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DIE PRÄSIDENTIN
KURZBIO
Verena Altenberger wuchs in Salzburg auf, studierte in Wien Publizistik- und Kommunikationswissenschaften sowie Schauspiel. Erfolgreich ist die vielfach preisgekrönte Künstlerin am Theater („Jedermann“, Salzburger Festspiele), im Film („Die beste aller Welten“, „Me, We“) und im TV („Polizeiruf 110“, „Wild Republic“). Sie übernahm mit Arash T. Riahi 2021 die Präsidentschaft der Akademie des Österreichischen Films.
„Ich lache am liebsten, wenn es dunkel ist“
Warum sie Schauspielerin und kürzlich Präsidentin der Akademie wurde, was sie an ihrem Beruf liebt, was ihr Angst macht und über die Magie des österreichischen Kinos sprachen wir mit Verena Altenberger. Am 30. Juni werden in Grafenegg die Österreichischen Filmpreise 2022 vergeben.
Text: Viktória Kery-Erdélyi Fotos: eSeL.at/Lorenz Seidler, ARD Degeto, Robert Newald
1,5 Sekunden hat sie sich sehr, sehr über die E-Mail von Katharina Albrecht-Stadler gefreut und dann gedacht: „Das mache ich nicht.“ Die Geschäftsführerin der Akademie des Österreichischen Films fragte bei ihr an, ob sie gemeinsam mit Filmemacher Arash T. Riahi die Präsidentschaft übernehmen möchte. Sie sollten Ursula Strauss und Stefan Ruzowitzky nachfolgen. Die E-Mail wollte dann tagelang nicht aus dem Kopf, sagt Verena Altenberger. Ein paar Monate später steht sie bei der Bekanntgabe der Nominierungen zum Österreichischen Filmpreis (siehe S. 14) am Rednerpult und hält eine flammende Rede: „Ich liebe den österreichischen Film. Die Geschichten, die wir erzählen und die Art, wie wir sie erzählen, ist so tiefgründig und so einzigartig; egal, wo ich auf der Welt bin, sie bewundern ihn überall“, sagt sie. Und dass sie mit der Akademie mit voller Energie für den österreichischen Film einstehen will. Weil sie – abgesehen davon, dass er für den Tourismus wichtig ist, zahlreiche Festivalerfolge einfährt, Zehntausende Arbeitsplätze und eine Wertschöpfung in Milliardenhöhe bringt – davon überzeugt ist, „dass Filme die Welt verändern, sie verbessern können“.
NIEDERÖSTERREICHERIN: Wieso wurdest du Präsidentin der Akademie? Verena Altenberger: Ich hab‘ zunächst aus einem Reflex heraus gedacht: Das kann ich nicht. Aber ich finde, gerade für eine Filmorganisation nach außen hin sagen zu können, uns repräsentieren ein Kind iranischer Geflüchteter (Arash T. Riahi, Anm.) und eine junge Frau, ist eine geniale Sache. Ich hätte es hipocrite (heuchlerisch, Anm.) gefunden, zu sagen: Ich möchte mehr Repräsentation von jungen Frauen, aber bitte fragt
Ich bin überzeugt: Filme können die Welt verändern, Filme können die Welt verbessern.
Verena Altenberger, Präsidentin der Akademie des Österreichischen Films
nicht mich (lacht). Da habe ich zugesagt!
Die Akademie des Österreichischen Films versteht sich als eine Plattform, die die Anliegen der Filmbranche kommunizieren und umsetzen, sie stärken will. Was ist konkret eure Mission?
Wir Präsident:innen (sie gendert mit einer Pause vor dem i, Anm.) nutzen unsere Arbeitskraft und Außenwirkung,
RETTUNGSEINSATZ. Filmstill aus „Riesending“ unter der Regie von Jochen Alexander Freydank (Koproduktion ServusTV, ARD, SRF) um in Gesprächen mit Multiplikator:innen den österreichischen Film sichtbarer zu machen, die Liebe dafür vor allem innerhalb Österreichs anzufachen, und um die Arbeitsbedingungen für Filmschaffende zu verbessern.
