9 minute read
JULIA BUCHFINK
„TRACHT MACHT GUTE LAUNE“
Früher war Julia Buchfink auf Schul- und Maturafotos die Einzige im Dirndl. Inzwischen sind Tracht und Tradition cool geworden. Die junge Geschäftsführerin von Wenger Austrian Style über Mode, die wirklich nachhaltig ist, ihre Liebe zum Innviertel und starke Frauen in Familie und Firma.
Text: Petra Kinzl
Fotos: Katharina Wisata /www.katharinawisata.com Mode: Wenger Austrian Style Location: Innviertler Versailles in Aurolzmünster
Friseur/Visa: Kopfsache by Tina Ortbauer + Schönheitssinn & Schönheitswerkstatt Diana Jungwirth, www.beautyprofis.at
Die Liebe zur Tracht wurde ihr quasi in die Wiege gelegt. Vor eineinhalb Jahren übernahm Julia Buchfink schließlich das Ruder von ihrem Stiefpapa Alois Wenger. Seit 1. Oktober 2019 führt die fesche Betriebswirtin das Familienunternehmen Wenger Austrian Style mit Stammhaus in Obernberg am Inn. „Ohne Fleiß kein Preis“ ist nicht nur das Credo der 32-Jährigen, sondern ein Spirit, der in der gesamten Familie herrscht. Mit Tatendrang, Weitblick und – zu Recht – auch Stolz will die verheiratete Innviertlerin die Geschichte des über 100 Jahre alten Traditionsbetriebs erfolgreich fortschreiben. Im reizenden Schlossambiente des Innviertler Versailles in Aurolzmünster, das von 1691 bis 1711 erbaut wurde, präsentiert sie modische Lieblingsstücke und lebt mit Authentizität vor, wie Tracht und Dirndl gute Laune machen.
Nach drei Generationen Alois Wenger steht erstmals eine Frau an der Spitze des Trachten-Unternehmens mit Sitz in Obernberg: Julia Buchfink (32).
Die Liebe zur Tracht ist Teil der Familie, wie hier am Hochzeitsfoto zu sehen.
Erst in Faistenau/Salzburg, dann in Obernberg am Inn: Seit 1920 schneidert die Familie Wenger Trachten. Was bedeutet es für Sie, diese Tradition in vierter Generation fortzuführen?
Sehr viel. Ich bin ja sozusagen ein Patchwork-Familienmitglied, aber mein Stiefvater war für mich vom Gefühl her immer mein Papa und ich bin mit ihm einfach groß geworden. Die Entwicklung von Wenger beeindruckt mich sehr, sie reicht von früheren Trachtenanzügen für Herren über Loden, Walk und Salzburger Traditions- trachten bis hin zu Landhausmode mit Riesenpufärmeln in den 90er-Jahren. Es sind witzige Sachen in unserem Fundus, wie Preislisten aus 1960, wo ein Anzug noch 198 Schilling gekostet hat. Wir haben viel gemacht, auch viel überstanden – wie den Zweiten Weltkrieg, viele Wirtschaftskrisen, Aufs und Abs, so gesehen ist es für mich etwas Besonderes, in einer Firma zu arbeiten, die so eine lange Geschichte hat.
Sind die Eltern noch im Unternehmen?
Mein Stiefpapa steht mir immer noch mit Rat und Tat zur Seite und wichtige Entscheidungen werden im Moment gemeinsam getrofen. Aber meine Eltern sind nicht mehr ganz so präsent wie früher und genießen immer mehr die Pension.
„Was gibt es in der Mode Nachhaltigeres als ein Dirndl?“
Julia Buchfink
Wie steht es um die Frauenpower im Hause Wenger?
Was die Führung der Firma betrift, war diese immer sehr männlich dominiert – es waren drei Generationen Alois Wenger. Was sich jetzt ändert (lacht)! Wir hatten aber immer viele starke Frauen im Unternehmen, typisch für die Textilbranche. Meine Mutter, eine Lehrerin, war immer schon modeafn und hat im Kreativbereich und beim Design mitgearbeitet. Was uns besonders auszeichnet, ist, dass wir immer zusammenhelfen und uns gegenseitig unterstützen. Was grundsätzlich Frauenpower betrift, möchte ich unbedingt noch meine beiden coolen Omas erwähnen: die eine Wirtin, die andere Vergolderin. Zwei starke Frauen, die neben ihrer Arbeit mehrere Kinder großzogen und stets mit beiden Beinen im Leben standen. Sie sind auf jeden Fall Vorbilder für mich.
Welcher Spirit herrscht in Ihrer Familie?
