KONGO-RIVER
Fl uß auf wä r ts ins „H er z de r F in ste r n is “ Joseph Conrad (Text) und Guenay Ulutuncok (Photos)
„Diesen Fluss hochzufahren war wie eine Reise zu den frühesten Tagen der Erde, als wirre Pflanzen sie überwucherten und große Bäume Könige waren. Ein leerer Strom, eine große Stille, ein undurchdringlicher Wald.“
„Wenn der Fluß breiter wurde, floß er zwischen unzähligen bewaldeten Inseln; man konnte sich wie in einer Wüste verirren und fuhr den lieben langen Tag auf Sandbänke auf, während man die Fahrrinne suchte, bis man dachte, man sei verhext und für alle Zeiten von allem getrennt, was man einst gekannt hatte – irgendwo – weit weg – in einem andern Dasein vielleicht.“
„Der Wald war ungerührt, wie eine Maske – schwer, wie das geschlossene Tor eines Gefängnisses -, er blickte mit dem Ausdruck verborgenen Wissens, geduldiger Erwartung, unnahbaren Schweigens.“
„Der Dampfer keuchte langsam den Rand eines schwarzen und unverständlichen Wahnsinns entlang. Der prähistorische Mensch verfluchte uns, betete uns an, hieß uns willkommen- wer konnte es sagen?“
„Und diese Stille des Lebens selbst hatte nichts Friedliches an sich. Es war die Stille einer unerbittlichen Macht, die über einem unerforschlichen Plan brütete. Mit rachsüchtiger Miene blickte sie einen an. Nach einer Weile gewöhnte ich mich daran.“
„Sie stand da und sah uns an, reglos und wie die Wildnis selber, mit einer Miene, als Ăźberdenke sie einen unauslotbaren Plan.“
„Die Erde schien unirdisch. Wir sind daran gewöhnt, auf die gefesselte Gestalt eines niedergerungenen Ungeheuers zu blicken, aber hier- hier sahen wir auf ein ungeheuerliches und freies Etwas.“
„Wir drangen tiefer und tiefer ins Herz der Finsternis ein. Es war sehr ruhig dort. Nachts wirbelte hinter dem Baumvorhang zuweilen Trommeldröhnen den Fluß hinauf und blieb ganz schwach bis zum Morgengrauen hörbar, als schwebe es hoch über unsern Köpfen in der Luft. Ob es Krieg bedeutete, Frieden oder Gebet, wir konnten es nicht entscheiden.“
„Bäume, Bäume, Millionen Bäume, wuchtig, riesengroß, hochaufragend; und zu ihren Füßen kroch, immer dicht am Ufer, das kleine, schmutzige Dampfboot wie ein tölpeliger Käfer, der sich auf dem Boden eines himmelshohen Säulentempels vorwärtsbemüht. Wir kamen uns sehr klein vor, sehr verloren, und trotzdem wars nicht eigentlich bedrückend, dieses Gefühl.“
„ Der Geist des Menschen ist zu allem fähig - weil alles in ihm lebt, die ganze Vergangenheit und die ganze Zukunft. Schließlich, was war denn dort? Freude, Angst, Leid, Hingabe, Mut, Wut - wer weiß es-, aber die Wahrheit – die Wahrheit legte ihre Verkleidung aus Zeit ab.“
„Die Flussstrecken öffneten sich vor uns und schlossen sich hinter uns, so als ob der Wald sich gemächlich über das Wasser geschoben hätte, um uns den Rückweg zu sperren.“
„Über der Flussmündung hing eine schwarze Wolkenwand, und das träge Wasser, das die entferntesten Enden der Erde erreicht, floß dunkel unter einem bedeckten Himmel – schien ins Herz einer gewaltigen Finsternis hineinzufließen.“
Reise ins Herz der andauer nden Finster nis Vor genau hundert Jahren erscheint Joseph Conrads Novelle „Heart of Darkness“ (Herz der Finsternis), die schnell Weltruhm erlangt und in jüngster Zeit durch den Monumentalstreifen „Apocalypse Now“ erstaunliche Aktualität gewinnt. Der Schriftsteller hatte 1890 als Kapitän eines 15 - Tonnen - Dampfers den Kongofluß von Kinshasa bis nach Kisangani befahren, im Auftrag einer belgischen Handelsgesellschaft, die „Elfenbein aus dem Land herauspreßte.“ Inspiriert von Joseph Conrad habe ich im letzten Regierungsjahr Mobutus - den sie am Fluß den Großen Leoparden nannten - eine Fahrt auf dem Kongostrom unternommen. Die Reise (1996) von Bumba nach Kisangani - zunächst auf einem abgetakelten Frachtschiff, dann in einer Piroge (Einbaum) - wurde für mich zu einem knochenharten, aber auch faszinierendem Abenteuer, ein Eintauchen in eine andere Welt, eine Tuchfühlung mit dem schwarzen Kosmos vergangener Jahrhunderte. Seit Conrad hat sich wenig verändert. Vielmehr - so scheint es - wurde sein Buchtitel zum düsteren Omen für das Riesenreich am „Großen Wasser“. Die Raffgier der weißen Fremdherrscher, der Belgier, hatte über 400 Völker und Ethnien mit der Macht der Gewehre gewaltsam zusammengeführt. Aus diesem Willkürgebilde unter der anschließenden Diktatur von Mobutu konnte bis heute kein wirklicher Staat entstehen. Ganz im Gegenteil wiederholt sich dort Europas leidvolle Geschichte: Die Wirren, das Morden, Plündern und Brandschatzen eines „Dreißigjährigen Krieges“ reißen gegenwärtig das Land von der Größe Westeuropas in den Abgrund, jenes Land das Mobutu „Zaire“ und sein „würdiger“ Nachfolger Kabila „Demokratische Republik Kongo“ nannte. Guenay Ulutuncok Kisangani (Stanley ville) , April 1996
Guenay Ulutuncok, 1954 in Istanbul geboren. Nach Abschluss des Architekturstudiums in Köln (1981) als freier Photojournalist tätig. Ende 1981 Mitbegründer der Photographenagentur “laif Photos & Reportagen” in Köln. Schwerpunkt seiner Arbeit: Reportagen über politische, soziale Konflikte und kulturelle ethnische Vielfalt, hauptsächlich in Afrika. Seit 2002 Dokumentation über den tropischen Regenwald in Afrika. Ab 2010 Photo-Wokshops in Afrika Weitere Informationen unter: www.photojournalistonline.de www.oneworldphoto.net www.mediaproductiononline.de www.africas-eden.net. www.3rd-ar t.de