Was liebst du am österreichischen Film?
Heute stehen unsere Filme bei der Ästhetik Hollywood um nichts nach. Österreichisches Kino hat aber zusätzlich die Fähigkeit, die Menschen ganz tief zu durchschauen, ihre Seelen zu durchleuchten. Wenn man wirklich etwas über Menschen lernen möchte, muss man sich österreichische Filme anschauen. Eine andere Besonderheit ist, dass Drama und Komödie so nah beieinander liegen; ich persönlich lache am liebsten, wenn es dunkel ist (lacht). Du sagst, Filme können die Welt verändern. Wie? Ich könnte über Filme über den Krieg reden, aber ich nehme ein einfacheres Beispiel: die Liebe – nicht, dass die wahnsinnig leicht wäre (lacht). Ich hab‘ bei der Viennale mit einer Freundin „The Worst Person In The World“ gesehen, eine unglaublich tolle Geschichte über eine junge Frau. Sie geht durch ihr Leben, beendet ihr Studium, Beziehungen, wechselt Arbeitgeber:innen … Nach dem Abend hat meine Freundin ihre Beziehung beendet. Der Film war nicht der Grund, aber der Zünder. Wenig später erzählt mir ein Kollege, dass vier Freund:innen ihre Beziehungen beendeten, nachdem sie den Film sahen. Sich zu trennen, ist vielleicht nicht schön, aber es kann aus positivem Antrieb geschehen. Wenn ein Film das mit der Liebe kann, nämlich Menschenleben verändern, dann kann er das auch mit Gewalt, Politik, kulturellen Ansichten, Haltungen, Zivilcourage und vielem anderen mehr.
Du wusstest früh, dass du Schauspielerin werden willst. Was liebst du daran?
Aus den Tagebüchern meiner Mama, die ich nach ihrem Tod geerbt habe, weiß ich, dass ich schon mit drei oder vier Jahren gesagt habe, dass ich Schauspielerin werden möchte.
Der Hofnarr war am Hof der einzige, der den König spielhaft beleidigen und
IM ZEICHEN DER SOLIDARITÄT. „Wenn man eine Bühne bekommt, sollte man sie nützen“, sagt Verena Altenberger. Inszeniert wird die Filmpreisgala von Regisseurin und Drehbuchautorin Clara Stern.
trotzdem mit am Tisch sitzen durfte. Er durfte im Stall herumlungern, durch dunkle Gassen gehen und alles ansprechen. So empfinde ich meinen Beruf.
Vielleicht weil ich in einem Salzburger Dorf aufgewachsen bin, hatte ich immer eine große Sehnsucht, nicht im Sinne von Verreisen, sondern nach viel Leben. Das gibt mir mein Beruf: Ich darf über den Red Carpet gehen, aber auch Menschen treffen, die abhängig sind von Heroin, die sich mir öffnen und versuchen, mir ihre Welt zu erklären, auf dass ich sie verstehen und wiedergeben möge. Mein Beruf gibt mir so viel Freiheit und weil ich all das darf, habe ich durch den Beruf auch Mut gelernt.
Was magst du daran weniger?
Ich fühle mich oft allein mit meiner Angst: dass ich etwas nicht kann, dass die Magie plötzlich aufhört. Natürlich hat es viel mit Übung, Talent und Handwerk zu tun, aber einen Funken Magie braucht es und die ist unberechenbar. Ich bin meine Arbeit, wenn ich nicht funktioniere, habe ich kein Einkommen, und ich bin in einem künstlerischen Beruf darauf angewiesen, dass mich andere sehen wollen. Es macht mir Angst, dass das irgendwann aufhören könnte oder ins Wanken gerät. Oder ich nicht liefern kann, was gefragt ist.
Ob das in „Die beste aller Welten“ ist oder „Me, We“ (nominiert als Bester Spielfilm), du lebst deine Rollen. Wie gelingt dir das?