Im Familienunternehmen Wenger herrscht großer Zusammenhalt – meine Cousinen oder Cousins machen Praktika bei uns, beim Erscheinen einer neuen Kollektion leisten unsere Mitarbeiter
Großartiges und machen Überstunden, ohne mit der Wimper zu zucken. Wir versuchen, Teamspirit zu leben. Es herrscht aber auch das Motto „Ohne Fleiß kein Preis“. Meine Eltern oder auch die Omas haben mich früher immer motiviert, fleißig zu sein und Einser- Zeugnisse belohnt. Der Geist der Arbeit schwingt in unserer Familie mit. Womit der Alois mich auch inspiriert hat, war das Reisen – er nahm mich als Kind schon mit. Wenn man lange fleißig war, darf man sich auch belohnen und sich die Welt anschauen, Kulturen kennenlernen, sich verschiedene Blickwinkel holen. Es wird Weitblick gelebt.
„Meine größten Vorbilder sind meine beiden Omas. Die eine war Wirtin, die andere Vergolderin.“
Julia Buchfink
Wenger gehört zu den führenden Dirndlherstellern in der Trachtenbranche. Was unterscheidet Wenger von anderen?
Mehrere Dinge. Unser USP sind die verschiedenen Schnitte. Wir greifen auf 100 Jahre Erfahrung zurück. Ein Wenger-Dirndl steht jeder Frau. Wir bewegen uns in einer mittleren Preiskategorie. Und wir schneidern von Größe 30 bis zu Größe 54. Egal welche Frau, sie soll sich in einem Dirndl von uns geborgen fühlen. Jeder Körper ist anders, deshalb sind unsere Dirndl extrem änderungsfreundlich. Auch nach der Coronakrise passt ein Dirndl noch (lacht), weil sie wachsen ja vier Zentimeter mit. Wichtig sind uns außerdem viel Handarbeit, Liebe zum Detail und die Ausbildung im Innviertel. Wir haben hier noch eine verhältnismäßig große Näherei, wo Kleinserien und Muster usw. gefertigt werden. Das ist heutzutage eine Seltenheit, weil die meisten im Ausland fertigen lassen.
Manchmal darf es auch glitzern: Kleid und Handtasche von MAX&Co.
Julia Buchfink
Barockes Ambiente trift auf Businessfrau im Dirndl (Modell Lara, Bluse Lola).
Also versucht Wenger nach wie vor das Handwerk zu leben?
Genau. Wir nehmen auch so gut wie jedes Jahr einen Lehrling auf. Design und Schnitte entstehen in unserer Manufaktur in Obernberg am Inn. Gefertigt wird dann in unseren Nähstuben in Ungarn in Familienbetrieben, die wir schon seit 40 Jahren kennen.
Welche Generationen sind Ihre Hauptkundschaft?
Unser Zugang ist: Wir möchten jede Generation mit Tracht ausstatten. Wir freuen uns besonders, wenn die Jugend das erste Dirndl bei uns kauft und die Oma das letzte. Vor Kurzem haben wir für eine 96-Jährige noch eine Sonderanfertigung gemacht.
Wann entstand der Wunsch, ins Familienunternehmen einzusteigen?
Schon relativ früh, es machte mir immer schon Spaß, auf den Messen mitzuhelfen. Ich wollte mich aber nicht sofort festlegen und machte eine allgemeine und breite Ausbildung im Fashion Management an der Modeakademie LDT Nagold und an der Wirtschaftsuniversität in Wien. Mit dem Studium in der Tasche lebte ich vier Jahre in Deutschland bei meinem jetzigen Ehemann und arbeitete im Zentraleinkauf in der Autoindustrie. Schließlich kam ich zu dem Entschluss: Die Chance, in eine tolle Firma wie Wenger einzusteigen, darf man sich nicht entgehen lassen.
Was ist das Schöne an der Arbeit?
Unser Produkt macht Menschen Freude. Ein Dirndl ziehen Menschen zu freudigen Anlässen an, wie zu Festen, Hochzeiten und überall dort, wo man Spaß hat. Man hat selten die Gelegenheit, mit solch einem inspirierenden Produkt zu arbeiten, das einfach gute Laune macht.
Was hat die Coronapandemie bei Wenger alles auf den Kopf gestellt?
Sehr viel. Ich war gerade sechs Monate „im Amt“, da kam Corona. Wir haben natürlich massiv an Umsatz verloren. Zugute kommt uns, dass meine Familie immer schon sehr nachhaltig gewirtschaftet hat. Genützt haben wir die Zeit, um neue Strukturen zu schaffen und Verträge neu zu verhandeln. Leider mussten wir bedingt durch die Krise auch Mitarbeiter abbauen, was mich auch wochenlang nicht schlafen ließ. Aber es hat auch zu einer gewissen Bereinigung geführt und wir haben im Moment das beste Team der Welt.
Wenger betreibt auch einen Onlineshop. Wie funktioniert Dirndl-Kauf per Mausklick?
