Landärztliche Medizin als Wahlfach

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Ärzten und die vielen Gespräche untereinander haben gezeigt, dass es nicht unmöglich ist, ein guter Arzt zu werden auf dem Land.“ „Es herrscht ja eine ziemliche Ahnungslosigkeit. Mein Motiv war herauszufinden, was man auf dem Weg braucht und wie man das umsetzen kann. Und diese Erwartungen wurden durchaus erfüllt. Durch die Ärzte, die hier waren, und auch apoBank und KV. Dass man jetzt doch ein klareres Bild hat, wie geht das vonstatten, wo kann ich mich hinwenden, und man wirklich einen Umriss hat, was dazugehört.“ „Endlich mal Gleichgesinnte kennen zu lernen, da ist mir echt ein Stein vom Herzen gefallen. Wenn man das so seinen Mitkommilitonen erzählt, dann hat man erst mal so ein riesen Fragezeichen sich gegenüberstehen, hm, bist du sicher und so. Und jetzt hat man endlich mal das Gefühl, man ist angekommen und es gibt wirklich noch Leute, die diesen Beruf machen wollen.“

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ISBN 978-3-86321-246-9

Wahlfach Landärztliche Medizin

sein könnte, aber durch die ganzen Gespräche mit den

Eva Jansen, Patricia Hänel, Markus Herrmann (Hrsg.)

Landärztliche Medizin als Wahlfach Eine Evaluation aus studentischer Sicht

E. Jansen, P. Hänel, M. Herrmann (Hrsg.)

„Viele Ängste sind weg, Ängste davor, dass ich überfordert

Mabuse-Verlag


Landärztliche Medizin


Institut für Allgemeinmedizin Otto-von-Guericke-Universität • Medizinische Fakultät Leipziger Straße 44 (Haus 40, Ebene 6) • D - 39120 Magdeburg Telefon: 0 391- 67-210 08 • Telefax: 0 391- 67-210 10

Dr. des. Eva Jansen, Ethnologin, entwickelte die Idee zu diesem Band und leitete die Bearbeitung und Zusammenstellung der Beiträge. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf medizinischer Unterversorgung, Migration und Komplementärmedizin. eva.jansen@ethnologie.lmu.de Dr. Patricia Hänel, Ärztin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Allgemeinmedizin. Ihre Schwerpunkte sind ärztliche Kommunikation und Arbeitsmotivation. p.haenel@medizin-konzepte.de Prof. Dr. med. Markus Herrmann, MPH, M.A., Arzt für Allgemeinmedizin, Studium der Humanmedizin, Soziologie und Gesundheitswissenschaften ist Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und allgemeinmedizinischer Vertreter der European Rural and Isolated Practitioners Association für Deutschland. markus.herrman@med.ovgu.de


Eva Jansen • Patricia Hänel • Markus Herrmann

Landärztliche Medizin Erfahrungen mit einem Wahlfach in der ärztlichen Ausbildung

Mabuse-Verlag Frankfurt am Main


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Fotos: Prof. Dr. med. Markus Herrmann Satz und Gestaltung: Tischewski & Tischewski, Marburg Umschlaggestaltung: Franziska Brugger, Frankfurt am Main Umschlagbild: © Askold Romanov/istockphoto ISBN: 978-3-86321-246-9 Alle Rechte vorbehalten


Inhalt Vorwort von E. Jansen

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Teil I: Hintergründe des Wahlfachs 1. Sieben Linden als Seminarort von O. Normann .......................................................................................................... 17 2. Die studentische Motivation zur Teilnahme von J. Lorenz ................................................................................................................... 22 3. Die Rolle der Universitäten – ein internationaler Aufriss von K. Schönauer . ........................................................................................................ 25 Teil II: Formelle und finanzielle Rahmenbedingungen 4. Die Finanzierung der landärztlichen Praxis von F. Lüllwitz ............................................................................................................... 31 5. Möglichkeiten der Niederlassung auf dem Land von S. Greiner-Bohl .................................................................................................... 37 Teil III: Praktische Kompetenzen 6. Fragetechniken im klinischen Gespräch von K. Ibing ..................................................................................................................... 43 7. Zur Wirkung empathischer Kommunikation von U. Schwarz ............................................................................................................. 48 8. Einführung in die Manuelle Medizin von L. Bergmann .......................................................................................................... 53 Teil IV: Umgang mit der Arbeitsbelastung 9. Film-Review „At the doctor’s side“ von M. Gumprecht ...................................................................................................... 59


