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Online Votum zu unserer sozialversicherungsrechtlichen Situation
zu unserer sozialversicherungsrechtlichen Situation
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Die Sozialversicherungs-Praxis bei Dreh-Engagements hat sich seit Anfang des Jahres grundlegend geändert. Ausgelöst wurde dies durch zwei Urteile des Bundessozialgerichts aus den Jahren 2017 und 2018 zu unständigen Beschäftigungen. Das Gericht widersprach der bisherigen Rechtsauffassung der Sozialversicherungsträger, Tage, an denen Vorbereitungen und andere zusätzliche Arbeiten für die Dreharbeit stattfinden (Zusatzleistungstage), pauschal in die Beschäftigungszeit mit aufzunehmen. Stattdessen gilt jetzt folgendes: Wer bei Dreharbeiten nicht an mindestens 7 aufeinanderfolgenden Tagen beschäftigt ist (5 Arbeitstage plus 2 Wochenendtage), wird unständig sozialversichert.
Was bedeutet das für uns im Unterschied zu vorher?
Unständig Beschäftigte haben deutlich höhere Sozialabgaben!
• Weil sich die Beiträge in der teuren Rentenversicherung nicht nach tagesgenauen Beitragsbemessungsgrenzen richten, sondern nach denen ganzer Kalendermonate.
• Weil bei sogenannter „berufsmäßiger Unständigkeit“ das gleiche auch für die Kranken- und Pflegeversicherung gilt – berufsmäßige Unständigkeit liegt vor, wenn im betreffenden Kalendermonat unständige Beschäftigungen den zeitlichen und wirtschaftlichen Schwerpunkt des Erwerbslebens bilden.
Unständig Beschäftigte erwerben keinen bzw. kaum Anspruch auf Arbeitslosengeld! Der Bezug von Arbeitslosengeld wird für uns kurz befristet Beschäftigte ab Anfang 2020 erheblich leichter sein. Das ist ein großer Erfolg, für den sich u.a. unser BFFS jahrelang stark gemacht hat. Trotzdem kommt er den unständig Beschäftigten nicht zugute! …
• Weil entweder bei berufsmäßiger Unständigkeit gar keine Anwartschaftszeiten,
• oder bei nicht berufsmäßiger Unständigkeit nur die einzelnen Einsatztage dafür gesammelt werden.
Unständig Beschäftigte bei Dreharbeiten haben deutlich höhere Steuerabzüge!
• Weil unständige Dreh-Beschäftigungen keine Zusatzleistungstage oder Standby-Zeiten mehr beinhalten, dadurch viel weniger Steuertage anfallen, auf die sich die Gage verteilt, so dass hochgerechnet aufs Jahr erheblich höhere Steuersätze angewendet werden.
• Natürlich werden beim Lohnsteuerjahresausgleich die überzahlten Steuern zurückgezahlt. Aber das dauert eben.
Unständige Beschäftigungen sorgen später für eine deutlich bessere Rente!
• Weil trotz weniger Beschäftigungstage immer ganze Kalendermonate rentenversichert werden.
Berufsmäßig unständig Beschäftigte sind besser krankenversichert!
• Weil sie bis zur nächsten unständigen Beschäftigung, maximal aber noch 21 Tage nach der letzten unständigen Beschäftigung die Mitgliedschaft der gesetzlichen Krankenkasse behalten..
Mehr unständige Beschäftigungen bewirken mehr Bürokratie, mehr Fehlerquellen und dadurch mehr finanzielle Verluste!
• Weil bei jedem Vertragszeitraum eines Dreh-Engagements separat festgestellt werden muss, ob er unständig abzurechnen ist oder nicht.
• Weil bei jedem unständigen Vertragszeitraum eigens für die Beitragsberechnung zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung separat beurteilt werden muss, ob in dem betreffenden Kalendermonat zusätzlich auch eine berufsmäßige Unständigkeit vorliegt oder nicht.
