, auf Deutsch „Fetale Alkoholspektrumstörung“. Es handelt sich dabei um keine psychische Störung, sondern um einen irreparablen Hirnschaden. Diese Behinderung ist durch den Alkoholkonsum der Mutter in der Schwangerschaft entstanden. Jährlich kommen laut Hochrechnungen verschiedener Studien in Deutschland mehr als 10 000 Kinder mit FASD zur Welt. Den Betroffenen sieht man die Behinderung meist nicht an.
Diagnose und Intervention
Beissel, Jahrgang 1961 und beruflich Regisseur und Stoffentwickler von Trickfilmformaten („Werner – Das muss kesseln!!!“, 1996), wurde durch jahrelange Beschäftigung mit dem Thema „zur unfreiwilligen Fachkraft für FASD“. Die betroffenen Söhne sind heute 29 und 30 Jahre alt. „Für Kinder gibt es eine Reihe von Unterstützungsangeboten. Das fällt mit der Volljährigkeit weg, auch wenn die Behinderung bleibt. Ein Erwachsener mit FASD kann die emotionale Reife eines Sechsjährigen sowie unterentwickelte Moralvorstellungen bei norma-
ler Intelligenz haben“, sagt Beissel, einer der Referenten auf einem FASD-Fachtag im Juni in Celle. Er fügt hinzu: „Außenstehende wundern sich über meine Sorgen, wenn meine eloquent auftretenden Söhne von ihren Vorstellungen und Plänen erzählen. Wenn ich dann berichte, dass sie nichts davon umgesetzt haben und beide arbeitslos sind, stellen sie oft die Frage: ‚Können die nicht oder wollen sie nicht?‘ Die Antwort ist klar: Sie können nicht!“
Die Deutsche Gesellschaft für Neuropädiatrie hat in diesem Jahr die aktuelle Leitlinie „FASD bei Kindern und Jugendlichen – Diagnose und Intervention“ veröffentlicht. Danach kommen zwei Prozent der Kinder in Deutschland mit einer Form von FASD zur Welt, die häufigste schon bei Geburt bestehende lebenslange Erkrankung. Es gibt Ähnlichkeiten mit ADHS (zum Beispiel Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsstörung, Impulsivität, Lernstörungen), doch die Symptome treten früher als bei ADHS auf und die Konzentrationsschwäche ist ausgeprägter.
Bei Verdacht auf FASD wird Eltern der frühzeitige Besuch eines Kinderarztes oder -psychiaters bzw. eines Sozialpädiatrischen Zentrums empfohlen (Experten unter www.fasd-deutschland.de/diagnostik-aerzte). Bei einer körperlichen Untersuchung und in neuropsychologischen Tests geht es darum, mögliche Auffälligkeiten hinsichtlich des Wachstums und des zentralen Nervensystems zu finden. Sie können auftreten, weil beim Alkoholkonsum während der Schwangerschaft der Abbau beim Ungeborenen wegen der unreifen Leber und fehlender Enzyme zehnmal länger als bei der Mutter dauert. Schädel- und Gesichtsveränderungen (unter anderem schmale Oberlippe, herabhängende Augenlider, vorstehende Nasenlöcher, etwas vorgewölbte Stirn) können Hinweise auf FASD liefern. Zudem wird versucht, den Alkoholkonsum in der Schwangerschaft abzuklären.
Laut der Leitlinien haben 20 Prozent der Schwangeren einen gemäßigten und acht Prozent einen riskanten Alkoholkonsum. Die Autoren Mirjam Landgraf, Florian Heinen und Sonja Strieker vom Universitätsklinikum München betonen: „Es gibt keine Alkoholmenge in der Schwangerschaft und keinen Zeitpunkt in der Schwanger-
schaft, von denen man sicher weiß, dass sie für das ungeborene Kind unschädlich ist.“
Betroffene Kinder
Lutz Krüger-Ruda, Kinderneurologe aus Soltau, formuliert dies direkter: „Nur NichtTrinken in der Schwangerschaft ist die Lösung.“ Nach seiner Erfahrung beginnen die Schwierigkeiten von FASD-Kindern mit dem Besuch der Grundschule, weil sie zum Beispiel heute erlernte Basteltechniken und Rechenwege am nächsten Tag komplett wieder vergessen haben. Andere rücken immer ganz nahe an Mitschüler heran und wirken dadurch aufdringlich – sie verstehen die Regeln des Zusammenlebens in der Klasse nicht, weil sie nicht die Gefühle anderer nachvollziehen können. Wenn in diesem Alter die Diagnose FASD vorliegen würde, könnten solche Konflikte besser angesprochen und gelöst werden.
„‚Ein Erwachsener mit FASD kann die emotionale
Reife eines Sechsjährigen sowie unterentwickelte Moralvorstellungen bei normaler Intelligenz haben.‘“
„Zu mir kommen Eltern mit ihren Kindern oft erst, wenn durch die Pubertät die Probleme immer weiter zunehmen. Die Betroffenen haben dann schon viele Diagnosen erhalten, FASD ist aber nicht dabei“, sagt Krüger-Ruda. Beim Grad der Behinderung gibt es Abstufungen bei der FASD – acht von 1000 Geborenen zeigen in Deutschland das Vollbild Fetales Alkoholsyndrom (FAS), daneben gibt es noch das partielle Fetale Alkoholsyndrom (pFAS) und die Alkoholbedingten Neurologischen Störungen (ARND).
Nicht wenige Kinder gelten als so genannte Systemsprenger und wechseln von Heim zu Heim bzw. von Pflegefamilie zu Pflegefamilie. „Ein Risikofaktor für eine gute Entwicklung sind Bindungsstörungen. Dagegen hilft nur eine enge Bindung“, sagt Krüger-Ruda und ergänzt: „Ich habe großen Respekt vor der Leistung von (Pfle-
ge-)Familien mit einem FASD-Kind.“ Medikamente seien bei fehlender Impulskontrolle fast immer sinnvoll. Dabei betont der Kinderfacharzt: „Es gibt nicht das eine Medikament, sondern es muss immer eine individuelle Entscheidung getroffen werden.“
Unterstützende Strukturen
Die Diplom-Pädagogin Conny Kirsten von der Diakonie Stadtmission Rostock arbeitet bei der einzigen FASD-Beratungsstelle in Mecklenburg-Vorpommern. Dabei berät sie auch Schulen und versucht, grundlegende Kenntnisse zu vermitteln. Kirsten berichtet von positiven Beispielen im schulischen Alltag, um Lärm und Stress für betroffene Kinder zu vermeiden: „Der 16-jährige Lennart darf immer zwei Minuten nachSchulstundenbeginn in die Klasse kommen. Er sitzt an einem Einzeltisch und braucht keine Partner- und Gruppenarbeiten machen. Dadurch hat er seltener Panikattacken. Inklusion kann manchmal Exklusion bedeuten.“ In einer anderen Schule hat die zehnjährige Tamara ihre Klassenkameraden über ihre Probleme wegen FASD informiert. Seitdem geben die Mitschüler verstärkt Acht auf sie, erklärenihr Aufgaben, erinnern sie daran zu essen oder warten nach dem Sportunterricht, bis auch sie umgezogen ist. „Das geht alles, ist aber leider sehr selten der Fall“, sagt Kirsten. Das Risiko, suchtabhängig oder kriminell zu werden, ist bei Menschen mit FASD überdurchschnittlich groß. Als Schutzfaktoren gelten unter anderem stabile Lebensverhältnisse, ein strukturiertes liebevolles Familienleben, keine Gewalt erfahren zu haben sowie die Befriedigung von Grundbedürfnissen wie Essen, Trinken, Körperkontakt und Ansprache. Der Selbsthilfeverein FASD Deutschland listet in seiner Broschüre „Lebenslang durch Alkohol“ (https://kurzlinks.de/b58i) mögliche Therapien auf. Dazu gehören unter anderem Logopädie, therapeutisches Reiten und Musiktherapie. „Therapien, welche auf Wortverständnis beruhen, haben sich in der Praxis als nicht sehr hilfreich für Kinder mit FASD erwiesen“, heißt es im Ratgeber des Vereins.
einhalten können und bei ihnen Resignation, Stress, Trotz und Verweigerung auslösen. So könne zur Behinderung auch noch eine Depression hinzukommen. Wichtig sei es, Anzeichen für Überforderung zu erkennen, kurze und eindeutige Botschaften zu senden, aggressionsauslösende Reize zu vermeiden, feste Strukturen und Routinen einzuhalten und Sicherheit zu vermitteln. Nur so kämen Ressourcen wieder zum Tragen, die die Lebenssituation verbessern könnten.
Auf seine Rolle beim Ursprung des Dramas blickt Beissel so zurück: „Ich habe zugeschaut, wie meine Frau getrunken hat, und habe selber viel getrunken, nach dem Motto: Hart arbeiten, hart feiern. Das war in unserer Szene normal. Heute würde ich mich anders verhalten.“ Und die Zukunft? Ein Sohn ist derzeit mal wieder in der Psychiatrie, ein anderer lebt in einer eigenen kleinen Wohnung. Finanziert wird dies vom Erbe der inzwischen verstorbenen Mutter und vom Geld des Vaters. Beissel ist überzeugt, dass beide Söhne mit entsprechender Unterstützung von außen Berufe ausüben und dort ihre Talente einsetzen könnten. Diese Unterstützung fehle. Beissel engagiert sich im Aktionsbündnis FASD für Verbesserungen (www.aktionsbuendnis-fasd.de). Sein Fazit: „Es braucht Einrichtungen für betreutes Wohnen mit FASD oder bedarfsgerechte ambulante Alltagsassistenzen, doch solche Konzepte sind sehr rar. Zudem fehlen Plätze, weil sich das für die Träger nicht lohnt und wegen des Fachkräftemangels. Ich kann also nicht eher sterben, bis meine Söhne versorgt sind.“
Für Beissel treten die Hälfte der Probleme durch den Umgang der Umwelt mit FASD auf. Er ist überzeugt, dass Zielvereinbarungen mit FASD-Betroffenen kontraproduktiv wirken, weil diese sie nicht
Joachim Göres ist Diplom-Politologe und arbeitet als freier Journalist in Celle. joachim.goeres@t-online.de
Udo Beissel auf der FASD-Fachtagung.
nesonga di egeflPeiD a nßa em geflP o ngaide fleg P u M-relssie.GeCcilA h roosMecnaryFraM s egneo.DnEnyliraM Hm
lebiB-n en mha uneso / e suoh / s
muce emdaV Va r.(HltareemäreKnerI
ibihTdV eigolokn Odnu eigo ol tamäH
J / r ehcuelhctSrebroN eigolokn dO
songaidegeflP -1202n oitakfi e gafluaue . N 7 alp d -s un sez cierglofres
a utisstiehknar 0 K 2 r 6 e u übn z e s r e Z hciergnaf e um iwos3, 202o ngaidegeflP-I-ADNA e N t a eteib ngaidegefl 6 P 7 . 2 a f c u e a i . D gunn cudbna e H ghicarpshcstuede tsh c
fl d en un enoit ür fe tsilgsunnd
-issal r K e n d e tretiewr n e eso -orpegeflPür h f u . Abrareb,ü.5 m,enden ssaf n enosrephcaF e trhäwe s b
. 420.2fl .kcilb er bÜ en llenoissefo pr itlu mre e v igoloknO-otamä r H e n d i e u hcsniizide ür mk f rewdradnat S s
- n um eni t e letti e hcsiregefl d p un egeflr
b1A,4.0S85’1
54-3-87 9NBSI / )E E)D 0 ( (D 0,00€ 1
areb.ütsllo v 7 7. elledo em geflP 77- 4268-6 5 00.82F1H C / ) T T)A 0 ( (A 8,20 €1 b,G.b a5TTa , 1.bb . 420.2flu.Awr.e.ubr a en. ld M ibeAsiuoeLhipoS / n évlvEoksljeoHB enalraFc o o eB ah ucA
ysp t i m en hcs enM bne lt ahr eV Ve n rderof fo suareH
5 4-3-87 9N SBI
ZksiznarF
54-3 7 9NBSI ED 0 ( 0,0. € 3aC whc, 8 s.6S52 . . ubrareb,ü.2 sneürMgfunb nennö n k eheg . D nenoitkaeR n a. i h u cis nredrofsuareH ti llä rh ek 38- 2368-6 5 09.0F4H C / ) T T)A 0 ( (A 8,0 € 3 / ) E)
g e P i , w nebierhcse n b erotue A i tättlawe , g nehciltgsn , ä netreitig a ysr Pendn
iesiewsnetlahree Vdn .neffahc s -egmUe rehcis - t um imae d dne n eladizius, negi n egiee zirtahicy
t.Kb a.TTa w-.whc, 5 s r r. tsull.Iw-. w . 420.2flu.Awre n emelbornPehcshicystpinmehc s d une dneguhirebe niee ism edni n
eB ah ucA
u le aroi va avehB .) gsrH( t ga eúñia
Sy e hcishcysp
e motpmy dnu . lt a
eiparehdTun ur D n zegunlhefpmE ( z D erd
€ / )E E)D 0 ( (D 0,8€ 2 bb8A,1.6S15 u / csegroeGn n / aksaavSn emegE li tlä rh ek -047 74 368-6 7 7. F 3HC / ) T T)A 0 ( (A 8,8 2 t,K.6S1,5.b a 4 T Ta 3,. tfäkhF k itsongaiD
€ / )E E)D 0 ( 0,5€ 4 , 7 .2S7.24202 en ku narkrE d d n un redröf n elletsuzrad hreVn ovg een deihcs ver l daunas li tlä rh ek 5-7 33 68-6
t,K.b a0TTa , 1.bb A er sseb ver uz n ehcsne r M eretlg ä ungrosre e V i a suZe llenoisseforpretnie idd un m otpmySn ehcshicyspd nu- snetla a t S en lle tu ka end mu ,en hcie er B n ürt fneumrtsnsIellovtres wlt aneid n ehcshicys t p u zt iebranemma z nemeDi ebn -dna eh B erd dna su e tfärkhca r F
05.8F5H C / ) T T)A 0 ( (A 3,6 4
o o eB ah ucA 5 -3 9NBSI
Schwerpunkt Zukunft des Gesundheitswesens
Wir leben in bewegten Zeiten. Viele Menschen blicken der Zukunft mit zunehmender Unsicherheit und Sorge entgegen.
Sei es aufgrund von kriegerischen Auseinandersetzungen wie der Eskalation des Nahostkonflikts infolge des terroristischen Überfalls der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 oder der Angriffskrieg, den Russland bereits seit knapp drei Jahren gegen die Ukraine führt.
Sei es aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage nach der Coronapandemie mit zunehmender Konzentration von Gesundheitskapital, Schwankungen in der Lieferbarkeit von Arzneimitteln, überlasteten Notaufnahmen und monatelangen Wartezeiten auf Facharztbesuche.
Dass es auch zukunftsweisende Lichtblicke gibt, zeigen die Autor:innen dieses Schwerpunkts.
Sie berichten über die Möglichkeit einer interprofessionellen und stadtteilnahen Gesundheitsversorgung für Patient:innen. Sie stellen innovative Arbeitszeitmodelle, digitale und technologische Lösungen sowie das neue Pflegekompetenzgesetz vor.
Drei Beiträge widmen sich zudem den Themen Praxisabgabe an eine neue Ärzt:innengeneration und Nachhaltigkeit im Krankenhaus.
40 Jahre Berufserfahrung und damit noch lange nicht am Ende
Jobsharing – ein Praxisbericht
Caroline Wolf
Arbeiten in Teilzeit wird auch im Gesundheitswesen immer attraktiver – nicht nur für Arbeitnehmer:innen. Unsere Autorin zeigt, worauf es dabei ankommt und wie das Modell in der Praxis gelingt.
Das Gesundheitswesen der Zukunft muss angesichts des anhaltenden Personalmangels zunehmend auch die persönliche Gesundheit der Mitarbeitenden in den Blick nehmen. Andernfalls verabschieden sich immer mehr hochqualifizierte Fachkräfte aus den klassischen Domänen ärztlicher und pflegerischer Tätigkeiten und suchen sich andere Wirkungsfelder, in denen sie ihre persön-
lichen Lebensziele besser mit der Arbeit vereinen können. Gesunde Arbeitsbedingungen für Mitarbeitende zu unterstützen, kommt in den letzten 20 Jahren immer mehr auch in den Krankenhäusern an. Dazu gehört die Entwicklung neuer Führungs- und Arbeitszeitmodelle.
Als ich vor über 20 Jahren Medizin studiert habe, schien es in den Krankenhäusern, in die ich während des Studiums Einblick hatte, kaum attraktive Arbeitsplätze für Frauen mit Kindern zu geben. Ich musste davon ausgehen, dass ich, wenn ich nicht nur arbeiten, sondern auch Kinder großziehen möchte, auf Dauer nicht im Krankenhaus arbeiten kann. Ärztinnen mit Kindern arbeiteten
Foto: Martin Glauser
damals in meiner Wahrnehmung überwiegend angestellt in Praxen. 2006 war ich nach diversen Verhandlungen mit dem Prüfungsamt und der Absolvierung des letzten Abschnitts meines Praktischen Jahres in Teilzeit dann auf der Suche nach meiner ersten Stelle. Als Mutter eines Kleinkinds wurde ich trotz Partner in Elternteilzeit misstrauisch beäugt und musste im Gegensatz zu kinderlosen Kolleg:innen mit ähnlich guten Studienabschlüssen eine mehrmonatige Bewerbungsphase hinter mich bringen – in heutigen Zeiten des chronischen Ärzt:innenmangels kaum noch denkbar. An einem kleinen Krankenhaus in der Pfalz konnte ich den Chefarzt einer gynäkologischen Abteilung mit chronischem Personalmangel davon überzeugen, mich (in Vollzeit) anzustellen.
Zeitenwende
Ein Wohnortwechsel zog für mich dann auch den Fachwechsel in der Fachärztinnenausbildung nach sich. Mit inzwischen zwei Kleinkindern konnte ich mir die Tätigkeit in einer kleinen Abteilung mit acht Nachtdiensten im Monat nicht mehr vorstellen. Auch die Bedingung, Vollzeit zu arbeiten, um überhaupt in den OP zu dürfen, schien mir unbegründet und unannehmbar.
In einer großen südbadischen Psychiatrie begann man jedoch bereits, sich auf die Zeichen der Zeit einzustellen und war 2008 bereit, mich in Teilzeit anzustellen. Während zu Beginn meiner Tätigkeit außer mir nur eine weitere Assistenzärztin in Teilzeit arbeitete, hat sich die Anzahl der in Teilzeit arbeitenden Ärzt:innen hier, wie auch insgesamt im Gesundheitswesen, in den letzten Jahren vervielfacht. Verändert haben sich auch die Gründe für Teilzeitarbeit. Während reduzierte Arbeitszeiten früher meistens dazu dienten, Kindererziehung und Beruf unter einen Hut zu bringen, spielen heute diverse andere Gründe eine Rolle – bis hin zum Wunsch nach „mehr Zeit für Freizeit“. Auch auf der Ebene der Oberärzt:innen ist es in unserem Haus im letzten Jahrzehnt selbstverständlich geworden, dass die Tätigkeit in Teilzeit ausgeübt werden kann.
Verantwortungsvolles Arbeiten
Da meine inzwischen drei Kinder nicht ganz so schnell erwachsen wurden, wie sich meine berufliche Karriere entwickelte, stellte sich mir schließlich die Frage, ob
es eigentlich möglich wäre, in Teilzeit Chefärztin zu werden. Dabei stolperte ich über das Wort „Jobsharing“. In Arztpraxen werden solche Modelle schon seit vielen Jahren ohne viel Aufhebens umgesetzt und es gibt insbesondere im Rahmen von sogenannten Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) auch schon länger JobsharingModelle. Aber kann das auch im Krankenhaus funktionieren? Just als mich diese Frage zu beschäftigten begann, kam eine neue oberärztliche Kollegin (ebenfalls in Teilzeitbeschäftigung) in die Abteilung und es ergab sich, dass wir uns bald gemeinsam der Thematik widmeten.
Unsere Wahrnehmung ist, dass die Arbeitswelt und die Familienmodelle sich geändert haben. Insbesondere das Konzept, dass eine Person eine anspruchsvolle Tätigkeit in Vollzeit ausübt und eine andere ihr den Rücken freihält, kommt zunehmend an seine Grenzen. Es wird immer häufiger für alle Geschlechter interessant, im Beruf Verantwortung und Führungsaufgaben zu übernehmen, obwohl weitere Lebensaufgaben wie beispielsweise Kindererziehung, ehrenamtliches Engagement oder Pflege älterer Familienmitglieder zu bewältigen sind.
Je mehr wir uns damit befasst haben, desto plausibler schien uns das Konzept. Jobsharing ermöglicht, Verantwortung auf mehr als zwei Schultern zu tragen und organisatorische Aufgaben zu verteilen. Gleichzeitig ermöglicht es auch, die Last der Verantwortung nicht immer mit nach Hause zur Familie zu nehmen. Das Modell schützt die eigene Gesundheit, indem trotz verantwortungsvoller Tätigkeit durch zuverlässige Vertretung Erholungsphasen gesichert sind. Gleichzeitig verspricht es dem Arbeitgeber zufriedenere und leistungsfähigere Mitarbeitende.
Gemeinsam das Fundament legen In der Vorbereitung unserer gemeinsamen Bewerbung haben wir uns mit mehreren ärztlichen Kolleginnen ausgetauscht, die bereits Chefärztinnen im Jobsharing sind oder sich einen Lehrstuhl an einer Universität teilen. Dabei wurden folgende Punkte als grundsätzliche Voraussetzungen deutlich:
1. Der Arbeitgeber muss es akzeptieren Die Vorteile des neuen Arbeitsmodells müssen dem Arbeitgeber deutlich gemacht werden. Zwei Bewerber:innen können beispielsweise gemeinsam schon 40
Jahre Berufserfahrung mitbringen und trotzdem noch genauso viele vor sich haben. Zwei Personen bringen automatisch mehr Führungswissen und höhere Qualität sowie mehr Innovationspotenzial mit als eine alleine. In der jeweiligen Abteilung können durchgehend verantwortlich Entscheidungen getroffen werden, die lästige Vertretungssuche entfällt.
2. Vertrauen als Grundlage
Wichtigste Grundlage von Jobsharing-Partner:innen ist Vertrauen. Es gilt, im Vorfeld einer solchen Bewerbung intensiv zu prüfen, ob die Arbeitsweise zueinander passt. Vorteile und mögliche Nachteile der geteilten Position sollten transparent besprochen werden. Die Beteiligten sollten sich auch nicht dafür zu schade sein, gegebenenfalls gemeinsames Coaching oder Supervision zu nutzen.
„Eine zweite Person bringt in aller Regel zusätzliche relevante Aspekte ein. Zwei Gehirne, die sich gut verstehen, denken produktiver als eins – und durch das VierAugen-Prinzip können Fehler reduziert werden. Das Innovationspotenzial steigt.“
3. Gleiche Haltung in grundsätzlichen Fragen Es hilft ungemein, wenn Arbeitshaltung und Werteverständnis der JobsharingPartner:innen kongruent sind.
4. Klare Zuständigkeiten
Es hat sich bewährt, in bestimmten Bereichen klare Zuständigkeiten festzulegen und diese Verteilung im Laufe der Tätigkeit auch immer wieder zu evaluieren. Für
manche Projekte kann es sinnvoll sein, unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen. Von allen befragten Frauen, die bereits im Jobsharing arbeiten, erhielten wir die Empfehlung, insbesondere über Personalfragen und Finanzen gemeinsam zu entscheiden.
5. Regelmäßige Abstimmung
Kolleg:innen im Jobsharing sind gut darin beraten, für sich einen Rahmen zu finden, der regelmäßige Abstimmung ermöglicht. Das können unter anderem feste Besprechungstermine sein, gemeinsam genutzte Ordner auf dem Klinikrechner, in denen abgelegt wird, was beide betrifft, und auch die Angewohnheit, in oder nach Besprechungen mit dritten Personen ein kurzes Protokoll anzufertigen. Auch ein gemeinsam genutztes Büro kann hilfreich sein, um Wege zu verkürzen und Zeit zu sparen.
6. Verbesserte Außendarstellung der Klinik
Innovative Konzepte wie Jobsharing und flexible Teilzeitangebote helfen der jeweiligen Klinik, sich als moderne Arbeitgeberin auf einem umkämpften Markt zu präsentieren.