10. Landarzt – und wo bleibt die Lebensqualität? von K. Ziegeler ............................................................................................................... 64 11. Work-Life-Balance von LandärztInnen von A. Palm ..................................................................................................................... 69 Teil V: Die Gestaltung der Landarztpraxis 12. Dimensionen der Prävention von A. Bretschneider ................................................................................................... 73 13. Zwei Ärztinnen – ein Ort – zwei Praxisformen von F. Voß ........................................................................................................................... 78 14. Die Berufsausübungsgemeinschaft als Perspektive? von C. Praast ................................................................................................................... 82 Teil VI: Evaluation 15. Auswertung der Abschlussfragebögen von L. Knoche ................................................................................................................. 91 16. Fürs Leben reichen zwei Stunden pro Woche nicht von P. Hänel .................................................................................................................... 96 Nachwort von M. Herrmann

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Dank Wir bedanken uns herzlich bei dem Hausärzteverband sowie der Deutschen Apotheker- und Ă„rztebank fĂźr die Finanzierung dieses Projektes. Die Herausgeber



Vorwort von E. Jansen In vielen Regionen Deutschlands mangelt es an ÄrztInnen, sowohl in der stationären wie auch in der ambulanten Versorgung1. Diese Problematik ist in ländlichen Räumen weit ausgeprägter als in verstädterten Gebieten oder Ballungsräumen2. Wie eine Studie der Kassenärztlichen Vereinigung ergab, werden bundesweit etwa 2600 Hausarztpraxen zur Sicherstellung der ärztlichen Grundversorgung benötigt – die meisten davon in ländlichen Gegenden der Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen3. Die ländlichen Regionen scheinen auszudünnen durch die wachsende Zahl von jungen, ausgebildeten Menschen, die in die Stadt ziehen, während die Älteren auf dem Land zurückbleiben4. Das erhebliche Ungleichgewicht der ärztlichen Versorgung wird sich bis 2012 weiter zuspitzen, wenn weitere 51.000 Haus- und Fachärzte in den Ruhestand gehen5. An verschiedenen Fronten entstehen Maßnahmen, um die medizinische Versorgung der Landbevölkerung langfristig zu sichern. Das Vertragsarztänderungsgesetz aus dem Jahre 2007 ermöglichte niedergelassenen ÄrztInnen, KollegInnen anzustellen, um ihnen den Übergang in die ambulante Versorgung zu erleichtern. Das Versorgungsstrukturgesetz von 2012 schuf neue Vergütungs- und Niederlassungsbedingungen wie die Abschaffung der Residenzpflicht, so dass seitdem Ärztinnen und Ärzte auf dem Land arbeiten und in der Stadt wohnen können. Jedoch wird die entscheidende Rolle, der Unterversorgung 1 Deutsches Ärzteblatt 2014; Bundesärztekammer 2013 und 2009 2 VKD 2012; Blum & Löffert 2010 3 Kassenärztliche Bundesvereinigung 2010 4 Rourke 2010; Klement et al. 2008 5 Kopetsch 2010


