Sucht nach Meer

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kultur-magazin Die Strände rund um Sagres bleiben selbst im Sommer vom Massentouris­ mus verschont

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reise

Sucht nach Meer Steter Wind, kühles Wasser, schroffe Felsen: Der Südwesten Portugals hat einen rauen Charme. Fischer Nicolau da Costa kann sich keinen schöneren Ort vorstellen

Foto: plainpicture

Von Joachim Rienhardt

lle fünf Sekunden zuckt das Warn­ licht vom Leuchtturm am Cabo de São Vicente durch den Morgen­ nebel. Kalter Wind treibt Gischt die Klippen herauf. Trotzdem reißt sich Nicolau da Costa neben seinem klapprigen Kastenwagen die Klei­ der vom Leib. „Besser kann ein Tag nicht beginnen“, sagt er und zwängt sich in ­seinen Taucheranzug. „Kein Straßenlärm, kein Gedränge, kein Stress.“ Und plötzlich auch kein Nicolau da Costa mehr. Mit einem Freudenschrei ist er an die­ sem letzten Landzipfel ganz im Südwes­ ten Europas zum Abgrund gerannt, um die steile Wand hin­unterzuklettern. Nach zehn Minuten taucht er am Strand von ­Telheiro wieder auf, etwa 80 Meter tiefer. Der 39-Jährige schnallt sein orangefar­ benes Mini-Surfboard vom Rücken und paddelt zu den vorgelagerten, von Wellen um­tosten Felsen, wo seine wertvolle B ­ eute wächst: Percebes, Krebstiere, bei uns En­ tenmuscheln genannt. Sterne-Restaurants zahlen bis zu 200 Euro fürs Kilo. „Der ­Kaviar der Portugiesen“, wie da Costa sagt. Wenn die Wellen sich zurückziehen, klettert er die messerscharfen Felsen hi­ nab, löst die Meeresfrüchte mit einem ­Minispaten ab und verstaut sie in einem Netz, das er um seine Schultern gebunden hat. Wie ein Boxer weicht der „Percebeiro“ aus, wenn die Wellen anrollen, manche mehr als zehn Meter hoch. „Wenn dich eine richtig erwischt, kann’s das Ende sein“, sagt da ­Costa. Doch genau diese wuchtigen ­Wellen machen das Meer so sauerstoffund nährstoff­reich – und die Beute so schmackhaft. „Auch wenn die Galizier ­widersprechen: Hier­wachsen die besten Percebes der Welt“, sagt er. Nicolau da Costa hat Landschaftsarchi­ tektur studiert, in London und Barcelona gearbeitet. „Aber für mich war klar, dass ich dorthin zurückkehre, wo ich aufgewach­ sen bin“, sagt er. „Hier bekommt mein ­Leben einen Sinn.“ Auf Fang zu gehen ist für ihn nicht nur Broterwerb. Es ist Sport, Thrill, unendlicher Genuss der Natur. Mit­ tendrin hat er ein Haus gebaut. Aus selbst gesammelten Steinen, Erde, Treibholz und Kork, umgeben von Zistrosen, Wacholder, wilden Oliven. Kein Strauch ist höher

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Tag am Meer

Schlafen, schlemmen, schauen: Sagres und Umgebung

Cabo de São Vicente

Hotel Martinhal

SAGRES tla

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Hotel Mareta View

Restaurant Vila Velha

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Tipps Übernachten Martinhal: Das Luxus-Resort liegt am Strand, direkt am Naturpark. Es spricht vor allem Familien an, die Rundumversorgung auf Fünf-SterneNiveau suchen. DZ/F ab ca. 170 Euro, Apartado 54, Tel. +351/282/24 02 00, www.martinhal.com Mareta View: Zum kleinen BoutiqueHotel gehört ein schöner Garten. Die Gäste haben einen tollen Blick auf die Bucht. Beco D. Henrique, DZ/F ab ca. 60 Euro, Tel. +351/­ 282/62 00 00, www. maretaview.com

A Sereia: Durch die großen Fenster der einfachen Fischerkneipe am Hafen kann man bei leckeren Snacks ­verfolgen, wie der frische Fang von Fischhändlern ­ersteigert wird. Unternehmen Wandern: Die Touren von Atalaia führen durch den Naturpark an der Costa Vicen­ tina. Auch Entenmuschelfischer Nicolau da Costa arbeitet hier als Guide. www. atalaia-walking.com