Schulter an Schulter
Offenbar hatten wir die richtigen Argumente. In Südbaden hat man 2023 die Zeichen der Zeit erkannt und es ist meiner Kollegin und mir gelungen, unseren Arbeitgeber von dem Modell zu überzeugen Im Dezember 2023 konnte ich gemeinsam mit meiner Kollegin die chefärztliche Leitung der Klinik für Alterspsychiatrie am ZfP Reichenau übernehmen.
Welche Erfahrungen haben wir seither gemacht? Von der Belegschaft wurde das Modell positiv und offen aufgenommen. Mitarbeitende aller Bereiche schätzen, dass immer eine Ansprechpartnerin der Klinikleitung anwesend ist und auch in Urlaubszeiten dringliche Anliegen vorgetragen und geklärt werden können.
Das grundsätzliche Vertrauen in die chefärztliche Kollegin führt dazu, dass Urlaubs- und Abwesenheitszeiten trotz verantwortlicher Position zu echter Erholung genutzt werden können. Diesen Vorteil bemerken nicht nur wir, sondern auch unsere Familien. Der chefärztliche Gegenpart hält derweil den Rücken frei.
Die Möglichkeit, fachliche Fragen mit einer auf der gleichen Ebene verantwortlichen Person diskutieren zu können, führt in schwierigen Situationen mitunter zu
schnelleren und besser begründeten Entscheidungen. Eine zweite Person bringt in aller Regel zusätzliche relevante Aspekte ein. Zwei Gehirne, die sich gut verstehen, denken produktiver als eins – und durch das Vier-Augen-Prinzip können Fehler reduziert werden. Das Innovationspotenzial steigt.
Tragfähig und zukunftsweisend Schriftliches Protokollieren während Sitzungen hilft dabei, Abstimmungszeiten zu verkürzen. Bei den meisten Besprechungen ist es daher ausreichend, wenn nur eine von beiden Chefärztinnen teilnimmt. Bisher konnten keine relevanten Wissens- oder Kommunikationsdefizite festgestellt werden und es entlastet ungemein, die Teilnahme an Besprechungen in dringenden Fällen auch flexibel gestalten zu können (zum Beispiel, wenn das Kind krank ist und von der Schule abgeholt werden muss), weil die Vertretung verfügbar ist.
Für uns hat es sich auch als gangbares Modell erwiesen, zwar zwei Büros zu behalten, jedoch hauptsächlich eines gemeinsam zu nutzen und in den zweiten Raum auszuweichen, falls bestimmte Tätigkeiten ungestörtes Arbeiten erfordern. Was sind nun die größten Herausforderungen bei der Tätigkeit im Jobsharing? Im Grunde ist es ähnlich wie auch in privaten Beziehungen. Man darf sich nicht durch Vorurteile oder überkommene Gewohnheiten vom Weg abbringen lassen und sollte das gemeinsame Ziel immer wieder im Gespräch nachjustieren. Offene, vertrauensvolle und respektvolle Kommunikation ist die wichtigste Basis für die Zusammenarbeit.
Was stimmt Sie optimistisch?
„Dass ich mit so vielen motivierten Menschen zusammenarbeiten darf!“
Caroline Wolf ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit Schwerpunkt Gerontopsychiatrie und Palliativmedizin. c.wolf @zfp-reichenau.de
„Pflegende nachhaltig entlasten“
Ein Gespräch mit Sandra Strube-Lahmann
Tragbare Roboter oder Maschinen können Bewegungen ihrer Träger unterstützen und damit zu mehr Sicherheit im Arbeitsalltag beitragen. An der Charité in Berlin untersucht eine Studie den Einsatz von sogenannten Exoskeletten in der Pflege. Wir haben mit Dr. Sandra Strube-Lahmann über die Chancen und Grenzen dieser neuen Technologie gesprochen.
Liebe Frau Strube-Lahmann, klären Sie uns auf: Was sind Exoskelette und welche praktischen Anwendungsarten gibt es für sie?
Sandra Strube-Lahmann: Exoskelette sind außerhalb des Körpers angebrachte Stützvorrichtungen. Sie können in passive und aktive Exoskelette unterteilt werden. Dabei liegt unser Fokus auf einem aktiven Exoskelett (Apogee der Firma German Bionic – Kooperationspartner im Projekt), welches wir im Rahmen eines Forschungsprojektes auf Usability, Akzeptanz und Effektivität im Feld testen. Bei diesem handelt es sich um ein an die Pflegeund Gesundheitsversorgung adaptiertes, aktives Exoskelett. Das bedeutet, dass das Gerät die Nutzenden aktiv beim Heben, Gehen und über durch den sogenannten statischen Modus bei Tätigkeiten in vorgebeugter Haltung oder anderen „Zwangshaltungen“ unterstützt.
Lagerung, allgemeine Hebe- und Tragevorgänge in den unterschiedlichen Bereichen der Gesundheitsversorgung (beispielsweise Transportdienst), aber auch im Operationssaal könnten Exoskelette breite Anwendung finden.
Im Gegensatz zu passiven Exoskeletten, bei denen zunächst eigene Kraft aufgewendet werden muss, handelt es sich bei aktiven Exoskeletten um tragbare Robotik-Systeme, sensibel und flexibel auf die jeweiligen Bedürfnisse im Alltag der Pflege- und Gesundheitsversorgung angepasst. Sie bieten aktive Unterstützung, im Grunde Extra-Power und stellen „Kraft“ zur Verfügung. Dadurch sorgen sie für eine positive Energiebilanz, weniger Ermüdungserscheinungen und messbare Arbeitssicherheit. Sensoren erfassen die Bewegungsabläufe der Nutzenden und unterstützen oder verstärken sie aktiv bei jeder Hebebewegung, mit einer Gewichtskompensation von bis zu 36 Kilogramm. Insbesondere für den Transfer, die Positionierung und
Wie ist der praktische Einsatz der Exoskelette bereits heute gewährleistet und wo können Sie sich den Einsatz von Exoskeletten in Zukunft vorstellen?
Primär im Bereich der Logistik werden die Exoskelette bereits seit einigen Jahren erfolgreich eingesetzt. Zunehmend finden diese auch Eingang in die Pflege- und Gesundheitsversorgung. Ziel unseres ersten Forschungsprojektes war es, das ursprünglich für Logistik und Industrie konzipierte E-Exoskelett so zu adaptieren, dass es das Pflegepersonal im Arbeitsalltag dynamisch unterstützt. Nun gehen wir, wie schon erwähnt, in die zweite Phase und wollen das optimierte, aktive, vernetzte und KI-unterstützte Exoskelett testen. Dieses ist bereits in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen im Einsatz.
Foto: picture alliance/dpa | Rolf Vennenbernd
Meine Vision ist, dass auch Pflegende und andere Professionen des Gesundheitssektors von diesen technologischen Innovationen profitieren können und im Rahmen ihrer wertvollen Arbeit am Menschen aktiv und nachhaltig entlastet werden. Pflegende und andere im Gesundheitswesen tätige Personen sind täglich großen körperlichen Anstrengungen und Belastungen ausgesetzt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es nicht nur die „vielen Kilometer“ sind, die täglich auf den Stationen zurückgelegt werden, sondern vor allem die rückenbelastenden Hebe-, Senk-, Halte- und Rotationsbewegungen, die die Tätigkeit körperlich so anstrengend machen.
„Gerade die älteren pflegebedürftigen Menschen stehen
dieser technologischen Innovation offen gegenüber
und sehen eher
den Nutzen für alle Beteiligten.“
Aktuelle Zahlen zeigen, dass vor allem Pflegende an Muskel- und Skeletterkrankungen, im Besonderen chronischen Rückenerkrankungen leiden. Wenn Innovationen, die schnell und unkompliziert aktive Unterstützung bereitstellen, zur Verfügung stehen und dadurch die Belastungen der Kolleg:innen in der direkten Versorgungkonsequent und nachhaltig verringert werden, kann dies dazu beitragen, den Beruf attraktiver zu machen. Die Praxis hat gezeigt: Wichtige Use Cases für den Einsatz von Exoskeletten liegen in der Mobilisierung von Patient:innen – das Heben, Bewegen und Transferieren pflegebedürftiger Menschen aus Betten in Rollstühle und umgekehrt, Hilfe bei medizinischen Untersuchungen, das Anheben beim Waschen und Umziehen, das Umlagern von immobilen Pflegebedürftigen oder Hilfe dabei, sie in eine aufrechte oder bequemere Position zu bringen.
Ein weiterer Use Case ist der statische Halt. Wenn Pflegende in vorgebeugter Haltung arbeiten (beispielsweise bei lang andauernden Verbandswechseln), führen solche Zwangshaltungen häufig zu Schmerzen. Hier kann das Exoskelett mit dem sogenannten Gegenkraft-Modus ermöglichen, ohne eigenen Kraftaufwand über einen langen Zeitraum eine vorgebeugte Haltung einzunehmen. Im Rahmen unseres Forschungsprojektes wurde insbesondere der statische Modus von den Kolleg:innen aus der Praxis besonders positiv bewertet.
Glauben Sie nicht, dass zu pflegende Menschen irritiert reagieren, wenn Pflegekräfte im Grunde wie Roboter aussehen?
Wir haben bisher die Erfahrung gemacht, dass gerade die älteren pflegebedürftigen Menschen dieser technologischen Innovation offen gegenüberstehen und eher den Nutzen für alle Beteiligten sehen. Im Rahmen unserer Untersuchung sind die Bedürfnisse der zu pflegenden Menschen in die Entwicklung des adaptierten Exoskeletts eingeflossen. So wurden beispielsweise Haltegriffe angebracht, an denen sich pflegebedürftige Menschen bei der Mobilisation festhalten können, um den Prozess zusätzlich zu vereinfachen und sicherer zu gestalten. Insgesamt ähneln Pflegende nicht wirklich Robotern, wenn sie ein Exoskelett einsetzen. Es steht vielmehr der Mensch im Mensch-Maschine-System mit Exoskelett im Vordergrund, die verbale und nonverbale Kommunikation wird nicht beeinträchtigt.
Bei der digitalen Infrastruktur hängt Deutschland bereits seit Jahren hinterher. Nicht alle sozialen Einrichtungen verfügen über einen stabilen kabellosen Internetzugang. Braucht das Exoskelett einen solchen?
Nein, die Exoskelette funktionieren ohne WLAN und können daher unabhängig von der vorhandenen Infrastruktur in jedem Pflegesetting eingesetzt werden. Lediglich für regelmäßige Updates muss eine Internetverbindung vorgehalten werden.
Findet Künstliche Intelligenz (KI) beim Exoskelett Anwendung?
Ja, KI findet bei aktiven Exoskeletten Anwendung. Sensorbasierte Daten werden ausgewertet und durch Algorithmen präzisiert, um eine optimale und individuelle Unterstützungsleistung für die Nutzenden zu gewährleisten.
Liegen Ihnen Studien vor, inwiefern Exoskelette das gesundheitliche Wohlbefinden der Träger:innen beeinflusst?
Das Tragen von Exoskeletten wurde in mehreren Studien untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die berufliche Nutzung von rückenunterstützenden Exoskeletten die Aktivität der Rumpfstreckmuskulatur im Vergleich zur Nutzung ohne Ausrüstung reduzieren kann. Allerdings muss u. a. die langfristige Wirksamkeit von Exoskeletten zur Reduzierung von Rückenbelastungen und der Vermeidung chronischer Rückenerkrankungen unter realen Bedingungen untersucht werden.
Welche Kosten kommen auf Einrichtungen zu, die sich entscheiden, mit Exoskeletten zu arbeiten?
Dies hängt von der Anzahl der Exoskelette ab, die in den Kliniken und auf den einzelnen Stationen vorgehalten werden sollen. Es wird davon ausgegangen, dass die Exoskelette nicht während des gesamten Dienstes getragen werden, sondern bei Bedarf im Rahmen bestimmter Tätigkeiten.Dabei können Exoskelette auch von mehreren Personen gemeinsam genutzt werden.
Ein Klinikverbund in Bayern hat kürzlich zehn Exoskelette im Wert von 150.000 Euro erworben und plant zukünftig weitere zehn Skelette für jeden der vier Klinikstandorte im Landkreis Rosenheim zur Verfügung zu stellen.
Mit welcher Abnutzungsdauer kalkulieren Sie für ein Exoskelett? Lassen sich die Akkus unkompliziert tauschen?
Die Akkusysteme funktionieren mit einem einfachen Klicksystem und sind hierüber schnell autauschbar. Sie können in einem Batterieladegerät zügig aufgeladen werden. Alle textilen Teile (Gurtsystem) können ebenfalls unkompliziert und schnell ausgetauscht werden und unterliegen dem normalen Verschleiß durch das Tragen und Waschen. Die tatsächliche Abnutzung wird sich im Rahmen der kontinuierlichen Anwendung zeigen und geht selbstverständlich mit der Anwendungshäufigkeit einher. Allerdings ist das Gerät selbst äußerst robust – es kommt ursprünglich aus dem Bereich der Logistik. Dort sind die Geräte besonders starken Belastungen ausgesetzt, denen sie standhalten müssen.
Ist es denkbar, dass Exoskelette den gegenteiligen Effekt von dem bewirken, was sie eigent-
lich leisten sollten? Indem sie beispielsweise bei denjenigen, die sie verwenden, Gewöhnungseffekte hervorrufen, sodass diese im Grunde von der Nutzung der Exoskelette abhängig werden?
Dies war nicht Gegenstand unserer Untersuchungen. Allerdings geht es bei der Anwendung des Gerätes unbedingt darum, dass sich die Nutzenden an das Gerät „gewöhnen“. Nur so kann das Exoskelett zielgerichtet und effektiv eingesetzt werden. Dabei wird das Gerät auf die nutzende Person eingestellt (jede:r Nutzende hat eine eigene PIN). Dabei vermeidet es auch rückenschädigende Bewegungen, indem es Rotationsbewegungen nur in begrenztem Maße zulässt. Die Unterstützungsleistung stellt jede:r Nutzende selbst ein und ist immer abhängig von den Eigenbewegungen der Anwender:innen.
Die Individualität der jeweiligen Pflegesituation erfordert individuelle Lösungen, bei denen das Exoskelett helfen kann. Ein Habituationsaspekt ist vor allem in Form der Gewöhnung an das Gerät notwendig. Mensch und Maschine müssen zu einer Einheit werden, um die größtmöglichen Synergien nutzen zu können. Ein negativer Gewöhnungseffekt oder gar eine Abhängigkeit wurde, etwa im Bereich der Logistik, mit jahrelanger Erfahrung mit Exoskeletten, bisher nicht diskutiert.
Können Sie sich den Einsatz im Privatbereich vorstellen? Ich denke beispielsweise an schwangere Mütter mit kleinen Kindern, die – trotz ärztlichem Abraten – im Alltag gar nicht anders können, als das kleine Kind zu heben oder zu tragen. Auch die private Pflege im häuslichen Bereich ist ein denkbarer Einsatzort.
Ich kann mir mehrere Anwendungsfelder vorstellen. Einerseits denkbar ist der Ein-
satz in der ambulanten Versorgung und damit eine Erleichterung der pflegerischen Versorgung in der eigenen Häuslichkeit. Andererseits kann ich mir vorstellen, dass aktive Exoskelette auch von Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf selbst eingesetzt werden können. Hier denke ich insbesondere an Menschen, die beispielsweise von neurologischen Einschränkungen betroffen sind und denen Exoskelette als Aktivierungs-, Aufsteh- oder Laufunterstützung zur Verfügung stehen.
Insgesamt wollen wir den Wissenstransfer im Rahmen der Digitalisierung über die Sektorengrenzen hinaus vorantreiben und den Einsatz technologischer Innovationen im ambulanten Setting und damit der häuslichen Versorgung aktiv fördern. Wir wissen, dass Pflege nicht nur im Krankenhaus, sondern überwiegend ambulant, meist in der eigenen Häuslichkeit, stattfindet. Dieser Bereich sollte natürlich genauso von den aktuellen Entwicklungen profitieren. Vielleicht sind Exoskelette im häuslichen Kontext angesichts der dort vorherrschenden Pflegesituationen und Bedingungen sogar noch wichtiger, um die pflegerische Versorgung und den Pflegealltag zu meistern.
Besteht aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass durch den Einsatz von Exoskeletten Arbeitsplätze abgebaut werden, weil die Arbeit nun von weniger Personal in der gleichen Zeit erledigt werden kann?
Nein, das an die Pflege adaptierte Exoskelett soll bei Pflegehandlungen unterstützen. Im Fokus der Pflegenden steht immer die pflegebedürftige Person mit ihren Bedürfnissen und Bedarfen. Stellt man sich also beispielsweise vor, einer multimorbiden Person oder einer frisch operierten Person aus einem Stuhl zu helfen, so richtet
sich die Unterstützungsleistung der pflegenden Person nach dem individuellen Bewegungstempo der pflegebedürftigen Person. Eine Zeitersparnis durch das Exoskelett kann hier also nicht gegeben sein, wohl aber eine muskuläre Entlastung der pflegenden Person und damit eine Prävention in Bezug auf mögliche Rückenleiden. Die Unterstützung der Pflegenden durch technologische Innovationen muss langfristig gedacht werden. Es sollen bestimmte Prozesse vereinfacht werden, was einen positiven Nutzen erwarten lässt. Insgesamt wird hier auch ein gesamtgesellschaftlicher Nutzen adressiert. Wenn das Exoskelett nachhaltig entlastet, entlastet es Pflegende. Und wir alle brauchen Pflege. Morgen mehr als heute.
Das Gespräch führte Florian Grundei.
Was stimmt Sie optimistisch?
„Dass technologische Innovationen im Rahmen der Digitalisierung den Weg in die Gesellschaft altersübergreifend finden und nicht nur bei den jüngeren Generationen, denn: Laut der neuesten Berliner Sozialstudie von 2024 benutzen über 80 % der Berlinerinnen und Berliner über 65 Jahre das Smartphone und das Internet. Das wiederum ist eine wichtige Voraussetzung, um kompetent für die digitalen Lösungen im Kontext der Gesundheitsversorgung (Gesundheits-Apps, Telebasierte Versorgung, Internetsprechstunden etc.) zu werden.“
Dr. Sandra Strube-Lahmann ist Leiterin der AG Pflegeforschung Forschungsgruppe Geriatrie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. 30 450 529 065 sandra.strubelahmann@charite.de
KURZFORTBILDUNGEN 2025
Bestelladresse
Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. Zeltinger Str. 9 | 50969 Köln Tel.: (0221) 51 10 02 info@dgsp-ev.de www.dgsp-ev.de
Interprofessionelle
Versorgung für den Kiez: das Geko StadtteilGesundheits-Zentrum Neukölln
Eine andere Gesundheitsversorgung
Gesine Knauer und Franziska Paul
Im Geko Stadtteil-Gesundheits-Zentrum Neukölln wird die Gesundheitsversorgung mehrdimensional und interprofessionell angegangen. Unsere Autorinnen berichten von der Arbeit vor Ort.
Berlin-Neukölln. In der Stadtteilpraxis wird Frau Kara* wegen Migräne und Schlaflosigkeit untersucht. Wegen akuter Überforderung wünscht sie sich eine Krankschreibung. Sie macht sich Sorgen um den Entwicklungsstand ihres jüngsten Kindes, aber ihre Kinderarztpraxis ist in einen anderen Bezirk gezogen. Zuhause ziehen sich Bauarbeiten in ihrem Wohnblock schon seit Monaten hin. Sie und ihre Nachbar*innen müssen schon seit Wochen auf Sanitärcontainer ausweichen, die auf dem Platz vor ihrem Haus aufgestellt wurden. Beim Jobcenter muss sie einen Antrag zum Aufstocken einreichen, weil das Einkommen zur Versorgung ihrer Familie wegen der Inflation nicht mehr ausreicht.
Armut macht krank. Krankheit macht arm.
Gesundheit hängt nicht nur von individueller Veranlagung und individuellem Verhalten ab. Die sozialen Verhältnisse, in denen Menschen leben, tragen einen wesentlichen Teil zu psychischen und körperlichen Erkrankungen bei. Menschen, die armutserfahren, von Diskriminierung betroffen sind
oder in schlechteren Wohnlagen leben, werden häufiger krank und sterben früher. Gleichzeitig werden viele Menschen, die sozial und gesundheitlich benachteiligt sind, von vielen Angeboten der Gesundheitsversorgung nicht erreicht oder sogar ausgeschlossen.
Vor zehn Jahren hat sich das Gesundheitskollektiv Berlin gegründet, um diesem Problem Rechnung zu tragen. Nach jahrelanger ehrenamtlicher Aufbauarbeit wurde 2022 das Geko Stadtteil-Gesundheits-Zentrum Neukölln eröffnet. Das Besondere ist: es gibt dort – anders als in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) – nicht nur medizinische Berufsgruppen. Neben einer Praxis für Allgemeinmedizin und einer Praxis für Kinderund Jugendmedizin, bieten wir Psychotherapie, Sozialberatung, psychologische Beratung, Familienberatung, Gesundheits- und Pflegeberatung, ein Café mit Gruppenraum und verschiedene Gesundheitsförderungsprojekte im Stadtteil an.
Es gibt keine falsche Tür So kann Frau Kara rundum versorgt werden. Ihr Kind kann gleich nebenan in der Kinderpraxis angedockt werden, für ausführliche Fragen und weiteren Unterstützungsbedarf ist die Gesundheitsberatung da. Die Sozialarbeiterin berät Frau Kara beim Ausfüllen der Anträge. Praxis-Mitarbeitende können mit Zugriff auf die Beratungskalender
che Café ist ein Ort zum Ankommen und Verweilen. Das Café-Team hat immer ein offenes Ohr für die Themen, die Menschen aus dem Stadtteil beschäftigen. Was wie ein Small Talk wirkt, kann manchmal schon eine niedrigschwellige Erstberatung sein. Im Café und im angrenzenden Gruppenraum finden verschiedene Gruppenangebote und Veranstaltungen statt. Hier kommen Nachba-r*innen zusammen und tauschen sich aus, etwa in Kreativgruppen, beim Sprachcafé oder beim Stammtisch für Schwarze Menschen. Hier finden selbstorganisierte Gruppen (wie beispielsweise Selbsthilfegruppen) einen Raum und organisatorische Unterstützung. Im Sinne der Idee von Teilhabe durch Mitarbeit ist auch eine ehrenamtliche Beschäftigung im Café niedrigschwellig möglich. Im Gespräch überlegt Frau Kara gemeinsam mit einer Mitarbeiterin, ob ihre älteste Tochter hier ein Schulpraktikum machen könnte.
Mit einer mobilen Gesundheitsberatung sind wir etwa in der Stadtteilbibliothek, beim Elternfrühstück in der Grundschule oder auf öffentlichen Plätzen. Regelmäßig kommen Berater*innen und Ärzt*innen aus dem Zentrum mit. Sie geben Input, beantworten Fragen und hören gleichzeitig die Bedarfe und Probleme im Stadtteil. Mit dem Raum für gemeinsamen Austausch sollen auch Selbsthilfe und Empowerment gefördert werden. Menschen mit ähnlichen Anliegen können sich im Geko zusammenschließen, um sich gegenseitig zu stärken. So organisieren sich Frau Kara und ihre Nachbar*innen mittlerweile im „Kiezrat Rollberg“ für bessere Mietbedingungen.
direkt Termine vereinbaren oder eine betroffene Person eine Tür weiterschicken. Das Prinzip „alle Türen sind offen“ und die direkte Weitervermittlung ist deutlich niedrigschwelliger als ein Flyer mit einer Telefonnummer. Entscheidend ist auch: Bei Bedarf tauschen sich die Beteiligten untereinander aus und besprechen gemeinsam das weitere Vorgehen für die Behandlung und Beratung.
Nach ihrem Termin trinkt Frau Kara nocheinen Kaffee in der Café-Praxis im Erdgeschoss des Zentrums und informiert sich über weitere Angebote. Das gemütli-
Das Zentrum in den Stadtteil bringen Die Café-Praxis ist der Ort, um Menschen ins Zentrum zu holen und einzubinden. Ebenso wichtig ist uns, raus in den Stadtteil zu gehen, an die Orte, wo Menschen leben, spielen und arbeiten. Wir bieten dort Beratung und Prävention an und nutzen die Begegnungen, um Vertrauen aufzubauen und zu erfahren, was die Menschen im Kiez beschäftigt. Das Geko-Team für Gemeinwesenarbeit ist auf Spielplätzen, bei Kiez-Festen und in verschiedenen Einrichtungen präsent und so kontinuierlich in Kontakt mit den Bewohner*innen. Sie bilden eine Brücke vom Stadtteil ins Zentrum und reduzieren Barrieren zur Inanspruchnahme der Angebote.