Wir gehen mit der Zeit! Der Onlineshop war ein Erfordernis der Coronakrise und der Schließung der Läden. Jeder Einkauf wird einem Händler gewidmet, der beim Bezahlprozess ausgewählt wird. Grundsätzlich bin ich ein Fan davon, dass der Kauf im Einzelhandel passiert, weil nur dort kann das Dirndl optimal angepasst werden. Was zusätzlich zählt, ist die Beratung, wodurch man Modelle probieren kann, die man sonst nicht wählen würde. Etwa zehn Prozent der gesamten Kollektion sind im Onlineshop und die Auswahl in den Geschäften ist um ein Vielfaches größer. Tracht ist ja nichts, was man kauft wie ein T-Shirt, sondern etwas für die Ewigkeit, was man im Idealfall noch seinen Kindern vererbt. Ich selbst hab‘ noch ein Dirndl von meiner Oma und trage es zum Beispiel auf Sommerfesten oder zur Mostkost. Für mich ist ein Dirndl wertbeständig und nachhaltig.
Was verstehen Sie unter Nachhaltigkeit?
Die Menschen reden immer von nachhaltig, aber keiner will Nachhaltigkeit bezahlen, sondern viele kaufen lieber Billigprodukte aus China. Ich finde Produkte von Bauern aus der Region dürfen auch etwas kosten. Dasselbe sehe ich bei Textilien, wenn sie in Europa gefertigt werden. Unsere Stofmanufakturen sind alle in Wien. Gut, Baumwolle wächst nicht in Österreich und muss importiert werden, aber gefärbt und bedruckt wird in Italien. Dass bei diesen Prozessen keine Kinderarbeit im Spiel ist, kurze Transportwege und keine Überproduktion entstehen – das alles macht Nachhaltigkeit aus. Ich hofe hier auf ein baldiges Umdenken.
Welchen Markt bedient Wenger?
Deutschland, Österreich, Schweiz und Südtirol. Überall dort, wo Tracht Tradition hat.
Sind Dirndl das Hauptprodukt?
Bis dato ja. Aufgrund der Pandemie verlagert sich das. Im Augenblick geht der Trend hin zu Trachtenbodys und Röcken, die man auch im Büro tragen kann, oder Trachtenjacken, die man zu Jeans kombinieren kann. Wir hofen, dass das Dirndl bald wieder in den Fokus rückt, wenn wir endlich wieder mit unseren Lieben feiern können.
Wenger und Marcel Ostertag: Die Capsule Kollektion ist ein Kind der kreativen Liaison mit dem deutschen Designer. Was ist die Idee dahinter?
Es ist eine lieblichere, modernere Linie, die immer ein Thema hat und für schöne Anlässe gedacht ist. Bei der ersten Kollektion im Frühling 2020 sind es Oliv-Pastelltöne, bei der neuen Kollektion vom Winter sind es Rosen.
Wie hat sich das Image der Tracht gewandelt?
Eine Zeit lang war Tracht, denke ich, mega-out. Ich erinnere mich, dass ich am Schulfoto oder Maturafoto die Einzige mit Dirndlkleid war. Mittlerweile ist es absolut in. Dirndl und Tradition sind cool geworden. Man muss auch wissen, wo man herkommt, um einen Weitblick zu entwickeln. Dirndl sind nicht mehr wegzudenken, nahezu jede Österreicherin hat eines oder mehrere. Sie sind einfach schön und betonen die Vorzüge der Frau.
Wer entwirft die Kollektionen bei Wenger?
Wir haben zwei Designerinnen. Besonders erwähnen möchte ich Isolde, die Seele und das Herz von Wenger, die seit 30 Jahren bei uns ist. Sie ist die „Mama der Firma“ – immer motiviert und gut gelaunt. Mittlerweile hat sie Unterstützung durch eine Jungdesignerin, aber auch durch andere Schnittdesigner aus dem Haus.
Der Standort in Obernberg am Inn ist stark mit der Region verwurzelt. Was macht das Innviertel aus?
Die Innviertler sind entspannte, freundliche und ehrliche Menschen. Ich habe selbst ja schon an verschiedenen Orten der Welt gewohnt – beispielsweise ein halbes Jahr in Singapur, in Wien oder einige Jahre mit meinem Ehemann in Deutschland – und denke, dass das Innviertel in Österreich unterbewertet ist. Ich liebe die Lockerheit und Handschlagqualität der Innviertler, die Schönheit der Region mit ihren Plätzen und Schlössern, coolen Menschen und toller Gastronomie, guter Hausmannskost und der Bodenständigkeit.
WORDRAP
Was ist Ihr größtes Talent? Kommunikation, Organisation
Wofür geben Sie gern Geld aus? Urlaub und Mode – ich habe eine Schwäche für teure Handtaschen
Was mögen Sie an Männern gar nicht? Wenn sie sich wie Patriarchen verhalten
Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn wieder „Normalität“ ins Leben eingekehrt ist?
Reisen, Essen gehen mit Freunden, Kunden wieder persönlich trefen. Ich vermisse die Abwechslung und das Leben, denn ich bin ein Lebemensch!
Was ist Ihr Lieblingsduft?
Kenzo Amour