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auf dem Land entgegenzuwirken, medizinischen Universitäten zugeschrieben. Sie können durch gezielte Rekrutierung von Studierenden aus den ländlichen Regionen, dem Training von spezifischen Fähigkeiten und dem frühzeitigen Kontakt zur ländärztlichen Medizin schon in der Ausbildung für die landärztliche Tätigkeit motivieren6. Diese Annahme wird durch die 2010 herausgegebenen Leitlinien der World Health Organisation zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation auf dem Land gestützt7. Abgesehen von Wahlfächern und einigen vereinzelten Initiativen existieren in Deutschland jedoch bisher wenige Bemühungen seitens der Universitäten, landärztliche Themen auf einer breiten Ebene in die Ausbildung zu integrieren8. Der Lehrstuhlinhaber für Allgemeinmedizin der Otto-von-GuerickeUniversität, Markus Herrmann, entwickelte zum Sommersemester 2014 zusammen mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Patricia Hänel zum ersten Mal das Wahlpflichtfach zum Thema Landärztliche Medizin. Im Januar fand ein Vorbereitungstreffen mit knapp dreißig InteressentInnen, hauptsächlich aus dem vierten und fünften Studienjahr, statt. Patricia Hänel befragte sie dazu, was in ihrem Studium zur Vorbereitung auf eine landärztliche Tätigkeit fehle. Aus den Antworten wurde das Programm des Wahlfachs entwickelt. Die Teilnehmenden wurden anhand von Motivationsschreiben ausgewählt. Vierzehn Studierende (dreizehn Frauen, ein Mann) verbrachten schließlich zwei Wochenenden in dem kleinen Ort Sieben Linden in der Altmark, um dort zu erfahren, was es bedeutet, auf dem Land zu arbeiten und zu wohnen. Begleitet wurden sie von dem Doktoranden Oliver Normann sowie den beiden SeminarleiterInnen. Unter Einbeziehung verschiedener didaktischer Mittel wie Referaten, Interviews und Diskussionsrunden erarbeiteten die Dozentin und der Dozent gemeinsam mit den Studierenden in einem reflexiven Prozess einen umfassenden Blick auf die landärztliche Tätigkeit. Eingeladene LandärztInnen agierten als positive Rollenvorbilder. 6 Curran & Rourke 2004 7 WHO 2010 8 Ein Beispiel für eine Initiative ist die „Klasse Allgemeinmedizin“ der Universität Halle. Hier wird seit 2011 eine feste Anzahl an Studierenden systematisch auf die Tätigkeit einer/s AllgemeinmedizinerIn/s und Landarzt/ärztin vorbereitet (Uni Halle 2014).


Vorwort

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Die Studierenden trainierten spezifische Kommunikationskompetenzen in der Patientenführung und Langzeitbegleitung von Menschen, Familien und Gemeinde und reflektierten die eigene Vorstellung der späteren ärztlichen Tätigkeit und Lebensgestaltung. Nicht zuletzt lernten die Studierenden alternative Formen des Landlebens kennen. Der Seminar­ort wurde bewusst als Beispiel für ein ungewöhnliches Lebenskonzept gewählt. Jede/r Studierende hatte anschließend die Aufgabe, einen kurzen Beitrag zu einem der Themen an den Wochenenden zu verfassen und darin das Erlebte zu reflektieren. Dieser Band umfasst die sechzehn Beiträge aller Beteiligten zusammen. Er richtet sich an MitarbeiterInnen medizinischer Fakultäten, die ein ähnliches Wahlfach planen und/oder grundsätzlich Interesse an der Thematik haben. Zudem sollen Hochschulinstitutionen dazu angehalten werden, weitere Aspekte landärztlicher Medizin in den Lehrplan mit aufzunehmen. Nicht zuletzt möchten wir bei Medizinstudierenden Interesse an der landärztlichen Medizin wecken. Der Beitragsband besteht insgesamt aus sechs Teilen: Die Hintergründe des Wahlfachs als erster Teil umfassen drei Texte: Der Autor des ersten Beitrages, O. Normann, stellt Sieben Linden als Ort des Wahlfaches vor. Hierzu verwendet er Interviewzitate aus seiner Dissertation, um eine Perspektive der Studierenden zu generieren. Der zweite Text von J. Lorenz gibt einen Überblick über die Motivation der Studierenden – also positive wie negative Beweggründe, ärztlich auf dem Land tätig zu werden. Diese wurden auf dem Vorbereitungstreffen erhoben. Der dritte Text handelt von internationalen Hochschulmaßnahmen zur Förderung landärztlicher Medizin. Die Autorin K. Schönauer reflektiert zudem über die Diskussion während des Wahlfachs über deren potenzielle Umsetzung in Deutschland. Im zweiten Teil, formelle und finanzielle Rahmenbedingungen, gibt zunächst F. Lüllwitz eine Zusammenfassung des Vortrages über Praxismanagement und Praxisfinanzierung des Vertreters der deutschen Apotheker- und Ärztebank. Der zweite Text in dieser Rubrik von S. Greiner-Bohl widmet sich der Struktur und Arbeit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Die Autorin illustriert, welche Förder-