In Sportprojekten sind Trainer in Begleitung einer Gesundheitsberaterin regelmäßig an öffentlichen Orten im Kiez oder in Jugendzentren anwesend. Anders als im Vereinssport gibt es dabei kaum Zugangsbarrieren. Es gibt keine feste Start- und Endzeit, kein vorgegebenes Programm und keine immer gleiche Gruppe. Die Kinder und Jugendlichen können mitmachen, bei was und wie lange sie möchten und die Trainer passen sich an ihre Bedürfnisse an. Mal wird Fußball gespielt, mal geboxt oder auch einfach der Schultag besprochen. Die Trainer sind im persönlichen Austausch, kennen die Familien und helfen bei Problemen. Die Beraterin beantwortet gesundheitsbezogene Fragestellungen direkt vor Ort und führt entlastende Gespräche. Bei größeren Unterstützungsbedarfen vermittelt das Team in weiterführende Angebote oder bespricht Einzelfälle mit den Kolleg*innen im Geko StadtteilGesundheits-Zentrum.
Interprofessionelle Zusammenarbeit als Kollektiv
Mit der engen Verzahnung der verschiedenen Bereiche und Berufsgruppen setzen wir nicht nur auf Niedrigschwelligkeit. Die interprofessionelle Zusammenarbeit ermöglicht uns eine bessere, abgestimmte und bedarfsgerechte Versorgung – unter Berücksichtigung der sozialen Determinanten von Gesundheit.
Für den interprofessionellen Austausch gibt es unterschiedliche Formate. Informelle Tür- und Angelgespräche im gemeinsamen Personalraum werden um das wöchentlich stattfindende „Koordinationscafé“ ergänzt. Hier kommen alle Mitarbeitenden zusammen, um sich kurz gezielt zu aktuellen Themen und Fragen auszutauschen: Wann kann der Trainer ein Kind mit Neurodermitis zur Kinderpraxis schicken? Hat die Psychologin einen Tipp für eine belastete Person aus der Kreativgruppe? Darüber hinaus gibt es bilaterale Gespräche, etwa um eine Rückmeldung zu einer übermittelten Person zu geben oder den gemeinsamen Hausbesuch von Ärztin und Pflegeberaterin vorzubereiten. Komplexere Fälle werden in regelmäßig stattfindenden Fallbesprechungen eingebracht, in denen alle Beteiligten Informationen austauschen und das weitere Vorgehen miteinander koordinieren. So wird etwa vermieden, dass eine Person unterschiedliche Informationen bekommt oder durch ein Zuviel an Maßnahmen überfordert wird.
Als selbstverwaltetes Kollektiv gibt es keine*n Chef*in. Vieles der internen Organisation wird in zweiwöchentlichen Delegierten-Treffen besprochen und entschieden; in regelmäßigen Klausurtagen erarbeiten wir Grundlagen und Konzepte. Hierbei, wie auch bei der interprofessionellen Zusammenarbeit, ist es uns wichtig, die im Gesundheitssystem stark ausgeprägten Hierarchien zu hinterfragen und zu reflektieren und eine Augenhöhe zwischen den verschiedenen Berufsgruppen herzustellen.
Neue Wege und Modelle der Versorgung Mittel- bis langfristig brauchen wir eine andere Finanzierung und neue Gesetze für die Art der Versorgung, die wir anbieten. Schon allein eine passende Rechtsform fehlt für unsere Form der interprofessionellen, gemeinwohlorientierten und selbstverwalteten Gesundheitsversorgung. Die
beiden Praxen, die Kinder- und Jugendpsychotherapie und der gemeinnützige Verein funktionieren als vier rechtlich getrennte Einheiten. Die Abrechnungslogik der Krankenkassen zwingt die Praxen zu einer Arbeit unter ökonomischen Gesichtspunkten. Es fehlt Zeit für komplexe Fälle, Zeit für gemeinsame Entscheidungsfindung mit den Patient*innen, Zeit für interprofessionellen Austausch und Fallbesprechungen sowie für kollektive Selbstverwaltung. Auch Maßnahmen zur Reduktion von Barrieren, etwa durch Sprachmittlung, können nicht abgerechnet werden. Es gibt keinen Spielraum für solidarische Löhne, die die Kluft zwischen Ärzt*innen und nichtärztlichen Berufsgruppen angleichen. Der gemeinnützige Verein, der die Beratungsangebote, die Café-Praxis und die Stadtteilarbeit trägt, muss immer wieder neu befristete Fördermittel beantragen. Damit ist er einer Logik unterworfen, die zu einem Projekt- und Innovationszwang führt, statt zu einer nachhaltigen, bedarfsorientierten Arbeit. Um unabhängiger von befristeten und projektbezogenen Fördermitteln und parteipolitischer Gunst zu werden, suchen wir daher dringend nach Unterstützung durch Fördermitgliedschaften!
Ein, zwei, drei, viele solidarische Gesundheitszentren!
Unser Ziel ist es, Stadtteil-GesundheitsZentren als festen Bestandteil der Gesundheitsversorgung und Daseinsfürsorge zu verankern – überall und nicht nur in Neukölln. Damit sind wir nicht allein. Wir sind vernetzt mit vielen weiteren Initiativen, die solidarische Gesundheits-Zentren gründen wollen. Mit ihnen haben wir 2023 das „Poliklinik-Syndikat“ als Dachverband solidarischer Gesundheits-Zentren gegründet. Mittlerweile sind Gruppen aus acht verschiedenen Städten Mitglied, weitere sieben sind Mitgliedschaftsanwärterinnen. Das Poliklinik-Syndikat unterstützt Gründungsinitiativen im Aufbau und ermöglicht Austausch und Vernetzung der verschiedenen Ortsgruppen. Als PoliklinikSyndikat können wir zudem als bundesweiter politischer Akteur handeln, um neue Gesetze und Förderprogramme voranzutreiben.
Eine Möglichkeit ist das aktuell im Bundesministerium für Gesundheit diskutierte „Gesundheits-Versorgungs-StärkungsGesetz“ (GVSG). In einem ersten Entwurf wurden dort Stadtteil-Gesundheits-Zen-
tren als sogenannte „Primärversorgungszentren“ angedacht, im aktuellen Gesetzentwurf aber wieder gestrichen. Wir machen uns mit Lobby- und Überzeugungsarbeit stark für eine Wiederaufnahme in das Gesetz.
Auch die krankenkassenbasierte Finanzierung muss sich ändern. Für eine langfristige Perspektive haben wir zusammen mit unserem Schwesternprojekt „Poliklinik Veddel“ in Hamburg einen Antrag beim Innovationsfonds gestellt. Durch dieses Programm des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) sollen neue Versorgungsformen getestet werden, um sie – wenn sie gut funktionieren – als festen Bestandteil in die gesetzliche Krankenversicherung aufzunehmen.
Unsere Vision ist es, den Weg zu ebnen für viele weitere solidarische, gemeinwohlorientierte, niedrigschwellige und interprofessionelle Gesundheits-Zentren. Um nicht nur die Krankheiten von Menschen wie Frau Kara zu behandeln, sondern auch die sozialen Bedingungen zu verbessern, die diese Krankheiten verursachen.
* Fiktives Beispiel basierend auf tatsächlichen Erfahrungen unserer Patient*innen und Klient*innen.
Was stimmt Sie optimistisch?
„Mich stimmt optimistisch, jeden Tag zu sehen, wie toll gesundheitliche Versorgung im interprofessionellen Team auf Augenhöhe funktioniert. Und dass das Projekt von Nutzer*innen, Entscheidungsträger*innen und uns selbst so gut angenommen wird und wir ein Vorbild für viele weitere Zentren dieser Art sind.“
Gesine Knauer ist Gesundheitswissenschaftlerin und Gesundheitsberaterin. Im Geko Stadtteil-GesundheitsZentrum Neukölln arbeitet sie in der Stadtteilarbeit und in der Praxisorganisation der kindermedizinischen Praxis. g.knauer@geko-berlin.de
„Dass sich so viele Menschen mit sehr viel Engagement und Leidenschaft für ein besseres Leben und eine solidarischere Gesellschaft einsetzen. Dass es so viele Kämpfe gibt, die sich gegen die profitorientierte Verwertung von gesellschaftlichen Bereichen einsetzen, sei es bei Gesundheit, Umwelt, Wohnen oder Energie. Dass wir mit unserem Modellprojekt viele offene Türen einrennen und eine Menge Unterstützung erhalten. Dass das vielleicht ein leises Zeichen für ein Umdenken ist.“
Franziska Paul ist Sozialwissenschaftlerin und arbeitet im Geko Stadtteil-Gesundheits-Zentrum Neukölln im Bereich Forschung und Evaluation. f.paul@geko-berlin.de
Klimakiller Gesundheitswesen
Kliniken versuchen, Treibhausgase zu reduzieren – doch meist kennen sie gar nicht ihre Emissionen
Joachim Göres
Auch das deutsche Gesundheitswesen trägt in seiner aktuellen Form zum Klimawandel bei. Unser Autor erläutert, was Kliniken verändern können, um nachhaltiger zu werden
Sechs Prozent der klimaschädlichen Treibhausgase werden in Deutschland durch das Gesundheitswesen verursacht – die mit 68 Millionen Tonnen CO2 im Jahr höher liegen als die Emissionen im Flugverkehr. Tendenz steigend. Verantwort lich dafür ist vor allem der wachsende Verbrauch von Medizinprodukten, die im Ausland hergestellt werden. Sie machen mehr als die Hälfte des Treibhausgas-Fußabdrucks des deutschen Gesundheitswesens aus. Das geht aus einer aktuellen Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung hervor, deren Ergebnisse auf einer Tagung der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e. V. sowie der Techniker Krankenkasse in diesem Jahr in Hannover präsentiert wurden. 36 Prozent der Emissionen entfallen dabei auf stationäre Einrichtungen –ein Krankenhausbett verursacht jährlich 1 430 Kilo Abfall, verbraucht 113 750 Liter Wasser und so viel Energie wie vier Einfamilienhäuser. Die auf der Tagung vorgestellten Erfahrungen zeigen, was an Ge-
genmaßnahmen möglich ist und wo die Probleme liegen.
Nachhaltige Kliniken sind möglich
Grundsätzlich gelten bei neugebauten Krankenhäusern höhere Energiestandards als bei bestehenden Gebäuden, was dem Klimaschutz zugute kommt. Die 2017 in Hannover eröffnete Sophienklinik (117 Planbetten, 200 Festangestellte) nutzt Erdwärme, betreibt eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, hat den Papierverbrauch durch Digitalisierung reduziert, bietet täglich und an einem Tag pro Woche ausschließlich vegetarisches Essen an. Sensoren registrieren für jedes Zimmer Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Sauerstoffgehalt, sodass eine Überheizung verhindert werden kann. Statt Plastik- werden Glasflaschen verwendet, bei den Reinigungsmitteln wurde auf umweltfreundliche Produkte umgestellt. Das bei der Anästhesie eingesetzte Narkosegas wird aufgefangen und recycelt, damit es nicht die Umwelt belastet.
Für Mitarbeitende gibt es günstiges Fahrradleasing, eine Station mit Luftpumpe und Werkzeug, auf dem Parkplatz befinden sich zwei E-LadeStationen. Rund um die Klinik wurde ein bienenfreundlicher Garten angelegt. „Seit 2019 haben
Das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden gilt heute als eines der nachhaltigsten Krankenhäuser in Deutschland.
wir 68 Tonnen CO2 eingespart“, sagt Jessica Stange, Nachhaltigkeitsmanagerin der Sophienklinik und fügt hinzu: „Eine Photovoltaikanlage und LED-Beleuchtung sind geplant und sollen zu weiterer Absenkung führen. Bei der Umsetzung der ganzen Maßnahmen spielt das Engagement der Klinikleitung eine große Rolle.“
Viel Luft nach oben
Die Sophienklinik gehört zu den 200 Krankenhäusern, die zusammen mit 50 RehaKliniken an dem vom Bundesumweltministerium geförderten Projekt „KLIK green“ zwischen 2019 und 2022 teilgenommen haben (siehe auch online unter www.klik-krankenhaus.de). Weitere Beispiele aus diesem Projekt: Die Uniklinik Bonn sterilisierte und recycelte nichtinfektiöse chirurgische Einweggeräte, die sonst nach einer Operation weggeschmissen werden. So konnten 80 Prozent des Materials wiederverwendet werden. Das Klinikum Brandenburg schaffte sich eine neue Bandspülmaschine an, die mit Dampf und Strom betrieben wird und mit einer Wärmerückgewinnung ausgestattet ist. So werden weniger Energie und Spülmittel verbraucht.
Insgesamt wurden in den 250 Gesundheitseinrichtungen mindestens 200 000 Tonnen CO2-Emissionen eingespart. Laut Abschlussbericht waren folgende Maßnahmen am effektivsten: Beleuchtung und Belüftung nach tatsächlichem Bedarf eingestellt (80 000 Tonnen), geringerer klimaschädlicher Stromverbrauch durch den Einsatz erneuerbarer Energien und eine effizientere Wärmeversorgung (68 000 Tonnen), weniger klimaschädliche Narkosegase eingesetzt (22 000 Tonnen) sowie eine Reduzierung der Lebensmittelreste (8 500 Tonnen). Innerhalb des Projektes wurden 187 Beschäftigte zu Klimamanager:innen für ihre Gesundheitseinrichtung fortgebildet.
Und dennoch ist für die meisten Krankenhäuser systematischer Klimaschutz ein Fremdwort. Bei einer auf der Tagung erstmals vorgestellten repräsentativen Studie des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI, zu finden unter www.dki.de/ nachrichten mit Datum 6. Februar 2024) sehen sich 18Prozent der im vergangenen Jahr befragten 386 Allgemeinkrankenhäuser (alle mit mehr als 100 Betten) bei diesem Thema ganz am Anfang, 49 Prozent bezeichnen sich als Starter. Nur 21 Prozent wissen überhaupt, wie hoch ihre CO2-Emissionen sind. Nur jedes zweite Krankenhaus
Eine ausgewogene Ernährung senkt nicht nur Gesundheitskosten, sondern rettet Leben.
erfasst seinen Verbrauch zum Beispiel bei Strom und Wasser. Je größer die Kliniken, umso größer das Engagement. Umgekehrt dürfte das bedeuten, dass Krankenhäuser mit weniger als 100 Betten noch schlechter abgeschnitten hätten.
Produktion und Lieferketten Besonders bedenklich erscheinen die Zahlen, wenn es um den Klimaschutz für die eigenen Patient:innen und Beschäftigten geht: Nur jede zweite Klinik sieht sich bei Maßnahmen zum Hitzeschutz gut aufgestellt, nur jedes dritte Krankenhaus berücksichtigt den Klimawandel in seinen Notfallplänen. Drei Hindernisse auf dem Weg zu mehr Klimaschutz werden bei der Befragung immer wieder genannt, wenn es um die Erfassung des Ist-Zustandes und die Umsetzung von Gegenmaßnahmen geht: fehlende personelle Kapazitäten, keine finanziellen Anreize und fehlende Vorgaben durch eine eindeutige Klimaschutzstrategie.
Die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) hat ihren ökologischen Fußabdruck ausgerechnet – und der ist riesig. 2022 wurden 164 000 Tonnen Kohlenstoffdioxid ausgestoßen. Ähnliche Werte erzielen andere Unikliniken wie Freiburg (144 000 Tonnen) und Heidelberg (228 000 Tonnen). Dabei hat man es an der MHH (1 200 aktive Planbetten, 27 800 Operationen, 55 000 stationäre Fälle im Jahr) geschafft, im Vergleich zu 2008 die CO2-Emissionen um 21 000 Tonnen zu senken – und das bei deutlich mehr behandelten Fällen.
„Vielfach hat der Kostendruck dazu geführt, dass sorgsamer mit Ressourcen um-
gegangen wird“, sagt André Rademacher, Beauftragter in Sachen Nachhaltigkeit der MHH. Dort arbeiten Vertreter:innen verschiedener Abteilungen im „green circle“ zusammen, um den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. So wurde das klimaschädliche Narkosegas Desfluran 2020 abgeschafft. Doch der Großteil der Treibhausgase – 145 000 Tonnen – wird nicht direkt in der Medizinischen Hochschule Hannover oder durch den Einkauf von Energie verursacht, sondern entsteht durch Lieferketten: in erster Linie durch den Bezug von Medizinprodukten und Medikamenten. Diese Aussage gilt auch für andere Krankenhäuser.
„Es muss darum gehen, dass strengere Vorschriften bei der Herstellung zu weniger Treibhausgasen führen“, sagt Dorothea Baltruks vom Berliner Centre for Planetary Health Policy, das zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen berät und forscht. Die Politologin hofft, dass entsprechende Pläne der Europäischen Union verabschiedet und umgesetzt werden. „Es ist nicht aufwändig, in Indien Filteranlagen für die Produktion von Arzneimitteln einzubauen“, betont Baltruks. Einer DKI-Studie zufolge achtet derzeit nur jedes zehnte Krankenhaus beim Einkauf von Medizintechnik und Medikamenten darauf, inwieweit Nachhaltigkeit bei der Produktion eine Rolle spielt. Laut Baltruks steht das deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich beim Ausstoß von Treibhausgasen schlecht da: „Das ist zum einen nicht überraschend, weil es in Deutschland relativ viele stationäre Aufenthalte gibt. Zugleich
ist aber das Bewusstsein für das Thema zum Beispiel in Großbritannien viel größer. Die energetische Sanierung von Kliniken wird gefördert, Klimaschutz spielt in den Stellenbeschreibungen von Klinikmanagern eine Rolle, es gibt viel mehr Anforderungen an die Hersteller von Medizinprodukten.“
Knackpunkt Ernährung
Moritz Völker, Notfallmediziner am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke und Vorsitzender von Junge Ärztinnen und Ärzte im Hartmannbund, lenkt den Blick auf einen anderen Aspekt: In Deutschland könnten pro Jahr 144 000 Todesfälle durch gesündere Ernährung vermieden werden. Weniger Konsum von Fleisch, Alkohol und Zucker würden dazu beitragen, dass Menschen erst gar nicht ärztlich behandelt werden müssten. Mehr Prävention und ein Werbeverbot seien dringend nötig.
Auch die Ergebnisse des jüngsten Berichts der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gehen in diese Richtung. Demnach entstehen in Deutschland jährlich Kosten in Höhe von 328 Milliarden Euro durch die negativen Folgen des bestehenden Agrar- und Ernährungssystems. Mehr als 70 Prozent davon entfallen auf Gesundheitskosten, insbesondere durch eine Ernährung mit hohem Fett- und Zuckergehalt sowie verarbeiteten Lebensmitteln.
Zu wenig Anreize?
Völker ist skeptisch, wenn Kliniken mit ihrem Einsatz für die Umwelt um ein gutes Image in der Öffentlichkeit und auch um neues Personal werben: „Ich war bislang an drei Krankenhäusern tätig, nirgendwo spielte das Thema Nachhaltigkeiteine Rolle. Mülltrennung funktioniert dort nicht, das ist den meisten egal. Bei den Medikamenten fehlen die Informationen über die Produktionsbedingungen, zudem haben wir nur selten eine Wahl zwischen mehreren Arzneimitteln.“
Völker beobachtet im täglichen Klinikbetrieb einen übermäßigen Verbrauch von Material wie zum Beispiel Plastikhandschuhen, der aus medizinischer Sicht nicht nötig sei und zum Müllberg beitrage. „Das Gesundheitssystem liefert falsche Anreize – es werden oft aus wirtschaftlichen und nicht aus medizinischen Gründen Untersuchungen oder Krankenfahrten veranlasst, die die Menschen und Umwelt belasten“, sagt Völker und fügt hinzu: „Eigentlich
wäre es einfach, das zu ändern, indem man andere finanzielle Anreize schafft. In der jüngeren Ärztegeneration wird nämlich nur noch das gemacht, was abgerechnet werden kann.“
Zukunftsweisende Visionen
agausrHerendfür
arPxisundAlltag
uerarl-Abei C n: achbücher für jede F
Auch die ambulante Versorgung von Patient:innen verursacht CO2-Emissionen –29 Prozent entfallen dabei auf ambulante Einrichtungen, in erster Linie auf Arztpraxen. Mit dem Qualitätssiegel „Nachhaltige Praxis“ werden Arztpraxen ausgezeichnet, die sich unter anderem zu Nachhaltigkeit in den Bereichen Mobilität, Abfall und Energieverbrauch verpflichten (zu finden unter www.praxissiegel.de). Auch die an rund 50 Kliniken vergebene Auszeichnung „Energiesparendes Krankenhaus“ des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) soll Anreize liefern, um auf diesem Feld aktiv zu werden und letztlich mit dem eigenen Engagement für die Umwelt für sich werben zu können. Doch Energie einzusparen alleine reicht nicht – derzeit wird an einer Neukonzeption gearbeitet und das Siegel nicht mehr verliehen.
Adrian Baumann, Arzt am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, hat bereits 2020 in einem Aufsatz einen ganz anderen kurzfristigen Ansatz für mehr Klimaschutz empfohlen: das Divestment im Gesundheitssektor. Zusammen mit weiteren Mitgliedern der AG Klimawandel der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin schreibt er: „Mit gemeinsam rund 450 Milliarden Euro Rücklagen verfügen die Ärztlichen Versorgungswerke sowie die Privaten Krankenkassen in Deutschland über einen der größten Hebel, klimafreundlich und zukunftssicher zu investieren.“
Der Deutsche Ärztetag hat 2021 das Ziel ausgegeben, bis zum Jahr 2030 ein klimaneutrales Gesundheitswesen zu schaffen. Baltruks: „Das ist sehr, sehr ambitioniert.“
Zum Weiterlesen: Die anfangs erwähnte Studie des Potsdam-Instituts ist zu finden unter https://kurzelinks.de/udde
98-3-8477-0 9
Was stimmt Sie optimistisch? „Nichts. Ich bedauere, Ihnen keine andere Antwort geben zu können.“
Joachim Göres
ist Diplom-Politologe und arbeitet als freier Journalist in Celle. joachim.goeres@t-online.de
innitus-Li orhandenen T v te ten Unan einen signifik a ogrr. Das P mit Hypnose usis und ak, Hyper innitusT und Behandlungsmöglic
tnisse enn eise aktuelle Erk W ermittelt auf oss ve H. RUw
·4 KtSeiten4,2,02 24 inkl.rTudio-A12 40 ür undtur ater rschied zur t mm mach Misophonie on eiten vhk zu Ursachen erständlichev 0544-2 €95, 29 .“ts machen ann man nich k innitus Te „Bei ussag widerlegt die A
h hbü F Carl-A eudeimAlltagerhaebensfrL e uvenZderungorausfHer ,eibt zusammen und beschr enn tlichen K wissenschafft asst den trin Hansch f ISB98-3-8479N:7-0
d rfür a Auer
KbrSeiten238,2,024·
eliefert! fe ei gofrtor stellt –Verlag Ve auch als en estellung - unankleiterkr on , v hrung : alten bleiben t und rsich wie bei allen tnisstand aktuellen 02-8 54 €95, 29 eit po deutschlandw be Auf uerV a tlichen Hilf en bis zu staa g on Beg, v en bis Urlaub chlafS on Diagnostik bis Ernä v eude im Alltag erha
Joachim Loch-Falge
Sorge für eine gute Gesundheitsversorgung der Zukunft zu tragen kann auch bedeuten, die eigene Praxis in gute Hände abzugeben. Unser Autor schildert damit einhergehende Überlegungen, Herausforderungen und Fallstricke.
Nach 40 Jahren ärztlicher Tätigkeit, davon über 30 Jahre in eigener Praxis, ist es naheliegend, sich mit dem Thema Praxisab/übergabe zu beschäftigen. Will man den Beratungsfirmen glauben, die sich mit dieser Materie beschäftigen, sollte man schon zehn Jahre vorher damit beginnen, den Ausstieg zu planen. Aber das wäre wohl etwas zu früh und würde Möglichkeiten von Planbarkeit völlig überschätzen, zumindest in diesen zeitlichen Dimensionen.
