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22 Das therapeutische Potential der Yoga Praxis

Text Dr. Linnéa Roth

Das therapeutische Potenzial der Yoga-Praxis

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Grundlagen und Wirkungsweise

Yogasana wirkt ganzheitlich auf Körper, Psyche und Geist. Yoga ist kein Freizeitsport und Yoga ist keine Therapie, sondern eine Lebensweise, die neben einer gesunden Lebensführung insbesondere auch philosophisch-spirituelle Inhalte und Ziele verfolgt. Die gesundheitliche Wirkung ist zugespitzt formuliert eine Art angestrebte „Nebenwirkung“, die mittlerweile in zahlreichen Studien bestätigt wurde.

Schon das Einnehmen schlichter Haltungen, die Alltagshaltungen ähneln (Sukhasana, Tadasana, Savasana), schult die Wahrnehmung, die Aufmerksamkeit, die Konzentration, den angemessenen Umgang mit dem eigenen Körper. Einschränkungen und Besonderheiten werden erkannt: ein erster Schritt in Richtung Ausgleich und Veränderung. Dies steigert sich in zunehmend komplexen Haltungen und Übungssequenzen.

Die Yogasana-Praxis wirkt

• über einfache physikalische Mechanismen auf die

Strukturen des Körpers:

Dehnen, strecken, kontrahieren, wringen, entspannen, umkehren. • durch das Setzen von funktionellen Reizen auf alle

Organsysteme: die Dynamik des Übens, die Schwerkraft. • auf die Psyche: Wahrnehmung, Disziplin, Selbstvertrauen, Spiritualität. In den vielfältigen Yoga-Haltungen steht zunächst das Bewegungssystem im Vordergrund. Steifheit oder Überbeweglichkeit fallen als Erstes auf. Oft besteht ein muskuläres Ungleichgewicht: Zu Verspannung neigende Muskeln können gedehnt und zu Abschwächung neigende Muskeln können gekräftigt werden, so dass einzelne Gelenke oder Regionen zum einen mobilisiert und zum anderen stabilisiert werden. So profitieren die Gelenke, als anfälligste Elemente des Bewegungssystems, von korrekter Ausrichtung, Belastung, Entlastung und umfänglicher Bewegung. Eng damit vebunden ist das Fasziensystem des Körpers. Durch vielfältige, ausgedehnte Bewegungen in alle Richtungen werden sie geschmeidig und können sich strukturell umbauen und neu ausrichten.

Die ungewohnte Anwendung von Schwerkraft im Zusammenspiel mit muskulärer Aktivität wirkt nachweislich auf die Knochen. Da sich Knochengewebe ständig umbaut und anpasst, kommt es reaktiv zu

vermehrter Knochendichte. So liegen die positiven Wirkungen auf das Bewegungssytem auf der Hand: Erkennen und Ausgleichen von Asymmetrien, Haltungskorrektur, Beheben von Fehlbelastungen, Linderung von Schmerzen u.v.m. Bei falschem Üben kann es andererseits zu Verletzungen oder chronischen Schäden kommen.

Die Wirkung der Yoga-Praxis auf die inneren Organsysteme ist vielfältig und tiefgreifend. In einer kraftvollen und dynamischen Übungspraxis wird das Herz-Kreislauf-System angeregt, was einem moderaten Ausdauertraining gleichkommt. Bei hypertoner Ausgangslage kann eine entspannende YogaPraxis diese regulieren. Gleichsinnig reagiert auch die Atmung. Eine Haltungsoptimierung kann den Atemraum erweitern, um diesen umfänglich auszuschöpfen. Der Atem ist ein Indikator für (Über-) Anstrengung, in physischer wie in psychischer Hinsicht. Ein gleichmässiger, bewusster Atemfluss ökonomisiert die Atemarbeit, verbessert den Gasaustausch und das Wohlbefinden.

Das Verdauungssystem wird strukturell und funktionell spürbar von der Asana-Praxis beeinflusst. Insbesondere Streckungen, Drehungen und Umkehr regen die Peristaltik an, mobilisieren Darminhalt und fördern Durchblutung und Stoffwechsel. Regeneratives Üben unterstützt die Verdauungstätigkeit und den Aufbaustoffwechsel.