Durch Recherche und Vorbereitung. Ich sehe mir Filme und Dokumentationen an, aber vor allem gelingt es durch Beobachten und Kennenlernen von Menschen in echten Situationen. Am Set brauche ich dann die Möglichkeit, durch Konzentration und Respekt der Verwandlung gegenüber, mich auch verwandeln zu können. Dann sind all die Emotionen echt. Dem Körper kann man viel einreden. Wenn ich mir den ganzen Tag vorstelle, dass ich mein Kind verloren habe, bin ich am Ende des Tages chemisch und psychologisch gesehen todunglücklich. Schauspiel ist echt; es ist zunächst gespielt, aber es wird echt. Wie kann man sich davon erholen?
Wenn ich eine Panikattacke spiele, kommt das aus mir, dann entblöße ich mich: So sehen meine Panikattacken aus. Man gibt so viel von sich an einem Drehtag und am Ende packen alle ihre Sachen und drehen das Licht ab. Ich stand oft da und dachte mir: und jetzt? Neuerdings gehe ich zur Regie und sage: Ich hab‘ so viel von mir hergegeben, ich möchte bitte eine Umarmung (lacht).
Was für ein schönes Ritual! – Wir leben in schweren Zeiten. Die Pandemie ist noch nicht überstanden, neben uns tobt ein Krieg. Manche fragen sich: wieso feiern? Wieso hältst du die Filmpreisgala in Grafenegg dennoch für wichtig?
Um gehört zu werden, braucht es immer eine Bühne. Und wenn man eine geboten bekommt, sollte man sie nützen. Es wird der Präsident der ukrainischen Filmakademie beim Österreichischen Filmpreis zu Gast sein und vermutlich auch etwas sagen. Niemand hätte etwas davon, wenn wir absagen; wir können aber eine große positive solidarische
Emotionalisierung erreichen und das geht manchmal auch über gemeinsames Feiern. Insofern finde ich es gerade jetzt wichtig, zusammenzukommen.
Du drehst gerade „Riesending“. Worum geht es?
Der Film basiert auf einer wahren Begebenheit: 2014 haben wochenlang rund 200 Menschen aus ganz Europa versucht, einen verletzten Höhlenforscher im Untersberg zu retten. Ich darf verraten: Maßgeblich beteiligt waren daran zwei Frauen, eine spiele ich. Ich drehe gerne Filme, die einen aktuellen Bezug haben. Hier steckt so viel drinnen: die Debatte, wie viel kostet ein Menschenleben, wie viel nehmen viele auf sich, um einen zu retten, da schreit geradezu die Pandemie heraus.
Regisseur Jochen Alexander Frey-
SELFIE BEI DER BEKANNTGABE DER NOMINIERUNGEN. Verena Altenberger mit Redakteurin Viktória Kery-Erdélyi
dank hat uns eine tolle Geschichte von seiner Grundschullehrerin erzählt. Sie hat mal die Kinder gefragt: Wie viel ist ein Menschenleben wert? Sie ließ die Kinder diskutieren, bis sie sich auf eine Summe geeinigt haben, die etwa so lautete: Tausendmillionensiebenundachtzig Komma fünf D-Mark. Die Lehrerin hat die Kinder für die Diskussion gelobt und dann gesagt: „Wisst ihr was: Ein Menschenleben ist unbezahlbar.“ Das ist die Quintessenz von „Riesending“, aber auch von vielen gesellschaftlichen Debatten, die wir grad erleben.