Den vorliegenden Artikel möchte ich in drei Teilen entwickeln: Ich werde zunächst ausgehen von meiner persönlichen Situation und den besonderen Gegebenheiten einer Praxis für Neurologie und Psychiatrie. Im zweiten Teil werde ich die konkreten Schritte auflisten, die notwendig sind, um eine Praxis zu übergeben. Zum Abschluss werde ich versuchen, das Thema Praxisabgabe im Kontext einer zukünftigen Medizin einzuordnen und welche Regelungen von den medizinischen Institutionen und der Politik einzufordern wären, um eine Verbesserung der medizinischen Versorgung zu erreichen oder zumindest eine Verschlechterungzu verhindern.
Warum und wann aufhören?
Seit 30 Jahren betreibe ich mit einem Kollegen beziehungsweise mittlerweile mit seinem Nachfol-
Aufhören
Praxisabgabe –Wann, wie und an wen?
ger im Rahmen einer Praxisgemeinschaft eine Praxis für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie. Mittlerweile 69 Jahre alt beschäftigt mich das Thema Praxisabgabe seit mehr als zehn Jahren. Am Anfang war die Beschäftigung damit eher abstrakter Natur, im Sinne von: „Mit 65 Jahren geht man in Rente!“ Als mein sechs Jahre älterer Praxispartner mit 70 Jahren ging und an einen jüngeren Kollegen übergeben hatte, war die Frage eher: „Wie lange will ich noch machen?“ Da die Zusammenarbeit mit dem neuen Kollegen besonders gut lief, arbeitete ich einfach weiter, zumal ich – wie schon in der gesamten Zeit meiner Selbstständigkeit – immer noch jeden Morgen gerne zur Arbeit fuhr und mir auch dieses Privilegs bewusst war. Auch trotz viel Arbeit machte mich der Kontakt zu meinen Patient:innen zufrieden. Lästig, aber nicht schlimm waren der bürokratische Aufwand und Störungen der EDV, aber ich konnte damit auch einen Umgang finden und mir wirklichen Stress vom Leibe halten. Auch wenn ich meine Arbeit nach wie vor gut hinbekomme und sich auch keine Fehler häufen, sind natürlich bei ehrlicher Selbstbeobachtung und Selbstreflexion durch das Alter bedingte Veränderungen – zwar nicht in dramatischem Ausmaß, aber schon deutlich – feststellbar: Ich werde schneller müde; die Konzentration wird nicht nach vier, sondern schon nach drei Stunden weniger. Nach der Arbeit bringe ich mehr Erschöpfung nach Hause und die Aktivitäten in der Freizeit werden weniger und erfordern mehr Energie.
Hinzu kam im letzten Jahr noch eine schwere Erkrankung mit viermonatiger Ausfallzeit, die das
Thema Aufhören notwendigerweise in den Fokus rückte. Ich habe jetzt zunächst einen Kollegen halbtags eingestellt und meine Arbeitszeit um die Hälfte reduziert – und könnte das in der Form und in diesem Umfang noch mindestens zwei bis drei Jahre weitermachen. Vorausgesetzt natürlich, dass ich gesund bleibe, was mit dann über 70 Jahren nicht mehr selbstverständlich sein wird.
Auch wenn ich, was Praxisnachfolge angeht, in den vergangenen Jahren nicht sehr aktiv gewesen bin, gab es über informelle Kanäle Kontaktaufnahmen, um eventuell einen halben Praxissitz abzugeben. Dabei wurde deutlich, dass der Weg in die Selbstständigkeit für viele Kolleg:innen doch angstbesetzter ist, als ich es mir vorgestellt hatte, beziehungsweise als es sich aus den realen Risiken ergibt. Dass diese Risiken überschätzt werden, mag auch an den Klagen der jetzt Niedergelassenen liegen –über Regresse der Krankenkassen, eingefrorene Honorare, steigende Kosten, Gewalt in den Praxen, zunehmende Bürokratisierung. Eine Reihe, die noch lange fortgesetzt werden könnte. Dabei geraten die Vorteile einer selbstständigen ärztlichen Tätigkeit leicht aus dem Blick: weitestgehende Entscheidungskompetenz über Diagnostik und Behandlung, Zeit- und Urlaubsplanung in Umfang und Zeiten unter selbst definierten Rahmenbedingungen, einfachere Vertretungsabsprachen und letztlich auch ein deutlich höheres Einkommen, wenn man betriebswirtschaftlich ausreichend gut organisiert ist. Auch das Investitionsrisiko ist bei Praxisübergabe zumindest in unserem Bereich Neurologie/Psychiatrie praktisch nicht gegeben, bei etwa eineinhalbfachem Quartalsumsatz als Ablösesumme.
Aus meinen Erfahrungen, auch im Vergleich zu meiner vorangegangenen Tätigkeit in Kliniken, kann ich nur zur Niederlassung raten. Ich fühlte mich freier und war es letzlich auch, hatte immer auch das Gefühl, besser zu arbeiten. Auch wenn dieses Privileg es mir jetzt schwerer macht, zu einem Ende zu kommen.
Konkret: Was muss ich tun, wenn ich meine Praxis übergeben will?
Online lassen sich die notwendigen Informationen dazu relativ schnell beschaffen. Wenn man die gesponserten Anzeigen weggescrollt hat, findet man Artikel im Deutschen Ärzteblatt, welche die Probleme im Umfeld der Praxisübergabe gut umreißen.
Am wichtigsten ist es, und das wird auch in diesen Artikeln deutlich, zunächst auf verschiedenen Ebenen für sich, aber auch für eine:n eventuelle:n Praxisnachfolger:in Informationen zusammenzutragen und sich in einem weiteren Schritt auch über die eigenen Prioritäten bei einem Praxisverkauf klar zu werden.
Mit der Kassenärztlichen Vereinigung sollte geklärt werden, ob irgendwelche Zulassungssperren vorliegen und wie das Ausschreibungsverfahren für den freiwerdenden Kassensitz ablaufen wird. Wichtig ist darüber hinaus, festzustellen, ob irgendwelche Hindernisse drohen und welcher zeitliche Rahmen zu erwarten ist. Im zweiten Schritt sollten die laufenden Verträge gesichtet werden. Dazu gehört natürlich der Mietvertrag selbst, aber auch Arbeitsverträge und Praxiskooperationsverträge sowie im Weiteren EDV-Verträge, Versicherungen und Wartungsverträge.
Weiterhin ist es ratsam, den Praxiswert richtig zu bestimmen. Hierzu kann man professionelle Schätzer:innen von Beraterfirmen oder auch der Apobank einsetzen – oder einfach Kolleg:innen befragen, die kürzlich verkauft haben. In der Regel ergibt sich der Wert aus Ertragsbestand (bisherige Umsätze und Gewinne) und Einrichtungs-/Gerätebestand. Im Detail sollte daher eine Bestandsliste vorliegen, eventuell mit noch laufenden Abschreibungen, außerdem die Umsatz- und Gewinnzahlen der letzten drei Jahre.
Dann sollte man sich entscheiden, ob und wo man den Verkauf inseriert, ob man die Praxisbörsen bspw. von der Apobank, der Kassenärztlichen Vereinigung, Berufsvertretungen oder Praxismaklerfirmen nutzt, die sich natürlich ihre Arbeit direkt oder indirekt honorieren lassen. Sinnvoll ist es auf jeden Fall, eigene Netzwerke zu nutzen oder wieder zu aktivieren, um die Information über den beabsichtigten Praxisverkauf entsprechend breit zu streuen Optimal wäre es, schon lange vor dem beabsichtigten Ende junge Kolleg:innen auszubilden und an diese später zu verkaufen: Man selbst hätte so ein gutes Gefühl für die Fortsetzung der eigenen Arbeit, der Käufer oder die Käuferin wüsste, was auf ihn/sie zukommt. Aber dafür wird es meistens zu spät sein, wenn der Verkauf ansteht.
Was ist mir wichtig, wenn ich die Praxis übergebe? Welche Prioritäten setze ich? Aus diesen zentralen Fragen vor dem Verkauf ergeben sich die folgenden Unterfra-
gen, die zum Teil gegenteilige Interessen widerspiegeln und damit verknüpfte ethische Konflikte aufzeigen:
Wieviel wirtschaftlichen Gewinn soll (oder muss) der Verkauf der Praxis erbringen? Manche Kolleg:innen, insbesondere diejenigen, die wegen hoher Investitionen noch Schulden haben, meist in Bereichen mit hohem Geräteeinsatz (Radiologie, Labor, Kardiologie) benötigen das Geld, um die Schulden abzulösen oder als Ergänzung zur Altersversorgung. Manche wollen einfach – wie in anderen Branchen ja auch üblich – einen hohen wirtschaftlichen Gewinn für sich und die Erben mitnehmen. Sollte es sich um hohe Summen handeln und sollte dieser Punkt eine hohe Priorität einnehmen, wäre es sicherlich sinnvoll und notwendig, sich frühzeitig steuerlich und finanztechnisch beraten zu lassen, noch bevor man mit möglichen Praxisnachfolger:innen in Verhandlung geht.Am einfachsten und meist auch lukrativsten ist es, den Sitz – vor allem in für die Zulassung gesperrten Bezirken – an Praxen, die sich vergrößern wollen, zu veräußern, oder gleich an private Krankenhausgesellschaften oder Investorengruppen. Dies kollidiert mit den weiter unten ausgeführten ethischen Implikationen gegenüber Patient:innen, Kolleg:innen, Mitarbeiter:innen und letztlich auch gegenüber der Gesellschaft. Um einen maximalen Erlös als oberste Priorität einfach durchziehen zu können, wäre sicherlich auch ein gewisses Maß an soziopathischer Grundhaltung von Vorteil.
Welche Interessen meiner Patient:innen muss ich berücksichtigen?
Rechtlich ist es natürlich und eigentlich auch selbstverständlich so, dass ich die Daten meiner Patient:innen nicht ohne ihr Einverständnis an eine:n Nachfolge-r:in weitergeben darf. Dies muss auch in jedem Fall im Praxisübergabevertrag festgehalten sein, mit der Festlegung, dass jede:r einzelne Patient:in zur Akteneinsicht durch den/die Nachfolger:in befragt werden muss, das Einverständnis dokumentiert ist und die persönlichen Daten erst nach Eingabe eines Passwortes einsehbar sind. Wichtiger als diese Formalie sind Dinge, die sich aus einer ethisch begründeten und empathischen Haltung gegenüber den Patient:innen ergeben. Dazu gehört die rechtzeitige Information darüber, wann eine Beendigung der eigenen Praxistätig-
keit ansteht, sodass die Möglichkeit besteht, gegebenenfalls zu einer anderen Praxis zu wechseln. Patient:innen sollten alle relevanten Informationen über die Praxisnachfolge erhalten, sobald diese feststeht. Zudem ist es bedeutsam, sich rechtzeitig von ihnen zu verabschieden und ihnen dabei nicht nur Ratschläge, sondern auch Wertschätzung mit auf ihren weiteren Weg zu geben.
In welchem Maße müssen die Interessen meiner Praxiskolleg:innen und Mitarbeiter:innen berücksichtigt werden?
Eigentlich ist es klar, dass ich mit Menschen, mit denen ich womöglich seit Jahrzehnten zusammengearbeitet habe, fair umgehe. Deshalb sollten diese schon früh erfahren, wann ein Praxisverkauf ansteht. Auch wenn mir jemand dadurch verlorengeht, weil er oder sie sich dann schon eine andere Stelle sucht. Bei einer Gruppenpraxis oder Praxisgemeinschaft müssen die Kolleg:innen in den Verkaufsprozess mit einbezogen werden. Schließlich werden sie zukünftig mit dem oder der Neuen eng zusammenarbeiten. Gegebenenfalls müssen sie auch eigene Verträge abschließen.
Welche gesellschaftliche Verantwortung gilt es zu beachten?
Bei der selbst gestellten Frage, wie und an wen ich meine Praxis verkaufe, wird auch wieder die Frage auftauchen: Welche Art der Medizin habe ich betrieben? War das in Ordnung? Was hätte besser sein können? Welche Medizin wünsche ich mir zukünftig? – Zumal ich mich in naher Zukunft selbst viel auf der Patien-t:innenseite oder zumindest der Angehörigenseite aufhalten werde. Ist mein:e potenzielle:r Nachfolger:in willens und in der Lage, „meine“ Medizin weiterzuführen? Vielleicht ist er oder sie sogar bemüht, sie besser fortzuführen oder weiterzuentwickeln? – So, dass ich selbst zu ihm oder ihr als Patient gehen würde und mich dort gut versorgt wüsste.
Bessere Medizin
Dies leitet zu dem Thema über, was ich von einer künftigen guten Medizin erwarte. Konkret knüpfen sich daran die Fragen an, von denen ich mir wünsche, dass sie sich auch ein:e Nachfolger:in stellt: —Wieviel kritisches Bewusstsein gegenüber der Pharmaindustrie kann ich mir leisten, ohne Außenseiter:in und besser-
wisserische:r Eigenbrötler:in zu werden?
In welchem Maße vertraue ich oder unterwerfe ich mich einer evidenzbasierten Medizin, die bei besten Absichten in Zahlenkorsetten erstarrt ist, den Blick für die eigenen Grenzen verloren hat und doch nichtunabhängig von wirtschaftlichen und politischen Interessengruppen agieren kann?
Wie kann ich den Patient:innen gerecht werden, ohne mich selbst aufzuopfern, ohne meine Familie zu vernachlässigen, ohne im zynischen Burnout zu enden?
—Wie verhindere ich ein Absacken in Routine, bürokratische Geschäftigkeit?
Wie begegne ich Ungerechtigkeiten, denen meine Patient:innen ausgesetzt sind —oder vielleicht auch ich selbst?
Dies ist eine Liste, die sich noch um einige Fragen ergänzen ließe, für die es aber ähnliche Antworten gibt: Wach bleiben, auch bei der Arbeit genießen lernen! Das heißt: nicht Work-Life-Balance als Leitwort sondern „Work and Life“, Arbeit in seinen ganzen Möglichkeiten des Schöpferischen als wohltuender Teil des Lebens sehen können, diesen Luxus können wir als Ärzt:innen haben, solange wir über unsere Möglichkeiten zur Selbstbestimmung und Selbststrukturierung verfügen. Um dies erreichen zu können, sind Orte der Selbstreflexion wichtig: in Qualitätszirkeln, Balint-Gruppen und Treffen mit Kolleg:innen, ebenso – für die, denen es liegt – in gesundheitspolitischen Standesgremien. Und: auch wenn Arbeit ein wesentlicher Teil des Lebens ist, ist es nicht das ganze Leben. Auch das Private sollte ein Ort sein mit genug Platz für Sport, Genuss und Liebe.
Im Kleinen, jenseits von Hightech, Versprechungen einer wachsenden Gesundheitsindustrie, aller Statistik, theoretischer Überlegungen und Ideologien, wäre eine gute Medizin aus Sicht der Patient:innen: Ich bekomme zeitnah einen Termin, werde freundlich empfangen, habe Zeit mich zu äußern, bekomme passende Fragen gestellt. Es werden notwendige Untersuchungen durchgeführt. Ich werde über die Therapiemöglichkeiten aufgeklärt, bekomme vielleicht ein Rezept und dafür auch das Medikament in der Apotheke. Im Krankenhaus – wenn ein Besuch mal notwendig ist – haben Unterkunft und Verpflegung den Standard eines einfachen Hotels. Bei Problemen erfolgt zeitnahes Reagieren auf die Klingel. Eigentlich Selbstverständlich-
keiten, fast Banalitäten, aber sie scheinen mittlerweile zunehmend schwieriger umsetzbar – selbst für die gutwilligen Akteur:innen im Gesundheitssystem. Es sind nicht die schwierigen oder gar gewalttätigen Patient:innen oder ein überfordertes, schlecht ausgebildetes Personal, zu junge oder zu weibliche Ärzt:innen. Es sind die Kollateralschäden einer immer noch zunehmenden Ökonomisierung –oder besser: Kommerzialisierung – des Gesundheitswesens, die bei ihren Entscheidungen Kostenersparnis und technische Qualität priorisiert, ohne Rücksicht auf die subjektiven Notwendigkeiten seitens der Patient:innen und Beschäftigten. Die damit verknüpften fatalen Entwicklungenzu stoppen und vielleicht auch noch zurückzudrehen, wird die Aufgabe einer gesundheitspolitischen Arbeit der nächsten Jahre sein. Sich daran, auch zu seinem oder ihrem eigenen Wohl und seiner/ihrer eigenen Gesundheit, zu beteiligen, das wünsche ich mir von einem oder einer Praxisnachfolger:in.
Was stimmt Sie optimistisch?
„Abgesehen davon, dass ich von meiner persönlichen Grundhaltung ein vorsichtig optimistischer Mensch bin, der an die grundsätzliche Hilfsbereitschaft und Solidarität unter Menschen glaubt, denke ich, dass es bei den Akteuren im Gesundheitswesen genügend Menschen gibt bzw. dass ihre Mehrheit eine bessere Medizin zum Wohle des Patienten –und letztlich über eine als sinnvoller erlebte Arbeit auch zum eigenem Wohl – wünscht und anstrebt. Hier braucht es eine Schärfung der Werkzeuge (gezielte Nutzung der sozialen Medien, Engagement in berufspolitischen Gremien, ‚gute‘ Lobbyarbeit). Wenn dies gelingt, wird auch eine Umkehr aktuell zerstörerischer Prozesse im Gesundheitssystem möglich sein.“
Joachim Loch-Falge war 1976 Mitbegründer von Dr. med. Mabuse, Mitglied der Lokalredaktion Frankfurt bis 1981, der Lokalredaktion Bremen bis 1985. Seit 1983 ist er in der Psychiatrie und Neurologie tätig. 1987 bis 1992 tiefenpsychologische psychotherapeutische Ausbildung. 1991 bis 1995 ärztlicher Leiter einer Drogenrehabilitationseinrichtung, seit 1993 selbstständiger Psychiater, Neurologe und Psychotherapeut in Bremen. Seit 2006 Teilnehmer des Bremer Arbeitskreises für Philosophie und Psychiatrie.
Nichts bleibt, wie es war
Ein anonymer Bericht zur Praxisabgabe
Vor über zwanzig Jahren, als sich meine jüngste Tochter für das Medizinstudium entschieden hat, kam so etwas wie Hoffnung auf, sie könnte eines Tages die ländliche Großpraxis übernehmen, die meine Frau und ich seit mehreren Jahrzehnten führten. Dass daraus nichts geworden ist, spiegelt in gewisser Weise nicht nur die Entwicklung der Medizin wider, sondern auch die veränderten Lebensentwürfe einer neuen Ärztegeneration. Kaum mehr vorstellbar ist heute, dass es vor vier Jahrzehnten eine Art Ärzteschwemme gab: überall sprießten neue Praxen aus dem Boden; manche Kollegen (so auch ich) bauten sogar ein Wohnhaus mit Praxis auf die grüne Wiese, in der Hoffnung, die Schulden während eines langen Berufslebens auch abzahlen zu können. Wochenend- und Nachtvertretung gab es nicht, und der Jahresurlaub wurde von den älteren Kollegen auf zwei Wochen limitiert. Honorarmäßig waren wir Hausärzte natürlich am unteren Ende der Rangliste. Das und vieles mehr gehörte zum Berufsbild des Hausarztes und wurde lange Zeit kritiklos akzeptiert. Soviel zur „guten alten Zeit“!
Auslaufmodell Hausarzt?
Fast alles hat sich inzwischen zum Besseren entwickelt: Ein guter Praxisumsatz, Freizeit und Urlaub und der Komfort, im eigenen Wohnhaus zu arbeiten, ohne bei Wind und Wetter zur Praxis oder zum Patienten unterwegs sein zu müssen, sollten doch auch heute noch genügend Anreiz sein, diesen Beruf zu erwählen, oder?
Nach über vier Jahrzehnten haben meine Frau und ich jedoch vergeblich versucht, unsere Praxis an einen oder mehrere Nachfolgerinnen oder Nachfolger zu übergeben. Bundesweite Inserate, ein teurer Makler und die praktisch kostenlose Übernahmemöglichkeit der Praxis haben nicht geholfen. So haben wir letztlich unsere Praxis geschlossen, und unsere Patienten mussten sich notgedrungen auf die wenig begeisterten Ärzte der Umgebung verteilen, was manchen bis heute nicht gelungen ist. Ein Blick in die Medien zeigt, dass es vielen anderen alteingesessenen Kollegen
und ihren Patienten nicht besser geht. Die „Hausarztdichte“ und damit die primärärztliche Versorgung gehen kontinuierlich zurück.
Warum aber ist der frühere „Traumberuf“ Hausarzt, einstmals in vielen Fernsehserien gefeiert, mittlerweile für viele junge Kolleginnen und Kollegen keine Option mehr? Ein niedergelassener Arzt ist eben auch Unternehmer, hat sich mit Investitionen, Finanzierungen, sozialrechtlichen Anforderungen und vielem mehr zu befassen, alles Dinge, für die wir im Studium nicht ausgebildet wurden. Ganz zu schweigen von der bürokratischen Überfrachtung, von der Politik seit Jahrzehnten betrieben (Motto: „Alles, was Ärzte belästigt, ist gut für das Gesundheitssystem.“). Dazu kommt die langfristige berufliche Bindung, die mit einer Praxisgründung oder -übernahme einhergeht. Ein Wohnort- oder sogar ein Berufswechsel ist nicht mehr ohne weiteres realisierbar. Deshalb ist die früher „normale“ Einzelpraxis auch weitgehend verschwunden, es dominieren Gemeinschaftspraxen von mehreren Ärzten, seit einigen Jahren auch die sogenannten „Medizinischen Versorgungszentren“, bei denen der Arzt mit Verwaltung und Organisation überhaupt nichts mehr zu tun hat.
Veränderte Bedingungen, neue Chancen Hier vollzieht sich auch eine tiefgreifende Veränderung des Arzt-Patienten-Verhältnisses: die frühere jahrzehntelange kontinuierliche Betreuung, oft über Generationen hinweg, verschwindet zugunsten einer lockeren und häufig wechselnden Beziehung. Und das muss für Patienten nicht unbedingt ein Nachteil sein. Wechselnde Arztkontakte bieten auch die Möglichkeit, verschiedene Meinungen einzuholen und neue Optionen der Diagnostik und Therapie zu ermöglichen. Auch für Ärztinnen und Ärzte liegen die Vorteile einer gemeinsamen Berufsausübung auf der Hand: das finanzielle Engagement ist überschaubar, Orts- und Arbeitgeberwechsel sind möglich, Schwangerschaften, Entbindungen oder auch eigene Erkrankungen sind keine existenziellen Probleme mehr. Dass inzwischen mehr Frauen als Männer in unserem Beruf sind, viele in Teilzeit und mit Kindern, spricht ja auch für sich. Und so komme ich zurück auf meine Tochter: nach ihrer klinischen Ausbildung als Internistin hat sie sich inzwischen in einer großstädtischen Hausarztpraxis assoziiert. In Teilzeitarbeit kann sie ihre familiären und beruflichen Anforderungen (hoffentlich!) vereinbaren. Schwerpunkt:
Das Pflegekompetenzgesetz
–
Was
Pflegefachpersonen zukünftig können und dürfen
Katja Boguth und Johannes Wünscher
Das Pflegekompetenzgesetz soll endlich längst überfällige Veränderungen verankern. Unsere Autor:innen stellen wesentliche Implikationen vor.
Unter Pflegekompetenz kann zweierlei verstanden werden: Zum einen das, was Pflegefachpersonen können, und zum anderen das, was Pflegefachpersonen in einem rechtlichen Rahmen leisten und auch abrechnen dürfen. In diesem Artikel soll es um das Spannungsverhältnis zwischen dem Ausbildungsrecht – also dem, was Pflegefachpersonen aufgrund der Ausbildungsund Studieninhalte können müssen – und dem Leistungsrecht – also dem, was Pflegefachpersonen rechtlich dürfen und abrechnen können – gehen und darum, mit welchen Gesetzesänderungen im Zuge des Pflegekompetenzgesetzes eine Angleichung herbeigeführt werden soll. Denn die gesundheitspolitischen Intentionen wie etwa eine verbesserte Gesundheitsversorgung einerseits und eine Attraktivitätsteigerung der Pflegeberufe anderseits, die mit dem Pflegeberufegesetz und der ersten Reform des Pflegestudiumstärkungsgesetzes (PflStuStG) erzielt werden sollten, können nur erreicht werden, wenn sich auch die Berufspraxis und die interprofessionelle Zusammenarbeit entsprechend entwickelt.