In einer abwechslungsreichen Yoga-Praxis, insbesondere durch die nicht-alltägliche Wirkung der Schwerkraft (Umkehrhaltungen) werden die Steuerungs- und Regelsysteme des Körpers herausgefordert. Ständig muss das vegetative Nervensystem messen und antworten, Durchblutung und Aktivität der einzelnen Körperbereiche anpassen. Dies geschieht im engen Zusammenspiel mit dem Immunsystem und dem Hormonsystem. Die zugehörigen Organe werden strukturell erreicht und vitalisiert, wobei ihre Aktivität aufgrund komplexer Rückkoppelungsmechanismen allenfalls indirekt zu beeinflussen ist. Da der Organismus als Einheit zu verstehen ist, werden die Organsysteme gleichsinnig reguliert und aufeinander abgestimmt, so dass einerseits von einer Harmonisierung auszugehen ist und andererseits auch Grenzen neu justiert werden können. Insgesamt wird die Reagibilität geschult, insbesondere die Vitalsysteme lernen besser und leichter mit neuen Situationen umzugehen. Aktivierung ist für ein ausgewogenes Zusammenspiel aller Systeme genauso wichtig wie Entspannung. Besonders wirksam auf die Psyche sind die Rahmenbedingungen und die innere Haltung (Yama und Niyama) beim Üben. Beginn (Stilleübung) und Ende (Schlussentspannung) einer Einheit geben der Übungspraxis einen klar definierten Rahmen für Kraftquelle und Erholung. Die aufmerksame Beobachtung lässt die konstitutionellen und situativen Besonderheiten erkennen und einen achtsamen Umgang erlernen. Vor allem im individuellen Hilfsmittelgebrauch ist Selbstfürsorge und Selbstwirksamkeit im Spiel.

Koordination, Ausdauer und Herausforderungen anzunehmen, schenkt Selbstvertrauen. Das alles ist auch im Sinne eines

oftmals nötigen Stress-Managements sehr hilfreich.

All diese Aspekte lassen ahnen, wie vielfältig und heilsam die Yoga-Praxis auf Leib und Seele wirkt. Oft sind es die feinen, stetigen Anregungen, aufmerksam beobachtet und angemessen ausgeführt, die nachhaltig zu harmonischer Anpassung und Veränderung im Sinne einer Selbstheilung führen.

Im präventivmedizinischen Sinn ist die Yoga-Praxis unterstützend, ausgleichend und lindernd, sofern eine Dysbalance oder eine Vorerkrankung vorliegt. Spezifische Übungssequenzen für bestimmte Erkrankungen sind nicht rezeptartig definierbar. Jeder Mensch bringt eine eigene Ausgangslage mit und reagiert individuell. So muss das Vorgehen angemessen auf die persönliche Situation des Übenden abgestimmt sein. Andernfalls kann mit einer schädlichen Wirkung gerechnet werden. Wie bei allen Therapiemethoden muss der verantwortungsbewusste Yoga-Lehrer über ein fundiertes, gleichsam professionelles Wissen nicht nur über Anatomie und Physiologie, sondern auch über Pathologie und Pathophysiologie verfügen. Eine langjährige Unterrichtserfahrung ist eine Grundlage. Wenn Yoga unter therapeutischen Aspekten nicht nur eine Gesundheitsgymnastik sein soll, muss der Übende bereit sein, neben der somato-psychischen auch die psycho-spirituelle Dimension anzunehmen.

So hat die Yoga-Praxis eine tiefgehende, ganzheitliche Wirkung und als therapeutische Übung ein großes Potential.

Dr. Linnéa Roth Ärztin Anatomie-Dozentin an der LMU München Yogasana Yoga SKA®

Yogasana stärkt die Gesundheit

• Kräftigung und Ausgleich für den Bewegungsapparat (Flexibilität, Stabilität, Gleichgewicht, Koordination) • Unterstützung der inneren

Organsysteme, insbesondere des Atmungs- und Herz-

Kreislauf-Systems • Atemschulung (Atemraum,

Atemfluss, Atemlenkung) • Verbindung von Haltung und

Atmung • Harmonisierung der inneren

Regelsysteme und des Nervensystems • Entspannung • Stärkung der Psyche (Wahrnehmungsfähigkeit, Selbstvertrauen, Gelassenheit)

Yogasana unterstützt die Selbstheilungskräfte

• Linderung vorbestehender

Schäden des Bewegungsapparats (Beheben von Fehlbelastung der Gelenke, Haltungskorrektur) • Ausgleich von muskulärem

Ungleichgewicht (Lösen von

Verspannungen, Kräftigung der Muskulatur) • positiver Einfluss auf Erkrankungen des Herz-Kreislauf-

Systems, der Atmung und des

Stoffwechsels (z.B. Bluthochdruck, Asthma, Übergewicht) • Stressmanagement: Beseitigung stressbedingter physischer und psychischer Auswirkungen (Verspannungen,

Kopfschmerzen, Blutdruckprobleme, Nervosität, Antriebslosigkeit, Depression) • Linderung von Erschöpfungszuständen (Regeneration und

Entspannung) • Ausgleich von psychischen

Problemen, stabilisierende psycho-somatische Wirkung

Literaturempfehlung Yoga als Therapie

Wörle + Pfeiff

Heilkunst Yoga

Dalmann + Soder

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