ÖSTERREICHISCHER FILMPREIS 2022
Die Filme und ihre Nominierungen (alphabetisch)
1 VERABREDUNG IM HERBST
(R: Sebastian Brauneis, P: Studio Brauneis/AT) 2 Nominierungen: Beste weibliche Hauptrolle, Beste weibliche Nebenrolle
AUFZEICHNUNGEN AUS DER UNTERWELT
(R: Tizza covi, Rainer Frimmel, P: Vento Film Productions/AT) 1 Nominierung: Bester Dokumentarfilm
AUSLEGUNG DER WIRKLICHKEIT – GEORG STEFAN TROLLER
(R: Ruth Rieser, P: RR Filmproduktion/AT) 1 Nominierung: Bester Dokumentarfilm
FUCHS IM BAU
(R: Arman T. Riahi, P: Golden Girls Filmproduktion/AT) 10 Nominierungen: Bester Spielfilm, Beste weibliche Hauptrolle, Beste männliche Hauptrolle, Beste weibliche Nebenrolle, Beste männliche Nebenrolle, Beste Regie, Bestes Drehbuch, Bester Schnitt, Beste Musik, Beste Tongestaltung
GENOSSE TITO, ICH ERBE
(R: Olga Kosanović, P: Olga Kosanović/AT+DE) 1 Nominierung: Bester Kurzfilm
GROSSE FREIHEIT
(R: Sebastian Meise, P: FreibeuterFilm, Rohfilm Productions/AT+DE) 10 Nominierungen: Bester Spielfilm, Beste männliche Hauptrolle (2 x), Beste männliche Nebenrolle, Beste Regie, Bestes Drehbuch, Beste Kamera, Bester Schnitt, Beste Maske, Beste Musik
HINTERLAND
(R: Stefan Ruzowitzky, P: FreibeuterFilm, Amour Fou Luxembourg/AT+LU) 6 Nominierungen: Beste weibliche Nebenrolle, Beste Kamera, Bestes Kostümbild, Beste Maske, Bestes Szenenbild, Beste Tongestaltung
JETZT ODER MORGEN
(R: Lisa Weber, P: Takacs Filmproduktion, Ulrich Seidl Filmproduktion/AT) 1 Nominierung: Bester Dokumentarfilm
KLAMMER – CHASING THE LINE
(R: Andreas Schmied, P: epo-film, Samsara Filmproduktion, Sabotage Filmproduktion/ AT) 2 Nominierungen: Bester Schnitt, Bestes Kostümbild
LIEBE, PFLICHT & HOFFNUNG
(R: Maximilian Conway, P: Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf/DE) 1 Nominierung: Bester Kurzfilm
WICHTIGES TRIO DER AKADEMIE DES ÖSTERREICHISCHEN FILMS.
Geschäftsführerin Katharina AlbrechtStadler, Präsident Arash T. Riahi und Präsidentin Verena Altenberger
ME, WE
(R: David Clay Diaz, P: coop99 Filmproduktion/AT) 1 Nominierung: Bester Spielfilm
MONEYBOYS
(R: C.B. Yi, P: KGP Filmproduktion, Zorba Productions, Panache Productions & La Cie Cinématographique, Flash Forward Entertainment/AT+FR+BE) 5 Nominierungen: Bester Spielfilm, Beste Regie, Bestes Drehbuch, Bestes Szenenbild, Beste Tongestaltung
MONTE VERITÀ
(R: Stefan Jäger, P: KGP Filmproduktion, tellfilm, coin film/ AT+CH+DE) 1 Nominierung: Bestes Szenenbild
NACKTE MÄNNER IM WALD
(R: Paul Ploberger, R: Filmakademie Wien/AT) 1 Nominierung: Bester Kurzfilm
NEVERINLAND
(R: Fatih Gürsoy, P: Fatih Gürsoy/AT) 1 Nominierung: Bester Kurzfilm
SARGNAGEL – DER FILM
(R: Sabine Hiebler, Gerhard Ertl, P: Golden Girls Filmproduktion, Hiebler-Ertl Film/AT) 1 Nominierung: Beste Musik
SCHACHNOVELLE
(R: Philipp Stölzl, R: Walker + Worm Film, Dor Film/AT+DE) 6 Nominierungen: Beste weibliche Hauptrolle, Beste weibliche Nebenrolle, Beste männliche Nebenrolle, Beste Kamera, Bestes Kostümbild, Beste Maske