Können
Mit dem Erlernen eines Berufes werden fachliches Wissen, Fertigkeiten und Haltungen, die in einer entsprechenden Rechtsnorm definiert werden, erworben, sodass Absolvent:innen später in der Lage sind, die beruflichen Aufgaben kompetent zu bewältigen. Im Pflegeberuf werden die Zie-
le der Ausbildung auf EU-Ebene in einer EG-Richtlinie und auf Bundesebene im Pflegeberufegesetz (PflBG) durch das Bundesgesundheitsministerium festgelegt. Betrachtet man die historische Entwicklung der Gesetzgebung, so zeigt sich, dass im Laufe der Jahre die Anforderungen an den Beruf deutlich gestiegen sind. Die von Berufsverbänden über lange Zeit geforderte generalistische Ausbildung, die Etablierung der hochschulischen Pflegeausbildung und der Berufsvorbehalt sind im Jahr 2020 mit dem PflBG nun gesetzlich verankert worden. Mit dem im § 4 PflBG beschriebenen Vorbehalt ist es seitdem nur noch Pflegefachpersonen in Deutschland gestattet, die — Erhebung und Feststellung des individuellen Pflegebedarfes, — Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses sowie — Analyse, Evaluation, Sicherung und Entwicklung der Qualität der Pflege durchzuführen. Mit dem Pflegestudiumstärkungsgesetz wurde im Jahr 2024 die hochschulische Pflegeausbildung zunächst strukturell verbessert, indem sie in ein duales Studium umgewandelt wurde, das eine Vergütung der Studierenden vorsieht.
Die Ausbildung und das Studium sind in Deutschland beide dual strukturiert, wobei sich theoretische und praktische Phasen abwechseln. Der Praxisanteil ist in Ausbildung und Studium (2500 Stunden vs. 2300 Stunden) ähnlich hoch. Simulationsbasierte Lehr- und Lernformen in Lern-
Die indische Pflegekraft Priyaraj Prabha legt einer Patientin eine Infusion.
laboren, auch Skills- und Simlabs genannt, sollen die Lernenden auf die Praxisphasen vorbereiten und bieten einen geschützten Raum, in dem Fehler passieren dürfen, die der Reflexion dienen. Für die theoretische und praktische Lehre in der Berufsausbildung existieren Rahmencurricula der Fachkomission nach § 53 PflBG; die Curricula der Pflegestudiengänge sind in den jeweiligen Modulhandbüchern abgebildet.
Ab dem 1. Januar 2025 wird es laut aktueller Gesetzgebung nun zu einer deutlichen Ausweitung der Inhalte im § 37 PflBG kommen: Studierenden werden zukünftig auch Kompetenzen zur Ausübung erweiterter heilkundlicher Tätigkeiten in den Bereichen Demenz, Diabetes mellitus und chronischen Wunden in dafür eigens zu entwickelnden Modulen, die mit einer staatlichen schriftlichen, mündlichen und praktischen Prüfung enden, vermittelt.
Welche Änderungen sieht der Referentenentwurf vor?
Der Referentenentwurf des Pflegekompetenzgesetzes sieht nun vor, den § 4 im PflBG in Absatz 2 Nummer 1 auch „um die Planung der Pflege“ zu ergänzen. Damit wird die von den Verbänden geforderte Klar-
stellung eingelöst, dass auch die Planung der Pflege zu den vorbehaltenen Aufgaben der Pflegefachpersonen gehören muss Zusätzlich soll ein § 4a eingefügt werden, der die selbständige Heilkundeausübung durch Pflegefachpersonen grundsätzlich regelt: „Personen mit einer Erlaubnis nach § 1 PflBG sind zur selbständigen Heilkundeausübung im Rahmen der nach diesem Gesetz erworbenen Kompetenzen befugt.“
Bezogen auf die erweiterte Heilkundeausübung soll im Zuge des Pflegekompetenzgesetzes die bisher beabsichtigte Engführung auf die Inhalte der standardisierten Module zu den Themen Demenz, Diabetes mellitus und chronische Wunden, die ja ab dem 1. Januar 2025 in Kraft treten soll, aufgelöst und auch auf weitere Bereiche ausgeweitet werden. Zudem soll der Kreis der Pflegefachpersonen, der für die Ausübung erweiterter heilkundlicher Aufgaben in Frage kommt, nicht mehr nur auf hochschulisch primärqualifizierte Pflegefachpersonen beschränkt werden, sondern auch Pflegefachpersonen einbeziehen, die aufgrund ihrer Qualifikation (etwa durch eine Fachweiterbildung oder durch eine ausländische Ausbildung erworben) ebenfalls dafür in Frage kommen.
Obwohl sich die Ziele der beruflichen und insbesondere der hochschulischen Ausbildung im Umfang, in der Verantwortlichkeit und in der Komplexität erhöht haben, spiegelt sich dies noch nicht in der Berufsausübung wider. In der Akut- und Langzeitpflege sind die Befugnisse der Berufsgruppe insbesondere durch sozialrechtliche Normierungen des SGB V und SGB XI weiterhin stark eingeschränkt. Ebenso fehlt es an einer bundesweiten Berufsordnung und an Aufgabenprofilen für berufsund hochschulisch ausgebildete Pflegefachpersonen in der direkten Gesundheitsversorgung.
Dürfen
Während Pflegefachpersonen über umfassende Fachkenntnisse und Fertigkeiten verfügen, dürfen sie viele Aufgaben nur im Auftrag von Ärzt:innen oder unter deren Aufsicht durchführen. Die Delegation betrifft insbesondere heilkundliche Tätigkeiten wie die Verabreichung von Medikamenten, Wundversorgung, Diagnostik oder invasive Maßnahmen an Patient:innen. Dieser Zustand ist eng mit dem deutschen Berufsrecht verbunden, das bisher einen klaren Trennstrich zwischen den
Neue ethische Perspektiven in der Medizin
Prinzipien der Bioethik
Von Tom L. Beauchamp, James F. Childress, Herausgegeben von Dirk Lanzerath, Aurélie Halsband und übersetzt von Julia Pelger 2024, 713 S., brosch., 99,– € ISBN 978-3-495-49243-7
E-Book 978-3-495-99804-5
Dieses Buch gilt ohne Zweifel als internationales Standardwerk für die Bioethik und liegt nun erstmals in deutscher Übersetzung vor. Gleichmaßen für Forschung und Praxis, Studium und Lehre geeignet, konzentrieren sich die Autoren auf vier Prinzipien, die den Kern der moralischen Argumentation im Gesundheitswesen bilden – Respekt für Autonomie, Nichtschädigung, Wohltätigkeit und Gerechtigkeit. Dazu verwenden sie Beispiele aus dem wirklichen Leben und diskutieren auf anschauliche Weise tatsächliche ethische Dilemmata und Lösungsszenarien.
Alle Preise inkl. Mehrwertsteuer e Library Nomos nomos-elibrary.de
Bestellen Sie im Buchhandel oder versandkostenfrei unter nomos-shop.de
Befugnissen von Ärzt:innen und Pflegefachpersonen zieht. Die Rolle der Pflege in Deutschland war lange Zeit auf unterstützende Tätigkeiten begrenzt, selbst wenn Pflegefachpersonen durch Weiterbildungen oder langjährige Berufserfahrung über erforderliche Kenntnisse und Fertigkeiten verfügten, um deutlich mehr Verantwortungzu übernehmen.
„Im Krankenhaus sind es Pflegefachpersonen, die Zustandsveränderungen bei Patient:innen frühzeitig erkennen. Doch statt schnell handeln zu können, müssen sie bei Routineinterventionen auf die Anweisung der Ärzt:innen warten.“
In der Praxis ist es demnach keine Seltenheit, dass junge Assistenzärzt:innen ihre Verantwortung für die Wundbehandlung erfüllen, indem sie bspw. die Empfehlungen pflegerischer Wundexpert:innen als ärztliche Anordnung in der Patientenakte verschriftlichen.
Der Pflegeberuf ist nach wie vor nah am Menschen. In der Langzeitversorgung sind professionell Pflegende häufig über viele Tage die einzigen Angehörigen eines Gesundheitsberufs, welche die Menschen mit Pflegebedarf regelmäßig zu Gesicht bekommen. Auch im Krankenhaus sind es Pflegefachpersonen, die oft Zustandsveränderungen bei Patien-t:innen frühzeitig erkennen. Doch statt schnell handeln zu können, müssen sie bei vielen Routineinterventionen auf die Anweisung der Ärzt:innen warten.
Diese klare Abgrenzung der Kompetenzen führt häufig zu einem „Überangebot“ ärztlicher Aufgaben in Bereichen, die auch von Pflegefachpersonen übernommen werden könnten. Das hieraus erforderliche Management der multidisziplinären Zusammenarbeit, ist nicht nur äußerst res-
sourcenintensiv bei gleichzeitiger Knappheit an Pflegefachpersonen, sondern wird in der Regel von Berufsfremden nicht einmal als pflegerische Aufgabe und Kompetenz erkannt.
Die besondere Verantwortung der Ärzt:innen in Abgrenzung zu nichtärztlichen Gesundheitsberufen ist in den Berufsordnungen der Landesärztekammern sowie in der Bundesärzteordnung geregelt. Versorgungsrechtlich ist bspw. im § 28 SGB V der Leistungsumfang von Ärzt:innen, Zahnärzt:innen und Psychotherapeut:innen für die gesetzliche Krankenversicherung beschrieben. Hieraus ergibt sich implizit die ärztliche Verantwortung für Diagnose und Therapie. Professionelle Pflege kommt in diesen Paragraphen bisher nicht vor und Pflegeberufekammern, die Berufsordnungen verabschieden könnten, existieren nur in zwei von 16 Bundesländern.
Diese Rahmenbedingungen bleiben durch den aktuellen Entwurf des Pflegekompetenzgesetzes unberührt. Dennoch ist der Gesetzgeber bemüht, Kompetenzen professionell Pflegender durch mehr Verantwortung und Eigenständigkeit anzuerkennen.
Welche Änderungen sieht der Referentenentwurf vor?
Pflegefachpersonen sollen künftig heilkundliche Aufgaben, die bisher ausschließlich Ärzt:innen vorbehalten waren, selbstständig übernehmen dürfen. Dies umfasst insbesondere die Versorgung von chronischen Erkrankungen und das Management von präventiven sowie gesundheitsfördernden Maßnahmen, abgestuft nach Qualifikationsniveau.
Darüber hinaus erhalten sie das Recht, im Rahmen von Beratungen oder Besuchen (nach §§ 7a, 7c, 36 und 37 SGBXI) Empfehlungen für verhaltensbezogene Präventionsleistungen nach § 20 SGB V auszusprechen. Es wird anerkannt, dass Pflegefachpersonen insbesondere im ambulanten Bereich eine wertvolle Ressource darstellen, um durch gezielte Gesundheitsförderung die Verschlechterungvon Gesundheitszuständen und Pflegebedürftigkeit zu verlangsamen. Darüber hinaus wird wahrgenommen, dass die Berufsgruppe der professionell Pflegenden in der Lage ist, präventive Maßnahmen umzusetzen und nicht nur für Menschen verantwortlich zu sein, bei denen keine Besserung mehr zu erwarten ist, was einem modernen Gesundheitsverständnis entspricht.
Pflegefachpersonen können künftig konkrete Empfehlungen zur Versorgung mit Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln geben. Unter bestimmten Voraussetzungen kann ihre Empfehlung eine ärztliche Verordnung ersetzen (§ 40 Absatz 6 SGB V), wodurch sie eine direktere Rolle in der Versorgung übernehmen.
Erweiterte Rechte sollen professionell Pflegenden eingeräumt werden, damit sie Aufgaben an Pflegeassistenzpersonen und Pflegehilfskräfte delegieren können, wobei sie weiterhin die Verantwortung für die Steuerung und Qualität der delegierten Tätigkeiten tragen.
Es wird die Planung der Pflege als wesentlicher Bestandteil des Pflegeprozesses als pflegerische Vorbehaltsaufgabe anerkannt. Damit wird eine wichtige Lücke des Pflegeberufegesetzes geschlossen, die einmal mehr zeigt, wie ungewohnt pflegerische Verantwortung für den Gesetzgeber zu sein schien.
Implikationen
Der Referentenentwurf des Pflegekompetenzgesetzes setzt ein klares Signal zur Stärkung der Pflegefachpersonen, indem er ihnen mehr Handlungsfreiheit einräumt. Deutlich wird das politische Bemühen, den Pflegeberuf durch erweiterte Kompetenzen und mehr Handlungsfreiheit „aufzuwerten“. Allerdings erfolgt diese Aufwertung ohne eine grundlegende Reform der Selbstverwaltung, wodurch das Potenzial zur tatsächlichen Stärkung des Berufsstandsausgereizt scheint.
Die Umsetzung der erweiterten Kompetenzen wirft Fragen auf: Qualifizierungsund Fortbildungsangebote müssen ausgebaut werden, um sicherzustellen, dass Pflegefachpersonen für die neuen Aufga-
Literatur
Bundesministerium für Gesundheit (2023): Gesetz zur Stärkung der hochschulischen Pflegeausbildung, zu Erleichterungen bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse in der Pflege und zur Änderung weiterer Vorschriften (Pflegestudiumstärkungsgesetz – PflStudStG) (BGBl. 2023 I Nr. 359).
Bundesministerium für Gesundheit (BMG) (2024): Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Pflegekompetenz. Online unter: https://kurzlinks.de/2xya
Bundesministerium der Justiz (2017): Gesetz über die Pflegeberufe (Pflegeberufegesetz –PflBG).
Think Tank Vorbehaltsaufgaben (TT VA) (2024): Stellungnahme zum Referentenentwurf des Pflegekompetenzgesetzes PflBG. Online unter: https://kurzlinks.de/9tnp
ben gut vorbereitet sind. Zudem dürfen die erweiterten Befugnisse nicht zu zusätzlichen Belastungen im Arbeitsalltag führen, sondern sollten die Pflegepraxis erleichtern.
Um nachhaltig Klarheit und Umsetzbarkeit erweiterter Verantwortung der Pflegefachpersonen auch jenseits des SGB XI zu schaffen, muss der leistungsrechtliche Rahmen erweiterter pflegerischer Rollen inklusive Haftungs- und Verantwortungsfragen sowie Abrechnung und Vergütung im SGB V geregelt werden.
Selbst wenn in Krankenhäusern im Zuge der Prozessoptimierung v. a. in der multiprofessionellen Zusammenarbeit individuelle Strukturen und Abläufe geschaffen wurden, in denen Pflegefachpersonen gefühlt mehr Eigenständigkeit obliegt, verbleibt die rechtliche Verantwortung dennoch klar bei den Ärzt:innen. So könnte der Wechsel einer medizinischen Leitung in einem Krankenhaus dazu führen, dass der bisher gebilligte Handlungsspielraum für Pflegefachpersonen wieder eingeschränkt werden könnte.
Die Diskrepanz zwischen „Können“ und „Dürfen“ trägt zur mangelnden Anerkennung des pflegerischen Beitrags im Gesundheitssystem bei. Sie würde auch mit der Verabschiedung eines Pflegekompetenzgesetzes, welches nah an den Inhalten des vorliegenden Referentenentwurfs bleibt, nicht final gelöst werden. Die Einführung erweiterter pflegerischer Rollen auf Masterniveau – Advanced Practice Nurses (APN) – mit hoher Eigenständigkeit und Handlungsautonomie, hat sich in vielen Ländern auf das allgemeine Ansehen, auf
die gesellschaftliche Wahrnehmung und die Beliebtheit des Pflegeberufs ausgewirkt. Während im ersten Eckpunktepapier des Pflegekompetenzgesetzes neben der Rolle APN auch Community Health Nursing Erwähnung fand, sind beide Rollen im aktuellen Referentenentwurf nicht mehr zu finden. Denkbar ist, dass ein eigenes Gesetz zur berufs- und leistungsrechtlichen Einführung erweiterter klinischer Pflegerollen auf Masterniveau folgen wird. Doch ob entsprechende Regelungen in Anbetracht der Komplexität dieser Herausforderung, der Radikalität des Paradigmenwechsels, der Fülle an bereits angekündigten und noch ausstehenden Gesetzesvorhaben und nicht zuletzt der Stabilität der Regierung in den verbleibenden Monaten der Legislaturperiode zu erwarten sind, soll an dieser Stelle nicht beurteilt werden. In Deutschland fehlt es, wie oben bereits ausgeführt, derzeit an einer systematischen und umfassenden, qualifikationsbezogenen Darstellung der Aufgaben der Pflegefachpersonen, wie sie international oft durch berufsständische Organisationen in einem sogenannten „Scope of Practice“ erfolgt.
Die im Referentenentwurf formulierte Absicht, im Jahr 2025 in einem vom GKV Spitzenverband verantworteten Modellprojekt ein Muster-„Scope of Practice“ wissenschaftlich fundiert erarbeiten zu lassen und so die grundsätzliche Zuschreibung von entsprechenden Kompetenzen zu Qualifikationsgraden zu regeln, könnte für Klarheit sorgen und die noch fehlende rechtsverbindliche Brücke vom „Können“ zum „Dürfen“ bilden.
• Befähigung für Gutachten in Pflege- und Unfallversicherung, Hilfsmittel, Haftungs- und Berufsrecht, Kinderbegutachtung u.a.
• Mögliche spätere Selbstständigkeit
Interessant auch mit abgeschlossener Gutachter*innenWeiterbildung durch reduzierte Lehrgangsgebühr!
Mehr erfahren unter www.wifap.de
Was stimmt Sie optimistisch?
„Gesundheit ist und war immer wichtig und wird es auch in Zukunft bleiben. Der Pflegeberuf ist eine wichtige Säule in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung und ich freue mich darauf, sie weiter zu stärken.“
Katja Boguth forscht und lehrt seit Oktober 2020 als Professorin für klinische Pflegewissenschaft an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Darüber hinaus ist sie Mitglied im geschäftsführenden Vorstand des DBfK Nordost e. V.
„Ich bin optimistisch, weil immer mehr Politiker:innen erkennen, dass die professionelle Pflege durch Kompetenzerweiterung Lösung und nicht Ursache unserer Versorgungsprobleme sein kann – Pflegeberufegesetz und Pflegestudiumstärkungsgesetz sind nur Beispiele dafür. Die Professionalisierung des Pflegeberufs hat eine politische Mehrheit in Deutschland.“
Johannes Wünscher ist klinisch tätiger Pflegefachmann und Pflegewissenschaftler am Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam und engagiert sich als Vorstandsvorsitzender des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe Nordost. Seine berufliche Erfahrung umfasst Rollen in der Pflegeentwicklung und Forschung sowie im Deutschen Bundestag als Wissenschaftlicher Mitarbeiter. wuenscher@dbfk.de
Pflege und Digital:
Ingolf Rascher und Heinrich Recken
Digitalisierung ist aktuell ein „Hype-Thema“. Zahlreiche Publikationen sowie Förderprogramme auf Bundes- und Landesebene beschäftigen sich damit.
Wenn Digitalisierung im Zusammenhang mit dem Arbeitsfeld der pflegerischen Versorgung thematisiert wird, geschieht dies häufig im Kontext von Strategien zur Verringerung des Fachkräftemangels. So wurde 2018 die „Konzertierte Aktion Pflege“ durch die Ministerien für Gesundheit, für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie für Arbeit und Soziales geschaffen, die u. a. zu den Stichworten „Innovative Versorgungsansätze und Digitalisierung“ Vorschläge und Szenarien entwickelten.1, 2 Jedoch sind die Ergebnisse bisher sehr bescheiden. Hinweise dazu, dass eine reine Technikfixierung nicht zielführend ist und Ansätze zur soziotechnischen Gestaltung grundlegend zu berücksichtigen sind, finden sich zahlreich. In der wissenschaftlichen Literatur wird berichtet, dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen und insbesondere in der Pflegearbeit nicht so verbreitet ist
Das passt prima!
und nur schleppend vorankommt. Als ein Grund wird angeführt, dass in der Pflege nur ein geringes Digitalisierungspotenzial bestehe, da sie durch soziale Interaktion und zwischenmenschliche Fürsorge charakterisiert ist. Andere Länder wie Finnland und die Niederlande zeigen im europäischen Vergleich eine stärkere Implementierung digitaler Technologien in die Pflege als Deutschland. Wir wagen einen Blick in diese Länder und gehen den Fragen nach, was sie anders machen und wie wir von ihnen lernen können.
KI für die Dokumentation
Ein Potenzial für die Digitalisierung liegt in der pflegerischen Dokumentation, da diese einen hohen Zeitfaktor in Anspruch nimmt. In Deutschland gab und gibt es dazu zahlreiche Projekte. Eines der ersten Forschungsprojekte war „SprintDoku“, die Entwicklung einer Sprachsteuerung in der MenschMaschine-Interaktion zur intelligenten Vernetzung für Altenpflegedokumentationssysteme.3 Die Ergebnisse zeigten: Spracherkennung ermöglicht eine um 23 % höhere Anwenderzufriedenheit, um
Heimbewohner:innen im Haus der Generationen der Paul-Riebeck-Stiftung in Halle (Saale) freuen sich am interkativen Spiel mit dem Roboter „Thea“, der von der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entwickelt wurde.
26 % erhöhte Dokumentationsgeschwindigkeit und 82 % mehr Dokumentationsinhalte.4, 5
Sprache ist für Menschen das natürlichste Mittel zur Kommunikation. Darüber hinaus sieht sie über Schwächen in der schriftlichen Kommunikation hinweg. Aus diesem Grund ist es von besonderem Interesse, neben der Eingabe per Tastatur auch die Spracheingabe in Pflegedokumentationssystemen zu ermöglichen, um die Arbeit mit der Dokumentationssoftware zu erleichtern. In den letzten Jahren sind weitere Systeme6 in Projekten mit vergleichbaren Ergebnissen vorgestellt worden. Aus der Praxis ist bisher jedoch nur von wenigen Unternehmen der Sozialwirtschaft bekannt, dass diese Systeme in einem größeren Umfang zur Anwendung gekommen sind. Funktionieren allein reicht nicht. In der praktischen Arbeit ergeben sich auf mehreren Ebenen Hürden: zu nennen sind technische, strukturelle, organisationale und persönliche Einflussfaktoren,7 die bei der Implementierung zu berücksichtigen sind.
Skandinavien:
mit gutem Beispiel voran
In Ländern wie Finnland und Schweden hat die Spracherkennung in der Pflege einen geringeren Stellenwert. Seit einigen Jahren gibt es hier die Entwicklung, verstärkt Künstliche Intelligenz (KI) in (Pflege-)Dokumentationssystemen einzusetzen, sowohl in der stationären Pflege und im ambulanten Dienst als auch in den Gesundheitsregionen, die in der Regel (etwa in Finnland) einen sozialräumlichen Versorgungsauftrag haben.
Daten aus dem Sozialbereich und künstlich erzeugte Datenmuster werden genutzt, um Modelle zu trainieren und zu validieren: Die KI erkennt in der Analyse der Dokumentation bereits schwache Signale und Veränderungen im Gesundheits- und Wohlbefinden und kann Abweichungen vorhersagen. In der Medikation werden Wechselwirkungen zwischen Medikamenten, Kontraindikationen und Nebenwirkungen erkannt. Für Patienten* mit Sturzgefährdung, Leberfunktionsstörungen, Dekubitusrisiko oder Dehydrierung können frühzeitig Maßnahmen ergriffen und Notaufnahmen im Krankenhaus deutlich reduziert werden. Positive Effekte zeigen sich auch während Schwangerschaft und Laktation. Die Evaluation zeigt, dass die KI bei 238 Mio. Analysen von 84 000 Patienten
aus 113 Pflegeeinrichtungen eineGenauigkeit von 96 % aufweist.8 Ein Vorteil liegt auch darin, dass nicht nur die Daten analysiert werden, sondern auch die Freitextfelder.