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möglichkeiten die KV Sachsen Anhalt AnwärterInnen landärztlicher Medizin bieten kann. Beide Vorträge stießen bei den Studierenden auf sehr großes Interesse, denn sie trugen dazu bei, Unsicherheit und Ängste vor Praxisgründung und -finanzierung zu nehmen. Der dritte Teil zum Thema praktische Kompetenzen beinhaltet drei Texte, die jeweils einen Programmpunkt des Wahlfachs darstellen. Die Autorin des ersten Textes, K. Ibing, zeigt hier, dass die richtige Fragetechnik der Schlüssel für eine patientenzentrierte Versorgung ist. U. Schwarz beschreibt im zweiten Text den Ablauf und Inhalt des Workshops zur empathischen Kommunikation. Diese wird im regulären Medizinstudium häufig vernachlässigt und spielt – wie andere psychosoziale Kompetenzen – in der landärztlichen Tätigkeit eine wichtige Rolle. Der dritte Beitrag von L. Bergmann behandelt eine mögliche Weiterbildungsoption für AllgemeinmedizinerInnen: die manuelle Therapie. Ein physiotherapeutischer Gast gab hier praktischen und theoretischen Einblick in seine Tätigkeit. Im vierten und fünften Teil analysieren die Studierenden jeweils Rollenvorbilder, die wir ihnen auf dem Wahlfach präsentierten – filmisch aus unserem Nachbarland Schweiz sowie die Hausärztinnen und Hausärzte aus der Region, die uns an diesen zwei Wochenenden besuchten und sich offen und sehr persönlich den Fragen der Studierenden stellten. Der erste Beitrag des vierten Teils von M. Gumprecht, welcher den Umgang mit der Arbeitsbelastung thematisiert, behandelt die Reflexion und anschließende Diskussion von zwei Teilen der Film­trilogie „At the doctor’s side“. Die Regisseurin Sylviane Gindrat, Ärztin und Ethnologin dokumentierte in dieser Trilogie die persönlichen und professionellen Herausforderungen von LandärztInnen in der Schweiz. Die Autorin des zweiten Beitrages, K. Ziegeler, identifiziert das Thema Lebensqualität als Motiv ihres Fallbeispiels, einer Ärztin aus der Gegend. Der letzte Beitrag in diesem Teil von A. Palm stellt anhand von zwei weiteren Ärztinnen das Thema Work-Life-Balance in den Vordergrund. Der fünfte Teil umfasst Beiträge, die anhand von Fallbeispielen die Gestaltung der Niederlassung und Praxisformen diskutieren. Der


Vorwort

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Abb. 1: Teilnehmende des Wahlfachs

erste von A. Bretschneider beschäftigt sich mit Prävention in der hausärztlichen Praxis. Die Autorin des zweiten Textes, F. Voß, vergleicht zwei Ärztinnen, die völlig divergierende Vorstellungen von Praxisformen haben, obwohl sie am gleichen Ort praktizieren. Der Autor des letzten Beitrags, C. Praast, erörtert anhand der persönlichen Geschichte zweier Landärztinnen die Vor- und Nachteile einer Berufsausübungsgemeinschaft. Der sechste und letzte Teil zur Evaluation beinhaltet zwei Beiträge. Mit einem selbst entwickelten Fragebogen erfasste die Autorin L. Knoche die Bewertung der Studierenden zu den Programmpunkten des Wahlfachs und stellt diese mithilfe von Diagrammen dar. Der letzte Beitrag ist eine Zusammenfassung und Reflexion von der Dozentin und Organisatorin des Wahlfaches. Das Nachwort, verfasst von Prof. Markus Herrmann, gibt einen Ausblick über mögliche Integration landärztlicher Themen in der ärztlichen Ausbildung.