Delfinen begegnen: Im Atlantik vor Sagres lebt eine der weltweit größten Populationen der Säugetiere. Die MeeEssen Vila Velha: Wirtin Lia resbiologen von van Hierden veredelt Mar Ilimitado führen zu Delfinen, Walen, regionale Produkte Schildkröten. und fangfrischen www.marilimitado. Fisch zu leckeren com ­Gerichten. Rua Patrão Antonio Wer seinen Geist und Faustino, Tel. +351/ Körper trainieren 282/­62 47 88, www. vilavelha-­sagres.com will, der sollte an den wilden Zipfel der Algarve reisen. A Casinha: Das Eine gute Adresse Restaurant hat sich für Yoga, Meditation auf traditionelle und Surfen ist Küche spezialisiert. Rua de São Vicente, www.pureflow Tel. +351/917/76 89 17 motions.com

Fotos: Ana Brigida; Photocuisine/CARO; corbis

Am Cabo de São Vicente klettert Entenmuschel­ fischer Nicolau da Costa die Klippen hinab. Wer auf den Atlantik hinaus­ fährt, hat gute Chancen, Delfine zu sehen

als eineinhalb Meter, weil der konstante Wind höheres Wachstum verhindert. „Ich lebe in Harmonie mit der Natur. Wie meine Vorfahren“, sagt da Costa. „Die haben schon vor Jahrtausenden Percebes gefangen.“ In der Nähe seines Häuschens haben Archäologen etwa 33 000 Jahre alte Muschelschalen ausgegraben, sie werden den Neandertalern zugeschrieben. Rundum stehen 300 Megalith-Steine, rund drei Meter hohe Relikte von Siedlern, die vor etwa 7000 Jahren Ackerbau und ­Viehzucht einführten. Die Römer waren natürlich hier und hielten wie die Griechen diese entlegene Ecke Europas für das Ende der bewohnten Welt. Draußen, in der Festungsanlage auf dem Fels, legte der Nationalheld Infante Dom Henrique im 15. Jahrhundert die Grund­ lagen für den Aufstieg Portugals zur Weltmacht, indem er dort die besten Seefahrer, Kartografen und Meteorologen um sich versammelte. Christoph Kolumbus war später auch hier, ebenso Vasco da Gama. Vor Jahrzehnten ver­irrten sich Hippies nach Sagres, dann die Surfer. Die unspektakuläre 1900-Einwohner-Gemeinde liegt in einem Naturpark, der sich über 100 Kilometer an der Atlantikküste entlang­ zieht. Schwarzstörche nisten in dem Gebiet, Adler, Bussarde, Geier. Im Herbst kommen die Zugvögel auf dem Weg nach Afrika und machen hier Station. Um zehn Uhr kehrt Percebes-Fischer da Costa zurück. Er hat sich Seeigel zum Frühstück mitgebracht, ­seine Beute, neun Kilo Entenmuscheln, liefert er am Hafen von Sagres ab. Gerade laufen Boote zur Delfinbeobachtung aus, nur ­400 Meter vom Ufer entfernt springen die Tiere auf und ab. Gestern waren auch ­Orcas zu sehen. Taucher schätzen das Revier wegen der Unter­ wasser­­höhlen. Und in den Steilwänden der Kliffe ­finden Kletterer imposante Routen. Auch da Costa trainiert hier manchmal. Aber viel lieber geht er surfen. Nach getaner Arbeit fährt er auf verschlungenen Staubstraßen Richtung Meer. Zu Stränden, deren Namen er nicht verrät. Hunderte von Metern breit, eingerahmt von mächtigen Klippen – und menschenleer. Mitunter bleibt der Fischer bis zur Dämmerung draußen auf dem Wasser. Dann pilgern die Touristen zum Leuchtturm am Cabo de São Vicente. Wie eine rote Riesenkugel versinkt die Sonne im Meer am Ende der Welt. Nicolau da Costa steht allein, weit entfernt von Touristen, auf den Klippen vor dem Felsvorsprung Galé. Hier möchte er morgen auf die Suche gehen. Weil hier die besten Percebes wachsen.


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