Auch in Deutschland beschäftigt man sich mit dem Thema Repositorien und KISysteme, um diesen im Pflegealltag zu nutzen. Es handelt sich dabei häufig um softwarebasierte Anwendungen der KI mit dem Ziel, Pflegekräfte und pflegende Angehörige zu unterstützen sowie die Selbstbestimmung und Lebensqualität pflegebedürftiger Personen zu verbessern.9
Vernetzung in den Niederlanden In den Niederlanden liegt ein Schwerpunkt der Digitalisierung in der Verbesserung der sektorenübergeifenden Versogung durch Entlass- und Überleitungsmanagement mit dem Ziel, die Kommunikation zwischen den stationären, akutgeriatrischen Einrichtungen, den Alten- und Pflegeinrichten, den mobilen Diensten und den Hausärzten – als ambulante Leistungserbringer – zu verbessern.
Aufgebaut und fast flächendeckend verfügbar sind flexible, bedarfsgerechte und arbeitsteilige Dienstleistungsstrukturen. Erreicht werden die Vermeidung von Versorgungsabbrüchen, eine Steigerung der Adhärenz, eine Verbesserung der Behandlungsergebnisse, eine Kostenreduktion im Gesundheitssystem und für Patienten die schnelle Wiedereingliederung in die gewohnte Umgebung.10
Softwaregestützte Care Managementsysteme können auch in Deutschland das gesundheits- und sozialpflegerische Hilfesystem nachhaltig verbessern. Vorteile zeigen sich besonders bei häufigen, kurzfristigen Zustandsänderungen der Patienten, bei komplexen Krankheitsbildern und Pflegesituationen, bei Verlegungen, Einweisungen, Einbindung des niedergelassenen Arztes/Hausarztes und einer genauen und schnellen Steuerung von Prozessen und Personal.11
Robotik in der Kinderintensivpflege
In den Medien ist die Berichterstattung über Roboter nicht mehr zu übersehen. DieDiskussion ist in Deutschland angekommen, und durch Forschungsprogramme werden weitere Ergebnisse in Wissenschaft und Praxis erwartet. So war es nur eine Frage der Zeit, bis das Thema auch in der Pflege ankommt. Aus Sicht der Autoren gibt es für die anwendungsnahe Ro-
botik in der Pflege erhebliche Potenziale. Die Vision eines humanoiden Roboters, der flexibel wie ein Mensch in verschiedenen Situationen agiert, ist aber noch weit entfernt davon, Realität zu werden. Kein aktuell existierender Roboter veranlasst den Nutzer ernsthaft dazu, ihn als vollwertigen Partner oder Ersatz für eine Pflegekraft wahrzunehmen. Für jeden, der einmal mit einem Roboter interagiert hat, ist unmittelbar klar, dass es sich nicht um ein Wesen, sondern um eine Maschine handelt. In Deutschland sind zahlreiche Förderprojekte bekannt, häufig mit dem Ziel einen Roboter „Made in Germany“ herzustellen.12 Was fehlt, sind oftmals praktische wirkorientierte Mensch-Roboter-Interaktionen (MRI) und wissenschaftliche Evaluationen.13 Berichtet werden kann von einem vielversprechenden Vorhaben aus der häuslichen Kinderintensivpflege. Die Annahme, dass Kinder mit akutem Krankheitsgeschehen nach einem stationären Aufenthalt kuriert sind, ist unzutreffend. Die professionelle Pflege übernehmen überwiegend außerklinische spezialisierte Kinderkrankenpflegedienste. Annähernd alle pflegebedürftigen Kinder werden zu Hause versorgt. Eine Gruppe mit Bedarf für eine außerklinische Intensivpflege bilden beatmete oder trachealkanülierte Patienten.14
Im Rahmen des Programms „Leon und sein Roboter Paul“ wird zur Therapie und Alltagsunterstützung ein humanoider Roboter eingesetzt. Verwendung findet der Roboter15 bei Kindern mit SMA (Spinale Muskelatrophie). Erreicht wurde im Bereich Versorgung die Selbstaktivierung, eine Entlastung der informell Pflegenden (Eltern), eine Verbesserung der Teilhabe (Inklusion) und die Therapieunterstützung.Technologisch wurden Programme entwickelt, mit denen der Roboter Personenund Gegenstände erkennen kann, er dient als Kommunikationsassistent, kann Sprachbefehle ausführen, verfügt über einen Zugang zu Medien und Spielen, hat einen Videocall und Tagesstrukturplaner und kann über das Internet of Things (IoT) Geräte im Umfeld steuern.
Eine Besonderheit liegt darin, dass die Eltern (und informell Pflegenden) sowie die Pflegefachkräfte dazu befähigt wurden, den Roboter selbst zu installieren und für den Praxiseinsatz in kleinen Schritten „fit zu machen“. Erste Evaluationen zeigen bei Eltern und Pflegekräften einen Nutzen bei der Unterstützung des Tagesablaufes, beim
Erkennen von Abweichungen der Beatmungsparameter und beim Vitaldatenmonitoring.16, 17
Chatbot und KI am Setting Geburtsklinik und in Netzwerken Früher Hilfen KI hat in den letzten Jahren eine neue Reifephase erreicht und entwickelt sich zum Treiber der Digitalisierung – auch in der Pflege. Besonders bei der Anwendung an der Schnittstelle Patient und Medizin/ Pflege sind KI-Anwendungen mit hohen Erwartungen verknüpft. Der Aspekt der direkten Kommunikation zwischen Patient und Chatbot, also der Moment, in dem „man nach etwas fragt“ und eine qualitätsgesicherte Information erhält, oder in dem gesundheitliche Zustände für eine Antwort abgeglichen werden, wird zukünftig relevanter.
Berichten möchten wir vom Chatbot NEUVOLA und der KI ELOISA aus dem Projekt MAIA – Maternity AI Assistent,18 das mit Partnern aus Deutschland, Finnland und den Niederlanden umgesetzt wird. Ziel ist es, mit einer ethischen und sicheren Chatbot-basierten KI, Schwangere, Mütter, und berufsbezogene Professionen zu unterstützen. Im Ergebnis entstand eine gemischte Mensch-KI-Lösung zur Befähigung des Menschen und ein vertrauenswürdiges hybrides System zur Entscheidungsunterstützung.
Auch wenn Schwangerschaft und Geburt problemlos verlaufen, gibt es oft Fragen, und der Wunsch nach Informationen, um alles richtig zu machen, ist groß. Nutzer, insbesondere Schwangere, Wöchnerinnen und stillende Mütter, aber auch Väter öffnen die App auf ihrem Smartphone und sprechen ihre Fragen in ihr Smartphone – etwa: „Mein Kind hat Fieber.“ Die KI informiert daraufhin im Dialog. Mit der App sind hochwertige Informationen, Beratung und Unterstützung für jeden zugänglich, unabhängig von Einkommensniveau, Kultur, Religion und Herkunftsland.
Die mobile Anwendung (Android/iOS) akzeptiert Benutzereingaben in Form von Sprache oder Text und berücksichtigt Benutzerdetails wie Schwangerschaftsstadium und Alter des Kindes. Die Daten werden von einer Konversations-KI verarbeitet (Natural Language Understanding, NLU), um die Absicht, den Kontext und die entsprechende Reaktion des Benutzers zu erkennen. Sobald die Antwort ausgewählt
wurde, wird sie (EU-DSGVO konform) an das Gerät des Benutzers zurückgesendet. Erste Evaluationen (n=1 500) zeigen, dass die Nutzer (Schwangere, Eltern, Väter) den Chatbot mit einer Intensität von etwa 8,5-mal am Tag und Nutzungszeiten von je 1,5 bis 17 Minuten gut annehmen. Etwa 47 % der Nutzer suchen nach Symptomen, etwa 20 % nach Angeboten im Zusammenhang mit Problemen. Besonders wichtig war den Nutzern der Zustand des Kindes und das Symptom Fieber. Aber auch nach dem eigenen physischen wie psychischen Zustand (beispielsweise Depressionen) wurden Unterstützungen gesucht.
SMILe und DigiCare
Auch in zwei weiteren Projekten wird eine Chatbot-Technologie erprobt: —Im SMILe-Projekt werden Menschen mit einer allogenen Stammzelltransplantation von einem klinischen Team von Advanced Practice Nurses (APN) persönliche, strukturierte Pflegevisiten zur Förderung des Selbst-Managements angeboten. Wichtige diagnostische Werte und Symptome können selbst überwacht werden, um frühzeitig Komplikationen zu erkennen und zu behandeln. Beteiligt sind u. a. die Universitätsklinika Freiburg und Basel sowie die Universität Augsburg.18 —Das Projekt „DigiCare“ unterstützt die Versorgung und das Selbstmanagement von onkologischen Patienten durch verbesserte Strukturen und digitale Lösungen DigiCare ist ein Projekt des Universitätsklinikums Essen (AöR), der Universität Duisburg-Essen, der Hamburger Fernschule undder Firma m.Doc. Auch hier bilden APN das entscheidende Bindeglied zwischen Technologie und Patient.19
Das Beste daraus machen
Die Digitalisierung bietet Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung und zur Optimierung von Arbeitsprozessen. „Dabei müssen Lösungen gefunden werden, die die Arbeit erleichtern, die Versorgungssicherheit gewährleisten und die Bürokratie reduzieren“, fordert die Präsidentin des Deutschen Pflegerates Christine Vogler.21 Umsetzungen der Digitalisierung treffen in der Pflegepraxis auf komplexe Problemlagen. Die Begleitung und Unterstützung der Beschäftigten in der Einführungsphase sowie dieEtablierung arbeits-praxisunterstützender Bildungsprozesse sichern die Umsetzung innovativer Leistungserbringungsstrukturen in Betrieben.22 Die Pro-
jektbeispiele SMILe und DigiCare zeigen gleichzeitig den Bedarf höherwertiger pflegerischer Qualifikationen (etwa ANP).
In der Berufsausbildung zur Pflegefachfrau bzw. zum Pflegefachmann spielen digitale Kompetenzen bisher nur eine untergeordnete Rolle. Erste Ausführungen und Handlungsempfehlungen werden diskutiert.24 Die zu erwerbenden Fachkompetenzen sind notwendig, um künftig eine hohePflege- und Versorgungsqualität sicherstellen zu können.
Digitalisierung kommt nicht in einem Karton geliefert, den man nur öffnen muss. Der Einsatz von digitalen Technologien in der Pflege sollte insgesamt den Menschen im Blick behalten. Vor dem Hintergrund des zukünftigen Fachkräftebedarfs und der Erwartungen an Digitalisierungspotenziale ist sie vor allem als Chance zu begreifen. Denn auf die häufig gestellte Frage „Wann geht das denn wieder weg mit der Digitalisierung?“ kann nur geantwortet werden: „Digitalisierung geht nicht mehr weg, die bleibt!“
* Aus Platzgründen wurde im Text die männliche Form gewählt, dennoch beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter. Die Fußnoten zum Text finden Sie unter www.mabuse-verlag.de
Was stimmt Sie optimistisch?
„Es gibt immer mehr marktfähige digitale Produkte und Dienstleistungen mit positiven Effekten für die Versorgung und Optimierung von Prozessen.“
Ingolf Rascher ist Sozialwissenschaftler und Gesundheitsökonom sowie Leiter Strategie, Digitalisierung und KI bei der Management for Health – INT in Amsterdam und Bochum. rascher@ management4health.eu
„Ich hoffe auf den anstehenden Generationswechsel in den Leitungsebenen, damit statt Insellösungen Digitalisierungsstrategien auf Konzern- oder Betriebsebene entwickelt werden, die ganzheitlich die Versorgungsprozesse fokussieren.“
Heinrich Recken ist Pflege- und Sozialwissenschaftler sowie Forschungsbeauftragter der Hamburger FernHochschule. heinrich.recken@ hamburger-fh.de
Zukunft des Gesundheitswesens
Vera A. Büchner, Roland Engehausen, Marie Peters, Maria Schwaiberger (Hg.) Zukunft der Pflege im Krankenhaus gestalten Probleme erkennen, Profession entwickeln, Potenziale fördern Internationale Blickwinkel, Best Practice-Beispiele, kreative Konzepte und engagierte berufspolitische Standpunkte sowie praktische Führungs- und Managementideen in diesem Buch zeigen auf, wie viel Potenzial in der Pflege und damit in der Zukunft der Krankenhäuser steckt.
Medhochzwei, Heidelberg 2023, 766 S., 89 Euro
Jürgen Graalmann, Eckart von Hirschhausen, Kerstin Blum (Hg.) Jetzt oder nie: Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen Ökologisch. Ökonomisch. Menschlich. Digital. Mit einer abwechslungsreichen Mischung aus Beiträgen, Interviews und Steckbriefen macht das Buch sichtbar, wie das Gesundheitswesen als Treiber für die Transformation der Gesellschaft hin zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz agieren kann. Mit den vermittelten Ansätzen, Strategien und Visionen seiner Autor:innen wird das Buch zum Impulsgeber wie auch zur Gebrauchsanleitung für notwendige Transformationen. Dazu gehören auch die politischen Rahmenbedingungen und Anreize, die für diese Veränderungen geschaffen werden müssen.
MWV, Berlin 2022, 320 S., 39,95 Euro
Felix Thiele
Medizin im Wandel
Aufbruch in eine ungewisse Zukunft Das Ideal einer Gesundheitsversorgung, die alle entsprechend ihrer medizinischen Bedürftigkeit und nicht ihrer finanziellen Möglichkeiten behandelt, droht durch steigende Gesundheitskosten und das Wegbrechen der Finanzierungsbasis zu kollabieren. Hochpräzise Eingriffe in die Biologie des Menschen, die Analyse riesiger Datenmengen und damit verbundene rechtliche Fragen sowie maschinelles Lernen, Robotik und Künstliche Intelligenz (KI) haben das Potenzial, die medizinische Zukunft weitreichend und grundlegend zu verändern. Brill Mentis, Paderborn 2024, 121 S., 29,90 Euro
Volker Eric Amelung, Susanne Eble, Ralf Sjuts, Helmut Hildebrandt, Franz Knieps, Ralph Lägel, Thomas Ballast, Patricia Ex (Hg.) Die Zukunft der Arbeit im Gesundheitswesen
Die letzten Gesundheitsreformen hatten alle als wesentliche Bestandteile die Sicherstellung der Versorgung mit ausreichend und adäquat qualifiziertem Personal. Im Buch werden die großen Strategie- und Handlungsfelder zur Gestaltung der zukünftigen Arbeitswelten im Gesundheitswesen beleuchtet. Expert:innen aus allen relevanten Disziplinen zeigen eine große Palette mit Tools und Instrumenten zur Hebung von Effizienzreserven mithilfe des Faktors Personal. MWV, Berlin 2020, 397 S., 19,95 Euro
Götz Bierling, Harald Engel, Anja Mezger, Daniel Pfofe, Wolfgang Pütz, Dietmar Sedlaczek Arztpraxis –erfolgreiche Übernahme
Betriebswirtschaft, Steuer, Gesellschaftsrecht, Berufs- und Zulassungsrecht
Die Vielschichtigkeit der Praxisübernahme oder -neugründung wird häufig unterschätzt und ihre Übernahme/Gründung gestaltet sich nicht mehr so einfach wie noch vor einigen Jahren. Die Autor:innen bieten alle Informationen, um die Übernahme bzw. Neugründung einer Arztpraxis strategisch optimal zu planen. Springer, Berlin/Heidelberg 2017, 122 S., 64,99 Euro
Ronald Deckert, Ingolf Rascher, Heinrich Recken Digitalisierung in der Altenpflege Analyse und Handlungsempfehlungen Wie der Einsatz von digital unterlegten Technologien insbesondere im sensiblen Bereich der Altenpflege erfolgreich umgesetzt werden kann und dabei auch stets den Menschen im Blick behält, erläutern die Autoren anhand von Beispielen aus den Bereichen Augmented Reality, Robotik, Sturzsensorik und Pflegedokumentation. Die neuen Anforderungen an die Qualifikation der handelnden Akteure werden ebenso diskutiert wie Fragen technologischer Voraussetzungen.
Springer Gabler, Wiesbaden 2022, 52 S., 14,99 Euro
Barbara Klein, Barbara, Birgit Graf, Marina Ringwald et al. Robotik in der Gesundheitswirtschaft Einsatzfelder und Potenziale Die demografischen Veränderungen und der Fachkräftemangel sind große Herausforderungen für unsere Gesundheitsversorgung. Robotische Assistenzsysteme können perspektivisch dazu beitragen, das Personal in (teil)stationären und ambulanten Versorgungsstrukturen zu entlasten. Die Autor:innen geben einen umfassenden Überblick zum aktuellen Stand robotischer Lösungen und Entwicklungen für die Einsatzfelder Krankenhaus, Rehabilitation, Altenpflege sowie zur Unterstützung des selbstständigen Lebens in der eigenen Häuslichkeit. Medhochzwei, Heidelberg 2023, 215 S.,
Thomas Klie, Wilhelm Haumann, Helmut Hildebrandt et al. Pflegereport 2024
Die Baby-Boomer und die Zukunft der Pflege – Beruflich Pflegende im Fokus Es ist eine der großen Fragen unserer Zeit, wie wir das gesellschaftlich so wichtige Thema Pflege in Zeiten demografischer Transformation gestalten und welche Antworten wir auf ihre Herausforderungen haben. Rechtzeitig zur aktuellen Debatte um eine weitere Reform der Pflegeversicherung und der Stärkung der beruflich Pflegenden enthält der DAK-Pflegereport zahlreiche wichtige Impulse. Medhochzwei, Heidelberg 2024, 304 S., 29 Euro
„Professionell pflegen kann nur, wer
den Beruf gelernt
Christoph Müller im Gespräch mit Vera Lux
hat.“
Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hat eine neue Präsidentin. Die profilierte Pflege-Managerin Vera Lux folgt auf Christel Bienstein. Für Christoph Müller ist dies Grund genug, sie nicht nur zu dieser großen Aufgabe zu beglückwünschen, sondern auch das Gespräch mit Vera Lux zu suchen.
Christoph Müller: Sie treten die Nachfolge von Christel Bienstein als DBfK-Präsidentin an, die als Ikone der deutschsprachigen Pflege gilt. Was ist Ihre Motivation, in die Fußstapfen einer Frau zu treten, die viele Wege bereitete?
Vera Lux: Christel Bienstein und mich verbindet die Leidenschaft für unseren Beruf, die professionelle Pflege. Wenn man diesen Beruf voranbringen und dadurch eine bessere Gesundheitsversorgung für die Bürger:innen sicherstellen will, braucht man ein Mandat. Als gewählte Präsidentin des größten Pflegeberufsverbandes erhält man ein solches Mandat und auch den Auftrag, die Pflege voranzubringen und etwas zu bewirken – so wie Christel Bienstein. In große Fußstapfen zu treten hat mich noch nie abgeschreckt, sondern war für mich immer ein Ansporn zu wachsen.
Sie gelten selbst als profilierte Pflege-Managerin, Frau Lux, die vieles in den Einrichtungen bewegte, in denen sie beispielsweise als Pflegedirektorin wirkte. Was wollen Sie als Präsidentin des größten pflegerischen Berufsverbands in Gang bringen?
Die nächsten zehn Jahre werden für die Gesundheitsversorgung in Deutschland entscheidend. Es geht um nichts weniger als die Qualität der Gesundheits- und damit auch der pflegerischen Versorgung für die Menschen im Land. Den Einrichtungen gehen die finanziellen und personellen Ressourcen aus, während der demografische Wandel absehbar zu erheblich mehr Pflegebedarf führen wird. Ich will mit dem DBfK eine starke Stimme in dieser Umbruchsituation sein.
Die professionelle Pflege kann mehr als sie derzeit darf. Ihr fachliches Potenzial ist bei weitem nicht ausgeschöpft. Und das können wir uns als Gesellschaft nicht mehr leisten. Deshalb trete ich dafür ein, durch grundlegende und tiefgreifende Reformen Aufgaben im System umzuverteilen und der Profession Pflege mehr Kompetenzen und Be-
fugnisse, mehr Verantwortung und damit mehr Wirksamkeit zu verleihen.
Nach Ihrer Wahl haben Sie betont, dass die Profession Pflege mit klaren und auch neuen Rollenprofilen viel verändern und mehr Verantwortung für eine bessere Versorgung übernehmen könne – trotz knapper Ressourcen im Gesundheitssystem. Was heißt dies konkret?
Das bedeutet, dass wir die Profile der auf der Grundlage des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) unterschiedlich qualifizierten Kolleg:innen schärfen müssen. Noch immer wird viel zu oft die Meinung vertreten „Pflegen kann jede:r“! Doch die Komplexität in der Versorgung hat aufgrund der medizinischen und diagnostischen Möglichkeiten zugenommen. Es braucht daher unterschiedliche Kompetenzen von Pflegeassistent:innen bis hin zu dreijährig und akademisch qualifizierten Pflegefachpersonen.
Profilschärfung heißt also: Wer hat welche Qualifikation, wer kann was, wer darf was und wie wird man in der jeweiligen Rolle entlohnt. Das ermöglicht einen bedarfsorientierten und effizienten Personaleinsatz, schafft Klarheit über die unterschiedlichen Kompetenzen und macht damit zugleich den Beruf attraktiver. Dies ist auch deshalb wichtig, um junge Menschen zu gewinnen. Um sie im Beruf zu halten, müssen einheitliche und klare Karrierewege auf- und ausgebaut werden. Davon wird auch die Gesundheitsversorgung insgesamt profitieren.
Wir sehen im internationalen Vergleich, dass Deutschland ein sehr teures Gesundheitssystem unterhält, das aber nur mittelmäßig erfolgreich ist. In den Vergleichen mit anderen OECD-Ländern wird klar, dass wir Defizite in der Primärversor-
Vera Lux ist ausgebildete Kinderkrankenschwester und hat Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Gesundheitswirtschaft studiert. Sie war viele Jahre Pflegedirektorin in Kliniken der Maximalversorgung. Heute arbeitet sie als selbstständige Managementberaterin im Bereich Pflege und Health Care. Seit Juni 2024 ist sie Präsidentin des DBfK.
gung haben. Hier liegt eine große Chance, mit Pflegefachpersonen wie beispielsweise Schulgesundheitspflegenden oder den auf Masterniveau ausgebildeten Community Health Nurses frühzeitig mit Gesundheitsförderung, Prävention, guter Beratung zum Umgang mit chronischen Erkrankungen sowie der Anleitung und Begleitung pflegender Angehöriger die Krankheitslast und den Pflegebedarf zu verringern. Dafür müssen aber unter anderem mit dem Pflegekompetenzgesetz die Weichen schnell gestellt werden, da solche Transformationen Zeit brauchen, die wir nicht mehr haben.
In den vergangenen Wochen wurde auch darüber diskutiert, dass Ukrainerinnen und Ukrainern kein Bürgergeld bezahlt werden solle. In diesem Kontext formulierten Politikerinnen und Politiker, dass Arbeit attraktiv gemacht werden müsse und es unter anderem in der Pflege viel Bedarf gebe. Was halten Sie davon, dass die Vorstellung weiterhin Konjunktur hat, Pflegen könne jede und jeder? Diese Vorstellung hat uns in die prekäre Lage gebracht, in der wir uns jetzt befinden. Anstatt angesichts der wachsenden Herausforderungen durch mehr alte, mehr chronisch kranke und Menschen mit sehr komplexen Gesundheitsbedarfen auf höhere pflegerische Qualifizierung zu setzen, haben die politisch Verantwortlichen nur Hände und Füße gezählt. Damit geht eine Deprofessionalisierung einher, wo es einer Professionalisierung bedarf.
Auch hier hilft der Blick ins Ausland: Höhere Quoten akademisch ausgebildeter Pflegefachpersonen verringern Komplikationen, Rehospitalisierungen und Todesfälle, weil evidenzbasierte Pflege auf der Grundlage von Erkenntnissen der Pflegewissenschaft und Pflegeforschung in der Pflegepraxis ankommt und wirken kann. Deutschland liegt hier um Lichtjahre zurück. Es ist eine Illusion, dass wir dem Fachkräftemangel in der professionellen Pflege damit begegnen können, dass wir alle, die nicht bei drei auf dem Baum sind, irgendwie „in die Pflege“ stecken. Pflege ist komplex, verantwortungsvoll und sowohl physisch wie psychisch herausfordernd. Professionell pflegen kann daher nur, wer den Beruf gelernt hat.