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Die Beiträge der Studierenden ermöglichen einen umfassenden Einblick in Ablauf und Programm des Wahlfaches. Zudem repräsentieren sie die Perspektive der Studierenden – und diese ist schließlich zentral bei der Rekrutierung von MedizinerInnen, die gerne auf dem Land praktizieren möchten. Literatur Blum, K.; Löffert, S. 2010: Ärztemangel im Krankenhaus – Ausmaß, Ursachen, Gegenmaßnahmen - Forschungsgutachten im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Online verfügbar unter: http://www.dkgev.de/media/file/8324.2010_10_11_ Aerztemangel_Endbericht_1.pdf (29.12.2014). Bundesärztekammer 2009, Abteilung Statistik – Analyse: Ärztemangel trotz steigender Arztzahlen – ein Widerspruch der keiner ist. Internetquelle: https://www.aerzteblatt. de/download/files/2009/04/down136282.pdf. (29.12.2014) Bundesärztekammer 2013, Ärztestatistik. Internetquelle: http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.3.12002 (29.12.2014) Curran, V.; Rourke, J. 2004: The role of medical education in the recruitment and retention of rural physicians. Medical Teacher 26, 3: 265–272. Deutsches Ärzteblatt 2014: Montgomery fordert mehr Studienplätze in der Humanmedizin. Internetquelle: http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/61042/Montgomeryfordert-mehr-Studienplaetze-in-der-HumanmedizinDeutscheÄrzteblatt2014 (29.12.2014) Kassenärztliche Bundesvereinigung 2010: Im Jahre 2020 gibt es 7000 Hausärzte weniger. Internetquelle: http://www.kbv.de/html/300_658.php (3.05.2014). Klement, A.; Bretschneider, K.; Baust, T.; Lichte, T.; Herrmann, M. 2008: Quality management in teaching general practice: Development and structure of a benchmarkingsystem. Abstract-Book Association for Medical Education in Europe (AMEE), Prague, S. 326. Kopetsch, T. 2010: Dem deutschen Gesundheitswesen gehen die Ärzte aus. Studie zur Altersstrukturund Arztzahlentwicklung. 5. Aufl. Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung. Berlin. Rourke, J. 2010: How can medical schools contribute to the education, recruitment and retention of rural physicians in their region? Bull World Health Organ 88:395–396.


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Strasser, R.; Netsy, A. 2010: Context counts. Training health workers in and for rural and remote areas. Bull World Organ 88:777-82. Uni Halle 2014: Klasse Allgemeinmedizin – Rezept gegen Nachwuchsmangel. Internetquelle: https://www.medizin.uni-halle.de/index.php?id=2522 VKD (Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands e.V.) 2012: Pressemitteilung: Ärzte und Pflegekräfte fehlen – der Mangel verschärft sich. Internetquelle: http://www. vkd-online.de/media/file/1283.PM_VKD_AErzte_und_Pflegekraefte_fehlen_ 06112012.pdf (29.12.2014). WHO 2010: Increasing access to health workers in remote and rural areas through improved retention. Internetquelle: http://whqlibdoc.who.int/publications/2010/ 9789241564014_eng.pdf (03.05.2014).



Teil I: Hintergründe des Wahlfachs 1. Sieben Linden als Seminarort von O. Normann Hintergrund Das Ökodorf Sieben Linden liegt im Altmarkkreis Salzwedel und gehört zum Dorf Poppau, etwa 60 km nordöstlich von Wolfsburg und 30 km südlich von Salzwedel gelegen. Es leben heute etwa 100 Erwachsene und 40 Kinder im Alter von 0 bis 74 Jahren in verschiedenen Haushaltsstrukturen zusammen, wie etwa in Wohngemeinschaften, Wohnungen und Bauwagen. Die Idee eines selbstversorgten, ökologischen Dorfes entstand bereits 1989, die ersten Bewohner zogen dann im Juni 1997 mit Bauwagen nach Sieben Linden. Das Dorf hat die größte Dichte an Strohballenhäusern in Europa. Eine weitere Besonderheit ist die Verwendung von Komposttoiletten ohne Wasserspülung, welche den Wasserverbrauch auf circa zwei Drittel des Bundesdurchschnitts reduzieren und das Abwasser wesentlich weniger belasten. Das Gemeinschaftsgebäude bietet nicht nur den AnwohnerInnen für verschiedene Veranstaltungen und Begegnungen Raum, sondern auch für Seminare und Wochenendveranstaltungen von Gästen. Auf etwa drei Hektar Land wird ökologischer Gartenbau betrieben, der einen Großteil des Eigenbedarfs an Gemüse, Obst und Kräutern deckt. In der Gemeinschafts- und Seminarküche wird ausschließlich vegetarisch, größtenteils vegan gekocht. Auch alle Gäste sind angehalten, sich in ihrem Essverhalten darauf einzustellen. Alle Teilnehmenden wurden von den DorfbewohnerInnen sehr offen und herzlich willkommen geheißen. Am zweiten Wochenende erfolgte eine ausführliche Dorfführung durch einen langjährigen Dorfbewohner, der alle Fragen zum Leben im Dorf gerne beantwortete, und zudem als Arzt von seiner Tätigkeit in der Klinik und der