• Weil zurzeit (bis mindestens Anfang 2020) die Softwareprogramme der gesetzlichen Krankenkassen beim Einzug unserer Sozialabgaben noch nicht den Beitragsunterschied zwischen berufsmäßiger Unständigkeit (Personengruppe 118) und nicht berufsmäßiger Unständigkeit (geplante Personengruppe 117) berücksichtigen können und die Arbeitgeber momentan gehalten sind, alles über die Personengruppe 118 abzurechnen, um gegebenenfalls später, nach Einrichtung der Personengruppe 117 diese Abrechnungen zu korrigieren.
• Weil mit der unständigen Versicherung ganzer Kalendermonate die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sich bei mehreren unständigen Beschäftigungen die Versicherungszeiten überlappen und insgesamt zu viel Sozialbeiträge – also oberhalb der Beitragsbemessungsgrenzen – abgeführt werden.
• Weil sowohl die für den Einzug der Sozialbeiträge zuständigen gesetzlichen Krankenkassen, aber auch unsere Arbeitgeber und wir überfordert sind, dafür zu sorgen, dass die überzahlten Sozialbeiträge wieder rückerstattet werden.
Fluch oder Segen? Zurücklehnen oder eingreifen? Nun melden sich beim BFFS seit Anfang des Jahres laufend Kolleginnen und Kollegen, die entsetzt sind von der neuen unständigen Abrechnungspraxis. Sie berichten, dass sie von ihrer Gage aufgrund der hohen Sozialabgaben und des hohen Steuersatzes netto kaum noch etwas übrig behielten und dass es für sie darüber hinaus unmöglich geworden sei, noch Ansprüche für das Arbeitslosengeld aufzubauen.
Auf der anderen Seite gingen wir davon aus, dass sich an den BFFS wohl weniger diejenigen Kolleginnen und Kollegen wenden würden, die die neue unständige Abrechnungspraxis begrüßen. Darum plädierte die letzte Mitgliederversammlung dafür, von allen Mitgliedern online ein Votum einzuholen. Dieses wurde vom 19. bis 30. August durchgeführt. Gefragt wurde,
• ob unsere Mitglieder konkret mit der neuen unständigen Abrechnungspraxis zufrieden sind oder nicht
• und ob sie generell Änderungsbedarf bei der sozialversicherungsrechtlichen Situation der Schauspielerinnen und Schauspieler sehen.
Der Vorstand und wir vom BFFS-Arbeitsteam zur Sozialversicherung sehen dringenden Handlungsbedarf vor allem beim Gesetzgeber, sprich, der Politik, das Sozialversicherungsrecht zu reformieren. Hin zu einem in unseren Augen gerechteren und einfacheren Sozialversicherungssystem.
Das nun vorliegende Votum der Mitglieder bestätigt und bestärkt uns in unserem Kurs.
Die Beteiligung am Online-Votum war sehr rege, 1.039 Mitglieder haben teilgenommen. Satzungsgemäß werden die Stimmen derjenigen, die zu den mitgliedsärmeren Bereichen Sprache/Synchron und Bühne gehören, höher gewertet, um ihnen einen Minderheitenschutz zu gewährleisten. Daher ergibt sich folgendes Gesamtergebnis:
• 70,35 % sind nicht zufrieden mit der neuen unständigen Abrechnungspraxis, 18,47 % sind damit zufrieden. 11,19 % haben dazu keine Meinung.
• Änderungsbedarf bei der Sozialversicherung sehen 81,77 %, für 16,08 % ist die Sozialversicherung, so wie sie ist, OK. 2,15 % ist es egal.
Das ist, ungeachtet einer ausstehenden differenzierten Analyse, auch der im Rahmen des Online-Votums zusätzlich abgegebenen individuellen Anregungen und Berichte der Kolleginnen und Kollegen, ein klares Votum und Mandat für uns, uns für einen angemessenen und bezahlbaren sozialen Schutz aller Kolleginnen und Kollegen einzusetzen.
Jens Schäfer