Ein großes Thema ist für Sie bekanntlich das Selbstverständnis professionell Pflegender. Dies haben Sie auch nach der Wahl zur DBfKPräsidentin unterstrichen, als sie Kolleginnen und Kollegen einluden. Was heißt es für Sie, gemeinsam für die Profession einzutreten? Was bedeutet für Sie pflegerisches Selbstverständnis?
Pflege ist ein toller und anspruchsvoller Beruf. Wir haben eine umfassende Ausbildung durchlaufen und unser Können macht für Patient:innen, Menschen mit Pflegebedarf sowie ihre An- und Zugehörigen einen Unterschied. Darauf können wir stolz sein und es muss uns so wichtig sein, dass wir für diesen Beruf und die Sicherstellung der Qualität unserer Arbeit eintreten. Für mich gehört dazu, dass wir uns organisieren. Wir sind die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen und
könnten viel mehr bewegen, wenn wir alle zusammen für unsere Belange eintreten würden. Derzeit ist der Organisationsgrad der Pflege in Deutschland mit etwa zehn Prozent sehr niedrig.
Das ist meine Einladung an alle Kolleg:innen: Je höher der Organisationsgrad der Pflege ist, umso größer ist unsere Lobby und umso besser können wir gemeinsam für uns und die Belange unseres Berufs einstehen. Dies hilft uns als Berufsstand und nicht zuletzt den uns anvertrauten Patient:innen, Bewohne-r:innen und Klient:innen.
Der DBfK muss sich im Konzert der unterschiedlichen Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter behaupten. Er ist gemeinsam mit der Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung, dem Deutschen Pflegerat, den Pflegekammern in den Bundesländern eine Stimme unter vielen. Auch der Aspekt der Kooperation mit anderen Professionen im Gesundheitswesen darf nicht vernachlässigt werden. Wie kann es gelingen, dass keine Misstöne in der Gestaltung der Gesundheitsversorgung auftauchen?
Das ist eigentlich ganz einfach: Wir müssen Gesundheitsversorgung und Pflege von den Menschen aus denken, die sie benötigen, anstatt mit immer mehr Mitteln alte Hierarchien und Strukturen aufrechterhalten zu wollen. Dafür sollten wir offen für gelungene internationale Beispiele und vor allem offen gegenüber allen an der Versorgung beteiligten Professionen sein. Die Gesundheitsversorgung der Zukunft wird von interprofessionellen Teams geleistet, die hochqualifiziert sind und gleichberechtigt sektorübergreifend miteinander arbeiten. Neue Technologien und KI werden die Transformation befördern und extrem beschleunigen. Niemand schafft das alleine, so müssen sich auch die Interessenvertretungen anpassen und verändern. Der DBfK als stärkster Berufsverband nimmt die Herausforderung an und versteht sie als Chance auf Weiterentwicklung und Profilschärfung.
Ganz herzlichen Dank, Frau Lux, für das belebende Gespräch!
Christoph Müller geb. 1970, Stabsstelle Qualitätsmanagement in einer Klinik der Maximalversorgung, langjährige Erfahrungen in der psychiatrischen Pflege, Fachautor, lebt in Wesseling am Rhein.
Dr.med.Mabuse – ein halbes Jahrhundert im Dienste der Gesundheit
von Joseph Randersacker, Zeitschriftenruhestandscoach
1976 hat Dr. med. Mabuse angefangen, sich um die Gesundheit der Menschen zu kümmern. Nach 48 Berufsjahren ist sie nun in den Ruhestand getreten. Sorgen macht ihr etwas das Geld. Wäre sie in der gesetzlichen Rentenversicherung gewesen, hätte sie nach so vielen Beitragsjahren ein gutes Auskommen. Maximal 3.538,30 Euro sind derzeit in der gesetzlichen Rentenversicherung zu erreichen – wenn man mindestens 45 Jahre den höchsten Beitragssatz eingezahlt hat. Aber erstens erreicht das kaum jemand,* zweitens war sie selbständig. Für größere Rücklagen hat es nicht gereicht und so wird sie doch noch nebenbei ein bisschen weiterarbeiten: Bücher will sie verkaufen.**
Gesundheitlich geht es ihr gut, anders als die Mehrheit der Leute in ihrem Alter ist sie nicht multimorbid, geraucht hat sie nie und als Teil der alternativen Gesundheitsbewegung hatte sie auch immer genug Bewegung. Manchmal ging es dabei sogar vorwärts.
Trotzdem fühlt sie sich in letzter Zeit oft erschöpft und kraftlos. Der noch amtierende Gesundheitsminister päppelt die Pharmaindustrie und will auch noch das ohnehin knappe Geld der Prävention für die Behandlung mit Statinen ausgeben. „Gesundes-Herz-Gesetz“ nennt er das, als ob man gesunde Herzen mit Statinen behandeln müsste. Die Krankenhausreform, sagt
sie, käme ihr vor wie aus der Kita-Bastelgruppe, nichts passt richtig zusammen. Warum in einem der reichsten Länder der Welt die Pflege oft so menschenunwürdig ist, versteht sie auch nicht. Und Termine beim Arzt – wo kriegt man die heutzutage noch?*** Bei Dr. med. Mabuse jedenfalls nicht mehr. Sie lässt von der Insel grüßen und wünscht uns allen viel Glück und Gesundheit.
* Selbst nach 45 Beitragsjahren beträgt die Durchschnittsrente bundesweit nur 1.604 Euro. Laut Mietspiegel liegt die Durchschnittsmiete in Frankfurt am Main, dem Wohnort von Dr. med. Mabuse, im 3. Quartal 2024 bei ca. 14 Euro/qm. Die Durchschnittsrente langjährig Versicherter reicht also für 115 qm – ohne Essen.
** https://www.mabuse-buchversand.de
*** Wenn man Glück hat, unter 116 117
Liebe Leserinnen und Leser, Dr. med. Mabuse sagt AUF WIEDr.SEHEN!
Diese Ausgabe von Dr. med. Mabuse ist die letzte im Mabuse-Verlag. Es gab einige Gründe für diese Entscheidung:
Die Ökonomie: Die Zahl der Abos geht zurück, aber die Kosten steigen. Gleichzeitig fallen die Anzeigenerlöse.
Die personelle Situation: Es gelang uns nicht, dauerhaft für die Stelle in der Redaktion jemanden mit gutem politischem Gespür und Interesse an gesundheitspolitischen Fragen zu finden. Dies betrifft auch die Stelle in der Anzeigenakquise.
Die politische Entwicklung: Unser Ansatz, für ein solidarisches Gesundheitswesen zu kämpfen und den Dialog zwischen den verschiedenen Berufsgruppen im Gesundheitswesen zu fördern, scheint etwas aus der Zeit gefallen zu sein.
Der Trend zu digitalen Medien: Wie wir alle aus unserem Alltagsverhalten wissen, werden Zeitschriften immer weniger in gedruckter Form gelesen.
Im folgenden Abschiedsteil ziehen Mabuse-Autorinnen und -Autoren Bilanz zu ihrem Arbeitsgebiet und formulieren Perspektiven: ein einmaliger gesundheits- und gesellschaftspolitischer Blumenstrauß.
Außerdem Stellungnahmen aus der Pflegeredaktion, Grüße von (ehemaligen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Anzeigenkunden und Freunden des Hauses. Wir fragen uns, was auf der Fahne unserer Ideale stand, und klären auf, wie Dating in den 1980ern ging.
Willkommen an Bord, Andreas Lauterbach und hpsmedia Verlag!
Es passt zu unserer verrückten Mabuse-Geschichte, dass sich kurz vor Drucklegung dieser Ausgabe durch Zufall jemand fand, der Dr. med. Mabuse weiterführen will. Andreas Lauterbach will mit seinem Verlag hpsmedia unseren altehrwürdigen Mabuse weiter und auch stärker in eine digitale Zukunft führen. Der Krankenpfleger und Gesundheitswissenschaftler gibt drei pflegerische Fachzeitschriften (Pflegewissenschaft, Pädagogik der Gesundheitsberufe, Geschichte der Gesundheitsberufe) heraus und betreibt die Datenbank CareLit für viele Zeitschriften im Gesundheitswesen, auf der man u. a. alle Dr. med. Mabuse-Artikel ab der Nr. 1 abrufen kann.
Dr. med. Mabuse finden Sie ab sofort unter www.zeitschrift-mabuse.de
Ich freue mich sehr, dass wir für Dr. med. Mabuse einen fachlich kompetenten Nachfolgeverlag gefunden haben. Willkommen an Bord!
Bleiben Sie unserem Verlag und dem alten Dr. med. Mabuse in seiner neuen Heimat gewogen!
Hermann Löffler
(Geschäftsführer)
Andreas Lauterbach (hpsmedia Verlag)
AUF WIE Dr. SEHEN!
Inhaltsverzeichnis
81 48 Jahre Dr. med. Mabuse
Interview mit Hermann Löffler
85 Cartoon
86 Grüße aus der Pflege-Redaktion
90 Pflegepädagogik als Heilsbringerin?
Zur Behebung der Mängel in der Pflege
Karin Kersting
94 Viele Anläufe und kein Ende Ausbildungsreform der Pflegeberufe
Gerd Dielmann
98 Fortschritt und Stillstand
Die stationäre Altenhilfe der vergangenen Jahrzehnte
Michael Graber-Dünow
100 Psychiatrie
Zur Geschichte der Reformbewegung
Hartmut Berger
105 Solidarität und Integrierte Medizin Plädoyer für eine humane Medizin
Sven Eisenreich
108 Im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz
Die Zukunft der Kinder- und JugendlichenPsychotherapie
Stefan Hetterich
110 Kinderheilkunde
Ein Rückblick
Stephan Heinrich Nolte
112 Seelische Gesundheit im Globalen Süden braucht mehr Engagement!
Michael Huppertz
118 Abschiedsgrüße
126 Mabuse im Herzen – soziale Gesundheit zum Ziel!
Ellis Huber
128 Bewegung, Blockaden und stille Enden Gegenbewegungen im Gesundheitswesen
Joseph Kuhn
130 Was du heute kannst reformieren … Entwicklungen in der Gesundheitspolitik
Wolfgang Wagner
132 Alles hat seine Zeit – und geht damit manchmal auch zu Ende
Helmut Schaaf
134 Vom Monster zur Marke Mabuse – Geschichte eines Randphänomens
Eberhard Wolff
136 Das unheilbar gute Gewissen Die deutsche Linke und der Antisemitismus
Alex Feuerherdt
140 Abschied von Dr. med. Mabuse Rückblick und Aussichten
144 Die Entdeckung der Patientin Medizin und die Frauen
Barbara Knab
146 Auch der Fortschritt hat zwei Enden Sterilisation von Menschen mit Behinderungen ist eine Frage des Selbstbestimmungsrechts
Oliver Tolmein
148 „Nun ade, Du mein lieb’ Mabuse“ Ein Nachruf mit Aussichten
Michael Wunder
150 ‚Demenz‘ Vorwärts, rückwärts oder immer im Kreis herum?
Peter Wißmann
152 Bedeutend, teuer, risikoreich und viel zu wenig gemeinnützig Die Pharmasparte Udo Puteanus
154 Solidarität ist zukunftsfähig Bilanz einer dem Mabuse jahrzehntelang verbundenen Medizinhistorikerin
Marion Hulverscheidt
157 „Lindern statt Heilen“ – Subjektiver Blick auf 35 Jahre (nicht nur) palliative Versorgung
Anette Christian
48 Jahre Dr. med. Mabuse
Interview mit Hermann Löffler
Tobias Frisch: Lieber Hermann, wie kam es zur Gründung der Zeitschrift Dr. med. Mabuse?
Hermann Löffler: Mitte der Siebziger Jahre gab es einen bundesweiten Vorlesungsboykott der Medizinstudierenden. Wir wollten damals erreichen, dass die Arbeit im Praktischen Jahr mit 500 DM entlohnt werden sollte. An den Aktivitäten waren viele unterschiedliche Gruppen beteiligt, das Ziel wurde nicht erreicht. Erst Jahrzehnte später gab es für die arbeitenden PJ‘ler einen geringfügigen Lohn.
1976 gewannen die Undogmatischen Linken die Fachschaftswahlen in Frankfurt. In diesem Zusammenhang entstand die Idee für eine neue Art Zeitschrift mit dem provozierenden Namen Dr. med. Mabuse. Sie sollte sich kritisch mit Medizin und Gesundheitspolitik auseinandersetzen, inhaltlich über den studentischen Tellerrand hinausblicken und verschiedene Berufsgruppen im Gesundheitswesen einbeziehen. Bei der Leserschaft hat das in Teilen geklappt, die Macherinnen und Macher kamen bis zur Gründung der Pflegeredaktion im Jahre 1987 allerdings fast ausschließlich aus dem studentischen und später ärztlichen Milieu. Die erste Ausgabe erschien am 10. Dezember 1976.
Du warst nicht von Anfang an dabei? Wie bist du dazu gestoßen?
Ich wechselte als Medizinstudent 1974 von Mainz nach Frankfurt. Auf dem Gelände der Uniklinik gab es ein selbstverwaltetes Kommunikationszentrum (KOMM). Dort tagte neben verschiedenen politischen Gruppen auch die Mabuse-Redaktion. Neugierig las ich die Zeitschrift mit zunehmendem Interesse, war auch immer mal bei Diskussionen dabei. Ich habe neulich noch einmal nachgesehen: ab der Ausgabe 12 (März 1978) stehe ich im Impressum und war somit Teil des „Redaktions-Kollektivs“.
Was hat Dich bei der Stange gehalten?
Die Leute waren mir sympathisch, und es war innerhalb des Gewusels im KOMM eine feste Gruppe, in der ich mich wohlgefühlt habe. Ich glaube, das lag auch an der undogmatischen politischen Linie.
Das Projekt ist ziemlich schnell gewachsen.
Schon nach den ersten Ausgaben kamen über Kontakte zu anderen Fachschaften Leute von überall dazu. Das ging relativ schnell, Ende der Siebziger gab es in fast allen Städten mit einer medizinischen Fakultät auch Mabuse-Gruppen. So entstand ein basisdemokratisches Netzwerk, das sich vier Mal im Jahr an wechselnden Orten für ein Wochenende traf, um die nächste Ausgabe zu diskutieren. Insgesamt waren im Laufe der Jahre gut 200 Leute beteiligt.
Das stelle ich mir recht chaotisch vor. Wie habt ihr euch über die Inhalte verständigt?
Vor unseren Redaktionstreffen wurden die Artikel per Post herumgeschickt, über deren Erscheinen diskutiert und abgestimmt werden sollte. Wir wussten oft nicht, was in letzter Sekunde noch kommen und wer zu den Treffen erscheinen würde. Natürlich gab es da Differenzen und immer wieder auch Ängste, dass das Projekt von einzelnen dogmatischen politischen Gruppen gekapert werden könnte. Aber das ist nie passiert und die Strukturen funktionierten bis etwa Beginn der 90ger Jahre: Oft waren es zähe und mühselige Debatten, aber insgesamt lief es erstaunlich gut.
Es gab keine oder nur wenig Einschränkungen des Meinungskorridors und mal jenseits davon, dass wir alle in dieser Sturm- und Drangzeit viel politischen Unsinn verzapften, herrschte oft eine sehr fragwürdige pseudo-liberale Haltung, dass alles gedruckt werden darf. Dies führte immer wieder mal zu Artikeln, für die ich mich heute schäme. So gab es z. B. Lobeshymnen auf das albanische Gesundheitswesen im Blatt oder in der Ausgabe 17 einen Text, der Pädophilie rechtfertigte.
Ich staune, wie ihr das inhaltlich zusammenhalten konntet. Was war denn eure gemeinsame Motivation? Gab es besondere Ereignisse, die euch geprägt haben?
Ich glaube, das wichtigste war der Berliner Gesundheitstag im Mai 1980. Das Unwohlsein in Bezug auf den ärztlichen Berufsstand (‚Halbgötter in Weiß‘), Kritik an der Pharmaindustrie, die Rolle der Frauen in der Medizin u. a. ging damals schon weit über studentische Kreise hinaus. Die Rolle der Mediziner im Nationalsozialismus
wurde eine der zentralen Fragen dieses ersten Gesundheitstages. Da auf den offiziellen Deutschen Ärztetagen für solche Fragen nicht nur kein Platz war, sondern die Verstrickung auch relativiert oder geleugnet wurde, entstand die Idee, eine eigene Veranstaltung zu organisieren.
Wir rechneten damals mit ca. 1 000 Menschen, aber es kamen etwa 10 000. Zum ersten Mal nach dem Krieg wurden jüdische Ärzte eingeladen, die von den Nazis vertrieben worden waren und auf dieser Tagung über ihr Schicksal berichteten. Das war für mich eine der eindrücklichsten Veranstaltungen. Weitere Themen waren Alternativmedizin, Medizin in der „Dritten Welt“ und auch die Zustände in der Psychiatrie. So berichtete z. B. u. a. Franco Basaglia, der bekannte italienische Reformpsychiater, über die dortige Situation.
Die Mabuse-Gruppen gehörten zu den vielen Puzzlesteinen, die damals mitgewirkt hatten. Es gab eine unglaubliche Aufbruchstimmung. In Folge dessen entstanden in vielen Städten Gesundheitsläden, die zum Treffpunkt von engagierten Berufstätigen und Studenten wurden. Inhaltlich, aber auch auflagenmäßig bedeutete das für den Dr. med. Mabuse einen Riesenschritt nach vorne.
Wie konnte denn aus der studentischen, basisdemokratischen Redaktionsarbeit ein Unternehmen entstehen und was war deine Rolle dabei?
Es gab einen sogenannten Hauptverantwortlichen (es waren anfangs nur Männer), der bekam 500 DM im Monat. Seine Aufgaben waren das Führen der Akten, die Verwaltung (z. B. der Abos) und vor allem die Koordination zwischen den einzelnen „Mabuse-Basis-Gruppen“. Dieser Posten wechselte nach dem Rotationsprinzip, genauso wie die LayoutGruppe und so weiter. Das war ein Dogma, damit ja keine verkrusteten Strukturen entstehen würden. Der Qualität der Zeitschrift hat das rückblickend sicher nicht gutgetan und war oft für alle sehr anstrengend.
1981 unterbrach ich meine ärztliche Arbeit in der Chirurgie, um diesen Job erneut zu übernehmen und im Anschluss das Staffelholz weiterzugeben. Bald schon gab es im internen Mabuse-Kreis niemanden mehr, der oder die diese Aufgabe übernehmen wollte: Die
meisten von uns hatten inzwischen andere Prioritäten (ihre berufliche Entwicklung, Familie, finanzielle Sicherheit etc.). 1985 gab ich meine ärztliche Tätigkeit in einer psychiatrischen Klinik auf und wollte den Mabuse-Job noch einmal für ein bis zwei Jahre machen, es wurden mehr!
Auf der letzten überregionalen Redaktionskonferenz 1990 im mauerfreien Berlin wurde eine Professionalisierung in die Wege geleitet. Die Strukturen und die lokalen Gruppen lösten sich später sukzessive auf. Dr. med. Mabuse zog 1992 mit eigenen Redaktionsräumen ins ehemalige KBW-Haus in Frankfurt und die Soziologin Sabine Keller übernahm gemeinsam mit mir hauptamtlich alle anfallenden Aufgaben.
Warum wolltest du nicht weiter als Arzt arbeiten?
Es ist nicht so, dass ich als Arzt unglücklich war. Die psychiatrische Facharztausbildung hätte ich mir gut vorstellen können. Aber mich reizte auch die weitere Entwicklung bei Mabuse. Die Arzthelferin Gerlinde Jung kam aus einer Kollektivpraxis zu zum Mabuse-Verlag (beide einte der Einheitslohn!) und baute unseren Broschüren-Vertrieb zum Buchversand aus. Daraus entwickelte sich später auch ein eigenes Verlags-Programm. Ich hatte weiterhin großen Spaß an der vielfältigen und wachsenden Verlagsarbeit, fand diese politisch sehr wichtig und wuchs zunehmend in diese Tätigkeit hinein. Auch machte ich die Erfahrung, dass mir das „Netzwerkeln“ doch sehr lag und bis heute liegt.
Wie ging es inhaltlich mit der Zeitschrift weiter?
1987 gab es einen Aufruf von Hilde Steppe zur Gründung einer autonomen Pflegeredaktion innerhalb des Dr. med. Mabuse. Die Frankfurter Krankenschwester hatte sich mit dem Thema „Krankenpflege im Nationalsozialismus“ beschäftigt und im Mabuse-Verlag ein Buch dazu publiziert. Ihrem Aufruf folgten über 100 Krankenschwestern und -pfleger, wir Akademiker hatten auf diesem Treffen kein Teilnahmerecht.
Warum habt ihr euch darauf eingelassen?
Wir hatten natürlich Angst vor einem Machtverlust. Bei bröckelnder Basis un-
ter den Medizinerinnen und Medizinern hätten uns 100 Krankenschwestern und -pfleger sowieso in jeder Frage überstimmt. Für den Dr. med. Mabuse bedeutete die neue Pflegeredaktion aber eine regelrechte Frischzellenkur. Zu dieser Zeit gab es bundesweite Demonstrationen gegen den Pflegenotstand. Auch sprach Hilde Steppe Leute an, die sich gegen die Hierarchie zwischen Ärzten und Pflegekräften auflehnten und es gab die ersten Lehrstühle für Pflegewissenschaft. All diese Themen wurden sowohl in der Zeitschrift, als auch im Verlagsprogramm abgebildet.
Für uns war dies die Chance, unseren Anspruch näher zu kommen, ein Forum für alle Beschäftigten im Gesundheitswesen zu sein. Ich denke, dass ohne die Pflegeredaktion und die neue Leserschaft unsere Zeitschrift nicht 48 Jahre lang Bestand gehabt hätte.
Wie hat sich die Pflegeredaktion weiterentwickelt?
Auch da gab es ein bundesweites Netzwerk, das hielt etwa fünf Jahre, am Ende existierte nur noch die Frankfurter Gruppe, die uns seit 30 Jahren! ehrenamtlich berät: Für uns eine unverzichtbare Quelle pflegerischer Erkenntnis!
Ich bin sehr froh, dass diese klugen Menschen uns auch bei der Verlagsarbeit weiter beraten wollen.
Wann hat sich abgezeichnet, dass Dr. med. Mabuse – nach vielen Jahren und bewegter Geschichte – in eine Krise geraten wird? Wie würdest du die Gründe umreißen?
1992 sind wir ins Frankfurter Ökohaus umgezogen, der Versandbuchhandel und die Verlagstätigkeit wurden ausgeweitet. Die Abo-Zahlen des Dr. med. Mabuse stagnierten und nach der Jahrtausendwende war es so weit, dass die Anzeigenerlöse die Abo-Einnahmen übertrafen. Wir haben diesen Bereich professionalisiert, um überleben zu können. Dafür wurden zusätzliche Leute eingestellt, die sich nur um Anzeigen kümmerten, aber bei zunehmender Digitalisierung und veränderten politischen Rahmenbedingungen wurde es immer schwieriger, Abonnenten zu erhalten und auch neue zu gewinnen.
Habt Ihr über eine Digitalisierung der Zeitschrift nachgedacht?
Klar, das haben wir. Man kann jede einzelne Mabuse-Ausgabe digital erwerben. Auch alle älteren Ausgaben wurden inzwischen digitalisiert und sind über Carelit zu beziehen. Was wir nicht umgesetzt haben, ist eine Voll-Digitalisierung.
Wie siehst du das ökonomische Verhältnis zwischen der Zeitschrift, dem Buch-Verlag und der Versandbuchhandlung?
Ich habe lange nicht gesehen – oder sehen wollen –, dass die Bedeutung von Dr. med. Mabuse im Vergleich zu den anderen Betriebsteilen nachließ und an dem Gedanken festgehalten, ohne unser „Flaggschiff“ würde es nicht gehen. Inzwischen ist das Verlagsprogramm mit seinen Kinderfachbüchern deutlich der ökonomisch wichtigste Teil.
Ich möchte noch einmal auf meine Frage nach den Gründen zur Einstellung der Zeitschrift zurückkommen.
Na ja, da ist zum einen die personelle Situation in der Redaktion zu berücksichtigen:
Nachdem Franca Zimmermann nach 12jähriger engagierter redaktioneller Leitung vor zwei Jahren ausschied, gab es keine kontinuierliche, stabile personelle Redaktionssituation mehr. Es gelang mir nicht, für diese zentrale Stelle dauerhaft jemanden zu gewinnen, der/ die für den Mabuse-Lohn mit gutem politischem Gespür und Interesse an gesundheitspolitischen Fragen für die Zeitschrift hätte arbeiten können und wollen. Dies betrifft im Übrigen auch die Stelle der Anzeigenakquise.