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Verbindung von alternativem Lebensstil und gleichzeitiger Berufsausübung berichten konnte. Eine weitere Möglichkeit, mit den DorfbewohnerInnen in Kontakt zu kommen, bot die an den Samstagabenden stattfindende Disco. Die Studierenden nahmen auch dieses Angebot sehr interessiert wahr. Der Seminarort Sieben Linden ist bewusst als Beispiel für ungewöhnliche Lebenskonzepte gewählt, für die wir die Studierenden sensibilisieren wollten. Diese erhielten somit die Möglichkeit, alternative Formen des Landlebens aus erster Hand und am eigenen Leib kennen zu lernen. Als Doktorand am Institut für Allgemeinmedizin befasse ich mich im Rahmen meiner Dissertation mit dem Thema „Beeinflussung der Einstellung Medizinstudierender zu einer hausärztlichen Tätigkeit auf dem Lande durch ein klinisches Wahlfach Landärztliche Medizin“. Für meine qualitative Forschung konnte ich die Studierenden direkt während des Wahlfaches interviewen und meine beobachtende Teilnahme ermöglichte mir weitere, tiefer gehende Einblicke. Methodik Um die wissenschaftliche Evaluation des Wahlfaches zu gewährleisten, führte ich mit allen vierzehn Teilnehmenden während des ersten Wochenendes und der darauffolgenden Woche semistrukturierte Interviews. Die Interviews enthielten Fragen zum Hintergrund der Studierenden, ihrer Motivation für das Wahlfach, sowie ihre persönlichen Eindrücke, Erfahrungen und Erwartungen bezüglich landärztlicher Medizin und dem Wahlfach. Die Interviews habe ich anschließend transkribiert und qualitativ nach Mayring (2000) ausgewertet. In diesem Beitrag fasse ich die Eindrücke der Studierenden zum Seminarort Sieben Linden zusammen. Auswertung Aus den Interviews geht hervor, dass der Seminarort nicht primär ausschlaggebend für die Entscheidung war, am Wahlfach teilzunehmen. Es gab zwei unterschiedliche Perspektiven. Die eine Gruppe der Teilnehmenden sah das Ökodorf als angenehmen Zusatz, als Beispiel:


Teil I: Hintergründe des Wahlfachs

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Abb. 2: Auf der Dorfführung

„… und dann sage ich mal das Ökodorf noch so als kleines Bonbon, mal was kennen lernen, was man sonst nicht sieht, wo man sonst nicht hinkommen würde.“ Die andere Gruppe der Teilnehmenden war im Vorfeld eher etwas abschreckt, wie man Anhand dieser Aussage sieht: „… ich fand es ein bisschen gruselig, also in unserem Auto, wir haben uns so ein bisschen hineingesteigert in Gruselvorstellungen von dem Dorf […], also für Leute die jetzt nicht so vegetarisch oder vegan leben, war man echt ein bisschen abgeschreckt, dass es hier so strenge Regeln gibt.“ Vorbehalte und Vorurteile zum Ökodorf bauten die Studierenden während des Aufenthaltes aber definitiv ab, sodass der Konsens im Anschluss an das Seminar überwiegend positiv ausgefallen ist und Sieben Linden als eindrucksvoll eingestuft wurde: „Finde ich sehr interessant, ja. Finde ich gut. Ist mal’ne andere Erfahrung. So mit dem Schlafen, dem Essen und den Spinnen und dem was auch immer.“ Deutlich positive Eindrücke konnte das Setting des Wahlfaches durch seine Abgelegenheit und die Herausnahme aus dem Studienalltag hinterlassen. Die Studierenden sahen sich gezwungen, sich in-


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tensiv mit den behandelten Themen auseinanderzusetzen, wie auch die Aussage dieser Kommilitonin verdeutlicht: „Aber auf jeden Fall ’ne coole Idee, da einfach mal wegzufahren und da in so ’nem Seminarhaus einfach mal zu arbeiten, weil das ist wirklich ein intensives Arbeiten, da kommt viel bei rum fand ich.“ Die Abgeschiedenheit des Ortes eliminierte zudem viele störende Faktoren, die in der Stadt für Ablenkung sorgen: „Zum einen ist es natürlich schwierig, dass die Leute so weit fahren müssen für das Wahlfach, aber andererseits ist die Location auch sehr gut. Also es ist wirklich, man kann sich ja komplett auf das Wahlfach konzentrieren, unter anderem weil man auch kein Handyempfang hat.“ Insgesamt empfinden die Studierenden die Auslagerung des Wahlfaches aus der Stadt heraus aufs Land, passend zum Thema Landärztliche Medizin, als äußerst gelungen. Unsere Intention, die Studierenden für das Landleben empfänglicher zu machen, zeigt Wirkung, wie mir diese Teilnehmerin verriet: „… das sind halt wirklich Lebensqualitäten, die man dann auch manchmal wieder vergisst, wenn man so lange in der Stadt war, also man kommt denn hier hin und es ist ruhig und frische Luft und nicht so viel Straßenlärm, das ist schon, ist schon schön. Also von daher könnte ich mir gerade wieder vorstellen, doch auch ein bisschen länger aufm Land zu wohnen.“ Die Durchführung des Wahlfaches in einem von der gewohnten städtischen Umgebung losgelösten Raum bietet also viele Vorteile. Der in diesem Fall konkret gewählte Seminarort Sieben Linden zeigt aber keine hervorstechenden Vorteile gegenüber anderen, möglichen Seminarorten auf dem Land. Die Teilnehmenden betrachteten das alternative Leben gespannt und nahmen es mit Interesse zur Kenntnis, ebenso erwähnten sie mir gegenüber aber auch Nachteile, die der Ort mit sich bringt. Da der Seminarort Sieben Linden nur eine geringe Anzahl an Unterkünften zur Verfügung stellen konnte, war die Anzahl der Teilnehmer begrenzt. Zudem war der Anfahrtsweg von Magdeburg aus recht lang und etwas schwierig zu finden. In diesem Zusammenhang hätte es die Teilnehmenden auch nicht gestört, das Wahlfach an einem


Teil I: Hintergründe des Wahlfachs

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anderen Ort stattfinden zu lassen: „Vielleicht auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass man nicht großartig weit weg fahren muss, sondern dass es eher so im umliegenden Bereich ist, auch außerhalb, 20 km außerhalb von Magdeburg gibt’s die Möglichkeit, in ländliche Regionen zu kommen, sei es nun Wanzleben, Wanzleben ist auch nur ein Dorf.“ Eine weitere Kommilitonin bestätigt: „… meinte da gibt’s ein Kloster in Quedlinburg, so was käme ja auch in Frage, ob man es nicht noch günstiger gestalten kann und eventuell die Fördermittel, die jetzt zustande kamen, noch mehr dafür nutzt“. Einige Studierenden hinterfragen sogar kritisch, ob es möglicherweise abschreckend auf potenzielle Interessierte wirken könnte, dass der Seminarort nicht das typisch ländliche Leben, sondern eine sehr alternative Lebensform darstellt: „… und ich weiß auch nicht, ob es Menschen gibt, die sich abgeschreckt gefühlt haben von dem Ökodorf, die sich aber interessieren für landärztliche Medizin. Ich find’s total legitim das zu machen, aber ich denke, das ist etwas, was man mal hinterfragen könnte … Ich kann das auch verstehen, wenn Menschen das komisch finden, wenn in einer Gruppe so krasse Standards gefordert werden zur Vereinheitlichung, dass man eben so sein muss, dass das abschreckend sein kann“. Ein anderer Teilnehmer erzählte mir: „Ich find das cool mit dem alternativ Leben hier, aber ich würde das klassische Landleben noch ein bisschen mehr in den Vordergrund rücken. Weil klar, das ist jetzt hier ein alternatives Lebenskonzept, aber es ist halt, glaube ich, für die meisten von uns oder für den Durchschnittsstudenten nicht das, was auf Dauer gewünscht ist und auch für die Patienten ist es glaube ich cooler oder besser, wenn man das richtige Landleben, sag ich mal, kennt“. Zusammenfassend kann ich sagen, dass die Wahl eines außerstädtischen Seminarortes großen Anklang bei den Teilnehmenden gefunden hat und viele positive Effekte wie weniger Ablenkung und stärkere Fokussierung mit sich brachte. Die Studierenden haben den Seminarort Sieben Linden gut aufgenommen. Das Ökodorf allein wirkte aber nicht als ausschlaggebend für die Entscheidung zur Teilnahme am Wahlfach und ich kann aus der Auswertung der Interviews schließen, dass wir auch andere Orte durchaus in Betracht ziehen können.


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