Dazu kommt die umfassende Krise linker Ansätze: Auch wenn uns dogmatische und autoritäre Ansätze in der Politik seit Gründung der Zeitschrift mehr als suspekt waren, so sind doch viele Prämissen unserer politischen Inhalte zu hinterfragen.
Auch die Mabuse-Leserschaft hat sich politisch und biografisch verändert: Die prägenden originären gesundheitspolitischen Mabuse-Themen, wie z.B. Gesundheitspolitik, Versorgungsstrukturen, Pharmaindustrie, Geschichte der Medizin, fanden bei unseren Leserinnen und Lesern immer weniger Interesse.
Ich glaube, Mabuse ist auch so etwas wie ein Zwei-Generationenprojekt, geprägt von vielen politischen Hoffnungen, die sich kaum in der individuellen
schaft und der Medizin unverändert seien und ich doch einfach weitermachen solle. Warum hat es mich nicht gewundert, dass die Vertreter dieser belehren-
Natürlich war die linke MabuseGeschichte eine voller Irrungen und Wirrungen, aber auch eine voller schöner Erlebnisse und auch positiver gesellschaftlicher Veränderungen.
Berufskarriere verwirklichen ließen. Was blieb, waren häufig auf das Projekt gerichtete Stellvertreter-Projektionen: Wenn Abo-Kündigungen begründet wurden, hieß es oft und in ähnlicher Weise:
„Dr. med. Mabuse hat mich gerade in meiner Studienzeit inspiriert und mich politisch sozialisiert. Aber ich gehe in Rente und lese die Zeitschrift schon einiger Zeit nicht mehr.
Ich danke euch herzlich für alles. Haltet weiterhin die Fahne unserer Ideale hoch!“
Jenseits von gestiegenen Produktionskosten bei sinkenden Abo- und Anzeigenerlösen ist da noch meine persönliche Situation: Da ich inzwischen über 70 Jahre alt bin, habe ich mich nun nach 48 Jahren Dr. med. Mabuse entschieden, mit dieser für mich sehr gelungenen letzten Ausgabe einen guten Schlusspunkt zu setzen. Vielleicht schaffe ich es nun endlich, meinen seit Jahren geplanten und immer wieder angekündigten freien Donnerstag zu verwirklichen, denn die Verlagsarbeit geht ja weiter. Und vielleicht passiert ja kurz vor knapp ein Wunder und jemand will unseren guten alten Mabuse weiter führen, das wäre wunderschön!
Wie waren die Reaktionen aus dem Umfeld – beispielsweise seitens der Autorinnen und Autoren?
Sie trauern natürlich ihrem orginären Publikationsort hinterher. Viele, die mir geschrieben haben, bedauern, dass mit dem Dr. med. Mabuse ein wichtiges Forum für den interdisziplinären und kritischen Austausch zu verschwinden droht. Aber es gab auch einige Stimmen, dass alles so weitergehen müsse wie bislang, die politischen Verhältnis in der Gesell-
den hypermoralischen Stimmen allesamt kein Abo mehr haben?
Das war einer der Momente, die mich in meiner Entscheidung bestärkten.
Gibt es etwas, dass du bedauerst oder heute anders machen würdest?
Natürlich war die linke Mabuse-Geschichte eine voller Irrungen und Wirrungen, aber auch eine voller schöner Erlebnisse und auch positiver gesellschaftlicher Veränderungen.
Im Grunde denke ich, dass es doch über 40 Jahre insgesamt ganz gut gelaufen ist.
Was mich bekümmert, sind z. B. politische Versäumnisse insbesondere der frühen Jahre. Der fürchterliche politische Missbrauch der Psychiatrie in der Sowjetunion und in abgemilderter Form in der DDR, in welcher manche Oppositionelle als geisteskrank weggesperrt wurden – das war früh bekannt, sogar publiziert. Auch wir Spontis wollten hier wohl eher den Burgfrieden wahren, als die menschenverachtenden Zustände anprangern.
Was mich in den letzten Jahren sehr bedrückt, ist ein deutlich eingeschränkter Meinungskorridor in der Gesellschaft und in unserer politischen Blase. Das gilt in vielen Bereichen, am deutlichsten aber bei den Themen Migration, Corona und Identitätspolitik. Hier hat Mabuse zu wenig an kontroversen Meinungen gebracht und dem links-grünen Mainstream gefrönt.
Und auch mit dem Antisemitismus haben wir uns viel zu wenig auseinandergesetzt – auch hier waren wir auf dem linken Auge recht blind.
Ich stand nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 mit einigen wenigen Hundert Demonstranten auf dem Paulsplatz in Frankfurt. Die sonst
arole er der P Dass sich unt weitgehend. en er fehlt en Gesicht on Demos bekannt v
Holocaust dem seit uden Jan echen Ver Ve ößten „Nie wieder ist jetzt!“ seit dem gr
uständnis Ver viel zlich danken. her - uf dem le amm a ogr mit seinem Abo-Pr en achtziger den in schon matiker - der als Infor erner Hofmann, An W rauchegele.us her us seinem Ba eher a ell her die Dinge tur on seinem Na er v führ - dass der Geschäfts , das Gerücht umging weil , uch wichtig ar a Dies w gewiesen. eg en W echt vielen Tipps und Tipps den r et und uns manchmal mit oll begleit v - elang wunder zehnt t uns jahr Detzner ha ea ende Andr etabereuer st Unser - stupid! (Bill Clin , s the economyy, haben. ohenden Krisen geholfen enzbedr ch manche stützt und dur er nanziell unt - oßzügig fi elang sehr gr zehnt uns jahr die , an die stillen Gesellschafter en,orutA euen Leser und lich an die tr natür ,erbeit - erinnen und Mitar beit An alle Mitar ussprechen: oßes Dankeschön a ein gr uch e ich hier a edend möcht Selbstr diesemin ozent Pr30 twa E innehalten: urz wir k sollten heben,erend echt und en Ländern selbstger in ander Wähler ählerinnen und Dummheit der W Wä or wir uns über die Bev Wahlkampf: tz zum aktuellen ielleicht noch ein Sa V ust fassungslos. nach dem Holoca ahre macht mich 80 J gungen k litischen gesellschaftlichen Gegenbew - em Maße zu po ößer ohne dass es in gr –, eich de an Hochschulen und im K uch und ger mende Antisemitismus – a - t zuneh essivitä e und Aggr eit lich an Br - deut– en en zehn letzt – in den Der .uriga macht mich sehr tr en, sammelterv usende er – Hundertta t e spä t nige Mona - tionen ei a nicht – wie bei den Demonstr
erspektiven Bilanz und P i 9bi2016lLkt
heitsför settingbezogene Maß VerHeut.lagMabuse-Ve on vetbeitEr2009e ar e erview führt Das Int v Lieber Hermann, , .etgleit in liebe beitszeit langen Ar
feiern bei
risch. obias FT vielen Dank für das - t be oller Solidaritä ev en und W t meiner otz trund Sie haben mich mit - ßnahmen zur Gesund et er eut und bet e betrt or im 9 bis 2016 als Lekt zen. uch in meinem Her opf und a nem K - erung in mei leicht eile ist viel Er mittlerw aber uerphase, stmal eine T schluss er - e ich nach meinem Ent tt lich ha bittetorw es SchlusszurEin k uch so bleiben. tabel und das möge a en pr ahr en seit J beit sand ar lag und der Mabuse- Ver Der Mabuseeiter d es w ersandbuchhandlung wir V Ve erlag und die V Ve Den urück zu Mabuse: Z cher Putin gemeinsame Sache machen. or und Kriegsv t niger mit dem Dikta e- die mehr oder w ählen P Land w iL ilh dT - otganisaOrden gessen:ervzu Nicht eamsitzungen ermöglicht haben. T en oduktivprund en errücktvmanche usflüge und Betriebsa Weihnachtsfeiern, wunderschöne Buchmessena e,esfestahr die Mabuse-J Menschen, uch allen lich a tür Mein Dank gilt na hältrdie.eue T e bis heut uns e und DisketettrMabuse e 8032 mit Floppy ommodor en C gendär am undFmeiner u arFmeiner e ich an die lich möcht nern in den Medien und ander unden u den Anzeigenk ckern, Tibet und Indien, nach China, er L eilnehmern unser en und T r sehr ilie telle ser S sw nd P - den Dru esereisen uf den neuen V 2015 a Hermann Löffler und
Dr. med.Mabuse eingestellt werden soll, fällt mir auf, wie oft ich auf spannende Themen stoße, die geeignet für Mabuse wären! In meinen Lehrveranstaltungen und Arbeitsgruppen begegnen mir ständig Themen – von sehr aktuellen wie Planetary Health bis hin zu bewährten wie Demenz, Trauma und Migration.
Seit meinen Studienjahren in den 1990ern bin ich in der Pflege-Redaktion aktiv – und immer wieder fragte ich mich: „Könnte das ein Artikel oder ein Schwerpunktthema für ‚den Mabuse‘ sein?“
Andrea Schiff Professorin für Pflegewissenschaft an der katholischen Hochschule Köln.
Dabei wird klar, dass es eine Lücke gibt: Wo können wir kritische und interprofessionelle Themen platzieren, um einen echten Austausch innerhalb der Gesundheitsberufe zu fördern? Wo kommen eher kreative und essayistische Artikel unter, wenn neu gedacht wird, es noch nicht für eine wissenschaftsbasierte Ausarbeitung reicht?
Die Diskussionen über Texte, Themen und Buchprojekte haben mir die Augen für das Publizieren geöffnet. Das habe ich auch in meiner Lehre weitergegeben, indem ich das Publizieren studentischer Arbeiten und Projekte unterstützt habe. So konnten viele studentische Projekte in der Rubrik „Gesundheitsexpert_innen von Morgen“ (später: „Ausbildung und Studium“) veröffentlicht werden.
In der Pflege-Redaktion haben wir über die Jahre mit vielen klugen Menschen aus sehr verschiedenen Bereichen zusammengearbeitet. Es war immer engagiert und konstruktiv. Besonders in Zeiten, in denen ich nicht beruflich aktiv sein konnte, blieb ich Dank der Pflegeredaktion über die Entwicklungen im Gesundheitswesen informiert.
Für meine persönliche und berufliche Entwicklung war Mabuse sehr wertvoll. Danke dafür!!
Gründer-Zeit der Pflege-Redaktion, 2. v. r.: Hilde Steppe.
„Gegen
den Strich kämmen“
Immer wieder werde ich gefragt, was denn eigentlich eine Buchhandlung für mich ausmache. Ohne nachzudenken, antworte ich in diesen Momenten, dass der Besuch einer Buchhandlung etwas Sinnliches für mich habe. Ich muss fühlen, dass ich in ein Ladenlokal komme, in dem Bücher gelebt werden. Ich muss irgendwie riechen, dass mich Bücher umgeben. Ich muss fühlen, was ich möglicherweise Minuten später im Rucksack mit nach Hause nehmen werde.
Müller
Qualitätsmanagement in einer Klinik der Maximalversorgung, langjährige Erfahrungen in der psychiatrischen Pflege, Fachautor, lebt in Wesseling am Rhein.
Mit der Zeitschrift „Dr. med. Mabuse“ ist es nicht anders gewesen. Wenn ich sie im Briefkasten entdeckte, dann wurde sie zu einem visuellen und taktilen Erlebnis. Schließlich ließ sie sich nicht einreihen in den Mainstream der Zeitschriften, die in den Regalen von Bahnhofsbuchhandlungen zu finden
sind. Es war kein Hochglanzheft, das durch optische Eindrücke überzeugen wollte.
Nein, „Dr. med. Mabuse“ kämmte Dinge gegen den Strich, gab Impulse, die sich in vielen anderen Blättern nicht fanden. Einem sinnlichen Erlebnis ähnlich weckte die Lektüre körperliche Reaktionen.
Widerspruch zeigte sich erst einmal durch ein Unwohlgefühl in der Bauchgegend. Positive Resonanz führten zu Schmetterlingsgefühlen. Schließlich spürte man, doch nicht allein mit Gedanken und Überzeugungen zu sein.
Als ich dann als Schreibender das sinnliche Gefühl verstärken konnte, da wurde aus einer gelegentlichen Verliebtheit eine zufriedene Langzeitbeziehung. Da bleibt mir ein alttestamentlicher Gedanke: Alles hat seine Zeit.“
Dr. med. Mabuse schließt die Praxis“
„
Nicht mehr nur in Osthessen oder Meck-Pomm, sondern auch mitten im Rhein-Main-Gebiet: Praxen werden ohne Nachfolge geschlossen. Und was passiert mit den Patient:innen? Vor allem, wenn es sich um sehr spezialisierte Fachärzt:innen handelt?
Dr. med. Mabuse begegnete ich erstmals in den 1980er-Jahren zu Beginn meiner Pflegeausbildung. Wer hätte gedacht, dass ich 38 Jahre später immer noch in die Praxis kommen würde, um mich im Wartezim-
Stefan Hof Krankenpfleger und Diplom-Pflegewirt. (Beide Berufsabschlüsse gibt es so nicht mehr –Zeit, Dr. med Mabuse in den Ruhestand zu folgen?)
mer mit Kolleg:innen über pflegeund gesundheitspolitische Themen auszutauschen und einen kritischen Blick auf den Zustand der Gesundheitswesen zu werfen. Nun schließt die Praxis also zum Ende des Quartals. Ich wünsche Dr. med Mabuse alles Gute für die Rente.
P. S.: Erstaunlicherweise bin ich Dr. med. Mabuse nie persönlich begegnet. Weder kenne ich den Vornamen (irgendwas mit H: Helge, Hermine?) noch die genaue Fachrichtung.
Christoph
geb. 1970, Stabsstelle
„Die ganze Zeitschrift ein Abenteuer“
Agnes Schlechtriemen-Koß (A.): Was ist Dir durch den Kopf gegangen als Du gehört hast, dass der Mabuse eingestellt wird?
Prof. Dr. em. Ingeborg LöserPriester (I.): Sehr großes Bedauern und sofort habe ich mich an die Gründung der Pflegeredaktion unter der Federführung von Hilde Steppe erinnert.
A.: Die spannende Gründungszeit habe ich leider nicht mitbekommen, ich kam erst später dazu. Damals hatten wir das Gefühl, um die Gleichrangigkeit der Pflegekräfte und ihren Einbezug in den Diskurs kämpfen zu müssen – bis beides selbstverständlich war.
I.: Der Fokus war dabei aber nicht nur auf Pflege und Medizin gerichtet, sondern auch auf anderere Gesundheitsberufe.
A.: Das war ein ziemlich einzigartiger Raum, den der Mabuse dafür geschaffen hat.
I.: Wie gut, dass wir die überregionalen, interdisziplinären Redaktionstreffen noch kennengelernt haben.
Agnes Schlechtriemen-Koß Supervisorin DGSV, ehemaliges Mitglied der Pflege-Redaktion, Autorin.
Prof. Dr. em. Ingeborg Löser-Priester ehemaliges Mitglied der Pflege-Redaktion, Autorin.
A.: Ja, es war eine ganz fantastische Erfahrung.
I.: Vor allen Dingen in Berlin, als wir nachts wach lagen, weil die UBahn durch‘s Haus fuhr. ☺ Alle Artikel wurden stundenlang diskutiert, die Aufnahme ins Heft basisdemokratisch abgestimmt. Besonders war auch die damalige Heftproduktion.
Wir standen bis in die Nacht vor Lichtkästen und haben die Texte hinund hergeschoben, geschnitten, geklebt – bis das Layout passte.
A.: Ich glaube, die ganze Zeitschrift war ein Abenteuer, das letztlich viel länger gedauert hat, als bei der Gründung absehbar war.
I.: Ja. Der Blick in die Zukunft fällt schwer. Vielleicht wären neue Formate denkbar, etwa Newsletter, Podcasts, digitale Medien o. a. Vielleicht fänden sich engagierte Leute, die das unter dem Dach des Mabuse vorantreiben könnten.
A.: Das kann ich mir total gut vorstellen. Kritische Diskussionen im Gesundheitswesen gibt es auch an anderen Stellen, aber die Ausrichtung auf Interdisziplinarität und Kooperation, auf die Entwicklung eines solidarischen Gesundheitswesens sowie auf fachliche und gesundheitspolitische Themen ist nicht selbstverständlich. Da habe ich für die Zukunft tatsächlich auch keine Idee außer, dass Mabuse das macht.
I.: Gutes Schlusswort!
„Konstruktive Auseinandersetzung mit Erfahrungen des Scheiterns“
V or etwa zwanzig Jahren schrieb ich meinen ersten Artikel für die Dr. med. Mabuse. Die Mabuse Redaktion wünschte sich einen Praxisbericht aus der palliativen Pflege. Das traute ich mir damals nicht zu. Hermann Löffler und die damalige Redakteurin Anja Uhling ermutigten mich nachhaltig, aus meinem Pflegealltag zu berichten.
Ich versuchte also, das mir Vertraute nachvollziehbar zu beschreiben. Dabei wurde mir selbst die Komplexität des pflegerischen Alltagshandelns bewusster. Ich wurde zur Mabuse-Pflege-Redaktion eingeladen.
Adelheid von Herz geb.1954, 1977 Krankenschwesternexamen, Arbeitsfelder: Intensivmedizin, Transplantationschirurgie, Infektiologie (HIV), Palliative Pflege. Seit 2020 in Rente.
Die Pflege-Redaktion erlebte ich als einen Ort, an dem ein offener und anregender fachlicher Gedankenaustausch ohne betriebliche Interessenskonflikte stattfinden konnte.
Ich schrieb weitere Artikel und traute mich an heikle Themen heran. Mir ging es in den Artikeln nicht darum, zu zeigen, dass trotz widriger Rahmenbedingungen dennoch eine „gute Pflege“ leistbar ist, sondern dass es im Pflegealltag immer wieder um eine konstruktive Auseinandersetzung mit Begrenztheitserfahrungen und Erfahrungen des Scheiterns geht.
Entdecken Sie unsere Jubelnden Schwestern
Klemm-Mappe mit einer starken Dokumentenklemme
Das über die Ecken gezogene Verschlussgummi hält den Inhalt zusammen und verhindert das Herausfallen von einzelnen Blättern. Die Mappe hat zusammengeklappt die Maße 25 x 32 x 2 cm. 9,99 Euro, Nr. 19848
Porzellantasse spülmaschinenfest, Fassungsvermögen 300 ml 9,95 Euro, ab 10 Stück 7,95 Euro, Nr. 31197
Twinbox
Ob Stifte oder Spardose: Bei der Twinbox „Jubelnde Schwestern“ haben Sie freie Wahl! Maße (H x B x T): 8,5 x 8,5 x 11 cm 9,90 Euro, Nr. 31913
In der taz Genossenschaft bewegt dein Geld etwas – gegen Rechtsruck und für eine stabile Demokratie. Keine 2,5% Zinsen, dafür 100% Einsatz für unabhängigen Journalismus und eine offene Gesellschaft
Bereits ab 500 Euro gehört dir so ein Teil der taz und du wirst Miteigentümer*in. Alle Infos auf taz.de/genossenschaft
Foto: Maximilian König
Hier erhalten Sie weitere Informationen: fachkreise.walaarzneimittel.de
DocCheck Zugang erforderlich
WALA Hebammen Fortbildungen 2025
Online Vorträge
Do., 13. März 2025, Beginn des Stillens, 9:00-10:30 Uhr
Di., 18. November 2025, Beginn des Stillens, 10:00-11:30 Uhr
Informationstag, 1-tägig, 9:00 - 16:45 Uhr
Mi., 14. Mai 2025, Beginn des Stillens, Bad Boll Fr., 4. Juli 2025, Beginn des Stillens, Bad Boll Fr., 26. September 2025, Beginn des Stillens, Bad Boll
Fachtagung, 1-tägig, 9:00 - 17:30 Uhr
Sa., 5. April 2025, Der unruhige Säugling, Kassel Sa, 27. September 2025, Traumatische Geburt, Bad Boll
Sa.-So., 5.-6. Juli 2025, Rhythmische Einreibungen, Bad Boll
Wir machen Bildung bezahlbar!
Heilpraktiker/in
Psychologische/r Berater/in
Ernährungsberater/in Erziehungs- und Entwicklungsberater/in
Mediator/in Gesundheitsberater/in
Fitness- und Wellnesstrainer/in
Seniorenberater/in
Stillberater/in Entspannungstrainer/in
Staatlich zugelassene Fernlehrgänge mit Wochenendseminaren in vielen Städten. Beginn jederzeit möglich! Nähere Informationen auf unserer Homepage.
Impulse
www.impulse-schule.de
Seminare/ Ausbildungen
Ausbildung Schlaflehrer/in Nährend, stützend, wirksam Ausbildung zum/r Schlaflehrer/in mit Schwerpunkt Sounder Sleep System™ www.schlafschule-unna.de
Akupunktur in der Pflege Goldkügelchen als Ersatz zur Nadel Kostenloser Schnupperkurs Einfach kennen lernen www.Yase-Institut.de/schnupp
HP Psychotherapie. Effektive Prüfungsvorbereitung im Einzel- oder Zweier-Setting bei Professor Dr. mult. Kurt Guss. KurtGuss@t-online.de 0160 95 26 66 56
Kontakte
www.Gleichklang.de: Die andere Partnerbörse für spirituelle Menschen!
Hamburg. Frauenhotel Hanseatin! Sehr gute Lage! Günstig! Individuelle, gepflegte Zimmer. Kleines, leckeres Frühstücksbuffet auch mit Bio-Produkten im wunderschönen Frühstückssalon. www.Frauenhotel.de
weltweit
Urlaub in Südfrankreich am Fuße der Cevennen in malerischem Dorf. 5 Ferienwohnungen im restaurierten Natursteinhof Mas Chataigner inmitten eines weitläufigen mediterranen Gartens. www.mas-chataigner.com, +33-466258061
400 Fasten-Wanderungen! Europaweit. Gesundheitsfördernd. Wo. ab 300 EUR. Leiterausbildung! (Versand des FastenwanderBuches 15 EUR) /Fax 0631-47 472, www.fasten-wander-zentrale.de 1000 Fasten-Wander-Wochen!
Verlag: Mabuse-Verlag GmbH, Kasseler Str. 1 A, 60486 Frankfurt am Main 069-70 79 96-0, Fax: 069-704152 www.mabuse-verlag.de info@mabuse-verlag.de facebook.com/mabuseverlag instagram.com/mabuseverlag Geschäftsführer: Hermann Löffler
Eingetragen beim Registergericht: Frankfurt am Main (HRB 33207)
Redaktion: Charlotte Fischer, Hermann Löffler 069-70 79 96-15 zeitschrift@mabuse-verlag.de
V.i.S.d.P.: Hermann Löffler (Für Beiträge, die mit vollem Namen gekennzeichnet sind, übernehmen die Autor:innen die Verantwortung.)
Layout: Karin Dienst, Frankfurt am Main
Tanja Huckenbeck, Offenbach am Main
Europaweit. Gesundheitsfördernd. Ab 380 EUR. Leiterausbildung! (Versand des FastenwanderBuches 15 EUR). 0631-47 472 www.fasten-wander-zentrale.de
KLIMAFREUNDLICH AB IN DEN SCHNEE Skilanglauf, Schneeschuhwandern und Ski Alpin in Norwegen und Österreich auch für Familien und Urlaubshungrige mit wenigen Urlaubstagen auch über Weihnachten / Silvester Gleich den QR-Code scannen und auf unserer Homepage stöbern, den Katalog anfordern oder anrufen
Beilagen: In dieser Ausgabe finden Sie Beilagen des Mabuse-Verlages, von moment by moment, von Singende Krankenhäuser e. V. und der Aktion 3. Welt Saar. Wir bitten freundlich um Beachtung.
Wir sagen herzlichen Dank an Dr. med. Mabuse für die vertrauensvolle und langjährige Zusammenarbeit.
Wir bieten weiterhin: f Erfahrung aus über 40 Jahren beruflicher Fort- und Weiterbildung für Mitarbeitende in der Psychiatrie f jährlich über 270 Veranstaltungen in unseren Tagungshäusern Kloster Irsee und Kloster Seeon